Zum Inhalt der Seite

Gegen die Schwerkraft

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Die Aussprache von Huyanas Namen: "Hajana" Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Das schrille Klingeln meines Weckers riss mich aus meinem wohligen Schlaf. Ich grummelte leise, während ich mich aufsetzte und mit zugekniffenen Augen aus dem Fenster schielte. Der Himmel war wieder einmal in einem wundervollen Grau und versprach Regen.

Ich liebte es.

Durch das vielversprechende Wetter war ich etwas milder gestimmt, weshalb es mir deutlich leichter fiel, aus dem Bett aufzustehen. Ich war nämlich ein Morgenmuffel und hasste es, mein Bett zu verlassen.
 

Auf dem Weg zum Badezimmer rannte ich fast meinen Vater um.

„Guten Morgen! Warum bist du schon wach?“ Ich war überrascht, ihn so bald anzutreffen. Er stand sonntags normalerweise nie vor zehn Uhr auf. Ich sah in seine verschlafenen schwarzen Augen, die meinen unglaublich ähnlich waren.

Er fuhr sich durch seine zerzausten Haare, die schon leicht ergraut waren, und lächelte mich an. „Guten Morgen, Spatz! Ich habe dich diese Woche gar nicht zu Gesicht bekommen, also dachte ich mir, ich stehe einmal früher auf.“ Eine wohlige Wärme umspielte mein Herz.

Nach dem Tod meiner Mutter gab es nur noch uns. Wir waren ein perfekt eingespieltes Team. Ich war für den Haushalt zuständig und sorgte dafür, dass all seine Hemden gebügelt waren und immer etwas zu Essen bereitstand, wenn er nach Hause kam. Mein Vater arbeitete und konnte dadurch am Wochenende entspannen. Er war nämlich ein extremer Workaholic. So kam es oft dazu, dass wir uns tagelang nicht sahen. Er selbst behauptete, dass es an der stressigen Arbeit lag, doch ich wusste, dass er log. Denn obwohl der Tod meiner Mutter schon zehn Jahre her war, hatte er ihren Verlust noch nicht verarbeitet. Deshalb schuftete er jeden Tag, und wenn es ging, auch am Samstag, nur um keine Freizeit zu haben. Damit er nicht an sie denken konnte.

In unserer kleinen Wohnung gab es zum Beispiel kein einziges Foto meiner Mutter, sogar das Hochzeitsfoto wollte er bei unserem Einzug nicht aufhängen.

Ich nahm es ihm nicht übel. Denn genau wie er, wollte ich Unteranderem auch keine Fotos von mir als Kind sehen. Bilder, auf denen ich noch unverwundet war. Wo alles noch so perfekt war.

Ich schüttelte leicht den Kopf, um meine Gedanken zu vertreiben. „Ist gut. Ich muss mich für meine Arbeit fertigmachen“, meinte ich mit einem angedeuteten Lächeln.

„Klar. Ich mach uns etwas zu essen“, grinste er und ging in die Wohnküche.

Ich sah ihm belustigt nach. Als ob man „Cornflakes und Milch auf den Tisch stellen“ als Kochen bezeichnen könnte.
 

Im Bad sprang ich unter die Dusche und drehte das Wasser auf. Nach dem Vorfall vor zehn Jahren liebte ich das Gefühl vom kühlen Nass, dass meine Haut benetzte. Es gab mir irgendwie das Gefühl von Sicherheit.
 

Als ich fertig war, fuhr ich mit der Hand über den beschlagenen Spiegel, um etwas sehen zu können.

Große, schwarze Augen blickten mir entgegen. Ich mochte sie. Sie waren nicht außergewöhnlich, sodass man von ihnen angezogen wurde. Nein. Meine Augen waren einfach normal und das liebte ich! Bei meinem Aussehen war Normalität etwas, dass ich sehr willkommen hieß.

Meine Hautfarbe war ein wenig heller, als die rostbraune Haut meines Vaters und meine langen Haare waren einfach nur schwarz und glatt. So wie bei fast jedem, der mit den Ureinwohnern Amerikas verwandt war. Leider war ich zu dünn, weswegen auch mein Gesicht schmal war und meine hohen Wangenknochen deutlich hervor stachen.
 

Ich trocknete mir meine Haare und zog mir meine Arbeitsuniform, bestehend aus schwarzer Hose und ebenso schwarzem Hemd, an. Um die Narben an meinem Hals zu verbergen, band ich mir ein grünes Halstuch um.

Dem Spiegel zugewandt vervollständigte ich mit einem schwarzen Kajal meine rechte Augenbraue. Ich hatte nämlich keine, denn ein Teil meiner rechten Gesichtshälfte war vernarbt. Verblasste Brandnarben zierten meinen ganzen Körper. Von Kopf bis Fuß war meine rechte Seite bei dem Unfall damals verbrannt. Es war schrecklich für mich gewesen. Doch mittlerweile waren die Wunden verheilt und es waren nur noch hässliche braune Narben zu sehen.
 

