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Fortune Files

von

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Alex 2: Wenn ein Diener in ein fremdes Mädchen vertraut

Ich brauchte kein Hellseher zu sein, um zu bemerkten, wie sehr der Chef auf das Menschenmädchen abfuhr. Schade eigentlich. Seit sie uns das erste Mal mit ihrer Anwesenheit beehrt hatte, war er wie ausgewechselt. Ich hatte ihn noch nie so wenig schimpfen gehört. Selbst als Olivia, eine meiner Kolleginnen, keine Antwort auf irgendwelche Ungereimtheiten in den letzten Bilanzen vorweisen konnte, beherrschte er sich und bat sie nur, auf Ursachensuche zu gehen.

Dasselbe war schon einmal vor einem Jahr passiert. Er vermutete damals, sie könne selbst dahinterstecken, was in einer seiner „Audienzen“ endete, so wie jüngst bei Peter. Keiner kam aus einem solchen Vieraugen-Gespräch als die Person wieder heraus, als die er es betreten hatte. Oftmals hätte wohl auch nur eine einfache Standpauke ausgereicht, doch Rova ließ es sich niemals nehmen, unfolgsames Verhalten auch körperlich zu züchtigen. Manchmal wunderte ich mich darüber, wieso ihm trotzdem immer wieder genügend Gründe geliefert wurden, damit er seine Bestrafungen durchführen konnte. Mein bester Erklärungsversuch lautete, dass Gehorsam nicht wirklich in unserer Natur lag, zumindest in der anderer Vampire, schließlich hatte ich mir noch nie etwas zu Schulden kommen lassen.

Neben den ausbleibenden cholerischen Anfällen fiel mir noch etwas anderes auf. Mein Herr, den ich bisher nur in drei Stimmungsvarianten kennengelernt hatte: gelangweilt, genervt und verärgert, oder auch alle drei gleichzeitig, lächelte, wenn dieses Mädchen bei uns war. Ich hatte mich bei meinen älteren Kollegen umgehört, ob sie das bei ihm schon mal erlebt hätten. Er schien die Dienerschaft oft zu wechseln, denn am längsten dabei war besagte Olivia, mit gerade einmal fünf Jahren, doch auch sie war erstaunt.

„Unser Herr ist unnahbar. Stell nicht zu viele Fragen, sonst bist du der Nächste, der bei ihm vorsprechen darf“,

warnte sie mich. Damit gab ich mich nicht zufrieden. Es musste doch etwas über ihn herauszufinden sein. Ich suchte nach ehemaligen Untergebenen, die ich nach ihm befragen konnte. Die meisten lehnten es von vornherein ab, aber schließlich fand ich zwei, die noch in der Nähe wohnten und einen, mit dem ich telefonischen Kontakt aufnehmen dufte, … über eine verschlüsselte Leitung, weil er befürchtete, abgehört zu werden. Die Gespräche, die ich führte, waren unerwartet krass. Rovas frühere Diener waren auch nach Jahrzehnten noch eingeschüchtert, denn vor ihrem Rauswurf schien er jeden ein letztes Mal zu disziplinieren.

Das erste Mal in meinem Leben sah ich eine Narbe an einem Vampir. Einer meiner Interviewpartner zeigte scheu auf die alte, aber noch deutlich sichtbar vernarbte Wunde an seinem Oberarm, die er schnell wieder unter der Kleidung versteckte. Sie war nur einen Zentimeter groß und sah aus, als wäre irgendetwas tief in sie hineingebohrt wurden. Ich musste schwören, niemanden davon zu erzählen. Erst danach war er bereit, mir zu berichten, dass Rova eine Chemikalie dazu verwendet habe, um diesen bleibenden Schaden überhaupt hinterlassen zu können.

Spätestens an dieser Stelle wurde mir klar, dass ich es mir mit meinem Herrn nicht verscherzen durfte. Auch die anderen Lucards schienen privat nicht weniger brutal zu sein, wenn ich den Worten meiner Telefonquelle Glauben schenken durfte. Ich dachte kurz darüber nach, wie einfach mein Leben in meiner Heimat bei den Don Velas in Soria gewesen wäre. Mal ein bisschen Wache schieben oder den Chauffeur spielen, dafür auch noch mit Respekt behandelt werden und das alles in einer der idyllischsten Städte Europas. Aber… nein, das war so überhaupt gar nichts für mich. Ich war beim Hochadel schon ganz gut aufgehoben. Wer, wenn nicht ich, oder?

Für einen so mächtigen Mann wie Rova war ich natürlich nur ein kleiner Fisch und trotzdem verband uns etwas ganz Entscheidendes: Ein leidenschaftliches Verlangen nach demselben Menschenmädchen. Das war nicht unbedingt die hilfreichste Parallele. Ein Diener durfte die Liebste seines Herrn bewundern, aber nachsteigen sollte er ihr nicht. Ich fasste den Entschluss, dass es nicht so weitergehen konnte. Dieses duftende, unwiderstehliche Wesen musste ganz schnell wieder aus meinem Schädel heraus, denn sie bedrohte meine ganze Karriere, alles wofür ich bisher gearbeitet hatte. Das sagte auch meine Mutter, der ich alles am Telefon gestand.

„¡Olvida a esta mujer!“,

wiederholte sie dauernd, was so viel hieß wie:

„Vergiss diese Frau!“
 

Mit großer Mühe versuchte ich, den Rat meiner Mutter umzusetzen. Ich mied die direkte Konfrontation mit Lyz und hielt mich so wenig wie möglich in einem Raum mit ihr auf. Seit sie diese kurzen, weißen Kleidchen trug, fiel es mir nur leider noch schwerer, meine Augen von ihr zu lassen. Sie wirkte damit so unschuldig und trotzdem etwas frech. Warum musste sie es mir denn so schwer machen?

Im völligen Kontrast zu meiner Zielstellung, erwischte ich mich in letzter Zeit immer öfter dabei, mir eine Tätigkeit zu suchen, bei der ich Lyz heimlich im Blick hatte. Einmal beobachtete ich sie während einer Blutspendeaktion aus dem Fenster heraus. Gemeinsam mit der aufgeweckten Sari, sprach sie Passanten auf der Straße an, um diese zum Spenden zu animieren. Mir war inzwischen sogar etwas Neues an ihr aufgefallen, nämlich dass sie in ihren eleganten Bewegungen noch etwas anderes als Anmut transportierte: eine versteckte Melancholie. Manchmal, wenn sie glaubte, unbeobachtet zu sein, da sah ich ihre traurigen Augen, die ein anderes Bild von ihr zeichneten, als das sie uns Glauben machen wollte. Verdammt, ich wollte sie kennenzulernen. Neugier, Erregung und Pflichterfüllung schlugen eine epische Schlacht in mir, die mich vollkommen mitriss. Was für ein beschissenes Chaos!

Ich fuhr geschockt ich mich zusammen, als Peter mir auf die Schulter boxte.

„Alter, heute war Sari auch schon bei dir? Ey, geht's noch? Kannst du mir vielleicht mal was übriglassen?“

„Hä, woher weißt du...?“,

stammelte ich und bemerkte, dass meine Haare geflochten waren. Das war eine von Saris Angewohnheiten, die sie bei jedem Mann hatte, mit dem sie Zugange war. Ich griff in meinen Nacken, holte meinen Zopf nach vorn und begann ihn geistesabwesend zu entzwirbeln. Normalerweise tat ich das immer sofort, ganz anders als Pete, der sich extra eine längere Locke hatte wachsen lassen, die er stolz mit einer Tonne Haarspray fixierte, nachdem sie bei ihm war.

„Glotz ihr wenigstens jetzt nicht auch noch so hinterher, du notgeiler Sack! Maaann, was hast du mit ihr angestellt?“

„Ich seh halt einfach besser aus als du Windhund“,

konterte ich. Immerhin ließ ich mich doch nicht dumm von der Seite anmachen. Er aber auch nicht.

„Am Arsch vielleicht, Idiot! Ich mein das ernst. Was hast du gemacht, damit Sari so auf dich abfährt?“

Ich hatte nicht vor, zu antworten. Ihn nervte es wahrscheinlich tierisch, dass ich ihn nicht ansah, sondern immer noch aus dem Fenster starrte, selbst als er mich am Arm packte und daran rüttelte. Er musste meinem Blick gefolgt sein, denn ihm ging ein kleines Birnchen in seinem ansonsten düsteren Oberstübchen auf.

