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Sünde

von

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Gregor

Stunden später saß ich alleine am Küchentisch, stocherte gedankenverloren in meinem Salat aus Paprika, Tomaten und Feta-Käse herum und überlegte, seit wann mein Körper sich so merkwürdig verhielt, sobald meine kleine Schwester mir zu nahe kam. Früher war sie schließlich wie mein Schatten gewesen, ohne dass es mich gestört hatte – im Gegenteil.

Ich hatte sie immer gern um mich gehabt, so wusste ich wenigstens immer, dass es ihr gut ging. Nicht, dass ich je daran gezweifelt hätte, dass es ihr in der Obhut unserer Eltern an etwas fehlte, aber trotzdem fühlte ich mich irgendwie sicherer, wenn ich Mel in meiner Nähe hatte. Verrückt, ich weiß.

Doch dann war diese langsam schleichende Veränderung eingetreten, die immer schlimmer und schlimmer geworden war, bis es mir in Mels Gegenwart regelrecht die Luft abschnürte. Ich spießte ein Stück roter Paprika auf und betrachtete es nachdenklich. Es war von einer dünnen Schicht öligen Dressings überzogen und winzige Fettpartikelchen glänzten unter der Deckenleuchte wie Sterne.

Ja, damit hatte es angefangen... Ich steckte mir das Paprikastück in den Mund und erinnerte mich bedächtig kauend an einen Abend vor zirka drei Wochen. Die Sommerferien hatten gerade begonnen, weswegen Mel länger aufbleiben durfte als gewöhnlich. Wir hatten ewig im Garten zusammengesessen, Karten gespielt und gelacht, bis Mel aufgefallen war, dass bereits die Sterne am Himmel gestanden hatten.

Meine Schwester hatte mich daraufhin an die Hand genommen und von der Terrasse auf den Rasen gezerrt, wo wir uns im von der anhaltenden Trockenheit bereits leicht ausgedörrten Gras hingelegt und zu den Sternen hoch geschaut hatten. Mel hatte sich ganz nah an mich gekuschelt und ihren Kopf gegen meine Schulter gelehnt.

So hatten wir einige Zeit still nebeneinander gelegen, stumm ergriffen von der überwältigenden Schönheit der Natur. Doch irgendwann hatte ich den Fehler gemacht, den Kopf zu drehen und Mel anzusehen.

Ihr Gesicht war so nah neben meinem gewesen, dass ich beinah ihre Wange mit meiner Nase gestreift hätte. Ihre Augen waren auf das beeindruckende Firmament über ihr gerichtet gewesen und ich hatte beinah jeden einzelnen Stern in ihnen gespiegelt sehen können. Ihre vollen Lippen waren leicht geöffnet gewesen, so als hätte sie die Schönheit des Nachthimmels stumm in Worte fassen wollen.

Während ich ihr Gesicht betrachtet hatte, das ich schon so oft im Leben gesehen hatte, dass ich es ohne Probleme aus dem Gedächtnis hätte zeichnen können, hatte mich plötzlich ein Gedanke, eine Idee durchzuckt, die meinen ganzen Körper hatte krampfen und mich geradezu panisch die Flucht hatte ergreifen lassen.

Mel hatte ich auf ihre anschließende Nachfrage hin geantwortet, mich hätte ein Insekt oder so etwas gebissen und ich sei deswegen so überstürzt ins Haus geeilt. Doch wenn ich ehrlich war, wusste ich noch immer nicht, was der wahre Grund dafür gewesen war. Noch immer konnte ich diese Idee, diesen Gedanken, der mich in dieser Nacht überkommen hatte, nicht in Worte fassen. Es war als hätte mein Bewusstsein ihn auf der Stelle verdrängt, bevor ich ihn wirklich zu fassen bekommen hatte.

Doch trotzdem war das Ganze nicht spurlos an mir vorbei gegangen. Dieser Gedanke hatte mich erschreckt und verstört und ich hatte immer noch Angst, dass er wieder auftauchen könnte, wenn Mel sich in meiner Nähe aufhielt. Und das, obwohl ich ihn nicht einmal artikulieren konnte.

Genervt stieß ich einen Seufzer aus. Das war doch vollkommen gaga! Ich ließ mich von irgendetwas in Panik versetzen, das ich nicht einmal klar bestimmen konnte. Schlimmer noch: Ich ließ zu, dass sich dieses Etwas auf meine Beziehung zu Mel auswirkte.

Kopfschüttelnd räumte ich den Tisch ab und betrachtete mein Gesicht, das sich auf den weißen Wandfliesen spiegelte. Seit dieser einen Nacht wirkte ich verschlossener und ernster als früher, ja irgendwie verhärmt – das sah ich sogar selbst. Ich wollte gar nicht wissen, was für Gedanken sich meine Familie um mich machte.

Ich holte tief Luft und warf einen letzten Blick auf mein Spiegelbild, während ich mir selbst einbläute, dass dieses Theater endlich ein Ende finden musste. Ich würde diese Idee, wie auch immer sie ausgesehen hatte, vergessen und mich wieder normal benehmen. Ich konnte das! Ich musste es nur wollen, dann konnte ich das schaffen! Zumindest redete ich mir das ein, als ich langsam die Treppe hinauf stieg und mich in mein Zimmer zurückzog.



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