Zum Inhalt der Seite

Digimon 00001100 <Twelve>

Samsara Madness [Video-Opening online]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
-- Opening -- Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Entfachte Glut

Es war vielleicht ein anderes Waldstück, aber immerhin war es ein Waldstück. Trotzdem war es nicht sicher, ob sie Kouki hier finden würden – wenn man es genau nahm, war es wohl ein Wunder, wenn sie ihn in dieser riesigen DigiWelt überhaupt jemals finden würden. Sie waren durch Eis und Schnee gestapft, durch trockene Canyons, weite Steppen, an verträumten Flüssen entlang, mitten durch strömenden Regen und Hagel und durch sumpfige Marschen, alles nur für wenige Sekunden lang zurück zu den Fernsehern, aber das hatte auch gereicht.

Renjis weißblauer Trainingsanzug – sein neuester wohlgemerkt, er wollte ja einen guten Eindruck machen – war durchnässt, verdreckt und verschwitzt, alles auf einmal. Immer noch kratzte Sand in den Winkeln seiner Mundhöhle und in seinem Kragen, und die Sonne war mittlerweile schon am Untergehen und schwebte blutorangenrot am Rand des Horizonts. In dem herbstlichen Waldstück war es finster genug, um die tückischen Ranken und Wurzeln auf dem Boden zu übersehen, die sich gewiss eins ins Fäustchen lachten, wenn er stürzte.

Zu seiner schlechten Laune kam, dass niemand auf ihn hörte. Tageko gab mehr oder weniger den Ton an, bestimmte, in welche Richtung zu gehen war, und Taneo klebte immer an ihrer Seite wie eine Zecke. Und obwohl er in zweiter Reihe neben Fumiko ging, bekam er kein Gespräch mit ihr in Gang, sie schwieg und gab einsilbige Antworten auf seine Scherze.

Dafür war Candlemon – ihre Digimon hatten in der DigiWelt wieder die Form angenommen, die sie beim Kampf gegen SkullScorpiomon gehabt hatten – umso gesprächiger. Es nervte ihn mit allerlei Fragen; anscheinend hatte es sich am Vormittag im Haus umgesehen und wollte nun genau wissen, wozu man welches Gerät brauchte und wie es hieß.

Und als die wandelnde Kerze endlich mal die Klappe hielt und sie gerade wachsam durch eine lichtere Stelle im Wald trotteten, wer musste dann die wohltuende Stille stören? Natürlich Jagari.

„Dein Husten hört sich aber nicht gut an“, sagte Fumiko und schloss zu ihm auf. Klasse, jetzt war der kleine Spinner auf einmal interessanter als Renji. „Bist du sicher, dass du nicht zurückwillst? Immerhin bist du krankgemeldet.“

„Ach, das ist nichts“, winkte der blonde Junge ab und grinste. „Das bisschen Husten. Es ist wirklich nicht schlimm, ich hab mich nur krankschreiben lassen, damit ich mehr Zeit zum Zocken habe.“ Er grinste Fumiko so dämlich an, dass Renji der Kragen platzte.

„Wie clever. Würdest du so viel Zeit im Fitnesscenter verbringen anstatt vor der Kiste, wärst du jetzt nicht so ein schwächlicher Kümmerling. Dann könntest du ein wenig mehr ausrichten, wenn es um Riesenskorpione geht, zum Beispiel.“

Fumiko drehte sich zu ihm herum und funkelte ihn an. „Oyara-kun, das war eben nicht nett.“

„Wennschon. Ist doch wahr.“

„Das geht dich überhaupt nichts an“, blaffte Jagari. „Aber gut, trainier nur deine Muckis. Hirn kann man ja leider nicht trainieren, das hat man oder man hat’s nicht.“ Das rotblaue Elecmon, das neben ihm hertrippelte, sah nervös über die Schulter.

„So wie ich das verstanden habe, sollen wir sowas wie Krieger sein“, meinte Renji großspurig. „Da braucht man kein Hirn, nur Durchschlagskraft. Also sei froh, dass wir dich überhaupt mitkommen lassen.“

„Das reicht jetzt bald“, sagte Taneo in seinem Singsang. „Hört auf zu streiten.“

„Von dir lass ich mir gar nichts sagen.“

Tageko schüttelte nur stumm den Kopf. Gut, sie sprang den kleinen Nervensägen ausnahmsweise nicht bei. „Vergiss nicht, dass Jagari-kun auf die Sache mit den Gebieten gekommen ist. Ohne ihn wären wir vielleicht noch immer nicht hier“, fiel Fumiko Renji schon wieder in den Rücken. Und warum nannte sie den kleinen Spinner beim Vornamen und ihn, Renji, nicht?

