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Last Desire 13

von

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Ein letzter Traum

„Wie bitte was?“ Alice hatte sich fast an ihrem Kaffee verschluckt und musste husten. Sie glaubte, nicht richtig gehört zu haben, als sie Josephs Vorschlag hörte und nachdem sie ihre Lunge einigermaßen gereinigt hatte, sah sie ihn ungläubig an. „Das kann doch nicht wirklich dein Ernst sein, Joseph. Was du da vorhast, ist doch völlig unmöglich.“ Der 32-jährige Neurologe lachte amüsiert über Alices Reaktion und schien da ganz offensichtlich anderer Ansicht zu sein. „Glaub mir, ich habe lange genug nachgeforscht und ich bin mir sicher, dass wir es gemeinsam schaffen können. Überlege doch mal, welche Möglichkeiten wir haben! Wir wären in der Lage, der ganzen Welt den Frieden zu bringen. Wir beide… wir könnten in einer glücklichen Welt leben, in der wir all die Dinge vergessen können, die uns widerfahren sind.“ Und damit ergriff er ihre Hände und hielt sie fest. „Glaub mir, ich habe mein ganzes Leben nach einer Antwort auf diese Frage gesucht, ob es jemals ein Leben ohne all diese Zerstörung und diese Kriege gab. Auch wenn es verrückt klingt, aber es gab dieses Leben vor langer Zeit. Nämlich, als es noch nichts Vergängliches gab. Denn all diese negativen Gedanken wie Machthunger, Neid, Hass oder Eifersucht existierten da noch nicht. Es war die perfekte Harmonie und wir können diese Welt zurückholen. Wir können ein Teil davon sein und dieses Elend in dieser Welt beenden. Und vor allem das Elend, in welchem du gefangen bist. Wenn wir die Entitäten Ain Soph und Elohim und ihre Kinder zurückholen, dann werden wir gemeinsam eine neue Welt schaffen, Alice. Eine bessere Welt. Auch für dich, deinen Vater und deine Freunde.“ Und damit strich er sanft über ihre blasse Wange und sah, wie sich Tränen in ihren Augen sammelten. Ihre kristallklaren Augen wirkten so wunderschön und doch so unergründlich. Ihr Wesen besaß eine kühle Schönheit, die einem Rätsel aufgeben konnte. Schwach lächelte sie und schüttelte den Kopf. „Machen wir uns doch nichts vor, Joseph. Es wird immer Unglück in dieser Welt geben. Ebenso wird es immer Leid geben, wo es auch Glück gibt. So eine Welt ist nur ein Wunschtraum und existiert nicht. Und dieses Gerede von Unvergänglichen ist doch nur Aberglaube oder irgendeine Form von Religion.“

„Alice, ich bin Wissenschaftler. Ich glaube nicht an Religionen oder Märchen und Legenden. Aber es gibt Beweise, dass es weit vor unserer Zeit mal eine solche Welt gab. Und ich glaube daran, dass wir gemeinsam diese Welt zurückholen können.“

„Ich habe schon lange den Glauben aufgegeben“, sagte Alice und zog ihre Hände wieder zurück. „Wir leben in einer Welt, in der es keine Hoffnung mehr gibt. Glaub mir, sie wird irgendwann zugrunde gehen und wir mit ihr. So sieht die Realität nun mal aus und daran kann keiner von uns etwas ändern.“ Niedergeschlagen ließ sie den Kopf sinken und spürte, wie ihre Magenbeschwerden zurückkamen. Sie presste eine Hand gegen ihren Bauch und bestellte sich beim Kellner sogleich ein Glas Wasser, während sie aus ihrer Tasche Magentabletten herausholte. Joseph sah dies und fragte auch gleich „Wie sieht es eigentlich mit deinem Rohypnolkonsum aus?“ „Besser“, log sie und nahm sich eine Tablette, die sie unzerkaut schluckte. „Ich kriege das schon in den Griff, keine Sorge.“ „Alice… was deine Sucht betrifft, bist du eine schlechte Lügnerin. Hör mal, du musst endlich damit aufhören. Die Arbeit im Krankenhaus macht dich kaputt. Du willst doch gar nicht Chefärztin sein. Und dann das Mobbing… diese Panikattacken und diese Erschöpfungszustände… wenn du so weiter machst, brichst du noch zusammen. Einen Nervenzusammenbruch und einen Suizidversuch hattest du doch schon und die Medikamente werden dich nur noch weiter runterziehen. Und deine Magenbeschwerden sind wahrscheinlich auch ein Symptom.“ „Ach Unsinn“, sagte sie sofort und winkte ab. „Das ist nur ein kleines Magengeschwür, mehr nicht.“

