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TMNT - Es liegt in deiner Hand

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In meinem Himmel

Aus Bernadettes Sicht
 

Angst, genau dieses Gefühl trage ich die ganze Zeit mit mir herum. Ich finde kaum die Ruhe, die ich wirklich brauche. Stattdessen bin ich von einer Welt umgeben, in der ich den Eindruck habe, dass alles hier nicht richtig ist. Egal wie oft ich meine Augen öffne und egal wohin ich auch blicke, dieses erdrückende Gefühl verfolgt mich überall hin. Tag für Tag plagen mich Fragen, auf die ich einfach keine Antwort finde. Jede noch so winzige Kleinigkeit, die in diese Welt nicht passt, fällt mir auf und dadurch entstehen nur noch mehr Fragen. Ich weiß, hier stimmt etwas nicht. Nein, alles hier stimmt nicht! Das kann unmöglich real sein! Das kann einfach nicht mein Leben sein! Viel zu viel passt nicht zusammen. Als hätte man Puzzleteile entfernt und versucht, diese durch Neue zu ersetzen. Dabei passen sie nicht einmal an den entsprechenden Stellen. Es gibt Lücken und diese kann man nicht einfach ignorieren! Genauso wenig kann ich diese fehlenden Tage und Wochen so simpel unter den Teppich kehren, die angeblich nicht passiert sind. Hier stimmt einfach etwas nicht, das weiß ich ganz genau. Dennoch bekomme ich immer wieder den Eindruck, dass ich ständig hingehalten werde. Nicht nur, dass ich dieses seltsame Gefühl ständig mit mir herumtrage, allein schon wie sich alle hier aufführen, ist doch wirklich nicht mehr normal und mit jedem Tag, in der ich hier aufwache, bin ich mehr davon überzeugt. Dennoch schaffen sie es jedes Mal, mich davon abzulenken. Als wollten sie mich vergessen lassen, dass dies nicht mein Leben, geschweige das wahre Leben ist.

Ich kann es mir nicht erklären. Ich weiß nicht einmal, wie sie das machen. An manchen Tagen habe ich sogar damit spekuliert, ob es vielleicht an meiner Angst liegen könnte, die ich ständig spüre. Am liebsten würde ich mich irgendwo verkriechen, die Augen schließen und vergessen. Diese Welt macht mir einfach Angst, auch wenn es sogar Momente gibt, an denen ich mich sogar treiben lassen kann. Ohne, dass ich mich mit meiner Umgebung genau auseinandersetze. Als könnte ich allmählich ein Teil davon werden, bis mich wieder etwas zurückholt. Wie ein Stich, reißt es mich aus dieser Trance und ich werde ein weiteres Mal mit der Furcht konfrontiert, die ich lieber von mir geschoben hätte. Es gibt kein Vor und kein Zurück. Auch mit den Fragen „Warum“ und „Wer“ komme ich nicht wirklich weiter. Ich weiß ja nicht einmal, welches Ziel hier genau verfolgt wird. Warum bin ich hier? Das kann einfach nicht mein Leben, die Realität, oder wie man das sonst noch nennen kann, sein! Ich weigere mich einfach, an das zu glauben und eines ist für mich gewiss: Ich bin in ein „Leben“ gepfercht worden bin, in der ich hier nicht hingehöre und ich will hier raus! Wo bin ich hier überhaupt? Tagein, tagaus wache ich in dieser „Welt“ auf und obwohl mir alles um mich herum bekannt vorkommt, ist es doch anders. Es ist wie eine Parallelwelt, in der bestimmte Momente gar nicht passiert sind, oder so verändert wurden, sodass sie nicht mehr so schlimm wirken. Zum Beispiel die Mobbingsache aus meiner alten Schule ist heruntergespielt worden, sodass es keinen Prozess wegen Lucinda geben wird. In dieser „Welt“ ist sie sogar von der Schule geflogen und wurde in ein strenges Internat gesteckt. Dabei war es früher für mich immer mein größter Wunsch, dass diese Tussi verschwindet und mich nie mehr wieder belästigt. Hier scheint dies sogar möglich zu sein und dabei bin ich mir sicher, dass es nicht der Realität entspricht. Zumindest nicht jene, von der ich überzeugt bin.

Sooft es mir möglich war, habe ich Nachforschungen aufgestellt. Trotz der öfters vorkommenden Momente, an denen ich daran gehindert wurde, oder an denen ich mit etwas Anderem abgelenkt wurde, habe ich dennoch weitergemacht. Jedoch habe ich immer noch keine Ahnung, was hier gespielt wird. Wo ist hier des Pudels Kern, nach dem ich die ganze Zeit suche? Warum bin ich hier und was das alles überhaupt? Ständig werde ich mit seltsamen Situationen konfrontiert, wobei mir quasi „vorgeworfen“ wird, dass ich einem Hirngespinst hinterherjage. Besonders die Zeitspanne, bei der ich von Raphael getrennt war und bei der wir erst bei dieser Entführung wieder zueinandergefunden haben, ist in diesem „Leben“ scheinbar überhaupt nicht existent. Als wenn es nur aus meiner blühenden Fantasie entspringen würde, wenn ich mal die Worte meiner Mutter zitiere. Dennoch kann mich keiner von ihnen davon abhalten, nach der Wahrheit zu suchen. Nicht einmal Raphael selbst, den ich in den letzten Wochen kaum gesehen habe. Wenn ich eigentlich so darüber nachdenke, ist diese Welt gar nicht mal so „ideal“, wie mir sonst irgendwie weißgemacht wird. Abgesehen davon, dass scheinbar jedes schreckliche Erlebnis gelöscht, oder zumindest gemildert wurde, sind die Leute um mich herum kalt und unnahbar. Es liegt aber nicht daran, dass sie den Blick oder den Körperkontakt zu mir meiden. Vielmehr ist es das, was sie ausstrahlen.

Das mag vielleicht wieder an meiner zu großen Fantasie liegen, aber ich habe einfach das Gefühl, als ob ich ständig mit Geistern in Kontakt bin. Sie alle, ob fremd oder nicht, wirken auf mich wie seelenlose Gestalten. Allein schon, wenn ich direkt in ihre Augen sehe, überkommt mich ein kalter Schauer, bis ich dann wieder mit irgendetwas abgelenkt werde, bevor ich überhaupt direkt Fragen stellen kann. Als hätte ich beinahe den nächsten Schritt gemacht und eine Geisterhand hätte mich im selben Moment wieder zurück zum Ursprung gezogen. Es ist nicht, als würde ich dies wortwörtlich wahrnehmen. Vielmehr ist es ein Gefühl, welches mir besonders dann bewusstwird, wenn es wieder vorbei ist. Ich kann nicht einmal was dagegen tun. Es geht einfach so schnell, sodass ich kaum reagieren kann. Allerdings frage ich mich auch, ob es wirklich so ist, so wie ich es mir vorstelle. Vielleicht will ich sogar das nicht, was ich zunächst geglaubt habe. Was ist, wenn etwas dahintersteckt, wovor ich mich noch mehr fürchten könnte, als was ich um mich herum sehe? Liegt es etwa an mir selbst, dass ich Tag für Tag durch diese Show gezerrt werde? Nur, wenn das wirklich so ist, was bringt sich das? Was habe ich davon und wie wird es mit mir weitergehen? Was wird passieren, wenn ich aufhöre, mir Gedanken darüber zu machen? Was geschieht mit mir, wenn ich mich einfach treiben lasse, ohne der Wahrheit auf dem Grund zu gehen? Ich weiß es einfach nicht und mir macht es Angst. Welche Richtung ist die Richtige? Ich will einfach keinen Fehler machen, aber welche Entscheidung werde ich letztendlich treffen?

Es ist nicht einmal nur die Welt selbst, vor der ich mich fürchte, es gibt so viele Fragen ohne Antworten und jene die mir eigentlich am Nächsten stehen sollten, sind mir so fern. Als würde ich am Rand einer Klippe stehen, während sie alle sich auf einem Schiff befinden würden und sich immer mehr von mir entfernen. Ich fühle mich so einsam. Es kalt und selbst wenn mein Liebster selbst bei mir ist, ändert sich nichts daran. Als wäre er eine leblose Hülle, die von Geisterhand gesteuert wird. Sein Temperament ist anders, nicht so impulsiv, oder gar natürlich. Viel mehr wirkt auf mich, wie eine künstliche Version von ihm selbst. Wie ein Hologramm, welches imstande ist zumindest berührt zu werden, ohne dabei irgendwelche Wärme ausstrahlen zu können. Er spricht mit mir und zeigt auf seine Weise „Gefühle“, aber dies wirkt genauso gekünstelt, wie der Rest von dieser Welt. Ich weiß einfach nicht, was ich davon halten soll. Es fühlt sich so falsch an und ich spüre immer wieder den Drang, mich dagegen zu wehren. Mir reicht es einfach nicht, mit diesem Trugbild zu leben. Ich will mehr, ich will die Menschen um mich herum wahrhaftig spüren und ich will Raphael ganz nah sein. Jedoch erfüllt sich mein sehnlichster Wunsch nicht. Ich bin in dieser kalten Welt gefangen und je mehr Zeit verstrich, desto mehr ist mir das bewusst geworden. Wenn ich daran denke, wir groß mein erster Schock, als ich am Anfang noch nicht so sehr daran zweifelte. Allein wie er mich ansah, war so kalt, leer und sogar irgendwie falsch. Anders kann ich das nicht beschreiben. Ich habe einfach das Gefühl gehabt, nicht meinem Liebsten an meiner Seite zu haben, sondern eine seelenlose Reflexion von ihm und auch jetzt ist er nicht mehr, als ein Spiegelbild von sich selbst.

Von Anfang an habe ich nicht nur nach der Wahrheit gesucht, sondern mich auch nach Normalität gesehnt. Dies ist bis heute das Einzige gewesen, was mir mehr oder weniger gewährt wurde. In dem ich in Situationen verwickelt wurde, in der ich ein Stück meine Angst hinter mir lassen konnte. Als könnte ich alles andere um mich herum vergessen. Manchmal habe ich sogar den Eindruck, jemand würde tief in mir drin immer wieder zuflüstern, dass ich schlicht und einfach loslassen soll. Dass es richtig wäre, wenn ich mich einfach treiben und meine Sorgen hinter mir lasse. Ich kann das aber nicht. Viel zu viel geht mir durch den Kopf und auch etwas Anderes lässt mich aus dieser „Trance“ immer wieder erwachen. Es ist das seltene Gefühl der Geborgenheit, welches sich zusätzlich durch kurze und zarte Berührungen auf meiner Haut zeigt. Als würde es mich stets daran erinnern, dass es noch mehr gibt, als diese trostlose, kalte Welt. Wäre es mir doch möglich, dieses Gefühl noch öfters und sogar stärker zu spüren. Es einfach so angenehm und es fühlt sich sogar so warm an. Selbst wenn es sich um einen Bruchteil einer Sekunde handelt, bewirkt es etwas an mir, was mich sogar hoffen lässt. Eine Zeit lang habe ich dies sogar stärker und öfters gespürt. Meistens nachts konnte ich es intensiver wahrnehmen. Wie ein Zeichen, dass ich mit meiner Vermutung richtigliege, erinnert mich dieses Gefühl daran, mich von meiner Umgebung nicht verschlingen zu lassen, auch wenn es immer wieder Momente gegeben hat, bei denen es schon fast passiert wäre. Doch dies hat in den letzten Wochen wieder abgenommen. Ich fühle mich irgendwie ausgelaugt. Ich habe versucht standhaft zu bleiben, aber irgendetwas zerrt an meinen Kräften. Von Tag zu Tag fühle ich mich schwächer und manchmal glaube ich sogar, dass ich diese kurzen Momente der Geborgenheit nicht mehr so gut spüren kann, wie am Anfang. Als wenn mich etwas in einer anderen Richtung ziehen würde, während ich meinen Weg vergebens suche.

Gerade bin ich wieder in meinem Zimmer und starre gedankenverloren aus dem Fenster. Ein weiterer solch merkwürdiger Tag ist gerade dabei, sich dem Ende zuzuneigen, als ich schließlich ein vertrautes Geräusch höre. Aufgeschreckt sehe ich plötzlich Raphael vor mir, den ich einfach in einer schnellen Reaktion an der Hand packe und wild in mein Zimmer zerre. Aufgebracht schimpfe ich mit ihm: „Sag mal, ist dir noch zu helfen?! Dich sieht doch sofort jemand!“ Doch anstatt irgendetwas darauf zu erwidern, zuckt der Kerl nur mit den Schultern, was mich wiederum etwas in Rage bringt: „Ich glaube, du tickst nicht mehr ganz sauber! Du hättest entdeckt werden können! Ist dir das überhaupt bewusst?!“ „Glaube mir, mich hätte niemand entdeckt.“, meint er ganz seelenruhig, während er seine Hände auf meine Schultern legt. Noch höre ich mein Herz, wie es aufgeregt schlägt. Nicht nur, dass ich gerade wütend auf ihn bin, ich habe solche Angst gehabt, dass jemand meinen Freund entdecken könnte. Als Mutant ist er nicht gerade unauffällig, aber als ich ihm wieder in die Augen blicke, verändert sich meine Stimmung schlagartig. Nicht, dass Raphael eine ruhige Aura ausstrahlen würde, die mich nun erreicht hätte. Etwas ganz Anderes steckt dahinter und ich selbst fühle mich auch nicht entspannt. Viel eher herrscht in mir eine große Unruhe und genau das lässt meine vorherigen Fragen und Gedanken in meinen Kopf ein weiteres Mal aufkeimen. Das Gefühl, dass weder er noch das alles hier wirklich real ist, wird wieder stärker. Nur warum habe ich vorhin so reagiert? Liegt es einfach daran, dass ich zunächst sein Gesicht gesehen habe und im ersten Augenblick geglaubt habe, meinen wahren Schattenkrieger vor mir zu haben?

Im Grunde will ich einfach nicht, dass ihm etwas passiert. Schließlich ist Raphael mein bester Freund und auch die Liebe meines Lebens. Wie hätte ich da anders reagieren können, als ihn noch rechtzeitig in mein Zimmer zu zerren? Das ist doch logisch, oder nicht? Meine plausible Erklärung passt allerdings kein bisschen in diese Welt. Als würden hier vollkommen andere Regeln herrschen und dies betrifft nicht nur meine Umwelt, sondern auch diesen Raphael. Allein schon seine Art ist ungewohnt. Als hätte er per Knopfdruck seinen Charakter verändert, nur damit er in dieses Schema hineinpasst. Auch jetzt wirkt er wieder auf mich so, was mich weit mehr abschreckt, als anzieht. „Komm, wir waren schon lange nicht mehr über den Dächern unterwegs.“, sagt er schließlich. Nicht nur, dass das wieder einmal ganz gar nicht nach meinem Raphael klingt, er ist überhaupt nicht auf mich eingegangen. Als hätte er die Tatsache, dass er um diese Tageszeit tatsächlich hätte entdeckt werden können, vollkommen ignoriert und als würde diese Gefahr überhaupt nicht existieren, geschweige überhaupt für ihn relevant sein. Der hat sie doch nicht mehr alle und wenn er glaubt, dass ich jetzt so einfach mitkomme, dann hat er sich geirrt! Doch ehe ich einen Schritt zurückmachen kann, hat er mich bereits wortlos und ohne meine Zustimmung hochgehoben und ist mit mir aus dem Fenster geklettert. Jetzt liege ich in seinen Armen, während er mit mir durch die Stadt saust, obgleich die Sonne noch nicht untergegangen ist. Lass dich nicht verrückt machen Bernadette. Das alles hier ist nicht echt! Das kann einfach nicht echt sein! Finde endlich die Wahrheit und lasse dich nicht wieder ablenken!

Grübelnd verharre ich in meiner Position, bis ich schließlich wieder abgesetzt werde. Ich habe nicht einmal mitbekommen, wo er mich hingebracht hat. Viel zu sehr bin ich in meine Gedanken vertieft gewesen. Raphael lächelt mich nun an, aber das bewirkt nur, dass ich mich von ihm abwende und ein paar Schritte zur Seite gehe. Ich fühle mich einfach nicht wohl und ich weigere mich auch, dieses Gefühl zu vertuschen. „Was ist mit dir los? Du bist so seltsam und das schon eine ganze Weile.“, behauptet er armeverschränkend, doch ich sehe ihn zunächst nur fassungslos an. War ja auch irgendwie klar, dass das jetzt kommen muss. Wobei ich so und so keine Anstalten machen würde, um meine wahren Gefühle zu vertuschen. Ich will nicht mehr und allein schon wegen der wenigen Kraft in mir, kann ich auch nicht mehr länger still sein. Ich will endlich die Wahrheit wissen und das jetzt hier auf der Stelle! Mein Blick verfinstert sich, als ich ihm schließlich entgegne: „Da redet gerade der Richtige. … Seltsam ist das alles hier. Nichts ist hier real und sag mir ja nicht, dass ich mir das einbilde. Ich habe genug von dieser Scharade! Ich will jetzt endlich die Wahrheit wissen! Was wird hier gespielt?!“ Nun bin ich es, die die Arme verschränkt, während Raphael eine andere Körperhaltung annimmt. Von meiner Reaktion ist er zunächst verblüfft, grinst aber dann, als hätte ich gerade einen Witz erzählt. „Du redest wirres Zeug Bernadette. … “, meint er und will noch weiter etwas erwidern, aber diesmal lasse ich ihn nicht ausreden: „Nie und nimmer und ich lasse mir das auch nicht mehr länger einreden! Jetzt rück endlich mit der Sprache heraus! Ich habe es einfach satt, mir das noch länger gefallen zu lassen! Also rede jetzt endlich!“

Mein wahrer Raphael hätte in solch einer Situation wütend und aufbrausend reagiert. Er hätte mich sogar angeschrien, oder irgendetwas Ähnliches getan. Auch wenn er seine Wut hätte zügeln müssen, ich hätte irgendetwas Ähnliches bei ihm bemerkt. Dieser jedoch macht nichts dergleichen. Vielmehr ist er ein Eisklotz, ohne jegliche Gefühle. Zunächst blickt er kurz in die Ferne und antwortet erst nach einigen gefühlten Minuten: „Du willst die Wahrheit? … Als könntest du damit umgehen, wenn ich dir das sage.“ „Das lass mal meine Sorge sein.“, erwidere ich selbstsicher und mit erhobenen Haupt, während ich in meiner momentanen Position verbleibe. Ich will es wissen und das hier und jetzt. Nichts hält mich mehr davon ab. Doch von meinem Gegenüber kommt nur eine eiskalte Reaktion, als wenn er sich darüber lustig machen würde, wie sehr ich unter diesem Unwissen leide. So schielt er zu mir rüber und geht schließlich auf meine Aufforderung ein, wobei er dabei so tut, als ob ich mit meinem Handeln all seine Bemühungen, mich vor irgendetwas zu schützen, zunichtemachen würde: „Wie du willst. Ich habe versucht, es dir einfach zu machen, aber wenn du es nicht anders willst, dann erfährst du es nun mal so: Ja, das hier ist nicht dein reales Leben. Du könntest aber auch nicht mehr dorthin zurück. Denn es ist bereits vorbei. Dein Leben ist gelebt.“ „Was?“, kann ich nur darauf nur perplex sagen, während es mich wie ein Schlag trifft und mir quasi den Boden unter den Füßen wegzieht. Aus Reaktion auf diesem Schock hin, lasse ich mich auf meine Knie fallen. Wie meint er das? Ich kann seine Worte gar nicht begreifen. Ich versuche es zu verstehen, aber es will mir nicht in den Kopf.

Mein Gegenüber dagegen hat seine Mimik nicht eine Sekunde verändert. Wie versteinert sieht er mich immer noch genauso an und fügt hinzu: „Mit anderen Worten Bernadette: Dein Leben ist vorbei, du bist gestorben.“ „Nein, das … das kann nicht sein! … Das ist unmöglich!“, schreie ich. Angst und Panik haben mich ergriffen. Ich kann einfach nicht glauben, was er da gerade gesagt hat. Ich soll gestorben sein?! Das kann einfach nicht stimmen und was soll dann das hier alles sein?! Als wenn „Raphael“ meine Gedanken deutlich vernommen hätte, dreht er sich ganz zu mir um, geht ein paar Schritte auf mich zu und sagt in einer monotonen Stimme: „Und doch ist es so. Erinnere dich an das, was du das letzte Mal gesehen hast, bevor du in dieser Welt „aufgewacht“ bist.“ Verzweifelt fahre ich mit beiden Händen durch die Haare. Ich versuche mich zu erinnern. Was war das Letzte, was ich gesehen habe? Ganz verschwommen kommt es mir wieder in den Sinn. Als Letztes habe ich Mikeys Gesicht gesehen. Er hat mich neben einem Fahrzeug auf dem Boden abgelegt. Irgendetwas hat er besorgt zu mir gesagt und dann verschwand er. Zwei Männer waren dann aufgetaucht und haben mich dann auf eine Trage gehievt. Ich wurde irgendwo hineingetragen und bis auf ein paar weitere verschwommene Gesichter und fremde Stimmen, kann ich mich an nichts mehr weiter erinnern. Denn dann war alles nur schwarz.

War ab da etwa mein Ende? War dieses schwarze Nichts, was dann kam, etwa das, was mich nach dem Tod erwartet hatte, aber was ist nun mit dieser Welt? Warum bin ich hier? Ist das etwa das Leben nach dem Tod, oder doch etwa etwas ganz Anderes? Ich bin ganz verwirrt. Verzweifelt krümme ich mich zusammen, umschlinge mit meinen Armen meinen Körper und starre in die Leere. „Wer bist du und wo bin ich?“, frage ich nach einigen Atemzügen, wobei man an meiner Stimme ganz klar erkennen kann, wie verzweifelt und kraftlos sie klingt. Der Angesprochene geht in die Hocke, hebt mit seiner rechten Hand mein Kinn etwas an und antwortet: „Ich bin eine Spiegelung deiner Erinnerung, so wie dies alles hier. Alles, was du hier siehst, ist ein Teil von dir. Vermischt mit deinen Wünschen, Träumen und Ängsten hast du dies mit deinem letzten Atemzug erschaffen. Man könnte sagen, dass dies dein ganz persönlicher Himmel ist. Was hier geschieht, ist in Wahrheit dein eigener Verdienst.“ Ich kann kaum glauben, was er da sagt. Nicht nur, dass ich gestorben sein soll, diese Welt, die sozusagen „mein Himmel“ sein soll, ist nur durch mich entstanden. Nur, wenn das alles wirklich wahr ist, warum dann diese Scharade? Warum soll ich mir selbst etwas vorgegaukelt haben, dass alles in Ordnung ist und „mein Leben“ weitergeht? Als ich das nun zögerlich in den Raum werfe, klingt „Raphaels“ Stimme ganz anders. Sie ist freundlicher und wärmer, als er antwortet: „Es ist, weil du versprochen hattest durchzuhalten. Du hast so sehr dagegen gekämpft und doch verloren. Du wolltest dann einfach nicht wahrhaben, dass alles vorbei ist. Besonders die letzten schrecklichen Erinnerungen wolltest du vergessen und darum hast du dir eine alternative Wendung für dein „Weiterleben“ erschaffen, in der es einiges nicht mehr gibt. Hier lebt keine Lucinda, die dir bei der nächsten Gelegenheit das Leben schwermachen könnte. Jeder ist hier freundlich und du wirst alles bekommen, was du dir nur wünscht.“

Still höre ich ihm zu und versuche es zu verstehen. Die ganze Zeit habe ich nach einer Antwort für all meine Fragen gesucht. Immer wieder wurde ich daran gehindert, wurde abgelenkt und nun scheine ich sie gefunden zu haben. Es gab für alles einen Grund. Nur gefällt mir die Erkenntnis ganz und gar nicht. Ich bin tot, habe alles verloren, was mir stets wichtig war und kann nie mehr wieder mit meiner Liebe des Lebens zusammen sein. So sehr sich aber alles in mir dagegen wehrt und ich noch nicht ganz daran glauben mag, so macht es doch einen Sinn. Diese seelenlose Blicke meiner Mitmenschen, ihr seltsames Verhalten, dieses ständige Gefühl, allein zu sein, all das lässt sich nun erklären, aber eines gibt es immer noch, was ich nicht ganz begreife: Warum habe ich trotz alldem immer noch Momente der Geborgenheit erlebt und diese zärtlichen Berührungen auf meiner Haut gespürt? Als ich das zögerlich frage, kommt sogleich auch die Antwort: „Das sind ebenfalls Erinnerungen und zwar jene, an den du stark festhältst. Die ganze Zeit wolltest du die Wahrheit nicht wahrhaben und wenn du dich nicht wohl gefühlt hattest, so hast du diese Vertrautheit und Zärtlichkeit noch einmal direkt gespürt. Du hast es einfach gebraucht.“ Ist das wirklich so? Waren all jegliche Berührungen und dieses kurze Gefühl der Geborgenheit nur eine weitere Erinnerung, an der ich mich einfach nur klammere? Raphael, oder wohl die Replikation von ihm, hilft mir schließlich hoch. Traurig sehe ich ihn an und kann mein Schicksal einfach nicht akzeptieren.

„Und was jetzt?“, frage ich ihn nun. Er wiederum lächelt, berührt mich an beiden Schultern und meint: „Das ist ganz dir überlassen. Hier in deiner Welt kannst du machen, was auch immer du willst.“ Ich sehe nun zur Seite. In der Ferne bekomme ich gerade mit, wie der Sonnenuntergang gerade an seinem Höhepunkt ist und „meine Welt“ in ein tiefes Rot eintaucht. Wie schön das doch ist und doch kann ich es nicht wirklich genießen, geschweige mich irgendwie daran erfreuen. Es ist einfach nur traurig, aber wie soll ich nun damit umgehen? Was mache ich nun? Weigere ich mich, diese schreckliche Erkenntnis zu akzeptieren, oder lasse ich mich nun ganz darauf ein? Was ist nun richtig? Ich entferne mich von meiner momentanen Stelle und gehe auf dem Rand des Daches zu. Langsam nähere ich mich dem Abgrund und sehe schließlich hinunter. Wo die Leute unbekümmert ihrem Alltag nachgehen, stehe ich hier oben und blicke auf sie hinab. Doch sie alle sind nicht echt. Sie sind einfach ein Werk aus meiner Erinnerung, ein Konstrukt aus meiner letzten Kraft, so wie alles hier. Es ist nun meine Welt. Ob ich sie nun will oder nicht, sie ist es nun mal. Ich weiß es jetzt, aber die Wahrheit macht mich nicht glücklich. Nur lässt sich nun nichts mehr daran ändern. Mein Leben, vorbei, gelebt, wie man es auch nennen mag, ich bin nun hier. Obgleich ich noch so vieles vorhatte. Mit Leuten, die ich liebe und mit denen ich auch meine Zeit teilen wollte, es ist nicht mehr möglich. Raphael, es tut mir Leid. Ich habe dich enttäuscht, ich habe dir versprochen zu kämpfen, damit wir bald endlich wieder zusammen sein können, aber ich habe es nicht geschafft. Meine Familie, meine Freunde, sie alle werden mir schrecklich fehlen. Ich werde sie auch nie vergessen.

Bewusst atme ich nun tief durch, schließe die Augen und tue es. Ich lasse mich fallen. Die Arme von mir gestreckt und den Kopf Richtung Boden geneigt, stürze ich in einem rasanten Tempo hinab in die Tiefe. Der Wind rauscht mir durch die Ohren und meine Haare wirbeln bei meinem Fall zurück. „Ich möchte fliegen, ich möchte meine Welt sehen.“, flüstere ich, mein jetziges Sein nun schwerlich akzeptierend, und öffne schließlich meine Augen. Tatsächlich, ich fliege. Wie ein Vogel gleite ich federleicht durch die Luft. Was in meiner wahren Welt unmöglich gewesen wäre und was ohne Hilfe in letzter Sekunde mein Leben gekostet hätte, hat hier keine Bedeutung. Ich trotze den physikalischen Gesetzen und jeglicher Logik. Hier herrschen andere Regeln, hier ist alles möglich und nur ich allein bestimme es. Nach meinem Sturzflug konnte ich mit hohen Bogen dem näherkommenden Boden entfliehen und nun hält mich nichts mehr zurück. Ich bin in der Luft und fliege über die Stadt, die ich hier und jetzt als mein Eigen nennen kann. Es ist meine Welt, mein Reich und es wird so sein, wie ich es mir wünsche.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Mad-Dental-Nurse
2017-05-06T11:25:08+00:00 06.05.2017 13:25
Ohje. Heisst das jetzt, dass sie nie wieder zurückkommen wird?
Oh....bitte nicht!!!!
Antwort von:  Pamuya_
28.06.2017 20:28
Wer weiß ...
Von:  Yashi2506
2016-10-17T21:46:39+00:00 17.10.2016 23:46
Dieses Kapitel ist wirklich super! Bernadette tut mir aber echt leid :(
Antwort von:  Pamuya_
18.10.2016 20:53
Danke, freut mich, dass dir ds Kapitel gefallen hat.
Bernadette hat es im Moment wirklich nicht leicht.


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