„Wir hätten Kouki auch ohne ihn gefunden“, behauptete Renji.

„Und wie, ohne Hirn?“, fragte Jagari.

„Verdammt, langsam kotzt du mich echt an.“ Renji blieb stehen. „Für jemanden, der so klein ist, riskierst du ‘ne ganz schön große Lippe.“

„Ich sag nur die Wahrheit.“

„Die Wahrheit ist für dich doch ein Computerspiel“, höhnte Renji. „Ein Kerl wie du weiß ja gar nicht, was der Unterschied zwischen Wahrheit und Spiel ist. Fühlst du dich deshalb so wichtig? Weil du sonst immer den Anführer von einer Gruppe spielst? Hirn, sagst du, aber du bist nur ein verdammter kleiner Nerd, und alles, worüber du Bescheid weißt, sind diese Zocker-Ausdrücke.“

„Renji, das reicht“, sagte Taneo eindringlich. Jagari hatte die Fäuste geballt und knirschte mit den Zähnen.

„Jungs, ich hab echt keine Lust, dazwischen zu gehen“, seufzte Tageko gedehnt. Auch die anderen waren stehen geblieben.

„Was hab ich dir eigentlich getan?“, spie Jagari Renji entgegen. Auf seinen Wangen tauchten rote Flecken auf.

Du hast mich in einen Sandsturm geschleppt, durch die halbe DigiWelt schlurfen lassen und mir Fumiko weggeschnappt. Und jetzt lässt du mich blöd dastehen. Er zuckte mit den Schultern. „Ich hab halt was gegen so kleine Pisser, die mehr Zeit in einer Traumwelt verbringen als im echten Leben. Wenn SkullScorpiomon dich in zwei Minuten umbringt, muss man dir wahrscheinlich ‘ne Mail schreiben, damit du das auch mitkriegst!“

Auf seine Worte folgte eine Stille, in der er sich selbst wie durch ein Echo hörte. Jagari biss sich auf die Unterlippe und Renji sah, wie er Tränen zurückzuhalten versuchte. Er murmelte irgendwas und wandte sich ab, und Renji setzte noch eins drauf. „Wie war das? Wenn du was zu sagen hast, sag’s mir ins Gesicht wie ein Mann.“

Der Kleine stieß nur ein wortloses Knurren aus und stapfte quer durch den Wald davon.

„Jagari, warte!“ Elecmon lief ihm hinterher und maß Renji mit einem zornsprühenden Blick. „Das war nicht nett von dir.“

„Das war sogar noch sehr nett von mir“, entgegnete Renji. Taneo tauschte einen kurzen Blick mit Tageko und lief Jagari dann ebenfalls nach, Kokuwamon summte über ihm her.

Zufrieden sah Renji, wie die zwei und ihre Digimon im Unterholz verschwanden. Dann traf er Fumikos Blick. Sie sah gar nicht mehr zornig aus, aber trotzdem war ihre Miene irgendwie … finster. Wahrscheinlich, weil es hier im Wald von Minute zu Minute düsterer wurde. „Ich habe noch nie jemanden mit einem so miesen Charakter wie deinem getroffen, Oyara-kun“, murmelte sie. Renjis Lächeln entgleiste. Was hatte sie da gesagt …? Er fühlte, wie ein schwarzer Blitz sich in sein Herz fraß.

Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, von dem er noch gar nicht wusste, was, als plötzlich die Erde bebte. Blattwerk raschelte, zu laut, als dass es der Wind sein könnte – und dann krachte und rumorte es. Die drei DigiRitter und ihre Digimon fuhren herum und sahen, wie etwas Gewaltiges, Schwarzes sich in dem Waldstück vor ihnen erhob. Zwischen berstenden Ästen und fallenden Blättern glühten zwei rote, reptilienartige Augen auf. Ganze Bäume wurden entwurzelt und stürzten in einem Regen aus Erdklumpen, die Krone voraus, ins Dickicht.

