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Die Welt am Rande des Abgrunds

von

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Schicksalhafte Begegnungen

„Ach Mutter, komm schon ich bin jetzt in der Oberschule. Du brauchst dir wirklich keine Sorgen um mich zu machen!“, empörte sich eine zierliche Gestalt im Flur. Augenscheinlich ein jugendlicher Junge, gekleidet in eine Schuluniform, rückte die marineblaue Krawatte zurecht und zog sich sogleich einen roten Blazer über das dunkle Hemd. Auf der Krawatte war gut zusehen ein Wappen aus Silberfaden gestickt und zeigte das Emblem der Duel Akademia. Der Jugendliche strich sich eine der dicken Haarsträhnen hinter das Ohr, dessen vollmilch- und bitterschokoladenfarbenes Haar voll und wuschelig mit jeder Bewegung die getan wurde sich mitbewegte. Schließlich schulterte die jugendliche Gestalt die Schultasche mit einer eleganten Bewegung, worauf sie nun mit stolz hervorgehobener Brust zur Tür gewandt stand. Das heitere Gesicht des Jugendlichen signalisierte, dass er sich schon unheimlich auf den ersten Schultag auf der Oberschule freute. Am Küchentisch aber saß eine vielmehr gestresste junge Frau, deren blondes Haar sich in seidigen Kaskaden, glänzend über ihre Schultern kringelte. Ihr Haar war keineswegs kraus, aber dennoch hatten sie einen dynamischen Schwung welcher sie lebhaft und kräftig erscheinen ließen. Asuka hielt ihre Tasse, welche mit schwarzem Kaffee gefüllt war, fest mit beiden Händen umklammert. Dabei sahen ihre Augen noch immer bekümmert aus: „Ich weiß ja, aber trotzdem…“

„Juudai hat Recht, es wird alles gut gehen. Obwohl ich sagen muss, dass Asuka in deinem Alter…“, von seiner Morgenzeitung aufblickend sprach der Herr des Hauses dies an den Jugendlichen gewandt. Die dunkelgrünen Augen des großgewachsenen, kräftigen Mannes durchbohrten jeden Menschen, der nicht darauf vorbereitet war von ihm angesehen zu werden. Gleichzeitig strahlten diese intensiven Augen auch eine schreckliche Ruhe und Besonnenheit aus. Asuka hatte ihren Kopf gehoben und sich zu ihrem Manne umgewandt, die Wangen liefen ihr puterrot an während sie ihn anstarrte.

„Hör auf, Ryou“, ermahnte sie schließlich das kühle Gemüt, „Erzähl Juudai nicht diese peinlichen Dinge aus meiner Vergangenheit.“

„Aus unserer Vergangenheit“, berichtigte Ryou die Aussage trocken und nahm noch einen Schluck Kaffee aus seiner eigenen Tasse. Juudai wusste genau worauf der Mann, den er als Vater sah hinaus wollte. Im Geheimen hatte Ryou ihm davon erzählt, dass Asuka im zweiten Jahr an der Duel Akademia auf Abwege geraten war und dass auch er selbst, sich ebenfalls nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert hatte. Auf Details war er nicht eingegangen, doch er wollte Juudai wissen lassen, dass es für jeden Menschen gute und schlechte Zeiten gab. Auch ohne diese Rede damals, dachte Juudai nie ans Aufgeben oder Verlieren. Zwar kannte er sein genaues Ziel noch nicht, aber es werde sich sicher bald zeigen. Bis jetzt fand wohl noch jeder Mensch in dieser Welt seine Bestimmung. Sobald sich der frischgebackene Oberschüler die liebevolle Mutter ansah, traute er ihr die Erzählungen seines Vaters kaum zu. Vielmehr waren die Ereignisse, die sich angeblich zugetragen, eher Ryou zu. Nicht weil sein Vater in irgendeiner Weiser bösartig erschien, sondern weil ihn eine mysteriöse Aura umgab, welche sich in einer unheimlichen Ruhe niederschlug.

Juudai schüttelte jeden dieser Gedanken ab, er musste sich beeilen und so streckte er die rechte Hand nach Ryou aus und zielte mit sowohl Zeige- als auch Mittelfinger auf ihn. „Gotya!“, brachte der Braunschopf hervor. Ein merkwürdiges Gehabe, das er bereits als kleiner Junge angewandt hatte. Jedes Mal wenn er Spaß hatte oder sich an etwas erfreute. Dieses Wort stellte mittlerweile eine Art Zauberformel oder Beschwörung für den Jugendlichen dar. Manchmal wirkte sie so nostalgisch auf ihn, dass Juudai meinte es vielleicht als kleines Kind schon irgendwo aufgeschnappt zu haben. Vielleicht bei einem Pro-Duellanten, den er selbst bewunderte.

„Juudai, geh besser sonst verspätest du dich wirklich noch. Du kannst deine Mutter mir überlassen, ich sorge schon dafür, dass sie auch rechtzeitig zur Arbeit kommt“, meinte Ryou mit einer leichten Bewegung mit dem Kopf zur Haustür. Damit wollte er Juudai mitteilen dass er endlich losgehen durfte.

„Thank you, Vater!“, entgegnete Juudais helle Stimme und ging nun den Flur entlang bis zur Haustür, „Streng dich aber auch auf der Arbeit an, alles klar?“

„Natürlich“, antwortete ihm die ruhige Stimme des Mannes. Die zierliche Gestalt schnappte sich seine Jacke und sprang sogleich aus der Tür hinaus nachdem er sich die Turnschuhe angezogen hatte.

„Ich bin dann weg, bis später!“, rief er in die Wohnung hinein bevor er sie geräuschvoll ins Schloss knallen ließ. Somit verschwand Juudai in den sonnigen Morgen hinein um den ersten Schultag nach der Einschulungszeremonie am Vortag erfolgreich hinter sich zu bringen.
 

Die Haustür fiel krachend in den Rahmen zurück und ließ Asuka heftig zusammenzucken. Zunächst schüttelte die junge Frau noch mit dem Kopf. „Dieses Kind ist unmöglich“, bemerkte sie. Ryou lachte leise auf und faltete die Morgenzeitung wieder zusammen um sie fein säuberlich in einen Korb im Flur zu legen. In diesem hatten sich die Morgenzeitungen des letzten Monats bereits wieder angesammelt.

„So wie wir Juudai kennengelernt haben. Einiges ändert sich eben nie“, entgegenete Ryou gelassen.

„Aber ich verstehe es nicht, Ryou. Warum hat er ihn uns überlassen. Ausgerechnet uns beiden?“, dachte sie laut, als sie sich an die Kücheneinrichtung lehnte. Dabei hatte sie ihr Kinn auf die Hand gestützt und sah aus dem Fenster. Ryou schmunzelte leicht: „Das fragst du nach fünfzehn Jahren?“

„Ich habe es mich schon oft gefragt, aber vorher habe ich mich nie getraut die Wahl in fragezustellen. Damit ich nicht undankbar erscheine. Um ehrlich zu sein, Ryou, ich habe diesen Tag immer gefürchtet. Der Tag an dem Juudai wieder zur Duel Akademia geht“, erklärte Asuka und beobachtete ein paar fröhliche Spatzen im Baum. Der Morgenhimmel strahlte in einem freundlichen Azurblau. Er machte denselben Eindruck wie früher, als sie noch auf der Duellinsel lebten und der Hauptsitz der Duel Akademia dort lag. Anders als auf der Duellinsel aber, brannte die Sonne an diesem Ort nicht ganz so intensiv und unbarmherzig. Im Gegenteil so erschienen Sonnentage in dieser Stadt so als geschehe nie ein Unheil. Selbstverständlich geschahen in ihrem jetzigen Wohnort, der Orimpia genannt wird, genauso viele Verbrechen wie in jeder anderen Großstadt auch.

„Wenn wir Daitokuji-sensei vertrauen können-…“ „Kann man jemandem wie Daitokuji-sensei vertrauen?“ „Asuka!“, ermahnte Ryou die Frau und schüttelte den Kopf. Die Erinnerung an die Nacht als Asuka nach vielen Jahren erneut auf ihren toten Lehrer getroffen war, erwachte wieder zum Leben. Obwohl bereits fünfzehn Jahre ins Land gezogen, erinnerte sie sich noch an jedes Detail aus jener Nacht.