Ich seufzte leise und schüttelte den Kopf.

Mit routinierten Bewegungen toupierte ich mir meine Haare so, dass man mein rechtes Ohr nicht sah und die Narben verdeckt waren. Ich liebte meine Haare.

Anfangs hatte ich keine mehr gehabt und meinen Vater angefleht, dass er mir endlich die notwendige Haartransplantation bezahlt. Doch wir waren arm und auch die Versicherung hatte damals behauptet, dass der Brand eigenverschuldet war, weshalb wir fast kein Geld ausbezahlt bekommen hatten. Aber nach dem Vorfall in der Grundschule hatte er einen Kredit aufgenommen und mir die Operation bezahlt. Ich war ihm dafür unendlich dankbar gewesen, denn es war ein Stück Normalität, das er mir damit geschenkt hatte.
 

Fertig geschminkt betrachtete ich mein Spiegelbild genauestens. In meiner Arbeit wusste niemand von meinen Verletzungen und das sollte auch so bleiben. Ich konnte die mitleidigen Blicke gar nicht mehr ertragen. Da waren mir gehässiges Grinsen und Tuscheln sehr viel lieber.

Ich grinste mich an und stöhnte genervt. Mein Grinsen glich immer einer Grimmasse, weshalb ich mich immer bemühte nur leicht zu lächeln. Auch dann war es schief und sah schräg aus, da die Muskeln an meiner rechten Gesichtshälfte beschädigt waren.

Ich seufzte nur und wandte meinen Blick vom Spiegel ab. Eines Tages würde ich vielleicht lachen können. Irgendwann, in ferner Zukunft. Vielleicht.
 

Nachdem ich fertig war, ging ich in die Küche und stellte überrascht fest, dass es heute sogar Toasts zum Frühstück gab.

„Huyana. Hübsch siehst du aus, meine Kleine“, lächelte er mir liebevoll zu.

Ich verdrehte schweigend die Augen. Dass er mich mit meinem hässlichen Namen ansprach, mochte ich nicht und das wusste er ganz genau. „Paps, lass das“, murmelte ich nur und setzte mich ihm gegenüber. Ich hasste Komplimente, denn ich wusste genau, wie ich aussah. Wozu mir also vorlügen, dass ich hübsch oder etwas dergleichen wäre?

Er war gerade dabei an seiner Kaffeetasse zu nippen, als er sie wieder abstellte. Seine dunklen Augen blitzten traurig auf. „Ana … Du musst damit aufhören“, seine Stimme triefte vor Besorgnis. Mir drehte sich der Magen dabei um. Ich mochte es nicht, wenn er sich um mich sorgte oder wegen mir traurig war.

„Alles okay Paps. Mach dir keine Sorgen um mich. Ich sollte los“, sprang ich, mit einer getoasteten Scheibe Brot im Mund, auf und schnappte mir meine kleine Umhängetasche.

Sein verletzter Blick war wie ein Schlag in die Magengrube. Ich wollte ihn nicht so sehen.

Ich ging auf ihn zu und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.

„Wir sehen uns am Abend, ja?“, winkte ich ihm und ignorierte seinen überraschten Gesichtsausdruck.
 

**
 

Nachdenklich sah ich aus dem Schaufenster. Ich hatte endlich meine wohlverdiente Pause. Mein Vater hatte mich vor zwei Jahren gezwungen, dass ich diesen Teilzeitjob annahm. Er wollte, dass ich mehr aus dem Haus ging und nicht meine freie Zeit ständig im Zimmer verbrachte. Ich war jung und sollte mein Leben genießen, hatte er damals gesagt. Anfangs hasste ich es, doch mittlerweile hatte ich die Arbeit hier wirklich lieb gewonnen. Es war ein kleines Kaffee, in dem ich arbeitete. Die Besitzerin bot selbst gebackene Kuchen an und die Sandwiche waren grandios.
 

Ich stütze meinen Kopf mit meiner linken Hand ab und beobachtete die Menschen, wie sie beschäftigt am Fenster vorbeigingen. Viele achteten gar nicht auf ihren Weg, sondern starrten ununterbrochen in ihr Smartphone. Genervt verdrehte ich meine Augen. Ich mochte diese Besessenheit nicht. Irgendwie fand ich das Benehmen unhöflich.
 

Eine Fliege summte an mir vorbei und setzte sich direkt in mein Blickfeld auf die Fensterscheibe. Nachdenklich musterte ich das Tier. Eine Eintagsfliege müsste man sein. So primitiv und der einzige Sinn dieses Wesens war es, anderen Tieren als Futter zu dienen. Das war meiner Meinung nach, das sinnloseste Tier auf dieser Welt.

