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Gegen die Schwerkraft

von

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Embry POV
 

Abwesend betrachtete ich den Wald, der in unterschiedlichen Grüntönen an mir vorbeizog. Der Geruch von dem Vanille-Wunderbaum, der bei jeder noch so winzigen Unebenheit am Rückspiegel baumelte, und dadurch den Fahrerraum von Quils altem Pickup erfüllte, erinnerte mich an Huyana. Vermutlich benutzte sie eine Seife mit Vanillegeruch, denn sie roch immer danach. Nach Vanille und einer kleinen Note von Wildblumen. Ihr Geruch war süß und doch angenehm zugleich.

Ich vermisste ihn schrecklich. Wann würde ich Ana wiedersehen können? Ich wandte meinen Blick zu meinem Handy, dass ich nicht aus meinen Händen ließ. Wie ein Blinder, der an seiner Sehhilfe hang, so klammerte ich mich an das Telefon und hoffte, dass es endlich ein erlösendes Summen von sich geben würde. Es war hoffentlich nichts Ernsthaftes vorgefallen. Was wenn ihre Erkältung ernst zu nehmender war, als Nina es behauptet hatte? Wenn sie im Krankenhaus lag und mit dem Tod rang. Genau wie damals.
 

Ich biss meine Zähne zusammen, als eine Welle von Schuldgefühlen mich überrollte. Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten und versuchte, gleichmäßig zu atmen.

Seit der Erzählung von Mutter überschlug sich mein Herz von all den Gefühlen, die mich abwechselnd in Besitz nahmen.
 

Schuldgefühle, weil ich nicht für sie da gewesen war. Weil ich ein blöder Idiot war und das Spielen mit Quil und Jacob mir mehr Spaß gemacht hatte, als das ich mich um Huyanas Wohl gekümmert hätte.

Wut, weil ich mich selbst dafür hasste, dass ich sie in Stich gelassen hatte.

Mordlust, weil ich am liebsten ihrer Mutter den Hals dafür umgedreht hätte.

Wie konnte sie meiner Ana nur so etwas antun?
 

Das Bild von dem übertrieben grinsenden Mädchen erschien vor meinen Augen. Ein kleines Lächeln umspielte meine Lippen. Sie war so niedlich gewesen. So unbeschreiblich süß. Immer mehr Erinnerungen kamen zurück, die im Laufe des Lebens in den Hintergrund geraten waren. Ana, wie sie grinsend auf mich zu kam, um mit mir einen Keks zu teilen, den sie bei ihrer alten Nachbarin ergattert hatte. Ana, wie sie neben mir in der Schule saß und sitzend einschlief, weil sie Mathe schrecklich langweilig fand.
 

So viele Erinnerungen kamen allmählich zurück, und jede davon war auf ihre eigene Art und Weise wunderschön. Doch all die schönen Bilder verblassten und Anas Blick veränderte sich. Ich sah in die Augen, eines kleinen Mädchens, das sich von der Welt verschloss. Durch Mutters lebhafte Erzählung sah ich Huyana, wie sie im Krankenbett vor sich hinmurmelt und teilnahmslos erklärte, dass sie Schmerzen hatte. Ich sah, wie sie mit leuchtend roten Narben am Kopf auf dem Boden saß und weinte. Sie hob ihren Blick und sah mich dabei an. Ich zuckte zusammen, als hätte man mich gerade, wie einen verwahrlosten Straßenköter getretenen, denn das schlimmste Gefühl von allen breitete sich in mir aus.
 

Hilflosigkeit.
 

Dass ihr Leben Spuren an ihr hinterlassen hatte, war nicht zu übersehen. Nun wurden mir auch so manche Reaktionen von ihr verständlich. Ich konnte nur zu gut nachvollziehen, warum sie mich nicht als Teil ihres Lebens haben wollte. Bestimmt hasste sie alle Menschen aus dem Reservat, weil sie ihr nur Schmerzen zugefügt hatten. Selbst meine Wenigkeit hatte sie in Stich gelassen. Wie könnte ich ihr klar machen, dass es nun anders war? Dass ich sie vor allem Bösen beschützen wollte. Sie beschützen musste. Ein verzweifelter Laut entrang aus meiner Kehle.
 