Daitokuji, einer der Seven Stars. Einer der stärksten unter ihnen, den man Amnael nannte, war ganz plötzlich vor ihr erschienen. Viele Jahre nachdem Darkness und das Licht der Zerstörung vernichtet waren. Frieden und der Fortbestand der Menschheit sollten gesichert gewesen sein. Yuuki Juudai streifte irgendwo durch die Lande, so viel ihr damals bewusst war, noch immer auf der Suche nach einem tieferen Sinn im Leben. Sehr viel hatten sie nicht mehr miteinander zu tun gehabt. Manchmal drang noch einmal Kunde über ihre alten Kameraden und Freunde durch Fubuki zu ihr. Diese Momente wurden allerdings mit der Zeit immer seltener. Asuka hingegen hatte sich ihren Traum erfüllt Lehrerin an der Duel Akademia zu werden. Ryou dagegen war stets darauf bedacht gewesen sich auf ewig bedeckt und im Hintergrund allem zu halten. Vor allem das Duellieren hatte er hinter sich gelassen und schleunigst aufgegeben. Damals wollte es auch nie wieder beginnen. Stattdessen widmete er sich eingehenden Forschungen und studierte selbst noch einmal an höheren Institutionen um hinter die Geschehnisse zu kommen, die sich in der Isekai zugetragen hatten. Die Tatsache, dass es noch andere Dimensionen parallel zu der ihren gab, brachte ihn dazu mehr Nachforschungen anzustellen, wobei ihm viele Dinge über das Licht der Zerstörung bekannt wurden. Auf diese Weise wurde Marufuji Ryou auf einem anderen Gebiet als dem Duellieren bekannt. Er wurde zum Professor. Kontakt pflegten Asuka und Ryou zu jener Zeit nicht mehr. Die beiden verband lediglich eine gemeinsame Vergangenheit an der Duel Akademia und die Tatsache, dass Asuka nichts weiter als zusehen konnte, wie Ryou vom hohen Sitz der Pro-League stürzte um in der Hölle zu landen. Vielleicht hatte Daitokuji sie aus diesem Grunde aufgesucht. Weil sie beide nichts vom jeweils anderen wussten und wahrscheinlich empfänglicher für einen Auftrag waren. Für einen Auftrag, der womöglich wichtig für den weiteren Fortbestand der Menschheit war. Vielleicht hatte Daitokuji auch darauf gesetzt, dass beide ihn erhöhten, wenn sie auf jemanden trafen, den sie von früher kannten.

In einer stürmischen Oktobernacht im Jahre 2015, schien das Wetter in ganz Japan plötzlich verrückt zu spielen. Obwohl Taifune um diese Jahreszeit zur vollkommenen Routine gehörten, fielen diese in genau diesem Jahr zorniger aus als gewöhnlich. Insbesondere suchten sie die Duellinsel heim. Die Winde zwangen meterhohe Wellen dazu, sich brüllend an der Küste zu brechen. Das reißende Wasser überspülte immer wieder das angelegte Betonufer des Anlegestegs. Der peitschende Wind schleuderte grobe Regentropfen durch die Luft und knallte sie krachend gegen die Fenster der Behausungen an der Duel Akademia.

Asuka schlief nun mehr in der Lehrerunterkunft auf dem Schulgelände. Die Lehrerschaft war seit dem Winter des Jahres 2008 in einem separaten Gebäude untergebracht worden. Dabei sich die Lehrer wöchentlich die Nachtwachen teilten. Dabei zog jede Woche eine ruhende und eine wachende Nachtwache in eine der Schülerunterkünfte begab. Diese Maßnahme wurde getroffen, nachdem man darüber beriet ob die Lehrerschaft nun selbst Unterkünfte brauchte, oder ob diese zusammen mit den Schülern in den Wohnheimen bleiben sollte.

Als Lehrerin genoss Asuka großes Ansehen bei den meisten Schülerinnen und Schülern. Im Gegensatz zu einer Reihe anderer Neuzugänge im Personal, machte sie sich weiterhin nichts aus den Einteilungen nach Leistung, in die Unterkünfte Osiris Red, Rah Yellow und Obelisk Blue. Es blieb allerdings kein Geheimnis, dass die Mehrheit der Pädagogen das Elitedenken beibehalten wollte. Vielleicht verlangte die Änderung einer alteingesessenen Denkweise einfach mehr Zeit als wenige Jahre Studium. Zumindest vermutete Asuka dies. Aus diesem Grunde hielt Asuka es für das Beste, die Leistungsschwächeren mit Extrakursen und ähnlichen Angeboten zu unterstützen. Dies galt selbstverständlich nicht nur den Mädchen, sondern sämtlichen Schülern. Außerdem eröffnete sie zusammen mit Momoe und Junkos Hilfe eine Forschungsbibliothek an der Duel Akademia. Obwohl Asuka es nicht wusste, oder vielleicht auch gerade weil sie es nicht wusste, befand sich von Zeit zu Zeit Marufuji Ryou in eben dieser Forschungsbibliothek um relevante Literatur zu suchen. Über die Jahre entwickelte sich das Gelände der Duel Akademia zu einem reicheren und innovativeren Ort des Lernens, jedoch trug dies keineswegs zur Besänftigung des gnadenlosen Wetters bei.

Der Schlaf der jungen Frau blieb trotz des Unwetters tief, jedoch nicht ruhig. Träume belästigten ihr Unterbewusstsein. Obwohl es sich bei diesen Träumen vielmehr um beinahe vergessene Erinnerungen an ihre Schulzeit handelte. Von weit her rief eine Stimme ihren Namen. Sie war nicht laut, aber ignorieren konnte Asuka die Stimme auch nicht. Immer wieder wiederholte sie ihren Namen: ‚Asuka. Tenjouin Asuka! Tenjouin Asuka, Ihr müsst erwachen.‘

Langsam öffnete die junge Frau ihre Augen. Die Lider noch schwer vom Schlaf, sah Asuka in die dunkle Leere ihres Zimmers hinein. Auf dem ersten Blick fing nichts und niemand ihre Aufmerksamkeit. Die Stimme konnte sie allerdings immer noch vernehmen. Jetzt da Asuka bei Bewusstsein war, klang das Fremde so viel klarer als in ihren Träumen.

„Tenjouin Asuka-sensei, Ihr müsst jetzt aufwachen.“

Verwirrt durch die unerwarteten Zusprüche, setzte sich die junge Frau auf. Ihr erster Gedanke huschte zu ihren Schülern. Vielleicht brauchte jemand dringend Hilfe. Vielleicht befand sich jemand in großer Gefahr, doch dann fiel ihr ein, dass die gefahrvollen Zeiten eigentlich vorüber waren. Eigentlich, sollte das schlimmste Übel ihrer Gegenwart ein Schüler sein, der dringend Hilfe für eine Prüfung brauchte. Aber gab es in den nächsten Tagen überhaupt irgendwelche Arbeiten? Verwirrt setzte Asuka sich auf und blickte sich noch immer sehr müde um. Der Wunsch schlafen zu wollen stand ihr ins Gesicht geschrieben als sie sich umsah. Endlich erfassten ihre Augen eine Ungewöhnlichkeit. In einer Ecke, in welcher eigentlich ihr ganz gewöhnlicher Spiegel an der Wand hängen sollte, brannte es plötzlich. Oder, viel mehr brannte nur der Rahmen des Spiegels in giftgrün flackernden Flammen. Falls ein Metallrahmen überhaupt feuerfangen konnte. Diese Tatsache brauchte einen Moment um in ihren Kopf zu dringen. Glücklicherweise reagierte sie dann doch schnell und kam auf ihre Beine um sich geschwind zu ihrem Spiegel zu begeben.

„Habt keine Furcht, diese Flammen bringen keinen Schaden.“ Es wäre eine glatte Übertreibung zu behaupten, dass Asuka sich in jener Nacht auch nur das kleinste Bisschen beruhigt fühlte, als ihr der Träger der Stimme mitteilte, dass ihr kein Leid zugefügt wurde. Man konnte es drehen und wenden wie man wollte, die Stimme eines unsichtbaren Jemands zu hören, konnte nicht normal, geschweige denn gesund sein. Dennoch glaubte sie dem Nachdruck der in diesen Worten lag deutlich zu bemerken. Als sich ihre Augen gänzlich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte sie, dass sich im Spiegel eine Gestalt befand. Dabei handelte es sich nicht um ihr eigenes Spiegelbild, welches viel kleiner hätte sein können. Asuka selbst trug ein hellblaues Nachthemd, doch im Gegensatz zu einer zierlichen hellen Gestalt, stand dort ein kräftiger Mann. Dieser trug lange, weite Kleidung, die ihn beinahe vollkommen verhüllte. Das lange, weiße Haar wehte nicht, doch stand es ihm weit ab, so als gäbe es längst verstummte Böen. Hätte sie ihren Besucher nicht beinahe so schnell erkannt, wie sie ihre eigene Reflektion erkannte, dann hätte Asuka darauf getippt, dass dieser Mann aus einer warmen Wüstenregion kam. Sie aber erkannte wer er war. Sie kannte diesen Mann gut. Sehr gut sogar, denn er selbst war einst ihr Lehrer gewesen.

