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Secret

Bittere Geheimnisse
von

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Ich nahm extra eine Bahn früher, um niemanden anzutreffen, doch Andreas hielt mich sofort an der Tür ab, als er mich auf dem Campus erspähte.

»Ich muss mit dir über Crombach reden.«

»Ich aber nicht mit dir ...«, murmelte ich niedergeschlagen und ruppig. Doch Andreas ließ sich nicht abwimmeln und versperrte mir den Weg in die Uni; sah mich finster an. Mir wurde schnell bewusst, dass ich wenig mitzureden hatte, ob wir nun redeten oder nicht.

Wir gingen ein paar Schritte vom Unigelände in den nahe gelegenen Park und blieben schließlich unter einem Baum stehen, der noch vereinzelt vom Regen in der Nacht tropfte.

Tropf.

Tropf.

 

Die Welt war wieder einmal so grau wie ich mich fühlte. Verregnet, kühl und einsam.

 

»Crombach war am Freitag nicht da und Micky meinte, sie hat ihn nicht auf dem Handy erreicht und seine Mutter ließ niemanden rein. Was ist passiert?«, platzte Andreas mit den Tatsachen ins Gespräch und verschränkte erwartungsvoll seine Arme.

»Wieso machst du die Geschichte zu deinem Bier, Andreas?«, stellte ich eine müde Gegenfrage. Ich wusste nicht genau, ob ich genervt, entmutigt oder einfach nur emotionslos klang. Jedenfalls stieß Andreas einen gereizten Seufzer aus.

»Wieso das mein Bier geworden ist, weiß ich auch nicht. Aber immerhin geht’s hier ja auch um Micky, die mit Susa rumhängt, die mit Lucy abgeht. Wir sind ein Freundeskreis. Da ist es nun mal ein Stellen nach der Uhr, wann es auch mich erreicht.«

Auf den Boden starrend, zuckte ich mit den Schultern. »Ist das so? Na, wenn du dich unbedingt damit beschäftigen willst... Ich habe Julian alles über meine Gedanken erzählt, nachdem Susa es schon zum Teil übernommen hatte. Er ist wahrscheinlich furchtbar enttäuscht und will mich nicht mehr sehen. Es lief ein bisschen aus dem Ruder.«

Andreas zog skeptisch die Augenbrauen zusammen.

»Ihr habt also Streit?«

»Nein, wir ...« Ja, was ist das jetzt? Irgendwie einfach nur nicht mehr Freunde. Nicht mal Streit, einfach ... Sense.

Als keine weitere Antwort von mir kam, ließ Andreas seine Arme gen Boden sinken und stampfte einmal entnervt auf.

»Also Constantin, mal Ernsthaft: Ich hab nix gegen Schwule, aber euer Theater geht mir etwas auf die Eier. Schon seit Monaten können wir nicht richtig was mit euch unternehmen ohne Geheule von mindestens einer Seite zu kriegen -  und jetzt das.«

»Was heißt hier euer Theater? Julian ist nicht schwul ... im Grunde ist es doch nur meine Schuld«, gab ich kleinlaut zu verstehen, dass, wenn Andreas schon sauer ist, es wenigstens nicht noch bei Julian abladen sollte.

»Ist mir ziemlich ralle, wer hier wo schwul für wen ist. Macht das einfach mal untereinander aus, was das jetzt zwischen euch ist.«

»Du sagst das so einfach ...«

»Ja, weil es das auch ist.«

»Nein? Es ist nicht leicht! Weil Julian eben nicht dasselbe empfindet, wie ich für ihn. Ich will seine Gefühle doch auch dabei respektieren und nicht mit der Tür ins Haus fallen.«

»Hat er dir das denn gesagt? Dass er kein Interesse hat?«

»Nicht direkt, aber ...«

»Aha.«

Das klang eindeutig nach: Siehst du, es ist doch noch gar nichts geklärt.

»Jetzt hör auf, darüber so leichtfertig zu reden! Hat er dir gegenüber denn das Gegenteil erwähnt?«

»Nein, aber genau weil keiner weiß, was genau in ihm vorgeht, würde ich mal fragen.«

»Dann kannst du das ja gerne tun!«

Ich presste die Lippen aufeinander und verließ auf der Stelle seine Gegenwart. Entnervt ging ich zum Hörsaal, ignorierte etwaige Begrüßungen und setzte mich in die erste Reihe.

Ich hatte Mike bereits in der Mitte sitzen sehen; ohne Julian. Er sah mir verwundert hinterher, machte aber keinerlei weiteren Anstrengungen auf mich zuzukommen. Auch bei den Vorlesungen danach nicht.

Ich war ja so eine Heulsuse geworden. Oder es hat sich verschlimmert. Wie auch immer: Ich weinte viel zu viel. Bei jeder Kleinigkeit fing ich das Flennen an.

Männlich.

 

Am Dienstag sah ich seit Tagen Julian. Von weit weg. In der Bahn. Er stand zwischen den Menschen und starrte auf den Boden. Mit Kopfhörern auf den Ohren. Geistesabwesend. Müde.

In der Uni hingegen schien er wie ausgewechselt zu sein. Er kam auf Micky zu, küsste sie und umarmte sie mit einem Lächeln. Mit den anderen tratschte er kurz, bis er auf einmal in den Komplex vorging.

Nach einigem Tuscheln in der Gruppe, winkte mich Susa zu ihnen. Vorsichtig kam ich auf die Gruppe zu; knibbelte missmutig an meiner Tasche.

»Julian ist schon mal vorgegangen, weil er noch auf Klo muss«, meldete Susa.

»Habt ihr eigentlich Stress? Schon wieder?«, hakte Micky wie immer unwissend nach.

Julian hatte wohl nichts erzählt.

Wohl auch besser so.

Ich zuckte bemüht um Coolness mit den Schultern. »Irgendwann lebt man sich auch auseinander.«

»Ging aber ziemlich schnell... so von heut auf morgen.«, stellte sie kurzerhand fest. Lucy griff nach ihrem Handgelenk.

»Komm, Micky, wir gehen auch schon mal«, sagte sie in ihrem anmutigen, aber bestimmenden Ton.

Etwas verwundert ging sie mit Lucy und Andreas mit. Susa blieb noch bei mir, vergewisserte sich, dass die drei weg waren und sah mich schlagartig böse an.

»Du hast das also geklärt

Ich nickte eingeschüchtert und sah zu Boden.

»Fühlst dich wahrscheinlich kein Stück besser, hm?«

»Doch, etwas. Ich habe aufgehört, weißt du?«

»Damit

Ich nickte wieder. Sie atmete ein Stück auf, der böse Blick blieb.

»Gott sei Dank. Na ja, zumindest halb. Dich scheinen wir ja wieder auf die Beine bekommen zu haben, dafür krebst jetzt Julian durch die Gänge und sieht aus wie ein Toter.«

»... Warum eigentlich?«

»Warum? Na, weil ihr beide anscheinend eure Freundschaft gekündigt habt. Oder so was. Ist sich hier ja keiner wirklich sicher, was jetzt Sache ist. Jedenfalls säuft er sich die Hucke voll, so sehr riecht er nach Alkohol.«

»... Dass ihn das so belastet ...«, murmelte ich vor mich hin und knibbelte weiter an meiner Tasche. Er trank wieder?

... das war also seine Art mit Problemen umzugehen. Sie weg zutrinken.

»Ich denke mal, ihr habt das auf ganz schnelle Art und Weise zwischen Tür und Angel geklärt, oder? Wie wär's, wenn ihr das noch mal besser klärt?«

»Niemals...«, brummte ich ihr entgegen, »Niemals. Das eine Mal hat mir gereicht. Ich hab mich erst nach 2 ½ Tagen beruhigen können. Und Julian war auch nicht gerade emotional stabil, als wir miteinander sprachen...«

»Oh ...«, war alles, was Susa da noch raus brachte.

»Also bitte nicht mehr reden und Co. vorschlagen.«

»Ich glaube aber, Julian macht sich Vorwürfe. Wäre es da nicht besser, du würdest es wenigstens noch einmal versuchen?«

»...Weil du so gut über seine Gefühlslage Bescheid weißt? Ich denk, niemand weiß so recht, was mit ihm los ist?«, zischte ich ihr entgegen.

Susa wusste doch gar nichts. Niemand wusste irgendetwas. Was zwischen Julian und mir lief, kann keiner verstehen. Denn niemand war dabei. Niemand hatte dieses Empfinden, dass nur Julian und mich verband.

»Du warst auch mal netter! Du hast mich schon das letzte Mal zusammen geschnauzt! Dabei will ich dir nur helfen!«, gab sie genervt zurück und winkte schließlich ab. »Dann mach, was du willst. Aber wenn ihr beide so weitermacht, wird einer von euch beiden früher oder später aus dem Freundeskreis fliegen. Oder eben beide.«

»Na dann ...«

Da war ich mir ja bereits sicher, wer das wohl sein könnte …

 

In Philosophie saß Julian vor mir. Neben ihm Micky. Eine interessante Vorlesung, die ich gerne mit ihm verbracht hätte. In der er wieder nur Quatsch gemacht hätte. Mir mit Fineliner auf den Arm gemalt und blöde Witze gerissen hätte.

»Die Kugelmenschen, die in Platons Werk Symposion erwähnt werden, sollen die Macht des Eros erklären. Sie hatten zwei Köpfe, vier Beine und vier Hände«, erklärte der Professor an seiner Folie, auf der man eine seltsame Gestalt erkannte. »Es gab drei verschiedene Gestalten von Kugelmenschen: Frau-Mann, Mann-Mann und Frau-Frau. Platon erklärt hier im Dialog das erotische Verhalten des Menschen. Denn aus Wut, dass die Kugelmenschen zu mächtig und stolz waren, trennte sie Zeus. Die sexuelle Neigung basiert nach Platon also auf das Bedürfnis seine verlorene Hälfte wieder zu finden. Daraus schließt sich die sexuelle Präferenz ...«

 

Oh wie passend. Danke Herr Professor für diesen außerordentlich passenden Vortrag. Meine verlorene Hälfte. Die suche ich?

 

Julian?

Micky lehnte sich nach dieser Passage verliebt an Julians Schulter. Doch ich sah seinen Kopf die andere Richtung einschlagen; Micky meidend.

 

Oh, Julian! Ich wollte nie, dass es so endet! Wirklich nicht! Bitte verzeih mir, ich wollte dich nie verletzen oder anlügen! Ich wollte nur nicht, dass wir uns trennen; und welch Ironie des Schicksals, genau das ist passiert. Das ist so traurig.

Ich vermisse dich. Ganz schrecklich.

Ob du mich auch vermisst?

 

Diese Frage ließ mir keine Ruhe.

 

Nach der Vorlesung schwänzte ich die Restlichen. Mir ging es nicht gut.

Sowohl körperlich als auch seelisch.

Auf meinem Weg zur U-Bahn entschied ich mich kurzerhand doch für einen Spaziergang durch den englischen Garten, um einen klareren Kopf zu bekommen. Graues Wetter ließ den sonst so schönen Garten wie ein Friedhof wirken.

Der Herbst sollte eigentlich schön werden. Mit bunten Blättern und ein bisschen Sonne. Stattdessen regnete es in einer Tour, die Bäume verloren die ersten Blätter und überzogen den Weg mit einem eher grauen Matsch-Schleier.

Wie ein Gespenst lief ich die Straße entlang. Irgendwann stieß ich auf eine Bank. Zum Glück war sie durch vorangegangene Platznehmer nicht mehr nass.

Vorsichtig setzte ich mich und starrte in den Himmel. Als ein wenig Wind aufkam, vergrub ich meine Hände in meinen Mantel. Der Atem, den ich ausstieß, wurde sofort ein weißer Schleier vor meinem Gesicht. Dabei war es erst Ende Oktober.

Ich schloss die Augen. Lehnte mich zurück. Dachte an die Arme, die mich jetzt umarmen würde, wenn ich darum bat. Diese Arme, die nie gefragt hatten, wieso oder warum. Diese Arme, so warm und vertraut, die immer für mich da waren.

Ich kniff die Augen zusammen, um die Tränen zu unterdrücken.

Ein Geräusch neben mir ließ mich aufsehen.

War es- ?

 

Eine alte Dame hatte sich mit ihrem Hund neben mich gesetzt. Fröhlich sprach sie mit ihm und kraulte ihn. Es zauberte mir zumindest ein Lächeln auf die Lippen.

Doch sogleich musste ich an die unterbewusste Hoffnung denken, dass es Julian hätte sein können. Still schweigend hätte er sich hier hingesetzt. Hätte mit mir in den Himmel gesehen. Ich hätte meinen Kopf vorsichtig auf seine Schulter gelegt und wir hätten einfach nur geschwiegen. Ohne Worte.

Ja, Julian verstand mich immer ohne Worte. Wir beendeten unsere Sätze. War es nicht das, was man sich unter einer funktionierenden Beziehungen vorstellte?

Sex hin oder her.

Küssen hin oder her.

Ich brauchte einfach nur Liebe. Und ich würde meine ganze Energie darauf verwenden sie im gleichen Maße an Julian zurückzugeben.

 

 

 

Ich seufzte leicht vor mir hin, als ich nach mehreren Minuten immer noch regungslos vor seinem Haus stand. Mein Herz klopfte wie verrückt und ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte, da ich absolut nicht einschätzen konnte, was als nächstes auf mich zukommen würde.

Doch alles in mir schrie nach Klärung. Obwohl ich mich so sehr gegen Susas Vorschlag, es noch einmal mit einem Gespräch zu versuchen, gewehrt hatte, stand ich doch wieder hier und suchte seine Nähe. Vielleicht gab es doch noch Hoffnung, wie Andreas meinte. Julian hasste keine Schwule, vielleicht könnten wir uns auf was einigen? Woher ich die plötzlich neue Euphorie nahm, wusste ich auch nicht. Doch ich war froh, dass sie da war. An diesem kleinen Licht hing meine ganze Motivation, Julian wieder für mich zu gewinnen.

 

Mit viel Überwindung klingelte ich.

Es dauerte etwas, bis ich Schritte hörte.

Mein Herz fing wieder an gegen meine Brust zu hämmern.

Die Sekunden wurden unerträglich.

 

Doch dann machte mir Annette die Tür auf und lächelte positiv überrascht.

»Constantin! Das ist aber eine schöne Überraschung, komm rein!«

Nach leichtem Zögern, ob ich nicht vielleicht doch wieder gehen sollte, biss ich die Zähne zusammen und trat ein.

Sofort strömte mir sein Duft in die Nase.

Dieser ... typische Duft... den ich zu Beginn als weder besonders gut noch besonders schlecht beschrieben hatte, war jetzt ein Ding der Sehnsucht.

»Julian ist noch nicht da, er wollte noch etwas einkaufen gehen, aber du kannst sicherlich auf ihn warten.«

Er war nicht da.

Was ein Glück.

»Oh, ich will keine Umstände bereiten, ich komm sonst ein ander' mal wieder …«, murmelte ich und war schon auf halbem Wege zur Tür, als mich Annette zurückpfiff.

»Bleib ruhig hier. Du warst lange nicht mehr da.«

Für einen Moment hielt ich inne, bis ich stumm nickte und mich auf das Sofa im Wohnzimmer setzte. Sie brachte mir sofort ein Glas Cola. Dankend nahm ich es an, danach setzte sie sich zu mir. Erst schwiegen wir, ich schlurfte meine Cola.

Normalerweise erzählte sie mir von ihrem Tag, von Jenny oder von Julians Eskapaden, die ich noch nicht kannte.

Doch die Luft war mit Anspannung geschwängert. Letztendlich brach sie die Stille:

»Ich möchte nicht taktlos erscheinen, aber ... Julian hat mir erzählt, was vorgefallen ist.«

Mit einem Mal verspannte ich mich und hätte beinahe meine Cola verschüttet.

»E-Echt? Also … alles?«, fragte ich zögerlich und sah ihre tadelnden Augen schon bildlich vor mir.

Doch Annette nickte nur freundlich.

»Sicherlich in seiner ganz persönlichen Fassung, aber ich denke über das Wesentliche bin ich informiert. Tut mir Leid, wenn dich das in Verlegenheit bringt... Ich dachte nur, ich spreche es mal an und höre mir deinen Teil an.«

Ich brauchte einen Moment um zu verstehen, dass Annette weder böse noch negativ gegenüber des Problems eingestellt war. Ganz im Gegenteil: sie suchte nach einer Lösung. Sie wollte meine Seite hören.

Nach kurzem Überlegen schüttelte ich den Kopf. »Schon okay... Ich fühle mich nicht überrumpelt«, lachte ich doch etwas nervöser als beabsichtigt. Annette blinzelte mir verständnisvoll zu.

»Weißt du, mein Sohn war immer etwas schwer unter Kontrolle zu bringen. Immer tat er das, was er nicht tun sollte. Und seine Exzesse in der Drogenszene, auch Alkohol, nahmen mir ein wenig Überhand, sodass ich wirklich über eine Therapie nachdachte. Und dann kamst du. Ihr beide wart so glücklich miteinander. Du hast ihm so viel abgewöhnt. So einfach. Das, was ich in all den Jahren irgendwie nie geschafft habe.«

Vorsichtig hob ich meine Augenbrauen. Das wusste ich gar nicht ... Ich dachte mir schon, dass Julian manchmal etwas problematisch sein konnte. Aber nicht, dass Annette wirklich keine Lösung fand und an Hilfe Dritter dachte.

»Dabei hatte ich immer das Gefühl, er animierte mich mitzumachen ... Als das Gegenteil, ihn von Dummheiten abzuhalten.«

Da lachte sie amüsiert auf. »Das will ich nicht abstreiten. Sicherlich habt ihr beiden viel Dummheiten gemeinsam gemacht, die Julian sonst alleine durchgezogen hätte. Trotzdem hat es sich wesentlich reduziert. Der letzte Intensivstationsbesuch ist schon lange her. Dafür danke ich dir sehr.«

Ich schluckte unangenehm berührt, als ich in ihr zufriedenes Gesicht sah. Ob Julian ihr wirklich alles erzählt hatte?

So langsam machte sich in mir die Befürchtung breit, dass er über das Gefühlsthema geschwiegen hatte.

Etwas peinlich berührt blickte ich zu Boden.

»Annette … Julian und ich ... sind nicht mehr miteinander befreundet...«

»Ich weiß. Er ist sehr traurig darüber.«

Ein großer, dicker Klumpen bildete sich in meinem Hals. »Ich ebenfalls ...«

»Bist du deswegen hier? Um das noch mal mit ihm zu überdenken?«

Ich nickte langsam. Stumm sah ich in mein Glas. Als keine Antwort von mir kam, seufzte Annette leise vor sich hin. »Es wäre wirklich schön, wenn ihr beiden wieder zusammenfinden würdet. Julian läuft hier wie ein Geist rum. Redet ständig davon, dass es ihm Leid täte.«

»Und dabei tut es mir so unfassbar Leid ...«

Oh, Julian ...

»Sag ihm das doch. Ich denke nicht, dass Julian in irgendeiner Weise sauer auf dich ist. Ganz im Gegenteil. Er hat dich sehr gern.«

»Aber ... eben nicht so gern, wie -«, ich stockte kurz, »...ich ...ihn.«

Wieder Schweigen.

Redete ich wirklich mit der Mutter meines früheren besten Freundes über meine Gefühle zu ihm?

Scheu blickte ich in ihr Gesicht. Ihr Blick sagte mir so viel und doch nichts. Hatte Julian sich bei ihr ausgeheult? Wusste sie mehr als ich? Oder wollte sie mir nur Mut machen?

 

Dann klingelte es an der Tür. Ich zuckte zusammen. Sofort sah ich in den Flur.

Julian.

»Gib ihm doch was Zeit. Er braucht sie. Wir wissen doch, dass er nicht der schnellste ist...«

Damit stand sie grinsend auf, ging an mir vorbei in den Flur und öffnete die Tür. Julian platzte mit einer Tüte voller Glasflaschen hochprozentigem Alkohol ins Haus.

»Ich hatte wieder nur Idioten vor mir, alle fuhren mir so dicht auf den Wagen auf, dass die mir in den Kofferraum gekrochen sind!«, beschwerte er sich und zog sich die Schuhe aus. Annette schwieg einfach und schloss etwas enttäuscht über das Geklimper des Alkohols die Tür.

Als Julian den Schal von seinem Hals abwickelte, bemerkte er mich auf dem Sofa sitzen. Sofort trat Stille ein und er verharrte in seiner Bewegung. Sein Blick wurde schlagartig starr. Ich sah direkt in seine Augen und bemerkte eine gewisse Unsicherheit.

»Hey ...«, sagte ich sanft, um ein Lächeln bemüht und stand auf.

Ohne den Blick von mir abzuwenden, ließ er seine Hand, welche den Schal umfasste, sinken und sah weiterhin starr in meine Richtung. Schließlich flüsterte er ein zögerliches »Hey« zurück.

»Geht doch nach oben in dein Zimmer, Julian. Wenn ihr was braucht, sagt einfach Bescheid«, sang Annette fröhlich vor sich hin und deutete auf die obere Etage. Sie ging an mir vorbei und strich fast unbemerkt meinen Arm.

Julian nickte mit unergründlicher Miene und ging mit der raschelnden Tüte vor. Ich folgte ihm stumm mit meinem Colaglas in den Händen.

Er öffnete die Tür zu seinem Zimmer, ich trat mit ein und schloss sie hinter mir.

Unangenehmes Schweigen machte sich breit, bis er die Tüte mit den Flaschen lautstark auf seinem Schreibtisch abstellte und anfing auszupacken.

»Hattest du vor, die alle zu trinken?«, fragte ich leise, um das Schweigen zu brechen.

Und als wäre ich nicht anwesend gewesen, hob er nicht mal seinen Blick, um mir zu antworten.

»Ja, schon.« Er zuckte mit den Schultern, als sei es keine ernstzunehmende Tatsache gewesen, dass das viel zu viel Alkohol für einen Menschen war.

»Heute?«

Er nickte; packte dann die Plastiktüte in seinen Mülleimer.

»Du wirst aber doch nicht zum Alkoholiker, oder?«, lachte ich zögerlich, um die Stimmung ein wenig aufzubessern. Doch er drehte sich mit einem verbissenen Gesichtsausdruck zu mir um und sah mir deutlich in die Augen. »Besser Alkoholiker als Emo, oder?«, zischte er mir bereits mit einer Fahne zu. Ich zuckte zusammen. Er ist mit Alkohol am Steuer gefahren?

»Wovon redest du bitte?«, stellte ich mich dumm. Susa hatte doch nichts erzählt …?

Auf einmal griff er abrupt nach meinem Handgelenk und drückte kräftig zu.

»Du weißt genau, was ich meine! Wieso tust du dir das nur an? Hm?«, schrie er mich an. Seine laute Stimme hallte in meinem Kopf.

Das war das erste Mal, dass er mich anschrie. In all den Jahren hatte er nicht einmal seine Stimme gegen mich erhoben.

Aber egal woher er es wusste, er wusste es einfach. Und er war wütend darüber. Er war mir noch nie wegen etwas böse gewesen ...

Ich drehte verlegen den Kopf von ihm weg. Ich wollte nicht in sein wütendes Gesicht sehen.

Und da fing es schon wieder an. Die zitternden Lippen, die wackeligen Knie und der abgehackte Atem. Er berührte mich, er stand vor mir, der Duft in meiner Nase, seine Stimme in meinem Ohr.

Doch je länger ich schwieg, desto mehr bestätigte ich seine Unterstellung, dass ich mich schnitt.

»Wieso …?«, wiederholte er nun mit zittriger Stimme. Seine Augen suchten verzweifelt eine Resonanz in meinen. Ich schüttelte nur den Kopf.

»Weiß nicht ...«, flüsterte ich zurück. Julian seufzte lautstark und nahm mir mein Colaglas aus der Hand. Er stellte es etwas unkoordiniert auf den Schreibtisch ab; nahm dann mein anderes Handgelenk in seine Hand. Sofort sah er mich wieder fordernd an. Doch einen unterschwelligen hilflosen Blick konnte er nicht vermeiden.

Ich stand ihm gegenüber, die Handgelenke in seinen Händen liegend und sah ihm fest in die Augen. Das war ein ... romantischer Moment, oder?

Es war, als würde er meine Hände halten.

Es war, als würde er mir wieder so nahe stehen, wie zuvor.

Als wäre nie etwas geschehen.

Irgendwann musste ich lächeln.

Er wusste doch jetzt alles, oder? Jetzt durfte ich ihm doch auch sagen, was ich dachte, oder?

Julian konnte mein Lächeln nicht deuten und sah mich fragend an.

»Ich habe dich vermisst«, sagte ich ihm schließlich direkt ins Gesicht. Mein Herz klopfte so laut, dass ich mir sicher war, er würde es hören.

Doch anstatt mir zu antworten, formte Julian seine Lippen zu einer graden, schmalen Linie. Ungezwungen lächelte ich ihn weiter an.

»Ich habe dich wirklich sehr vermisst«, wiederholte ich - und es fühlte sich gut an. Einfach frei raus zu reden.

Julian seufzte erneut und sah schließlich zu Boden. War ihm etwa nicht nach Versöhnung?

Oder brachte ich ihn nur in Verlegenheit?

»Seit … Seit wann eigentlich? Das alles?«, fragte er vorsichtig.

Aha, das beschäftigte ihn. Wahrscheinlich konnte er seine eigene Blindheit nicht so ganz fassen.

»So richtig bemerkt habe ich es bei unserem Glühweintrinken letzten Jahres im Winter. Da habe ich es mir eingestanden ... dass ich...«

Julian fiel mit entsetzt ins Wort: »So lange schon?« Ich nickte abermals voller Hoffnung, dass er es hinnehmen könnte. Und wir wieder Freunde sein würden.  Es konnte doch jetzt nur besser werden, oder?

»So lange schon«, bestätigte ich mit einem Hauch Erleichterung. Er ließ kurz mein Handgelenk los, fasste sich zittrig an die in Falten gelegte Stirn. Nach einigen Sekunden ließ er wieder von ihr ab.

»Und du hast die ganze Zeit nichts gesagt ...«, stellte er murmelnd fest und suchte noch immer auf dem Boden nach Antworten.

»Wie auch? Ich wollte weder deine Beziehung zu Micky zerstören noch unsere aufs Spiel setzen. Ich dachte, ich könnte dich einfach irgendwann vergessen ... oder es wäre nur eine Phase gewesen.«

»Dem war aber nicht so?«, hakte er mit hochgezogenen Augenbrauen nach. Immer noch sichtlich erschöpft von der Tatsache, dass ich schon so lange nach ihm schmachtete.

»Nein, leider nicht … Es tut -«

»Hör auf dich zu entschuldigen! Für Gefühle muss man sich nicht entschuldigen ...«, fiel er mir erneut ins Wort, ließ dann auch mein anderes Handgelenk los und drehte sich von mir weg.

Er setzte sich erschöpft auf sein Bett. Etwas vorgebeugt legte er sein Gesicht in seine flachen Hände. Ich hörte ihn immer wieder aufatmen.

Trotzdem ich den traurigen Julian schon oft vor mir gesehen hatte, war es doch ein Schlag ins Gesicht ihn jetzt wieder so zu erleben. Und diesmal war nicht Micky schuld, sondern ich selbst.

Vorsichtig setzte ich mich neben ihn. Verständnisvoll versuchte ich mit sanfter Stimme zu sprechen.

»Sag, was denkst du darüber?«

Er zuckte regelrecht zusammen, als hätte er diese Frage nicht erwartet. Langsam hob er seinen Kopf und blickte in meine Richtung.

Oh, er war so nah.

Und mit diesem Hundeblick, den er mir schenkte, konnte ich kaum an mich halten, ihm nicht um den Hals zu fallen.

»Was ich darüber denke?«, stellte er eine Gegenfrage. Wahrscheinlich war er sich selbst nicht sicher. Jedenfalls strahlten das seine Augen aus.

Er zuckte mit den Schultern und wendete seinen Blick wieder gen Boden.

»Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich tun soll ...«

Mein Herz klopfte deutlicher und lauter. Wirklich?, dachte ich. Wirklich? Er dachte über uns nach? Verstand ich das richtig?

»Wie darf ich … das verstehen?«, fragte ich unsicher nach.

»Wie du das verstehen darfst? Keine Ahnung! Du hattest immer leicht Reden über dieses Thema, wie ich im Nachhinein herausgefunden habe!«, stieß er auf einmal aus. »Du warst schon immer der Kerl, den man als seine beste Freundin ansah! Du warst immer derjenige, der sich an alle ankuscheln durfte, ohne dabei schräg angeschaut zu werden! Für alle war es doch vollkommen in Ordnung, dass du für die andere Liga spielst!«

Ich hielt inne. Er wollte damit doch nicht etwa sagen …?

»Als rauskam, dass du und ich da andere Spiele spielen, überraschte das keinen was dich bezog. Aber ich? Ich wurde schräg angeschaut! Und Micky durfte und darf von nichts erfahren, weißt du eigentlich wie schwer das ist?«

Er machte mir Vorwürfe, dass ich es mit meiner Art so leicht habe?

Moment, dachte ich, das war sonst immer andersrum gewesen. Er war doch immer derjenige, der von allen akzeptiert wurde.

Doch was blieb mir anderes übrig, als seine Vorwürfe runterzuschlucken? Das Letzte, was ich wollte, war gegen ihn zu reden.

Also nickte ich stumm. Mein Euphemismus nahm schlagartig ab.

War ihm denn nicht sonst auch immer egal gewesen, was andere über ihn gedacht haben?

»Ich kann … Nein, ich weiß nicht, ob es eine gute Idee wäre, Micky davon zu erzählen.«

»Nein!«, fügte ich energisch seiner Mutmaßung zu. Er sah mich perplex an, überlegte und nickte sofort.

»Ja, du hast Recht… besser ist es, ihr nichts zu sagen.«

Micky hin oder her, das ist noch einmal eine ganz andere Baustelle. Vielmehr wurmte mich aber, dass es angeblich wegen den anderen zu scheitern schien.

»Aber wieso ist es so ein Problem, die anderen mit einem Spiel in der anderen Liga zu überraschen...? Seit wann scherst du dich um andere Meinungen?«

»Eigentlich tue ich das auch nicht. Aber ohne Freunde lässt's sich irgendwie nicht so toll leben.«

»Moment ...«, jetzt fasste mich der Mut. Einfach der Gerechtigkeit halber zwischen mir und ihm. »Willst du mir grade sagen, dass, wenn unsere Freunde dir und mir ein Okay geben würden, du nur noch das Problem Micky siehst, ansonsten wäre alles nicht der Rede wert? Gefühle oder so spielen keine Rolle? Ist das ein indirektes Wir könnten es versuchen, aber unsere Freunde

 

Da schwieg er. Sah auf. Sah zu Boden. Sah mich an. Suchte nach Worten.

Hatte ich einen wunden Punkt getroffen?

Nach mehreren Sekunden schweigen, schüttelte er schließlich leicht den Kopf.

»Ich will dir einfach nicht wehtun ...«

Diese Unsicherheit in seinen Augen zu sehen. Er wollte mir tatsächlich nicht das Herz brechen, aber ...

»Das tust du aber bereits ... indem du mir keine Antwort gibst.«

»Ich weiß.«

»Julian, im Ernst ...« Mit aller Kraft führte ich meine Hand sanft an seine Schulter und strich über den T-Shirtstoff seines Langarmshirts. »Was denkst du über mich

Er presste seine Lippen zusammen und schloss seine Augen. Als wolle er diese Frage einfach nicht hören, geschweige denn sie beantworten.

 

»Ich liebe dich wirklich sehr, Julian. Bitte sag mir, ob du damit umgehen kannst, oder nicht … mehr verlange ich nicht«, flehte ich ihn an. Mein Herz pochte mir bis zum Kopf. Hatte ich tatsächlich ihm meine Liebe wortwörtlich gestanden? Zum ersten Mal? So richtig ins Gesicht?

 

Er griff nach meiner Hand auf seiner Schulter und drückte sie. Sah dann starr zu Boden und schien zu überlegen. Die ganze Situation überforderte ihn maßgeblich, das konnte ich sehen. Wahrscheinlich machte er nun das durch, was ich vor 2 Jahren durchgemacht hatte. Trotzdem kam keine klare Antwort.

»Bitte verlang keine Wunder von mir, Constantin.«

Seine Stimme zitterte. Unglaublich eigentlich, den starken Julian in so einer Position zu sehen. Und genau das war wahrscheinlich das, was ihn selbst so störte. Was alle anderen überraschte. Was mich jedoch unglaublich glücklich stimmte. Weil es bedeutete, dass er sich unsere Situation sehr zu Herzen nahm. Dass er darüber nachdachte und mich nicht abschieben wollte.

Dass ich ihm wichtig war.

Vorsichtig beugte ich mich zu ihm vor und drückte meine Lippen gegen seine Wange. Ich hörte, wie er den Atem anhielt und sich für einen Moment verkrampfte. Da ließ ich wieder von ihm ab.

»Das verlange ich nicht. Ich will dich aber auch nicht verlieren«, sagte ich sanft und versuchte ihm deutlich zu machen, dass ich wirklich versuchen würde, wieder in alte Zeiten zu rutschen.

Doch als würde er genau darin eine Schwelle der Überwindung sehen, ließ er meine Hand los und raunte müde auf.

»Ich will dich auch nicht verlieren. Nicht, nach alldem, was wir erlebt haben. Besonders will ich nicht, dass wir beide weiterhin wie Trauerklöße rumsitzen und uns gegenseitig Vorwürfe machen. Ich trinke viel zu viel alleine hier in meinem Zimmer, während du dich selbst verletzt.«

Verlegen presste ich die Lippen aufeinander. Wie wir mit Stress und Trauer umgehen war in der Tat verschieden.

Er betrank sich also.

Um den Gedanken zu entfliehen.

Verdammt, so etwas wollte ich doch niemals erreichen!

Wieder den Tränen nahe, strich ich mir verlegen über die Arme. Wohin hat das nur geführt?

»Ich will dich wieder Lächeln sehen ...«, flüsterte er mir zu.

Langsam hob ich meinen Kopf und sah zu ihm.

Hatte er das gerade wirklich gesagt? Ein großer Schub von Wärme durchfloss meinen Körper, als ich seine Worte vernahm. Das war wie eine unterschwellige Liebeserklärung...

Sehnsuchtsvoll fing ich an zu lächeln.

»Dann vergessen wir das einfach?«, fragte ich hoffnungsvoll.

»Vergessen? Du willst das jetzt einfach so in den Wind blasen?« Unverständnis breitete sich in seinen Augen aus. Als wäre ich nicht ganz bei Trost.

»Wäre das nicht das Beste?«

» … «

»Nicht?«

Er wendete wieder seinen Blick ab. »Du bist mein bester Freund, Constantin. Ich weiß nicht genau, wann ich diese Linie mit dir überschritten habe, aber jetzt einfach wieder einen Schritt zurück gehen? Geht das überhaupt?«

»Julian ...«

Mit was auch immer er mir Mut machte, ich war so froh, dass er mich nicht verachtete. Ich war so froh, dass er darüber nachdachte. Dass ich ihm wichtig genug war, dass er es eben nicht einfach so fallen lassen wollte. Dass er mich nicht fallen lassen wollte.

Das ließ mich so viel Selbstvertrauen schöpfen. Einfach die Tatsache, dass er mir kein Brett vor den Kopf stieß.

»Es gibt zwei Möglichkeiten für uns: Wir belassen es einfach dabei und ich gebe meine Bestes, dass wir nicht weiter damit konfrontiert werden oder ...«

Er atmete geräuschvoll aus.

»Ich kann Micky nicht verlassen«, murmelte er.

Natürlich fragte ich mich sofort, wieso er das nicht konnte, wollte ihn das aber bei gutem Gewissen nicht fragen.

»Dann die erste Möglichkeit.« Ich versuchte aufbauend zu lächeln. Ich wollte ihm die Entscheidung leicht machen, mir einen Korb zu geben. Ich wollte ihm zeigen, dass es mir nichts ausmachte. Dass er sich kein schlechtes Gewissen mehr machen soll. Dass alles gut wird und ich mich damit abfinden kann. Solange er mir erlauben würde, bei ihm bleiben zu dürfen.

Doch anscheinend erreichte ich das genaue Gegenteil. Sein Gesicht verzog sich.

»Klingt, als wäre es dir irgendwo egal, was jetzt passiert«, raunte er mich von der Seite an. Sofort versiegte mein Lächeln.

»Was? Nein! Ich liebe dich, Julian! Es gäbe nichts schöneres, als mit dir zusammen sein zu dürfen! Aber ich will deine Entscheidung respektieren und genau deswegen bin ich bereit wieder zurückzugehen... damit ich eben bei dir bleiben kann«, gab ich sofort zurück. Es war doch schwieriger, als ich dachte, ihn zufrieden zu stellen. Aber was hatte ich auch schon erwartet? Ein einfaches okay hätte er mir niemals gegeben.

Er seufzte abermals. »Könntest du dir wirklich eine Beziehung mit mir vorstellen? Also, dazu gehören ja auch andere Dinge ... wie ...« Seine Stimme wurde zum Satzende hin immer leiser. Er schämte sich wohl, ein solches Thema anzusprechen. Das machte ihn schon wieder so unfassbar süß, wo er doch sonst immer so offen mit diesem Thema umging.

Doch ich nickte zuversichtlich. »Na, sicher«, schoss es wie aus der Pistole aus mir heraus. Wenn ich mir über eine Sache sicher war, dann, dass ich alles für Sex mit Julian tun würde.

Perplex sah er mich an, dass ich mir da so sicher war.

»Dein voller Ernst? Aber ... ich bin doch auch ein Mann...«

»Ja … Aber ich liebe deinen Körper, deine Zuneigung und alles was damit verbunden ist.«

»Das klingt echt komisch aus deinem Mund ...«

»Wieso? Wenn Micky dir das sagt, ist es doch okay, oder nicht? Liebe ist Liebe.«

Julian grinste auf den Satz hin nur verletzt. »So was sagt sie aber nicht.«

» ... Ich schon.«

»Grade das macht es nicht so viel besser!«

 

Wir seufzten beide. Dann schwiegen wir wieder.

Natürlich konnte ich ihm nicht vorhalten, dass das genau einer der vielen tausend Punkte wäre, wieso ich mich als einen besseren Partner für ihn sah als es Micky je sein könnte.

»Hast du denn Erwartungen an mich?«, fragte ich entmutigt. Sofort legte Julian seine Stirn in Falten und strich über sein Gesicht.

»Keine Ahnung ...«

»Das hilft mir nicht wirklich dir entgegen zu kommen.«

»Ich weiß!«, giftete er mir entgegen. Augenverdrehend setzte ich mich ein Stück weiter auf das Bett.

»Dann machen wir es wie beim Psychologen: Frage-Antwort-Spiel!«, begann ich wieder fröhlich daher zu plappern. Es war ziemlich schwer meine Gefühle jetzt zu unterdrücken. Am liebsten wäre ich weinend in seine Arme gefallen und hätte die Nacht durchgeheult. Aber das würde uns kein Stück weiter bringen. Und ihn nur unnötig belasten.

Er sah mich ungläubig an. Ein hauch Sarkasmus streifte seine Lippen, als er sagte: »Du? Du spielst jetzt den Psychologen? Du gehörst selbst zu einem.«

»Davon sehen wir jetzt mal ab, okay?«, raunte ich genervt und wendete mich ihm zu. »Ich frage dich einfach was, du antwortest mit Ja oder Nein. Direkt, ohne Nachdenken, okay? Das ist instinktiv. Da kommt bestimmt was bei rum.«

Er sah wenig beeindruckt von meinem Vorschlag aus. »Ich fühl mich doof dabei, wenn wir das so kleinkindmäßig regeln«, murmelte er.

»So kommen wir aber weiter, bestimmt.«

Wieder hob er eine Augenbraue, sah mich noch einmal ungläubig an und seufzte abermals.

Mit einem Zeichen signalisierte er mir, dass ich fragen durfte. Nach kurzem Überlegen fing ich an:

»Findest du meine Gegenwart denn eigentlich angenehm?«

»Ja, klar.«

»Bist du jemals auf den Trichter gekommen, ich könnte mehr für dich empfinden?«

»Nein … Nicht wirklich.«

»Also lag das vielleicht daran, dass du unser gegenseitiges Verhalten für normal empfunden hast?«

»Vielleicht.«

»Nur ja oder nein!«

Er raunte auf und presste die Lippen aufeinander.

»Dann ja … Ja, ich empfand es als normal.«

Julian schien schon von den paar Fragen genervt. Doch ich näherte mich einfach der Sache, die mich am meisten interessierte und ignorierte sein trotziges Verhalten.

»Mochtest du es, wenn ich dich umarmt habe?«

Er schien kurz zu überlegen. Starr blickte er gen Boden. Dann nickte er. »Ja.«

»Hat es dich jemals gestört, wenn ich in deinen Armen eingeschlafen bin?«

»Nein. Wieso sollte es?«

Da entfuhr mir ein leichtes Seufzen. Na, weil das nicht unbedingt die typisch männliche Art ist zwischen Freunden schlafen zu gehen. Doch ich ließ mich nicht weiter beirren und fragte dümmlich weiter.

»Siehst du mich als deinen besten Freund?«

»Ja, natürlich! Hab ich doch schon tausend Mal gesagt!«

»Dann räumst du mir Privilegien ein, die nur ich habe, richtig?«

Er nickte.

»Dann darf ich zum Beispiel mit dir kuscheln, während andere das nicht dürfen, richtig?«

Er überlegte wieder einen Moment, nickte dann zustimmend.

»Wenn Mike jetzt dein bester Freund wäre, dürfte er das auch?«

Er stutzte. »Er ist aber nicht mein bester Freund.«

»Stell es dir doch mal vor.«

Julian sah vom Boden auf und spielte mit seinen Fingerkuppen. Er überlegte. Und überlegte. Dann schüttelte er den Kopf. »Das kann ich dir nicht sagen.«

Okay, ich gab zu, dass es schwer war, sich jemanden anderen in meiner Position vorzustellen.

»Fändest du es jetzt unangenehm, wenn ich dich umarme?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, wieso? Tust du doch ständig.«

»Würdest du mich ...dich denn auch küssen lassen?«

 

Da stockte sein Atem und er sah in meine Augen. Vorsichtig wendete er den Blick wieder ab. Wartend betrachtete ich ihn. Ich erwartete ein »Keine Ahnung« bis »Nein«. Er antwortete nicht. Und als mehrere Sekunden verstrichen, setzte ich erneut an.

»Okay, anders gefragt: Fändest du es unangenehm, wenn ich dich jetzt küssen würde, ohne dein Einverständnis?«

Wieder schwieg er. Ein paar Mal setzte er zum Satz an, brach aber wieder ab.

Das schien der Knackpunkt zu sein, an dem auch er scheiterte. Wie gerne hätte ich gewusst, was in seinem Kopf vorginge.

Ein lauter Seufzer von Julian folgte.

»Das hat keinen Sinn, Con ...«, murmelte er irgendwann. »Ich weiß es einfach nicht.«

»Du hast also kein Empfinden darüber, ob dich das stören würde oder nicht?«

»Das ist es nicht! Es wäre mir schlichtweg egal. Ganz einfach. Wenn zwischen uns beiden nicht diese Gefühlsdusselei wäre und du einfach auf mich zukommen würdest, mich küssen würdest … würde ich stutzen, aber es wäre nicht weiter tragisch.  Weil … es eben so ist. Wenn du so etwas tust, ist das einfach ein Zeichen deiner Zuneigung. Wenn Mike das täte, würde ich viel nachdenklicher reagieren.«

So wie also Es ist Julian bei mir immer die Ausrede für alles war, wenn er etwas Dummes tat, so war Es ist Constantin die Ausrede, wenn etwas Intimes passierte.

»Also ist doch die Antwort ganz einfach nein, es wäre dir nicht unangenehm.«

»Wenn ich dir das jetzt aber sage, würde das bedeuten, dass ich auch sicherlich nichts dagegen hätte, wenn du mich küssen würdest. Das bringt mich aber in Schwierigkeiten mit Micky!«

Micky, Micky. Wenn sie nicht wäre, dann würden wir hier doch längst harten und hemmungslosen Sex haben. Das konnte mir keiner erzählen, dass ich Julian, wenn er Single wäre, nicht auf diese Dummheit bringen könnte, es nicht wenigstens mal auszuprobieren.

»Sie ist doch nicht hier«, platzte es aus mir heraus. Woho, Constantin, woher die frechen Antworten?

Julian schob sofort seine Augenbrauen zusammen und zischte mir wütend zu:

»Aber mein Gewissen ist hier. Ich habe eigentlich strikt was gegen Fremdgehen.«

Da zuckte ich doch etwas zusammen. Ich sah verschämt zur Seite. Constantin, wie konntest du dich grade nur so verleiten lassen, Julian zum Fremdgehen zu animieren? So etwas passt wirklich gar nicht zu dir. Obwohl mir auch die Antwort im Kopf schwebte, dass er es ja eigentlich schon getan hatte; Fremdgehen. Und zwar richtig. Doch das wollte ich ihm nicht vorhalten. Streit war das Letzte, was ich gebrauchen konnte.

»Tut mir Leid. Ich wollte dich nicht zu irgendetwas animieren.« Verlegen kratzte ich mich am Nacken.

»Schon okay. Mir tut es Leid, dass ich dir keine richtige Antwort geben kann.«

Julians Miene wurde wieder sanfter und nahm der Stimmung sofort den unangenehmen Beigeschmack.

»Fazit von heute ist also: Wir verstehen uns wieder gut und das Problem Liebe stellen wir weiter hinten an?«

Er musste über meine trockene Zusammenfassung grinsen, nickte dann und sah zuversichtlich zu mir. Als ich dann auch lächelte und nickte, streckte er mir seine Arme entgegen.

»Ich denke, das dürfte schon drin sein«, zwinkerte er mir zu.

Wieso ich ihn liebte? Genau wegen solchen einfachen Gesten. Er wusste wahrscheinlich ganz genau, dass ich mich seit Tagen nach genau diesen Armen sehnte und wollte mir Erlösung schenken.

Ohne zu zögern ließ ich mich in seine Arme fallen.

Ah, sein Duft. Weiches Langarmshirt. Grobe Haut, ein paar Bartstoppel am Hals, die er nicht erwischt hatte. Ich strich ihm sanft über den Nacken. Spürte, wie seine großen Hände über meinen Rücken fuhren.

Das war so wunderschön.

»Tut mir Leid wegen dem Knutschfleck. Micky ist bestimmt sauer gewesen, oder?«, murmelte ich in seine Halskuhle.

Er zuckte mit den Schultern. »Relativ. Sie war eher sauer, dass sie mir nie welche machen durfte und du auf einmal damit anfängst.«

»Magst du keine Knutschflecken?«

»Ich find's so … albern, wir sind keine Teenager mehr.«

»Ach, na ja. Wenn man sie unter dem Vorwand macht, anderen zu zeigen, dass man einen Partner hat, ist das sicherlich kindisch. Aber wenn sie im Gefecht der Leidenschaft entstehen?«

Da lachte er laut los. Ungezwungen. Einfach herzlich am Lachen. »Im Gefecht der Leidenschaft? Constantin! Wo packst du das denn aus?«

»Aus der selben Schublade , wo du auch Cool bleiben ausgepackt hast! Du erinnerst dich?«, lachte ich angesteckt von seinem Frohsinn mit.

»Ja, ich erinnere mich! Aber ich finde ein Gefecht der Leidenschaft wesentlich witziger«, amüsierte er sich weiterhin über meinen unbewussten Witz und strich mir fester über den Rücken.

So schön. Endlich wieder mit ihm lachen. Unbeschwert, nicht weiter darüber nachdenkend.

 

Irgendwann löste ich mich aus seiner Umarmung. Er fragte mich blauäugig, ob ich den Abend noch bleiben wollen würde, doch ich negierte. Lieber nicht, sagte ich. Nicht, dass ich noch auf dumme Gedanken kommen würde.

Dabei zwinkerte ich ihm natürlich zu, als wäre es ein Witz gewesen.

Natürlich war es keiner.

Das war mein voller Ernst.


Nachwort zu diesem Kapitel:
... na so lang waren sie ja doch nicht getrennt :D
Aber Con wäre nicht Con wenn er es wieder vermasseln würde! Hrhrhr... Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Veri
2015-08-13T19:44:31+00:00 13.08.2015 21:44
Bitte ganz schnell weiter (;-;)
Ich kann's kaum abwarten ! ( T_T)\(^-^ )


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