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Das letzte Geheimnis

Für immer ihr Geheimnis Teil 4
von

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Hermine.
 

Wo bist du?
 

Wo bist du?
 

Ich hoffe, du warst nicht so dumm, in dein Elternhaus zurückzukehren. Sie werden dich suchen und dich finden, wenn du dort bist.
 

Ich hoffe, du warst nicht so dumm, zu Potter zu gehen. Sie werden angreifen.
 

Heute haben sich alle Todesser bei uns versammelt. Snape hat von eurem Plan erzählt. Wieso lebt Potter überhaupt noch bei seinen Muggelverwandten? Ist jemand bei ihm, der ihn bewacht? Und warum warten alle, bis er das Haus verlässt? Es wurde von irgendeinem Schutz gesprochen, der über seinem Haus liegt, aber ich verstehe das nicht. Wie kann eine Muggelfamilie ihn schützen?
 

Hermine, was auch immer du tust, geh nicht dahin. Snape weiß, wann ihr Potter da raus holen wollt. Ich weiß nicht, woher er es weiß. Ein anderer Todesser, Yaxley, hat aus dem Ministerium erfahren, dass ihr Potter am 30. holen wollt, aber Snape meinte, das stimmt nicht. Er hat gesagt, dass der Orden weiß, dass das Ministerium unterwandert wurde, deswegen haben sie absichtlich falsche Informationen gestreut. Ich habe keine Ahnung, wie Snape das wissen kann, wenn er nicht mehr Teil des Ordens ist. Er ist kein Teil mehr, oder? Nach dem, was er getan hat, kann er es nicht sein. Ihr wärt dümmer als gedacht, wenn ihr ihm weiterhin vertrauen würdet. Woher also weiß er so viel? Und wieso vertraut der Dunkle Lord ihm, ohne dass er seine Quelle offenbaren muss?
 

Ich wollte dir nicht schreiben, aber ich muss. Ich muss. Da war noch jemand hier heute. Eine Lehrerin aus Hogwarts. Ich glaube, du kennst sie. Professor Burbage. Sie hat Muggelkunde unterrichtet. Du hättest sehen sollen, wie sie Snape anfleht. Sie hat geweint und gebettelt. Sie dachte, Snape würde ihr helfen. Wie kann er so kalt sein? Sie waren jahrelang Kollegen und er hat zugesehen, wie sie umgebracht wurde, ohne mit der Wimper zu zucken. Da war nichts in seinem Gesicht, Hermine, gar nichts. Ich dachte, ich kenne ihn, aber das? Er hat einfach zugesehen, wie sie getötet wurde. Und dann … Nagini hat sie … gefressen. Sie lag auf dem Tisch, an dem wir sonst immer essen, und diese Schlange hat sich auf sie gestürzt.
 

Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalte. Ich werde wahnsinnig hier. Warum müssen die Todesser-Treffen hier stattfinden?
 

Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Ich habe mich heute gefragt, ob ich nach den Sommerferien wieder nach Hogwarts gehen kann. Lächerlich, oder? Menschen sterben, und ich mache mir Gedanken, ob ich zur Schule gehen kann. Aber vielleicht ist das genau das, was du versucht hast, mir zu erklären: Je chaotischer und wahnsinniger die Welt wird, umso wichtiger ist es, an jedem bisschen Normalität festzuhalten.
 

Aber ich kann nicht nach Hogwarts. Ich bin schuld an Dumbledores Tod. Sie würden mich nicht mehr reinlassen.
 

Aber was, wenn die Todesser das Ministerium vollständig in ihre Macht reißen können? Was, wenn nicht Zauberer wie ich, sondern alle, die auf eurer Seite stehen, plötzlich die Ausgestoßenen werden? Ich will mir das gar nicht vorstellen. Eine Welt, in der die Todesser die Autorität haben, über das Ministerium und die Schule zu verfügen? Und was wird dann aus dir? Willst du nach Hogwarts zurück?
 

Ich habe bisher nicht wirklich darüber nachgedacht. Irgendwie ging ich davon aus, dass wir uns nach dem Sommer wiedersehen. Aber das ist unmöglich, oder? Wir können nicht einfach weiter zur Schule gehen, als wäre nichts geschehen. Alles ist jetzt anders.
 

Werde ich dich überhaupt jemals wiedersehen?
 

Draco verharrte im Schreiben. Seine Augen starrten die letzte Zeile an. Sein Schlafzimmer wirkte plötzlich unwirklich, entrückt. Er konnte das Blut in seine Ohren rauschen hören, fühlte, wie sein ganzer Körper erstarrte. Panik wusch über ihn wie eine eiskalte, alles verschlingende Meereswoge.
 

Würde er Hermine jemals wiedersehen?
 

Er hatte die Zeilen geschrieben, ehe er wusste, was er da tat. Jetzt war es da. Schwarz auf Weiß. Die Angst, die ihn seit jenem Tag, an dem er Hermine das letzte Mal gesehen hatte, ständig begleitete. Die Angst, die er mit aller Macht in die letzte Ecke seines Verstandes geschoben hatte, weil er wusste, wenn er sie nicht ignorierte, würde sie ihn verschlingen.
 

Er konnte sich keine Welt ohne Hermine vorstellen. Wie sollte er jemals ohne ihre Wärme, ihre Güte, ihre Liebe bestehen?
 

Entschlossen nahm er den Brief und warf ihn in das Feuer, das in dem kleinen Kamin in seinem Zimmer brannte. Er musste aufhören, ständig an sie zu denken. Jedes Wort, das er geschrieben hatte, hätte sein Todesurteil sein können, wenn irgendjemand es gefunden hätte. Selbst wenn es nur seine eigenen Eltern gewesen wären. Konnte er ihnen noch vertrauen? Konnte er überhaupt irgendjemandem noch vertrauen?
 

Die kalte Panik, die ihn ergriffen hatte, verschwand nicht. Sie hielt ihn fest und leerte seinen Kopf von allen anderen Gedanken. Sein rasendes Herz, die Übelkeit, der Schweiß, der seinen ganzen Körper bedeckte. Alles schrie Panik.
 

oOoOoOo
 

Mit klopfendem Herzen folgte Draco den anderen Todessern auf der wilden Jagd. Er hätte nie gedacht, dass er sich einmal auf einem Besen so unwohl fühlen würde. Doch jetzt, je näher sie ihrem Ziel in der Muggelwelt kamen, umso schlechter fühlte er sich.
 

Gemeinsam mit etwa dreißig anderen Todessern war er unterwegs, um Harry Potter zu töten. Er hatte gehofft, gefleht, dass er nicht Teil der Mission sein würde, aber der Dunkle Lord hatte darauf bestanden, jeden, der fähig war, einen Besen zu steuern, zu schicken. Und so flog er hinter seinem Vater und seiner Tante, unsicher, ob sie am Ende nur Harry Potter und einige Auroren treffen würden, oder ob er eventuell Hermine wiedersehen würde.
 

Er hoffte, dass sie nicht da wäre. So sehr er sie auch wiedersehen wollte, er wollte nicht, dass sie dabei in Lebensgefahr geriet.
 

Entschlossen schüttelte er den Kopf. Es gab keinen Grund für Hermine, bei Harry Potter und seinen Muggelverwandten zu sein. Nur Auroren und ausgebildete Mitglieder des so genannten Ordens des Phönix‘ würden da sein. Hermine wartete sicher und wohl geborgen an dem Ort, wohin sie Potter bringen würden. Davon war er überzeugt.
 

„Da vorne sind sie!“
 

Die gerufenen Worte von Yaxley, der die Gruppe anführte, drangen wie durch einen Nebel an Dracos Ohr. Es wurde ernst. Sie würden hier und heute tatsächlich Harry Potter stellen. Fluchend lehnte sich Draco tiefer über seinen Besen und beschleunigte das Tempo.
 

Tatsächlich, keine hundert Meter vor ihnen sah er Harry Potter auf einem Thestral reiten, begleitet von einem Mann, den er schon mal im Ministerium gesehen hatte. Ein Schauer lief Draco über den Rücken. Obwohl er wusste, dass Thestrale nicht gefährlich waren, konnte er doch nicht anders, als sie als Vorboten des Todes zu sehen.
 

„Harry Potter ist rechts von uns!“, ertönte da der Schrei seiner Tante, die mit dem Arm in eine andere Richtung zeigte.
 

Verwirrt wendete Draco seinen Blick von Potter auf dem Thestral ab und folgte dem ausgestreckten Arm von Bellatrix. Tatsächlich, dort war Harry Potter auf einem Besen, begleitet von Alastor Moody. Hilfesuchend schaute er zu seinem Vater.
 

„Sie wollen uns verwirren!“ Yaxley hatte sich ein Stück zu ihnen zurückfallen lassen. „Malfoy, nimm deinen Sohn und verfolg den Potter auf dem Thestral.“
 

Draco gehorchte sofort und hörte nicht mehr zu, als Yaxley den anderen Todessern Befehle gab, in Gruppen die verschiedenen Potters zu verfolgen. Schwitzend trotz der Kälte schoss Draco durch die Nacht, begleitet von seinem Vater kurz hinter ihm. Die Thestrale flogen schnell, doch sie konnten aufholen.
 

„Das ist Shacklebolt!“, rief sein Vater ihm zu. „Nimm dich bloß in Acht, er ist ein mächtiger Zauberer.“
 

Draco schluckte. Dass sein Vater so etwas über einen anderen Zauberer, noch dazu einen, der kein Todesser war, sagte, war selten. Vorsichtig tastete er nach seinem Zauberstab, um sich für einen Angriff vorzubereiten. Er wollte Potter nicht fangen oder gar töten, aber genauso wenig wollte er durch die Hand eines Aurors sterben.
 

„Du fliegst links zu Potter, ich rechts zu Shacklebolt“, wies sein Vater ihn an. „Sobald dir irgendetwas auffällt, dass ihn als den echten Potter enttarnt, gib mir ein Zeichen und ich rufe die anderen!“
 

Er nickte nur und befolgte die Anweisung. Welche Wahl hatte er? Er betete, dass sie es nicht mit dem echten Harry Potter zu tun hatten. Er wollte nicht sehen, wie er starb. So sehr er Potter auch in Hogwarts gehasst hatte, er wollte nicht auch noch für seinen Tod verantwortlich sein.
 

Nach kurzer Zeit war es ihnen gelungen, die Thestrale einzuholen. Shacklebolt hatte immer wieder gekonnte Flüche auf sie gezaubert, aber Draco war allen ausgewichen. Den Zauberstab in der Hand und bereit, sich zu verteidigen, flog Draco auf Schulerhöhe an Harry Potter heran.
 

Potters Augen wurden groß. „Draco!“
 

Beinahe hätte er seinen Stab fallen lassen. Das war nicht Potters Stimme, das war ganz eindeutig Hermine. Sein Blick fiel auf den Zauberstab, den der Potter-Doppelgänger in der Hand hielt. Er hätte Hermines Zauberstab überall wiedererkannt. Fluchend steckte er seinen Stab weg und warf ihr einen ungläubigen Blick zu, eh er sich zurückfallen ließ.
 

„Das ist er nicht!“, rief er seinem Vater zu, der ebenfalls sofort die Verfolgung aufgab.
 

Schwer atmend kamen beide nebeneinander in der Luft zu stehen und schauten den davon fliegenden Thestralen nach. Niemand sonst war mehr zu sehen, nur die Lichter von London tief unter ihnen zeugten von Leben.
 

„Woher wusstest du es?“, verlangte sein Vater zu wissen.
 

Unsicher zuckte er mit den Schultern. „Er hat etwas gesagt. Ich weiß, wie Potter klingt. Das war er nicht. Und er hatte nicht seinen Stab in der Hand.“
 

Sein Vater schaute ihn scharf an. „Du weißt, wie Harry Potters Zauberstab aussieht?“
 

Wenn Draco ehrlich war, wusste er das nicht. Er wusste nur, wie Hermines aussah. Doch wieder zuckte er nur mit den Schultern. „Ich musste ihn oft genug zaubern sehen in Hogwarts. Das war definitiv nicht seiner.“
 

Der ältere Zauberer nickte. „Gut gemacht, Draco. Es wird uns sicherlich noch helfen, dass du Potter so gut kennst. Wenn du Vielsafttrank durchschauen kannst, ist das unserem Lord bestimmt einiges wert. Sag ihm das, wenn wir zurück sind.“
 

Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Das letzte, was er wollte, war, in irgendeiner Form hilfreich zu sein, einen echten von einem falschen Harry Potter zu unterscheiden. Wie konnte sein Vater nur so kalt darüber sprechen? Verstand er nicht, dass hier jemand, der nicht älter als er, sein Sohn, war, in Lebensgefahr war?
 

„Komm, wir fliegen nach Hause und warten auf den Bericht der anderen. Es waren mehr als genug von uns da, um den echten Harry Potter zu finden. Irgendjemand wird ihn erwischt haben.“ Mit diesen Worten wendete sein Vater seinen Besen und flog voraus.
 

Innerlich fluchend folgte Draco ihm. Er war Hermine so nahe gewesen. Er hätte sie beinahe angegriffen. Sein Vater hätte sie beinahe angegriffen. Er konnte nicht glauben, dass Harry Potter so selbstsüchtig war, dass er Hermine als Doppelgänger für seine Flucht nutzte. Und dass sie sich darauf eingelassen hatte. Wer auch immer diesen Plan ausgeheckt hatte, war wahnsinnig.
 

Und trotz allem konnte Draco nur Erleichterung spüren. Erleichterung, dass er die Gewissheit hatte, dass Hermine noch lebte. Dass sie zumindest für den Augenblick vor Todessern sicher war, weil niemand außer ihm und seinem Vater sie verfolgen würde. Erleichterung, sie gesehen zu haben.
 

Vielleicht war es ein gutes Zeichen. Vielleicht war dieser wahnsinnige Plan, der vollkommen unnötig Hermine in Gefahr gebracht hatte, so völlig irrsinnig, dass Harry Potter tatsächlich entkommen würde. Warum auch immer er noch bei seinen Muggelverwandten gewesen war. Warum auch immer Snape gewusst hatte, dass er heute transportiert werden würde. Diese Idee, mit mehreren Harry Potters aufzubrechen, war vielleicht doch gar nicht so dumm.
 

Denn sogar Yaxley und sein Vater, die beide in jeder Situation mit cleveren Strategien daherkamen, hatten für einen Moment irritiert und überfordert gewirkt.
 

Bei Merlin, er hoffte, dass Potter entkommen konnte. Die Zukunft der Zaubererwelt hing daran.

Hermine.
 

Ich vermisse dich.
 

Ich weiß nicht, wo du bist oder ob du noch lebst. Ich hoffe, dass du noch lebst. Der Tagesprophet hätte bestimmt darüber berichtet, wenn du tot wärst, oder?
 

Du hast gesagt, es wäre deine Schuld, aber das stimmt nicht. Ohne mich wäre es nie so weit gekommen. Ohne mich wären die anderen nie ins Schloss gekommen.
 

Meine Tante wohnt jetzt hier mit uns. Und Du-weißt-schon-wer auch. Ein Werwolf, Fenrir Greyback, kommt fast täglich her. Andere Todesser auch. Ich bin so gut wie nie alleine hier. Dass ich diesen Brief überhaupt schreibe, ist dumm. Ich kann ihn nicht einmal abschicken, aber andere hier könnten ihn finden.
 

Hermine. Wo bist du? Was machst du? Ich wette, du bist mit Potter unterwegs.
 

Als ich dich gesehen habe in der Nacht, als ihr Potter abgeholt habt, hätte ich dich beinahe angriffen. Ich kann immer noch nicht glauben, dass euer wahnsinniger Plan funktioniert hat und Harry Potter uns allen entwischt ist. Der Dunkle Lord ist so unfassbar wütend, immer noch. Nur Snape konnte seinem Zorn entgehen, weil er der einzige war, der echte Informationen für ihn hatte.
 

Ich wünschte, ich könnte diesen Brief wirklich abschicken. Ich wünschte, ich könnte dich warnen. Ich weiß, dass einer von den Weasleys heiraten wird. Ich wette, du gehst dahin. Meine Tante kann es auch kaum abwarten. Wir planen einen Angriff. Ich weiß noch nicht, ob ich mit muss. Ich weiß nicht, ob ich es will. Seid ihr auf einen Angriff vorbereitet? Bestimmt seid ihr das, oder? Ihr müsst einfach damit rechnen, dass etwas passieren wird.
 

Meinem Vater geht es nicht gut. Kannst du dir das vorstellen? Er ist nicht mehr derselbe, der er mal war, seit er aus Askaban gekommen ist. Er wusste immer, was er wollte. Wie er das erreichen konnte. Wen er brauchte und wen nicht. Du weißt ja, wie er immer war. Ich vermute, du hast ihn gehasst. Er ist einfach nicht mehr derselbe. Er hat Angst in seinem eigenen Haus. Ich habe gestern ein Gespräch zwischen ihm und meiner Mutter belauscht.
 

„Wir können froh sein, dass Severus uns geholfen hat!“, hat meine Mutter gesagt. Sie war wütend, auch wenn ich nicht weiß, warum.
 

„Severus hat uns nicht geholfen. Er hat getan, was unser Lord von ihm wollte. Bilde dir bloß nicht ein, dass er irgendetwas für uns tun würde“, hat mein Vater erwidert. Er klang müde.
 

„Du bist blind in deinem Hass auf ihn. Trägst du ihm nach, dass er jetzt der neue Liebling vom Dunklen Lord ist? Hast du vergessen, dass er den Schwur geschworen hat, um uns zu helfen? Um Draco zu helfen?“
 

Mein Vater hat nur gelacht: „Er hat das nicht für uns getan. Er hat es getan, weil Bella ihn verdächtigt hat. Es gab keinen Grund für ihn, Dumbledore nicht zu töten, falls er es tun muss, also hat er den Schwur genutzt, um Bellas Vertrauen zurückzugewinnen. Du kennst deine Schwester besser als alle anderen. Du weißt, wie sie immer versucht, andere bei unserem Lord anzuschwärzen. Selbst jemand wie Severus hat das irgendwann über.“
 

Mutter blieb stur: „Er hat das für uns getan. Für Draco. Warum willst du das nicht sehen?“
 

„Bei Merlin, Weib! Du wirst diese Familie nicht in den Abgrund stürzen mit deiner naiven Art. Du wirst nicht mit ihm reden. Ich verbiete es dir.“
 

Danach ist Mutter einfach aus dem Zimmer gestürmt. Ich habe meine Eltern noch nie streiten hören. Und ich weiß nicht einmal, worum es ging. Ich kann nur ahnen, was der Auslöser war. Mutter will offensichtlich mit Snape über irgendetwas reden, aber über was? Und Vater ist dagegen. Ich kann es ihm nicht verübeln. Ja, Snape hat mir geholfen, ich wäre vermutlich tot ohne ihn. Aber irgendetwas stört mich an ihm. Er ist falsch. Er ist ein schleimiger Kriecher, der anderen einen Dolch in den Rücken rammen würde, wenn er daraus einen Vorteil ziehen könnte. Ich bezweifle, dass irgendjemand anderes es geschafft hätte, das Vertrauen von Dumbledore zu gewinnen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er das geschafft hat. Oder war Dumbledore am Ende doch nur ein seniler alter Mann?
 

Verzweifelt fuhr Draco sich durch seine Haare. Er hatte nie viel von Dumbledore gehalten, aber trotzdem immer geglaubt, dass der Schulleiter stets wusste, was er tat. War Snape wirklich so genial, dass er einen solchen Mann täuschen konnte? Er selbst hatte Hermine immer und immer wieder gesagt, dass Snape ein überzeugter Todesser war, dass sie ihm nicht glauben durfte. Doch erst, als Snape an seiner Stelle den Todesfluch gesprochen hatte, hatte er selbst akzeptiert, dass er die Wahrheit schon lange gekannt hatte. Ein kleiner Teil von ihm hatte bis zum Schluss gehofft, dass Hermine Recht hatte und Snape in Wirklichkeit für den Orden arbeitete.
 

Er legte die Schreibfeder bei Seite und wie schon zuvor nahm das Pergament, auf das er den Brief an Hermine geschrieben hatte, und warf es in die Flammen. Während er dabei zusah, wie das Feuer seine Worte Stück für Stück zerstörte, kroch die Panik wieder in ihm hoch. Die Worte, die er an Hermine schrieb, waren ein schwacher Ersatz für ihre Gespräche.
 

oOoOoOo
 

Sie hielten tatsächlich eine Hochzeitsfeier ab. Er wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Waren denn alle auf Potters Seite dumm? Wie konnten sie jetzt, in diesen Zeiten, eine Feier mit so vielen Leuten abhalten? War ihnen nicht klar, dass irgendjemand sie verraten würde? Alle Mitglieder des Ordens auf einem Haufen, und jede Menge andere Sympathisanten noch dazu?
 

Draco starrte auf seine zitternde Hand, die seinen Zauberstab hielt. Zusammen mit seinem Vater, seiner Tante und einer Handvoll anderer Todesser warteten sie auf ein Zeichen. Das Zeichen, dass das Ministerium gefallen war und nun unter ihrer Kontrolle stand. Sobald das Zeichen kam, würden sie zu dem Ort der Hochzeitsfeier apparieren, jeden dort töten und Harry Potter gefangen nehmen.
 

Vielleicht würde das Zeichen nie kommen. Das Ministerium hatte Auroren auf deren Seite, die zu kämpfen wussten. Vielleicht hatte der Dunkle Lord sich verkalkuliert und schlug zu früh zu, bevor genügend Mitarbeiter übergelaufen oder eingeschüchtert worden waren.
 

Doch seine Hoffnung wurde enttäuscht.
 

„Das Ministerium ist gefallen!“, krakelte seine Tante voller Häme und zeigte ihr brennendes Mal. „Unser Lord hat uns das Zeichen gegeben! Zum Angriff!“
 

Draco kniff die Augen zusammen und ergab sich seinem Schicksal. Er hatte keine Wahl. Er musste es tun. Er würde sein eigenes Leben verspielen, wenn er sich weigerte. Mit zitternder Hand konzentrierte er sich auf den Ort, der ihnen allen offenbart worden war.
 

Als er die Augen wieder öffnete, umgab ihn Chaos. Er war als letzter angekommen. Ein riesiges Zelt, das offensichtlich für die Hochzeitsfeier errichtet worden war, stand in Flammen und schreiende Menschen liefen in alle Himmelsrichtungen davon. Flüche schossen durch die Luft. Über allem konnte er immer wieder das jauchzende Lachen seiner Tante hören.
 

Verzweifelt versuche Draco, in dem Chaos irgendetwas zu erkennen. Da, war das nicht die jüngste Weasley-Schwester? Sie stolperte gerade aus dem Zelt, das Gesicht verdreckt von Ruß und Asche. Und neben ihr, wer war das? Eine andere junge Frau in einem roten Kleid.
 

Hermine.
 

Wie erstarrte blickte Draco auf die beiden Gestalten, die sich gegenseitig stützend vom brennenden Zelt entfernten. Sie stolperten auf das Dickicht des Maisfeldes zu. Ehe er wusste, was er tat, setzte er sich in Bewegung. Die anderen Todesser waren abgelenkt. Sie suchten nach Potter, das war offensichtlich.
 

Draco sprintete am Rand des Maisfeldes entlang, duckte sich immer wieder unter ziellos durch die Luft sirrenden Flüchen hinweg. Dann, endlich, erreichte er die Stelle, wo er die beiden Hexen ins Feld hatte flüchten sehen. Angestrengt starrte er in die Dunkelheit.
 

„Keine falsche Bewegung, Malfoy!“
 

Ein Stab legte sich zeitgleich mit den eiskalt gesprochenen Worten an seinen Hals. Fluchend senkte er seinen Zauberstab. Natürlich lief er der Weasley in die Hände. „Ganz ruhig. Ich bin nicht hier, um irgendjemandem zu schaden.“
 

„Ach nein?“, kam die spöttische Antwort, während sich der Stab härter gegen seinen Hals presste. „Warum bist du dann hier? Für einen Tanz ums Lagerfeuer?“
 

„Das reicht, Ginny!“, unterbrach da Hermines Stimme die angespannte Situation.
 

Draco konnte sich nicht helfen, Erleichterung durchströmte ihn und ließ ihn unwillkürlich einen Schritt vorwärts machen. Augenblicklich wurde er von der jungen Weasley aufgehalten. „Wag es ja nicht, Malfoy. Rühr dich bloß nicht vom Fleck!“
 

Hermine trat neben ihre Freundin, den Stab ebenfalls erhoben und auf ihn gerichtet. „Es ist okay, Ginny. Geh, such nach Harry und Ron. Ich übernehme Malfoy.“
 

„Bist du dir sicher?“, erwiderte Weasley unsicher. „Mir ist unwohl dabei, dich mit einem Todesser alleine zu lassen.“
 

Hermine lachte bloß. „Das ist nur Malfoy. Was soll er mir schon tun? Oder glaubst du, er kann irgendetwas, was ich nicht besser kann?“
 

Draco schluckte ob dieser Beleidigung, doch er hielt den Mund. Er wusste, Hermine wollte nur dafür sorgen, dass sie alleine waren. Endlich ließ Weasley ihren Stab sinken und verschwand im Maisfeld. Mit angehaltenem Atem lauschten sie beide auf ihre Schritte und das Chaos um sie herum.
 

Dann senkte Hermine ihren Stab und schlang ihre Arme um ihn. „Oh, Draco! Was tust du hier?“
 

Zitternd presste er sie an sich. „Ich? Was machst du hier? Wessen bescheuerte Idee war es, eine Hochzeit zu feiern?“
 

Er spürte, wie Hermine Tränen die Wange runterliefen, während sie ihr Gesicht an seiner Schulter vergrub. „Wenn nicht jetzt, wann dann? Wir brauchten einfach etwas, was uns Zuversicht gibt. Einen Funken Hoffnung für die Zukunft.“
 

Kopfschüttelnd streichelte er ihr über den Rücken. „Das kann ich ja verstehen, aber ehrlich? So viele Gäste? Es war doch klar, dass irgendeiner euch verraten würde.“
 

Schniefend trat Hermine einen Schritt zurück. „Ja, vermutlich. Weißt du, wer es war?“
 

„Leider nicht“, gab er kleinlaut zu. „Ich bin bei den ganzen wichtigen Versammlungen meistens nicht dabei. Mir wird nur gesagt, was ich zu tun habe.“
 

Hermine schaute zu ihm auf, die Augen voller Schmerz. „Das klingt furchtbar. Es tut mir so leid, dass du ständig in diese Sache reingezogen wirst.“
 

„Ich?“ Draco schnaufte ungläubig. „Hermine, du weißt, dass ich ein Todesser bin. Natürlich bin ich bei sowas dabei. Die Frage ist doch eher, warum du dabei bist. Warum versteckst du dich nicht irgendwo, bis alles vorbei ist?“
 

Sachte legte sie ihm eine Hand auf die Wange. „Du kennst mich doch. Ich bleibe bei Ron und Harry. Glaubst du wirklich, dass die zwei die Welt retten können ohne mich?“
 

Das ließ ihn tatsächlich kurz auflachen, doch sofort wurde Draco wieder ernst. „Ihr habt also einen Plan? Potter, Weasley und du? Ihr wisst, was ihr tun müsst?“
 

Hermine schaute zu Boden statt zu antworten. Für einen Moment kaute sie auf ihrer Lippe, dann schien sie sich einen Ruck zu geben und richtete sich wieder auf. „Nicht konkret, aber genug. Ich kann es dir nicht sagen, Draco. Ich weiß nicht, welche Mittel Vol-“
 

„Nein!“ Draco schrie das Wort beinahe und presste ihr gleichzeitig eine Hand auf den Mund. „Sag nicht seinen Namen!“
 

Augenrollend stieß Hermine ihn von sich. „Die Angst vor dem Namen verstärkt nur…“
 

„…die Angst vor ihm, ja, ja, ich weiß“, beendete Draco ihren Satz ungeduldig. „Darum geht es nicht. Er weiß, dass Potter seinen Namen sagt. Er hat einen Zauber darauf gelegt. Wenn irgendjemand seinen Namen sagt, weiß er, wo die Person ist. Du darfst es nicht sagen, niemals!“
 

Mit großen Augen starrte Hermine zu ihm auf. „Shit. Shit, shit, shit! Ich muss Harry warnen. Ich wette, er hat ihn schon mindestens dreimal gesagt ohne nachzudenken!“
 

Sie drehte sich um, doch Draco war noch nicht bereit, sie gehen zu lassen. Sanft legte er ihr eine Hand um den Arm. „Warte. Bitte, warte.“
 

Sachte zog er sie zu sich, legte ihr beide Hände auf die Wangen und gab ihr einen Kuss. Es schien ihm Jahre her zu sein, seit er sie das letzte Mal geküsst hatte, dabei waren es gerade einmal Wochen. Wärme durchfuhr ihn, als er spürte, wie sie in den Kuss schmolz und sich mit ihrem ganzen Körper an ihn presste.
 

Viel zu schnell löste sie sich wieder von ihm. „Ich muss wirklich gehen, Draco. Ich muss Harry und Ron finden. Wir müssen hier weg!“
 

Er nickte bloß. Sie legte ihm ein letztes Mal die Hand auf die Wange, dann drehte sie sich endgültig um und eilte davon. Erstarrt blieb Draco alleine im Maisfeld zurück. Er hatte sie tatsächlich wiedergesehen. Mit ihr gesprochen und sie geküsst. Das war besser als alles, was er sich vor diesem Überfall ausgemalt hatte.
 

Und sie hatte so gut ausgesehen in dem roten Kleid. Ein kleiner, irrationaler Teil in ihm hasste es, dass sie in so einem Kleid nach Potter und Weasley suchte, doch er unterdrückte das. Die drei hatten sicher anderes im Sinn als die unfassbare Schönheit von Hermine Granger.
 

Seufzend packte er seinen Stab fester und trat aus dem Maisfeld heraus. Sein Gespräch mit Hermine hatte nur wenige Minuten gedauert, doch inzwischen hatte sich das Bild geändert. Die meisten Hochzeitsgäste schienen geflohen zu sein und seine Tante war gerade dabei, seinem Vater vom Boden aufzuhelfen. Von Potter fehlte jede Spur, ebenso wie von Hermine. Es schien, als wäre es dem Trio mal wieder gelungen, den Fängen der Todesser zu entkommen.

Hermine.
 

Ich habe dich doch gewarnt. Was ist passiert? Ich habe dir doch von der Spur erzählt, die jetzt auf dem Namen des Dunklen Lords liegt. Wie konnte es passieren, dass Potter ihn trotzdem ausspricht?
 

Ist er wirklich so ein Idiot, dass er dir nicht glaubt? Oder ist er so arrogant zu denken, dass niemand ihm etwas anhaben kann? Wieso ist ausgerechnet Potter der Auserwählte? Es hätte wirklich keinen unbrauchbareren Zauberer treffen können.
 

Wenn ich daran denke, dass er nicht nur sich in Gefahr gebracht hat, sondern auch dich! Potter kann von mir aus in der Hölle schmoren, und ganz England mit ihm. Aber dass er dich gefährdet, das kann ich ihm nicht verzeihen. Verflucht, Hermine, warum bleibst du bei ihm?
 

Wir könnten weglaufen, nur du und ich. Irgendwohin, wo uns keiner kennt. Wo niemand von dem Auserwählten und dem Dunklen Lord weiß. Wir könnten uns ein neues Leben aufbauen und den Krieg vergessen.
 

Aber dazu bist du zu sehr eine Gryffindor, ich weiß. Das ist es, was ich an dir liebe. So sehr ich es jetzt gerade auch hasse, ich liebe es, dass du nie die Hoffnung aufgibst. Dass du mich nicht aufgibst, obwohl ich dein Leben nur schlimmer mache. Ohne mich wäre nichts von alledem hier passiert, und trotzdem hasst du mich nicht. Wie könnte ich das nicht lieben? Wie könnte ich dich nicht lieben?
 

Ich liebe dich, Hermine. Ich liebe dich. Ich liebe dich.
 

Schwer atmend legte Draco die Schreibfeder aus der Hand. Er spürte den unfassbaren Drang, dieselben drei Worte immer und immer wieder zu schreiben. Jetzt, wo er es zu Papier gebracht hatte, konnte er gar nicht mehr aufhören, diese Worte zu denken. Zu fühlen. Er liebte Hermine Granger. Mehr als sich selbst, mehr als seine Eltern, mehr als irgendjemand anderen auf der Welt. Er würde alles für sie tun. Alles.
 

oOoOoOo
 

Schwer atmend ließ Draco seinen Stab sinken. Immer wieder hatte der Dunkle Lord ihn angestachelt, Rowle zu foltern. Ihm war übel und er fühlte sich ausgelaugt, vor allem aber hatte er panische Angst. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er immense Erleichterung und Freude empfunden, als Dolohow und Rowle berichtet hatten, dass es ihnen nicht gelungen war, Harry Potter zu stellen. Für einen Bruchteil einer Sekunde hatte er seine mühsam errichtete Okklumentik-Barriere fallen lassen. Was, wenn der Dunkle Lord diesen kurzen Augenblick genutzt hatte, um in seine Gedanken zu sehen?
 

Rowles massige Gestalt am Boden regte sich nicht mehr. Er hatte offenbar das Bewusstsein verloren, und Draco war dankbar dafür. Zumindest musste er ihn jetzt nicht länger foltern.
 

„Gut gemacht, Draco, sehr gut gemacht“, zischte der Dunkle Lord und legte ihm einen Arm um die Schultern: „Du bist wie dein Vater früher: so hungrig, so bereit. Das gefällt mir.“
 

Er nickte bloß. Er wusste, wenn er jetzt den Mund aufmachen und etwas sagen würde, wäre seine Stimme schwach und zittrig. Er würde dem Dunklen Lord verraten, wie mitgenommen er in Wirklichkeit von der Folter war. Innerlich betete Draco, dass der Zauberer ihn schnell wieder gehen ließ.
 

„Aber zumindest etwas Gutes ist dieser ganzen Situation entsprungen, nicht wahr, Draco?“, fuhr der Dunkle Lord fort, den Arm noch immer um seine Schulter gelegt.
 

Draco schwieg noch immer in der Hoffnung, dass keine Antwort erwartet wurde. Er wusste inzwischen, wie gerne Voldemort Unterhaltungen mit sich selbst führte, um seine Intelligenz vor seinen Anhängern zur Schau zu stellen.
 

„Potter ist tatsächlich so berechenbar, wie ich es vermutet habe“, sagte der Dunkle Lord mit einem bösen Grinsen. „Er hält sich für besonders mutig, meinen Namen in den Mund zu nehmen. Genauso wie er sich für besonders nobel hält, nur den Expelliarmus in Duellen zu nutzen. Seine Arroganz wird ihn zu Fall bringen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er erneut meinen Namen in den Mund nimmt, und dann werde ich fähige Leute schicken, um ihn zu stellen.“
 

Grimmig nickte Draco. Der Dunkle Lord hatte Recht mit seinen Äußerungen. Potter war einfach ein Gryffindor durch und durch. Er war sich sicher, dass Hermine ihn gewarnt hatte, und trotzdem hatte er den Namen ausgesprochen. Nur Potter konnte so dumm sein. Und dass der Dunkle Lord zudem so sicher wusste, dass Potter immer nur den Expelliarmus einsetzte, war umso schlimmer. Daran hatte er erkannt, welcher der echte Potter gewesen war zwischen all den Doppelgängern. Daran würde er Potter immer erkennen.
 

Was für ein dummer, eingebildeter Fehler.
 

Sein Blick wanderte zu Rowle und Dolohow. Sie waren beide vom Dunklen Lord geschickt worden, um zu sehen, wer es gewagt hatte, den Namen auszusprechen. Sie alle hatten mit ziemlicher Sicherheit gewusst, dass es Potter gewesen war, aber erst die Folter hatte ihnen echte Bestätigung gegeben.
 

Irgendjemand hatte die Erinnerung der beiden gelöscht, aber nicht gut genug. Für einen kurzen Moment war Potter im Bild erschienen, ehe sich ein Nebel über die Szene legte und beide sich verwirrt im zerstörten Imbiss angeschaut hatten, ohne zu wissen, warum sie da waren und warum sie von Kampfspuren umgeben waren.
 

Draco war sich sicher, dass es Hermine gewesen war, die den Obliviate gesprochen hatte, doch auch sie war nicht fehlerfrei, wie es schien. Sie hatte nicht genug gelöscht. Und so wusste sein Lord nun, dass Harry Potter tatsächlich dumm genug war, seinen Namen zu nennen, und dass er kopflos auf der Flucht war. Warum sonst sollte er in irgendeinem Imbiss mitten in London Zuflucht suchen?
 

Immerhin hatte sie alle Spuren von sich und Weasley gelöscht. Der Dunkle Lord wusste noch nicht, dass das Trio gemeinsam unterwegs war. Es war vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis es rauskam, aber jeder Tag, den er unvollständige Informationen hatte, war gut. Zudem er nicht wusste, wie wertvoll Hermine war. Selbst wenn er irgendwann rausfinden sollte, dass Potter von zwei Schulfreunden begleitet wurde, würde er niemals ahnen können, wie bedeutungsvoll das war.
 

Endlich ließ Voldemort ihn gehen. Mit langsamen Schritten, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass er fliehen wollte, verließ Draco das Zimmer, in dem er die beiden anderen Todesser gefoltert hatte. Als er sich sicher war, dass er außer Sicht war, beschleunigte er seine Schritte und eilte die Treppe zu seinem Zimmer hinauf. Schwer atmend schloss er die Tür hinter sich und ließ sich auf sein Bett fallen.
 

Auf seinem Nachttisch lag ungeöffnet der Brief aus Hogwarts. Er konnte kaum glauben, dass alles seinen gewohnten Gang ging. Eine Eule hatte Anfang der Woche den Brief gebracht, als wäre es ein ganz normales Jahr, in dem alle Schüler wie gewohnt zur Schule zurückkehren würden. Als er gestern erfahren hatte, dass Snape neuer Schulleiter werden würde, hatte Draco nur lachen können.
 

In wenigen Wochen hatte sich alles geändert. Er erinnerte sich noch so gut daran, wie er intime Momente mit Hermine geteilt hatte. Wie er tatsächlich die Hoffnung gehabt hatte, sich den Befehlen des Dunklen Lords widersetzen zu können. Dass er vielleicht Dumbledore doch nicht töten musste und sie einen Weg finden würden, dem Schrecken ein Ende zu bereiten. Aber Snape hatte dem allen ein Ende bereitet.
 

Und jetzt war er hier, alleine, umgeben von Todessern, während Hermine auf der Flucht war. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob Potter einen Plan hatte. Wusste irgendjemand, was zu tun war, jetzt, wo Dumbledore tot war?
 

Kopfschüttelnd setzte er sich auf und griff nach dem Hogwartsbrief. Es brachte nichts, immer wieder über dieselben Dinge nachzudenken. Seine Eltern hatten ihm bestätigt, dass sie erwarteten, dass er sein siebtes Jahr absolvierte, da konnte er sich genauso gut anschauen, welche Bücher er für die Fächer brauchte. Als wäre alles normal.
 

oOoOoOo
 

Erstarrt blickte Draco auf seine Hände. Um ihn herum wuselten die anderen Schüler, alle brav in ihre Schuluniformen gekleidet, seltsam begierig darauf, den Zug zu verlassen und nach Hogwarts zu kommen. Pansy, Crabbe, Goyle, Theo, Blaise, sie alle hatten so getan, als wäre es völlig normal, dass sie wieder hier waren. Sie hatten ihn gefeiert wie einen Helden, als er das Abteil betreten hatte.
 

Es wurde leiser um ihn. Die letzten Schüler stiegen aus, er blieb alleine zurück. Er konnte sich einfach nicht aufraffen, den Zug zu verlassen. Wenn er einen Fuß auf den Bahnsteig setzte, war sein Jahr besiegelt. Er würde in Hogwarts sein, für die Schule und den Abschluss lernen, während draußen ein Krieg tobte. War das wirklich richtig?
 

Schweren Herzens stand er auf. Vielleicht war es besser so. Immerhin konnte er so den Todesser-Missionen entgehen, die ihn früher oder später in eine unmögliche Situation bringen würden. Er wusste, wenn er Hermine gegenüber stehen würde mit dem Auftrag, sie zu töten, er würde es nicht tun können.
 

Er war alleine auf dem Bahnsteig, alle anderen Schüler waren schon weg. Er holte tief Luft - und stolperte beinahe über seine eigenen Füße. Wie aus dem Boden gewachsen stand plötzlich Hermine Granger vor ihm.
 

„Hey“, flüsterte sie mit einem schüchternen Lächeln, „ich dachte, ich sag mal Hallo.“
 

Für einen Moment starrte er sie einfach nur an. Er blinzelte, unsicher, ob er sie wirklich sah oder ob er sich das nur einbildete. Unsicher, ob es wirklich sie war oder ob ihm jemand einen Streich spielte.
 

Vorsichtig trat sie einen Schritt näher und griff nach seiner Hand. „Soll ich besser wieder gehen?“
 

Als hätte ihre Berührung ihn zurück in die Realität gebracht, erwachte Draco plötzlich zum Leben. Mit einer einzigen Bewegung zog er sie an sich heran, schloss seine Arme um ihren Körper und vergrub sein Gesicht in ihren Haaren. Sie war wirklich hier.
 

„Hermine“, flüsterte er, das Gesicht noch immer in ihren Locken vergraben, „Hermine. Ich habe dich so vermisst. Ich kann dir nicht sagen, wie sehr ich dich vermisst habe. Du bist hier.“
 

Er konnte hören, wie verzweifelt er klang, doch es kümmerte ihn nicht. Alles, was zählte, war, dass er sie in seinen Armen halten konnte. Dass sie einen Moment teilten, in dem sie nicht in Lebensgefahr waren.
 

Mit brüchiger Stimme erwiderte sie: „Ja, ich bin hier. Ich habe dich auch vermisst, Draco.“
 

Lange Momente blieben sie ineinander verschlungen, dann rückte Draco ein Stück von ihr ab, gerade genug, um sie küssen zu können. Wie eine Ertrinkende erwiderte sie den Kuss. Er verlor sich in dem Gefühl ihrer weichen Lippen, in der warmen Liebkosung ihrer Zunge, in dem Geruch ihres Körpers. Er liebte sie und wollte sie nicht verlieren.
 

Nach Luft ringend lösten sie sich schließlich voneinander. Draco spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen, doch er blinzelte sie entschlossen weg. Etwas anderes war gerade wichtiger. „Warum bist du hier?“
 

„Ich wollte dich sehen“, gab sie zu, „ich wollte dich unbedingt sehen. Als ich gelesen habe, dass Snape Schulleiter wird, habe ich mir gedacht, dass du vielleicht hier bist. Ich musste es einfach versuchen.“
 

Sachte legte er ihr eine Hand auf die Wange. „Du bist wahnsinnig, Hermine Granger. Weißt du eigentlich, wie gefährlich es hier ist? Weißt du, dass alle Todesser nach euch suchen?“
 

Ein kurzes Grinsen huschte über ihre Lippen. „Ja, das weiß ich durchaus. Zwei Todesser haben uns ja auch gefunden, wie du weißt.“
 

Überrascht runzelte Draco die Stirn. „Woher weißt du, dass ich das weiß?“
 

Errötend biss Hermine sich auf die Lippen. Draco konnte sehen, wie sie mit sich rang, als wüsste sie nicht, welche Antwort sie ihm geben sollte. Geduldig wartete er, bis sie offensichtlich zu einer Entscheidung gekommen war.
 

„Harry und Du-weißt-schon-wer haben so eine … Verbindung. Harry hat deswegen Okklumentik gelernt, aber manchmal sieht er trotzdem, was Du-weißt-schon-wer gerade macht. Er hat gesehen, wie du … wie du Rowle gefoltert hast.“
 

Dracos Schultern sanken nach unten. „Ja, das habe ich. Aber ich wollte nicht, Hermine! Er hat mich gezwungen, ich wollte das nicht.“
 

Zärtlich fuhr sie ihm über seine Wange. „Ich weiß, Draco, ich weiß. Ich glaube, sogar Harry ahnt, dass du nicht glücklich darüber bist. Er meinte, dass du krank ausgesehen hast da.“
 

Er nickte. „Seine Anwesenheit macht mich krank. Er wohnt jetzt praktisch bei uns. Und Tante Bellatrix auch. Bei Merlin, sie ist so wahnsinnig. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass sie die Schwester meiner Mutter ist. Sie saß lange in Askaban, vielleicht liegt es daran, aber sie ist einfach … sie liebt es, andere zu foltern. Und sie … Hermine, ich glaube, sie liebt Du-weißt-schon-wen.“
 

Draco sah, wie Hermine angewidert die Augen aufriss. Er konnte es ihr nicht verübeln. Der Gedanke, dass irgendjemand etwas in einem Monster wie Voldemort sah, war abstoßend. Vielleicht früher, als er angeblich noch gut ausgesehen hatte, aber heute? Er sah kaum noch nach einem Menschen aus und er benahm sich nicht mehr wie einer. Es hatte einen Grund, dass niemand mehr seinen ursprünglichen Namen benutzte und er sich als Lord Voldemort bezeichnete.
 

Der Gedanke erinnerte ihn an etwas anderes. „Hermine! Wieso hat Potter den Namen gesagt? Das ist der Grund, warum wir euch gefunden haben. Ich hab dir das doch gesagt!“
 

Hermine schüttelte nur den Kopf. „Ich weiß, Draco, ich weiß. Es macht mich auch so wütend. Ich hab es den Jungs sofort gesagt und Ron hat mir auch geglaubt. Aber Harry kann stur sein.“
 

Ungläubig lachte Draco auf. „Weasley ist klüger als Potter? Das kann ich kaum glauben.“
 

„Hey!“, protestierte sie und schlug ihm spielerisch gegen die Brust. „Ron ist nicht immer der schnellste, aber er vertraut mir. Wenn ich etwas sage, weiß er, dass es stimmt.“
 

Gespielt misstrauisch hob Draco eine Augenbraue. „Muss ich mir Sorgen machen?“
 

„Worum?“, fragte Hermine, doch sie schien die Anspielung sofort zu verstehen. Errötend schüttelte sie den Kopf. „Bei Merlin, nein! Ron und ich? Ugh, nein! Ron und Harry sind wie Brüder für mich, das wäre … nein!“
 

Lachen zog Draco sie wieder näher an sich. „Ich weiß doch. Aber du kannst nicht abstreiten, dass du vor einem Jahr noch anders gedacht hast.“
 

„Vor einem Jahr wusste ich ja auch noch nicht, was für ein heißer Kerl du bist“, gab Hermine grinsend zurück und hob provozierend beide Augenbrauen.
 

Statt einer Antwort zog Draco sie in einen weiteren Kuss. Er konnte sich nicht helfen, er hatte Angst davor, sie zu verlieren. Sie war alleine mit zwei Jungs unterwegs, die sie offensichtlich vergötterten. Wenn nicht wenigstens Weasley etwas versuchte, würde er einen Besen fressen.
 

„Du solltest langsam hoch“, murmelte Hermine, doch sie klang nicht so, als wollte sie ihn loswerden.
 

„Aber ich will nicht“, protestierte er. Sobald er sie gehen ließ, würde sie aus seinem Leben verschwinden und er wusste nicht, wann er sie jemals wieder sehen würde. Ob er sie jemals wieder sehen würde.
 

„Sei nicht dumm, Draco“, wisperte Hermine streng. „Du bringst dich nur selbst in Gefahr, wenn du Misstrauen auf dich ziehst. Und ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass du in Gefahr bist.“
 

„Was meinst du, wie es mir geht?“, fuhr er sie hitzig an, doch sofort ruderte er zurück. „Entschuldige, ich wollte dich nicht anschreien. Aber ich meine es ernst. Ich mache mir Sorgen.“
 

Sie setzte ein Lächeln auf, das vermutlich selbstbewusst wirken sollte. „Das musst du nicht. Harry ist der Auserwählte. Ich bin klug. Und Ron ist … naja, Ron. Uns passiert schon nichts, verlass dich drauf.“
 

Gequält erwiderte er das Lächeln. „Okay. Aber versprich mir, dass du Potter ein für alle Mal klar machst, dass er den Namen nie wieder benutzen darf. Wenn er dich noch einmal so unnötig in Gefahr bringt, bringe ich ihn eigenhändig um.“
 

Das entlockte ihr tatsächlich ein ehrliches Lachen. Sie streckte sich noch einmal, hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen und verschwand dann wieder, als wäre sie nie hier gewesen. Traurig, dass er sie wieder hatte gehen lassen müssen, wendete Draco sich ab und machte sich auf den Weg hoch zum Schloss.

Hermine.
 

Ich verstehe nicht mehr, was hier passiert. Hogwarts ist nicht mehr, was es mal war. Weasleys kleine Schwester hat mit Longbottom zusammen irgendwas angestellt. Was ich gehört habe, sind sie in Snapes Büro eingebrochen. Also in das vom Schulleiter. Ich verstehe nicht, warum. Sie haben es doch eh schon schwer hier, warum machen sie es sich noch schwerer? Es ist ein Wunder, dass sie nicht rund um die Uhr nachsitzen müssen. Und weißt du, was ich auch nicht verstehe? Snape hat sie zur Strafe zu Hagrid geschickt, der mit ihnen in den Verbotenen Wald gehen soll. Aber Hagrid liebt doch alle Gryffindors. Ich bezweifle, dass das wirklich eine Strafe ist. Das muss Snape doch wissen? Ich verstehe das alles nicht mehr.
 

Mir kommt alles so sinnlos vor. Wir sitzen hier im Unterricht und lernen über Tränke und Verwandlung und was weiß ich, während draußen ein echter Krieg tobt. Wir hören und erfahren nur, was Snape und die Carrows uns mitteilen wollen, aber das reicht schon. Immerhin habe ich immer noch nicht wieder etwas von dir oder Potter gehört. Solange ich nichts von euch höre, seid ihr in Sicherheit. Richtig?
 

Immerhin muss ich nicht mehr zu Hause die Anwesenheit von Du-weißt-schon-wem ertragen.

Hermine.
 

Ich war so glücklich, dich in meinen Armen halten zu können. Aber es führt nur dazu, dass ich dich jetzt noch mehr vermisse.
 

Ich vermisse, wie du riechst.
 

Ich vermisse dein Haar.
 

Ich vermisse, wie du dich anfühlst, wenn du völlig nackt unter mir liegst.
 

Ich vermisse deine weichen Lippen.
 

Ich vermisse deine Berührung.
 

Deine Offenheit.
 

Ich will dich berühren. Streicheln. Küssen.
 

Ich will einfach alles vergessen.
 

Tränen formten sich in Dracos Augen. Der Boden von Myrtes Toilette war kalt und er fror. Je mehr er über Hermine nachdachte, umso einsamer fühlte er sich. Langsam legte er das vollgeschriebene Pergament auf den Boden und richtete seinen Zauberstab darauf. Flammen züngelten an den Rändern, während die Worte langsam zu Asche zerfielen.
 

„Bei Merlin, ich hätte nicht gedacht, dass du noch trauriger werden könntest!“
 

Er war nicht überrascht, dass sie auftauchen würde. Ihr mitleidiger Tonfall hingegen nervte ihn. Ohne zu ihr aufzuschauen, erwiderte er: „Was willst du, Myrte?“
 

„Ooooh, tragischer Junge! Hast du deine alte Freundin schon vergessen? Wir hatten doch so viel Spaß letztes Jahr.“
 

Als auch das letzte Stück des Pergaments verbrannt war, steckte Draco den Zauberstab weg und sah zu ihr auf. „Spaß war das nicht unbedingt. Mir ist heute nicht wirklich nach Gesellschaft.“
 

Die silbrige Figur schwebte neben ihm zu Boden und setzte sich einen Schritt entfernt hin. Dracos Gedanken wanderten zurück zu der Zeit, als er vor einem Jahr regelmäßig mit Myrte über Hermine gesprochen hatte. Wenn er damals gewusst hätte, dass das glückliche Zeiten sein würden. Unvorstellbar.
 

„Immerhin lebst du noch.“
 

Myrtes Worte klangen fröhlich, doch als Draco zu ihr schaute, konnte er sehen, dass ihr Gesicht von Sorgen gezeichnet war. Seufzend zog er seine Knie an und umschlang seine Beine mit seinen Armen. Leise erwiderte er: „Ja, immerhin. Aber vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich…“
 

„Sag das nicht!“, unterbrach Myrte ihn mit kreischender Stimme: „Sag das nicht, Draco! Ich bin froh, dass du noch da bist. Und deine Julia ist bestimmt auch froh.“
 

„Meine Julia ist auf der Flucht, weil ich Dumbledore getötet habe“, schmetterte er ihre Worte ab.
 

„Snape hat ihn getötet, nicht du“, widersprach Myrte fest. „Und jetzt sag nicht, dass er das nur getan hat, weil du es nicht konntest. Du hattest die Wahl und hast es nicht getan. Snape hatte auch die Wahl, und er hat es getan. Das ist der Unterschied zwischen euch. Ich bin für dich vielleicht nur ein Geist, aber das verstehe ich zumindest.“
 

Draco wusste, dass das nicht stimmte. Snape hatte keine Wahl gehabt. Wenn er den Unbrechbaren Schwur nicht erfüllt hätte, hätte er sein eigenes Leben verwirkt. Es war seine Schuld, dass er in diese ausweglose Situation geraten war. Vielleicht hätte Snape ihn auch ohne den Schwur getötet, immerhin war er jetzt Schulleiter von Hogwarts und unangefochten der einflussreichste unter den Todessern. Aber sicher sein konnte er nicht.
 

„War das ein Brief an Julia, den du da eben verbrannt hast?“
 

Er nickte bloß. Die Situation, in der sie beide waren, ähnelte tatsächlich immer mehr Romeo und Julia. Inzwischen befanden sie sich wirklich auf zwei verschiedenen Seiten in einem Krieg.
 

„Wozu schreibst du einen Brief, den du nicht abschickst?“
 

Tief atmete Draco ein. Er mochte Myrte, aber jetzt gerade fing sie an, ihm auf die Nerven zu gehen. So ruhig wie möglich erwiderte er: „Ich weiß nicht, wo sie ist, wie soll ich ihr einen Brief schicken? Und wenn jemand diesen Brief liest, bin ich tot.“
 

„Warum schreibst du ihn dann überhaupt?“
 

Sein Geduldsfaden riss. „Myrte! Wenn du nur hier bist, um mich mit dämlichen Fragen zu löchern, dann verschwinde. Ich kann auch gerne damit anfangen, mit Büchern auf dich zu werfen! Wie war das? Fünfzig Punkte für den Kopf?“
 

Mit einem Kreischen fuhr der Geist in die Höhe. „Ich will nur nett sein und das ist der Dank? Du kannst mich mal, Draco Malfoy!“
 

Ein langgezogenes Jaulen erklang, dann stürzte Myrte sich in eine der Toiletten und verschwand. Fluchend fuhr Draco sich durchs Haar. Warum war Myrte manchmal nur so blind? Er wusste doch selbst, dass es sinnlos war, diese Briefe zu schreiben, sie musste ihm das nicht noch unter die Nase reiben.
 

Wütend auf Myrte und sich selbst stand er auf und verließ die Toilette. Der Abend war schon vorangeschritten, doch er hatte keine Lust, in den Gemeinschaftsraum zurückzukehren. Die anderen Slytherin behandelten ihn wie einen Star. Früher hätte er die Aufmerksamkeit vermutlich genossen, doch inzwischen? Er wusste zu viel, viel mehr als die anderen alle. Und im Gegensatz zu ihnen war er nicht glücklich darüber, dass der Dunkle Lord zurückgekehrt war. Insbesondere Pansy war übertrieben stolz darauf, dass sie mit ihm befreundet war.
 

Während er die Treppen zum Gemeinschaftsraum hinunter stieg, baute er Stück für Stück seine Fassade wieder auf. Letztes Jahr hatten sich alle über ihn lustig gemacht, weil sein Vater im Ministerium versagt hatte, da hatte er notgedrungen gelernt, so zu tun, als könnte ihn nichts rühren. Inzwischen brauchte er diese Maske, um nicht zu zeigen, wie angewidert er vom Verhalten seiner Klassenkameraden war.
 

Er war kaum durch das Portrait getreten, da wurde er schon von der hohen Stimme von Pansy begrüßt: „Draco, wo warst du denn den ganzen Abend? Wir haben dich vermisst.“
 

Er warf ihr ein verschwörerisches Grinsen zu und flüsterte: „Ich hatte Dinge zu erledigen. Nichts, worüber ich hier reden sollte.“
 

Sofort wandelte sich ihre Miene von schmollend zu begeistert. „Alles klar, ich verstehe, du musst gar nicht mehr sagen. Völlig klar. Wir reden einfach nicht drüber.“
 

Sie zwinkerte ihm übertrieben zu, packte seine Hand und zog ihn zu dem Sofa, wo Blaise und Theodore zusammen mit Crabbe und Goyle saßen. Nach all den Jahren in Slytherin hatte er es nie geschafft, wirkliche Freunde zu finden. Crabbe und Goyle waren von Anfang an da gewesen und bereit, ihm zu folgen, aber sie waren zu dumm, um wirklich als Freunde zu zählen. Blaise und Theodore wiederum hingen immer zu zweit rum und interessierten sich für niemanden.
 

Während er der Konversation zwischen den beiden lauschte, fiel ihm auf, dass er niemanden hatte, mit dem er sich wirklich tiefgründig unterhalten konnte. Niemanden außer Hermine.
 

„Hast du gehört, dass Snape zwei dumme Gryffindors dabei erwischt hat, wie sie in sein Büro eingebrochen sind?“, zog Pansy seine Aufmerksamkeit wieder auf sich.
 

Ehe er etwas sagen konnte, antwortete Crabbe: „Ziemlich dumm. Sie können froh sein, dass Snape sie so leicht bestraft hat.“
 

„Mit einem dummen Oger in den Verbotenen Wald zu gehen, finde ich nicht leicht“, widersprach Pansy fröhlich.
 

Goyle grunzte zustimmend, doch Crabbe beharrte: „Ich hätte den Cruciatus genutzt. Wozu haben die Carrows uns erlaubt, dass wir ihn gegen Schüler nutzen dürfen, die die Regeln brechen? Ein Einbruch in das Büro des Schulleiters ist ein schwerwiegender Verstoß.“
 

Innerlich musste Draco ihm zustimmen. Er hätte auch erwartet, dass Snape sie persönlich gefoltert hätte. Die Carrow-Geschwister hatten mit Zustimmung des Ministeriums den Cruciatus-Fluch als geeignetes Mittel der Bestrafung in Hogwarts eingeführt, warum also hatte Snape das nicht ausgenutzt? So, wie er Longbottom in Zaubertränke schon immer behandelt hatte, hasste er den Jungen. Je mehr er darüber nachdachte, umso weniger Sinn ergab sein Handeln.
 

„Er hat vermutlich keine Zeit, sich um sowas zu kümmern?“, schlug Pansy als Lösung vor.
 

„Vielleicht“, murmelte Crabbe, doch er sah nicht überzeugt aus.
 

„Was willst du damit andeuten?“, hakte Draco nach. Er hatte nie viel von Crabbes Intelligenz gehalten, aber irgendetwas sagte ihm, dass er mehr wusste, als er zugab.
 

„Ich meine nur. Die Methoden der Carrows sind viel effektiver. Ich habe das Gefühl, dass Snape sich nicht traut oder so.“
 

„Nicht traut?“, mischte sich jetzt Blaise ungläubig ein: „Du hast schon mitbekommen, dass er Dumbledore getötet hat, richtig?“
 

„Das sagen alle“, schmetterte Crabbe den Einwand ab: „Aber hat es irgendjemand von uns gesehen? Nein. Wir haben nur Dracos Wort.“
 

„Willst du etwa Draco unterstellen, dass er lügt?“, wollte Pansy wissen. Ihre Stimme klang schrill.
 

Draco spürte, wie Wut in ihm hochstieg. Crabbe hatte in seinem Leben noch nie wirklich etwas tun müssen, und jetzt blähte er sich hier auf, nur weil er einer der wenigen war, die den Cruciatus-Fluch tatsächlich sprechen konnte. So viel zur gerühmten Loyalität der Slytherins.
 

„Ich weiß nicht“, meinte Crabbe ungerührt, ehe er den Blick auf Draco richtete: „Lügst du?“
 

Kopfschüttelnd hob er die Hände. „Wie hast du das nur rausgefunden?“
 

Theodore und Blaise lachten über seinen ironischen Kommentar, doch Pansy riss entsetzt die Augen auf. „Warte, was? Das war gelogen?“
 

„Oh, Pansy, Schätzchen“, kam es von abfällig von Theodore: „Warum strengst du nicht mal dein hübsches Köpfchen an und denkst für dich selbst, mh?“
 

Crabbe schnaubte genervt, doch er sagte nichts weiter dazu. Erleichtert ließ Draco sich zurück sinken. Für die Öffentlichkeit war tatsächlich nicht vollständig geklärt, was mit Dumbledore geschehen war. Selbst mit einem unterwanderten Ministerium wäre es sonst vermutlich nicht möglich gewesen, Snape zum Schulleiter zu ernennen. Er hatte ursprünglich auch nichts darüber erzählen wollen, doch die eiskalte Ablehnung der ersten Tage hatte ihm deutlich gemacht, dass er irgendetwas brauchte, um die Gunst seiner Mitschüler zurückzugewinnen.
 

„Ich glaube, Crabbe ist nur eifersüchtig“, flüsterte Pansy ihm leise zu, während sie sich enger an ihn drückte.
 

„Eifersüchtig?“, erwiderte er überrascht, während er versuchte, seine Sitzposition so zu ändern, dass ihre Brüste sich nicht länger gegen seinen Arm pressten.
 

„Wir haben uns über die Sommerferien ein paar Mal getroffen“, erklärte sie und rückte noch näher an ihn, um ihren Mund ganz nah an sein Ohr zu bringen: „Ich glaube, er dachte, er kann bei mir landen. Aber das ist natürlich lächerlich. Ich hab nur Augen … für dich.“
 

Ein eiskalter Schauer rann Draco den Rücken runter. Pansy hatte ihn letztes Jahr beinahe vollständig ignoriert, und jetzt plötzlich wollte sie etwas von ihm? Fühlte sie sich wirklich so sehr zu Zauberern hingezogen, die die Dunklen Künste praktizierten? Da wäre sie vermutlich bei Crabbe doch besser aufgehoben.
 