„Daitokuji-sensei!?“, brach es verwirrt und erschrocken aus ihr hervor. Der ihr Gegenüber lächelte ein mildes, kaum erkennbares Lächeln, welches ihr aufgrund des umgewickelten Kapuzenmantels hauptsächlich verborgen blieb. Asuka meinte erkennen zu können, dass er seicht nickte. „Sensei, Sie sind doch…“

„Ich, der Mensch Daitokuji bin in Eurer Zeit schon lange tot, Tenjouin Asuka-sensei. Doch mein selbst als Amnael existiert weiter. Bis in alle Ewigkeit“, entgegnete der Mann. So leicht ließ Asuka sich mit einer solchen Rede nicht zufriedenstellen. Am liebsten hätte sie um lange Erklärungen gebeten, doch bevor sie ihrem Wunsch aussprechen konnte, fuhr Amnael fort: „Es bleibt uns keine Zeit für lange Erklärungen. Das Feuer der Vergangenheit brennt nicht ewig. Ihr seid meine einzige Hoffnung um die Dunkelheit der Gerechtigkeit zu beschützen.“ Die junge Lehrerin sah den ehemaligen Seven Star verwundert an. Er klang notgedrungen und gedrängt darauf, die Angelegenheit schnell hinter sich zu bringen. Asuka glaubte diese Bezeichnung bereits gehört zu haben. Die Dunkelheit der Gerechtigkeit klang wie eine göttliche Entität aus einer langen, defusen Vergangenheit. Tatsächlich erinnerte sie sich an die Geschichte, die sie vor Jahren einmal in einem finsteren See gesehen hatte, oder wo auch immer sie sich damals befand. Eingeschlossen und versiegelt von einem liebeskranken und nicht zuletzt völlig besessenen Monster. Haou, die freundliche Dunkelheit die rechtschaffend war und die Menschheit und alles Leben im Universum gedeihen ließ.

„Daitokuji-sensei ich-…“

„Asuka-sensei Ihr müsst zu mir kommen. Berührt den Spiegel mit Euren Händen, dann könnt Ihr eintreten. Fürchtet Euch nicht, denn es wird Euch kein Leid geschehen.“

Weitere Wiederworte fielen der Frau nicht ein. Sie hörte auf ihr Inneres und entschied sich nach kurzem Abwiegen der Situation auf ihren ehemaligen Lehrer zu hören. Sie erinnerte sich noch an etwas, das Juudai vor einigen Jahren beiläufig erwähnt hatte – dass Daitokuji-sensei nie ein schlechter Kerl war und nur auf der Suche nach Perfektion in seinem Fachgebiet den richtigen Weg verlor. Irgendwo in ihrem Hinterkopf musste Asuka sich eingestehen, dass jeder rechtschaffende Mensch einmal vom Weg abgleiten konnte. Hatte sie selbst nicht auch versucht an Marufuji Ryou zu appellieren, als sie sich teilweise freiwillig der Hikari no Kessha zuwandte? Außerdem meinte sie sich auch daran erinnern zu können, dass Juudai erwähnte, dass der gute Daitokuji-sensei immer noch irgendwo bei ihnen war.

Ehe Asuka es sich versah umhüllte sie das Dunkel der Spiegelwelt. Nun trennte sie nichts mehr von dem alten Feind namens Amnael.

„Daitokuji-sensei, ich verstehe das alles nicht. Ich dachte Sie wären schon-…“ „Schon lange tot?“, beendete der Lehrer mit seinem altbekannten, breiten Lächeln, welches Asuka dieses Mal sogar erkennen konnte, denn die Kapuze hatte er nun abgenommen. Schon früher hatte er ihnen dieses unschuldige Lächeln gezeigt. Asuka nickte stumm. Amnael ließ ein leises Lachen verlauten. Natürlich war er in dieser Zeit bereits verstorben.

„Das bin ich. In Eurer Welt und Zeit ist der Mann namens Daitokuji schon lange nicht mehr. Aber in einer Parallele bin ich immer noch existent. Es gibt viele Welten und auch wenn ich körperlich nicht mehr bin, so lebt die Seele dennoch weiter. Tenjouin Asuka-sensei, gerade Ihr müsstet doch eigentlich am besten wissen, dass die Erde nicht die absolute Wirklichkeit ist. Wart Ihr nicht eine derjenigen, die in der Isekai von Yuberu-sama versiegelt wurden, um in eine andere Zeit zu blicken?“ Asuka verstand zwar immer noch nicht was dies alles bedeutete, aber Amnael wollte es ihr sogleich erklären: „Tenjouin Asuka-sensei, es ist von außerordentlicher Wichtigkeit, dass Ihr mir jetzt Euer Gehör schenkt. Die Gefahr, die der rote Held Yuuki Juudai zu bannen schien, ist nicht das Übel hinter der Wahren Bedrohung. Das Licht der Zerstörung ist immer noch auf der Jagd nach der rechtschaffenen Dunkelheit. Aber dieses Mal wird die Dunkelheit sie sich nicht wehren können. Dazu reicht ihre Kraft noch nicht aus.“

„Die rechtschaffene Dunkelheit, die sanfte Dunkelheit, meinen Sie das?“, erkundigte sich Asuka kurzerhand doch noch einmal, um den Fakt richtig verstehen zu können. Es brachte ihr allerdings nicht viel, denn egal wie sie es drehte und wendete, diese Sache war nicht zu verstehen. Amnael antwortete erneut mit einem Nicken: „Es ist eben diese unschuldige Dunkelheit, die bis zu ihrer Reife behütet werden muss. Da das Gefäß der Dunkelheit vor wenigen Nächten aus dieser Zeit verschwunden ist, muss dafür gesorgt werden, dass ihre Wiedergeburt unter allen Umständen in einer Zeit aufwächst, in der es das Licht der Zerstörung nicht gibt.“

Ein Paar verwirrte, bernsteinfarbene Augen blickten dem Anderen in die roten Augen. In dem Moment, als Amnael mit seiner Erklärung fortfahren wollte, harkte Asuka nach: „Wenn Sie sagen, dass das Gefäß der sanften Dunkelheit in dieser Zeit nicht mehr existiert… bedeutet dass, das Juudai-kun…“

„Yuuki Juudai ist tot“, antwortete Amnael wobei seine Stimme bedauerlich klang, auch seine Miene wirkte betrübt, „Die genauen Umstände sind mir nicht bekannt. Soviel mir bekannt ist, verlor auch das Licht der Zerstörung sein Geföß und nun sucht es der neuen Dunkelheit. Deshalb möchte ich seinen Nachfahren, das neue Gefäß der Dunkelheit so lange wie möglich von hier wegbringen.“

„Ein Nachfahre!?“, wiederholte Asuka beinahe geschockt. Beide Hände vor ihren Mund geschlagen schnappte sie tonlos nach Luft. Was dies bedeutete musste ihr niemand erzählen. Mit einer leichten Handbewegung beschwor Amnael ein silberfarbenes Licht herauf, das die Gestalt eines Bündels annahm, welches sich in seine großen Arme platzierte. Ungefragt ertönten die klagenden, unzufriedenen Laute eines Säuglings.

„Daitokuji-sensei!?“, entfuhr es Asuka beinahe noch geschockter als zuvor, „Soll das bedeuten, dies ist Juudais Kind?“

„Fast. Dieses Kind ist kein direkter Nachfahre von Yuuki Juudai. Allerdings ist es ohne Eltern schutzlos dem Licht der Zerstörung ausgeliefert. Tenjouin Asuka-sensei Ihr müsst dieses Kind nehmen und in eine Zeit bringen wo das Licht, die Dunkelheit nicht so leicht finden kann. In der Zeit, in die es geboren wurde hat es keinerlei Schutz, denn weder Ihr noch irgendein anderer aus seinem Umfeld wurde wiedergeboren“, erklärte Amnael und gab der jungen Frau ein Zeichen näher zu kommen, damit sie sich das Kind ansehen konnte. Asuka verwirrte der Gedanke, dass solch ein Wahnsinn überhaupt möglich war. Wie sollte sie in einer anderen Zeit leben und vor allem, was würde aus ihrer Position hier in ihrem eigentlichen Leben werden? In ihrem Moment des Zweifelns und Abwiegens der Möglichkeiten, legte Amnael ihr das kleine Kind in den Arm, welches die junge Frau mit wachen Augen anblickte. Anscheinend hatte es sich schnell wieder beruhigt, obwohl es eben noch ziemlich unzufrieden gewirkt hatte. Als sich die Bernsteine mit den heterochromen Blicken trafen, hellte die Miene des Säuglings weiter auf und er begann quietschfidel zu lachen. Ein ansteckendes Lachen, über welches nur Neugeborene verfügten. Dies war der Moment, da Asuka sich entschieden hatte. So als habe das Kind sie mit seinen großen orange-grünen Augen in den Bann gezogen. Überrascht über dieses Merkmal, warf sie Amnael einen alarmierten Blick zu: „Daitokuji-sensei, dieses Kind… Juudai… er…“

„Habt keine Angst, in diesem Kind schlummert nicht nur eine Seele. Yuberu ist bei ihm. Es gibt einiges über dieses Kind zu wissen, dass man zuvor an Yuuki Juudai nicht kannte. Doch nun Asuka-sensei, überlasst mir alles Weitere. Ich werde Euch in die neue Zeit schicken und den gewöhnlichen Verlauf dieser Welt in die richtigen Bahnen lenken“, erklärte Amnael, „Ihr müsst durch diesen Gang gehen. Am anderen Ende trefft Ihr jemanden, der Euch bei Eurem unterfangen unterstützen wird. Euer Partner wird. Wir arbeiten seit geraumer Zeit zusammen und er hat schon große Vorarbeit geleistet. Gebt gut auf dieses Wesen Acht, von dieser Inkarnation der Dunkelheit wird das Schicksal dieser Welt abhängen.“

Asuka nickte stumm. Ihr ging in diesem Moment vieles durch den Kopf, was sie verwirrte. Es machte ihrer Meinung nach augenblicklich keinen Sinn viel darüber nachzudenken. Es gab keinen Sinn. Asuka hatte zu viel erlebt und zu viel über die sonderbaren Mächte dieses Universums erfahren um diese Aufgabe zu ignorieren oder sie nicht ernst zu nehmen. Dieses Kind hier in ihren Armen brauchte sie und so schritt sie den ewigdunklen Gang entlang bis ein Lichtschein in Sicht kam.