„Aaaalter, es geht gar nicht um Sari. Bist du jetzt total hirnverbrannt? Du weißt doch, was der Chef gesagt hat!“

Sari hatte sich gerade auf den Weg nach drinnen gemacht, doch ich starrte trotzdem noch zum Gehweg, auf dem nur noch Lyz stand. Ich Vollidiot hatte mich verraten. Auch wenn das ziemlich scheiße war, blieb ich ruhig. Pete mochte viele miese Eigenschaften haben, aber eine hatte er nicht. Er plauderte Geheimnisse nicht aus, naja, zumindest, solange man ihm keine Gewalt androhte.

Ich seufzte und ging nicht weiter auf ihn ein, aber er hörte ohnehin auf zu fragen. Damit wollte er absolut nichts zu tun haben.
 

Sari hielt mich nach der Arbeit immer öfter davon ab, direkt nach Hause zu verschwinden. Pete hatte recht, sie wurde in der letzten Zeit immer anhänglicher, ausgerechnet, wo mein Interesse an ihr sank. Ohne, dass ich sie zu fragen brauchte, begründete sie, mein Sexappeal sei gestiegen, seit ich die Neue kannte, was sie auch immer damit meinte.

Einmal bestellte sie mich sogar am Sonntagnachmittag in die Villa. Dass sie es nicht mal zwei Tage am Stück ohne mich aushalten konnte, fand ich schon seltsam, aber Befehl war Befehl, selbst wenn diese Art von Dienst von meinen eigentlichen Idealen abwich.

Als ich den Versammlungssaal betrat, wunderte ich mich, wo sie abgeblieben war. Üblicherweise rannte sie mich sonst immer schon überschwänglich an der Tür über den Haufen. Mein Handy vibrierte unmittelbar und benachrichtigte mich, dass sie von einer kurzen Reise wiederkäme und sich leicht verspätet habe.

Ich setzte mich auf einen dieser alten, verzierten Holzstühle, zog meine schwarzen Schnürstiefel und die Socken aus und legte die Füße auf den antiken Mahagonitisch, der uns als Tafel diente. Ich hatte ja keine Ahnung, dass sie mit „leicht verspätet“ diesmal nur eine Viertelstunde meinte. So wie ich sie kannte, hätte das gut und gerne eine Ganze sein können.

Vollkommen abgehetzt kam sie durch die Haustür. Ohne die Zeit zu haben, meine Schuhe wieder anziehen zu können, lief ich sofort zu ihr, denn sie schickte mal wieder ihren Chauffeur nach Hause, noch bevor er die Villa betreten konnte. Sie polterte ganz allein mit einem großen Koffer herum, dessen Rollen sie über die Schwellen zog. Ich wollte ihn ihr sofort abnehmen, doch als sie mich sah, ließ sie ihn los, sodass er mit einem dumpfen Knall umfiel.

„Aaaalex, Liebling!“,

rief sie überglücklich und fiel mir wie gewohnt um den Hals. Ich musste die Nase rümpfen, denn sie roch nach einem anderen Mann, einen, den ich sogar zuordnen konnte... Rovas Bruder Vicco. Nichts störte mich mehr an ihr als ihr unstetes Verhalten, aber es schmerzte mich nicht mehr so stark wie früher.

„Weißt du, wo ich war?“,

posaunte sie stolz, worauf ich seufzend antwortete:

„Kann's mir denken.“

„Ohhhh!“,

kam es nur von ihr. Ich hatte mich von ihr gelöst und abgewandt, hob den Koffer auf und trug ihn barfuß die knarzenden Holzstufen nach oben. Sari konnte es nicht lassen, um mich herumzuspringen wie ein junges Reh… auf Speed.

„Ich hab es nicht geschafft, nochmal zu duschen. Du weißt doch, wie er ist. Trotzdem legt das die falsche Fährte. Ich war nicht in Manama, sondern Zuhause in Argisch.“

Wenn sie in Argisch in der Walachei bei ihrem Vater David-Richard war und nicht in der Hauptstadt von Bahrain bei ihrem Onkel Victor-Constantin, ließ das nur einen Schluss zu.