„Pansy“, flüsterte er leise und drehte sich etwas zu ihr um: „Das kann nicht dein Ernst sein.“
 

Zu seinem Entsetzen schien sie das als Aufforderung zu verstehen. Sie rückte noch näher und presste ihm einen leichten Kuss auf den Hals. „Ich meine es völlig ernst, Draco. Soll ich dir zeigen, wie ernst?“
 

Draco schluckte. Wie sollte er sie abweisen, ohne sie völlig gegen sich aufzubringen? Vorsichtig legte er eine Hand auf ihre Schulter und zwang sie so, ein Stück von ihm abzulassen. „Pansy, hör mir jetzt gut zu. Ich fühle mich geehrt, dass du so über mich denkst, aber das geht nicht. Nicht jetzt. Ich muss mich konzentrieren auf die Dinge, die von mir erwartet werden.“
 

Zu seiner Überraschung schien Pansy davon kein Stück beleidigt. Stattdessen spielte ein wissendes Lächeln um ihre Mundwinkel. „Das verstehe ich, Draco. Das ist okay. Aber wenn du mal Ablenkung brauchst, komm zu mir. Ich weiß, wie man zu zweit Spaß haben kann. Es wird sich auf jeden Fall lohnen. Für dich.“
 

Mit diesen Worten hauchte sie ihm einen weiteren Kuss auf die Wange, dann erhob sie sich und ging mit wippenden Hüften Richtung Schlafsäle davon. Mit klopfendem Herzen schaute Draco ihr nach. Selbst wenn er Hermine nicht hätte, würde er sich niemals auf Pansy einlassen. Ihr Interesse an ihm machte sein Leben nur noch komplizierter, gerade weil es nicht echt war. Sie wollte ihn für sich gewinnen, weil er ein Todesser war, dessen war sich Draco sicher. In ihrer Gegenwart musste er sich in Zukunft sehr vorsehen, wie er sich verhielt.
 

Erschöpft schloss er die Augen und ließ seinen Kopf zurück sinken. Er hasste alles hier.

Hermine.
 

Ich habe inzwischen so viele Geheimnisse vor allen hier, dass ich mich kaum noch traue zu schlafen. Wenn irgendjemand in meinen Kopf schaut, ist alles zu Ende. Nicht nur für mich, sondern auch für deine Freunde hier.
 

Pansy ist aufdringlich in letzter Zeit. Sie sucht immer meine Gesellschaft. Ich will nichts von ihr, das musst du mir glauben. Aber sie denkt offenbar, sie könnte bei mir landen. Und mir fällt es schwer, sie immer wieder abzuweisen, ohne dass es verdächtig wirkt. Ich dachte, vielleicht kann ich im Raum der Wünsche untertauchen, wenn es zu viel wird.
 

Aber das kann ich nicht. Mir war nicht bewusst, dass anscheinend mehr Schüler von dem Raum wissen, aber so ist es jetzt. Immer mehr Schüler, vor allem aus Gryffindor, verschwinden im Schloss. Ich dachte erst, dass die Carrows dahinter stecken, aber so wütend, wie Snape darüber ist, konnte das nicht der Fall sein. Und jetzt weiß ich, wo sie sind. Im Raum der Wünsche.
 

Ich habe zufällig Longbottom gesehen, wie er sich mit den Armen voller Essen in den Raum gestohlen hat. Ich wette, dass alle, die fehlen, sich dort verstecken. Von den Professoren weiß anscheinend keiner, dass es den Raum gibt. Und außer mir weiß es auch keiner aus Slytherin.
 

Ich wünschte, ich könnte mich anschließen. Einfach in den Raum gehen und ihn nie wieder verlassen. Aber ich weiß, das geht nicht. Keiner dort würde mir vertrauen. Und selbst wenn, was wird aus meiner Mutter und meinem Vater? So sehr ich beide auch hasse dafür, dass sie so loyal zu Du-weißt-schon-wem sind, sie sind immer noch meine Eltern. Wenn ich verschwinde, wird er wissen, dass ich vor ihm geflohen bin. Ich will mir gar nicht vorstellen, was er dann mit meinen Eltern macht.
 

Wo bist du?
 

Das letzte Mal, das ich von euch gehört habe, war, als ihr ins Ministerium eingebrochen seid. Ich verstehe nicht, warum ihr immer unbedingt dahin gehen müsst, wo euch am meisten Widerstand erwartet. Das Ministerium ist vollkommen in der Hand der Todesser, das müsst ihr doch wissen. Warum wart ihr da? Nur, um Umbridge zu demütigen? Ich verstehe es einfach nicht.
 

Aber was auch immer ihr da gemacht hat, Du-weißt-schon-wer war unfassbar wütend. Es ist ein Wunder, dass Umbridge noch lebt, nach allem, was ich gehört habe. Vielleicht war das euer Plan? Bei Merlin, Hermine, ich wünschte, ich wüsste, was euer Plan ist.
 

Lange starrte Draco auf den letzten Satz, den er gerade geschrieben hatte. Nur ein winziges Licht erhellte sein Bett, während er mitten in der Nacht mit geschlossenen Vorhängen auf seinem Bett saß und wieder einen sinnlosen Brief an Hermine schrieb. Wie jeder andere Brief davor würde auch dieser am Ende im Feuer landen.
 

Aber noch während er den letzten Satz geschrieben hatte, war ihm aufgegangen, dass es gut war, dass er den Plan nicht kannte. Obwohl er nicht daran denken wollte, bestand die Gefahr, dass irgendwann jemand von seiner Beziehung zu Hermine erfuhr und es an Voldemort weiter trug. Das würde seinen Tod bedeuten, aber wenn er Potters Pläne kannte, würde es den Tod vieler anderer nach sich ziehen. Das wollte er nicht.
 

Anspannung stieg in ihm hoch. Er saß hier in seinem Bett in Hogwarts, in einem Raum mit Theodore Nott, Blaise Zabini und Vincent Crabbe, in Sicherheit, aber umgeben von Zauberern, denen er nicht trauen konnte. Sein Leben war so normal wie es unter diesen Umständen möglich war. Aber er tat nichts.
 

Hatte er jemals in seinem Leben etwas getan, weil er es entschieden hatte? All die Jahre in Hogwarts zuvor, als er Hermine gemobbt und Potter angegriffen hatte, was hatte er da wirklich erreicht? Nichts.
 

Letztes Jahr, als er immer neue Wege gesucht hat, um Dumbledore zu töten, was hatte er da wirklich selbst entschieden? Er hatte im Auftrag des Dunklen Lords gehandelt und es war Hermine gewesen, die ihm jeden Schritt entlang des Weges zur Seite gestanden hatte. Ohne sie hätte er spätestens nach der Hälfte des Schuljahres den Verstand verloren.
 

Hatte er überhaupt schon einmal eine echte, eigene Entscheidung getroffen darüber, was er tun wollte? Selbst jetzt, wo seine Entscheidung war, nicht mit Hermine zu fliehen und ihr und Potter zu helfen, war das nicht wirklich seine Entscheidung gewesen. Er hatte es getan, weil er wusste, dass seine Eltern sonst leiden würden. Er war gefangen in Umständen, die ihm jede Entscheidungsfreiheit abnahmen.
 

Und er hasste es.
 

Er fühlte sich untätig, nutzlos. Fluchend nahm er das Stück Pergament mit dem Brief an Hermine und ließ es in Flammen aufgehen. Er musste etwas tun, irgendetwas, um zu helfen. Um etwas zu tun, was Potter nützlich war. Egal, was es war, egal, wie klein es war. Er musste etwas tun, sonst würde er platzen.
 

oOoOoOo
 

Im letzten Moment konnte Draco sich wegducken. Er hatte den Fluch nicht kommen sehen und keine Möglichkeit gehabt, sich dagegen zu wehren. Mit einem Krachen schlug der Zauber hinter ihm in die Wand ein.
 

„Sehr gut, Mr. Crabbe“, applaudierte Carrow, der neue Lehrer für die Dunklen Künste: „Ich sehe, dass zumindest einer in dieser Klasse versteht, worum es beim Praktizieren der Dunklen Künste geht.“
 

Seine scharfen Augen richteten sich auf Draco, der gerade aus seiner geduckten Haltung aufstand. „Mr. Malfoy, können Sie mir vielleicht beantworten, was das wichtigste ist, wenn man die Dunklen Künste erfolgreich anwenden will?“
 

Er wusste, warum der Professor ausgerechnet ihn danach fragte. Die beiden Carrows waren mit auf dem Astronomieturm gewesen, als er Dumbledore gestellt hatte. Sie hatten gesehen, dass er nicht den Willen besessen hatte, um den Schulleiter zu töten. Grimmig erwiderte er: „Man muss es wollen. Man muss die Intention haben, mit seinem Spruch erfolgreich zu sein.“
 

Ein beinahe wölfisches Grinsen erschien auf dem Gesicht seines Lehrers. „Sehr richtig! Fünf Punkte für Slytherin. Nun, Mr. Crabbe, vielleicht können Sie der Klasse verraten, wie es Ihnen gelingt, so viele mächtige Flüche zu sprechen?“
 

Alle Augen richteten sich auf Crabbe, der unter dem Lob des Lehrers förmlich aufzublühen schien. Stolz blähte er seine sowieso schon massige Brust auf: „Ich will gewinnen. Auch wenn wir hier nur üben, ich will gewinnen.“
 

„Gesprochen wie ein wahrer Zauberer“, lobte Carrow ihn: „Der Wille, den Gegner zu besiegen, ist absolut notwendig, wenn man ein Duell gewinnen möchte. Sie können noch so gut als Zauberer oder Hexe sein, noch so geschickt mit Ihren Sprüchen, das alles wird Ihnen in der echten Welt nicht helfen. Wenn Sie zögern, wenn Sie nicht wirklich Ihren Gegner besiegen wollen, dann werden Sie immer langsamer und schwächer sein. Flüche aus dem Bereich der Dunklen Künste sind anderen Zaubersprüchen immer überlegen. Immer. Um diese Flüche anwenden zu können, müssen Sie es wirklich wollen.“
 

Die Schüler aus Slytherin hingen förmlich an den Lippen des Lehrers, während er im Klassenraum auf und ab ging. Wie immer in diesem Schuljahr waren alle Tische und Stühle beiseite geräumt worden, um Platz zu machen zum Duellieren. Jetzt schritt Carrow vor ihnen im Kreis, sein Blick suchte immer wieder die Gesichter verschiedener Schüler, als wollte er seine Botschaft jedem einzelnen ins Gedächtnis brennen. Entschlossen, keine Schwäche zu zeigen, hielt Draco dem Blick stand. Er verstand sehr gut, was Carrow hier tat, und auch, wenn es ihm missfiel, würde er das niemals öffentlich zeigen.
 

„Unterschätzen Sie niemals Ihren Gegner“, fuhr Carrow fort, während sein Blick weiter durch die Runde wanderte: „Sie wissen nie, welche Tricks ein Gegner auf Lager hat. Selbst eine zierliche Hexe kann sich als hinterhältig und gerissen erweisen. Selbst ein massiger Gegner kann überraschend wendig und schnell sein. Wenn Ihr Gegner bereit ist, die Dunklen Künste anzuwenden, und Sie mit einem Expelliarmus antworten, werden Sie verlieren.“
 

Gegen seinen Willen musste Draco grinsen. Alleine der Gedanke, in einem echten Duell einen simplen Entwaffnungszauber zu sprechen, war lächerlich. Das war vermutlich der Punkt, auf den Carrow hinaus wollte, denn mehrere Schüler im Raum kicherten ebenfalls. Dass Potter diesen Zauber so gerne anwendete, würde ihm eines Tages noch zum Verhängnis werden.
 

„Endlich haben wir einen kompetenten Lehrer“, flüsterte Pansy neben ihm leise: „Ich finde es gut, dass wir endlich die Dunklen Künste lernen, anstatt immer nur die Verteidigung dagegen.“
 

Innerlich war Draco hin- und hergerissen. Einerseits fand er das Thema tatsächlich selbst faszinierend, andererseits war es definitiv nicht richtig, von einem hochrangigen Todesser darin unterrichtet zu werden. In einer selbstgefälligen Geste kreuzte er die Arme vor der Brust. „Professor Carrow weiß wenigstens, wovon er spricht.“
 

Pansys Augen leuchteten auf. „Er ist ein Todesser, oder?“
 

„Du weißt, dass ich über solche Dinge nicht sprechen kann“, erwiderte Draco leise und ernst. Obwohl er das vor allem sagte, weil es zu dem geheimnisvollen Bild passte, das Pansy offensichtlich von ihm hatte, lag doch ein wenig Wahrheit darin. Er wusste nicht, ob die Öffentlichkeit wissen durfte, dass die Carrows Todesser waren, also schwieg er lieber.
 

„Natürlich isser das“, grunze Crabbe neben ihnen.
 

Augenblicklich verspannte sich Dracos Kiefer. Warum war Crabbe nur so versessen darauf, ihn vor seinen Freunden schlecht dastehen zu lassen. Hatte er ihm immer noch nicht verziehen, dass er letztes Jahr mit Vielsafttrank als junges Mädchen Schmiere stehen musste? Oder wusste er wirklich mehr, als er wissen durfte?
 

„Wenn du das sagst“, gab Draco kühl zurück, ohne ihm einen Blick zuzuwerfen. Er würde nicht vor Crabbe die Beherrschung verlieren. Obwohl er erstaunlich gut im Duellieren war, war er immer noch derselbe Dummkopf wie zuvor.
 

Voller Arroganz verschränkte Crabbe die Arme vor der Brust. „Er hat’s mir gezeigt, weißt du? Sein Mal.“
 

Pansys Augen wurden groß, doch Draco konnte darüber nur lachen. „Na klar hat er das. Sicher.“
 

„Hat er wirklich!“, mischte sich jetzt Goyle ein, der auf der anderen Seite der kleinen Gruppe stand. „Crabbe hat’s mir direkt erzählt, nachdem er von seiner Extrastunde mit Carrow zurückgekommen ist.“
 

„Und das ist jetzt ein Beweis?“
 

„Ich glaube das auch nicht“, verkündete Pansy plötzlich und hakte sich bei Draco unter. „Kein Todesser ist so dumm, sich einfach so dazu zu bekennen. Die Zaubererwelt ist noch nicht bereit, die Wahrheit anzuerkennen, die Ihr-wisst-schon-wer zu verkünden hat, also schweigen seine Anhänger. Wer so den Mund aufreißt wie du, Crabbe, der meint es offensichtlich nicht ernst.“
 

Gerade so konnte Draco noch das Lob runterschlucken, das er unwillkürlich hatte aussprechen wollen. Wer hätte gedacht, dass Pansy ihm tatsächlich einmal so direkt zu Hilfe kommen würde? Und dass sowohl Crabbe als auch Goyle plötzlich wieder ziemlich dümmlich aus der Wäsche schauten, setzte dem Ganzen eine Krone auf.
 

„Was wird denn da so getuschelt, meine Herrschaften?“, peitschte plötzlich die kalte Stimme ihres Lehrers durch den Raum. Unwillkürlich traten alle vier einen Schritt zurück.
 

„Wir haben nur den Inhalt der heutigen Stunde besprochen“, säuselte Pansy, während sie Carrow einen unschuldigen Augenaufschlag schenkte.
 

„Während die Stunde noch in Gange ist?“, schmetterte Carrow ihre Worte ab: „Das ist erstens nicht höflich und zweitens verpassen Sie die Hälfte.“
 

Mit geröteten Wangen senkte Pansy den Blick. Dracos Kiefer mahlten aufeinander, doch er hatte ebenfalls nichts zu ihrer Verteidigung zu sagen. Es störte ihn, dass Carrow sie so offen bloßgestellt hatte. Insgeheim fragte er sich, ob der Professor nicht einfach nur nach jeder Gelegenheit suchte, um ihn zu ärgern. Er fand es offensichtlich lustig, dass Snape auf dem Astronomieturm die Sache hatte beenden müssen. Er musste unbedingt dafür sorgen, dass Carrow ihn nicht im Laufe des Schuljahres vor allen bloßstellte. Wenn seine Mitschüler erfahren würden, dass er nicht der Held war, den sie in ihm sahen, würde sein Ansehen direkt wieder in den Keller stürzen, so wie im letzten Jahr.
 

Mit einem Seufzen blickte er zu Professor Carrow. Hätte er sich vor zwei Jahren gefreut, ihn als Lehrer zu haben? Damals hatte er auch begierig jede Macht, die Umbridge ihm übertragen wollte, angenommen und ausgelebt. Er wusste, dass es vor allem Hermine zu verdanken war, dass er die Dinge inzwischen klarer sah. Aber die Angst, die Todesangst, die er das ganze letzte Jahre über verspürt hatte, und die ihn auch heute noch nicht ganz verlassen hatte, war ebenfalls sehr real gewesen. Vielleicht war es das, was ihn wirklich so verändert hatte: die Konfrontation mit der Realität.
 

Wenn Crabbe oder Pansy sich wirklich auf Leben und Tod duellieren müssten, wenn sie so wie er Todesangst hätten, dann würden sie sicherlich nicht mehr so großspurig daherreden und so tun, als wäre es cool, anderen Menschen Grausames anzutun.
 

Da war sich Draco sehr sicher.

Hermine.
 

Es sind Wochen vergangen, seit ich das letzte Mal von euch gehört habe. Das ist gut, oder? Das bedeutet, dass ihr unentdeckt euren Plan ausführt, oder? Wenn Potter gefangen worden wäre, hätte das bestimmt jeder sofort erfahren. Und wenn du gefangen geworden wärst, wäre das sicher auch nicht lange geheim geblieben. Aber wir hören nichts, weder im Tagespropheten noch durch Gerüchte von außen.
 

Snape verhält sich seltsam. Er hat angefangen, mich jedes Wochenende zu sich ins Büro zu rufen. Er sagt nicht, was er will. Er stellt nicht einmal wirklich Fragen. Er schaut mich nur an, will wissen, wie es meinen Eltern geht, ob ich fleißig lerne, alles Mögliche, was nicht wichtig ist. Jedes Mal habe ich Angst, dass er versucht, in meine Gedanken zu schauen. Ich weiß, dass er ein mächtiger Legilimens ist, kaum weniger stark als Du-weißt-schon-wer. Und obwohl meine Tante mir über den Sommer Okklumentik beigebracht hat, weiß ich, dass ich gegen ihn niemals eine Chance hätte.
 

Aber bisher hat er das nicht gemacht. Ich weiß nicht, was er vorhat und warum er mit mir spricht. Es macht mir Angst. Manchmal denke ich, dass er etwas ahnt. Über meine Beziehung zu dir. Aber das ist Blödsinn, oder? Wie sollte er davon wissen?
 

Aber falls er es weiß, dann sagt er nichts. Vielleicht ist das der deutlichste Hinweis darauf, dass er es nicht weiß? Er hätte bestimmt etwas gesagt. Mich an Du-weißt-schon-wen verraten, oder zumindest an meine Eltern. Aber nichts dergleichen passiert.
 

Diese Unsicherheit macht mich wahnsinnig. Mehr denn je merke ich, wie wichtig du mir im letzten Jahr geworden bist. Wie wichtig deine bloße Anwesenheit war, damit ich den Verstand nicht verliere. Ohne dich fühlt es sich an, als wäre die Balance weg.
 

Wenn du meine Briefe lesen könntest, würdest du vermutlich nicht glauben, dass sie aus meiner Feder stammen. Draco Malfoy schreibt kitschige Liebesbriefe? Unmöglich. Aber das ist es, was du mit mir machst.
 

Er musste lachen. Je mehr von diesen Briefen, die niemals jemand lesen würde, er schrieb, umso emotionaler wurden seine Worte. Es war, als hätte er ein Tor zu ungekannten Emotionen in sich geöffnet und jetzt, wo es offenstand, gab es kein Halten mehr. Er war wirklich ein kitschiger Idiot.
 

Mit einem inzwischen gewohnten Schwenk seines Zauberstabes verbrannte er das Pergament vor sich. Es war Zeit für seinen wöchentlichen Tee mit Snape. Er hatte gehofft, dass er Mut finden würde, wenn er seine Gedanken über dieses seltsame Verhalten zu Papier brachte, aber leider war das nicht passiert. Stattdessen war er noch nervöser, als würde ihm Snape an der Nasenspitze ansehen können, dass er gerade über ihn geschrieben hatte.
 

oOoOoOo
 

„Ich sehe, Sie stehen in allen Fächern bei Erwartungen übertroffen oder besser. Sehr gut, Draco.“
 

Die monotone Stimme des Schulleiters klang nicht so, als würde er das Kompliment ernstmeinen, doch Draco bedankte sich dennoch. „Ich gebe mir Mühe, Sir. Es ist meinen Eltern wichtig.“
 

Snape zog eine Augenbraue hoch und schaute ihn über den massiven Schreibtisch hinweg an. „Sie lernen also für die Gunst Ihrer Eltern?“
 

Draco schluckte, während er sich zwang, dem durchdringenden Blick standzuhalten. „Ich lerne natürlich, weil es gut für mich ist. Aber es ist meinen Eltern auch wichtig.“
 

„Hmm.“ Ohne den Blick von ihm zu nehmen, lehnte Snape sich im Stuhl zurück und faltete die Hände auf dem Schoß. „Was planen Sie?“
 

Schweiß trat ihm auf die Stirn. Was meinte Snape damit? Wusste er, dass er in den letzten Wochen nach Wegen gesucht hatte, Hermine und Potter zu unterstützen? Um einen unschuldigen Tonfall bemüht erwiderte er: „Planen? Was meinen Sie damit, Sir?“
 

„Ihre Zukunft!“ Snapes Tonfall klang ungeduldig und genervt. „Sie machen dieses Jahr Ihren Abschluss. Was ist Ihr Plan danach?“
 

Innerlich schlug Draco sich gegen die Stirn. Natürlich hatte Snape nichts anderes gemeint. Es war nur seine eigene Paranoia, die mehr in die Worte seines Gegenübers hinein interpretierte. Wenn er sich weiter so seltsam benahm, würde Snape irgendwann wirklich Verdacht schöpfen.
 

Er tat so, als müsste er darüber nachdenken, ließ seinen Blick durch den Raum wandern, über die leeren Portraits der vorigen Schulleiter an der Wand, über das Fenster hinter Snape. „Ich weiß es ehrlich gesagt noch nicht, Sir. Es hat sich so viel verändert seit letztem Jahr.“
 

„In der Tat“, kam es sarkastisch von Snape. „Sie sollten sich schnell darüber klar werden. Das kann Ihnen Entschlossenheit geben. Fokus. Eine Aufgabe. Ruhen Sie sich nicht darauf aus, das Mal zu tragen.“
 

Eine Gänsehaut kroch ihm den Nacken hoch. Das letzte, was er wollte, war, sich auf dem Dunklen Mal auszuruhen, aber hatte er wirklich eine Wahl? Wenn er als Todesser gebraucht wurde, würde er sich dem kaum widersetzen können. „Sie denken also nicht, dass unser Lord für mich eine Aufgabe hat? Nach Hogwarts?“
 

Snapes Blick verfinsterte sich. „Ich würde annehmen, dass er nach dem Debakel vom letzten Jahr niemals wieder eine Aufgabe für Sie hat, Draco.“
 

Eisige Härte schwang in diesen Worten mit. Draco spürte, wie ihm alle Farbe aus dem Gesicht wich und wie er gegen seinen Willen die Fäuste ballte. Drohte Snape ihm? War das der Grund für diese seltsamen Treffen?
 

„Mir kam zu Ohren, dass Sie Ihren Mitschülern gegenüber nicht aufrichtig sind in der Darstellung dessen, was auf dem Astronomieturm geschehen ist.“ Snapes Worte waren wie eine Ohrfeige. „Sie baden sich geradezu in dem Ansehen, das Ihnen Ihre Verwicklung in der Angelegenheit bringt.“
 

Trotz der Kälte, die ihn erfasst hatte, schwitzte Draco. Nervös wischte er sich über die Lippen, ehe er zu einer Antwort ansetzen konnte. „Ich bade mich nicht darin.“
 

„Kommen Sie mir nicht mit solcher Haarspalterei“, schoss Snape augenblicklich zurück. Inzwischen war er aufgestanden und lehnte sich über den Schreibtisch, beide Hände auf der Holzplatte abgestützt, um von oben auf ihn herabzuschauen. „Sie sind Nutznießer einer Tat, die Sie nicht begangen haben. Das wird nicht immer so sein.“
 

Draco schrumpfte im Stuhl in sich hinein. Was sollte er zu seiner Verteidigung sagen? Jedes Wort, das Snape sagte, war die Wahrheit. Unbeholfen zog er die Schultern hoch. „Sie können es jederzeit richtigstellen, Sir.“
 

Echter Zorn trat jetzt auf Snapes Gesicht. Als könnte er sich nur mühsam zurückhalten, holte er tief Luft und stieß sich vom Schreibtisch ab. Mit wehendem Umhang drehte er sich um und schaute zum Fenster hinaus. Seine Stimme war gefährlich leise, als er endlich erwiderte: „Ich überschätze Sie wieder und wieder. Sie können gehen. Wir haben für heute nichts mehr zu bereden.“
 

Das musste Draco sich nicht zweimal sagen lassen. Ohne sich darum zu kümmern, wie es auf Snape wirkte, sprang er auf und lief mit langen Schritten aus dem Büro. Erst, als er am Fuße der Treppe angekommen war, hielt er inne und schnappte gierig nach Luft. Er hatte das deutliche Gefühl, dass Snape ihm irgendetwas hatte sagen wollen, aber er verstand beim besten Willen nicht, was.
 

oOoOoOo
 

„Ich glaube, ich habe noch nie jemanden so Cooles getroffen wie Alecto Carrow!“ Pansys begeisterte Stimme drang schrill durch den sich leerenden Gemeinschaftsraum. „Unter Dumbledore hätten wir nie eine so tolle Professorin gehabt!“
 

Seufzend klappte Draco das Buch zu, in dem er gelesen hatte, und drehte sich zu Pansy auf dem Sofa um. Es war jeden Montag das gleiche: Nach der Doppelstunde in Muggelkunde wollte sie abends über nichts anderes reden als Carrow.
 

„Ich bin immer wieder überrascht, wie sehr du Muggelkunde liebst“, kommentierte er trocken.
 

„Weil es endlich nicht mehr um die tausend dummen Dinge geht, die Muggles machen!“, erklärte Pansy enthusiastisch. „Stattdessen lernen wir endlich, was uns besser macht! Und wie wir uns vor ihnen schützen können.“
 

Dracos Blick wanderte zu Theo, der in einem Sessel auf der anderen Seite des Sofas saß und den Kopf schüttelte. Er schien nicht der Einzige zu sein, der Pansys neue Besessenheit amüsant fand. Bevor er etwas sagen konnte, fuhr Pansy fort: „Wir haben heute mehr über den neuen Erlass vom Ministerium gelernt. Du weißt schon, dass sich Schlammblüter registrieren müssen. Man hat uns all die Jahre angelogen, Draco! Nur, wer einen magischen Verwandten hat, kann Hexe oder Zauberer sein. Die ganzen Schlammblüter, die Dumbledore so geliebt hat, die haben ihre Magie gestohlen.“
 

Ungläubig schaute Draco seine Mitschülerin an. Er hatte gehört, dass das die neueste Propaganda war, aber er hatte nicht gewusst, dass irgendjemand das tatsächlich glaubte. „Gestohlen?“
 

„Ja!“ Pansy nickte ernst. „Schlammblüter wie die Granger zum Beispiel. Die haben irgendeiner anderen Hexe oder Zauberer den Stab gestohlen, nur deswegen können sie Magie benutzen. Und deswegen sind die auch immer schwächer als alle anderen. Weil es nicht wirklich ihre Magie ist!“
 

Er musste sich ein Lachen verkneifen. „Schwächer? Pansy, hast du Granger jemals im Unterricht gesehen?“
 

„Hah! Den Einwurf hat Theo heute in Muggelkunde auch gebracht“, erwiderte Pansy triumphierend. „Und weißt du, was Professor Carrow darauf gesagt hat? Na, willst du es selbst wiederholen, Theo?“
 

Der so Angesprochene zuckte mit den Schultern. „Gute Noten in der Schule kann man durch auswendig lernen erreichen. Das kann jeder Muggel. Aber ob jemand wie Granger wirklich gut zaubern kann, wird hier nie getestet.“
 

„Genau!“, bestätigte Pansy nachdrücklich. „Haben wir sie je wirklich zaubern gesehen? Nein! Sie hat immer nur alle Antworten gewusst und gute Noten für irgendwelche Aufsätze bekommen.“
 

Draco fing Theos Blick auf. Sie schienen sich beide einig zu sein, dass Pansy hier Unsinn redete, aber keiner von beiden widersprach. Offensichtlich beeindruckt von sich selbst sprang Pansy auf. „Siehst du, Draco! Muggelkunde kann doch ganz nützlich sein! Du hättest das dieses Jahr auch wählen sollen. Aber ich halte dich gerne auf dem Laufenden!“
 

Mit diesen Worten verließ sie den Gemeinschaftsraum Richtung Mädchenschlafsaal mit beschwingten Schritten. Als nur noch er und Theo zurückblieben, wechselte Draco die Sofaseite und rutschte an den anderen Slytherin heran. „Da hat es Pansy uns aber gezeigt, was?“
 

„Sie war noch nie sonderlich clever“, meinte Theo, während er in die Flammen des Kamins starrte. „Ich hätte gedacht, dass jedem hier klar ist, dass die Geschichte von der gestohlenen Magie nur dazu dient, Schlammblüter zu überwachen und auszuschließen. Man braucht eben eine offizielle Begründung, warum man neue Richtlinien erlässt, selbst wenn die Begründung fadenscheinig ist.“
 

Erleichtert, dass zumindest Theodore ebenso klar sah wie er selbst, nickte Draco. „Man muss sich nur Granger ansehen. Es gibt keinen Zauberspruch, den sie nicht beim ersten Versuch gemeistert hat.“
 

Kühl legte sich der Blick seines Mitschülers auf ihn. „Lob aus deinem Mund für Granger?“
 

Genervt von sich selbst schüttelte Draco den Kopf. Theo hatte ihm zugestimmt, er hätte es einfach dabei belassen sollen. Aber nein, er musste ja unbedingt den Mund aufmachen. Darum bemüht, desinteressiert zu wirken, fuhr er sich durchs Haar. „Glaub mir, ich hab zu viele Jahre damit verbracht zu versuchen, besser zu sein als sie. Ist mir nie gelungen. Sie ist ein wertloses Schlammblut, aber sie kann besser zaubern als die meisten hier.“
 

Das brachte ihm ein amüsiertes Schnauben von Theo ein. „Da hast du recht. Jeder weiß, dass Potter schon längst tot wäre, wenn er nicht mit ihr befreundet wäre. Glückspilz.“
 

Als wäre damit alles gesagt, stand auch Theo auf und ließ Draco alleine im Gemeinschaftsraum zurück. Der wiederum blieb sprachlos und voller Anspannung zurück. Er hatte oft genug dasselbe gedacht wie Theo es gerade ausgesprochen hatte, aber seine Formulierung störte ihn. Wusste wirklich jeder, dass Hermine dafür verantwortlich war, dass das sogenannte Goldene Trio funktionierte? Wer war jeder?
 

Seit Potter, Weasley und Hermine verschwunden waren, hatte Draco darauf gesetzt, dass niemand wusste, dass der Auserwählte mit seinen Schulfreunden unterwegs war, und dass, wenn es irgendwann rauskam, niemand sich groß Gedanken darum machte. Aber war dem wirklich so? Nach dem, was Theodore gerade gesagt hatte, stiegen neue Ängste in ihm auf.
 

Mindestens Snape wusste doch, wie brillant Hermine war. Mindestens er würde doch verstehen, was es bedeutete, dass Potter sie an seiner Seite hatte. Würde er es Voldemort sagen? Was, wenn Hermine dadurch zur Zielscheibe wurde? Die andere Seite würde alles versuchen, um Potter zu schützen, aber gab es gleichen Schutz für Hermine? Wie er sie einschätzte, würde sie sich am Ende noch selbst opfern, um Potter zu helfen. Wenn es Voldemort darauf anlegte, würde es vermutlich gelingen, sie zu fangen und von Potter zu trennen.
 

Fluchend wischte Draco sich mit beiden Händen übers Gesicht. Er konnte nur hoffen, dass so lange wie möglich unbekannt blieb, dass Potter mit Hermine auf der Flucht war.

Hermine.
 

Ich habe immer noch nicht wieder von euch gehört. Nur ein seltsames Gerücht, dass Weasley irgendwo gesichtet wurde. Ich vermute, das war nur jemand, der rote Haare gesehen hat und sich wichtig machen wollte, ausgerechnet Ron gesehen zu haben, aber ich kann mir nicht sicher sein. Ihr seid doch zu dritt unterwegs, oder? Du bist nicht mit Potter alleine?
 

Der Gedanke, dass du mit ihm alleine bist, gefällt mir noch weniger, als wenn du mit beiden unterwegs wärst. Da ist nichts zwischen euch, oder?
 

Ich weiß, ich sollte dir vertrauen. Du hast nichts getan, um mein Misstrauen zu wecken. Aber ich bin einfach so unsicher. Wir haben uns so lange nicht gesehen. Du bist die ganze Zeit nur mit Potter zusammen. Kann ich wirklich darauf vertrauen, dass du mich noch liebst, wenn wir uns das nächste Mal wiedersehen?
 

Liebst du mich überhaupt?
 

Vergiss, dass ich das gefragt habe. Es bringt mir nichts, diese Fragen zu stellen. Ich versinke nur in Selbstmitleid.
 

Ich habe letzte Woche tatsächlich versucht, mich deinen verschwundenen Freunden anzuschließen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie lange ich vor dem Raum der Wünsche stand. Aber ich konnte es nicht. Ich wollte, aber ich konnte nicht.
 

Oder vielleicht wollte ich auch nicht. Mit jedem Tag, den ich ohne dich verbringe, merke ich mehr, wie ich nichts will, nichts kann, nichts weiß.
 

Bevor ich dich kannte, ich meine, wirklich kannte, wusste ich nicht, wie tief eine Beziehung sein kann. Ich meine nicht nur Liebesbeziehung. Auch Freundschaften oder mit Verwandten. Ich dachte immer, dass ich einige Freunde habe und Eltern, die für mich da sind. Ich hatte nie das Gefühl, dass mir etwas fehlt. Es gab immer jemanden, der Zeit für mich hatte.
 

Aber die Dinge, die ich mit dir erlebt habe. Die Art, wie ich mich dir öffnen kann, das ist so viel mehr. Es ist, als ob du der einzige Mensch auf der Welt bist, der mich wirklich kennt. Bei dem ich so sein kann, wie ich wirklich bin. Als ob ich durch dich überhaupt erst entdeckt habe, wie ich bin, wer ich bin. Und jetzt, wo du weg bist, fühle ich mich verloren.
 

Ich komme mir lächerlich vor, wenn ich sowas aufschreibe. Aber gleichzeitig fühlt es sich so natürlich an, so zu fühlen. Und vielleicht ist es das ja auch? Dieses Gefühl, dass man einen Menschen gefunden hat, der die perfekte andere Hälfte ist. Wo einfach jedes Teil passt. Und wenn man alleine ist, dann ist man eben nur noch halb. Und was ist halb? So kann man nicht leben.
 

Ist es falsch, dass ich das so fühle? Ich hoffe nicht. Es ist, als ob du mir die Tür zu einem besseren Leben geöffnet hast. Wenn du mir jetzt sagst, dass es unnormal ist, was ich fühle, dann machst du die Tür wieder zu. Das würdest du nicht tun, oder?
 

Ein Plätschern ließ Draco aufschauen. Er hatte nicht vorgehabt, hier in der Toilette einen Brief zu schreiben, aber er hatte so lange gewartet, dass er sich schließlich irgendwie die Zeit vertreiben musste. Er hatte befürchtet, dass sich die Warterei nicht lohnt, doch das Geräusch von schwappendem Wasser bewies ihm jetzt das Gegenteil. Eilig entzündete er den Brief und stand auf.
 

„Myrte.“
 

„Hallo Draco.“
 

Nur ihr Kopf ragte aus der Kloschüssel, als wüsste sie nicht, ob sie wirklich zu ihm wollte. Unschlüssig trat Draco näher und lehnte sich gegen den Türrahmen der Klokabine. „Ich hatte gehofft, dass du auftauchst.“
 

„Und ich hatte gehofft, dass du nicht auftauchst“, erwiderte Myrte mit schmollendem Unterton.
 

Abwehrend hob Draco beide Hände. „Ich kann gehen, wenn du das willst. Aber ich bin hier, weil ich mich entschuldigen wollte.“
 

Bei den Worten kam Myrte aus der Kloschüssel geflogen und bespritzte ihn dabei mit Wasser. „Entschuldigen? Du willst dich bei mir entschuldigen?“
 

Angewidert wischte Draco sich mit einem Ärmel über sein nasses Gesicht, doch er ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. „Ich habe in meiner Wut Dinge zu dir gesagt, die unfair und gemein waren. Das tut mir leid.“
 

Als wüsste sie nicht, was sie zu diesen Worten sagen sollte, drehte Myrte mehrere Runden durch die Mädchentoilette. Draco wartete geduldig. Er kannte den Geist inzwischen gut genug, um zu wissen, dass sie dazu neigte zu schmollen und anderen Dinge lange nachzutragen. Aber so nett, wie Myrte zu ihm im letzten Jahr gewesen war, hegte er die Hoffnung, dass sie ihm verzeihen konnte. Sie war, trotz ihrer Verschrobenheit, eine echte Freundin für ihn geworden.
 

Mit einem übertrieben lauten und theatralischen Seufzen senkte Myrte sich schließlich auf das Waschbecken hinab. „Na schön, Draco Malfoy. Du tust mir zu sehr leid, als dass ich dir deine bösen Worte nachtragen könnte.“
 

Empört zog Draco beide Augenbrauen hoch. „Es ist also nur Mitleid, das du für mich hast? Myrte, du brichst mir das Herz!“
 

„Tut mir leid, Liebster“, kicherte der Geist verschämt, „aber mein Herz gehört schon lange einem anderen.“
 

Kurz fragte Draco sich, in wen dieser Geist, der in einer Toilette wohnte, die alle mieden, verliebt sein könnte, doch dann fiel ihm ein Gespräch mit Hermine ein. „Potter?“
 

Myrtes Augen wurden groß. „Wie kannst du das wissen? Kannst du mein Innerstes sehen? Weißt du alles, was ich denke?“
 

Lachend schüttelte Draco den Kopf. „Mach dir keine Sorgen, das kann ich nicht. All deine jungfräulichen Geheimnisse sind sicher. Ich hab’s von Potters bester Freundin gehört.“
 

Er war sich sicher, wenn ein Gespenst erröten könnte, wäre Myrte jetzt leuchtend rot. Sie schlug beide Hände vor ihrem Gesicht zusammen und flog hoch hinauf zur Decke, wo sie sich im Schatten eines Balkens verbarg. „Keiner sollte das wissen! Nur Harry! Oh, Harry! Du weißt gar nicht, wie wundervoll er ist.“
 

Darauf konnte Draco nur schnauben. „So wundervoll, dass er mich letztes Jahr beinahe umgebracht hätte. Genau hier, Myrte. Und du hast das gesehen, oder nicht?“
 

„Ooooh, ja, das war furchtbar!“ In einer dramatischen Geste wirbelte sie zurück auf den Boden und griff sich ans Herz. „Ich dachte wirklich, er hätte dich umgebracht.“
 

„Die Intention war jedenfalls da.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und starrte Myrte herausfordernd an.
 

„Aber es tat ihm sofort leid! Es tat ihm sooo leid!“
 

„Es tat ihm leid, dass Snape sofort hier war und ihn auf frischer Tat ertappt hat“, beharrte Draco.
 

„Du verstehst ihn nicht, mein Lieber. So viele verstehen ihn nicht.“ Gewichtig nickte Myrte vor sich hin. „Aber ich verstehe ihn. Ich werde immer einen Platz in meiner Toilette für ihn haben.“
 

Stöhnen fuhr Draco sich durchs Haar. Es hatte keinen Sinn, in diesem Punkt mit Myrte zu diskutieren, zumal er es auch gar nicht so ernst meinte. Er war der letzte, der anderen vorwerfen konnte, jemanden in Lebensgefahr gebracht zu haben.
 

Er beschloss, das Thema zu wechseln, und schaute Myrte grinsend an. „Was hat er überhaupt getan, um deine Liebe zu gewinnen?“
 

Schmachtend lehnte Myrte sich an ihn. „Unsere Liebesgeschichte ist soooo romantisch. Es fing alles vor fünf Jahren an, als die Kammer des Schreckens wieder geöffnet wurde. Da tauchte er plötzlich hier auf. Mit zwei Freunden, seiner besten Freundin und einem rothaarigen Jungen.“
 

„Hermine und Weasley. Was wollten die drei hier?“
 

„Die Regeln brechen! Das ist der einzige Grund, warum irgendjemand herkommt. Oder zum Weinen.“ Seufzend spielte Myrte mit ihren Haaren. „Da habe ich ihn das erste Mal gesehen. Er war so höflich zu mir, so freundlich. Ich wusste sofort, dass er ein gutes Herz hat.“
 

„Aber warum waren sie hier?“, bohrte Draco nach. Er konnte sich nicht vorstellen, was die drei im zweiten Jahr ausgerechnet hier gewollt hatten.
 

„Sie haben einen Trank gebraut, im Geheimen. Naja, eigentlich hat nur Hermine Granger den Trank gebraut. Vielsafttrank, wenn ich mich richtig erinnere. Hermine Granger hat den Trank gebraut, Ronald Weasley hat zugeschaut und Harry Potter hat mit mir geredet.“ Wieder stieß sie ein langes Seufzen aus. „Sie waren so oft hier. Der Trank hat einen Monat gedauert. Und Harry hat so viel mit mir geredet.“
 

Er konnte nur lachend den Kopf schütteln. Natürlich würde Hermine Granger in ihrem zweiten Jahr in Hogwarts versuchen, Vielsafttrank zu brauen. Der Trank war so komplex, dass es nur wenige Schüler gab, die ihn in Hogwarts je korrekt gebraut haben. Und sie versuchte es auf eigene Faust.
 

„Und?“, hakte er nach. „Was ist daraus geworden?“
 

„Oh, es war zu amüsant!“ Myrte lachte, als ob ihr jemand den besten Witz ihres Lebens erzählt hatte. „Die beiden Jungs haben sich ganz normal in zwei andere Jungs verwandelt, irgendwelche aus Slytherin. Aber Hermine Granger! Sie hat ein Katzenhaar in den Trank gemischt! Sie hatte Fell und einen Schwanz und Ohren! Das war das Lustigste, was mir nach meinem Tod passiert ist. Und sie hat sich so geschämt!“
 

Draco war gefangen zwischen Unglauben, dass der Trank tatsächlich gelungen war auf der einen, und noch größerem Unglauben, dass ausgerechnet Hermine so einen dummen Fehler gemacht haben konnte, auf der anderen Seite. Sie hatte mit gerade einmal zwölf Jahren einen perfekten Vielsafttrank gebraut und war dann an einem Haar gescheitert? Er musste zugeben, das war lustig.
 

Während er innerlich darüber kicherte, fiel ihm etwas anderes auf. „Warte, du hast gesagt, dass sie sich in Slytherin-Schüler verwandelt haben? Weißt du noch, wer das war?“
 

Myrte zuckte nur mit den Schultern. „Keine Ahnung, wie die hießen. Aber aus dem Gespräch klang es so, als wären das deine beiden besten Freunde gewesen.“
 

Draco riss die Augen auf. Zu dem Zeitpunkt hatte er noch so ziemlich jede freie Minute mit Crabbe und Goyle verbracht. Myrte konnte niemand anderen meinen. Nachdenklich lehnte er sich an eine Toilettentür und schloss die Augen. Das zweite Jahr war so lange her. War ihm irgendetwas im Gedächtnis geblieben?
 

„Warte mal!“, stieß er schockiert aus. „Das eine Mal! Da hatte Goyle eine Brille auf. Ich weiß noch, wie überrascht ich war, dass er lesen konnte!“
 

Lachend schlug er sich gegen die Stirn. Natürlich. Wie hatte er damals nicht sehen können, dass das offensichtlich Potters Brille war? Und je mehr er darüber nachdachte, umso mehr fiel ihm zu dem Tag ein. Die beiden hatten sich mehr als seltsam verhalten. Seltsam genug, dass er sich auch jetzt noch, fünf Jahre später, daran erinnern konnte.
 

„Heile Nimue“, flüsterte er, während er auf den Boden starrte. „Potter und Weasley waren im Slytherin-Gemeinschaftsraum! Und sie haben mich ausgehorcht. Dachten wohl, ich wäre der Erbe Slytherins.“
 

„Hermine Granger musste danach in den Krankenflügel“, setzte Myrte unerwartet ihre Geschichte fort. „Sie hat sich ewig geziert, weil ja keiner wissen durfte, dass sie einen Trank gebraut hat.“
 

Auch daran erinnerte er sich plötzlich. Als er aus den Weihnachtsferien zurückgekehrt war, hatte er das Gerücht gehört, dass Hermine Granger seit Wochen im Krankenflügel war. Alle hatten damals gedacht, dass sie auch angegriffen worden war, aber dann tauchte sie wieder im Unterricht auf, während alle anderen Opfer weiter versteinert waren. Heiße Scham durchfuhr ihn, als er sich daran erinnerte, dass er ihr damals gewünscht hatte, angegriffen zu werden. Er wusste, er hatte das nicht wirklich so gemein und hatte nur was Fieses sagen wollen, aber es war trotzdem eine unangenehme Erinnerung. Vielleicht sollte er sich dafür entschuldigen, wenn er Hermine das nächste Mal sah.
 

„Das war kurz bevor ich angegriffen wurde“, fuhr Myrte fort, als würde sie gar nicht bemerken, wie viele Gefühle Draco gerade durchlebte. „Irgendjemand fand es lustig, mich mit einem Buch zu bewerfen. Aber dann kam Harry wieder und er war so lieb. Er hat sich so um mich gesorgt. So viele Fragen gestellt. Und er hat das furchtbare Buch mitgenommen. Da war es um mich geschehen.“
 

„Was für ein Buch?“, fragte Draco abgelenkt. Seine Gedanken drehten sich immer noch um sein furchtbares Verhalten im zweiten Jahr.
 

„Das Buch war böse!“, kreischte Myrte. „So böse! Ich hab das sofort gespürt, als es durch mich durch ging. Kein Wunder, dass das kleine Mädchen mit dem Buch so völlig durcheinander war. Wie besessen. Sie hat die Kammer geöffnet, hier, direkt vor meinen Augen, das Buch in der Hand, und mit einer ganz komischen Stimme gesprochen.“
 

Etwas in Dracos Kopf machte Klick. Das Buch. Ginny Weasley. Die seltsamen Andeutungen seines Vaters. Der Erbe Slytherins. Er hatte sich immer gefragt, wer damals die Kammer geöffnet hatte, aber niemand wollte ihm etwas sagen. Dumbledore hielt es vor allen Schülern gemein und sein Vater hat nur mit Verachtung auf alle Fragen dazu reagiert.
 

Doch jetzt erinnerte er sich. Damals, im Buchladen in der Winkelgasse. Sein Vater hatte ihm verschwörerisch zugezwinkert, als er der jüngsten Weasley ein Buch untergeschummelt hatte, und ihm zugeflüstert, dass er die Augen offenhalten sollte, weil dieses Jahr spannend werden würde. Und dann wurde die Kammer des Schreckens geöffnet. Ginny Weasley war sicher nicht die Erbin Slytherins, aber etwas an dem Buch hatte sie beeinflusst, dessen war er sich jetzt sicher.
 

„Moment, hast du gesagt, die Kammer wurde hier geöffnet?“ Zwischen all den anderen Dingen, die ihm durch den Kopf wirbelten, stach das plötzlich heraus.
 

„Ja! Und Harry war so mutig!“ Myrtes Tonlage war noch höher als sonst. „Er hat seltsame Worte gezischt und dann ging das Waschbecken auf. Er hat einen Professor gezwungen, zuerst zu springen, dann sind er und der andere Junge hinterher. Ich hab ihm zum Abschied angeboten, dass er meine Toilette teilen kann, falls er da unten stirbt.“
 

Gilderoy Lockhart. Draco hatte sich immer gefragt, was ihm zugestoßen war. Nachdem Ginny Weasley wieder aufgetaucht war, hörte man nur noch, dass er nach St. Mungo’s gebracht worden war. Irgendetwas war ihm also in der Kammer zugestoßen. Und es war ausgerechnet Potter gewesen, der heldenhaft eine andere Schülerin gerettet hatte.
 

Ein seltsames Zittern ergriff Draco. Er musste sich bei Hermine für alles entschuldigen, so viel stand fest. Aber er konnte nicht länger leugnen, dass sein Hass auf Harry Potter nicht richtig war. Ja, er war ein arroganter selbstverliebter Gryffindor, der von viel zu vielen Professoren bevorzugt behandelt wurde. Aber dass er mit gerade einmal zwölf Jahren die Kammer des Schreckens geöffnet hatte und vermutlich das Monster darin bekämpft hatte, um eine Schülerin zu retten, das war heldenhaft. Er hasste es, dieses Wort zu benutzen, aber kein anderes drückte es besser aus.
 

Er schluckte. Gegen seinen Willen hatte er plötzlich Respekt vor Potter. Warum hatte Myrte ihm diese Geschichte erzählen müssen?
 

Mit einem Mal schien ihm die Idee, dass so viele Zauberer und Hexen ihre Hoffnung in Harry Potter legten, dass er den Dunklen Lord besiegen könnte, nicht mehr so abwegig. Vielleicht war das der Grund, warum Hermine ohne zu zögern an seiner Seite geblieben ist. Sie hatte ihn Jahr um Jahr begleitet und gesehen, was er konnte. Einen Großteil seiner Heldentaten hatte er sicherlich nur dank ihr vollbringen können, aber Fakt blieb, er hatte sie vollbracht. Vielleicht war es nicht irrsinnig, dass er selbst ein wenig Hoffnung in Harry Potter setzte.
 

Aber nur ein ganz klein wenig.

Hermine.
 

Ich kann nicht glauben, wie unfassbar dumm ihr seid. Da seid ihr für Wochen und Monate nicht auffindbar, und dann plötzlich entgeht ihr zweimal nur knapp den Todessern? Was hattet ihr in Godric’s Hollow zu suchen? Und wer kam auf die bescheuerte Idee, Lovegood zu besuchen? Was wolltet ihr überhaupt von ihm? Jeder weiß doch, dass er ein verrückter alter Mann ist. Und dass seine Tochter entführt wurde. Bekommt ihr wirklich gar nichts mehr mit? Oder wollt ihr euch fangen lassen? Ich verstehe nicht, wie ihr so dämlich sein konntet.
 

Ich wette, es war Potters Idee. Er war ja in Hogwarts schon immer gut mit der Lovegood befreundet. Aber wozu hat er dich? Kannst du ihm nicht seine Dummheit ausreden? Was wolltet ihr bei ihm?
 

Ich kann nicht glauben, dass ihr es da lebend rausgeschafft habt. Ich habe selbst gesehen, dass mehrere Todesser geschickt wurden, um euch zu greifen. Ihr müsst verdammt noch mal vorsichtiger sein!
 

Wenn ihr gefasst werdet … Hermine, ich weiß nicht, was ich dann tun soll. Mein Zuhause ist Sammelpunkt für alle möglichen Todesser, seit Du-weißt-schon-wer bei uns eingezogen ist. Wenn sie euch fassen, dann bringt man euch zu uns. Was soll ich dann tun? Was soll ich tun?
 

Zitternd legte Draco die Schreibfeder weg. Da er über die Weihnachtsferien bei seinen Eltern in Malfoy Manor war, hatte er natürlich mitbekommen, dass Selwyn und Travers ganz dicht dran gewesen wären, Potter zu schnappen. Und Hermine war bei ihm gewesen. Sie waren nur zu zweit, weil Weasley angeblich krank im Bett lag, aber Draco wusste, dass das eine Lüge war. Warum war Weasley nicht bei ihnen gewesen? Bei Lovegood waren sie zu dritt gewesen, aber in Godric’s Hollow alleine? Und warum waren sie überhaupt zu Lovegood gegangen? Godric’s Hollow konnte er vielleicht noch verstehen, aber einen verrückten Zauberer zu besuchen?
 

Wie so oft zuvor entzündete Draco mit einem Schwenk seines Stabes das Pergament. Er wusste gar nicht mehr, wie viele Briefe er inzwischen schon an Hermine geschrieben hatte, die anschließend in Flammen aufgegangen waren.
 

Er wusste wirklich nicht, was er tun würde, wenn Hermine als Gefangene hierhergebracht werden würde. Er wünschte, er könnte mit absoluter Gewissheit sagen, dass er sie befreien würde, doch er spürte, dass er sich nicht sicher war. Er hatte Angst. Viel zu große Angst.
 

Er hatte Glück gehabt, dass er nicht zu den Todessern gehört hatte, die dieses Mal geschickt worden waren, um Potter zu fangen. Mit jedem Mal, das er an der Seite von Todessern Hermine gegenüberstand, stieg die Gefahr, dass er sich verriet. Er würde es sich nicht verzeihen können, wenn sie wegen ihm zu Schaden kam.
 

Aufgewühlt lief er in seinem Zimmer auf und ab. Er wollte überall lieber sein als hier. Jeder seiner Schritte wurde überwacht – oder zumindest fühlte es sich so an. War er nur paranoid oder schienen die anderen Todesser ihm wirklich zu misstrauen? Er konnte nicht einmal seine Eltern fragen, weil er nicht wusste, ob er ihnen noch vertrauen konnte.
 

Seine Eltern schienen sich ja gegenseitig schon nicht mehr zu trauen. Seit sein Vater bei der Mission um die Prophezeiung versagt hatte, hatte sich etwas in ihm verändert. Draco hatte immer viel Respekt vor ihm gehabt, aber wenn es darauf ankam, hatte sein Vater trotzdem ein offenes Ohr für ihn. Jetzt hingegen schien er so sehr in die Kämpfe innerhalb der Todesser-Hierarchie verwickelt zu sein, dass er ihn kaum noch sah.
 

oOoOoOo
 

„Ich habe gehört, dass Mr. Crabbes Junge sich neuerdings sehr gut macht.“
 

Ungläubig ließ Draco sein Besteck sinken. Es war der letzte Tag der Winterferien, und jetzt meinte sein Vater, seine schulischen Leistungen ansprechen zu müssen? Sie hatten die ganze Zeit, die er hier gewesen war, kaum ein Wort miteinander gesprochen. Was sollte das jetzt?
 

„Nicht wirklich“, erwiderte er, während er sich sorgfältig den Mund abwischte. „Er ist nur in Dunkle Künste gut. In allen anderen Fächern ist sein unterlegener Intellekt immer noch von großem Nachteil.“
 

Sie blauen Augen seines Vaters musterten ihn kühl. „Und ausgerechnet in dem Fach ist er dir überlegen?“
 

Anspannung ließ seinen Rücken starr werden. Wurde er gerade von seinem eigenen Vater bedroht? Er schluckte, ehe er eine Antwort zustande brachte: „Er gewinnt die Duelle im Unterricht mit reiner Kraft. Er beherrscht nur eine kleine Anzahl an Flüchen und schleudert die wahllos gegen seine Gegner. In einem echten Kampf wäre er mir nach wie vor unterlegen.“
 

Sein Vater sah nicht überzeugt aus. „Soweit ich es gehört habe, besiegte er dich regelmäßig. Was sollte draußen der Unterschied sein?“
 

Am Rande seines Gesichtsfelds bemerkte Draco, wie seine Mutter stur weiter aß, als gäbe es nichts Interessantes zu sehen oder zu hören. Er nahm einen Schluck Wein, dann erklärte er: „Im Unterricht geht es darum zu zeigen, was man alles gelernt hat. Es geht nicht einfach darum, immer nur zu gewinnen. Ich versuche, die neuen Sprüche und Flüche zu zeigen. Natürlich beherrsche ich die nicht so gut, wie Crabbe die alten Sprüche.“
 

Noch immer schaute sein Vater ihn unbeeindruckt an. Was wollte er von ihm? Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. War sein Vater wirklich so kalt, dass er ihn ans Messer liefern würde, wenn er einen Riss in seiner Verteidigung fand? Versuchte er gerade, in seinem eigenen Sohn einen Verräter zu enttarnen, um ihn dem Dunklen Lord ausliefern zu können? War sein Vater wirklich so berechnend?
 

Vermutlich hatte er Glück, dass seine Tante und alle anderen, die derzeit eigentlich auch hier wohnten, nicht anwesend waren. Sie hatten das Anwesen am Morgen verlassen, seine Tante hatte ihm verschwörerisch zugezwinkert, aber niemand hatte ihn eingeweiht, wo sie hingehen wollten.
 

„Carrow scheint darüber anders zu denken, oder wie erklärst du dir, dass er dir schlechtere Noten gibt?“
 

Er hatte genug. Wenn selbst sein eigener Vater nicht davor zurückschreckte, ihn ans Messer liefern zu wollen, gab es nichts mehr für ihn zu sagen. Es war besser, wenn er das Weite suchte. Mit grimmiger Miene erhob er sich, „Ich werde mich dann zurückziehen.“
 

„Setz. Dich. Hin!“, befahl sein Vater augenblicklich. Kalte Wut verzerrte sein Gesicht.
 

Überrascht von der offenen Feindseligkeit ließ Draco sich zurücksinken. „Was willst du von mir, Vater?“
 

Er spürte, wie die Panik am Rande seines Bewusstseins nur darauf lauerte, ihn vollständig zu verschlingen. Hatte er sein eigenes Todesurteil unterzeichnet, als er sich entschlossen hatte, die Weihnachtsferien zu Hause zu verbringen? Und warum sagte seine Mutter nichts? Sie aß, als gäbe es keine Sorge in der Welt.
 

„Ich will“, sagte sein Vater und betonte dabei jedes Wort einzeln, „dass du begreifst, wie es außerhalb von Hogwarts aussieht. Deine kleinen Lügen funktionieren außerhalb des Schlosses nicht.“
 

Er ballte unter dem Tisch die Fäuste. Das musste sein Vater ihm nicht sagen, er war sich dessen nur zu bewusst. Kalt erwiderte er: „Ich versuche zumindest, das Ansehen der Malfoys wiederherzustellen. Was tust du denn, mh? Versteckst dich hier und lässt dich gehen!“
 

„Genug!“, zischte der andere Mann und erhob sich: „Genug mit deinen leeren Worten! Genug mit deiner naiven Blindheit. Mach die Augen auf und sieh hin!“
 

Wütend sprang Draco ebenfalls auf. „Naiv? Blind? Dass ich nicht lache! Ich sehe sehr wohl, was hier vor sich geht! Wer von uns beiden war es, der für den Fehler des anderen bezahlen musste? Ich musste dein Versagen ausbaden, nicht umgekehrt! Mein Leben stand das ganze letzte Jahr auf dem Spiel, nicht deines.“
 

Mit langen Schritten ging sein Vater um den Tisch herum und baute sich vor ihm auf. „Denkst du, deine Leistungen letztes Jahr waren genug? Glaubst du wirklich, dein mickriger Versuch, die Wünsche unseres Lords zu erfüllen, waren auch nur im Ansatz ausreichend?“
 

„Nein!“, schrie Draco ihm entgegen: „Nichts davon war genug! Denkst du, das weiß ich nicht? Glaubst du, ich weiß nicht, dass er mich jede Sekunde einfach so töten könnte, weil ich versagt habe? Meinst du, ich verstehe nicht, dass du und Mutter ebenso jeden Tag in Gefahr schwebt? Ich weiß verdammt noch mal ganz genau, wie beschissen unsere Situation ist! Genau deswegen erzähle ich die kleinen Lügen, damit ich zumindest in Hogwarts halbwegs sicher bin. Du denkst immer noch, ich wäre ein kleiner Junge, der die Welt nicht versteht“, brüllte er, während Tränen der Wut und Verzweiflung über seine Wangen rollten.
 

Sein Vater, der Mensch, zu dem er sein Leben lang aufgeblickt hatte, stand hier vor ihm und schaute ihn mit so kalten Augen an, als ob er ihm einfach nichts mehr bedeutete. Und seine Mutter rührte ebenfalls keinen Finger. Gegen seinen Willen schluchzte er laut auf. Hastig wischte er sich die Tränen von den Wangen. „Ich weiß das alles, Vater. Ich will doch nur, dass wir das alles überleben. Wir, als Familie.“
 

Er ließ die Schultern hängen und senkte den Blick. Er wünschte, er könnte seinem Vater erzählen, wie sehr er sich danach sehnte, dass der Dunkle Lord einfach tot war. Besiegt von irgendjemandem, seinetwegen auch von Potter.
 

Zwei Arme schlangen sich plötzlich um ihn und zogen ihn in eine Umarmung. Überrascht und schockiert erstarrte er in der Umarmung seines Vaters.
 

„Das will ich doch auch“, flüsterte dieser ihm zu: „Ich will doch nur, dass du lebst und alt wirst und glücklich bist. Das ist alles, was zählt.“
 

Wieder schwamm sein Blick unter Tränen. Obwohl er ihn gerade noch angeschrien hatte, obwohl er gerade noch nackte Angst verspürt hatte, erwiderte Draco die Umarmung seines Vaters.
 

„Ich will doch nur, dass du auf dich aufpasst und nicht nachlässig wirst“, erklärte der leise: „Lass niemanden deine Angst sehen. Gib niemandem Grund zu Verdacht.“
 

Weinend vergrub Draco sein Gesicht an der Schulter seines Vaters. Er hatte ihn nicht ausgefragt, weil er ihn an den Dunklen Lord ausliefern wollte. Er hatte ihn beschützen wollen. Sein Vater liebte ihn genauso, wie er selbst seine Eltern liebte. Verzweifelt klammerte er sich an ihm fest und weinte seine ganze Angst und Erleichterung hinaus. Sein Papa hatte ihn immer noch lieb.
 

„Oh Lucius.“ Die zarte Stimme seiner Mutter klang brüchig.
 

Schniefend löste Draco sich aus der Umarmung und schaute zu ihr. Sie hatte endlich das Besteck weggelegt und sah zu ihnen hinüber. Ein trauriges Lächeln spielte um ihre Lippen. „Dein Vater ist manchmal der blindeste Narr, den dieses Anwesen je gesehen hat. Bitte trag ihm nicht nach, dass er laut geworden ist.“
 

„Ich mache mir nur Sorgen um unseren Sohn, Narzissa!“, gab Lucius streng zurück, während er sich wieder auf seinen Platz am Kopf der Tafel setzte.
 

„Das hättest du auch einfach so sagen können“, warf Draco ein, der sich ebenfalls wieder hinsetzte. „Für einen Augenblick klang es so, als wolltest du mich am liebsten des Hauses verweisen.“
 

Der Blick seines Vaters huschte zu seiner Mutter. Misstrauisch beugte Draco sich vor. „War das der Plan?“
 

Sofort langte Narzissa über den Tisch und fasst nach Dracos rechter Hand. „Natürlich nicht. Wir haben nur darüber gesprochen…“
 

„Es war nur ein Gedanke, den wir beide hatten“, schaltete Lucius sich ein. „Du bist zu jung, um in diese ganzen Todesser-Missionen verwickelt zu werden.“
 

„Morgen geht es zurück nach Hogwarts, dann bin ich nicht mehr hier.“
 

Wieder tauschten seine Eltern einen seltsamen Blick aus. „Das ist es, was uns Sorgen macht“, erklärte sein Vater leise. „Ich vertraue Severus und weiß, was für ein fähiger Zauberer er ist. Aber es gibt im Schloss auch Feinde und ich fürchte, es ist nur eine Frage der Zeit, bis er Krieg auch in Hogwarts ankommt.“
 

Irritiert blickte Draco zwischen seinen Eltern hin und her. „Mehr Geheimnisse?“
 

Beide zögerten, doch dann war es Narzissa, die das Schweigen brach. „Wir haben überlegt, ob es eine Möglichkeit gibt, dich in Sicherheit zu bringen. Weg von hier, aber nicht in Hogwarts.“
 

Schockiert starrte Draco seine Mutter an, ohne eine Antwort zu geben. Wie lange hatte er selbst schon genau darüber nachgedacht? Wie sehr hatte er sich gewünscht, dass er nicht hier sein musste, nicht in Hogwarts sein musste? Und wie sehr sehnte sich ein immer größerer Teil von ihm danach, einfach mit Hermine zu fliehen? Hatte er nicht gerade erst darüber nachgedacht, mit ihr irgendwohin zu gehen, wo niemand sie kannte, wo es keinen Krieg gab?
 

Doch ehe er etwas dazu sagen konnte, unterbrach das leise Klacken von Absatzschuhen das verschwörerische Gespräch am Tisch. Seine Tante war offensichtlich zurück. Mit einem schnellen Blick zu seinen Eltern, die schon wieder zurück in ihre Rollen als kühle, emotionslose Hausherren gefallen waren, nahm Draco Messer und Gabel in die Hand und setzte sein Mahl fort.
 

Er hoffte, dass er heute noch eine Chance bekommen würde, mit seinen Eltern über diesen sehnlichsten Wunsch zu sprechen.

Hermine.
 

Es ist Fluch und Segen, dass ich hier in Hogwarts so wohlbehütet bin. Ich muss nicht mit den anderen Todessern ausrücken, um euch zu fangen, aber ich weiß auch nicht, was wirklich draußen geschieht.
 

Die Schulpflicht für alle dieses Jahr ist lachhaft. Es ergibt alles keinen Sinn und ich verstehe nicht, wie das niemand sehen kann. Alle Hexen und Zauberer zwischen 11 und 18 müssen nach Hogwarts gehen, auch muggelgeborene, obwohl die angeblich ihre Magie gestohlen haben von Reinblütern? Wenn sie angeblich Diebe sind, warum zwingt man sie dann, zur Schule zu gehen, anstatt ihnen ihre gestohlenen Zauberstäbe abzunehmen?
 

Ich verstehe es einfach nicht. Ich sehe diese Schüler, ich sehe, wie die Carrows sie foltern, ja, foltern. Und ich kann nichts tun. Niemand kann irgendetwas tun. Sind die alle nur hier, damit die Reinblüter jemanden haben, an dem sie den Cruciatus trainieren können?
 

Ich werde wahnsinnig. Wieso hört man nichts mehr von euch? Wo seid ihr? Was plant ihr. Ich weiß, ich sollte es gut finden, dass ich nichts von euch höre, weil das bedeutet, dass ihr noch lebt. Aber es macht mich wahnsinnig.
 

Hermine. Wenn wir uns wiedersehen, wird dann alles wie vorher? Werden wir dann ein normales Paar? Ich meine, sind wir ein Paar?
 

Ich kann mir nicht helfen, diese Unsicherheit kommt immer wieder. Die Frage, ob du mich noch liebst. Du bist seit Monaten alleine mit Potter und Weasley. Es wäre eher seltsam, wenn da nicht was zwischen euch passieren würde, oder?
 

Wenn du sehen könntest, wie alle meine Briefe immer wieder zu dieser Frage zurückkehren … ich bin froh, dass du sie nicht liest. Wenn du sehen könntest, wie erbärmlich ich bin, würdest du vermutlich wirklich vor mir fliehen. Mindestens mit diesen Briefen würde ich dich vertreiben. Ich weiß das. Wenn auch nur der Hauch einer Chance bestehen würde, dass du irgendetwas hiervon liest, würde ich niemals so offen schreiben. Dieses erbärmliche Geheimnis nehme ich mit ins Grab.
 

Mit einem Augenrollen schob Draco das Pergament von sich. Er war auch so schon erbärmlich genug, er musste das nicht auch noch aufschreiben und sich damit noch erbärmlicher machen. Energisch schwenkte er seinen Stab, um auch diesen Brief zu vernichten.
 

Er ließ sich zurückfallen, die Arme von sich gestreckt, den Blick auf den Stoff über seinem Himmelbett gerichtet. Sein Leben ging so normal weiter hier in Hogwarts, dass er mit jedem Tag, der verging, mehr das Gefühl hatte, dass er jeden Bezug zur Realität verlor. Er hatte nichts, was ihn am Boden hielt. Manchmal fühlte er sich, als würde er die Welt nur noch durch ein dickes Okklumentik-Schild wahrnehmen, das er nicht bewusst steuern konnte.
 

Das Rascheln eines Vorhangs signalisierte Draco, dass einer seiner Mitbewohner gerade dabei war, ins Bett zu gehen. Er setzte sich auf und zog den Stoff am Fußende seines Bettes ein Stück zur Seite, um zu sehen, wer es war.
 

„Alles klar?“ Theo schien Augen im Hinterkopf zu haben, so schnell reagierte er darauf, ohne sich zu ihm umzudrehen.
 

„Alles klar“, gab Draco zurück. Er wusste nicht, was er noch sagen sollte. Es war ewig her, dass er ein echtes Gespräch mit irgendeinem Slytherin gehabt hatte.
 

Er wollte gerade seinen Vorhang wieder zuziehen, da drehte sich Theodore um und bedachte ihn mit einem so kühlen Blick, dass er in seiner Bewegung innehielt. Mit vor der Brust verschränkten Armen setzte Theo sich auf die Kante seines Bettes. „Du bist nicht sonderlich gesprächig dieses Jahr.“
 

In einer Geste, die hoffentlich unbeeindruckt wirkte, lehnte Draco sich mit überschlagenen Beinen an den Bettpfosten. „Gibt nicht viel zu sagen.“
 

Theo schnaubte. „Nicht viel zu sagen? Ernsthaft, Draco? Ich glaube, es gab noch nie so viel zu sagen wie in diesem Jahr.“
 

„Für andere vielleicht“, versuchte er abzublocken, doch er sah, dass der Blick des anderen Slytherin noch immer voller kühler Zweifel war.
 

„Lass mich sehen“, setzte Theodore an und hielt eine Hand hoch, an der er nacheinander seine Finger abzählte. „Du hast letztes Jahr Dumbledore getötet, das wäre Anlass zu sehr viel Gerede von dir. Der Dunkle Lord wohnt praktisch bei deinen Eltern. Du bist seit über einem Jahr Todesser und sicher bei vielen Missionen ganz vorne mit dabei. Du triffst dich regelmäßig mit Professor Snape.“ Er tat so, als würde er überrascht auf seine Hand schauen. „Das sind schon vier Gründe und ich habe nicht einmal hart nachdenken müssen. Du hast so viel zu erzählen. Und trotzdem bist du stumm.“
 

Draco schluckte. Theodore Nott war schon immer einer der scharfsinnigsten Mitschüler in seinem Jahrgang gewesen. Es gab wenig, was ihm entging. Darum bemüht, seine gelangweilte Fassade aufrecht zu erhalten, schaute Draco ihn ausdruckslos an. „Und dein Punkt ist?“
 

Die Antwort war ein demonstratives Augenrollen und ein sehr genervter Tonfall. „Komm schon, Draco. Je mehr du so tust, als ob dich das alles nicht berührt, umso zweifelhafter wirkst du. Die Geschichten um deine Fehde mit Potter sind Legende in Slytherin. Dein öffentlicher Gebrauch des Worts Schlammblut gegen Granger ist noch heute allen im Sinn. Du hattest immer zu allem eine Meinung und warst ziemlich laut darin, sie allen mitzuteilen.“
 

„Ich bin kein Kind mehr“, schnappte Draco, der selbst zunehmend genervt von dem Gespräch war. Alles, was Theo sagte, stimmte, und es zeigte ihm, wie unfassbar offensichtlich seine plötzliche Veränderung war.
 

„Ah, ja, natürlich, du bist innerhalb eines Sommers plötzlich erwachsen geworden.“ Theodore erhob sich von seinem Bett und schlenderte zu Dracos rüber, wo er sich ohne Aufforderung niederließ und gegen den anderen Bettpfosten lehnte.
 

„Okay, es wird langsam langweilig. Was willst du von mir?“ Draco bedachte Theo mit einem ähnlich kühlen Blick wie der zuvor gezeigt hatte.
 

„Weißt du, Draco. Je mehr du leugnest, dass du etwas verheimlichst, umso auffälliger wird es. Sind wir Slytherin oder nicht?“
 

„Da weißt du mehr als ich. Sag mir, Nott, was verheimliche ich?“ Draco legte so viel Spott wie möglich in seine Stimme, doch er war sich unsicher, ob er das Zittern vollständig unterdrücken konnte. Er spürte, wie sein Nacken sich verspannte.
 

„Ich weiß nicht, Malfoy“, gab Theodore ebenso spöttisch zurück. „Wenn ich es wüsste, würden wir dieses Gespräch nicht führen.“ Er hielt kurz inne, als müsste er darüber nachdenken. „Oder vielleicht doch.“
 

„Verstehe. Und weil wir hier in Slytherin alle so offen sind, würde ich dir natürlich auf simple Nachfrage verraten, falls ich etwas verheimliche. Ergibt Sinn.“
 

Ergeben hob Theo beide Hände. „Ich sehe, ich komme hier nicht weiter. Ich weiß nicht, was du vor uns allen verbirgst, aber ich bezweifle, ich bin der Einzige, der spürt, dass da etwas ist. Du kannst vielleicht Pansy überzeugen, dass alles wie immer ist, aber nicht mich und sicher viele andere auch nicht. Also. Hier die eine Warnung. Sei besser. Hör auf, mit jedem Schritt, mit jedem Atemzug so verdammt verdächtig zu sein.“
 

Bevor er wusste, was er da tat, ließ Draco seinen Zauberstab aus dem Ärmel gleiten und presste ihn an Theodores Kehle. Sein Gesicht war nur Zentimeter von Theos entfernt und so konnte er jede Regung ganz genau sehen. Er zeigte kurz Überraschung, aber da war keine Angst. Nur immer noch diese abstoßende Überlegenheit, als wäre er unantastbar.
 

„Oh Draco. Draco, Draco, Draco. Wie tief willst du dein eigenes Grab noch schaufeln?“
 

„Hüte deine Zunge!“, zischte er. Wut, angeheizt von allumfassender Panik, brodelte in seinen Adern. Er ignorierte den Schweiß, der ihm den Rücken runterlief. Es war ihm egal, dass Theo sehen konnte, wie seine Hände zitterten. „Glaub ja nicht, dass ich davor zurückschrecken würde, dich in Stücke zu reißen, wenn du nicht sofort deinen Mund hältst.“
 

Endlich schien Theodore ihn ernst zu nehmen. Das überhebliche Grinsen verschwand von seinen Lippen. „Siehst du. Das glaube ich dir tatsächlich.“
 

Er drückte seinen Stab härter gegen Theodores Hals. „Gut. Schön, dass wir uns verstehen. Und jetzt spuck aus, was du wirklich von mir willst.“
 

Die Augen des anderen Jungen schielten nach unten auf den Zauberstab, während er sich über die Lippen leckte. „Wir könnten Freunde sein, weißt du?“
 

„Bull. Shit. Letzter Versuch. Was willst du?“, knurrte Draco, nur noch mühsam in der Lage, seinen Zorn zu zügeln.
 

„Ich glaube, wir beide haben mehr gemeinsam, als du denkst.“ Sein Blick kehrte zu Dracos Augen zurück. „Aber wenn du es nicht aussprechen willst, werde ich das auch nicht tun. Ich weiß, was gut für meine Gesundheit ist.“
 

Nicht zum ersten Mal wünschte Draco sich, dass Snape ihm nicht nur Okklumentik, sondern auch Legilimentik beigebracht hätte. Er wollte wissen, was in Theos Kopf vorging. Er schien etwas andeuten zu wollen, doch er würde es nicht aussprechen, wenn Draco es nicht tat.
 

Erschöpft ließ Draco seinen Stab sinken und rückte von Theodore ab. Er wusste nicht, ob ausgerechnet dieser Slytherin es ernst meinte mit dem, was er indirekt aussprach, oder ob er ihn nur in eine Falle locken würde. Theodore hatte sich immer zurückgehalten und eine unauffällige Neutralität bewahrt. Es war unmöglich einzuschätzen, für welche Seite in diesem Krieg er sich jetzt entscheiden würde. Draco würde es nicht wagen zu hoffen, dass Theo so wie er selbst schon lange nicht mehr an Voldemort und seine Sache glaubte. Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Das letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war falsche Hoffnung.
 

„Es tut mir leid, Draco“, flüsterte Theo, ohne ihn anzuschauen. „Du kennst mich. Ich habe mich immer aus allem rausgehalten. Beobachten, analysieren, eigenen Vorteil suchen. Das ist, was ich gut kann. Ich weiß nicht, wie man ein guter Freund ist. Ich bereue es, dass wir nie echte Freunde geworden sind. Und es sieht so aus, als wäre es jetzt zu spät.“
 

„Trag nicht zu dick auf.“ Mit jedem Wort, dass Theodore sprach, glaubte Draco ihm weniger. Erst gab er sich überheblich und allwissend, dann tat er so, als würde er sein Verhalten bereuen, und jetzt wollte er sein Freund sein? Es war lächerlich durchsichtig.
 

Theo schenkte ihm ein schräges Lächeln, dann erhob er sich und schlenderte mit derselben Ruhe wie zu Anfang zurück zu seinem Bett, wo er augenblicklich die Vorhänge zuzog. Kopfschüttelnd tat Draco es ihm nach. Er zwirbelte seinen Zauberstab zwischen den Fingern, während er über das kurze Gespräch nachdachte. Er versuchte, sich jedes Wort zu merken, das gesprochen worden war, um es am nächsten Tag genauer analysieren zu können.
 

Vielleicht tat er Theodore Nott unrecht. Seine eigenen Eltern hatten ihn überrascht, als er zu Weihnachten zuhause in Malfoy Manor gewesen war. Sein Vater hatte stets zu den einflussreichsten und loyalsten Anhängern von Voldemort gehört, aber ausgerechnet er überlegte nun, ob sie Draco verschwinden lassen konnten, um ihn aus dem Krieg rauszuhalten. Vielleicht hatte Theo eine ähnliche Wandlung hinter sich und sah Dinge jetzt anders.
 

Müde fuhr er sich über das Gesicht und durch die Haare. Es spielte keine Rolle. Er konnte es nicht riskieren. Wenn Dinge anders wären, würde er vielleicht versuchen, einen Schritt auf Theo zuzugehen. Wenn er nicht ein viel größeres, schlimmeres Geheimnis, das sogar seine Eltern gegen ihn aufbringen würde, hütete, wäre alles anders.
 

Aber wenn er irgendeinen Verdacht erregte und Voldemort ihm in den Kopf schaute, war er geliefert. Er wusste, er war lange nicht gut genug in Okklumentik, um einer intensiven Probe standzuhalten. Und wenn irgendjemand Hermine in seinen Gedanken entdecken würde, war alles vorbei.
 

Hermine.
 

Alles in seinem Leben drehte sich nur noch um sie. Seine Gedanken jeden Tag. Die Entscheidungen, die er fällte. Er unterdrückte die Tränen, die sich unwillkürlich bilden wollten. Er musste sie geheim halten. Um sich zu schützen. So sehr er sich auch wünschte, er könnte der ganzen Welt sagen, dass sie ihm gehörte, er konnte nicht. Noch nicht. Vielleicht niemals.
 

Aber das war die eine kleine Hoffnung, die er sich erlaubte. Dass es bald, irgendwann, soweit war, dass sie endlich zusammen sein konnten.

Hermine.
 

Ich habe seit Weihnachten nichts mehr von euch gehört. Inzwischen ist es Ende März und ich bin wieder zu Hause bei meinen Eltern für die Osterferien. Es fühlt sich an, als würde die Zeit langsamer vergehen. Jeder Tag ist eine Qual. In Hogwarts lerne ich brav für den Abschluss und gebe mich den anderen Schülern aus Slytherin gegenüber als Held aus, der Dumbledore getötet hat. Ich hasse alles daran.
 

Immerhin hat Snape aufgehört, mich jedes Wochenende zu einem Gespräch zu zwingen. Was auch immer er von mir wollte, er scheint es aufgegeben zu haben. Inzwischen sind über zwanzig Schüler verschwunden und das scheint einen Großteil seiner Zeit einzunehmen. Er sucht nach ihnen, aber keiner weiß, wo sie sind. Keiner außer mir und ich werde nichts sagen.
 

Draco unterbrach sein Schreiben. Hatte er Schritte auf der Treppe gehört? Ja, das waren eindeutig Schritte. Fluchend packte er das Pergament und warf es in das brennende Feuer des Kamins.
 

Keine Sekunde später ging die Tür auf und seine Tante kam rein. „Draco, Draco, Draco! Wir brauchen deine Hilfe! Komm, komm, du musst uns helfen, drei Flüchtlinge zu identifizieren!“
 

Eiskaltes Entsetzen schwappte über ihn. Während er sich wie benommen von seiner Tante aus dem Zimmer ziehen ließ, schossen ihm tausend Gedanken gleichzeitig durch den Kopf. Hatten sie Potter gefangen? Sie hatten von drei gesprochen, also waren Hermine und Weasley vermutlich dabei. Er sollte sie identifizieren? Warum? Mindestens Potter müssten doch alle erkennen können. Vielleicht waren es auch andere drei.
 

Was sollte er tun, wenn es wirklich Hermine war? Wenn er sagte, wer sie war, wäre sie tot. Egal ob mit oder ohne Potter, sie war eine muggelgeborene Hexe in einem Anwesen voller Todesser. Schweiß trat ihm aus jeder Pore. Was sollte er tun?
 

Bellatrix zog ihn die Treppe hinunter und zum großen Ballsaal. Seine Eltern waren auch beide da, genauso wie jeder andere Todesser, der gerade hier wohnte. Sein Blick fiel auf die drei Gefangenen.
 

Da stand sie. Hermine. Panik im Gesicht, am ganzen Körper zitternd und dünner, als er sie in Erinnerung hatte, wurde sie von Fenrir Greyback festgehalten. Neben ihr standen Potter und Weasley in den Händen von Scabior und seinen Greifern. Wie paralysiert starrte Draco zu Hermine. Sie war so nah. Und gleichzeitig unerreichbar.
 

Sie schwebte in Lebensgefahr.
 

„Draco.“ Die Hand seines Vaters legte sich schwer auf ihn. „Sieh genau hin. Ist das Harry Potter?“
 

Draco schluckte. Nur mit Mühe konnte er seinen Blick von Hermine abwenden und zu Potter schauen. Er blinzelte. Etwas stimmte mit seinem Gesicht nicht. Er sah aufgedunsen aus, mit aggressiven Pusteln im ganzen Gesicht. Und er trug seine Brille nicht. Unsicher drehte er sich zu seinen Eltern um. Beide hatten Potter oft genug gesehen, um ihn zu erkennen, doch sie wirkten unschlüssig.
 

Warum auch immer sein Gesicht so aussah, es schien ihm Zeit zu kaufen. Draco leckte sich über die Lippen. „Ich weiß es nicht. Sein Gesicht sieht falsch aus.“
 

„Was habt ihr mit seinem Gesicht gemacht?“, kreischte Bellatrix hysterisch und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf Scabior.
 

„‘S war ich nicht!“, sagte der sofort. „War schon so, als wir ihn geschnappt haben. Ehrlich!“
 

Unbewusst wanderte Dracos Blick zu Hermine zurück. Es war, als wäre sein schlimmster Albtraum plötzlich Realität. Sie war hier, gefangen, zusammen mit Potter, und es war nur eine Frage der Zeit, bis er erkannt wurde. Seine lahme Ausrede, dass er sich nicht sicher war, würde nicht lange halten. Was sollte er tun? Was konnte er tun?
 

„Wo hast du das her?“ Das hasserfüllte Kreischen seiner Tante unterbrach seinen panischen Gedankenstrudel. „Wo hast du das Schwert her?“
 

Irritiert schaute Draco zu Greyback, der Hermine nur noch mit einer Hand festhielt und die andere abwehrend erhoben hatte. Tatsächlich, da an seiner Hüfte hing ein Schwert.
 

„Ich hab’s bei denen im Zelt gefunden“, erklärte der Werwolf ruppig. „Ich hab’s gefunden und jetzt gehört es mir!“
 

„Was?“ Die Stimme von Bellatrix wurde noch einen Ton schriller. „Bei denen? Wie kommt ihr daran? Es war in meinem Verlies in Gringotts! Niemand kommt daran!“
 

Überfordert schaute Draco auf das Chaos, das sich vor ihm entfaltete. Er verstand nicht, was vor sich ging, und er wusste nicht, was er tun konnte, um Hermine zu schützen. Hilfesuchend blickte er zu seinem Vater.
 

„Ich habe keine Ahnung, was mit Bella los ist, aber wir sollten jetzt unseren Lord rufen“, meinte Lucius. „Ich bin mir sicher, dass wir hier Potter haben, und selbst wenn nicht, der da ist auf jeden Fall der Weasley-Junge, der immer mit ihm rumläuft. Und das andere ist dieses Schlammblut, Granger oder wie sie heißt. Das sollte uns Belohnung genug geben!“
 

Panik ließ Dracos Beine zittern. Wenn Voldemort jetzt hier auftauchte, war Hermine so gut wie tot. Er musste das verhindern. Er musste einen Grund finden, warum sie ihn nicht rufen sollten. Aber was? Was konnte er sagen?
 

„Untersteh dich!“, peitschte da die Stimme seiner Tante durch den Raum. In Sekundenschnelle war sie bei Lucius und umklammerte den Unterarm mit dem Dunklen Mal. „Wenn wir unseren Lord jetzt rufen, sind wir alle verloren!“
 

„Wovon redet du, Bella?“, kam es irritiert von Dracos Mutter.
 

„Verstehst du nicht, Zissy?“ Mit zwei langen Schritten war sie hinter ihrer Schwester und legte ihr einen Arm um die Schultern, während der andere auf das Schwert in Greybacks Hand deutete. „Unser Lord hat mich angewiesen, auf das Schwert aufzupassen. Snape hat es von Hogwarts aus in mein Verlies schicken lassen. Es war meine Aufgabe, es zu bewachen. Unser Lord hat mich dafür ausgewählt und mir deutlich gesagt, dass es Gringotts niemals verlassen darf.“
 

„Red, so viel du willst, Weib!“, fauchte ein plötzlich ungeduldiger Scabior. „Ruft den Dunklen Lord! Wir wollen unser Gold für den Fang, den wir gemacht haben!“
 

„Und das Schwert is‘ meins! Ich hab’s gefunden!“, beharrte Greyback.
 

In schneller Folge trafen drei rote Blitze die Greifer. Ohne mit der Wimper zu zucken hatte Bellatrix sie mit einem Stupor gelähmt. Den Zauberstab auf den als einzigen noch stehenden Greyback gerichtet trat sie ganz dich an ihn heran. „Das Schwert gehört unserem Lord. Gib es her oder ich verbrenne dich bei lebendigem Leib!“
 

Draco konnte sehen, wie der Werwolf unsicher auf den Zauberstab blickte, den Bellatrix ihm an die Kehle hielt. Dann knickte er murrend ein und reichte ihr das Schwert. Zufrieden trat sie zurück. „Los, Draco, schaff diesen Abschaum raus“, befahl sie ihm mit einer abfälligen Geste auf die gelähmten Greifer.
 

„Du hast ihm gar nichts zu befehlen!“, herrschte seine Mutter sie an. „Das hier ist immer noch unser Haus!“
 

„Hüte deine Zunge, Zissy! Du hast ja gar keine Ahnung – ich muss rausfinden … aber wenn das wirklich Potter ist … er gehört dem Dunklen Lord, wir dürfen ihn nicht anfassen.“ Leise vor sich hin murmelnd ging Bellatrix im Saal auf und ab.
 

Verstohlen blickte Draco erneut zu Hermine. Sie wurde immer noch von Greyback festgehalten, der sie deutlich zu stark an seinen Körper presste. Angewidert registrierte Draco, dass der Werwolf an ihr zu riechen schien. Hermine zitterte, doch ihr Blick war stur auf den Boden gerichtet. Als wollte sie unbedingt vermeiden, zu Draco zu schauen.
 

„Bring sie runter in den Keller zu den anderen.“ Bellatrix schien zu einem Entschluss gekommen zu sein. „Bring die zwei runter, aber lass das Schlammblut hier.“
 

Unwillig stieß Greyback Hermine von sich, so dass sie auf ihre Knie fiel. Er packte Potter und Weasley an den Fesseln und zwang sie, ihm zu folgen.
 

„Nein!“, schrie Weasley. „Nicht Hermine! Behalten Sie mich da! Nicht Hermine!“
 

Kopfschüttelnd blickte Bellatrix den beiden nach. „Blutsverräter. Eine Schande für eine reinblütige Familie.“
 

Eiskalter Schweiß lief Draco den Rücken runter. Vor ihm auf dem Boden kniete Hermine und er konnte nichts tun. Lachend, als wäre sie dabei, sich einen lustigen Streich zu erlauben, trat Bellatrix ihr gegen die Brust und zwang sie so auf den Rücken. Mit abstoßender Begeisterung stürzte sie sich auf Hermine, die Knie rechts und links von ihrer Hüfte auf dem Boden, in der einen Hand einen hässlichen Dolch, die andere Hand um Hermines Kehle gelegt.
 

„Komm, kleines Schlammblut, sing für uns“, gurrte sie. „Woher habt ihr das Schwert?“
 

Hermine schüttelte wild den Kopf. „Ich weiß es nicht. Wir haben es gefunden!“
 

„Lügnerin!“, zischte Bellatrix. Mit einem Ruck schob sie einen Ärmel von Hermines Pullover hoch und setzte die Klinge an die blasse Haut. „Versuch’s nochmal. Woher habt ihr es?“
 

Die Klinge schnitt tief in ihr Fleisch. Der Schrei, den Hermine ausstieß, ging Draco durch Mark und Bein. Ganz entfernt nahm er wahr, dass Weasley im Keller nach Hermine rief. Immer wieder setzte seine Tante die Klinge an, immer wieder schrie Hermine auf, doch ihre Antwort blieb immer die gleiche.
 

Draco fühlte sich, als ob er neben sich stand. Hermine wurde vor seinen Augen gefoltert und er rührte sich nicht vom Fleck. Er griff nicht ein. Alles in ihm schrie danach, seiner Tante einen Fluch auf den Hals zu hetzen, doch er konnte sich nicht bewegen. Seine Muskeln gehorchten ihm nicht. Als wäre jemand anderes in Kontrolle seines Körpers. Er hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. Die Welt schien zu schrumpfen. Schien nur noch aus Hermine und Bellatrix zu bestehen. Kein Geräusch außer ihrer verzweifelten Schreie war zu hören.
 

Blut tropfte auf den Parkettboden. Hermines Blut.
 

Tränen liefen ihr über die Wangen.
 

Ihre Beine zuckten.
 

Ihr Oberkörper versuchte sich aufzubäumen.
 

Ein weiterer Schrei. Ein hysterisches Lachen.
 

Bellatrix stand auf, stellte sich vor Hermine. Grinste breit.
 

„Crucio!“
 

Hermines Körper verkrampfte sich. Keine Schreie kamen mehr von ihr, nur noch raues Stöhnen, als hätten ihre Stimmbänder versagt. Keine Tränen liefen ihr mehr über die Wangen.
 

Ihr Blick fiel auf ihn. Matte Augen, hinter denen kaum noch Licht war.
 

Dann blitzte so etwas wie Erkennen in ihnen auf. „Hilfe“, schienen ihre Lippen zu formen, doch sofort wurde ihr Mund vom nächsten heiseren Stöhnen verzogen.
 

Ein heißer Schauer lief durch Draco und plötzlich war die Welt wieder da. Er schwankte kurz, so überwältigt war er für einen Moment von all den Geräuschen, Gerüchen und Bildern, die auf ihn eindrangen. Er musste etwas tun. Jetzt. Egal, was es war, er musste etwas tun, sonst würde er Hermine verlieren.
 

„Ist es überhaupt das Schwert?“
 

Augenblicklich wirbelte seine Tante herum und brach den Folterfluch ab. „Was?“
 

Draco holte tief Luft und schaute ihr entschlossen in die Augen. „Ergibt es Sinn, dass diese drei zufällig das Schwert haben? Und wüsstest du nicht ganz genau, ob jemand in dein Verlies eingebrochen ist? Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass sie eine Kopie haben? Ich weiß nicht, warum das Schwert wichtig ist, aber wenn unser Lord es beschützen will, wird es einen Sinn haben. Vielleicht haben sie eine Kopie anfertigen lassen, um uns reinzulegen.“
 

Er ballte die Fäuste hinter seinem Rücken, um seine Anspannung zu unterdrücken. Seine Tante schaute ihn aus zusammengekniffenen Augen an, doch dann nickte sie. „Eine Kopie. Das kann sein. Draco, hol den Kobold aus dem Keller. Er wird wissen, ob das hier das echte Schwert ist! Und nimm das Schlammblut mit runter!“
 

Beinahe hätte er vor Erleichterung aufgeseufzt, doch er zwang sich, einen grimmigen Gesichtsausdruck beizubehalten. Grob packte er Hermine und schlang sich einen Arm um die Schultern, um ihr auf die Beine zu helfen. Er wagte es nicht, sie anzuschauen, und konzentrierte sich stattdessen ganz darauf, sie durch den Saal zur Treppe zu führen.
 

Sie wehrte sich nicht. Sie schien nicht einmal wahrzunehmen, dass sie neben ihm ging. Blut tropfte an ihrem Arm herab und hinterließ eine Spur quer durch die Eingangshalle und die Treppe zum Keller hinunter. Sie setzte Schritt um Schritt, aber Draco spürte, dass sie nicht ganz da war.
 

Am Fuß der Treppe angekommen wies er Wurmschwanz an, die Kerkertür zu öffnen und hinter ihm wieder zu verschließen. Zu seiner Überraschung war der Kerker hell erleuchtet, obwohl er sich sicher war, dass es hier immer dunkel sein sollte.
 

„Was hast du mit ihr gemacht, du Schwein!“
 

Obwohl sie noch immer gefesselt waren, stürzten sich Potter und Weasley auf ihn, kaum dass sie ihn bemerkt hatten. Ergeben ließ er Hermine zu Boden sinken und stellte sich ihren wüsten Flüchen. Es würde schwer werden, mit den beiden rational zu sprechen.

„Ich habe gar nichts gemacht“, wehrte Draco kühl ab. Er hatte nur wenige Moment, ehe er wieder oben erwartet wurde, also musste er die Zeit sinnvoll nutzen, wenn er Hermine und ihre Freunde retten wollte.
 

Ein leises Stöhnen von Hermine, die inzwischen bewusstlos geworden war, lenkte seine Aufmerksamkeit von den beiden Jungs ab. Ohne darüber nachzudenken, was er gerade tat, streckte er eine Hand nach ihr aus.
 

„Fass sie ja nicht an!“ Weasleys Stimme war so aggressiv und schneidend, dass Draco unwillkürlich innehielt. Obwohl er die Hände auf dem Rücken gefesselt hatte, brachte er seinen Körper zwischen Hermine und Draco, als könnte er sie damit schützen. „Behalt deine schmierigen Griffel bei dir, Malfoy, oder ich reiß dir die Zunge raus.“
 

Dracos Blick wanderte zu Potter, der sich hinter seinem Freund auf den Boden gekniet hatte, um einen genaueren Blick auf Hermine zu werfen. Die Sorge und Wärme in seinem Blick war ein Schlag in die Magengrube. Es war das erste Mal seit über einem halben Jahr, dass er Hermine mit ihren beiden besten Freunden zusammen sah, und er konnte sich nicht helfen, sein Misstrauen und seine Zweifel wuchsen.
 

Entschlossen schüttelte er den Kopf. Das war alles völlig irrelevant. Er war hier, um sie zu retten, egal, wie es um ihre Gefühle für ihn und die beiden anderen Männer bestellt war. Im schummrigen Licht des Kellers suchte er nach dem Kobold. „Griphook. Meine Tante will dich sehen.“
 

Der Kobold bedachte ihn mit einem eiskalten Blick, doch er raffte sich von seinem Platz in einer Ecke auf und kam zu ihm. „Meine Dienste stehen Ihnen zur freien Verfügung, Mr. Malfoy.“ Der Spott war unüberhörbar.
 

Draco nickte, ehe er sich wieder zu Weasley wendete. Er könnte alle Gefangenen rausapparieren, aber dann wäre klar, dass er sich gegen Voldemort gestellte hatte. Selbst wenn er dann nicht mehr in Gefahr war, seine Eltern würden die Strafe dafür tragen, und das konnte er nicht riskieren. Er musste einen Weg finden, wie er sie befreien konnte, ohne dass er sich verdächtig machte.
 

Er nickte grimmig und ging dem Kobold voraus die Treppe wieder hoch. Hinter ihm hörte er das leise, verzweifelte Flüstern der beiden jungen Männer, die sich offensichtlich um die noch immer bewusstlose Hermine sorgten. Was konnte er tun?
 

Oben angekommen stürzte sich seine Tante sofort auf den Kobold. Kreischend hielt sie ihm das Schwert unter die Nase und verlangte zu wissen, ob es echt sei. Griphook schien unbeeindruckt, als er das Schwert in die Hand nahm und in aller Seelenruhe begutachtete.
 

Außer seinen Eltern und Wurmschwanz hatten alle anderen den Raum inzwischen wieder verlassen. Wenn er eine Chance darauf hatte, irgendetwas für die Gefangenen zu tun, dann war es jetzt. Aber dafür musste er zurück in den Keller. Hektisch schaute er zwischen seiner Tante, seinen Eltern und Wurmschwanz hin und her. Er konnte beinahe körperlich spüren, wie die Sekunden dahin tickten. Was konnte er sagen?
 

„Tante Bella.“ Er trat näher an sie heran und legte ihr eine Hand auf die Schulter, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. „Soll ich nochmal runter in den Keller gehen und sehen, ob die anderen etwas wissen?“
 

Unwirsch stieß sie ihn von sich. „Ja, mach nur, mach, was du willst. Du wirst aus denen nichts rausbekommen, aber mach nur. Hier bist du eh nutzlos!“
 

Er warf kurz einen Blick zu seinen Eltern, die ihn misstrauisch anschauten, dann drehte er sich um und kehrte in den Keller zurück. Darauf bedacht, kein Misstrauen zu erwecken, verschloss er die Gittertür hinter sich und legte einen Zauber darauf, der keine Geräusch durchlassen würde.
 

„Was jetzt?“, wurde er sofort mit beißendem Spott von Potter begrüßt. „Willst du sicher gehen, dass deine Eltern nicht hören, wie du uns folterst? Hätte gedacht, dass sie das gutheißen nach allem, was deine Tante mit Hermine angestellt hat.“
 

Draco biss sich auf die Zunge und ignorierte den herausfordernden Kommentar. Den Zauberstab immer noch erhoben näherte er sich den fünf Menschen. Hermine war wieder wach und klammerte sich weinend and Weasley, der ihn mit bösem Blick fixierte. Obwohl seine Hände auf dem Rücken gefesselt waren, nutzte er den Rest seines Körpers, um ihr Halt zu geben. Die körperliche Nähe und die Selbstverständlichkeit, mit der Hermine ihn umarmte, bereitete Draco Übelkeit. Vielleicht hatte er sie wirklich verloren. Mehrere Atemzüge konnte er nur auf das verschlungene Paar starren, eingefroren vom Strom seiner Gedanken und Gefühle. Sie hatte sich für Weasley entschieden. Für den einfacheren Weg. Er konnte es ihr nicht einmal verübeln. Die Beziehung, die sie hatten, war immer schwer gewesen, kompliziert und voller Lügen und Geheimnisse. Nach so vielen Monaten war es klar, dass sie das nicht mehr wollte.
 

Er atmete tief durch. Das spielte keine Rolle. Er würde ihr helfen, egal, wie es um ihr Herz bestand. Er wusste nur noch nicht wie. „Ich bin nicht hier, um irgendjemanden zu foltern.“
 

„Na klar, und ich bin ein Metamorphmagus!“, erwiderte Weasley ätzend. „Spar dir deine Märchen und sag uns, was du hier willst.“
 

Potter erhob sich vom Boden und stellte sich direkt vor ihm. „Und vielleicht kannst du uns dann auch erklären, warum du mich nicht an deinen Vater verraten hast. Was für ein Spiel spielst du?“
 

„Harry.“ Die schwache Stimme von Hermine zog augenblicklich alle Aufmerksamkeit auf sich. Wieder musste Draco darum kämpfen, sich nicht vor ihr hinzuknien und sie in seine Arme zu ziehen. Stattdessen bleib er bewegungslos stehen und schaute nur auf sie hinab. „Harry, ich glaube, wir sollten ihm eine Chance geben.“
 

„Eine Chance?“, empörte Weasley sich sofort. „Hermine, das ist Malfoy. Was für eine Chance sollen wir ihm bitte geben?“
 

Ehe sie etwas erwidern konnte, ergriff Potter das Wort. „Eine Chance. Gib dir Mühe, dir eine schöne Geschichte einfallen zu lassen, und vielleicht glauben wir dir ein einzelnes Wort aus deinem Mund. Noch einmal. Warum hast du uns nicht verraten?“
 

Jedes Wort schien durch den Keller zu peitschen. Draco trat unwillkürlich einen Schritt zurück und hob seinen Zauberstab höher, um auf Potter Gesicht zu zeigen. Innerlich fluchend realisierte er, dass selbst ein gefesselter Potter ihm immer noch Angst machen konnte. Er holte tief Luft. „Glaub mir, ich bin der letzte, der will, dass Du-weißt-schon-wer gewinnt.“
 

Alle fünf Gefangenen sogen scharf die Luft ein. Draco schaute instinktiv zu Hermine, die ihn ebenso überrascht ansah wie die anderen. Es tat verdammt weh. Wieso war sie so überrascht von seinen Worten? Sie sollte doch von allen am besten wissen, wie es um sein Herz bestellt war. Oder dachte sie, dass er sich in den Monaten der Trennung plötzlich wieder Voldemort zugewendet hatte?
 

„Okay“, kam es gedehnt von Potter. „Nehmen wir mal für einen Moment an, dass das die Wahrheit ist. Was ist dein Plan?“
 

Kopfschüttelnd senkte Draco seinen Stab ein wenig. Vielleicht sollte er besser Taten als Worte sprechen lassen. „Zeig mir mal deine Hände, Potter.“
 

Er sah, wie der seine Augen zu Schlitzen zusammenzog und ihn abweisend musterte. Sein Blick ging ihm durch Mark und Bein, als könnte Potter ihm bis auf den Grund der Seele schauen. So offen er konnte erwiderte er den Blick. Endlich nickte er und drehte sich um, gegen den Protest von Weasley, der ihn für wahnsinnig erklärte.
 

Mit einem gezielten Schwenk löste Draco die Fesseln, ehe er auf die anderen Gefangenen, Lovegood und Ollivander, zuging und dasselbe bei ihnen wiederholte. Dann schaute er fragend zu Weasley. „Willst du auch Hilfe oder glaubst du immer noch, dass ich was im Schilde führe?“
 

„Ich traue dir keine Sekunde“, schnappte der, doch er drehte sich ein wenig in Hermines Umarmung um, so dass seine Hände zu ihm zeigten. „Aber ich werde bestimmt nicht als einziger gefesselt bleiben. Also, hier.“
 

Draco wiederholte die Geste, dann waren endlich alle frei. Schweigen breitete sich aus, als wüsste keiner der anderen, was sie sagen sollten. Es war Luna, die die Stille unterbrach. „Danke, Draco. Ich wusste, dass du uns nichts Böses willst.“
 

Er schenkte ihr ein schwaches Lächeln, doch sofort schoss Weasley dazwischen. „Glaub bloß nicht, dass wir dir deswegen jetzt trauen. Du hast da oben gestanden und zugesehen, während Hermine gefoltert wurde. Hast du dafür eine Entschuldigung? Oder hasst du Muggelgeborene so sehr, dass du es genossen hast? Das ist es, oder? Gib es ruhig zu, Malfoy, wir wissen alle, was du von Hermine hältst.“
 

Draco spürte, wie seine Geduld schwand. Er hatte gut Lust, nur Hermine und vielleicht die Lovegood zu retten, und den Rest hier für immer verrotten zu lassen. Er riskierte Kopf und Kragen für sie alle und bekam als Dank nur Beleidigungen zu hören.
 

Doch dann sah er, wie Hermine sich enger an Weasley kuschelte und er daraufhin seine Arme um sie schlang. Draco schluckte. Hermine würde es ihm nie verzeihen, wenn er Weasley und Potter nicht auch rettete. Und er hatte ja eh keine Wahl, die ganze Zauberergemeinschaft schien zu denken, dass Potter die Welt retten würde, also musste er ihn hier rausschaffen.
 

„Das ist doch alles egal gerade“, begann er schließlich. „Fakt ist, wir müssen euch hier rausschaffen und zwar schnell, ehe meine Tante oben mit dem Kobold fertig ist.“
 

„Du denkst doch nicht ernsthaft, dass wir dir abkaufen, dass du uns helfen willst!“, schoss Weasley wutentbrannt zurück.
 

„Lass mal, Ron“, schnitt Potter ihm das Wort ab. „Du willst uns helfen? Warum?“
 

Augenrollend trat Draco auf die Gruppe zu und setzte sich im Schneidersitz zu ihnen. Er steckte seinen Zauberstab nicht weg, aber er hoffte, dass diese Geste ihnen zeigen würde, dass er es ernst meinte. Einen Augenblick später tat Potter es ihm nach und sie saßen zu sechst im Kreis, Hermine noch immer zwischen den Beinen von Weasley.
 

„Das Warum spielt gerade keine Rolle, wir haben keine Zeit dafür. Ich habe keine Ahnung, wie ich euch helfen kann, aber ich will es versuchen.“
 

Potter verschränkte die Arme vor der Brust. „Du könntest uns rausapparieren. Du kannst doch bestimmt durch die Schutzzauber, oder nicht?“
 

Er schüttelte eindringlich den Kopf. „Das ist keine Option. Ich komme zwar raus, aber wenn ich euch so offensichtlich helfe, bringe ich meine Eltern in Gefahr. Das will ich nicht. Wir müssen einen anderen Weg finden.“
 

Weasley setzte zu erneutem Protest an, doch Potter bedeutete ihm mit einem Handzeichen zu schweigen. „Schön, okay. Ist es möglich, dass du als Malfoy die Schutzzauber so manipulierst, dass wir selbst rauskommen?“
 

Wieder schüttelte Draco den Kopf. „Das kann ich nicht. Nur Todesser werden durchgelassen. Und Hauselfen, aber das bringt uns nichts.“
 

Schweigen senkte sich über die Gruppe. Draco konnte sich nicht helfen, sein Blick wanderte immer wieder zu Hermine. Sie hatte sich inzwischen aus der Umarmung gelöst, aber lehnte sich immer noch an Weasley. Er konnte sehen, wie Blut ihren Arm runtertropfte und wünschte, er könnte ihr helfen. Doch er kannte keine Heilzauber und selbst wenn, er wusste nicht, ob die etwas gegen Wunden halfen, die von Bellas verfluchtem Dolch verursacht wurden.
 

„Hauself“, murmelte Hermine schwach. Ihr Blick schien sich förmlich in ihn zu bohren, als wollte sie ihm mit dem Wort etwas mitteilen, doch Draco verstand nicht, was. Er konnte schlecht den Malfoy Hauselfen befehlen, Gefangenen zu helfen. Das würde ebenso direkt auf ihn zurückfallen, wie wenn er sie selbst rausapparierte.
 

Was konnte sie nur meinen? Gab es eine Möglichkeit, einen Malfoy Hauself einzusetzen, ohne dass es ihm auf die Füße fiel? Er schloss die Augen und ging die Hauselfen der Reihe nach durch.
 

Aber natürlich! Er riss die Augen auf und setzte sich grader hin. „Potter. Der Hauself, den du uns vor ein paar Jahren gestohlen hast. Der gehört doch jetzt bestimmt dir, oder?“
 

Kurz schaute der verwirrt drein, dann runzelte er die Stirn und gab unwirsch zurück: „Du meinst Dobby? Dobby gehört mir nicht, er ist ein freier Elf.“
 

„Ein freier … Hauself?“ Draco konnte nicht glauben, was er da hörte. Natürlich würde Sankt Potter sich weigern, einen Hauself zu besitzen, und würde ihn stattdessen als freien Elf leiden lassen. Doch das war egal, er konnte ihm später erklären, was für eine schlechte Idee das war. „Hast du noch Kontakt zu ihm?“
 

Potter nickte. „Ja, Dobby hilft mir ab und an noch aus. Er ist zwar ein freier Elf, aber er scheint mich trotzdem wie eine Art Herrn zu behandeln.“
 

Erleichterung durchströmte Draco. Es gab einen Weg! „Perfekt. Hauselfen können durch die Schutzzauber von Zauberern durch, egal, ob sie zur Familie gehören oder nicht. Nur, wenn die Schutzzauber explizit gegen Hauselfen eingerichtet werden, kann man sie aussperren, aber daran denkt nie jemand. Dobby kann also rein und raus, wie er will. Und er kann euch mitnehmen.“
 

Jetzt war es an Potter, schockiert zu schauen. „Was? Aber wie kriege ich ihn her?“
 

Draco musste sich ein Augenrollen verkneifen. „Ruf ihn. Wenn Dobby dich als Quasi-Herrn ansieht, wird er dich immer hören, wenn du ihn rufst.“
 

Er schielte zu Hermine, die ihm ein kurzes Lächeln schenkte und nickte. Offenbar war genau das ihr Plan gewesen, sie hatte nur keine Kraft, mehr Worte auszusprechen. Wärme breitete sich in Draco aus, während er ihr Lächeln in seiner Erinnerung verankerte. Es war nur kurz gewesen, aber es war da. Auch wenn sie ihn nicht mehr liebte, sie schien ihn immer noch zu mögen. Das war genug.
 

Mit einem Plop tauchte ein Hauself in ihrer Mitte auf. „Dobby kommt, wenn Harry Potter ruft! Was kann Dobby für Harry Potter tun?“
 

Jubelschreie brachen unter den Gefangenen aus und auch Draco konnte sich ein kurzes, erleichtertes Lachen nicht verkneifen. Sie hatten einen Plan. Alles würde gut werden.

„Dobby, kannst du uns hier rausapparieren?“
 

Der Hauself schaute Potter aus seinen großen Augen an und nickte selbstbewusst. „Das ist kein Problem für Dobby! Ich kann alle Zauberer und Hexen apparieren.“
 

Draco hielt sich abseits von der Gruppe, darauf bedacht, nicht weiter bemerkt zu werden, aber bereit zu sein, sobald sie sich entschlossen, alle gemeinsam zu verschwinden. Das konnte er nicht zulassen. Er musste sich oben zeigen und die Gefangenen mussten noch einmal gesehen werden, ehe er sie gehen lassen konnte. Ansonsten war er genauso impliziert wie wenn er sie selbst appariert hätte.
 

„Harry, was ist mit unseren Zauberstäben?“ Weasley brachte einen guten Punkt ein. Selbst wenn ihnen die Flucht gelang, ohne Zauberstab würde das Trio wenig ausrichten können. Sie hatten zwar Ollivander dabei, aber ohne sein Geschäft und seine Materialien würde er ihnen auch keine neuen Zauberstäbe bieten können.
 

„Hat einer von euch gesehen, was die Greifer mit euren Zauberstäben gemacht hat?“ Hermine und Weasley schüttelten den Kopf.
 

Mit gerunzelter Stirn dachte Draco über die Frage nach. Scabior hatte zwei zusätzliche Zauberstäbe dabei, das hatte er noch gesehen, als er selbst den Raum betrat. Aber er war sich sicher, dass der Greifer die nicht mehr bei sich hatte. Sie lagen also vermutlich irgendwo oben rum oder seine Eltern hatten sie in der Hand.
 

„Das Schwert.“ Hermines schwache Worte zogen seine Aufmerksamkeit auf sich. „Auf die Stäbe können wir im Zweifelsfall verzichten, aber das Schwert. Ohne das Schwert sind wir wieder am Anfang.“
 

Draco sah, wie Potter bleich wurde und mit grimmig verzogenem Mund nickte. Er zögerte kurz, doch dann gewann seine Neugier. „Was ist mit dem Schwert? Warum ist es so wichtig und warum ist meine Tante deswegen so ausgerastet?“
 

Potter und Weasley warfen ihm böse Blicke zu. „Ist das der Grund, warum du uns geholfen hast? Damit wir dir was über das Schwert verraten?“
 

Augenrollend hob Draco beide Hände. „Ehrlich, Weaselbee. Wenn das mein Plan wäre, hätte ich ganz bestimmt nichts von dem Hauselfen gesagt. Der hätte euch schon längst hier rausholen können, ohne dass ich was dagegen machen könnte. Ich frage, weil das Schwert ein Grund zu sein scheint, warum ihr immer noch hier seid. Ihr verschwendet wertvolle Zeit.“
 

Potter legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter, um ihn daran zu hindern, aufzuspringen. Es war offensichtlich, dass Weasley der Hitzkopf in dem Trio war, obwohl Draco immer gedacht hatte, dass niemand so emotional sein konnte wie Potter. „Er hat recht, Ron. Wir müssen uns alle beruhigen und nachdenken. Dobby, kannst du Luna und Mr. Ollivander schon mal in Sicherheit bringen?“
 

„Aber natürlich! Wohin soll ich Freunde von Harry Potter bringen?“
 

„Mein Bruder hat einen geheimen Unterschlupf. Kannst du sie zu meinem Bruder Bill Weasley bringen?“
 

Der Hauself nickte eifrig und wandte sich an die beiden anderen Gefangenen. Luna Lovegood erhob sich in einer fließenden Bewegung vom Boden und streckte ihm eine Hand hin. „Wann immer Sie soweit sind, Sir.“
 

Ungläubig verbiss sich Draco ein Lachen. Welche Hexe würde einen Hauselfen siezen? Doch zu seiner Überraschung schenkte Dobby ihr ein strahlendes Lächeln. „Sir? Oh, ich mag Sie, Freundin von Harry Potter.“
 

Mit einer Hand nahm er Lovegoods Hand, die andere klammerte sich um das dürre Handgelenk des alten Ollivander, dann verschwand er mit einem leisen Plop. Draco schaute angespannt auf die Stelle, wo die zwei gerade verschwunden waren. Ihr Verschwinden würde vermutlich nicht bemerkt werden, solange Hermine, Potter und Weasley noch anwesend waren. Jetzt musste er nur einen Weg finden, wie er sie dazu bringen konnte, sich noch einmal allen Anwesenden im Manor zu zeigen.
 

Bevor er etwas darüber sagen konnte, wandte Potter sich an ihn. „Ich gehe mal davon aus, dass du nicht willst, dass deine Tante und deine Eltern wissen, dass du hinter unserer Flucht steckst?“
 

„Wenn es sich vermeiden lässt.“ Er zögerte kurz, dann fügte er hinzu: „Und, falls das irgendwie geht, ich würde gerne auch verschwinden von hier.“
 

Die beiden Gryffindors schauten ihn aus großen Augen an, als hätte er sich plötzlich in einen Hippogreif verwandelt. Er zog beide Schultern hoch. „Es ist nicht so angenehm, mit meiner Tante und Ihr-wisst-schon-wem unter einem Dach zu leben.“
 

Potter nickte und verschränkte die Arme vor der Brust. Er schien tatsächlich darüber nachzudenken, wie sie die Situation am besten lösen konnten. Draco war gleichermaßen überrascht wie beeindruckt, dass ausgerechnet Potter sich hier so kooperativ zeigte. Er hatte nicht erwartet, dass irgendjemand außer Hermine sich Sorgen darum machen würde.
 

Ein leises Plop verkündete die Rückkehr des Hauselfen, der bestätigte, dass er die beiden anderen in sicheren Händen gelassen hatte und auch schon angekündigt hatte, dass noch mehr kommen würden. Potter und Weasley nahmen das mit einem Nicken zur Kenntnis. Hermine jedoch starrte nur leer vor sich hin.
 

Besorgt realisierte Draco, dass sie sich nur mit Mühe in einer sitzenden Position halten konnte. Wenn sie nicht gegen Weasley gelehnt wäre, wäre sie vermutlich schon längst umgekippt. Ihr blasses Gesicht glänzte mit Schweiß und von ihrem Unterarm tropfte unaufhaltsam Blut. Er ballte seine Fäuste. Sie mussten sich beeilen. Hermine würde nicht mehr lange durchhalten. Sie musste geheilt werden und zwar bald, ehe der Fluch, der auf der Klinge lag, noch mehr Schaden als bloß die Wunde anrichtete.
 

Er wünschte, er könnte sie in die Arme nehmen und ihr Trost spenden. Jede Faser seines Körpers sehnte sich danach, sie in eine Umarmung zu ziehen. Er wollte sie spüren, ihr nahe sein, ihren Duft einatmen. Doch er tat nichts dergleichen. Sie schien ihr Glück mit Weasley gefunden zu haben und er würde das nicht torpedieren, indem er ihre geheime Beziehung verriet.
 

„Okay“, riss Potter Stimme ihn aus seinen Gedanken. „Hier ist der Plan.“
 

oOoOoOo
 

Draco kam gerade die Treppe hoch, als Wurmschwanz mit dem Kobold im Schlepptau runter ging. Augenblicklich hielt er inne. „Soll ich ihn einsperren?“, bot er an.
 

Wurmschwanz grunzte nur und schubste ihm den Kobold in die Arme, dann machte er auf dem Absatz kehrt und stampfte zurück in den Ballsaal. Erleichtert, dass er verhindern konnte, dass jemand sah, dass es nur noch drei statt fünf Gefangene unten gab, führte er Griphook runter, öffnete die Tür für ihn und schloss sie wieder, nachdem er durchgetreten war. Er ging davon aus, dass der Hauself den Kobold auch rausschaffen würde, doch er wollte nicht noch mehr Zeit verschwenden. Er musste sich oben zeigen.
 

Mit grimmiger Miene kehrte er an die Seite seiner Eltern zurück. „Und? Was hat der Kobold gesagt?“
 

„Es ist nicht echt“, erklärte seine Tante. Sie hielt noch immer das Schwert in den Händen und musterte es misstrauisch. „Ich weiß nicht, ob ich ihm glauben soll. Es sieht genauso aus wie das in meinem Verlies.“
 

Draco verstand noch immer nicht, warum das Schwert so wichtig war. Weder Potter noch seine Tante wollten eine Erklärung abgeben. „Wenn jemand in Gringotts eingebrochen wäre, hätten wir doch bestimmt davon gehört“, gab er zu bedenken.
 

Bellatrix wirbelte zu ihm herum. „Ja! Aber ich kann nichts riskieren. Wenn das Schwert oder der Trinkbecher verschwinden, sind wir alle tot!“
 

Verwirrt zog Draco die Augenbrauen zusammen. „Trinkbecher?“
 

„Kann dir egal sein!“, schnappte seine Tante verärgert. „Ich kann nur hoffen, dass der Kobold die Wahrheit gesagt hat und das Schwert hier eine Fälschung ist. Wir sind alle erledigt sonst.“
 

Seine Mutter trat auf ihre Schwester zu und redete leiste beruhigend auf sie ein. Sein Vater trat an das Kaminfeuer und stützte sich mit beiden Händen am Kaminsims ab, während er in offensichtlicher Erschöpfung in die Flammen starrte. Dracos Anspannung wuchs. Sobald seine Tante sich beruhigt hatte, würde sie die Gefangenen noch einmal sehen wollen. Die Schwellungen in Potter Gesicht gingen zurück und bald würde jeder ihn erkennen können. Ihnen lief die Zeit davon. Was trieben die drei?
 

Sein Blick fiel auf die zwei Zauberstäbe, die achtlos auf einem Beistelltisch lagen. Einer davon war eindeutig der von Hermine. Er wunderte sich, warum es nur zwei waren. Hatte einer der Greifer den dritten eingesteckt? Oder seine Tante? Er schüttelte den Kopf. Es spielte keine Rolle, auch mit zwei Stäben würde das Trio gut zurechtkommen. Er bezweifelte, dass Weasley mit Zauberstab nützlicher war als ohne.
 

Er blinzelte und die Zauberstäbe waren weg. Sein Atem stockte, dann schaute er demonstrativ weg. Keiner im Raum sonst hatte irgendetwas davon mitbekommen. Sein Puls beschleunigte sich, während er sich in die Richtung bewegte, aus der die drei kommen würden. Er betete, dass Potters Plan funktionierte. Er hätte niemals gedacht, dass er sich eines Tages auf ihn verlassen würde, aber in Zeiten wie diesen konnte er sich kaum aussuchen, wessen Hilfe er annahm. Seine größte Sorge war, dass seine Eltern am Ende doch bestraft wurden für das, was hier gleich geschah.
 

Doch wenn er ehrlich zu sich war, hatte er das Schicksal aller im Anwesen besiegelt, als er sich dazu bereit erklärt hatte, Potter zu helfen. Selbst wenn weder ihm noch seinen Eltern etwas angelastet werden konnte, der Zorn von Voldemort würde sich trotzdem auf ihnen entladen. Seine Hände zitterten. Noch hatte er die Chance, das abzuwenden. Wenn er wollte, konnte er Potters Plan durchkreuzen und als Held hervorgehen, der den Auserwählten an der Flucht gehindert hatte.
 

Aus den Augenwinkeln sah er, wie das Trio sich in den Ballsaal schlich. In einer geübten Bewegung ließ er seinen Zauberstab aus seinem Ärmel in seine Hand gleiten und hob ihn, während er gleichzeitig mit einem lauten Schrei seine Eltern, seine Tante und Wurmschwanz auf den Angriff aufmerksam machte.
 

„Expelliarmus!“
 

Potters Entwaffnungszauber traf ihn mit überlegener Präzision. Er spürte, wie sein Zauberstab seiner Hand entrissen wurde, sah, wie er durch die Luft segelte und in der ausgestreckten Hand des anderen Zauberers landete. Ehe er reagieren konnte, war Potter bei ihm, schlang einen Arm um ihn und presste seinen Zauberstab an seine Kehle. „Keiner rührt sich!“
 

Seine Eltern keuchten entsetzt auf, während Bellatrix nur lachend und mit ihrem Zauberstab spielend näher auf die Gruppe zukam. „Oooh, die kleinen Kinder wissen, wie man spielt? Wie putzig!“
 

„Stupor!“ Diesmal war es Weasley, der angriff, doch Dracos Tante wich dem Fluch mühelos aus.
 

„Ich meine es ernst!“, wiederholte Potter mit harter Stimme. „Bleib, wo du bist, oder dein Neffe hier ist tot!“
 

„Bella!“, kam es flehend von seiner Mutter. „Hör auf ihn. Bitte!“
 

Theatralisch seufzend blieb Bellatrix stehen und drehte sich zu den anderen um. „Ernsthaft, Zissy? Traust du mir nicht zu, diese Kinder auszuschalten und deinen heißgeliebten Draco zu retten?“
 

Draco schielte zu Hermine. Sie hatte keinen Stab in der Hand und stützte sich auf Weasley. Ihr Atem war flach und kam stoßweise, ihr Gesicht war kreidebleich, ihre Augen glänzten. Sie mussten sich beeilen. Am liebsten hätte er seiner Tante einen Unverzeihlichen auf den Hals gehetzt für das, was sie Hermine angetan hatte. Er musste seinen Ärger zügeln. Er wurde gerade Opfer einer Entführung, er musste panisch wirken.
 

„Accio Schwert von Gryffindor!“ Ein weiterer Spruch erklang, erneut von Weasley, und das Schwert, das seine Tante fallen lassen hatte, als Potter den Expelliarmus gesprochen hatte, segelte durch die Luft.
 

Das Schwert von Gryffindor. Obwohl Draco immer noch nicht verstand, warum es so wichtig war, wusste er jetzt zumindest, dass es wertvoll war. Gleichzeitig ergab es aber jetzt noch weniger Sinn, warum es ausgerechnet bei seiner Tante im Familienverlies aufbewahrt wurde.
 

Als hätte der Accio seine Tante aus ihrer überheblichen Belustigung gerissen, wirbelte sie wieder herum, die Augen wild. „Nein!“
 

Draco sah, wie sie ihren Stab erhob und anfing, das Muster für den Avada Kedavra zu zeichnen, das er inzwischen viel zu oft gesehen hatte. Schweiß trat ihm aus allen Poren. Sie mussten verschwinden, jetzt sofort, sonst war alles verloren.
 

Die Zeit schien sich zu verlangsamen. Er sah, wie seine Tante das Muster vollendete. Wie sie ihren Mund öffnete, um den Fluch auszusprechen. Wie Weasley das Schwert auffing und dabei Hermine losließ.
 

Dann ertönte ein lauter Knall und Weasley war weg. Auf der Stelle appariert. Hermine sank leblos zu Boden, nicht länger von einem anderen Körper gehalten. Noch immer von Potter umklammert und bedroht, warf Draco sich gegen den Halt. Streckte seine Hand nach Hermine aus.
 

„Avada Kedavra!“
 

Die Zeit stand still. Dracos Blick fiel auf seine Eltern, seine Mutter, die ihren eigenen Stab erhoben hatte, sein Vater, der ohnmächtig daneben stand, weil er keinen Zauberstab mehr hatte. Auf seine Tante, deren ungezähmte Locken im grünen Licht des Fluches schimmert.
 

Dann spürte er Hermines Arm unter seiner Hand und die Zeit schien plötzlich wieder normal zu laufen. Er umklammerte sie, während er noch Potters Hand an seinem Oberarm spürte. Dann erklang ein leises Plop, die Welt schien nur noch aus der Farbe grün zu bestehen und sich in einen Wirbel aufzulösen.

„Hermine!“
 

Das erste, was Draco hörte, als er auf der anderen Seite rauskam, war der verzweifelte Schrei von Weasley. Er blinzelte mehrmals, um das seltsame Gefühl, das das Apparieren mit einem Hauself hinterlassen hatte, loszuwerden.
 

„Bei Merlin, ihr habt sie mitgebracht!“ Weasley Stimme klang den Tränen nahe. „Es tut mir so leid! Ich hab nicht nachgedacht. Ich hab das Schwert aufgefangen und bin appariert, wie besprochen, aber ich hab nicht gecheckt, dass ich dabei Hermine losgelassen habe. Es tut mir so leid!“
 

Heiße Wut schoss Draco durch die Adern, als er sah, wie Weasley sich auf die bewusstlos im Sand liegende Hermine stürzte und sie in seine Arme zog. Als hätte er irgendein Recht darauf, sie anzufassen. Er hatte sie apparieren sollen. Beinahe wäre Hermine alleine in Malfoy Manor zurückgeblieben und das alles nur, weil Weasley plötzlich den Verstand verloren hätte.
 

„Danke, Malfoy.“ Potters leise Stimme drang wie durch eine Wattewand an sein Ohr. „Wenn du nicht so schnell reagiert hättest, hätten wir Hermine verloren.“
 

Er biss die Zähne zusammen und nickte nur. Er wusste, wenn er jetzt etwas sagte, würde seine Stimme ihn betrügen. Es wäre unmöglich, dass er den Zorn verbergen konnte. Oder das panische Zittern, das nur langsam nachließ. Stumm schaute er auf das am Strand kniende Paar hinab. Hermine lag in Weasleys Armen, noch immer regungslos, während der Idiot sein Gesicht an ihrer Schulter vergrub und offenbar weinte. Verachtenswert.
 

Entschlossen wendete Draco sich von der Szene ab. Alles in ihm schrie danach, Weasley in Stücke zu reißen. Er hatte es nicht verdient, sie anzufassen oder gar zu umarmen. Er hatte sie im Stich gelassen und seine eigene Haut gerettet. Und das war der Mann, der ihr Herz erobert hatte? Wut, Hass und Eifersucht mischten sich in ihm zu einer einzigen, brodelnden Masse.
 

Sein Blick fiel auf den Hauself, der mit großen Augen zu ihnen aufschaute. Irritiert zog Draco die Augenbrauen zusammen. „Was ist?“
 

„Dobby weiß auch nicht“, erklärte die kleine Kreatur mit zitternder Stimme. „Für einen Moment bevor Dobby Harry Potter und Draco Malfoy appariert hat, da hat Dobby gedacht, dass er jetzt stirbt. Dobby war so sicher, dass er tot ist. Aber jetzt ist Dobby hier, in Sicherheit, mit Harry Potter und Freunden von Harry Potter.“
 

Augenblicklich kniete Potter sich vor dem Hauselfen hin. „Dobby, du hast uns alle gerettet. Du hast heute eine Heldentat vollbracht. Ich kann dir dafür nicht genug danken. Ich werde niemals zulassen, dass dir etwas geschieht. Ich kämpfe für uns alle, auch für Hauselfen wie dich, Dobby.“
 

Tränen traten in die Augen des Hauselfen und als Harry ihn in den Arm nahm, brach er in lautes Schluchzen aus. Kopfschüttelnd starrte Draco auf das seltsame Paar vor ihm. Für ihn war Dobby immer nur ein seltsamer Hauself gewesen, aufmüpfiger als die anderen, die sie besaßen. Als sein Vater im zweiten Schuljahr mit dem Hauself nach Hogwarts aufgebrochen und dann ohne ihn wiedergekommen war, hatte er nur mit den Schultern gezuckt und ihn keine Sekunde vermisst.
 

Ihn jetzt so zu sehen, voller Gefühle und mit all der Macht, die Hauselfen hatten, zur eigenen freien Verfügung, berührte etwas in ihm. Vielleicht hatte Hermine mit ihrem Kampf für Elfenrechte doch klarer gesehen als er selbst. Hauselfen waren mehr als bloß Besitz. Sie waren eigene Wesen mit Gefühlen und Gedanken. Dass Dobby stolz darauf war, ein freier Elf zu sein, passte ebenso wenig in sein Weltbild wie damals Hermine, die als muggelgeborene Hexe besser als selbst die reinblütigsten Zauberer war.
 

Für mehrere Atemzüge, die sich viel zu lange anfühlten, schienen sowohl Potter als auch Weasley nur damit beschäftigt zu sein, ihren Emotionen freien Lauf zu lassen. Dracos Ungeduld wuchs. Verstanden die zwei nicht, dass Hermine in Lebensgefahr schwebte, wenn sie nicht bald geheilt wurde? Er ballte die Hände zu Fäusten. Konnte er etwas sagen, ohne dass es verdächtig wirkte? Sollte das überhaupt gerade eine Rolle spielen, wenn Hermine so dringend Hilfe brauchte?
 

Entschlossen trat er an Potter ran und stupste ihm mit einem Fuß in die Seite. „Ich will ja nur ungerne diese herzzerreißenden Szenen unterbrechen, aber ich glaube, Granger verblutet gerade vor euren Augen.“
 

Ein Ruck ging durch den Körper des anderen Zauberers und endlich kam Bewegung in die Sache. „Ron! Du hast gesagt, dass Bill hier wohnt? Wo ist das?“
 

Auch Weasley schien nun endlich aus seinem Selbstmitleid aufzuwachen. „Hinter den Hügeln ist ein Haus. Bill wohnt da mit Fleur.“ Er griff mit beiden Armen unter Hermine und erhob sich ächzend.
 

Dracos Blick fiel auf das Schwert, das jetzt achtlos am Strand lag. Weasley drehte sich um und stapfte mit angestrengten Schritten durch den Sand, direkt gefolgt von Potter und dem Hauself. Kopfschüttelnd bückte Draco sich nach dem Schwert. Die ganze Aktion zuhause war nur nötig gewesen, weil die drei unbedingt das Schwert mitgehen lassen wollten, und jetzt ließen sie es einfach hier liegen? Es war ein Wunder, dass die zwei Trottel noch nicht Opfer ihrer eigenen Dummheit geworden waren.
 

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Absolute Dunkelheit umgab Draco. Seine Arme und Beine waren steif, sein Kopf pochte. Mit jeder Stunde, die verging, bereute er, dass er Potter geholfen hatte. Alles, was er wollte, war, bei Hermine zu sein und zu sehen, dass es ihr gutging. Dass sie die Folter überlebt hatte und der verfluchte Dolch seiner Tante keine bleibenden Schäden hinterlassen hatte.
 

Stattdessen saß er hier, gefesselt und in einen fensterlosen Raum gesperrt, schon seit Stunden alleine, als wäre er nicht mehr als Abschaum. Was hatte er auch erwartet? Dass Potter ihm überhaupt für eine Sekunde genug vertraut hatte, um den Plan umzusetzen, war schon Wunder genug gewesen. Natürlich würden Angehörige der Familie Weasley ihm nur mit Misstrauen begegnen.
 

„Das hier ist ein geheimer Unterschlupf des Ordens! Wie könnt ihr so dumm sein, ihn hierher zu bringen?“
 

Das war alles, was Draco gehört hatte, ehe der älteste Bruder von Weasley seinen Zauberstab auf ihn gerichtet hatte. Und weil Potter immer noch seinen Zauberstab hatte, hatte er sich nicht einmal wehren können. Seitdem war er hier. Es fühlte sich an, als ob Stunden vergangen waren, doch er hatte keine Möglichkeit, das zu überprüfen. Diese Tortur wäre einfacher auszuhalten, wenn er wenigstens wüsste, wie es Hermine ging.
 

Zornige Tränen traten ihm in die Augen. Er hatte sein Leben und das seiner Eltern riskiert. Er würde es wieder tun, das wusste er, immer wieder, weil es bedeutete, dass er Hermine in Sicherheit bringen konnte. Aber es fühlte sich trotzdem schäbig an. Als wäre er nicht mehr als nur der Todesser. Ob sie es sehen wollten oder nicht, Potter und seine Freunde waren genauso voller Vorurteile wie die Todesser.
 

Selbst Hermine war davon nicht ausgenommen. Noch heute erinnerte er sich zu gut daran, dass sie ihn beinahe an Dumbledore verraten hätte, weil ihr geliebter Weasley beinahe gestorben wäre. Gewiss, es war indirekt seine Schuld gewesen, aber dass sie ihn sofort hatte fallen lassen wie eine heiße Kartoffel hatte sich furchtbar angefühlt. Und in Momenten wie diesen, alleine, gefesselt, im Dunkeln, konnte er sich nicht helfen, das alte Gefühl kam wieder hoch.
 

Hätte er damals schon allen Kontakt zu Hermine abbrechen sollen?
 

Er zog die Knie enger an seine Brust. Die Frage war sinnlos. Er wusste, er hätte niemals die Kraft gehabt, sich von ihr zu trennen. Selbst jetzt, da sie ihn hier in diesem Loch verrotten ließ, konnte er ihr nicht böse sein. Solange sie ihn wollte, und sei es nur als Freund, würde er an ihrer Seite bleiben. Sie war das einzig Gute in seinem Leben, mehr, als er jemals verdient hatte, und er würde jeden noch so kleinen Brotkrumen annehmen, den sie für ihn übrighatte.
 

Und wenn das hieß, dass er zusehen musste, wie sie sich in Weasley verliebte und ihn heiratete, dann war es ebenso. Er würde sie niemals aufgeben, nur weil andere Menschen für sie wichtiger waren als er. Er konnte das aushalten. Er konnte sich innerlich abschotten und seine Emotionen unterdrücken. Er konnte ihr Freiheit lassen. Er konnte in ihrem Leben bleiben, auch wenn sie ihn nicht mehr liebte. Er konnte das. Er musste das können.
 

Laute Stimmen drangen plötzlich an sein Ohr. Hastig blinzelte er die Tränen weg und rieb seine Wangen über den Stoff an seinen Knien. Er hatte kaum Chance, sich in eine würdevolle Position zu bringen, da flog die Tür zu dem kleinen Raum krachend auf und Licht strömte herein.
 

„Ihr habt ihn gefesselt?“ Obwohl er gegen das Licht blinzelnd nicht mehr als Schemen sah, erkannte Draco doch sofort diese zornige Stimme. Hermine. „Geheimhaltung schön und gut, Bill, aber das hier geht zu weit!“
 

Sie kam mit entschlossenen Schritten in den Raum, richtete ihren Zauberstab auf ihn und durchtrennte die Fesseln. Ihr Blick war hart vor Wut, doch sie reichte ihm eine Hand, um ihm beim Aufstehen zu helfen. Er ergriff sie und ließ sich hochziehen, dankbar über diesen kurzen Kontakt. Er wollte den Moment auskosten, doch er wusste, andere sahen gerade zu. Kaum dass er stand, entriss er ihr die Hand wieder. „Danke für die Rettung.“
 

Hermine sah kurz irritiert aus, doch dann drehte sie sich schon wieder um und baute sich vor Bill auf. Obwohl der älteste Weasley sie beinahe um einen Kopf überragte, schien er vor ihr zu schrumpfen. „Ich kann es nicht glauben! Draco Malfoy hat Harry, Ron und mich gerettet. Er hat sich gegen seine Familie gestellt, um uns zu befreien! Und was finde ich vor, kaum dass ich wach werde? Ihr sperrt ihn ein und fesselt ihn? Sind wir nicht besser als Todesser, die die Welt nur in Schlammblut und Reinblut teilen? Schäm dich, William Weasley!“
 

Offensichtlich überrascht von dem heftigen Ausbruch trat Bill einen Schritt zurück. „Merlin, Hermine, beruhig dich. Es tut mir ja leid, aber ich konnte doch nicht wissen, dass er plötzlich zu den Guten gehört.“
 

Aufgebracht warf Hermine ihre Hände in die Luft, während sie aus dem Raum stampfte. „Du konntest es nicht wissen? Was, haben Harry und Ron nicht erklärt, was passiert ist?“
 

Draco folgte den beiden, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Jedes Wort aus Hermines Mund war richtig und er sonnte sich darin, wie emotional sie ihn verteidigte. Und trotzdem blieb dieser bittere Geschmack auf der Zunge. Streitigkeiten wie diese zeigten ihm nur zu deutlich, dass er niemals eine Chance auf eine Zukunft mit Hermine gehabt hätte, selbst wenn Weasley nicht gewesen wäre. Nicht nur die Todesser, sondern auch ihre Widersacher schienen sich nicht von Vorurteilen lösen zu können.
 

„Das war alles ein Missverständnis.“ Potter mischte sich ein, doch sein unsicherer Tonfall zeigte deutlich, dass er sich nicht mit Hermine anlegen wollte. „Bill hat Malfoy sofort eingesperrt, ohne irgendwelche Fragen zu stellen. Und ich hab nur gesagt, dass wir ihn als Geisel genommen haben, um zu fliehen. Es war nicht mehr Zeit, Hermine, ehrlich. Du warst wichtiger. Du weißt gar nicht, wie knapp es für dich war.“
 

Bei diesen Worten kam die Ehefrau von Bill Weasley aus der Küche gelaufen. Sie legte beide Arme um Hermine und brachte sie unter leise geflüsterten Worten dazu, im Wohnzimmer auf dem Sofa Platz zu nehmen. Weasley war sofort da, setzte sich neben sie, viel zu nah für Dracos Geschmack. Er bestätigte nickend Potters Worte. „Es war wirklich schlimm. Die Klinge, mit der Lestrange die Buchstaben in deinen Arm geritzt hat, die war irgendwie verflucht. Bill konnte den Fluch eingrenzen und dann hat Fleur dich geheilt, aber das war nicht einfach. Glaub mir, keiner von uns hat an Malfoy gedacht. Es war keine Absicht, dass er so lange eingesperrt war. Ehrlich!“
 

Draco sah, wie Hermine zu einer hitzigen Erwiderung ansetzt, doch er schnitt ihr das Wort ab. „Lass gut sein, Granger. Ich brauche dein Mitleid nicht.“
 

Ihre Augen weiteten sich, doch dann verzog sie ihren Mund zu einem dünnen Strich und ballte die Fäuste. „Schön. Dann eben nicht. Was ist jetzt der Plan?“
 

Es war, als hätte ihn ein Klatscher getroffen. Die eiskalte Ablehnung, die aus Hermines Augen strahlte, traf ihn hart. Draco verschränkte die Arme vor der Brust und zog sich in eine dunklere Ecke des Wohnzimmers zurück. Was hatte er auch erwartet? Er gab sich Mühe, den Anschein zu bewahren, dass keinerlei Beziehung zwischen ihm und Hermine bestand. Natürlich würde sie dasselbe tun.
 

Und trotzdem tat es weh.
 

Fleur zog sich einen Stuhl ran und setzte sich zu den anderen vier. „Wie wäre es, wenn ihr uns erstmal erzählt, was ihr getrieben habt, seit Ron wieder bei euch ist?“
 

Das schien bei allen dreien die Stimmung aufzuhellen. Draco gab sich Mühe, unauffällig am Rand zu bleiben, während er mit zunehmendem Entsetzen den Erzählungen lauschte. Er hoffte, dass niemand auf die Idee kam, dass er vielleicht nicht anwesend sein sollte für solche Besprechungen. Er verstand langsam, warum das Schwert so wichtig war. Aber er realisierte auch, wie unmöglich die Aufgabe schien, alle Horkruxe zu finden.
 

Während er zuhörte, erinnerte er sich an die zusammenhangslos erscheinenden Worte seiner Tante. Sie hatte einen Becher erwähnt. Das könnte so ein Horkrux sein, warum sonst sollte Voldemort ihr irgendeinen Trinkbecher zur Aufbewahrung im Verlies der Lestranges anvertraut haben? Dem Gespräch nach zu urteilen, wusste das Trio nicht, wo sie als nächstes suchen sollten. Er zögerte, unsicher, ob ihm überhaupt jemand zuhören würde, wenn er etwas sagte, oder ob das nicht eher zur Folge hätte, dass er direkt wieder eingesperrt wurde. Dann schüttelte er innerlich den Kopf über sich selbst – die anderen würden ihm vielleicht nicht zuhören, aber Hermine definitiv. Egal, wie ihre Gefühle für ihn waren, sie wusste, dass sie ihm vertrauen konnte.

„Ich hab euch von Anfang an gesagt, dass es eine Scheißidee ist, einem verdammten Kobold zu vertrauen!“
 

Draco war außer sich vor Wut. Er hatte alles in seiner Macht Stehende getan, um einen halbwegs vernünftigen Plan zu entwickeln, aber Potter hatte natürlich darauf bestanden, dass er es besser wusste. Also hatte er sich breitschlagen lassen, zusammen mit Weasley als Todesser verkleidet Hermine zu folgen, die sich mit Hilfe von Vielsafttrank in seine Tante verwandelt hatte.
 

Er hätte darauf bestehen sollen, dass das Schwert bei Weasleys Bruder blieb. In dem Moment, in dem Griphook darauf bestanden hatte, dass sie es mitnehmen, war ihm klar gewesen, dass der Kobold sich im erst besten Moment damit aus dem Staub machen würde. Aber Potters blinde Naivität hinderte ihn natürlich daran, die wahre Natur von Kobolden zu verstehen.
 

Und jetzt hatten sie den Salat. Mit dem Becher aus dem Verlies seiner Tante im Gepäck standen sie tief unter Gringotts, ohne Kobold, der ihnen den Weg zurück ermöglichen konnte. Griphook hatte sich einfach aus dem Staub gemacht. Und anders als in seinem Zuhause konnte man in Gringotts keine Hauselfen rufen – die Kobolde hier wussten nur zu genau, wie mächtig die kleinen Elfen waren und hatten entsprechende Schutzzauber eingerichtet.
 

„Ich hab eine Idee, aber die ist ein bisschen wahnsinnig.“
 

Augenrollend starrte er Potter an. „Welche deiner Ideen ist das nicht?“
 

Ohne auf ihn einzugehen, trat Potter einen Schritt vor und lugte um die Ecke aus ihrem Versteck. „Wir nehmen den Drachen.“
 

Draco konnte nur lachen. Ein bisschen wahnsinnig war nicht im Ansatz genug, um diese Idee zu beschreiben. Nur jemand wie Potter konnte ernsthaft denken, dass ein Drache zulassen würde, dass vier Menschen auf seinem Rücken mitreisten. Dieser so genannte Auserwählte hatte keine Ahnung von der magischen Welt.
 

„Das ist brillant!“ Hermines begeisterte Zustimmung warf Draco aus der Bahn. Das konnte nicht ihr Ernst sein. Doch die glänzenden Augen sprachen eine deutliche Sprache. Natürlich würde jemand wie sie, die ebenfalls nicht mit Magie aufgewachsen war, nicht das Problem in der Idee sehen.
 

Bevor er seinen Protest einbringen konnten, rannten beide los. Er schaute kurz zur Seite, wo Weasley noch stand, der ebenfalls mehr als skeptisch dreinblickte, doch dann zuckte der mit den Schultern und folgte seinen Freunden. Fluchend tat Draco es ihm gleich. Sie hatten keine Ahnung, worauf sie sich mit einem Drachen einließen. Er konnte nur hoffen, dass sie zu viert in der Lage waren, einen mit absoluter Sicherheit kommenden Angriff zu überleben.
 

oOoOoOo
 

Wind peitsche ihm ins Gesicht. Egal, wie tief er sich duckte, die eisige Kälte zeigte sich unerbittlich. Ein Flug auf einem Drachen war kein Sonntagsspaziergang.
 

Sie flogen tatsächlich auf dem Rücken eines Drachens. Draco konnte es immer noch nicht glauben. Als hätte der Drache verstanden, dass sie ihn befreit hatten, versuchte er zu keinem Moment, sie abzuschütteln. Er hatte sie auf seinem Rücken aus Gringotts rausgebracht, war mit ihnen über London hinweg geflogen und schien auch jetzt, mitten in der Wildnis von England, immer noch gewillt, sie bei sich zu haben. Es war absoluter Irrsinn.
 

„Da hinten kommt ein See!“, schrie Potter von ganz vorne. „Macht euch bereit zum Absprung!“
 

Draco wollte ihm ein weiteres „Bist du wahnsinnig?“ entgegenschleudern, doch bevor er überhaupt dazu kam, sah er, wie sich Hermine und Weasley tatsächlich bereit machten, vom Drachen zu springen. Wie konnten die zwei den Plänen von Potter so bedingungslos folgen? Hatten sie keinen Überlebensinstinkt? Jede Idee, die aus dem Mund des Auserwählten kam, klang nach absolutem Wahnsinn, der mit viel zu hoher Wahrscheinlichkeit ihren Tod bedeuten würde.
 

Draco biss die Zähne zusammen und machte sich ebenfalls bereit. Auf das Zeichen von Potter sprangen sie alle gleichzeitig ab und in den mehrere Meter unter ihnen ruhenden See. Eiskaltes Wasser schlug über Draco zusammen und drohte, ihn auf den Grund des Sees zu ziehen. Er musste kurz gegen seine schwere Kleidung ankämpfen, dann fand er den Weg zurück an die Oberfläche und durchbrach das Wasser.
 

Neben ihm kamen Hermine und Weasley ebenfalls hoch, doch von Potter fehlte jede Spur. Fluchend tauchte Draco zurück. Da, einige Meter von ihnen entfernt, trieb Potter im Wasser, Mund und Augen aufgerissen, als wäre ihm gar nicht bewusst, wo er war. Draco biss die Zähne zusammen und schwamm zu ihm. Er schien sein neues Hobby zu sein, Potter das Leben zu retten.
 

Seine kalten Hände klammerten sich nur mit Mühe um die Schultern von Potter und es kostete ihn mehr Kraft als erwartet, sie beide nach oben zu manövrieren. Zitternd und mit müden Beinen schwamm er gegen den Sog der Tiefe an, bis er endlich wieder die Wasseroberfläche erreichte.
 

Endlich schien Leben in Potter zu kommen. Mit wild aufgerissenen Augen schaute er um sich. „Er weiß es! Er hat uns gesehen! Er weiß, was wir vorhaben!“
 

Entsetzt ließ Draco ihn los. Was auch immer mit Potter vor sich ging, er hatte keine Lust, auch nur eine Sekunde länger in der Nähe dieses Wahnsinnigen zu bleiben. Schnaufend schwamm er zum Ufer, wo gerade Hermine und Weasley auch aus dem Wasser krochen. Mühsam zog er sich an Land und rollte sich auf den Rücken, um wieder zu Atem zu kommen.
 

Potter folgte als letzter, noch immer vollkommen aufgelöst und in einer Panik, die Draco Angst machte. „Er weiß es. Ihr-wisst-schon-wer. Er weiß, dass wir seine Horkruxe jagen. Er hat uns gesehen.“
 

Weasley erbleichte, während Hermine Potter an den Armen packte. „Harry, du musst ihn aussperren! Du kannst nicht zulassen, dass er uns ständig zusieht. Ich dachte, du hättest es inzwischen unter Kontrolle!“
 

Mit einem wütenden Ruck befreite Potter sich. „Es ist nicht so einfach, okay? Du hast keine Ahnung, wie sich das anfühlt. Ich kann mich nicht dagegen wehren.“
 

„Sollten wir nicht unser Zelt aufbauen und uns aufwärmen?“, unterbrach Weasley den Streit. „Solange wir hier alle nass rumstehen, kann keiner von uns logisch denken.“
 

Hermine und Potter sahen kurz so aus, als ob sie beide Weasley ruppig anfahren wollten, doch dann nickten sie und ließen es sein. Unsicher, was seine Rolle jetzt sein würde, hielt Draco sich abseits. Sie gingen ein Stück weiter vom Ufer weg, dann öffnete Hermine ihre kleine Tasche und zog ein ganzes Zelt raus. Er musste ein überraschtes Geräusch von sich gegeben haben, denn sie drehte sich plötzlich zu ihm um und erklärte mit einem schwachen Grinsen: „Unaufspürbarer Ausdehnungszauber.“
 

Er nickte bloß. Was hatte er auch erwartet? Natürlich war Hermine brillant genug, um so einen komplexen Zauber einfach so auf ihre Tasche hexen zu können. Kopfschüttelnd beobachtete er, wie sie das Zelt positionierte und es sich dann von selbst aufbaute. Potter und Weasley verschwanden sofort im Inneren, doch sie blieb draußen, den Zauberstab erhoben. Draco erkannte die komplexen Stabmuster für Schutzzauber. Minutenlang ging sie im Kreis um das Zelt, murmelte immer neue Formeln, malte immer neue Muster in die Luft.
 

Draco schielte zum Zelteingang, doch es schien, dass die zwei anderen nicht vorhatten, wieder rauszukommen oder gar mit den Schutzzaubern zu helfen. Entschlossen trat er ganz nah an Hermine heran, gerade als sie ihren Stab sinken ließ. „Ohne dich wären die zwei Idioten in der Tat verloren.“
 

Hermine zuckte kurz zusammen, doch sie erholte sich schnell von dem Schreck. Ohne sich zu ihm umzudrehen erwiderte sie: „Sie sind nicht so gut im Planen wie ich, das stimmt, aber Harry ist der mit den Ideen.“
 

„Ideen, die uns alleine heute mehrmals das Leben hätten kosten können“, protestierte Draco eindringlich. Es juckte ihn in den Fingern, seine Arme um Hermine zu schließen, doch er blieb steif hinter ihr.
 

„Unsere ganze Mission ist lebensgefährlich“, widersprach Hermine ebenso fest. „Es sind meistens Harrys Ideen, die uns weiterbringen oder retten.“
 

Endlich drehte sie sich um. Ihr Blick huschte ebenfalls kurz zum Zelteingang, dann suchten seine Augen wieder nach ihm. Da war etwas in der Art, wie sie ihn anschaute. Etwas, was Draco nicht genauer beschreiben konnte. Sehnsucht vielleicht. Es brachte sein Herz zum Pochen und machte es beinahe unmöglich, sie nicht zu berühren. Doch er blieb stark. Was auch immer zwischen ihnen war, er hatte kein Recht mehr darauf, sie zu berühren.
 

Ihre Hand legte sich auf seine Wange, eiskalt und immer noch leicht feucht. „Draco“, hauchte sie beinahe unhörbar. „Ich hab dich so vermisst.“
 

Er schluckte. Er wollte sie umarmen. Sie küssen. Sie in seine Arme ziehen und ihr sagen, dass alles gut werden würde. Von ihr umarmt werden und hören, dass sie gewinnen würden. In ihren Armen einfach alles andere vergessen und wenn es nur für einen Moment war. Er spürte, wie sein ganzer Körper sich anspannte. Er musste raus aus dieser Situation, sonst würde er etwas tun, was er bereute. Wenn er sie jetzt berührte oder ihre Berührung weiter zuließ, konnte er für nichts mehr garantieren.
 

Er trat einen Schritt zurück. Hermines Hand hing für einen Moment länger in der Luft, dann zog sie sie schnell an sich. Schmerz huschte über ihr Gesicht, doch sie fing sich augenblicklich wieder. „Komm, wir sollten uns auch aufwärmen, ehe wir uns hier draußen den Tod holen.“
 

Ohne ihn noch einmal anzusehen, stapfte sie durch den schlammigen Grasboden davon. Draco blieb, wo er war. Er konnte jetzt nicht ins Zelt gehen und zusehen, wie sie in dem Armen von Weasley Wärme suchte. Sein Herz pochte heftig in seiner Brust und seine Arme zitterten. Warum machte sie es ihm so schwer? Warum schaute sie ihn immer so traurig an, wenn er eine Grenze zog? Verstand sie nicht, dass er sich selbst schützen musste? Dass er noch nicht soweit war, Körperkontakt zuzulassen, ohne sie verschlingen zu wollen?
 

Es war eine verdammt beschissene Idee gewesen, dem Trio zu folgen. Er hätte das Angebot niemals annehmen sollen. Diese kleine Interaktion hatte ihm schon mehr als deutlich gezeigt, dass es einfach nur Folter sein würde. Aber welche Option hatte er gehabt?
 

Bill und Fleur hatten deutlich gesagt, dass sie ihn nicht in ihrem Haus dulden würden. Nur weil Hermine und zu einem gewissen Grad auch Potter ihm vertrauten, bedeutete das nicht, dass alle ihn einfach so akzeptieren würden, das verstand er. Er hatte mit der Reaktion gerechnet. Dass Potter ihm von sich aus angeboten hatte, dass er sie begleiten könnte, war mehr als überraschend gewesen.
 

Oder vielleicht war es auch nur reiner Pragmatismus. Alleine waren Dracos Überlebenschancen nicht sehr hoch und vielleicht befürchtete Potter, dass er früher oder später zu seinen Eltern zurückkehren würde. Jetzt, wo er so viel über ihre Pläne wusste und den geheimen Unterschlupf kannte, wäre es gefährlich, wenn er wieder in Voldemorts Hände fiel.
 

Vielleicht war es weniger, dass Potter ihn als Teil des Trios sah, und mehr, dass er ihm eben nicht vertraute und deswegen ein Auge auf ihn haben wollte. Draco nickte zu sich selbst. Das klang schon eher nach dem Harry Potter, den er in Hogwarts kennengelernt hatte. Immer misstrauisch, immer bereit, das schlimmste von ihm zu denken.
 

Er konnte es ihm nicht einmal übelnehmen. Er hatte sein Bestes gegeben, um genau diesen Eindruck zu hinterlassen. Trotzdem fühlte es sich schäbig an. Nur Hermine wusste, dass er schon lange nicht mehr treu zu Voldemort stand und von Anfang an all seine Taten im letzten Schuljahr bereut hatte. Sie hatte alles von ihm gesehen und akzeptierte ihn.
 

Oder hatte ihn akzeptiert. Draco wusste nicht, ob sich ihre Gefühle in der Hinsicht nicht vielleicht auch geändert hatten. Vielleicht fiel es ihr so leicht, sich auf Weasley einzulassen, weil ihr altes Vertrauen in ihn weg war.
 

Nein. Entschlossen ballte Draco die Fäuste. Sie hatte ihn leidenschaftlich gegenüber den Weasleys verteidigt. Sie hatte ihm gesagt, dass sie ihn vermisste. Zumindest ein Hauch von vertrauen musste noch da sein, damit sie so für ihn einstehen konnte. Sie hatte ihn nicht ganz aufgegeben. Daran musste er glauben.
 

Er nickte sich noch einmal zu, dann holte er tief Luft und folgte den anderen ins Zelt. Hermine hatte recht. Es wurde kalt hier draußen.

Alle Blicke lagen auf ihm, als Draco das Zelt betrat. Es war rudimentär, nur vier Betten und ein wenig Platz zum Kochen waren vorhanden. Es gab nirgends, wo er sich vor den anderen verstecken konnte. Ohne irgendjemanden anzusehen, setzte er sich auf eine der Liegen.
 

„Was machen wir jetzt mit ihm?“ Weasleys Stimme klang kalt und machte deutlich, was er von Dracos Anwesenheit hielt.
 

„Keine Ahnung.“ Potter schien ihm ebenso ablehnend gegenüber eingestellt zu sein. „So wie ich es sehe, haben wir keine andere Wahl, als ihn mitzunehmen.“
 

„Mir ist egal, was ihr sagt, aber ich traue ihm nicht. Was, wenn er uns mitten drin in Rücken fällt?“
 

„Ihr seid beide unmöglich!“, fuhr Hermine aufgebracht dazwischen. „Er ist anwesend und kann euch hören. Warum fragen wir ihn nicht selbst, was er machen will?“
 

Interessiert beugte Draco sich vor und musterte das Dreiergespann. Während die beiden Männer ihn misstrauisch beäugten, schien Hermine sich alle Mühe geben zu wollen, ihn nicht anzuschauen. Er hasste es. Er hasste, wie sehr ihm das weh tat. Er hasste, wie abhängig er von ihrer Zuneigung war. Er hasste, dass sie nicht offen sagen konnten, was wirklich zwischen ihnen war.
 

Und am allermeisten hasste er Ron Weasley, der sich aus unerfindlichen Gründen in ihr Herz geschlichen zu haben schien.
 

„Ich bin hier, um zu helfen“, sagte er schlicht und schaute dabei betont nur Potter und Weasley an. „Was immer ich tun kann, um euch zu helfen, dazu bin ich hier.“
 

Ein abfälliges Schnauben war seine Antwort. „Du trägst zu dick auf, Malfoy. Glaubst du wirklich, nach allem, was du Harry angetan hast, dass wir dir das abnehmen? Du willst deine eigene Haut retten, weil du ganz genau weißt, dass Du-weißt-schon-wer kurz davor ist zu verlieren. Wie geht das Muggel-Sprichwort noch gleich, Hermine? Die Mäuse verlassen das fliegende Schiff?“
 

„Die Ratten verlassen das sinkende Schiff“, korrigierte Hermine ihn mit einem offensichtlichen Augenrollen. „Und ich glaube nicht, dass das auf ihn zutrifft. Er würde nicht sein Leben riskieren, wenn es ihm nur darum ginge zu überleben. Das ergibt schon rein logisch keinen Sinn.“
 

Draco sah, wie Weasley zu einer Erwiderung ansetzte, doch Hermine hob ungeduldig eine Hand. „Und es spielt auch keine Rolle. Wir haben keine Zeit, das wieder und wieder zu diskutieren. Jetzt, wo Ihr-wisst-schon-wer weiß, was unser Plan ist, läuft uns die Zeit davon.“
 

„Hermine hat recht, Ron. Wir müssen handeln. Jetzt. Wir müssen die anderen Horkruxe finden.“
 

Es überraschte Draco wenig, dass die beiden sich sofort der Meinung von Hermine unterordneten. Sie war so offensichtlich das Gehirn dieser Operation und so offensichtlich die einzige, die irgendeinen Plan hatte. Doch eine Sache störte ihn. „Das habe ich eben schon nicht verstanden. Was meint ihr damit, dass er es weiß? Wie? Woher?“
 

Alle drei schienen sich kurz gegenseitig fragend anzuschauen, dann zuckte Potter mit den Schultern und Hermine seufzte ergeben. Ohne sich ihm zuzuwenden, erklärte sie: „Harry hat eine Art Verbindung zu Du-weißt-schon-wem. Wir wissen nicht genau wieso und warum, aber durch diese Bindung sieht Harry manchmal, was er macht, denkt, fühlt. Und umgekehrt leider auch.“
 

Heißes Entsetzen packte Draco. Und dann erinnerte er sich. Vor vielen Monaten, als sie ihn auf dem Bahnhof von Hogwarts überrascht hatte, hatte Hermine ihm das schon einmal erklärt. Nur dass sie damals nicht erwähnt hatte, dass das auch umgekehrt funktionierte. Er wollte sie gerade wütend anfahren, wie sie so ein wichtiges Detail hatte auslassen können, doch er biss sich im letzten Moment auf die Zunge. Das würde nur verraten, dass sie befreundet waren, und das wollte sie offensichtlich nicht.
 

Angespannt zwang er seine nächsten Worte über seine Lippen. „Wenn Du-weißt-schon-wer sehen kann, was Potter sieht, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis er sieht, dass ich freiwillig hier bin. Das war so nicht abgemacht!“
 

„Sorry, Malfoy, aber wir haben gerade echt wichtigere Probleme.“ Potter schien es vollkommen egal zu sein, dass so eine Entdeckung das Todesurteil für seine Eltern sein könnte. Draco schluckte. Vermutlich war es das auch. Warum sollte der Auserwählte sich um das Schicksal von ein paar Todessern kümmern?
 

„Uns fehlen noch zwei Horkruxe“, nahm Hermine den Faden unbeeindruckt wieder auf. „Nachdem jetzt ein Familienerbstück von Slytherin und eines von Hufflepuff im Spiel waren, liegt die Annahme nahe, dass er auch eines von Ravenclaw in ein Horkrux verwandelt hat.“
 

„Es ist in Hogwarts“, flüsterte Potter. „Als ich kurz in seinem Kopf war, da habe ich gesehen… oder viel mehr gespürt, dass es in Hogwarts ist.“
 

„In Hogwarts? Viel Spaß! Da kommt ihr niemals lebend rein. Und erst recht nicht raus.“ Draco konnte nur erneut den Kopf darüber schütteln, wie naiv Potter an die ganze Sache ranging.
 

„Und du hast immer noch keinen neuen Zauberstab“, mischte sich Weasley ein.
 

„Warte, was?“ Eine neue Welle des Entsetzens rollte über Draco. Er erinnerte sich genau an all die Todessersitzungen in seinem Haus, bei denen es nur um den verdammten Zauberstab von Harry Potter gegangen war. „Warum hast du keinen Stab?“
 

„Ich hab ihn kaputt gemacht“, erklärte Hermine leise, den Kopf gesenkt. „Als wir zu Weihnachten in Godric’s Hollow waren. Ich hab einen Fehler gemacht und im Kampf ist er zerbrochen.“
 

Draco sah deutlich, wie sich Potters Gesicht kurz zu einer wütenden Maske verzog, doch dann zeigte es sofort wieder einen auffällig neutralen Gesichtsausdruck, zu dem die auffällig sachliche Stimme passte. „Ich habe meinen Stab verloren, ich brauche einen neuen. Das ist alles, was wichtig ist.“
 

Stöhnend fuhr sich Draco mit beiden Händen übers Gesicht. Er konnte nicht glauben, wie entspannt das Trio die Situation nahm. Verstanden sie nicht, dass es hoffnungslos für Potter war, irgendetwas zu erreichen, wenn er keinen Stab hatte, der ihm hörig war?
 

Unwillig, aber motiviert von seinem eigenen Trieb zu überleben, setzte er sich aufrechter hin. „Ich habe den Eindruck, dass ihr nicht viel über Zauberstablehre wisst. Bei Potter und Granger ist das wenig überraschend, wir lernen das ja nicht in Hogwarts, woher sollt ihr das also wissen. Aber du, Weasley, solltest sehen, die ernst die Situation ist.“
 

Bei den Worten errötete Weasley und fuhr von seiner Liege hoch. „Wenn du nur arrogantes Gequatsche beizusteuern hast, halt lieber den Mund, Malfoy!“
 

Augenblicklich sprang Hermine ebenfalls auf und legte ihre zierlichen Hände um seinen Oberarm. „Lass ihn ausreden, Ron. Vielleicht übersehen wir hier wirklich etwas.“
 

Murrend und noch immer Rot vor offensichtlichem Zorn ließ Weasley sich zurück auf die Liege ziehen. Zu Dracos Missfallen setzte Hermine sich direkt neben ihn, ohne die Hände von seinem Oberarm zu lassen. Noch immer hatte sie ihn keines Blickes gewürdigt. Es tat weh, wie offensichtlich sie ihm ihr Desinteresse unter die Nase rieb.
 

Anstatt weiter über die beiden zu grübeln, richtete Draco seinen Blick auf Potter. „Dein Stab war der Zwilling zu Du-weißt-schon-wem. Wusstest du das?“
 

„Ja, das hat Ollivander mit direkt beim Kauf gesagt. Und ich weiß, dass Vol– … dass Du-weißt-schon-wer mich nicht töten kann, solange ich den Stab habe. Hatte. Ich versteh den Ernst der Lage durchaus.“
 

Draco ballte die Fäuste. „Ich glaube, du verstehst es nicht. Er hat den Stab meines Vaters an sich genommen, um dich töten zu können, aber es war offensichtlich, dass der Stab ihm nicht gehorcht hat. Du-weißt-schon-wer scheint ebenso wenig über das Eigenleben von Zauberstäben zu wissen wie ihr.“
 

Potters Augen wurden groß. „Ist das der Grund, warum er den Elderstab sucht?“
 

Draco schnappte nach Luft. „Den Elderstab? Ich dachte, das es nur ein Gerücht war, dass der existiert. Du-weißt-schon-wer sucht ihn?“
 

„Ich fürchte, er hat ihn gefunden. Er ist der Spur von Gregorowitsch zu Grindelwald gefolgt. Der war wohl der letzte bekannte Besitzer des Elderstabes.“
 

Dracos Welt schien stillzustehen. Eisige Kälte kroch ihm in jede Faser seines Körpers. Eine Wahrheit tat sich ihm auf, in solcher Klarheit, dass es beinahe zum Fürchten war. „Und von Grindelwald … führt die Spur zu Dumbledore, nehme ich an?“
 

Potter nickte grimmig. „Ja. Er wurde mit seinem Zauberstab begraben. Wir wussten ja nicht, was es war. Hätte irgendjemand das gewusst, hätte sicher niemand so einen gefährlichen Stab einfach in einem Grab gelassen.“
 

„Weißt du, wie ein Zauberstab den Besitzer wechseln kann?“ Er hörte selbst, wie schwach seine Stimme klang. Er konnte nicht glauben, was hier gerade geschah.
 

Wieder nickte Potter. „Man muss den vorigen Besitzer töten. Dann wechselt der Elderstab seine Zugehörigkeit.“
 

Draco lachte. Es kam einfach so aus ihm raus, stieg wie kleine Bläschen aus seinem Innersten hoch und entlud sich in einem kichernden Lachen, das er nicht unterdrücken konnte. Schnaufend rang er nach Atem. Keiner hier im Zelt verstand die ganze Tragweite dessen, was gerade gesagt worden war.
 

Für einen Moment schauten ihn die anderen drei nur an, als hätte er den Verstand verloren. Er konnte es ihnen nicht verübeln. Er fühlte sich selbst so, als wäre er kurz davor, wahnsinnig zu werden. In vorauseilender Abwehr hob er beide Hände. „Tut mir leid. Es ist nur … Bei Merlin, wo fang ich an? Potter, man muss den Besitzer nicht töten, um die Loyalität des Elderstabes zu gewinnen. Man muss ihn besiegen.“
 

„Besiegen?“
 

Draco rollte die Augen ob der offensichtlichen Ignoranz des so genannten Auserwählten. „Dein Lieblingszauber zum Beispiel. Expelliarmus. Wenn du einen anderen Zauberer erfolgreich entwaffnest, dürfte das für die meisten Stäbe genug sein, um den Besitz zu wechseln. Warum probierst du es nicht aus? Ich bin mir sicher, dass mein Stab gut für dich funktioniert, weil du ihn mir genau damit abgenommen hast.“
 

Überraschung strahlte ihm aus den Gesichtern der beiden Männer entgegen, während Hermine blass auf ihre Hände starrte. Beinahe hätte Draco gelächelt. Natürlich hatte sie sofort verstanden, worauf er hinauswollte. Natürlich erkannte sie genauso wie er, was das für ihn bedeutete.
 

Mit einer Selbstverständlichkeit, die Draco Übelkeit bereitete, zog Potter den Zauberstab aus seinem Ärmel und richtete ihn auf die kleine Flamme in der Mitte des Zeltes. „Aguamenti!“
 

Ein gezielter Strahl klaren Wassers schoss aus der Spitze des Zauberstabes hervor und löschte das kleine Feuer, ohne irgendjemanden sonst nass zu machen. Verwunderung spiegelte sich in Potters Gesicht. „Incendio!“
 

Das Feuer begann wieder zu brennen, in genau derselben Größe wie zuvor. Offensichtlich sprachlos schaute das Trio auf den Stab. Draco ignorierte den Stich in seinem Herzen, den er bei dem Gedanken verspürte, seinen Zauberstab verloren zu haben, und setzte stattdessen seine Erklärung fort. „Siehst du? Ein einfacher Expelliarmus hat ausgereicht, um einen normalen Zauberstab von mir zu dir übergehen zu lassen. Ein Zauberstab wie der Elderstab ist noch viel versessener darauf, immer nur dem stärksten Zauberer zu gehören. Er würde also definitiv den Besitzer wechseln, wenn der sich entwaffnen lässt.“
 

„Okay“, nickte Potter, der offensichtlich immer noch nicht begriff, warum das von Bedeutung war. „Was genau willst du uns damit sagen?“
 

Es war Hermine, die ungeduldig die furchtbare Wahrheit aussprach. „Begreifst du denn nicht, Harry? Er hat Dumbledore entwaffnet. Auf dem Astronomieturm!“
 

Weasley und Potter sogen scharf die Luft ein. Anscheinend verstanden sie jetzt endlich, was das alles bedeutete. „Das heißt, Malfoy ist jetzt der Besitzer des Elderstabes? Harry! Du hast uns erzählt, dass er Dumbledore entwaffnet hat. Hermine hat recht!“
 

Kurz blieb Potter still, dann fragte er vorsichtig: „Aber wenn ein Expelliarmus ausreicht, um den Besitzer zu wechseln, würde das nicht heißen, dass ich der neue Besitzer bin? Weil ich ja Malfoy entwaffnet habe, wie wir gerade besprochen haben.“
 

Draco hielt inne. So hatte er die Sache noch nicht betrachtet. Würde der Stab den Besitzer wechseln, selbst wenn es ein anderer Zauberstab war, der ihm abgenommen worden war? War das bloße Besiegen mit Magie genug, um die Loyalität zu ändern? Oder musste der Zauberer den spezifischen Stab gerade führen, wenn er besiegt wurde, damit es sich änderte? Er war sich unsicher. Über so eine komplexe Situation hatte er noch nie nachgedacht.
 

Hermine verschränkte die Arme vor der Brust und legte den Kopf schief. „Ich wünschte, wir könnten Mr. Ollivander fragen. Aber es ist vermutlich keine gute Idee, noch einmal zum geheimen Unterschlupf zurückzukehren. Und es spielt vielleicht auch keine Rolle. Fakt ist, selbst wenn Ihr-wisst-schon-wer den Stab ausgräbt, er ist nicht der echte Besitzer, er wird ihn also nicht im vollen Umfang nutzen können. Das ist ausschlaggebend.“
 

„Ja, schon. An sich wäre es am besten, wenn er Harry gehört, aber wenn wir den Stab nicht haben, ist es eh egal. Aber eine andere Frage klärt sich damit, oder nicht?“ Draco starrte Weasley ebenso verwirrt an wie die anderen beiden. Errötend kratzte der sich am Hinterkopf. „Naja, ich meine, was wir mit Malfoy machen. Wir dürfen auf keinen Fall zulassen, dass er Ihr-wisst-schon-wem in die Hände fällt. Falls er der Besitzer ist, könnte Ihr-wisst-schon-wer ihn einfach besiegen, um an die ganze Macht des Stabes zu kommen. Das heißt, wir müssen ihn unbedingt beschützen und im Auge behalten.“
 

Draco spürte, wie ihm der Mund aufklappte. Hatte ausgerechnet Ronald Weasley gerade vorgeschlagen, dass er beschützt werden musste?

Auf die Seite gerollt lag Draco auf einer der vier Liegen und starrte an die graue Zeltwand. Wie so oft in letzter Zeit war jeder Muskel in seinem Körper angespannt. Potter und Weasley waren losgegangen, um zu sehen, ob sie im nächst gelegenen Dorf ein wenig Essen organisieren konnten. Hermine hatte sofort angeboten, zurückzubleiben, um auf ihn aufzupassen, wie sie es ausdrückte.
 

Und jetzt lag er hier, von Kopf bis Fuß starr, und tat so, als würde er schlafen. Er wusste, ein weiteres Gespräch mit ihr würde er nicht übers Herz bringen. Er würde einknicken und sie anbetteln, ihm noch eine Chance zu geben. Er würde versuchen, Weasley schlechtzureden, obwohl gerade der ihn verteidigt hatte und von sich aus zugegeben hatte, dass sie Draco beschützen mussten.
 

Ein dumpfes Geräusch hinter ihm verriet Draco, dass Hermine das Buch zugeklappt hatte, in dem sie bisher gelesen hatte. Er lauschte konzentriert auf sie, wie sie sich beinahe lautlos von ihrem Bett erhob und auf leisen Sohlen zum Ausgang schlich. Beinahe hätte er vor Erleichterung ausgeatmet. Es konnte ihm nur recht sein, wenn sie ihn hier alleine zurückließ.
 

Die Plane am Eingang wurde zurückgeschlagen, doch er hörte keine Schritte, die rausgingen. Stattdessen meinte er, sie leise etwas murmeln zu hören, dann ging die Plane wieder zu. Ehe er begriff, was Hermine vorhatte, war sie an sein Bett herangetreten.
 

„Draco.“
 

Für einen Herzschlag debattierte er mit sich, ob er sich weiter schlafend stellen sollte, doch er wusste, es hatte keine Zweck. Hermine hatte ihn offensichtlich durchschaut und nahm ihm das Schlafen nicht ab. Seufzend rollte er sich rum und setzte sich auf. „Was?“
 

Sofort bereute er seinen harschen Tonfall. Hermines Augen weiteten sich nur minimal, doch er konnte sehen, dass seine Ablehnung sie verletzte. Fluchend fuhr er sich durch sein Haar. „Sorry. Das sollte nicht so aggressiv klingen.“
 

Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, doch ihre Augen wirkten noch immer traurig. „Kann ich mich zu dir setzen?“
 

Unbeholfen nickte er. Welchen Grund sollte er haben, das abzulehnen? Ihr verdammte Höflichkeit zeigte ihm nur zu deutlich, wo sie standen, aber er sollte sie deswegen nicht abweisen. Nicht, wenn er sie nicht gänzlich verlieren wollte.
 

Er starrte entschlossen auf den Boden vor sich, während Hermine neben ihm auf der Liege Platz nahm. Sie saß viel zu nahe. Nur wenige Zentimeter trennten ihre Körper. In der Kühle des Zeltes konnte er die Wärme, die sie ausstrahlte, überdeutlich spüren. Verbissen ballte er die Hände. Er würde sie nicht anfassen, nicht nach ihren Fingern greifen, nicht seine Hände in ihrem Haar vergraben. Er konnte neutral und freundschaftlich bleiben.
 

Sie zögerte lange, ehe sie die ersten Worte über die Lippen brachte. „Ich hatte nie die Chance, dich zu fragen, wie es dir geht.“
 

„Mit geht’s gut.“
 

Sie schnaubte. „Blödsinn, Draco. Ich sehe doch, wie du aussiehst. Und ich hab gehört, wie Bill und Fleur auf dir rumgehackt haben.“
 

Er zuckte mit den Schultern, den Blick immer noch starr auf den Boden gerichtet. „Ist ja nicht so, als hätte ich’s nicht verdient. Ehrlich, Granger, mach dir keine Sorgen um mich.“
 

Er hörte, wie sie scharf die Luft einsog. Kurz wunderte sich, was an seinen Worten so überraschend gewesen war, doch dann begriff er. „Sorry. Hermine.“
 

Sie ließ ihr rechtes Bein ein wenig zur Seite fallen, so dass ihre Knie sich fast berührten. Gegen seinen Willen schielte Draco kurz dorthin, doch er zwang sich sofort wieder, geradeaus zu schauen. Es bedeutete nichts. Das letzte, was Hermine gerade wollte, war Körperkontakt zu ihm, da war er sich sicher.
 

Stille breitete sich zwischen ihnen aus. Mit jedem Atemzug, der verging, fiel es Draco schwerer, die Kontrolle zu behalten. So nahe konnte er sie riechen. Ihre Wärme spüren. Er musste sein linkes Bein nur minimal bewegen, um sie zu berühren. Bei Merlin, er wollte sie berühren. Sie packen und an sich ziehen und küssen und überall berühren und von ihr berührt werden.
 

„Wie ist es in Hogwarts gerade?“ Hermine Stimme klang seltsam neutral, als sie endlich die angespannte Stille durchbrach.
 

Draco zuckte wieder nur mit den Schultern. „Anders. Leer, obwohl fast alle Schüler wieder da sind. Es ist kalt überall.“
 

„Geht es den anderen gut? Vor allem den muggelgeborenen Schülern?“
 

Darauf konnte er nur lachen. „Nein. Was denkst du denn? Die Carrows lieben es, die Schüler zu quälen, vor allem die jüngeren. Wir lernen jetzt die Unverzeihlichen. Indem wir sie gegeneinander einsetzen.“
 

„Was?“ Das Entsetzen war ihr deutlich anzuhören. „Wie können die das zulassen? Das Ministerium? Die anderen Professoren?“
 

„Was erwartest du? Snape ist Schulleiter und das Ministerium ist in der Hand von Du-weißt-schon-wem. Die anderen Professoren sagen nichts, weil sie nicht riskieren wollen, durch weitere Todesser ersetzt zu werden.“ Er schüttelte resigniert den Kopf. „Sie haben nicht aufgegeben, glaube ich, aber sie tun ihr Bestes, um nicht negativ aufzufallen. Ich glaube, insbesondere McGonagall sagt hinter verschlossener Tür all das zu Snape, was die meisten anderen denken. Zwischen den beiden ist Eiszeit. Aber sie widerspricht nicht zu viel. Gerade nur so viel, dass Snape oder die Carrows sie nicht loswerden wollen. Noch nicht.“
 

„Hast du irgendetwas von den anderen Gryffindors gehört? Ginny oder Neville?“
 

Dracos Gedanken wanderten zu den vielen verbrannten Briefen zurück. Wie oft hatte er sich danach gesehnt, sich einfach dieser Gruppe von Gryffindors anzuschließen. Er seufzte tief. „Sie verstecken sich. So ziemlich alle, die vor zwei Jahren in eurer Armee waren – Dumbledores Armee? – die verstecken sich. Im Raum der Wünsche.“
 

„Immerhin etwas“, flüsterte Hermine.
 

Wieder dehnte sich Schweigen zwischen ihnen aus. Er hatte das Gefühl, dass Hermine mehrmals zum Sprechen ansetzte, doch da er sie nicht anschaute, konnte er sich nicht sicher sein. Sein Herz pochte laut. Immer noch war er sich ihres Körpers neben ihm viel zu sehr bewusst. Er schluckte. Vielleicht würde sie eine kleine Geste zulassen. Etwas Unschuldiges. Etwas, das niemand als mehr interpretieren konnte. Sie waren schließlich immer noch Freunde. Zumindest hoffte er das.
 

Den Blick entschlossen geradeaus gerichtet, die Fäuste geballt, ließ er sein linkes Bein minimal zur Seite kippen. Sofort stieß es an Hermines Oberschenkel. Draco hielt die Luft an. Sie bewegte sich nicht weg. Sie ließ den Körperkontakt zu. Es war totenstill im Zelt. Es schien, als hätte sie genauso wie er aufgehört zu atmen.
 

Angespannt presste Draco seine Kiefer aufeinander. Sie hatte ihn nicht abgewiesen. Vielleicht konnte er noch einen kleinen Schritt weitergehen. Er nahm einen vorsichtigen Atemzug und befahl seiner linken Hand, sich zu entspannen. Angestrengt löste er die Faust und strich sich wie zufällig über den Oberschenkel, stützte einen Ellbogen auf seinem linken Bein ab und ließ seine Hand an seinem Knie zum Liegen kommen. Sein kleiner Finger berührte fast Hermines Knie, aber nur fast. Noch immer schaute er nicht zu ihr. Noch immer fiel ihm das Atmen schwer.
 

Stocksteif wartete er auf ihre Reaktion. Sie rührte sich nicht. Absolute Stille hing zwischen ihnen. Draco zwang sich, nicht auf ihre Knie zu schauen, nicht zu seiner Hand zu schauen, sondern stur weiter nach vorne zu blicken. Er traute sich beinahe nicht zu blinzeln in der Angst, dass jede hektische Bewegung Hermine verschrecken könnte.
 

Für eine viel zu lange Zeit verharrte er so. Dann hörte er ganz leise ihre Kleidung rascheln und plötzlich lag Hermines rechte Hand auf ihrem Knie, ihr eigener kleiner Finger dicht neben seinem. Er hielt den Atem an. Ein weiterer zu langer Moment verging, dann strich ihr Finger über seinen und hakte sich ein.
 

Zitternd stieß Draco den Atem aus. Sie war ihm ein Stück entgegengekommen. Egal, wie die Dinge zwischen ihnen standen, sie schaute sich nicht davor, ihn zu berühren. Ein Gefühl der Leichtigkeit ergriff ihn. Endlich traute er sich, zu ihren Händen zu schauen. Nur ihre kleinen Finger waren ineinander verschränkt, aber er fühlte sich, als wäre ein Felsbrocken von seinem Herzen gefallen.
 

„Draco.“ Hermine Stimme war nur ein Wispern, so leise, dass er es nicht gehört hätte, wenn es nicht so totenstill im Zelt gewesen wäre.
 

Etwas in ihrem Tonfall ließ ihn aufschauen. Zum ersten Mal, seit sie sich neben ihn gesetzt hatte, wagte er es, ihr ins Gesicht zu sehen. Was er da erblickte, raubte ihm fast den Atem. Ihre braunen Augen waren groß und schienen mit so einer Zuneigung und Wärme, dass ihm das Herz brach. Sein Herz pochte ihm in den Ohren, sein Atem ging viel zu schnell, doch er konnte den Blick nicht abwenden.
 

Er wollte sie und er konnte sie nicht aufgeben. Etwas in ihm brach. Er konnte einfach nicht.
 

Bevor er selbst recht realisierte, was er vorhatte, umfasste er ihr Gesicht mit beiden Händen und zog sie in einen Kuss. Nur für einen Wimpernschlag blieb Hermine starr, dann seufzte sie in den Kuss und griff mit ihren Händen nach seiner Hüfte.
 

Wie ausgehungert fiel Draco über sie her. Alles, was er sich vorher immer wieder gesagt hatte, war vergessen. Was zählte, war, dass Hermine den Kuss erwiderte. Ihre Fingernägel krallten sich in den weichen Stoff seines Pullovers und entlocktem ihm ein heiseres Stöhnen. Im nächsten Moment ließ sie ihre Zunge zwischen seine Lippen gleiten. Grollend erwiderte er die Geste, während seine Hände von ihrem Gesicht in ihre wilde Haarmähne fuhren und sie dort fest packten.
 

Ohne den Kuss zu unterbrechen, schwang Draco sein linkes Bein über die Liege und half Hermine, es ihm gleichzutun. Seine Hände wanderten ihren Rücken hinunter zu ihrem Hintern und dann zu ihren Schenkeln, die er fest umgriff. Mit einem Ruck beförderte er sie auf seinen Schoß.
 

Noch immer konnte er nicht aufhören, sie zu küssen. Wimmernd, seufzend und stöhnend presste Hermine ihren Körper an ihn, Arme und Beine um ihn geschlungen. Immer wieder ließ Draco seine Lippen und Zähne über ihre gleiten, drang mit seiner Zunge tiefer in ihren Mund ein und erwiderte ihr Stöhnen. Seine Hände suchten sich den Weg zurück zu ihrem Rücken und zogen an ihrer Bluse, damit er über ihre nackte Haut fahren konnte.
 

Er spürte, wie es eng in seiner Hose wurde. Und so, wie Hermine ihre Hüfte rollte, konnte sie das auch spüren. Keuchend ließ Draco von ihrem Mund ab und presste ihr stattdessen eine Spür von feuchten Küssen den Hals entlang bis zu ihrem Schlüsselbein. Er wollte sie spüren, alles von ihr. Fiebrig suchten seine Hände nach dem Knopf an ihrer Hose und er fühlte, wie ihre dabei waren, seinen Pullover hochzuschieben.
 

Ein ohrenbetäubendes Piepen zerstörte den Moment.
 

Mit Entsetzen in den Augen rutschte Hermine von seinem Schoß und stieß sich von ihm ab. „Shit!“, entkam es ihr leise. „Shit, shit, shit. Das sind Harry und Ron. Ich hab einen Alarm geschaltet, damit ich weiß, wann sie wiederkommen.“
 

Draco fühlte sich, als hätte jemand einen Eimer eiskalten Wassers über ihm ausgeschüttet. Das Entsetzen in ihren Augen und die Hast, mit der sie sich von seiner Liege entfernte, sprachen eine deutliche Sprache. Was auch immer dazu geführt hatte, dass Hermine sich auf den Kuss eingelassen hatte, es war vorbei. Sie wollte nichts mit ihm zu tun haben.
 

Erstarrt beobachtete er, wie sie ihre Kleidung richtete und sich hektisch mit den Fingern durch das Haar fuhr. Vollkommen aufgelöst drehte sie sich mehrmals um sich selbst, bis ihr Blick schließlich auf ihrem fast leeren Teebecher zu liegen kam. Sie griff danach, sprach einen lautlosen Zauber darauf und schaute dann erleichtert auf den aufsteigenden Dampf. Als nächstes griff sie nach dem Buch, in dem sie zuvor gelesen hatte, setzte sich im Schneidersitz auf ihre Liege und klappte es auf. Dann schloss sie beide Hände um den Becher und nippte vorsichtig daran, während sie so tat, als wäre sie in das Buch vertieft.
 

Grimmig legte Draco sich zurück in seine Ausgangsposition, den Rücken zu ihr gedreht, den Blick auf die Zeltplane gerichtet. Er wusste, dass sie ihre Beziehung vor Potter und Weasley geheim halten sollten, aber der Eifer, mit dem sie das Geschehene verbergen und ungeschehen machen wollte, tat weh. Als schämte sie sich für ihn.
 

Wenige Augenblicke später traten Potter und Weasley durch den Zelteingang. Hermine begrüßte sie freudig und erkundigte sich nach dem Erfolg, woraufhin beide etwas von Nudeln und Soße sagten. Draco hörte, wie sie betont einen weiteren Schluck von ihrem heißen Tee schlürfte und dann eine Buchseite umblätterte.
 

Als wäre nichts geschehen. Als hätte sie ihm nicht gerade mit einer Leidenschaft geküsst, die ihn an das erste Mal, als sie Sex hatten, erinnerte. Er fühlte sich schmutzig und wütend und das schlimmste war, dass er ihr nicht einmal wirklich was vorwerfen konnte. Sie war mit Weasley zusammen und hatte sich nur auf den Kuss eingelassen, weil er die Initiative ergriffen hatte. Sie hatte einen kurzen Moment von Wahnsinn gehabt, aber jetzt war sie wieder bei vollem Bewusstsein.
 

Er musste die Finger von ihr lassen. Freundschaft stand außer Frage, solange er sich so wenig kontrollieren konnte in ihrer Nähe. Es war höchste Zeit, dass sie Voldemort besiegten, damit er ihre Nähe nicht länger ertragen musste.



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Kommentare zu dieser Fanfic (7)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Lilly551
2023-12-19T13:39:21+00:00 19.12.2023 14:39
Ich fasse es nicht, dass ich die erste sein darf die ein Kommentar hinterlässt zum Kapitel

Ich freue mich wahnsinnig das es endlich weiter geht und ich bin sehr begeistert von deinen Storys im allgemeinen. Spannend das du die Chance genutzt hast Malfoys Haus zu nutzen, um ihn als Charakter aus der Nummer raus zu holen. Wäre sicherlich noch spannender geworden mit der Geschichte zu Gringods, da Malfoy und Bellatrix zusammen sicher noch einmal aufschlussreicher gewesen wäre.
Das hin und her der beiden ist auch wirklich irre (im guten Sinne). Schade, dass die beiden kein klärendes Gespräch suchen können.
Ich bin gespannt wie sich der Rest der Geschichte entwickelt!

Von:  minnimimi
2019-07-16T08:10:54+00:00 16.07.2019 10:10
Wirklich eine super tolle Fanfic! Ich finde deinen Schreibstil sehr flüssig und liebe deine Ideen, wie du die Romanze zwischen Hermine und Draco in die Geschehnisse der Bücher einbringst. Ich bin sehr gespannt darauf wie es weiter geht und hoffe auf ein Happy Ende für die Beiden ♥️
Von:  Naga_Kanya
2019-02-18T20:45:04+00:00 18.02.2019 21:45
Oh Nein...

Es war gerade so spannend und was ist, es hört plötzlich auf!
Ich fasse es nicht....
Ein Funken Hoffnung entzündet sich jedoch in meinem berstenden Herzen das du das hier hoffentlich bald weiterführst.
Ich hab Sehnsucht bekommen, ich! Kannst du dir das vorstellen?
Ich bin schon gespannt welchen weiteren Verlauf du aus der Feder zauberst!

In freudiger Erwartung
Naga 3:)
Von:  Arya-Gendry
2019-02-03T00:13:36+00:00 03.02.2019 01:13
Er hat es echt nicht einfach der Arm.
Von:  Arya-Gendry
2019-02-03T00:03:12+00:00 03.02.2019 01:03
Schön das sie sich wieder gesehen haben. Auch wenn es gefährlich war.
LG.
Von:  Arya-Gendry
2019-02-02T19:53:05+00:00 02.02.2019 20:53
Dann hoffen mir mal das Hermine es schaffen wird Potter davon zu überzeugen. Draco kann einen echt leid tun. Nicht mal in seinen eignen zuhause kommt er zur Ruhe.
LG.
Von:  Arya-Gendry
2019-02-02T19:42:04+00:00 02.02.2019 20:42
Wenn Hermine nun wüsste was noch auf sie zukommen wird. Bin schon gespannt wie es weiter geht. Und was Draco in dieser Zeit noch alles erleben wird.
LG.


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