„Was glaubst du wohl, woher so etwas kommt? Du quälst dich selbst und wofür? Allein aus dem Gedanken, du müsstest das unbedingt für deinen Vater tun. Das ist Unsinn. Du solltest ihm endlich sagen, dass du es hasst, Ärztin zu sein und dass du viel lieber Schriftstellerin sein willst. Du hast doch das Potential dazu. Deine Bücher verkaufen sich wunderbar und ich habe doch gesehen, wie glücklich du bist, wenn du sie geschrieben hast. Wenn du es ihm sagst, dann wird er es verstehen.“ Doch Alice schüttelte nur den Kopf und ihr Blick wirkte mit einem Male trüb und hoffnungslos. In ihren Augen zeichneten sich Schmerz und Verzweiflung ab. „Er wird es nie verstehen. Er sagte, dass Schriftstellerei zwar ein nettes Hobby sei, aber mehr auch nicht. Seiner Meinung nach müsste man das größtmögliche aus seiner Hochbegabung herausholen und nach den größtmöglichen Zielen streben. Aber ich hasse das. Ich will gar nicht hochintelligent oder gut aussehend sein. Ich will ein normales Leben als einfache Frau. Lieber bin ich dumm und hässlich, dann wären die Erwartungen wenigstens nicht so groß. Egal was ich auch mache, ich muss immer nach mehr streben, muss mehr als alle anderen erreichen, weil ich das Zeug dazu habe. Aber ich will das einfach nicht, Joseph. Ich würde mich sogar mit einem einfachen Job als Sekretärin oder Verkäuferin zufrieden geben, dann wären auch die Erwartungshaltungen nicht so groß. Aber… dafür wäre die Enttäuschung umso größer…“ Nun stand Joseph auf und setzte sich neben sie. Dann nahm er sie in den Arm und Alice ließ ihren Tränen freien Lauf, während sie sich an ihn klammerte. „Warum nur muss ich so sein, Joseph? Wieso musste ich so geboren werden?“ „Jetzt sag doch so etwas nicht. Ohne deine Intelligenz und deine Bildung hättest du mit Sicherheit nicht so wunderbare Bücher schreiben können. Und glaub mir: wenn dein Vater erst diese Bücher gelesen hat, dann wird er verstehen, was du wirklich willst und er wird dann garantiert deinen Wunsch akzeptieren.“

„Du verstehst das nicht. Ich bin alles, was er hat, nachdem meine Mutter bei meiner Geburt verstorben ist. Wenn er erfährt, was wirklich los ist und dass ich ein Medikamentenproblem habe, dann wird für ihn eine Welt zusammenbrechen. Er hat sich so sehr für mich gewünscht, dass ich Ärztin werde und was ist? Ich bin die jüngste Chefärztin und soll bald Mitglied des Vorstands werden. Er hat so viel getan, um mich so weit zu bringen und er ist so stolz darauf, dass ich es endlich geschafft habe. Es wird ihm das Herz brechen, wenn er die Wahrheit erfährt. Er wird so furchtbar enttäuscht sein, dass all diese Bemühungen völlig umsonst gewesen waren und das kann ich ihm doch nicht antun.“ Mag ja sein, dachte Joseph, während er Alice im Arm hielt und sie tröstete. Aber das ist doch auch keine Lösung. Du machst dich nur selbst kaputt und davon wird sich auch nichts ändern. Stattdessen wirst du irgendwann daran zerbrechen und das kann und darf ich nicht zulassen. Dafür liebe ich dich einfach zu sehr. „Alice, kannst du nicht versuchen, dir zumindest einen kleinen Funken Hoffnung an eine bessere Welt zu bewahren? Wenn du schon nicht an Gott glaubst, dann doch wenigstens daran, dass es eines Tages besser werden könnte.“

„Ach, diese Welt wird es doch niemals geben…“, murmelte sie hoffnungslos und legte ihren Kopf auf seine Schulter ab. Immer noch glänzten Tränen auf ihrer blassen Wange. „Aber… solange du da bist, fühle ich mich besser und das reicht mir auch. Und ich glaube auch daran, dass du erreichst, was du dir vornimmst.“ Und das schien ihm zu genügen. Er gab ihr einen Kuss, den sie erwiderte und umarmte sie noch einmal. „Ich verspreche dir, dass ich alles dafür tun werde, damit du deine Hoffnung wiederfindest. Egal wie schwer es auch werden wird und egal wie lange es dauern mag und was ich dafür tun muss. Für dich werde ich diese Welt wieder zurückholen und dafür sorgen, dass du wieder lachen kannst. Alice, du verdienst es, in solch einer Welt zu leben und deshalb werde ich nicht aufgeben. Ganz egal wie oft du mir auch sagst, dass es unmöglich ist. Für dich werde ich es möglich machen. Dass du die Einzige bist, die einen so starken Wert erreichen konnte, ist doch kein Zufall. Niemand anderes hatte einen so hohen Prozentsatz und das kann nur eines bedeuten: du bist der Schlüssel zu dieser Welt. Mit deiner Hilfe werden wir es schaffen, Ain Soph und Elohim zurückzuholen und mit ihnen eine Welt ohne Leid und Kummer zu erschaffen. Eine glückliche Welt, wo du endlich der Mensch sein kannst, der du so gerne sein würdest und wo du nie wieder so traurig sein musst wie jetzt.“ Eine Welt, in der sie zusammen mit Joseph und ihrem Vater und ihren Freunden glücklich werden konnte? Konnte es wirklich so etwas wirklich geben? Wie gerne würde sie doch glauben, dass es so eine Welt gab. Eine Welt, wo sie zusammen mit Joseph, Nastasja, Henry und ihrem Vater glücklich werden konnte. Ja, das wäre wirklich schön, wenn es irgendwann mal so etwas wirklich wahr werden könnte. Und als sie so darüber nachdachte, kamen ihr wieder Tränen und sie lächelte. „Siehst du?“ sagte Joseph schließlich und strich ihr sanft die Tränen weg. „Wir haben alle Möglichkeiten der Welt, wir dürfen uns eben durch nichts und niemanden aufhalten lassen. Alice, ich verspreche dir, dass ich alles tun werde, damit du endlich ein Mal in deinem Leben von Herzen lachen kannst und in der Lage bist, das Licht in dieser Welt zu sehen. Ganz egal, was ich dafür tun muss und wie lange es dafür dauert. Ich werde nicht aufgeben.“

„Das musst du nicht tun, Joseph. Wirklich nicht.“ Doch er blieb dabei und legte eine Hand auf ihre. „Doch, Alice. Ich will, dass du von Herzen glücklich bist und dass du endlich frei bist. Frei von deinen Ängsten, deiner Sucht und deinem Vater. Ich liebe dich und ich will mit dir zusammen glücklich werden. Mit niemand anderem sonst. Und bis es soweit ist, lass uns wenigstens gemeinsam von einer Welt träumen, wo wir glücklich sein können.“

„Ja“, sagte Alice und schloss die Augen, während sie ihren Kopf auf seiner Schulter ruhen ließ. „Das wäre wirklich schön… Joseph?“

„Ja, was ist?“

„Bleib noch so einen Augenblick. Wenigstens noch ein kleines bisschen, bevor ich wieder ins Krankenhaus muss.“

„Kein Problem. Ich hol dich nach der Schicht ab und dann können wir zusammen was essen gehen. Du kannst ja deinem Vater erzählen, du triffst dich mit Kollegen, wenn du ihm noch nichts von uns erzählen willst.“ So saßen sie noch eine Weile zusammen, bis sich Alices Mittagspause langsam dem Ende zuneigte. Es fiel Joseph schwer, sie wieder gehen zu lassen, vor allem weil er wusste, wie sehr Alice darunter litt, dort zu arbeiten. Aber er war fest entschlossen, alles daran zu setzen, ihr dabei zu helfen, sich von all dem hier zu lösen und damit auch ihren Posten als Chefärztin aufzugeben. Schließlich, als sie sich voneinander verabschiedet hatten und Alice gehen wollte, erinnerte er sich an etwas Wichtiges und eilte ihr hinterher. „Warte kurz!“ rief er und bekam sie noch am Arm zu fassen. „Was ist?“ fragte sie und war verwundert, was Joseph denn noch wollte. Aber da drückte er ihr auch schon ein Buch in die Hand. Es war ein lateinisches Buch mit dem Titel „Utopia“ von Thomas Morus. „Lies es dir durch und gib mir dann deine Antwort, ja?“ Alice versprach es und gab ihm noch einen Kuss zum Abschied, bevor sie ging.
 

Da das Buch weniger als 200 Seiten besaß, hatte Alice es schon in zwei Tagen durchgelesen. Und auf der letzten Seite fand sie schließlich eine Widmung von Joseph, die sie schmunzeln ließ:
 

„Willst du mich heiraten und gemeinsam mit mir diesen Traum von Utopia träumen?“
 

Und ihre Antwort darauf war „ja“.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Man kann über Joseph Brown sagen, was man will. Dass er ein Mistkerl war, weil er Frederica eingesperrt hat… dass er Experimente an Menschen durchführt und Nastasja ihr Kind weggenommen hat. Aber er hat Alice aufrichtig geliebt und hat diese ganzen Dinge nur aus einem Grund getan: um für sie eine Welt zu erschaffen, in der sie endlich glücklich werden kann. Beim Schreiben des Prologs habe ich in einer einzigen Endlosschleife „Utopia“ von Within Temptation gehört und ich glaube, der Song beschreibt am allerbesten die Kernaussage dieser Serie: das Streben nach dem Glück und einem besseren Leben, nachdem man eine schwere Vergangenheit zu bewältigen hat. Und man hat jemanden an seiner Seite, mit dem man gemeinsam diesen Wunsch nach einem glücklichen Leben verfolgt. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  pri_fairy
2015-02-04T20:36:58+00:00 04.02.2015 21:36
Der Prolog ist richtig schön ^^ ich hätte nicht gedacht,dass er so liebevoll sein kann. Aber da sieht man wieder das Menschen nicht nur böse oder nur gut sein müssen:) sein Motiv ist sehr schön, aber der Zweck heiligt definitiv nicht immer die Mittel.
Von: abgemeldet
2015-01-29T08:11:32+00:00 29.01.2015 09:11
Yahhhh es geht weiter :D
Der Prolog war wirklich schön. Trotz der ganzen Geschichte.
LG^^Alien^^


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