Tagekos Mushroomon stieß ein Quieken aus und machte einen Schritt rückwärts, während Renji nur mit offenem Mund das Digimon anstarren konnte, das mit großen, trampelnden Schritten durch das Unterholz brach. Es sah aus wie ein schwarzer T-Rex mit einer Kriegsbemalung aus roten Linien, der grollend das Maul öffnete. „Das ist sicher ein DarkTyrannomon!“, rief Candlemon aufgeregt. „Gennai hat uns gewarnt, dass es eines hier gibt! Kiwimon und DarkTyrannomon, hat er gesagt!“

„Und das fällt dir jetzt ein?“, schnauzte Renji das Digimon an.

Aus DarkTyrannomons Rachen begann rote Glut zu leuchten. „Lauft!“, schrie Tageko und stürmte als Erste los. Eine tieforange Flammenflut ergoss sich auf das Waldstück, sengte durch Baumkronen und quoll wie Wasser aus einem gebrochenen Damm zwischen den Baumstämmen hindurch. Renji packte Fumiko, die dem Dinosaurier gebannt entgegen starrte, an der Hand und zerrte sie mit sich, wobei er keine Rücksicht darauf nahm, ob sie mit ihm Schritt halten konnte. Candlemon konnte das nicht; es packte ohne zu fragen den Saum von Renjis Trainingsjacke und ließ sich mitschleifen.

Die Flammen leckten hinter ihnen durch den Wald. Er spürte ihre unbeschreibliche Hitze auf der Haut, doch sie erstarben, ehe sie ihnen etwas zuleide tun konnten. Mushroomon drehte sich im Laufen um und schleuderte ein paar seiner Pilze auf DarkTyrannomon, die auf seiner Reptilienhaut explodierten. Das schwarze Digimon schien das nicht zu kümmern. Mit einem hungrigen Knurren folgte es den DigiRittern.

„Teilen wir uns auf!“, rief Tageko. Sie hatte einen ordentlichen Vorsprung und bog scharf nach links ab. Renji ließ Fumiko nicht los und stürmte mit Candlemon im Schlepptau und Seitenstechen in der Brust nach rechts, tiefer in den Wald hinein.

„Es folgt uns!“, rief Fumiko atemlos.

Renji fluchte. „Warum ausgerechnet uns?“, jaulte er, als er über die Schulter zurücksah und DarkTyrannomon mit seinem massigen Leib den Wald roden sah. Das Digimon war höher als die Baumkronen, und die Stämme knickten vor ihm ein wie Zahnstocher. Es wurde davon kaum verlangsamt.

Fumiko machte sich von ihm los, rannte aber neben ihm her. Ihre Füße wirbelten Herbstlaub und Kiefernnadeln und feuchte Erde auf. Der Wald lichtete sich und eine Felswand erschien vor ihnen – nein, ein felsiger Hügel, der von Rissen und Schluchten durchzogen war. Das war die Gelegenheit, sich zu verstecken. Renji bezweifelte allerdings, dass sie das Digimon so einfach würden abschütteln können.

Als DarkTyrannomon die letzten Bäume hinter sich ließ, wurde es noch schneller. Sein Brüllen war so laut, dass es Renji die Haare zu Berge stehen ließ. Sie würden es niemals schaffen, schon hob das Digimon eine seiner mit zwei mächtigen Krallen bewehrten Klauen …

Ein Surren drang von irgendwo her an Renjis Ohren. Er erhaschte einen Blick auf Taneos Kokuwamon, das wie eine lästige Fliege um DarkTyrannomons Kopf surrte und es mit Stromstößen aus seinen Hörnern quälte. Der Dinosaurier grollte tief und würgte einen neuerlichen Feuerschwall hervor, der das flinke Insekt verfehlte und stattdessen den Felsenhügel in brutale Hitze tauchte. Renji und Fumiko warfen sich zu Boden, als DarkTyrannomon wie verrückt mit den Füßen zu stampfen begann und ziellos weitere Stichflammen spie. Gras wurde versengt, Bäume geschwärzt. Das Feuer kam mit solcher Wucht, dass das Laub in Windeseile verkohlte und nicht einmal wirklich zu brennen begann.

„Schnell, jetzt!“ Das war die Gelegenheit! Renji riss Fumiko hoch und lief mit ihr auf den Hügel zu, um in einen der Risse im Fels zu klettern. DarkTyrannomons Feuer hatte sogar das Gestein stellenweise schmelzen lassen; hell und flüssig und heiß wie eine Herdplatte war es, rot glühende Streifen in dem ansonsten geschwärzten Fels, und Renjis Turnschuhe zischten und hinterließen dünne Streifen geschmolzenes Gummi auf dem Boden. Er wagte es nicht einmal, die Felswände zu berühren, die etwas mehr als anderthalb Meter neben ihm aufragten. Fumiko zog er so schnell in die Spalte, dass sie ihm förmlich in die Arme fiel. „Was ist mit Kokuwamon?“, keuchte sie.

Renji warf einen Blick über den Rand der kleinen Schlucht. DarkTyrannomon badete eben das freie Feld mit seinem Feuer, dann erwischte es das Käferdigimon mit seinen Krallen und schleuderte es im hohen Bogen in die nächsten Baumkronen. Triumphierend brüllte der Dinosaurier auf und stieß eine weitere Stichflamme aus.

Er hatte zwar nicht auf die beiden gezielt, aber Renji fühlte trotzdem die Hitze in seinem Nacken, als er sich schützend auf Fumiko warf. Das Glühen erlosch, nur noch Candlemons Flamme neben ihm war zu spüren, und das Brüllen erstarb. Trampelnde Schritte sagten ihm, dass sich DarkTyrannomon wieder in Bewegung gesetzt hatte; allem Anschein nach entfernte es sich von ihnen. Er atmete erleichtert auf.

„Du kannst jetzt wieder von mir runtergehen“, murmelte Fumiko trocken.

Renji schlug die Augen auf. Er lag halb auf ihr und war erfreulich nahe an ihr Gesicht gekommen. Langsamer, als nötig gewesen wäre, rappelte er sich auf und lehnte sich gegen die Felswand. „Das ist nochmal gut gegangen“, seufzte er. Sein Herz raste wie nach einem Hundert-Meter-Sprint und sein Seitenstechen war immer noch nicht verflogen. Dabei war er Fußballer, verdammt!

Fumiko stellte sich auf die Zehenspitzen und spähte über den Rand der Schlucht. „Es scheint jemand anders zu verfolgen ... Da war Kokuwamon, dort in dem Waldstück sind also sicher Taneo und Jagari!“

Renji zuckte mit den Achseln. „Dann sind sie hoffentlich so schnell wie wir.“

Fumiko sah ihn aus funkelnden Augen an. „Wir helfen ihnen“, beschloss sie und machte Anstalten, aus der Schlucht zu laufen, deren Glutherde langsam abkühlten.

„Bist du verrückt?“ Renji packte sie am Oberarm. „Das Vieh frisst uns mit Haut und Haaren, wenn wir da rausgehen!“

Fumiko starrte auf seine Hand und dann in seine Augen. „Lass mich los“, knurrte sie, aber er verstärkte den Griff nur noch.

„Ehrlich, Fumiko, bleib hier bei mir“, murmelte er. „Hier bist du sicher. Ich werde dich beschützen, komme, was wolle. Das Biest verbrennt alles, was nicht rechtzeitig davonkommt. Wir können den anderen nicht helfen.“ Renij sah, wie DarkTyrannomons massiger Leib wieder eine Schneise in den Wald schlug, dort, wo Fumiko die anderen vermutete.

„Willst du sie etwa im Stich lassen?“ Sie entriss ihm grob ihren Arm.

„Hauptsache, dir passiert nichts“, murmelte er mit belegter Stimme.

„Ich verstehe dich nicht, Oyara-kun“, sagte sie kopfschüttelnd. „Warum bist du so auf mich fixiert? Warum willst du mich unbedingt zurückhalten? Sie brauchen uns!“

„Ich verstehe dich nicht, Fumiko-chan!“ Er packte sie an den Schultern, ihren schmalen, zerbrechlichen Leib, und sah ihr fest und verzweifelt in die Augen. „Seit wir uns im Sommercamp kennen gelernt haben, versuche ich alles, um deine Aufmerksamkeit zu kriegen! Ich mache dir Komplimente und Geschenke, und lade dich zu allen möglichen Sachen ein, und trotzdem zeigst du mir die kalte Schulter! Ich weiß, ich bin vielleicht nicht der Allerklügste, aber ich bin eine Sportskanone, ich bin durchtrainiert und groß und beliebt und … und cool, und ich bin weiß Gott auch nicht hässlich! Warum, Fumiko-chan? Warum weist du mich nur immer wieder ab?“

Fumiko starrte ihn nur aus ihren wunderbaren, tiefblauen Augen an. Ihre süßen Lippen waren eine schnurgerade Linie. Er war ihrem Gesicht immer nähergekommen, und nun tat es weh zu sehen, wie sie vor ihm zurückwich. „Kannst du dir das nicht denken?“, fragte sie nach einer kleinen Ewigkeit leise und wich schließlich seinem Blick aus.

„Nein!“ Er packte sie fester, sodass es ihr fast wehtun musste. „Sag mir, was dich an mir stört! Ich werd’s ändern, ich schwör’s!“

„Ihr solltet bald mal auf einen grünen Zweig kommen“, warf Candlemon lässig ein. „DarkTyrannomon heizt gerade ziemlich den Wald ab.“

„Ich bin eigentlich keine, die andere Leute verurteilt“, begann Fumiko zögernd. „Soll ich es dir wirklich offen und ehrlich sagen?“

„Ja doch, verdammt!“

„Na schön.“ Fumiko schluckte und holte tief Luft, dann sah sie ihm wieder fest in die Augen. „Weil du ein arrogantes Arschloch bist, Renji Oyara-kun. Deshalb.“

Renji starrte seine Flamme sprachlos an. Nein, das konnte nicht sein, er hatte sich verhört, Fumiko würde nie so etwas zu ihm sagen … Das war ein Traum, ein Albtraum, der riesige Dinosaurier bewies es, das konnte nicht echt sein …

„Ich hatte ja wohl ausreichend Gelegenheit, dich zu beobachten“, fuhr Fumiko ruhig und kühl fort und löste dabei langsam die Hände, die er um ihre Schultern geschlossen hatte. Renji ließ sie schlaff baumeln, wie die Glieder einer Marionette, deren Fäden man gekappt hatte. „Du trampelst ständig auf Schwächeren herum. Dein Ego ist nur so groß, weil du andere als Trittbrett benutzt.“

„Das stimmt doch gar …“

„Seit wir in der DigiWelt sind, hackst du auf Jagari und Taneo herum. Merkst du nicht, dass ich das abstoßend finde?“

„Aber …“, stammelte er. „Das war doch nur, weil …“

Sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Du schwingst große Reden, von wegen, du willst mich beschützen. Ich brauche keinen Beschützer. Jetzt gerade sind die anderen in Gefahr, und obwohl du geprahlt hast, wie stark du doch bist, willst du dich hier verkriechen?“

Renji biss sich auf die Unterlippe, bis es wehtat. Was sagte sie da … Merkte sie nicht, dass sie beide nur sterben würden, wenn sie jetzt rausgingen?

„Da tut sich was!“, meldete Candlemon und die beiden warfen einen Blick auf den Waldrand. DarkTyrannomon wütete immer noch zwischen den Bäumen und schoss Feuerstrahlen in alle Richtungen ab, und Renji meinte die heiseren Rufe von Jagari zu hören. Dann sah er die zwei einsamen Gestalten, die sich von hinten über das Grasfeld auf das Digimon zubewegten. Er ballte die Fäuste. Tageko und ihr Digimon.

„Der Rotschopf ist mutiger als du, Renji. Willst du das auf dir sitzen lassen?“ Renji wünschte sich, Candlemon würde endlich den Mund halten.

„Los, Mushroomon!“, rief das Mädchen. Der übergroße Pilz schleuderte wieder seine Geschosse, die auf DarkTyrannomons breitem Rücken explodierten. Mit rauchender Haut drehte sich das Digimon grollend um und sprang dann aus dem Meer aus Bäumen auf das angesengte Gras. Mushroomon und Tageko wichen nicht zurück, obwohl nichts, was sie taten, den Dinosaurier beeindruckte.

„Passt auf!“, schrie Fumiko, als DarkTyrannomon das Maul zu einer vernichteten Flammenattacke öffnete. Die beiden Frontkämpfer warfen sich zur Seite und entkamen dem Feuer nur, weil sie einen Haken schlugen – und dann hatte das Monstrum sie erreicht. Seine Klauen leuchteten in der Glut, die den Brandfleck im Gras zierte, als es Mushroomon erwischte und gegen die Felswand schleuderte.

„Mushroomon!“, rief Tageko, wollte zu ihrem Digimon laufen – und wurde von DarkTyrannomons Fuß erwischt, den das Digimon eben hob. Zwar trafen sie nicht die Krallen, aber dieser Schritt kam einem Tritt gleich, der Tageko drei Meter weit durch die Luft schleuderte, bis sie ächzend und sich überschlagend im Gras liegen blieb.

„Nein!“ Fumiko hatte die Felskante gepackt und war blitzschnell auf den Rand der Schlucht geklettert, und einmal mehr hielt Renji sie zurück, indem er ihr Handgelenk packte. „Verdammt, hab ich dir nicht gesagt, du sollst mich zufriedenlassen?“ Ihr Blick wirkte gehetzt.

„Aber du wirst gegrillt wie ein Brathähnchen, wenn du ihm zu nahe kommst!“, keuchte Renji. Das konnte doch wohl alles nicht wahr sein!

„Lass mich los!“ Fumiko versuchte ihm ihre Hand zu entreißen, verlor auf der Felskante das Gleichgewicht und stürzte mit einem kleinen Aufschrei rücklings zurück in die Felsspalte.

„Alles in Ordnung?“, rief Renji aus.

Murrend erhob sie sich und rieb sich die Hand. Sie war aufgeschürft und blutig. „Das habe ich gemeint, Oyara-kun“, sagte sie leise. „Tageko hat gewusst, dass sie keine Chance hat, aber sie hat trotzdem versucht, die anderen zu retten, obwohl wir alle nicht mal richtige Freunde sind. Hätte ich auch ein Digimon, wäre ich schon längst hinausgerannt.“ Sie sah ihn entschlossen an, als wollte sie ihn warnen, sie ja nie wieder zurückzuhalten. Renji schluckte. Obwohl sie so klein und zerbrechlich war, war sie so viel mutiger als er selbst … „Und das werde ich jetzt auch tun. Ich muss nach Tageko sehen!“

„Nein – ich gehe!“, rief er und sprang selbst auf die Kante. Sein Herz klopfte wie verrückt, er schwitzte wie im Hochsommer und sein Gesicht brannte vor Scham. „Du bleibst hier, lass mich und Candlemon das erledigen. Komm, Candlemon, wir zeigen ihr, dass sie sich in mir getäuscht hat!“

„Jawoll!“

Fumiko sah ihn zweifelnd an, aber da hastete er auch schon über die scharfkantigen, teils geschmolzenen Felsen und sprang auf die Grasfläche. DarkTyrannomon hatte sich wieder dem Waldstück zugewandt, in dem Jagari und Taneo steckten, und Renji hielt in leichtem Laufschritt darauf zu.

„Bist du bereit, Candlemon?“, fragte er, als sie den Waldrand erreicht hatten. Fumiko war ihm bis zu Tageko gefolgt und suchte bei dem Mädchen nun nach Lebenszeichen.

„Immer“, meinte seine Kerze großspurig. „Du auch? Deine Beine zittern ja wie Wackelpudding.“

„Ach, halt den Mund“, raunzte er. Es hatte recht, ihm war einfach höllisch zumute. Alles in ihm schrie danach, wegzulaufen und nie wiederzukommen, und er musste sich beherrschen, dass seine Stimme nicht auch noch zitterte. „Hey, du großes, stinkendes Mistvieh!“, brüllte er aus voller Kehle. Beleidigungen hatten ihm schon immer ein Gefühl der Stärke vermittelt.

DarkTyrannomon wandte sich tatsächlich zu ihm um. Es grollte und schnaubte, und Rauchwolken verpufften vor seinen Nüstern.

Renji schluckte. Es trat näher … Nein, nur keine Angst, nur keine Angst! Fumiko beobachtete ihn, er musste sie überzeugen, dass er das draufhatte. „Ja, dich mein ich! Kommst dir wohl toll vor, was? Nur weil du zwanzigmal so groß bist wie wir? Komm nur her!“ Er zwang sich, stehen zu blieben, als DarkTyrannomon ihn anbrüllte und er seinen rauchigen, warmen Atem schmeckte. „Komm, trau dich!“, brüllte er mit allem, was seine Lungen hergaben. „Hört ihr mich, ihr alle? Ich werde jetzt zur Abwechslung mal auf Stärkeren rumtrampeln, was sagt ihr? Damit jeder weiß, wer zum Teufel Renji Oyara ist!“

Sein Hals schmerzte, doch von seinem DigiVice strahlte dasselbe Licht wie damals aus. Auf dieser Lichtung war er vor SkullScorpiomon zurückgewichen, doch damit war jetzt Schluss! Wenn Tageko alleine gegen dieses Monster antreten wollte und in Kauf nahm, dass sie verletzt wurde, und Fumiko, seine Fumiko, es sogar ohne Digimon versuchen wollte, dann konnte er das verdammt nochmal auch! Das Licht wurde immer intensiver, als er entgegen all seiner menschlichen Instinkte noch auf DarkTyrannomon zutrat.