Am Ende dieses Pfades, der so dunkel und unendlich erschien wie das All, befand sich eine robuste Silhouette. Dort stand eine Gestalt, die ihr beim Voranschreiten immer bekannter vorkam. Ihr Herz machte einen kleinen Sprung als ihr die Vorahnung bestätigt wurde. Ein hochgewachsener, schlanker, junger Mann gekleidet in Weiß und Königsblau wartete mit verschränkten Armen darauf dass etwas geschehen sollte. Asuka blieb abrupt stehen, wobei sich ihre Augen leicht mit Tränen der Wiedersehensfreude füllten.

„Ryou!?“, rief sie aus und der junge Mann wandte sich zu ihr um. Auf seinem Gesicht war ein seichtes, kaum bemerkbares Lächeln zu sehen, so als hätte es Hell Kaiser Ryou niemals gegeben.

So kam es, dass sich die königlichen Ikonen von Obelisk Blue, Marufuji Ryou und Tenjouin Asuka um einen Säugling kümmerten, obwohl sie gar kein Paar waren. Dennoch bemerkten beide das tiefe Band der Freundschaft, neu gestärkt. Beide erkannten, dass es auch durch die bitteren Ereignisse nach dem gemeinsamen, ersten Schuljahr nicht gänzlich gerissen war.

Es war ein Neuanfang für sie beide.
 

Juudai rannte die breiten, offenen Straßen der Stadt Orimpia entlang. Das Wetter stimmte den Jugendlichen besonders gut, denn durch die Sonne bekam er noch viel mehr Energie. Das Haus in dem der Braunschopf lebte war im Stadtteil Aratoron, welchen man auch als Luxusviertel der Stadt bezeichnete. Allerdings befand sich dieses Gebiet etwas außerhalb vom Stadtzentrum, so dass es ungefähr vierzig Minuten dauerte um es mit dem Zug zu erreichen. Obwohl es auch in der Stadtmitte keine engen, dunklen Gassen gab – und wenn, dann betrat er sie nie - machte sich Asuka stets Sorgen um ihr Kind. Obwohl es Juudais Meinung nach keinen Grund dazu gab. Mit Sicherheit befanden sich auch in dieser Stadt Verbrecher und Triebtäter, auch wenn Juudai glücklicherweise noch nie einem zwielichtigen Menschen begegnet war. Selbst wenn sich der Braunschopf sich bemühte die Mutter zu beruhigen, sein Vater behauptete stets: „Dies ist etwas woran Eltern nichts ändern können. Sie machen sich nun Mal Sorgen um ihr einziges Kind. Vor allem um ein Kind wie dich.“ Dem Jugendlichen kam es allerdings immer so vor als ob sich Asuka immer zu viele Sorgen darum machte wie es ihrem Kind geht. Juudai erklärte es sich damit, dass sie selbst irgendwann in ihrer Vergangenheit auf Abwege geraten war.

Der Schulweg hatte sich bei Juudai noch nicht richtig eingeprägt und trotzdem rannte er die ganze Strecke bis zur Schule hin ohne eine einzige Pause. Am Vortag hatten seine Eltern ihn direkt nach der Einschulungszeremonie mit in ein Restaurant genommen, so dass Juudai keine Zeit hatte andere Leute oder Freunde kennen zu lernen. Doch der heutige Tag war für eben das gedacht. Heute wollte er andere aus seinem Jahrgang und der Klasse treffen. Sofort wollte er mit ihnen sprechen und nicht zuletzt um ein Duell bitten mit anderen duellbegeisterten Gleichaltrigen bitten.

Da Juudai der Meinung war in eine Familie hineingeboren zu sein, die aus einem Haufen duellbegeisterter Menschen bestand, liebten sie das Spiel alle gemeinsam. Sowohl Juudais Vater als auch Mutter waren ziemlich begabt sowie geschickt, so dass er darauf schwor, dass sie die stärksten waren. Juudai selbst nahm in der Vergangenheit bereits an Duellkursen teil in denen sich das Talent des Jugendlichen bereits deutlich zeigte. Auch im Junior Cup schnitt Juudai nicht unbedingt schlecht ab. Obwohl Juudai schon längst nicht mehr zu den schwachen Duellanten zählte, machten seine Erziehungsberechtigten keinen Rummel darum.

Nicht anders zu erwarten von dem Manne, der den Cyber End Dragon ohne Probleme beschwor; oder seine Mutter, die den Cyber Angel Benten kontrollierte. Ritualmonster ließen Juudai stets erschaudern, aber wenn Juudai richtig nachdachte, dann musste er zustimmen, dass er nie gegen die beiden ein Duell gewonnen hatte.

Als Juudai auf die Duellgrundschule ging, lernte er schließlich auch wie man das Internet vernünftig benutzte und die ersten paar Nachforschungen die er anstellte, war die Namen seiner Eltern in einer Suchmaschine einzugeben. Marufuji Ryou und Marufuji Asuka ergaben zunächst die erwarteten Resultate – nämlich die Webseiten ihrer Arbeitsplätze. Marufuji Ryou arbeitete bei der Kaiba Corporation als Forscher für Dimensionskunde – was immer dies auch bedeuten mochte. Seine Mutter, Marufuji Asuka hingegen arbeitete an einer anderen Zweigstelle der Duel Akademia. Beim Scrollen hatte Juudai bemerkt, dass es ansonsten ein paar andere augenöffnende Tatsachen zu wissen gab. Zum Beispiel dass sein Vater einst die Nummer Eins an der Duel Akademia war. Zu jener Zeit, als man die Schüler noch anhand ihres Niveaus in die verschiedenen Unterkünfte Osiris Red, Rah Yellow und Obelisk Blue einteilte. Heutzutage gab es diese Niveaueinteilungen nicht mehr. Alle Erstklässler wurden in gleichgroße Gruppen geteilt, die Mädchen durften zwischen einer roten Schuluniform bestehend aus einer Bluse, einem Blazer und wahlweise einem ebenfalls roten Rock oder Hose sowie wahlweise marineblauer Krawatte oder Schleife wählend. Die Jungen hingegen mussten sich mit einer königsblauen Schuluniform bestehend aus einem dunklen Shirt- beziehungsweise Pullover im Winter und einer ebenso königsblauen Hose und Krawatte begnügen. Soweit Juudai sich erinnerte, gab es das Rangsystem schon länger nicht mehr und er musste sich fragen wie alt seine Eltern eigentlich genau waren. Wie dem auch war, seine Mutter wurde als eine der Duellgrößen gefeiert, wenn auch nicht so sehr wie Marufuji Ryou der einst als Hell Kaiser bekannt und in der Pro-League gespielt hatte. Ansonsten aber spuckte die Suchmaschine nicht viel aus. Es blieb bei einer Treffliste, die man an einer Hand abzählen konnte. Vermutlich lag es daran, dass die Eltern sich ganz der Erziehung ihres einzigen Kindes widmen wollten. Außerdem blieb ihnen aufgrund eines hektischen Arbeitsverhältnisses vermutlich keine Zeit sich mit Wettkämpfen abzulenken. Dennoch empfand Juudai es als unheimlich cool, dass er seinen Vater schon mal auf einer DVD-Aufnahme duellieren gesehen hatte. Eigentlich hatte er damals den Eindruck auf Juudai gemacht, als könne er es nicht lange ohne ein Duell aushalten.
 

„U-uwa-…!?“

„Eeeeh!?“
 

Zu tief in die eigenen Gedanken versunken, hatte Juudai nicht mehr auf die Umwelt geachtet. Er stieß plötzlich mit einem großen Rums mit einem anderen Körper zusammen. Kurz darauf wurde nach hinten gedrängt und landete wenige Sekunden darauf mit dem Hintern auf dem harten Steinboden. Während Juudai sich noch die schmerzenden Stellen des Körpers rieb, wandte er den Blick nach vorn. Derjenige, mit dem er zusammengestoßen war, trug augenscheinlich dieselbe Schuluniform. Gleichwohl sah der Andere sich nicht in der Lage sich auf den Beinen zu halten. Es war wohl so, dass sie sich gegenseitig um- und weggestoßen hatten.

„‘schuldige, ich war ganz in Gedanken und hab nicht aufgepasst. Hast du dich verletzt?“, erkundigte sich Juudai.

„Ich bin in Ordnung. Sieht eher aus als wärst du ganz schön hart gelandet. Hast du dir sehr wehgetan?“, wollte der Andere wissen, „Ich hab ehrlich gesagt auch nicht aufgepasst, ich war nämlich in Eile.“ Während die beiden besorgte Floskeln austauschten, kam Juudai wieder auf die Beine und wandte sich an den anderen Jungen.

„Wir tragen die gleiche Schuluniform! Ich bin gestern erst auf der Duel Akademia Oberschule eingeschult worden“, bemerkte Juudai sogleich mit einem breiten Grinsen.

„Ah, ich auch…“, entgegnete der andere während er sich grinsend aber dennoch verlegen am Hinterkopf kratzte.

„Oh, aber haben wir dann nicht gemeinsam Unterricht? Wo wolltest du denn hin?“, fragte Juudai weiter. Der andere Junge, augenscheinlich im gleichen Alter wie der Braunschopf blickte ihm verwirrt entgegen: „Was für ein Zufall dass wir aufeinandertreffen, aber ist es nicht klar wo ich hin will? Zur Schule natürlich, ich dachte du bist auch auf dem Weg dorthin? Oder willst du den ersten Tag schon schwänzen?“

„Ach Quatsch, wo denkst du hin!? Aber… ich dachte die Schule ist genau gerade aus…“, entgegnete Juudai wobei er mit dem Zeigefinger nach rechts zeigte. Der andere Junge schüttelte ebenso den Kopf und zeigte in die entgegengesetzte Richtung: „Ich dachte es wäre von mir aus gesehen geradeaus! Ich meinte eigentlich man könnte den Sendeturm sehen…“ Juudai schüttelte verwirrt den Kopf. In der Tat hatte er den Weg am Vortag schon einmal zurückgelegt und da er angekommen war, wo er hinwollte musste es eigentlich um die richtige Richtung handeln. Obwohl Juudai zugeben musste, dass er sich beim näheren Umsehen, an nichts Bekanntes orientieren konnte und sogleich zum Schluss kam, dass es vielleicht wirklich nicht richtig war. Auch musste Juudai gestehen, dass er den Weg mit seinen Eltern gegangen war und sich auch nicht wirklich auf die Umgebung konzentriert hatte.

„Sag mal, kann es sein dass du einen miserablen Orientierungssinn hast?“, fragte der Junge mit dem Juudai zusammengestoßen war und half ihm schließlich auf die Beine. Juudai grinste ihn belustigt an, wobei er peinlich berührt seine Zunge rausstreckte: „Wenn ich ganz ehrlich bin: jepp.“

Als hätte Juudai es bereits geahnt seufzte er aus, aber lächelte dabei.

„Also bin ich tatsächlich in die falsche Richtung gelaufen? Oh Mann!“, der Braunschopf schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Der andere Junge erwiderte das Lächeln und nickte: „So sieht es wohl aus.“ Irgendwie war dieser Junge merkwürdig, aber er wirkte keineswegs wie ein Schelm.

„Na ja was soll‘s. Ich denke dass wir trotzdem noch rechtzeitig zur Stunde kommen, wenn wir zügig gehen. Also lass uns einfach zusammen hingehen, meinst du nicht? Ich bin übrigens Marufuji Juudai. Wie heißt du?“

„Ich bin Johan. Mit vollem Namen Yuuki Johan Andersen. Freut mich dich kennenzulernen, Juudai“, antwortete der Jugendliche und streckte Juudai eine Hand aus um ihn zu begrüßen. Juudai erwiderte die Geste mit einem Lächeln und in dem Moment, als sich ihre Hände trafen, überfiel sie beide eine merkwürdige Welle von verschiedenen Emotionen. Sie sahen sich selbst nicht in der Lage diese genau zu benennen. Die beiden sahen sich einen Moment lang an während dieses Déjà-vu-Erlebnisses in die funkelnden Augen. Sowohl Juudai als auch Johan hatten das Gefühl, dass die jeweils andere Hand eine unerträgliche Nostalgie ausstrahlte.

„Merkwürdig…“, murmelte Juudai leise, „Ich habe das Gefühl, dass es nicht unser erstes Treffen ist.“

Johan nickte zustimmend: „Ich weiß, ich habe es auch bemerkt. Ich habe das Gefühl, dass ich schon seit Ewigkeiten auf dich warte.“

Seit langer, langer Zeit. Schon seit Jahren.

So standen die beiden Jugendlichen noch einen Moment Hand in Hand am Straßenrand und sahen einander an. So lange bis plötzlich ein kleines, haariges Tierchen auftauchte, welches geisterhaft erschien und sich auf Juudais Kopf setzte. Es wirkte so als wollte es Juudai ermahnen nicht weiter herumzustehen, sondern sich langsam in die Schule zu begeben, denn der Verkehr würde sie bestimmt zusätzlich aufhalten. Als dies geschah, setzte sich eine kleine, durchlässige Gestalt ebenfalls auf Johans Schulter. Sie sah aus wie eine kleine Katze, die auch ein wenig Ähnlichkeit mit einem Eichhörnchen hatte. Ein wundersames, lila Fell schmückte dieses merkwürdige Tier.

„Oh, wie ist sein Name?“, wollte Juudai sofort wissen.

„Hah? Kannst du Ruby etwa sehen? Wow, du bist der Erste, der nicht zu meiner Familie gehört und Ruby sehen kann!“, antwortete Johan sofort begeistert.

„Ruby? Es heißt also Ruby?“, wiederholte der Braunschopf begeistert. Johan nickte mit einem stolzen Lächeln: „Oh ja. Ruby ist ein Rubinkarfunkel und ein legendäres Lebewesen.“

„Legendär?“, wiederholte Juudai interessiert. Johan nickte noch einmal, doch fiel ihm auch das braune Fellkneul auf dem Kopf des Anderen auf.

„Und bei dir sitzt ein Hanekurbiou?“

„Eh? Ah, ja klar. Du kennst Hanekuribou also?“, fragte Juudai ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.

„Ja klar!“, antwortete Johan begeistert während er hastig nickte.

„Und seitwann ist Ruby bei dir?“, wollte Juudai weitter wissen, wobei er Johan zum kurzem Grübeln brachte. Er verschränkte seine Arme vor der Brust und sah gen Himmel als er zunächst langsam zu antworten begann: „Wenn ich es recht bedenke, dann schon immer! Ich glaube man hat mir Mal gesagt, dass Ruby im Augenblick meiner Geburt erschienen ist… Mein Ur-…. Oder Ur-ur-großvater hatte wohl immer eines bei sich. Oder vielleicht war es doch mein Ur-ur-ur-… na ja, egal, ich hab den Großvater auf jeden Fall noch nie persönlich getroffen, so lange ist das schon her.“

Ein freches Grinsen umspielte Johans Lippen und ein keckes Zwinkern in Juudais Richtung unterstützte seine wilde Art. Mittlerweile hatten sich die beiden Schüler wieder in Bewegung gesetzt, denn Hanekuribou ließ nicht locker, sondern ermahnte die beiden immer wieder zum Weitergehen. Juudai sah nach oben um die kleine Duellmonsterseele wenigstens ein wenig erkennen zu können. Wenn es stimmte, was Johan da sagte, dann meinte er wohl den, der stets mit einem Ruby durch die Gegend zog. Sein eigener Vater hatte beiläufig mal etwas erwähnt, als die Seele dieses Hanekuribou zum ersten Mal in ihrem Haus auftauchte. Aus irgendeinem Grunde konnte allerdings nur Juudai die Duellgeister wahrnehmen, aber Ryou und Asuka glaubten ihm die Geschichte sofort und erzählten ihm von einem legendären Helden. Dem Roten Helden, den es mal gegeben haben soll. Damals meinte Ryou, dass es nur diesen Duellgeist von Hanekuribou gab. Wenn es sich nun wirklich um dieses eine Hanekuribou handelte, dann musste es der größte Zufall auf dem Erdenrund sein. Ryou selbst hatte die Existenz von Duellgeistern zwar nicht erforscht und war selbst auch nicht in der Lage sie zu sehen, aber es gab andere in ihrem Bekanntenkreis welche diese Fähigkeit besaßen. Ryou hatte mal erwähnt, das es kaum Menschen gab die über diese Fähigkeit verfügten. Der Rote Held hatte einen besten Freund, der ebenfalls einen Duellgeist bei sich hatte und auch ein paar seiner jüngeren Schulkameraden konnten sie sehen. Dennoch schien es nun der größte Zufall zu sein, der je in Juudais Leben eingetreten war, denn wie es momentan aussah, traf er nun auf jemanden der ebenfalls in der Lage war die Seelen der Karten zu sehen. Oder wie man es auch immer bezeichnen wollte.

„Hmm so ist das also. Verstehe! Und weißt du, wie er war? Dein Ur-ur-großvater meine ich“, wollte Juudai enthusiastisch wissen. Auf einmal meinte Juudai, dass er seinen Vater besser verstehen konnte. Dieses Thema war unheimlich interessant und mitreißend.

„Tja… nach allem was ich gehört habe muss er wohl ein richtig guter Duellant gewesen sein. Seine Persönlichkeit war angeblich etwas merkwürdig. Außerdem konnte er Duellgeister sehen… aber na ja, in meiner Familie kann jeder Duellgeister sehen. Normalerweise ist das eher etwas ungewöhnliches, richtig?“

Juudai nickte stumm. Wenn er es recht bedachte so war Hanekuribou von der anhänglichen Sorte und sobald es zu Menschen hinüberging die es nicht sehen konnten, schien es besonders langweilig für den Duellgeist.

„Na ja, in meiner Familie weiß jeder dass es Duellgeister gibt, aber ich denke, nur ich kann das“, meinte Juudai, „Und weißt du, ich glaube, dass die Leute, die keine Duellgeister wahrnehmen können, einen erheblichen Nachteil haben. Ich meine, denk nur mal wie viel Spaß wir mit diesen kleinen Kerlchen haben und man hat immer jemanden zum Reden.“

„Ich weiß schon, ich weiß schon! Ziemlich schade, die Duellgeister sind immerhin alle gute Kameraden.“

Die beiden Jugendlichen begannen herzhaft an zu lachen. Sie beide bemerkten dass sie den jeweils anderen interessant fanden. Vor allem waren die beiden erleichtert zu wissen, dass sie auf dieselbe Schule gingen und auch noch im selben Jahrgang und aus diesem Grunde bekamen beide das Gefühl sie könnten gute Freunde würden.

„In welche Klasse gehst du eigentlich?“, fragte Juudai an den anderen gewandt.

„Ich bin in der A. Und du?“

„Ich auch! Das fängt ja gut an! Wir sind auch noch in derselben Klasse!“, jubelte Juudai und sein Gang bekam etwas beschwingtes. Johan nickte: „Dann auf eine gute Zeit!“ Auch der andere Junge lachte erfreut. Schließlich schlug Juudai erneut die falsche Richtung ein, so dass Johan ihn zurückziehen musste.

„Du gehst schon wieder in die falsche Richtung. Eigentlich ist das gar nicht so schwer, bei der Station macht man einfach eine Biegung nach links und dann ist man auf dem richtigen Weg, wenn du dort lang gehst, dann würde es mich nicht wundern wenn du wieder mit dem nächsten Zug nach Hause fährst.“

„Ah… sorry, ich hab wirklich gar keinen Orientierungssinn“, entgegnete Juudai etwas peinlich berührt. „Was du nicht sagst“, scherzte Johan sofort. Juudai war verblüfft darüber, dass Johan keine Probleme damit hatte das zu sagen, was er gerade dachte. Wahrscheinlich hatte es aber auch mit seiner teilweise europäischen Abstammung zu tun. Zumindest ließ Johans Nachname sehr auf ausländische Wurzeln deuten. Trotz Allem gefiel dem Jugendlichen diese Tatsache an Johan ungemein und so machte es ihm gleich doppelt so viel Spaß mit ihm durch die Straßen zu laufen. Schnell ergriff Juudai, Johans Handgelenk und zerrte ihn hinter sich her. Natürlich rannten sie dieses Mal in die richtige Richtung.
 

Der Unterricht langweilte Juudai und mindestens die Hälfte fiel nicht in den Geschmack. Die Eltern hingegen machten den Eindruck als seien sie stets mit Ernst und Konzentration bei der Sache gewesen. Ganz gleich wie unnötig ihnen ein Fach erschien so würden sie jede Vorlesung besuchen und an jedem Unterricht teilnehmen.

Bevor die Schule begann, ermahnte Asuka ihr Kind: „Hör mal Juudai, während des Unterrichts wird nicht mit einer Maske geschlafen, auf die du ein Gesicht gemalt hast, verstanden?“ Als Juudai nach dem Grund fragte, was genau Asuka damit meinte, erzählte sie ihm vom Roten Helden, der dies wohl stets in der Duel Akademia getan hatte. Für die Eltern war es sicher nicht möglich gewesen ein solches Verhalten an den Tag zu legen und Juudai wollte sich daran zumindest ein Beispiel nehmen.

Beide Elternteile hatten sich einst an der Spitze der Duel Akademia befunden. Dabei tat sich Asuka allem Anschein nach als beste Schülerin und Ryou als bester Schüler hervor. Das königliche Paar von Obelisk Blue war angeblich in allen Fächern, auch in denen die nichts mit dem Duellieren zutun hatten sehr gut. Juudai bewunderte die beiden selbstverständlich sehr, doch konnte Juudai sich kaum vorstellen, dass er wirklich das Kind dieser beiden bewundernswerten Menschen war. Die Intelligenz befand sich eher im oberen Mittelmaß, das Talent im Duellieren aber ward ihm in die Wiege gelegt worden. Manchmal erwachte diese große Frage in Juudais Hinterkopf und sobald er sie aussprach mussten die beiden ein wenig Lachen. Natürlich sei Juudai ihr Kind, da gäbe es keinen Zweifel und in Zeiten wie diesen erzählten sie dem Sprössling wie es in den frühen Säuglingstagen zugegangen war.

„Du wurdest geboren, nachdem wir ungefähr ein Jahr hier gewohnt haben. Dein Vater hat sich darum bemüht eine Anstellung an der Duel Akademia Universität zu bekommen und nach viel Streben und Kämpfen war es ihm gelungen die Gesellschaft davon zu überzeugen, dass mehr als nur eine Welt gibt und darunter gibt es auch eine, die von Duellgeistern bewohnt wird“, erklärte Asuka jedes Mal voll Stolz. Juudai meinte dann immer in den Augen der jungen Frau etwas Schmerz zu sehen und doch wirkte sie jedes Mal erleichtert und froh, dass alles überstanden war. Juudai konnte nicht wissen welche Ereignisse sie meinte. Ryou hingegen setzte Asukas Rede stets folgendermaßen fort: „Der Moment an dem ich Asuka mit dir im Arm zum ersten Mal sah werde ich nie vergessen. Es hat sie viel Kraft auf einmal gekostet, aber du als kleines Bündel in ihren Armen hast uns beide mit Freude erfüllt. Vor allem mich. Vor allem weil ich jegliches Vertrauen in das Schicksal verloren hatte, glaubte ich kaum dass wir so zu einem wunderschönen, gesunden Kind kommen.“

Auf diese für Juudais Empfinden kitschigen Worte hin, gab es keinen grund mehr zum Zweifeln. Immer wenn Juudai sich selbst an diese Erzählungen erinnerte, spürte der jugendliche Körper Freude. Es führt sogar dazu, dass Juudai auch in einem ungeliebten Fach nicht nur mit einem halben Ohr hinhörte, sondern sich bemühte. Wenn seine Eltern es durch die Schule geschafft hatten, dann schaffte Juudai es auch. Außerdem nahm er sich vor, aus jeder Unterrichtsstunde wenigstens etwas Positives zu nennen. Auch wenn es noch so langatmig wurde. So wie eben jetzt.
 

„Im Jahre 1996 erfreute sich durch die Battle City, welche unter der Schirmherrschaft der Kaiba Corporation stand, das Kartenspiel Duel Monsters eine explosionsartige Beliebtheit. Das alles ereignete sich also vor etwa fünfhundert Jahren“, berichtete ein etwas ältlicher Lehrer, dessen schlohweißes Haar kurzgeschnitten aber dennoch in alle Richtungen abstand. Die Stunde handelte sich um die Geschichte des Duel Monsters Kartenspiel und während der Lehrer mit den Schülern sprach, stand er mit dem Rücken zu ihnen, um ihnen das Gesicht des ersten Königs der Spiele zu präsentieren. Juudai fand, dass der Lehrer zumindest sehr gut zeichnen konnte, auch wenn Juudai den Unterricht selbst nicht als besonders interessant empfand. Außerdem fanden am ersten Schultag noch die ersten Einführungen, Orientierungen und Rundführungen statt, so dass man wohl kaum den spannendsten Schultag erwarten durfte. So erfuhr jeder Schüler, der es bis Dato eventuell noch nicht mitbekommen hatte, dass Pegasus J. Crawford, der Chef von Industrial Illustions das antike Kartenspiel namens Duel Monsters mit nach Japan brachte. Durch eine Reihe von merkwürdiger und nicht wenig okkulter Begebenheiten, nachdem das geheimnisvolle Spiel der neuen Welt vorgestellt wurde. Folglich erblickte nach einigen Jahren der erste legendäre Duellant das Licht der Welt: Mutou Yuugi ging in die Geschichte ein als die Wiedergeburt eines alten Pharao. Wie viel von den zahlreichen Legenden nach über fünfhundert Jahren der Wahrheit entsprach, wusste niemand mehr. Juudai hielt es jedenfalls für Unsinn, dass die Seele eines uralten Pharaos in einem jungen Japaner wiedergeboren wurde.
 