Quil schielte kurz zu mir, sagte aber Nichts. Wie sollte ich sie vor allem Bösen beschützen, wenn selbst meine Wenigkeit nicht weniger ungefährlich war, als ein verdammter Blutsauger?

Ich fuhr mir über mein Gesicht, in der Hoffnung meine Gedanken dadurch ordnen zu können. Ich war definitiv mit dieser Situation überfordert. War ich wirklich gut genug für sie? Ich hatte zwar beschlossen, dass ich für sie da sein werde. Dass ich sie lieben würde. Doch mein Leben war gefährlich. Ich selbst war gefährlich und das durfte ich niemals unterschätzen. Wenn ich ihr auch nur ein Haar krümmen würde, weil ich mich für einen Moment lang nicht beherrschen könnte, dann würde ich auf der Stelle den Freitod wählen. Sofort. Ohne jegliches zögern.
 

Kurz hielt ich den Atem an, überwältigt von dem Schmerz, der alleine durch diesen Gedanken ausgelöst wurde. Ich musste mich wieder beruhigen. Es würde keinem geholfen werden, wenn ich hier durchdrehte und mir Szenarien ausmalte, wo eine schlimmer, als die andere, war. Das war auch der Grund, warum mich Quil zwang, dass ich ihn nach Port Angeles begleitete. Er hatte gemeint, dass er schon eine Kerbe im Holzboden erkennen könnte, wo ich ständig im Kreis gelaufen war und ich sollte mit ihm an die frische Luft gehen, um nicht völlig am Rad abzudrehen.

Innerlich war ich ihm dafür irgendwo auch dankbar, doch eigentlich hatte ich viel Wichtigeres zu tun. Ich musste sicherstellen, dass es Ana gut ging. Nur weil sie mich ignorierte, hieß es nicht, dass ich unbeteiligt in einer blöden Stadt spazieren konnte.
 

Ich sollte noch einmal versuchen, ihr zu schreiben. Wenn sie sich dann immer noch nicht meldete, würde ich ihr einfach einen Besuch abstatten. Nur um sicherzustellen, dass es ihr gut ging. Verdammt noch mal, ich konnte nicht tatenlos zusehen, wie sie sich von mir abschottete. Immerhin brauchte ich sie! Seufzend tippte ich die Nachricht und versandt sie. Großer Gott. Ich hörte mich wirklich verzweifelt an.
 

Ich – Heute 15:04

Bitte Huyana!

Bitte melde dich!

Sonst komm ich zu dir, wenn’s sein muss.
 

"Wenn du sie weiterhin in die Enge treibst, wird sie denken, dass du ein Wahnsinniger bist und vor dir weglaufen", Quil schielte zu mir. In seinen Augen spiegelte sich Mitleid wieder. Ich brummte nur und sah aus dem Fenster. Er hatte leicht reden! Clairs Mutter hatte seine Prägung schnell akzeptiert gehabt und erlaubte ihm, dass er sie sah. Noch dazu liebte ihn Clair abgöttisch. Für sie war er der beste große Bruder, den es je gab.
 

Sein schwerer Seufzer durchbrach die unangenehme Stille im Auto. "Ich finde, Tiffany hätte dir Huyanas Geschichte nicht erzählen dürfen. Sie sollte endlich lernen, standhafter dir gegenüber zu sein. Hat sie dir jemals einen Wunsch abgeschlagen?", nachdenklich sah er auf die Straße, während er sprach.

"Quil … ich musste es erfahren. Würdest du nicht auch alles von Clair wissen wollen?", murmelte ich und starrte das Handy an. Zwei Minuten waren schon vergangen. Wie lange sollte ich auf ihre Nachricht warten, bevor ich mich zu ihr auf den Weg machte?

"Doch … würde ich wollen. Aber ich würde es gerne von Clair selbst hören. Ich meine … Laut deiner Mutter, weiß Ana Nichts davon. Wenn du nun mit ihr auf diesen Vorfall zu sprechen kommen würdest … könntest du ihr die Wahrheit über ihrer Mutter verschweigen? Ich meine, seh' dich doch nur an, Embry. Seit du davon weißt, bist du … noch aufgewühlter, als du es vorher schon warst. Wenn ihr also darüber reden solltet, und sie dir erzählt, wie gern sie ihre Mutter hatte und dass sie sie vermisst … Embry, was würdest du tun? Es hinnehmen? Es ihr sagen? Könntest du sie anlügen?"

"Ich … Ich weiß es nicht", murmelte ich und sah zu meinen Händen. Verflucht! Hatte ich schon wieder einen Fehler gemacht? Irgendwie machte ich ständig einen, sobald es um Ana ging. Kein Wunder also, dass sie mir aus dem Weg ging.

"Naja … wir können es nicht rückgängig machen. Als sie mit der Geschichte anfing, wussten wir ja nicht, dass Ana keine Ahnung hat. Und außerdem, vielleicht weiß sie es mittlerweile? Tiffany weiß nur, was früher einmal war", Quil schien zu spüren, dass ich aufgewühlt war, weshalb er mir tröstend auf die Schulter klopfte. "Wir sind alle für dich da. Mach dir keine Sorgen." Als ich zu ihm sah, lächelte er mich an. Ich nickte ihm nur zaghaft zu.
 

"Was ist eigentlich los? Meldet sich Ana immer noch nicht? Weiß sie überhaupt, dass du heute Geburtstag hast?", er sah wieder zur Straße. Ich zuckte bei seinen Worten leicht zusammen, als mich erneut eine Welle des Schmerzes traf. Sie war eiskalt und bohrte sich tief in meine Brust hinein. Das Loch raubte mir den Atem.

Just in dem Moment vibrierte mein Handy. Reflexartig griff ich danach und starrte den Bildschirm an. Ana! Ana hatte mir endlich geantwortet. Eine Stimme in meinem Inneren flüsterte mir leise zu, dass sie das nur tat, damit ich nicht zu ihr kam. Dieser Gedanke war schrecklich. Ich konnte regelrecht mein Herz bei jedem Schlag zerbrechen hören.

Mit zittrigen Händen öffnete ich die Nachricht und erstarrte.
 

Ana :) – Heute 15:13

Hi!

Mir geht’s besser.

Der Tee war wirklich lecker, danke!
 

Wie hypnotisiert starrte ich die drei Zeilen auf meinem Bildschirm an. Ihr ging es besser und sie hatte den Tee getrunken. Schnell tippte ich ihr eine Antwort, löschte sie aber wieder.
 

Ich sperrte den Bildschirm, öffnete ihn aber sogleich wieder, um mir die Nachricht nochmals durchzulesen. Es ging ihr besser. All die schlimmen Szenarien, die ich mir ausgemalt hatte, trafen nicht zu. Ihr ging es gut. Doch warum war ich darüber nicht erleichtert? Warum fiel mir nicht dieser tonnenschwere Stein vom Herzen? Warum fühlten sich die Zeilen so falsch an? Warum konnte ich nicht froh darüber sein, dass ich von ihr las?

Die Stimme im Inneren wurde immer lauter. Bitterkeit umspielte mein Herz, als sich neue Gedanken in meinem Gehirn festsetzten. Sie wollte mich definitiv nicht sehen. Sie ging mir absichtlich aus dem Weg. Bestimmt. Zumindest hatte sie erst jetzt geantwortet, wo ich ihr praktisch gedroht hatte, vorbei zu sehen. Ich tippte ihr eine Antwort und warf das Handy auf den Sitz neben mir.
 

Ich verkrampfte meine Hände zu Fäusten. Diese ganze Situation - diese ganzen Gefühle, ich war ihnen nicht gewachsen. Verdammt! Wie konnte ich nur zu ihr durchdringen?

Wütend schlug ich zur Seite gegen das Fenster. Der Schmerz in meinem Herzen wanderte zu meiner Hand. Kalter Wind peitschte mir ins Gesicht und ab und zu auch ein Regentropfen.

"Alter! Das bezahlst du", entsetzt starrte mich Quil an. Ich zuckte nur mit den Schultern. Was spielte das noch für eine Rolle? Sein Fenster war mir im Moment egal.
 

Stumm betrachtete ich die kleinen Schnitte an meiner Hand. Die Magie in meinem Blut, verschloss sie und im Bruchteil von einer Sekunde, sah sie wieder normal aus. Nicht einmal eine Narbe war zu sehen, oder überhaupt die Andeutung, dass ich vor wenigen Sekunden geblutet hatte.

Warum hatten meine Gene kein ähnliches Heilmittel für mein Herz erschaffen? Dessen offene Stellen bluteten immer mehr.
 

"Hei … alles okay?", Quil sah mich besorgt an.

Ein verzweifeltes Lachen entrang mir und ich fuhr mir mit den Händen über mein Gesicht. Ich fühlte mich erschöpft. "Alles prima", antwortete ich voller Bitterkeit. Ich wusste wirklich nicht mehr weiter.

"War das Ana?"

Ich nickte. "Was hat sie dir geschrieben? Doch nicht etwa, dass du sie in Ruhe lassen sollst? Mann Embry, ich ha ...", er brach ab, als ich mit dem Kopf schüttelte.

"Sie … ", ich räusperte mich, da meine Stimme abbrach, "Ihr geht es gut … Das hat sie geschrieben", murmelte ich unhörbar für normale Ohren, doch für Quil laut genug.

"Wo liegt denn das Problem? Jetzt weißt du wenigstens, dass es Nichts Schlimmes ist", setzte er fröhlich an, doch ich schüttelte erneut den Kopf und seufzte.

"Sie meldet sich seit Donnerstag nicht und nun schreibt sie ganz plötzlich, wo ich ihr … in ihren Augen wahrscheinlich … damit drohte, sie zu besuchen, wenn sie sich nicht meldet. Keine fünfzehn Minuten später kam eine Kurzmitteilung", meine Stimme wurde erneut zum Ende hin dünner und brach schließlich ganz ab.
 

Ich wandte mein Gesicht dem Wind entgegen, der durch das nun offene Fenster hineinströmte und seufzte. Es hatte keinen Sinn darüber zu reden. Ich wusste, dass ich nicht mehr darüber sprechen konnte, ohne zusammenzubrechen. Quil selbst schien überfordert zu sein, weshalb er mir erneut schweigend auf die Schulter klopfte.

Ich konnte einfach nur darauf hoffen, dass sie mich eines Tages akzeptieren könnte.
 


 

***
 


 

„Wir holen nur schnell den Kuchen für Clair und dann fahren wir wieder nach Hause“, erklärte mir Quil, während wir aus dem Auto ausstiegen. Ein merkwürdiges, flatterndes Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Verwirrt legte ich mir eine Hand auf den Bauch. Warum reagierte mein Körper, als würde er bald auf Huyana treffen. Ich schüttelte kurz den Kopf. Ich war bestimmt durcheinander.

„Du verwöhnst sie Quil! Wenn sie erwachsen wird, hast du später ein großes Problem, wenn das eine Angewohnheit bleibt“, erwiderte ich, während ich schleppend ihm nachging.

„Quatsch! Clair-Bär würde das nie ausnutzen. Ich möchte sie nur für ihre gute Leistung in der Schule belohnen. Harte Arbeit sollte immer belohnt werden … bei erwachsenen mit Gehalt und bei Clair-Bär mit ihrem Lieblingskuchen“, er lächelte nahezu dümmlich, als er über die Schulter zu mir sah. Ich verdrehte meine Augen. Er tat alles für Clair. Es musste wundervoll sein, wenn man jemanden wie Quil beim Aufwachsen hatte. Ana hätte bestimmt jemanden wie Quil brauchen können.

Erneut wurde mein Herz bei diesem Gedanken schwer. Würde ich wirklich gut genug für sie sein?
 

„Können wir nach Hause? Ich fühl mich nicht so gut.“

Ich blieb erstarrt stehen und sah hoch. Diese Stimme! Unmöglich, sie war doch krank. Warum sollte sie hier sein? Eine kleine Windbrise trug ihren Duft zu mir. Vanille mit einem Hauch von Wildblumen. Das war der Geruch von Ana.

Sie ging mir tatsächlich aus dem Weg. Sie hasste mich wirklich.