„Also hat Vicco seinen Bruder besucht? Naja, soll mir recht sein. Komm nur nicht auf die Idee, mich in deinem Zustand anfassen zu wollen.“

Sie öffnete mir die Tür zu ihrem unerwartet aufgeräumten Zimmer. Da mussten ein paar fleißige Bienchen übers Wochenende am Werk gewesen sein, denn Sari war eher der unordentliche Typ. Sie warf ihre rote Jacke in hohem Bogen auf das gemachte Bett und fing an, sich ihr rot, goldenes Kleid mit Paisley-Muster am Nacken aufzuknöpfen, während sie sprach.

„Kann man so sagen. Ich hab ihn vorher eingeladen. Ich fand es nur fair, auch Vicco von Lyz zu erzählen. Immerhin war Elisabeth zuerst seine Frau, bevor sie die von Rova wurde. Aber bei Graf Griesgram in Crow Castle war ich nicht. Er sieht mich immer so komisch an, dass ich Gänsehaut kriege, brrr. Dabei bin ich ganz lieb und folge ihm aufs Wort. Familie über alles und so.“

Sie schüttelte sich bei dem Gedanken an ihren Großvater Graf Alucard, dem legendären Urvampir. Ich fragte mich, ob auch ich einmal die Ehre haben würde, ihn mit eigenen Augen sehen zu dürfen. Verdammt, wäre das genial.

Sari schob sich die blonde Lockenmähne nach vorn auf die Schulter und drehte sich mit dem Rücken zu mir. Ich verstand, dass ich ihr die Knopfleiste ihres Kleides öffnen sollte. Bevor ich auf Lyz getroffen war, fand ich es erotisch, wenn sie so mit mir spielte, aber diese Zeiten waren vorbei, besonders bei dem ekelhaften Gestank, den Sari verströmte.

„Duschst du mit mir?“,

fragte sie mit niedlich verstellter Stimme. Natürlich war das keine Bitte. Sie hasste es, sich die Haare selbst waschen und kämmen zu müssen, deshalb übernahm ich das hin und wieder. Sie ließ ihr Kleid über die Schultern nach vorn zu Boden gleiten. Anschließend drehte sie sich um die eigene Achse und trat aus dem Kleidungsstück heraus. Nur noch mit ihrem ziemlich knappen Slip bekleidet stand sie vor mir und sah mich erwartungsfroh an. Ich mochte dieses Mädchen unfassbar gern, doch sie hatte mir einmal zu oft gezeigt, wie austauschbar ich war. Ich machte mir nicht die Mühe, meine Verstimmung vor ihr zu verbergen.

„Nix los in der Hos?“,

kicherte sie erst, zeigte dann aber ein gewisses Verständnis.

„Seit wann bist du so eifersüchtig?“

„Ich kann den Typen einfach nicht ab“,

gab ich nur zurück. Sie zupfte an meinem Shirt, damit ich es selbst auszog. Meinen Wunsch, nicht von ihr angefasst werden zu wollen, schien sie zu respektieren. Danach zupfte sie an meiner Hose herum, das ungeduldige Ding.

„Also, ich finde, er ist unglaublich charmant und sooo gutaussehend. Wenn er mich nicht immer wieder wegschicken würde, wenn wir miteinander fertig sind, wäre ich jetzt nicht hier, das sag ich dir. Aber ich mache mir da keine Hoffnungen mehr. Mit meiner Unschuld ließ er sich nicht kaufen, also wird es wohl niemals klappen. An Elisabeth reiche ich eben nicht heran“,

schwärmte sie von ihrem Onkel Vicco, der sie nach Strich und Faden ausnutzte. Verdammt, ich hasste den Typen wirklich. Ziemlich unbedacht rutschte mir die unverblümte Wahrheit heraus. Sari war so süß und naiv, dass ich mich ihr gegenüber manchmal echt nicht im Griff hatte.

„Schonmal dran gedacht, dass dich Rova nicht ranlässt, weil du immer noch seinen Bruder vögelst?“

Geschockt und amüsiert zugleich stand sie mit offenem Mund vor mir. Sie sprachlos zu machen, war schon eine hohe Kunst. Ihr Hirn schien zu rattern, aber übel nahm sie es mir wohl nicht. Sie blickte kurz an mir herunter und war anscheinend zufrieden damit, obwohl sich immer noch nichts regte. Dann machte sie einen Satz hinter mich und schob mich nach draußen auf den Gang. Nackt, wie ich war, ging es in Richtung Badezimmer, im besten Timing überhaupt. War ja klar, dass der Hausherr ausgerechnet in diesem Moment die Treppen nach oben kommen musste.

„Oh nein…“,

fiepte Sari hinter mir, die schon ahnte, dass das Rova nicht gefallen würde. Gelangweilt blickte er zu uns hinauf.

„Gib mir beim nächsten Mal vorher Bescheid, wenn du auf Vicco triffst. Es gäbe noch die ein oder andere Sache, die ich mit ihm abzuklären hätte“,

war alles, was er von sich gab. Auch er musste die Duftmarke an ihr überdeutlich wittern. Auf mich ging er gar nicht ein, sondern lief danach die letzten Stufen nach oben, an uns vorbei und verschwand dann in seinem Zimmer am Ende des Gangs.

„Ups, zu langsam gewesen mit dem Duschen. Wenn du recht hast, hab ich mir jetzt selbst ein Bein gestellt… naja, was soll's. Umso schöner wird es gleich mit dir sein, mein heißer Torero, hihi.“

Dieser unverbesserliche Sonnenschein fing schon wieder an, meine Haare zu flechten. Ich konnte ihr einfach nicht böse sein... Sie brauchte mich nur mit ihren großen hellbraunen Augen anzustrahlen und schon vergaß ich meinen Kummer. Diese besondere Fähigkeit, war meiner Meinung nach unter adligen Vampiren einmalig. Ich kannte jedenfalls keinen zweiten Hochgeborenen, den eine ähnlich liebenswerte Aura umgab.

In mir blitzte der Gedanke auf, bei meinem Problem auf Saris Können zurückzugreifen. Wenn sie sich mit mir kleinem Dienerchen über die furiosen Lucard Brüder hinwegtrösten konnte, musste das doch auch andersherum für mich klappen. Hatte sie das nicht sowieso vorgeschlagen? … Oder, war es sogar genau das, was wir taten? Ließ ich nicht die ganze Zeit schon an ihr raus, was Lyz in mir weckte? Mann! Dass mir das erst so spät auffiel!

Leider blieb mir keine Zeit, es mit Sari viel bewusster zu genießen, denn… ich erlebte ihren magischen Effekt das letzte Mal in meinem Leben.
 

Eine Welle der Ereignisse kam ins Rollen, als Lyz ihren Austritt aus dem SOLV beantragte. Der Tag war gekommen, an dem meine neu erkorene Seelenretterin Sari in Rovas Zimmer ging und nicht mehr daraus zurückkehrte…

Ihr Verlust besiegelte mein Schicksal, denn nun hielt mich nichts mehr davon ab, auf die schiefe Bahn zu geraten.
 

Einem Schrei folgend, stürmten Pete und ich in das Zimmer unseres Herrn. Mein Denkvermögen stieg aus… Das war nicht… Das konnte nicht… Kein Heilmittel der Welt konnte das noch kurieren, dachte ich, als bereits kaum noch erkennbare Überreste von Saris Körper vor unseren Augen zu einem Häufchen Staub zerfielen. Vor mir lief ein Film ab, in dem Pete auf Lyz losging, was Rova verhinderte. Alles was mir einfiel, war Schadensbegrenzung. Wenn ich schon Lyz nicht verteidigt hatte, so konnte ich wenigstens meinem Herrn Erste Hilfe leisten.

Aus Mangel an Alternativen, ritzte ich Lyz' Arm an und verabreichte Rova ihr Blut. Trotz der unendlichen Leere, die Saris Verlust in mein Herz gerissen hatte, beherrschte mich plötzlich nur noch der Gedanke, meinen Mund an den duftenden Arm dieses Menschenmädchens zu pressen, um mir zu holen, was aus ihren Adern quoll. Scheiße, was war das für ein Abgrund in meiner Seele? Meine Tränen galten nicht mehr nur Sari, sondern auch dem Schmerz dieser Selbsterkenntnis. Nur ein triebgesteuertes, herzloses Monster konnte so etwas empfinden.

Lyz wurde ohnmächtig und Rova wies mich an, sie ins Gästezimmer zu tragen. Ein Fehler, aber Peter konnte er nicht bitten, da uns seine Aura verriet, dass er sie wahrscheinlich umgebracht hätte.

Ich funktionierte irgendwie und trug Lyz nach oben, immerzu auf ihre Schnittwunde starrend. Ihr Blut nahm mir fast die Erinnerung an das gerade erst passierte, so stark war seine Macht über mich. Ich hielt dieses kleine, leichte Mädchen mit nur einem Arm, schloss die Tür hinter mir und schlug die blütenweiße Bettdecke zur Seite. Schwer atmend, legte ich das schlafende Engelchen ab und betrachtete es kurz. Dieses Unglück konnte nicht ihre Schuld gewesen sein, unmöglich.

Aus dem Schrank holte ich Verbandszeug und setzte mich damit neben sie auf das Bett. Begierig fixierte ich ihren Arm. Ich hatte ihn leicht eingedreht auf ihrem Körper abgelegt. Penibel achtete ich darauf, dass ihr Blut nicht auf ihr weißes Kleid tropfte, doch nun war es im Begriff herunterzulaufen… dieses rote, duftende Elixier… was für eine verdammte Verschwendung...

Mein Hirn setzte erneut einen Moment lang aus!

Ich fand mich selbst dabei wieder, wie ich die Wunde nicht nur sauber leckte, sondern sogar noch genüsslich daran saugte, um an mehr zu kommen, mehr, mehr, noch mehr! Verfluchter Mist! Erneut leckte ich und saugte danach wieder. Es war belebend, erfüllend, erregend, viel besser, als ich es mir hätte je ausgemalten können.

Das konnte nicht wahr sein!

Ich, die schwarze Bestie, fiel über dieses unschuldige, weiße Mädchen her, das, wie in einem alten Vampirfilm, schlafend im Bett lag. Ich war nicht mehr als ein Tier, das seine Gier an ihr befriedigte, abscheulich, verabscheuungswürdig, triebgesteuert… todtraurig. Wie konnte ich das Sari nur antun?
 

In erregter Geilheit verschwammen meine Sinne immer wieder, doch irgendwie riss ich mich gerade noch so von Lyz' Arm los, bevor ihr meine spitzen Zähne verräterische Wunden stachen. Fuck! Das durfte nicht passieren!

Zitternd öffnete ich den Verbandskasten. Eigentlich war er zur Behandlung von Silberwunden gedacht, doch er funktionierte auch in dieser Sache. Das Skalpell ignorierte ich, nahm den Tupfer, etwas Alkohol und fuhr damit über ihre Wunde. Keine gute Idee, denn Lyz zuckte zusammen, schreckte auf, sah mich mit ihren aufgerissenen blauen Augen an und… verlor direkt wieder das Bewusstsein. Ihr labiler Kreislauf hatte mir damit den Arsch gerettet.

Ich versiegelte die Wunde mit einem Pflaster. Meine Geruchsspuren waren somit verwischt. Schwein gehabt. Nun spülte ich mir noch den Mund mit Wasser, biss mir danach selbst in den Daumen und trank ein paar Tropfen von mir, damit ich wieder nur noch nach mir selbst roch, aber nicht zu sehr nach meinem Blut. Etwas Besseres fiel mir auf die Schnelle nicht ein.

Idiot, Idiot, Idiot! Für diesen Fehltritt würde ich mit dem Leben bezahlen, wenn er ans Licht käme, das wusste ich genau. Ich hatte aber auch keine Zeit, die Spuren besser zu verwischen, denn Rova würde auch dann misstrauisch werden, wenn ich zu lange weggeblieben wäre. Immerhin konnte ich mich damit trösten, die Kontrolle über meine Zähne behalten zu haben, denn ein Biss hätte sich unmöglich vertuschen lassen. Zudem war auch meine Erektion bei der ganzen Aufregung wieder verschwunden.
 

Unverändert verwirrt, hastete ich die Stufen nach unten zu Rova, der sich auf seiner alten muffigen Couch erholte, die er aus nostalgischen Gründen nicht wegwerfen wollte. Pete hockte zusammengekauert auf dem Boden. Nun stand ich wieder Saris Überresten gegenüber und hasste mich gleich noch mehr. So schnell ließ sie sich also ersetzen? Grausam. Hoffnungslos verloren blickte ich in meinem eigenen seelischen Abgrund. Immer tiefer sinkend, strich ich über das Medaillon auf dem Staubhäufchen, das dabei noch weiter zerbröselte, während sich neue Tränen in meinen Augen bildeten. Rova ermahnte mich mit harter Stimme, die mich aufweckte.

„Beherrsch dich und komm zu mir, Alexander. Du auch, Peter.“

Ich griff mir Saris Medaillon, das sie immer um den Hals getragen hatte und steckte es mir geistesabwesend in die Hosentasche. Rova hatte währenddessen schon begonnen, Pete und mich zurechtzuweisen.

„Wenn einer von euch beiden auch nur ein Wort darüber verliert, passe ich eure Form an die ihre an. Genauso verhält es sich, wenn einer auf Racheideen kommt und ja, auch hier sehe ich vor allem dich dabei an, Peter. Habt ihr beide das verstanden?“

„Verstanden, Eure Hoheit“,

bestätigen wir im Einklang und gingen nach Hause, ohne das geringste Wort miteinander zu wechseln. Unsere beiden Auslegungen für das, was passiert war, konnte nicht unterschiedlicher sein. Peters Hass war fast greifbar. Hätte er nur ein weiteres falsches Wort über Lyz verloren, wäre ich wahrscheinlich ausgerastet. Ihr Blut gab mir einen Leistungsschub, von dem er zwar nichts wusste, den ich ihm aber nur zu gern vorgeführt hätte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  KritzelFuchsKurai
2021-01-21T09:48:17+00:00 21.01.2021 10:48
Oh nein ! Sari!!! Ich dachte mir schon dass die kleine nun so auf alex als lustknabe abfährt weil er eben alles an ihr ausgelassen hat was so nicht geht >\\\\\\< und jetzt ist sie weck? Rova is mir momentan echt nicht sympathisch muss ich gestehen ...... was sari wohl gemacht hat damit sie sterben musste T.....T snüff sie war mir echt sympathisch... so das waren mein zwei pitel für heute hihi morgen gehts weiter ❤️Freu mich schon 🥰


Antwort von:  Elnaro
21.01.2021 11:57
Die "Fortune Files" sind so aufbereitet, dass man versteht, was passiert, aber nicht unbedingt wie und warum. Dopplungen zur Hauptgeschichte "Forced Fortune" wollte ich weitgehend vermeiden, damit beide Geschichten interessant und spannend bleiben. Sollte es dich interessieren, was zwischen Rova, Lyz und Sari los war, kannst du das in Kapitel 4 der Hauptstory nachlesen. Für Alex spielt das allerdings keine allzugroße Rolle.
Wenn überhaupt, wird Rova erst später sympatischer, weit nach diesem Exkurs in Alex' Geist. Wir begleiten den jungen Diener nur über den ersten Spannungsbogen der Hauptgeschichte.
Ich freue mich auch total. Vielen lieben Dank!
Von:  Schwabbelpuk
2019-04-24T16:01:37+00:00 24.04.2019 18:01
Ach, ein wunderbares Kapitel wieder. Ich liebe deine Kapitel aus Alexs Sicht, du schreibst ihn wunderbar und ich mag ihn immer wieder aufs Neue mehr und mehr. Ich fand es interessant, ein paar Nebenhandlungen von Saris Tod oder besser was danach passiert ist, zu lesen. Auch das Verhältnis zu Sari war überraschend eng, dafür, dass er danach doch nur Lyz im Kopf hatte, aber die Verwirrung darüber hast du ja auch deutlich beschrieben. Ich bin irrsinnig gespannt, wenn es weitergeht. Ich könnte mir glaube die komplette Story nochmal aus Alexs Sicht geben und es würde mir wahrscheinlich nicht langweilig werden. ^^ Also schreib noch gaanz viel Alex, ja?
Antwort von:  Elnaro
25.04.2019 17:36
Joa, vielleicht habe ich mir auch die falsche Person als Hauptcharakter ausgesucht. Es macht großen Spaß seine Kapitel zu schreiben und ich glaube das merkt man beim Lesen.
Ich plane demnächst den Auftritt eines ganz besonderen Special Guests. Lyz hat da so einen alten Bekannten, den Alex lieben wird. xD Ohhhh ja :D

Alex' Part hat sieben Kapitel :)
Antwort von:  Schwabbelpuk
25.04.2019 20:04
7 Kapitel? Holy! Ich freu mich tierisch drauf! *-* Und auf den Special Guest auch ein wenig~ :3
Alex bleibt mein Hauptcharakter, im Inneren oder so...xD


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