Die Geschichtsstunde rückte weiter vor. Das Thema ging über zu den Jahren, in dem Duellgeister als das Topthema der Geschichte galten. Als Vorreiter der zu erforschenden Seelen gilt Professor Andersen. Johan Andersen entdeckte, dass es Menschen gibt, die auch ohne die Solid Vision dazu in der Lage sind die Duellgeister wahrzunehmen. Auch bekannt über solche Duellanten ist heute, dass sie ebenfalls in der Lage sein sollen gewöhnliche Gespräche mit ihnen zu führen, so als seien Duellgeister wie alle anderen Menschen. Heutzutage nennt man diese Duellanten Teleki-Duellanten, da man ihnen noch immer telekinetische Fähigkeiten zuschreibt. Die Anerkennung der Existenz von Duellgeistern trat ebenfalls vor ungefähr fünfhundert Jahren ein, als die ursprüngliche Duel Akademia in eine anderen Dimension transportiert wurde und in dieser sämtliche Schüler die Seelen der Monster als materialisierte Wesen erkennen konnten. Auch gab es genügend Aufnahmen die ihre Existenz bestätigten.

Schließlich fügte der Lehrer hinzu: „Wer weiß, vielleicht gibt es unter euch einige, die irgendwann auch in der Lage sein werden Duellgeister zu sehen und mit ihnen zu sprechen. Vielleicht gibt es auch eine Möglichkeit sie irgendwann anzufassen.“

Ein von ‚tja‘ und ‚ja‘ untermaltes Raunen, gefolgt von einem leichten Nicken aller Schüler kehrte eine leichte Verwirrung ein. Ein Teil der Schülerschaft stützte die Wange auf die Hand und sah gelangweilt zur Decke. Teleki-Duellanten existierten für diese lediglich in alten Märchen und Sagen. Ein Schüler inmitten des Jahrgangs erwachte allerdings bei den Worten des Lehrers, Juudai sah sich um und suchte sofort die Gestalt Johans. Zu seinem Überraschen war unter genau jenen, die sich besonders langweilten auch dieser Junge und das, obwohl er doch eigentlich auch in der Lage war Duellgeister zu sehen. Es hätte anders sein müssen. Johans Reaktion entsprach dem glatten Gegenteil von dem, was Juudai eigentlich dachte.

„Damit ist der heute Unterricht vorbei. Morgen nehmen wir dann den Stoff über die Umstrukturierung der Duel Akademia durch, welche durch den Einschlag der Gevurah hervorgerufen wurde. Also bereitet euch gut darauf vor und lest das Pensum“, lauteten die abschließenden Worte des Lehrers und genau diesem Augenblick klingelte die Schulglocke. Augenblicklich erhoben sich die Schüler, verbeugten sich kurz bevor sie in die Pause stürmten. Juudai sah sich um und erblickte gleich das kleine katzenähnliche Tier, welches gleich wieder auf Johans Schulter kletterte und damit die Aufmerksamkeit zu Juudai lenkte.

„Ah, Juudai! Was ist los?“, wollte er wissen.

„Na was soll schon los sein, der Unterricht ist aus“, entgegnete Juudai mit einem leicht gelangweilten Gähnen, „Aber sag mal Johan, was war das gerade für ein Verhalten? Du kannst doch Duellseelen sehen, richtig? Wieso sahst du dann aus als wär’s superlangweilig?“

„Ach das meinst du…“, entgegnete Johan, wobei er Juudais Aussage als leichten Tadel empfand und nun zuckte er mit den Schultern, „Es war nur die Art und Weise wie er das alles vorbetet. Außerdem bin ich doch mit Professor Andersen verwandt, da ist also nichts interessantes mehr dran. Es ist mir ehrlich gesagt auch ein bisschen peinlich, das alles über meine Familie zu hören. So was soll doch eigentlich in der Familie bleiben, oder nicht?“

Juudai nickte etwas nachdenklich: „Wenn man es so sieht, ist es bestimmt ein bisschen peinlich glorreiche Taten seiner Vorfahren anhören zu müssen. Auf der anderen Seite, ist das doch schon so viele Jahre her! Eigentlich müsste es dich ein bisschen stolz machen, oder nicht, Johan?“

„Na ja… von dem Standpunkt aus betrachtet… aber irgendwie…“, stammelte Johan vor sich hin, wobei Juudai sogleich hinzufügte während eines genüsslichen Streckens: „Dagegen wird’s für mich sicher in der nächsten Geschichtsstunde peinlich! Immerhin wird er über Gevurah reden.“

„Hm? Wie jetzt, hast du auch einen berühmten in der Familie?“, harkte Johan mit neugieriger Stimme nach. Die heterochromen Augen zur Decke gerichtet, dachte Juudai kurz nach wobei er dann drucksend hervorbrachte: „Also… ich würd‘ jetzt nicht sagen, dass er eine Berühmtheit ist. Mein Vater ist Marufuji Ryou, er hat den Gevurah Vorfall studiert und ist ein ganz normaler Forscher halt…du weißt schon, mit dem ganzen Dimensionskram den ich nicht ganz kapiere…“

„Wiebitte!? Marufuji Ryou!? Der Marufuji Ryou, der ein Nachfahre des Ex-Hell Kaiser Marufuji Ryou und einer der berühmtesten Duellanten die aus der Duel Akademia graduiert sind? Von deinem Vater wollen wir erst gar nicht anfangen, der war doch zentral daran beteiligt dass Gevurah verhindert wurde!“, brach es ungläubig aus Johan hervor, „Meinst du das im Ernst? Dass er keine Berühmtheit sein soll?!“

Juudai zuckte zunächst mit den Schultern als Antwort, so als sei dies nun wirklich kein Grund um in Euphorie zu verfallen. Johan hingegen legte seine Hand auf Juudais Stirn um zu sehen, ob der neugewonnene Kamerad vielleicht Fieber habe. Dabei legte Johan seine eigene Stirn in Falten und verzog das Gesicht zu einer rätselnden Miene als könne er die Gelassenheit nicht nachvollziehen.

„‘Türlich ist es mein Ernst. Es ist ja nicht so als ob mein Vater ein erfolgreicher Pro-Duellant ist. Er hatte eben mal einen strahlenden Moment…“, gab Juudai weiter zur Antwort.

„Aber das erklärt eigentlich warum du auch so merkwürdig bist. In meiner Familie gibt es auch nur verschrobene Leute, also glaub nicht dass du in der Hinsicht gewinnst. Trotzdem ändert es nichts daran, dass Marufuji Ryou ein Held ist! Vor einundzwanzig Jahren hat er die ‚Apocalyptische Kriese zur Vernichtung der Menschheit‘ abgewendet und damit als Rädelsführer die ganze Welt gerettet. Zusammen mit seinen Kameraden und seinem Dark Cyber-End Dragon ist er durch die Hölle gegangen und nun ist er eine lebende Legende! Bis heute steht nicht viel darüber in den Schulbüchern, weil er selbst es angeblich verabscheut als Legende behandelt zu werden. Meiner Meinung nach ist es aber nur noch eine Frage der Zeit bis man mehr über ihn lernen und erfahren muss! Im Internet steht aber trotzdem sicher irgendetwas!“

„Hmm… ich bin nicht so oft im Internet, ich denke ich brauche das nicht. Aber steht da wirklich so viel Ungewöhnliches über meinen Vater?“, sinnierte Juudai wie in den eigenen Gedanken versunken.

„Ich habe keinen Grund irgendwas zu erfinden, oder?“, entgegnete Johan wobei Juudai nickte.

„Schätze nicht“, entgegnete Juudai etwas wirsch und schob die Hand des anderen von der eigenen Stirn. Johans Miene veränderte sich zusehends und sah auf seine Handfläche hinunter und tatsächlich musste der blauhaarige zugeben, dass er es ziemlich bedauerlich fand.

„Was ist denn mit dir los? Was schaust du deine Hand so merkwürdig an?“, wollte Juudai verwundert wissen. Die Gemütsregung wäre wohl niemandem entgangen, der sich den Jungen so ansah.

„Irgendwie… fühlte es sich merkwürdig an. Fast als ob meine Hand es schade findet nicht mehr deine Stirn zu berühren“, antwortete Johan umgehend.

„Wie bitte, deine Hand? Du bist echt ein komischer Vogel, Johan“, scherzte Juudai.

Johan stieß ein leichtes Lachen aus: „Du aber auch. Trotzdem, irgendwie fühlt sich diese Verrücktheit beruhigend an. Obwohl wir uns gerade erst kennen gelernt haben, glaube ich dich schon ewig als besten Freund zu kennen. Ich weiß auch nicht wieso.“

„Das hast du heute Morgen doch schon einmal gesagt“, meinte Juudai mit einem breiten, aber ehrlichen Lächeln, „Ich glaube, so fühle ich auch. Ich finde deine Stimme unheimlich beruhigend.“ Darauf kicherte Johan verlegen und kratzte sich am Hinterkopf.
 

Der Abend war noch nicht weit fortgeschritten, als sich die Familie Marufuji zu Tisch begab um das Abendessen einzunehmen. Jetzt wo Juudai die Hausaufgaben hinter sich ließ, stürmte der Spross der Marufujis aus dem Zimmer die Treppen hinunter und setzte sich nach einer regelrechten Vollbremsung auf einen der sechs Stühle.

„Vater, sag mal, stimmt es dass du ein Held bist?“, wollte Juudai prompt bitte. Asuka ließ beinahe den mit dampfendem Reis gefüllten Topf auf den Tisch plumpsen. Beide Elternteile blickten Juudai gleichermaßen perplex an.