Sinnlos und nervig.

Ich nahm die Zeitung, in der ich vorhin kurz herumgeblättert hatte, von meinem Tisch und schlug, damit so fest ich konnte gegen die Scheibe.
 

Ein riesiger Mann zuckte erschrocken zusammen und sah überrascht zu mir. Peinlich berührt hob ich meine Hand und murmelte eine Entschuldigung. Wohl wissend, dass er mich nicht hören konnte.

Er schien sauer darüber zu sein, dass ich ihn erschrocken habe, denn er hatte seine Augenbrauen wüten zusammengezogen. Doch die Wut, die in seinen braunen Augen aufgeblitzt war, wich. Sie wurde durch Überraschung ersetzt. Überraschung und etwas mehr, das ich nicht interpretieren konnte. Wie gebannt starrte er mich mit offenem Mund an. Ich fand seinen durchbohrenden Blick irgendwie unangenehm, weshalb ich wieder wegsah. Prüfend tastete ich an meinen Haaren, um sicherzugehen, dass keine Narben hervor lugten. Warum sollte er mich sonst so anstarren?
 

Das helle Klingeln der angebrachten Türglocke ließ mich erstarren.

Ein mulmiges Gefühl breitete sich in mir aus. Und als ich eine Bewegung gegenüber mir wahrnahm, betete ich still dafür, dass sich in dem Boden unter mir ein Loch auftat.

Als der Stuhl vor mir herausgezogen wurde, scharrten dessen Beine laut über den Boden. Ich hielt aufgeregt den Atem an und hoffte, dass er mir keine Szene machte. Unfähig meinen gegenüber anzusehen, zupfte ich nervös an meinem olivgrünen Halstuch herum.

„Hallo“, sprach er mich an.

Seine Stimme löste einen Schauer bei mir aus. Verwirrt über diese Reaktion zog ich meine Augenbrauen zusammen.

„Hi“, murmelte ich leise. Ich schielte kurz zu ihm, doch sein Anblick verschlug mir die Sprache. Er hatte ein leicht kantiges Gesicht mit hohen Wangenknochen und einem kleinen Grübchen am Kinn. Seine Haut war rostbraun, genau wie die meines Vaters. Seine dunkelbraunen Stirnfransen hingen ihm in den Augen, was ihn aber nicht zu stören schien. Doch das Beeindruckendste an seinem Aussehen waren seine Augen. Die Iris war auf den ersten Blick braun, doch bei genauerem Betrachten erkannte man kleine karamellfarbene Tupfer. Ich hatte das Gefühl mich in diesem Braun zu verlieren.

Kurz schüttelte ich meinen Kopf, um wieder bei klarem Verstand zu sein.
 

„Also …“, fing er an, hielt aber dann doch inne. Er schien innerlich abzuwägen, wie er am besten das Gespräch anfangen sollte.

Belustigt musterte ich ihn und entschied mich, ihm etwas entgegenzukommen. „Das vorhin tut mir leid. Ich wollte Sie nicht erschrecken“, entschuldigte ich mich.

Überrascht sah er mich an, grinste aber so gleich wieder. Erneut zog sich mein Magen bei seinem Lächeln zusammen. Ich sollte das Gespräch schnell hinter mich bringen. Seine Anwesenheit behagte mir nicht. „Wenn Sie wollen … Ich könnte Ihnen einen Kaffee, als Wiedergutmachung anbieten?“

„… und dann verschwindest du ganz schnell wieder“, beendete ich in Gedanken meinen Satz. „Gerne“, kam es, wie aus der Pistole geschossen.

„Ana … kommst du“, rief mich Nina grinsend zu sich. Innerlich verdrehte ich die Augen. Nina war meine Mitarbeiterin und Mitschülerin. Sie war ein Jahr jünger als ich und schrecklich neugierig.

„Ich muss … wieder an die Arbeit … Sie entschuldigen mich“, wandte ich mich an den Mann, ehe ich aufstand und den Tisch abräumte.

„Embry. Nenn mich bitte Embry“, strahle er mich an.

Ich nickte ihm schweigend zu und ging, ohne etwas darauf zu sagen.
 

Embry.
 

„Embry. Schöner Name, nicht wahr?“, grinste mich Nina an. Sie hatte Ohren wie eine Fledermaus. Ihr entging niemals etwas. Ich seufzte nur.

Es gefiel mir nicht.

Weder, dass er Embry hieß, noch dieses besitzergreifende Gefühl, das sich in mir ausbreitete.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich bin total gespannt, was ihr davon haltet...
eigentlich wollte ich das Kapitel erst nächste Woche hochladen, aber ich konnte es nicht erwarten *g*
lg Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück