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Ahnungslose Augenblicke

von

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Spurensuche

Agent Starling lehnte sich nach hinten und schloss für einen Moment die Augen. Von Entspannung konnte keine Rede sein. Selbst den laufenden Fernseher blendete er aus. Wäre er gefragt worden, was sie sahen, würde er keine Antwort geben können. Auch die Wohnzimmercouch war in diesem Moment unbequem. Starling öffnete seine Augen und blickte in die Richtung ihres Flurs. So weit war es bereits gekommen. Er fühlte sich in seinem eigenen Haus unwohl.

„Schatz, jetzt lass doch die ständigen Blicke“, kam es von Angela. Sie lehnte sich an ihn und legte ihren Kopf auf seine Schulter. „Jodie ist in Sicherheit.“

Starling seufzte. „Ich weiß“, murmelte er. „Es ist nur die ganze Situation und dann ist auch noch…“

„Ach Liebling“, unterbrach sie ihn. „Jodie und Shuichi schauen sich oben in ihrem Zimmer nur eine DVD an. Da wird schon nichts passieren. Und du hast mir doch erzählt, dass er diesen japanischen Kampfsport macht. Kung…mhm…wie hieß es nochmal…“

„Jeet Kune Do“, gab Starling von sich.

„Genau, das meinte ich. Wenn was passiert, wird er sie schon beschützen. Und du bist dann ja auch noch da.“

„Mhm…“ Starling wirkte nicht überzeugt. „Es ist das erste Mal, dass Jodie über Nacht männlichen Besuch hat.“

Angela sah ihn irritiert an. „Was glaubst du, was die Beiden tun werden? Unser Zimmer liegt auf der gleichen Etage und die Beiden müssten sich doch dauernd sorgen, dass wir etwas mitbekommen. Außerdem kennt Shuichi doch den Ernst der Lage und wird heute Abend sicher nicht daran denken.“

„Aber…“

„Kein Aber. Du hast mir doch selbst gesagt, dass Jodie langsam erwachsen wird. Natürlich macht sie dann auch ihre eigenen Erfahrungen und wir sollten ihr nicht im Weg stehen. Und besser sie ist hier, als das sie sich wieder raus schleicht…wie damals.“

„Ich weiß.“

„Du bist immer noch nicht überzeugt, nicht wahr?“ Es war so typisch. In der Theorie konnte sie ihre Erfahrungen machen, aber kaum wurde alles real, begleitete ihn die Sorge.

„Jodie ist halt mein kleines Mädchen“, antwortete Starling.

„Das wird sie auch immer bleiben. Jodie kennt ihn doch noch gar nicht so lange. Bis auf einen kleinen Kuss ist da noch gar nichts passiert. Du solltest auch nicht vergessen, dass unsere Jodie gerade andere Sorgen hat. Und wenn du dir trotzdem Sorgen machst, kannst du ja alle fünf Minuten in ihr Zimmer stürzen.“ Angela musste kichern.

„Sie haben sich geküsst?“

Seine Frau kratzte sich verlegen an der Wange. „Stimmt ja…hab ich dir gar nicht erzählt.“ Angela sah ihren Mann entschuldigend an. „Das war keine Absicht und kurz darauf erfuhren wir ja auch von der Sache mit Connor. Und bevor du gleich wütend wirst, vergiss nicht, wir mögen den Jungen.“

Der Agent seufzte. „Wenn ich das gewusst hätte…“

„Dann hättest du was getan? Ihn rausgeworfen?“

„Ich weiß es nicht.“ Der Agent löste sich von seiner Frau und stand auf.

„Und jetzt? Willst du nach den Beiden sehen?“

„Es tut mir leid, Angela, aber mir ist wohler, wenn ich sehe, dass bei Jodie alles in Ordnung ist.“

Angela schüttelte lachend den Kopf. Manchmal war ihr Mann dickköpfig und unbelehrbar. „Falls sie fragt, ich hab versucht es dir auszureden.“

„Angela…“ Starling seufzte und ging in den Flur. Shuichi kam ihm auf den Treppen entgegen. „Alles in Ordnung bei Jodie?“

Akai nickte. „Wir haben nach dem Abendessen ein paar Hausaufgaben von Jodie gemacht und danach DVD geschaut.“

„Und jetzt schläft sie?“

„Ja“, antwortete Shuichi. „Ich würde heute Nacht gern bei Jodie bleiben und auf sie aufpassen. Morgen früh hole ich meinen Laptop und wir können die Beweise noch einmal durchgehen.“

Der Agent sah ihn überrascht an. „Du willst alle Beweise noch einmal durchgehen?“

„Ich werde das Gefühl nicht los, dass wir etwas Übersehen haben.“

„Mhm…von mir aus. Ich werde Angela Bescheid geben, sie wird dir das Sofa vorbereiten.“

„In Ordnung.“
 

Shuichi fuhr nach dem Frühstück bei den Starlings nach Hause, duschte und holte seinen Laptop. Da Jodie am Montag eine wichtige Klausur schrieb, zog sie sich zum Lernen in ihr Zimmer zurück. Shuichis Rückkehr in das Haus ihrer Eltern bemerkte sie nicht. Der Student zog es auch vor gleich zur Sache zu kommen und suchte den Agenten in seinem Arbeitszimmer auf. Während Shuichi seinen Laptop hochfuhr, setzte Starling in der Küche eine Kanne frischen Kaffee auf.

Shuichi gähnte. Die Nacht war kurz. Kaum lag er auf der Couch im Wohnzimmer, ließ er alle Informationen noch einmal Revue passieren. Je mehr er darüber nachdachte, desto sicherer wurde er, dass sie etwas Übersahen. Er wusste nur nicht was. Es musste nur Klick machen. Ein Hinweis, ein Wort, irgendwas und er würde sicher eine Idee haben, aber sein Kopf blieb leer. Shuichi stand auf und trat an das Fenster. Die Welt draußen sah friedlich aus – so als wäre nie irgendwas passiert. Aber die Wahrheit war anders. Menschen starben, entweder durch Unfälle, Krankheit oder Mord. Und letzteres galt es zu verhindern oder aufzuklären. Shuichi ballte die Faust. Das Leben war manchmal wirklich nicht fair, aber sie mussten das Beste daraus machen.

Als Agent Starling wieder in den Raum kam, beobachtete er den Studenten skeptisch und stellte anschließend den Kaffee auf den Tisch. „Bedien dich ruhig“, sagte er.

Shuichi drehte sich um und nickte. Er nahm wieder Platz. „Ist Jodie in ihrem Zimmer?“

„Ja, sie lernt für die Klausur morgen.“

„Verstehe…“ Shuichi schenkte sich eine Tasse schwarzen Kaffee ein und nippte an dieser. „Haben Sie in der Zwischenzeit irgendwelche Neuigkeiten von Ihren Kollegen erfahren?“

„Die Gerichtsmediziner haben eine Blutprobe von Connor einem Schnelltest unterzogen. Sie haben Spuren von einem Schlafmittel nachweisen können. Außerdem hatte er eine Beule am Hinterkopf.“

„Das spricht für den Selbstmord und die mögliche Rangelei mit Weston“, murmelte Shuichi.

Agent Starling nickte. „Weitere Untersuchungen stehen noch aus.“

„Stellen wir das erst einmal hinten an. Mir lässt die Sache mit den Chatpartnern keine Ruhe. Wissen Sie, was aus denen geworden ist, die das FBI identifizieren konnte?“

„Man sollte meinen, dass diese aus ihrem Fehler lernen…als wir nach ihnen suchten, bewegten sie sich weiterhin in den Portalen. Ich kann mir vorstellen, dass viele immer noch dort sind.“

„Mhm…dann sind diese beiden Unbekannten eine Ausnahme. Andererseits ist es vollkommen normal, dass sie sich nicht mehr im Internet bewegen. Dennoch machen sie mich stutzig. Person A besitzt eine wechselnde IP-Adresse, was darauf schließen lässt, dass er einen alten Router besitzen muss. Allerdings verschwindet diese Person dann von der Bildfläche. Person B scheint überall auf der ganzen Welt aktiv zu sein…und das in der kurzen Zeit.“

„Am Anfang dachten wir, dass es sich bei Person B um einen Hacker handelt, der so tut, als wäre er überall auf der ganzen Welt sein. Unsere Techniker haben es zweimal überprüft und schätzten beide Male das System als sehr sicher ein.“

„Also jemand der viel Zeit hat oder viel reisen kann.“

Agent Starling nickte.

„Sie haben doch bestimmt die genauen Orte, Hotels, was auch immer, eingrenzen können. Das möchte ich einmal durchgehen.“

„In Ordnung.“ Agent Starling fuhr mit der Computermaus über eine Datei und druckte den Inhalt aus. „Die erste Nachricht schickte Amber am 13. April. Er antwortete direkt darauf und befand sich zu diesem Zeitpunkt in New York. Zwei Tage später schrieb er von Houston aus. Dann war es ein Internetcafé in Florida und zwei Wochen später eine Hotel in Texas.“

„Viele verschiedene Bundesstaaten“, murmelte Shuichi nachdem der Agent alle Orte aufzählte. „Ich erkenne kein Muster.“

„Das haben wir auch nicht. Die Bundesstaaten sind willkürlich. Genauso wie die Städte in denen er war“, entgegnete Starling. „Der zeitliche Unterschied der Nachrichten bestätigt, dass er reisen musste. Bei normalen Arbeitszeiten hätte sich zumindest ein zeitliches Muster gebildet.“

„Es war keine Eingrenzung anhand des Verkehrsmittels möglich?“

„Leider nicht. Wir holten uns natürlich die Informationen von der Bahn, der Schifffahrt und von den Flughäfen. Die Abgleiche haben uns auch nicht weitergeholfen. Hin und wieder tauchte zwar der gleiche Name auf, aber auch da lief unsere Suche ins Leere.“

Shuichi sah auf den Zettel mit den Daten. „Es waren Wochentage…wenn er also nicht jede Woche einige Tage frei gehabt hat, muss reisen zu seinem Beruf gehören.“

„Oder er ist stinkreich und kann tun und lassen was er will“, warf der Agent ein. „Aus dem gesamten Chatinhalt lässt sich leider nichts ableiten. Er wusste, was er tat, als er mit Amber schrieb. Auffällig ist aber, dass er zu Beginn viele Stunden im Chat mit ihr verbrachte. Vor ihrer Ermordung wollte er nichts mehr von ihr wissen. Er machte Amber für das Scheitern seiner Beziehung verantwortlich, blockierte sie aber nicht als seinen Kontakt.“

„Sehr merkwürdig“, murmelte Shuichi. „Halten Sie es für denkbar, dass er wusste wo sie wohnt?“

„Wir können es nicht ausschließen. Vielleicht ist er der Mann der von Connor gesehen wurde. Allerdings…schrieb der Mann immer in der Mehrzahl wenn er mit Amber chattete.“

„Amber schrieb unter Jodies Namen mit ihm…und er wusste es?“ Shuichi verschränkte die Arme. „Das macht doch keinen Sinn. Er glaubt zu wissen, dass zwei Mädchen ihn erpressen und begeht dann nur den Mord an Amber? Warum hat er sich damals nicht auch Jodie geholt?“

Agent Starling sah ihn an. „Vielleicht wollte er das? Jodie war zu diesem Zeitpunkt bereits bei Connor. Er könnte Jodie damals im Visier gehabt haben. Und als sie dann nicht mehr greifbar war, schwenkte er auf Amber um? Sicher ist, dass Amber genau wusste, mit wem sie es zu tun hatte.“

„Falls diese Person unser Täter ist, stellt sich mir die Frage, ob er von Anfang an überhaupt einen Mord geplant hatte. Was, wenn es ein Unfall war und er deswegen Jodie in Ruhe ließ“

„Aber einen Unfall hätte er melden können“, warf Starling ein. „Seine Beziehung war bereits zerstört, was hätte er zu verlieren gehabt?“

„Seinen Job?“, fragte Shuichi. „Oder da steckt noch mehr dahinter…seine Integrität? Vielleicht war es ein Lehrer?“ Shuichi sah erneut auf den Zettel mit den Chat-Daten. „Dann passt das reisen nicht.“

„Richtig.“

„Haben Sie im letzten Jahr irgendwas Verdächtiges bei Jodie bemerkt? Wurde sie verfolgt oder beobachtet?“

„Gerade in der Anfangszeit gab es sehr anhängliche Reporter und einige Klassenkameraden ließen sich auch hier blicken. Aber ansonsten war da nichts. Natürlich fiel es Jodie schwer alleine zu sein. Deswegen fuhr ich sie jeden Morgen in die Schule und holte sie auch wieder ab. Wenn ich mal nicht konnte, war Angela an der Reihe. Durch den Prozess zog sich das alles in die Länge, sodass Jodie ein gutes dreiviertel Jahr brauchte, ehe sie sich wieder alleine nach draußen traute. So verschreckt wie Jodie gewesen war, hätte sie bemerkt, wenn sie beobachtet wurde.“

Shuichi überlegte. „Dieser ganze zeitliche Ablauf macht keinen Sinn.“

„Ich weiß“, nickte der Agent. „Hätte er damals direkt danach Jodie umgebracht, wären unsere Ermittlungen ausgeweitet worden. Wenn wir annehmen, dass es der gleiche Täter ist, dann hat er über ein Jahr gewartet…eigentlich müsste er doch sehen, dass es keine Beweise gegen ihn gab. Connor stellte keine Gefahr für ihn dar.“

„Ich versteh das nicht“, gestand Shuichi. „Uns fehlt das Warum in den ganzen Taten. Warum hat er Amber umgebracht? Warum hat…“

„Ganz ruhig“, unterbrach Starling ihn. „Du versuchst schon so zu denken wie ein FBI Agent. Aber eine wichtige Sache vergisst du. Ein Täter legt oftmals eine ganz andere Logik an den Tag als wir. Viele verfolgen bestimmte Pläne, andere handeln spontan. Sie haben aber alle eines gemeinsam: Der Sinn hinter ihren Taten ergibt sich erst dann, wenn man sie stellen und verhören konnte.“

„Ja, Sie haben Recht“, nickte Shuichi. „Eine andere Frage. Was wissen Sie alles über Tom Weston. Mich wundert es, dass Connor ihn angegriffen hat.“

„Das Motiv dahinter werden wir jetzt nicht mehr erfahren“, entgegnete der Agent. „Weston…über ihn ist nicht so viel bekannt. Er hat die Familie vor vielen Jahren wegen einer jüngeren Frau verlassen. Zu Amber hatte er nur wenig Kontakt. Aus Ambers Tagebuch wissen wir, dass sie nicht gut mit ihrem Vater klar kam. Außerdem konnten seine damalige Lebensgefährtin und Amber nicht miteinander warm werden.“

Shuichi grübelte. „Und er ist Fotograf für eine Tageszeitung?“

„Genau, für die Daily News. Das war auch ein Grund, warum er so wenig Kontakt zu Amber hatte. Er war dauernd unterwegs, wenn sie ihn brauchte.“

Akai verengte die Augen und startete eine Suche im Internet. „Normalerweise wird der Name des Fotografen doch unter jedes veröffentlichte Bild gedruckt, nicht wahr?“

„Das stimmt“, gab Starling von sich.

Shuichi rief die Website der Tageszeitung auf und klickte sich durch das Online-Archiv. Immer wieder sah er auf den Zettel mit den verschiedenen Daten. „Bingo.“

„Du hast was?“

„Ich wusste, dass mich mein Bauchgefühl nicht trügt“, sagte er. „Hier, sehen Sie mal. Am 16. Mai gab es einen Artikel über einen Brand in Florida. Einen Tag zuvor hat unser Unbekannter mit Amber aus einem Hotel in Florida gechattet. Am 27. Mai fand in Chicago eine Messe statt. Einen Tag vorher gab es wieder einen Chat mit Amber. Und hier, noch mehr, 5. Juni, Gipfeltreffen in Mexiko und am Tag wieder ein Chat mit Amber.“ Shuichi suchte weiter. „Die anderen Daten passen ebenfalls zu den Nachrichten. Entweder stammt der Chat vom Vortag oder erstreckte sich über mehrere Tage.“

„Das heißt…“

Shuichi nickte. „Da an den Artikeln verschiedene Autoren beteiligt sind, ist unser gemeinsamer Nenner Tom Weston.“

Starling schluckte. „Aber warum sollte er seine eigene Tochter umbringen? Und warum diese Chats? Das kann doch nicht…“

„Die Antwort haben Sie selbst gegeben, Agent Starling. Ein Täter verfolgt seine eigenen Pläne und wir werden das ganze Ausmaß erst dann erkennen, wenn wir ihn geschnappt haben.“

„Ich informiere das FBI.“

Shuichi stand auf. „Ich fahr ins Krankenhaus und rede mit Weston.“

„Nein, tust du nicht.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Amxr
2018-07-22T20:44:42+00:00 22.07.2018 22:44
Omg,jetzt wird es spannend😍😍😍
Antwort von:  Varlet
29.07.2018 20:57
Danke für deinen Kommentar.
Langsam geht es auf das Ende zu ^^


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