Ich hörte meinen Wolf im Inneren aufjaulen, denn der Schmerz war unerträglich.

„Ana!“, schnappte Nina erschrocken nach Luft, und starrte mich an, als wäre ich von den Toten auferstanden.
 

Ganz langsam, fast wie in Zeitlupe, drehte sie ihren Kopf zu mir und ich konnte in ihre wunderschönen schwarzen Opale sehen. Ich konnte darin kein Glanz von Freude erkennen, dass sie mich sah. Nein. Es war das pure Entsetzten.

Ich wollte sie so nicht sehen. Sie sollte nicht entsetzt sein, dass ich ihr gegenüberstand. Wenn sie meine Existenz so sehr belastete, dann würde ich sie in Ruhe lassen. Ich würde sie vom Schatten aus beobachten, damit ihr nix zu stieß. Das war doch der Sinn meiner Existenz. Es sollte nur ihr gut gehen.

„Huyana. Freut mich, dass es dir so gut geht“, durchbrach ich die unangenehme Stille. Ich war irgendwo unter diesem ganzen Schmerz tatsächlich erleichtert, dass sie nicht wirklich krank war.

Fassungslos beobachtete ich, wie sie zusammenzuckte, als hätte ich sie geschlagen. Sie wandte ihren Blick ab und starrte zu ihren Füßen. Was hatte sie bloß? Ich hatte doch nicht verbittert gewirkt, oder?
 

Plötzlich dämmerte es mir. Sie hatte nach meinem Namen gefragt, und sich seitdem nicht mehr gemeldet. Sie – Ana – wusste, wer ich war. Sie hasste mich wirklich! Es war nicht gegen die Leute aus dem Reservat, sondern es betraf nur mich. Ihren damaligen besten Freund, der sie in Stich gelassen hatte, als sie ihn am Nötigsten brauchte.
 

Ich wollte etwas sagen. Ich musste etwas sagen. Doch als sie ihren Blick kurz hob, setzte sie sich in Bewegung und lief an mir vorbei. Wie versteinert, beobachtete ich die Situation, als wäre ich ein Außenstehender. Unfähig auf sie zu reagieren und sie am Arm festzuhalten, als sie an mir vorbeilief. Ihr Duft war für einen kurzen Moment so intensiv, dass er meine Sinne benebelte und mich ausfüllte. Doch als er abschwächte, blieb Nichts, als die gähnende Leere in meinem Inneren.
 

Ein leises Wimmern entrang aus meiner Kehle. Sie rannte weg. Sie rannte vor mir weg. Die Leere in meinem Inneren wurde durch Schmerzen ersetzt. Schmerzen, die meinen ganzen Körper ausfüllten, und mir den Atem raubte.
 

Quil stütze mich, als meine Knie unter der Last meines schweren Herzens nachgaben.

„Komm setzt dich auf die Treppe“, er strich mir tröstend über den Rücken.

„Em … Embry. Ana … Ana meint das bestimmt nicht so, hörst du?“, fing Nina an. Ihr mitleidiger Blick machte mir die Situation umso deutlicher. Ich presste meine Lippen aufeinander und bemühte mich ruhig zu atmen.

„Sie beruhigt sich bald wieder. Hör mal … sie wird es dir bestimmt erklären … irgendwann“, sie kratzte sich am Kopf und sah in die Richtung, wo Ana verschwunden war. „Ich weiß nicht, wie viel ich sagen darf … Aber, Ana ist ein guter Mensch … hörst du? Sie würde nicht wollen, dass du … traurig bist … Ana beruhigt sich bestimmt. Sie reagiert gerade nur ein wenig über, weil … ach Mann.“

Ich starrte einfach auf meine Schuhe. Unfähig etwas auf ihre Worte zu antworten. Ana war ein guter Mensch, bestimmt. Aber selbst gute Menschen konnten andere hassen.

Sie seufzte. „Ich … Ich sollte nach Ana sehen. Embry … es wird alles gut, ja? Lass den Kopf nicht hängen!“ Ich nickte ihr leicht zu und hörte daraufhin ihre kleinen Absätze klacken.
 

„Embry?“, Quil setzte sich zu mir und legte mir einen Arm um die Schulter.

Bebend atmete ich die kühle Frühlingsluft ein. Doch es half nicht. Ich drohte an dem Kloß in meinem Hals zu ersticken.

„Es wird alles gut! Glaub mir. Es mag zwar nicht den Anschein haben, aber manchmal ist so ein bisschen Drama auch gut. Ich mein … Es stärkt die Beziehung später zueinander. So wie bei Paul und Rachel, erinnerst du dich?“, er klopfte leicht an meine Schulter.

Ich schüttelte nur mit dem Kopf. Paul hatte Rachel nie enttäuscht oder verletzt. Sie hatte nur nicht in Forks bleiben wollen und hatte auch keine Beziehung eingehen wollen. Erst recht nicht mit einem Minderjährigen. Das war mit meiner Situation nicht zu vergleichen. Ana hasste mich und ihre Gründe waren auch verständlich.

„Glaub mir“, er hievte sich hoch und blieb nochmals stehen. „Ich hol schnell den Kuchen. Dann können wir nach Hause.“

Ich sagte nichts. Ich hatte das Gefühl, dass meine ganze Welt in ein tiefes Grau getränkt wurde. Ich nahm nichts mehr wahr. Nichts war mehr von Belangen. Wimmernd krallte ich mit meiner Hand in mein T-Shirt über das immer tiefer werdende Loch und drückte so fest ich konnte dagegen.

Diese Leere war unerträglich!
 

Schweigend gingen wir nach einer gefühlten Ewigkeit zurück zur Quils alten Rostlaube. Sie hatten keinen Kuchen mehr in der Auslage gehabt, und der den Quil nun mit sich trug, war frisch gebacken. „Wir hatten Glück“, sagte er, „der war schon fast fertig gewesen.“

Er war gerade dabei den Kuchen ins Auto zu legen, als ich verwirrt stehen blieb.

Einen Block weiter ging eine Frau taumelnd auf uns zu. Ihre hellbraunen Locken erinnerten mich an Nina. Doch neben ihr war niemand zu sehen. Als sie ein weniger Näher war, konnte ich ihr verweintes Gesicht erkennen. Mein Herz setzte bei ihrem Anblick einen Schlag aus. Panisch lief ich ihr entgegen.

„Nina? Nina wo ist Ana? Was ist passiert?“, ich hielt sie an den Schultern fest und zwang sie somit zum Stehenbleiben.

Ihre Unterlippe zitterte und als sie meinen Blick erwiderte, stellten sich mir die Nackenhaare auf. „Nina?“, presste ich irgendwie hervor.

„Ana … Ana sie ist … Ich finde sie nicht … Und … Und als ich sie angerufen habe … Sie hat nur gemeint, ich solle nicht nach ihr … suchen. Und das … das es ihr … leid tat. Gott Embry! Sie … Sie wird sich wohl nicht umbringen?“, schrie sie mich an.

Ich fing an zu zittern. Nein. Bitte nicht! Warum sollte sie das wollen? Doch nicht wegen mir, oder? „Hast … Hast du versucht … sie noch einmal zu … erreichen?“
 

Mein Wolf war in Aufruhr. Er wollte raus. Nur so konnte ich Ana vielleicht noch rechtzeitig erreichen. Doch ich war hier mitten in der Stadt. Ich durfte nichts Unüberlegtes machen.

Als Quil zu uns kam, schien mein brodelndes Blut spüren zu können, denn er legte mir teils beruhigend, teils als Warnung, seine Hand auf die Schulter.

Nina schüttelte den Kopf. „Nein … ich meine ja! Hab ich! Aber … etwas mit ihrem Handy stimmt nicht. Ich … ich komme nicht durch!“

Ein Schauer lief mir über den Rücken. Bitte nicht! Ihr durfte Nichts geschehen. Ich konnte doch nicht auf ganzer Linie versagen!

„Wann war das?“, fragte Quil. Er schien selbst angespannt zu sein.

„Vor … Vor ungefähr einer halben Stunde“, murmelte sie. Mein Griff um ihre Schultern wurde fester. Wut entflammte in mir. Brannte all die anderen Gefühle nieder. Warum war sie nicht früher zurückgekommen? Eine halbe Stunde war zu viel Zeit!

Quil packte meine Handgelenke und zog meine Hände von ihren Schultern.

„Ich … ich wollte selbst nach ihr suchen. Aber …“, sie schüttelte den Kopf, als sie meinen vorwurfsvollen Blick sah.

„Verständige die Polizei Nina. Embry und ich gehen sie suchen. Hast du verstanden?“, befahl Quil und zog mich hinter sich her.

„M-Mach ich!“, rief sie uns nach.
 

Schreckliche Szenarien malte sich meine Fantasie aus, als wir der leichten Spur von Ana folgten. Ich dankte Gott dafür, dass es nicht in der Zwischenzeit geregnet hatte. Es wäre sonst unmöglich gewesen, sie ausfindig zu machen. Port Angeles war zwar keine große Stadt, aber groß genug, dass es ohne Fährte einige Stunden dauern würde.

Plötzlich blieb Quil stehen. Alarmiert sah ich mich um, und als der beißend, süße Geruch in meine Nase stieg, breitete sich eine Gänsehaut auf meinem ganzen Körper aus. Das konnte nicht wahr sein! Ein Vampir? Hier in Port Angeles? Ein tiefes Knurren entwich meiner Kehle. Ich konnte nur hoffen, dass sich ihre Wege nicht gekreuzt hatten, doch ein mulmiges Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Eine böse Vorahnung packte mich, die ich kopfschüttelnd loswerden wollte.

„Komm, wir kümmern uns später um diesen Blutsauger. Wir müssen zuerst Ana finden“, ich schubste Quil an der Schulter und ging an ihm vorbei. Er selbst schien genauso besorgt zu sein, wie ich. Die Tatsache, dass ein Vampir hier war, und Ana nicht erreichbar war, passte beängstigend gut zusammen.

Ich knirschte mit den Zähnen und setzte zu einem Sprint an. Mir war es egal, ob mich andere sehen würden. Mir war es egal, ob sie mich anstarrten, weil ich so unfassbar schnell war. Ich musste meine Ana finden. Nur das war von Bedeutung.
 

Entsetzt verharrte ich in einer Gasse und entdeckte Anas silbernes Klapphandy. Wie in Trance beugte ich mich hinunter und inspizierte es. Der ätzende Geruch vom Blutsauger hang daran. Das konnte nicht wahr sein. Warum nur? Warum sie? Warum jetzt? Warum, wenn ich nicht in ihrer Nähe war? Wütend schlug ich gegen den Boden, der sofort Risse bildete. Ich ignorierte den Schmerz in meiner Hand. Meine gebrochenen Fingerknöchel würden gleich wieder verheilen.

Quil schnappte nach Atem und starrte entsetzt den Boden, neben dem Handy an. Sein Blick war schmerzverzerrt und als er meinen traf auch irgendwie voller Mitleid. Ich sah zu der Stelle, die ihn so aus der Fassung gebracht hatte, und fiel entsetzt auf die Knie. Blut. Da war Blut.

Tränen stiegen mir in die Augen. Ich konnte doch nicht zu spät gekommen sein. Meine Schultern bebten, als ein Schluchzen meiner Kehle entwich.

„Wir sollten nicht die Hoffnung aufgeben Embry. Folgen wir der Spur von diesem Blutsauger“, redete er auf mich ein. Ich verharrte. Dieser Blutsauger! Ich würde ihn in Stücke reißen. Mit Sicherheit!

Wütend stand ich auf und rannte der Spur nach. Mein Blut kochte. Mein Wolf forderte Rache.

Quil folgte mir, ohne ein weiteres Wort zu sagen.
 

Ein böses Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus, als die Spur in den Wald folgte. Das war der größte Fehler, den dieser verdammte Blutsauger hätte machen können. Ich beleckte mir meine Zähne, und sobald ich den Wald betrat, ließ ich mein wahres Ich raus.

Knurrend landete ich auf allen Vieren. Meine Sinne wurden noch schärfer und ich genoss die Kraft, die mir diese Form verschaffte.

Ich liebte meine Gene dafür.
 

„Na endlich. Diese Wahnsinnige setzt mir hier echt zu! Keinen Plan, was die hat, aber die kämpft um das Mädchen, als würde es ihr etwas bedeuten“, sprach Seth.

„Wo ist das Mädchen?“, fragte Quil.

„Sie liegt da drüben … ich hatte es leider nicht mehr rechtzeitig geschafft. Ich glaube nicht, dass sie es noch lange macht“, erwiderte er zerknirscht.

Ich zuckte zusammen. Panik machte sich breit. Ich zog meinen Kopf ein und rannte so schnell ich konnte. Ana durfte nicht tot sein. Ich durfte nicht zu spät gekommen sein. Warum nur, war ich ihr nicht sofort hinterhergerannt? Warum nur machte ich immer alles falsch? Es war alles meine Schuld!

„Scheiße … Hast du gerade … Ana?“, Seth wimmerte und ich konnte sehen, dass er seinen Blick zu ihr wandte. Durch seine Augen, sah ich einen bleichen Körper. Ihr Oberkörper war entblößt und lag auf eine unnatürliche Weise am Boden zusammengekauert. Ihre Brandnarben stachen deutlich hervor, doch Seth sah kurz zu ihrer Wunde am Unterarm.

„Sie wurde gebissen … Wenn sie …“, sein Gedanke wurde unterbrochen, als ihn dieses Monster angriff. Genau in diesem Moment erreichten wird Seth, weshalb sie erschrocken zurückwich.

Sie zischte und sah zur Ana. Was wollte sie von ihr?

Knurrend sprang ich dazwischen. Ich war außer mir vor Wut. Ich würde sie umbringen. Doch noch bevor ich überhaupt zum Sprung ansetzten konnte, machte sie auf Absatz kehrt.

„Embry, sieh nach Ana. Seth bleib bei ihm, ich kümmere mich um sie!“, befahl Quil, während er knurrend zum Laufen ansetzte.
 

Ich wandte meinen Blick zur Ana und ging zögernd auf sie zu.

„Scheiße Mann! Wenn sie lebt, müssen wir sie doch töten? Ich mein, sie ist gebissen worden, Embry!“, hörte ich Seth, doch ich ignorierte ihn. Ich ignorierte sein Jaulen, das wahrscheinlich Jake galt. Alles, was ich sah, war meine kleine Ana, die um ihr Leben rang, weil ich zu spät gekommen war. Weil ich ihr nicht nachgelaufen war. Ich jaulte auf. Meine Gefühle von vorhin waren nur ein schwacher Abklatsch von dem Schmerz, der mich in diesem Moment übermannte. Ich konnte ihm nicht standhalten. Meine Beine gaben nach und ich fiel zu Boden.

Ana, sie durfte mich nicht verlassen. Nicht jetzt. Nicht so.

Sie sollte leben. Ob mit oder ohne mir, das war mir egal. Aber Seth hatte recht, ob jetzt oder durch einen von uns. Ana musste sterben.
 

Ich unterdrückte meinen Wolf, spürte, wie mein Körper kribbelte und ich mich zurückverwandelte. Wimmernd kroch ich nackt auf allen Vieren zu ihr und nahm sie in meine Arme. Ihr Körper war kalt und ihr süßlicher Duft, wurde von dem beißenden des Blutsaugers überdeckt. Ich spürte ihren schwachen Herzschlag. Tränen stiegen mir in die Augen. Sie durfte nicht gehen. Ich brauchte sie doch. Vorsichtig strich ich ihr die Haare aus dem Gesicht und schluchzte, als ich ihr blutverschmiertes Gesicht sah. Zärtlich küsste ich sie auf die Stirn und legte meine Wange auf ihren Kopf.

„Ana … Huyana“, winselte ich und drückte sie fest gegen mich, in der Hoffnung, dass sie der Wärme folgte und so aus der Dunkelheit zurückfand. Ein Schrei entwich mir und ich fing an, vor und zurück zu schaukeln.

Bitte lieber Gott, nimm sie mir nicht weg!

Lass ein Wunder geschehen!

Bitte!


Nachwort zu diesem Kapitel:
Und?
Wie findet ihr es?
Ich bin total nervös, was ihr davon haltet…
bald :)
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