Und Candlemon verwandelte sich. Das Wachs, aus dem sein Körper bestand, wurde flüssig und löste sich auf, und die Flamme auf seinem Kopf wurde in dem goldenen Licht größer und größer, und noch größer und gigantisch, schmolz sogar den goldenen Kerzenhalter, und ein menschlicher Körper begann sich daraus zu bilden. Renji riss ungläubig die Augen auf, als Flammen, die wärmeres Licht als die von DarkTyrannomon verströmten, die Gestalt eines großen, muskulösen Mannes annahmen, der den Kopf in den Nacken legte, und sein Schrei ließ Renji einen warmen Schauer über den Rücken laufen. „Meeeraaamooon!“ Es war Candlemon Stimme, ja, aber sie klang … männlicher, feuriger.

DarkTyrannomon grollte, als das Digimon – Meramon? – auf es zuspurtete wie ein Sprinter knapp vor dem Ziel. In seiner Hand flammte ein Feuerball auf. Meramons Füße gruben sich zischend in den Boden, als es seinen Anlauf abbremste und die Feuerkugel wie einen Baseball auf den Dinosaurier schleuderte. Flammenspritzend zerbarst er an DarkTyrannomons Kopf.

„Ja!“, jubelte Renji. „Gib alles, was du hast, Meramon!“

DarkTyrannomon brüllte, holte tief Luft und badete Meramon in einem wütenden Feuerschwall. Doch der brennende Mann regte sich nicht. Die Flammen umkreisten ihn, wurden von seinem Körper aufgesaugt – und Meramon wuchs. Genährt von dem brennenden Atem DarkTyrannomons, wurde es immer größer, bis die beiden Digimon auf einer Augenhöhe waren. Erst dann merkte der Dinosaurier, wie fruchtlos seine Bemühungen waren, und wich mit gesenktem Kopf zurück.

Meramon stürmte auf es zu und verpasste ihm einen Kinnhaken mit seiner brennenden Faust, der das massige Digimon wie in Zeitlupe stürzen ließ. Dann packte Meramon es, nahm den schuppigen Kopf in den Schwitzkasten und ließ es fauchend strampeln.

„Zeig’s ihm!“, feuerte Renji sein Digimon an. „Du hast es!“

Meramon verzog seinen feurigen Mund zu einem Lächeln und in seinen absurd blauen Augen funkelte es triumphierend auf. Die Flammen um seinen Körper loderten höher und hüllten bald den kompletten Dinosaurier ein, der brüllend aus Meramons muskulösem Griff zu entkommen versuchte. Der Gestank von verbrannter Haut erreichte Renjis Nase, dann der von gebratenem Fleisch – und schließlich zerbarst DarkTyrannomon mit einem letzten, wütenden Röhren in tausende und abertausende glitzernde Splitter, die in einem Regen auf der ganzen Lichtung niedergingen.

Renji breitete die Arme aus, ein erlöstes Lächeln auf dem Gesicht. Sie hatten es geschafft! Er hatte es geschafft! Plötzlich wich alle Kraft aus seinen Beinen und er sank auf den Hosenboden. Die Luft war immer noch von Rauch und dem Geruch von verbranntem Fleisch erfüllt. Meramons Flammen loderten noch einmal auf, dann schrumpfte es und wurde irgendwie wieder zu Candlemon, das frohlockend angehopst kam. „Renji! Hast du gesehen? Hast du gesehen?“

„Du warst … umwerfend“, murmelte er.

„Wir beide!“, befand die Kerze und machte Anstalten, ihre Flamme freudig an seiner Wange zu reiben.

„Spinnst du? Bleib weg damit!“

Candlemon kicherte.

„Alle Achtung, Oyara-kun.“ Das aus Tagekos Mund zu hören, hätte Renji nie erwartet. Fumiko stützte sie; ihr Gesicht war über und über mit Schrammen und Schmutz verunziert und sie presste die Hand auf den linken Oberarm, ein Auge vor Schmerz zugekniffen, doch ansonsten schien es ihr gut zu gehen.

Nun kamen auch Taneo und Jagari angelaufen – sie hatten sich tatsächlich in dem verwüsteten Waldstück versteckt. Kokuwamon und Elecmon umschwärmten Candlemon und bombardierten es mit Fragen.

Jagari schien Renjis Blick nicht begegnen zu wollen. Er schwieg. „Alles klar, Jagari?“, fragte Renji, als er einen Blick von Fumiko auffing und Candlemon ihn anstupste.

Der Junge nickte.

„Hey – nichts für ungut, ja? Frieden?“ Er streckte Jagari die Hand hin, die dieser nach einigem Zögern ergriff.

„Ihr beide habt uns gerettet“, sagte Taneo. „Danke.“

„Ach, nichts für ungut“, grinste Renji, kratzte sich im Genick und rettete sich in ein verlegenes Lachen. Verdammt, nahm er hier Komplimente von solchen Knirpsen entgegen? Es fühlte sich gut an – besser, als Geld aus ihnen herauszuquetschen.

„Denkt euch nichts dabei“, sagte da Fumiko trocken. „Er hat es nur getan, um mich zu beeindrucken.“

„Fumiko-chan, wie kannst du nur?“, rief Renji entsetzt aus. Die anderen lachten.

 

LordMyotismon beobachtete die fröhlichen Kinder in einem seiner magischen Spiegel und schwenkte seinen goldenen Kelch mit schwerem, rotem Wein in der Hand. „Es hat bereits begonnen. Sie digitieren“, sagte es. „Ich hoffe, dir ist klar, dass du das zu verantworten hast. Wenn wir sie nicht bald vernichten, ergeht es uns so wie unseren Meistern. Die Macht der DigiRitter wächst seit jeher viel zu schnell an.“

Karatenmon, dem die Worte galten, rührte keinen Muskel. LordMyotismon sah durch einen anderen Spiegel, wie es immer noch in seiner Höhle meditierte. „Eile bedeutet Verderben“, sagte es schließlich leise. „Der Samen braucht Zeit, um zu erblühen, und die Wurzeln des Baumes werden auch auf felsigen Boden treffen, ehe sie sich ins frische Erdreich graben können.“

„Die DigiRitter werden bald die Kraft haben, deinen Baum entzweizuhacken.“ Mit Karatenmon zu sprechen war sinnlos. Es würde bis Mitternacht weitermeditieren, und bis dahin waren die DigiRitter über alle Berge. LordMyotismon hatte sie nur gefunden, weil Karatenmon ihm hatte sagen können, wo sich sein Diener aufhielt. Sobald sie wieder im Dickicht des Waldes verschwanden, war es zu riskant, sie weiter mit seinen Spiegeln zu beobachten – falls sie entdeckten, dass sie überwacht wurden, würden sie sie zerschlagen und fortan auf der Hut sein.

Der Asura ließ all seine Spiegel zu Wasser zerfließen und trank einen kräftigen Schluck Wein. Er schmeckte heute saurer als sonst. „Überbring Wisemon eine Nachricht“, sagte es in den leeren Raum hinein, und sofort wurde ein Bakemon sichtbar. „Der zweite DigiRitter hat die Digitation entdeckt. Sag ihm, ich kann es nicht mehr erwarten, endlich selbst zu digitieren.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
So, mal ein wenig Adrenalin^^ Hoffe, es hat euch gefallen :) Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  EL-CK
2016-12-01T16:07:52+00:00 01.12.2016 17:07
"Verdammt, nahm er hier Komplimente von solchen Knirpsen entgegen? Es fühlte sich gut an – besser, als Geld aus ihnen herauszuquetschen." Das ist doch auch mal eine Erkenntnis für Leben XD

Der Kampf war echt toll... und die zweite Digitation... da bin ich mal gespannt wie sich das alles so entwickeln konnte - wie es sich entwickeln wird....
Antwort von:  UrrSharrador
08.12.2016 14:19
Danke dir für deinen Kommi :) Freut mich, dass dir der Kampf gefallen hat^^ Das nächste kommt heute noch .. denke ich. Hinke mal wieder total dem Plan hinterher^^


Zurück