„Wie kommst du denn jetzt auf so etwas, Juudai?“, wollte Ryou nüchtern wissen, als er seine Fassung wiedererlangte.

„Das hat heute ein Schulfreund von dir behauptet!“, entgegnete Juudai aufgeregt.

„Oh, du hast schon einen Freund gefunden, das ist gut“, kommentierte Asuka lächelnd, doch brachte Juudai mit dieser Aussage dazu die Wangen aufzublasen und etwas beleidigt zu entgegnen: „Jetzt lenkt nicht ab!“ Ryou und Asuka wechselten rasche Blicke aus und schließlich nickte der Mann. Obwohl er ein wenig nachdenklich gestimmt war und Juudais Alter abwog, meinte Ryou dass es vielleicht an der Zeit war mehr zu erzählen. Immerhin war Juudai nun fünfzehn Jahre alt. Auch wenn dies ein eher ein gern gemiedenes Thema war, es gab keinen Grund die Geschehnisse zu verheimlichen. Schließlich ergriff Asuka die Initiative und begann zu erzählen: „Tja… ich würde es anders nennen. In der Vergangenheit haben wir uns alle dem Schicksal der Welt ein paar Mal stellen müssen. Als Heldentaten möchte ich das aber nicht bezeichnen. Dein Vater hatte immer mehr als nur einen Kameraden an seiner Seite der ihn angetrieben und wieder aufgerichtet hat. Wenn es Helden gibt, dann waren wir es alle gemeinsam. Ich glaube dein Schulfreund überschätzt deinen Vater ein wenig.“

„Meinst du?“

Ryou nickte mit Nachdruck: „Ganz genau. Das Wort Held beschreibt einen Menschen wie mich nur sehr schwer. Ich bin kein Held, Juudai, selbst wenn ich es gern so wäre. Es gibt jemand anderen, der die Bezeichnung Held viel mehr verdient hat.“

Juudai seufzte enttäuscht aus. Ryou war im Begriff schon wieder von dem Kerl zu reden. Es war ein Mann, den Juudais Vater immer wieder erwähnte.

„Fängst du schon wieder von dem an!? Was für ein Kerl war das bloß, dass du dem so nachhängst? Mensch, Vater, du hättest ihn heiraten sollen und nicht Mutter…“, bemerkte Juudai halb scherzend und halb ernsthaft.

„Das sage ich dir doch jedes Mal“, entgegnete Ryou ebenso trocken wie immer, „Er war ein Held und ich denke, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass er deinen Elementarhelden ähnelt. Ich würde sagen, dass er auch der Neo Spezies ähnlich ist. Aber jetzt erzähl du mal, Juudai, wie ist dein neuer Freund?“

„Tja… was für einer ist das? Er ist ein bisschen merkwürdig. Er kann genauso wie ich Duellgeister sehen und sein Name ist Johan. Yuuki, Johan Andersen“, entgegnete Juudai sofort mit einem breiten Grinsen.

„Yuuki!?“, wiederholten Ryou und Asuka wie aus einem Munde. Die beiden äußerten diesen Namen mit solch einem Verblüffen, dass Juudai meinte, sie sagten Johans Nachnamen noch ein paar Mal bevor sie ihn fassen konnten.
 

Fortsetzung folgt.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo liebe Leser! Es tut mir so leid, dass das erste Kapitel so lange auf sich warten ließ. Momentan ist es sehr hektisch bei mir, ich muss an drei Examina gleichzeitig arbeiten, muss mich auf ein gewöhnliches Examen vorbereiten und obendrein hatte meine Mutter einen Schlaganfall durch eine falsche Medikation bekommen. Dadurch hat sich alles ziemlich verzögert und ich komme erst jetzt dazu das Kapitel zu vervollständigen und hochzuladen. Leider kann ich nicht dafür garantieren, dass es nicht wieder zu solchen Verzögerungen kommt.
Okay, zunächst mal muss ich mich ganz herzlich für alle Klicks und Favoriteneinträge bedanken. Als ich neulich einen Blick auf die Fanfic geworfen habe, dachte ich nur „Ach du Scheiße, wie cool!“, da scheine ich ein paar zumindest mit dem Prolog neugierig gemacht zu haben. Ich hoffe, ich schaffe es auch mit dem ersten Kapitel eure Neugierde und Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten. Wahrscheinlich findet ihr das alles superkompliziert im Moment noch. Es gibt viele Details und ich hoffe ihr leidet jetzt nicht an einer Informationsüberflut ^-^
Ich liebe Amnael/Daitokuji-sensei, also konnte ich es mir nicht verkneifen ihm eine gewisse Schlüsselrolle zu geben. Auch Asuka und Ryou gehören zu meinen Lieblingscharakteren und auch wenn es hier wie ein Royalshipping erscheint, auch das wird nicht typisch, so wie es vielleicht ein paar von mir kennen. Generell möchte ich noch einmal warnen, dass es in dieser Fanfic viele Dinge geben wird, die einfach zu Plotzwecken eingeworfen werden. Manchmal muss man sich eben die Dinge „stimmig“ biegen. Habt auch bitte keine Angst, dass ich mich zu sehr auf irgendwelche Pairings verkrampfe, es gibt sie ja, aber es wird hier um Gottes Willen kein superkitschiges Seifenopfer-… na ja ihr wisst schon x’D Auch andere Charaktere werden hier zahlreiche Auftritte bekommen (unter anderem sogar Mutou Yuugi und Tenjouin Fubuki oder Manjoume… die tauchen alle auf).

Wie immer bin ich offen für konstruktive Kritik, jegliche Form von weiteren Kommentaren und eure Gedanken zur Geschichte selbst. Ich freue mich euch wieder in Kapitel 2 zu sehen ^.~
Eure Ruki Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Jitsch
2018-08-05T12:29:50+00:00 05.08.2018 14:29
Huhu :)

So langsam fesselt mich die Geschichte wirklich sehr. Allein in diesem Kapitel gibt es so viele Andeutungen auf Ereignisse in der Vergangenheit über die man gerne mehr erfahren würde. Angefangen mit Judais Tod (und Johan ist gleichzeitig gestorben?) und Gevurah.
Ich war dann doch überrascht über den großen Zeitsprung. 500 Jahre ist verdammt lang. Da sich die Beschreibung der Uniform ein wenig nach der aus 5D's anhört bin ich auch neugierig ob es da einen Zusammenhang gibt, andererseits spielt dieser Teil ja anscheinend nich in Neo Domino City und wahrscheinlich wäre es auch zu kompliziert da noch Überschneidungen zu haben.
Ein bisschen sehr schmunzeln musste ich über die Begegnung von Juudai und Johan (junior) weil der Dialog ja fast 1:1 zu dem von "damals" ist. Nur dass es hier noch mehr sinn macht dass sie das Gefühl haben sich schon zu kennen. Ach ja, und lächeln musste ich über Judais schlechten Orientierungssinn - wo hat er den denn her? In der Serie war es ja Johan dem ein schlechter Orientierungssinn nachgesagt wurde...

Auf jeden Fall bin ich super gespannt wie es weitergeht!
Antwort von:  YukimuraRuki
10.08.2018 07:43
Heiho, da bin ich wieder um zu antworten und mich ganz herzlich für einen weiteren Kommentar zu bedanken. Vielen Dank für das liebe Feedback :3 (GX-verse) Juudais Tod muss natürlich noch behandelt werden, aber das wird noch einige Zeit auf sich warten lassen. Johan ist wohl im näheren Zeitraum mit ihm gestorben, ja. Eher nicht haargenau am selben Tag, eher zeitnahe. Gevurah kommt natürlich auch noch öfter zur Sprache und alles was damit verbunden ist. Der Gedanke an Neo Domino ist eigentlich gar nicht sooo doof, nur ist das nach so vielen Jahren natürlich nicht mehr Neo Domino, sondern wurde vollkommen umbenannt und auch ganz anders gestaltet - aber ich möchte auch nicht viel Spoilern :D Ich verspreche, ich werde noch ganz viel aufklären - ich hab ja noch genügend Kapitel vor mir :P
Ich wollte natürlich ein paar Dinge von den Canon-verse Charakteren ändern. Die beiden können Wiedergeburten sein, wie sie wollen, sie sind immer noch in einer Hinsicht ganz andere Personen. Die Gefahr bei Wiedergeburtsgeschichten ist, sich nach hinten zu lehnen und den jeweiligen Charakter dann 1 zu 1 zu kopieren ohne dem Chara dann noch was eigenes zu geben. Wenn ich die beiden miteinander (oder die vier) vergleiche, denke ich dass die beiden Juudais die größten Unterschiede aufweisen. Obwohl ich bezüglich Johan noch nicht so viel vorweg nehmen möchte >w< Auch wenn ich mich bei so viel schönen Kommentaren dazu hingerissen fühle ein wenig zu spoilern xD Aber nein, ich reiße mich zusammen. Das ist sowieso viel spannender als alles gleich zu wissen.

Also dann, schaue ich mir mal den nächsten Kommentar an :)


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