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Rabenherz (Die Macht der Krokaren)

von

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Gespräch unter vier Augen

„Wieso habt ihr nicht zuerst die Fraternitat informiert?“ Ivano stand, an seinen Schreibtisch gelehnt, vor Ray und Paride. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und seine Augen funkelten verärgert zu ihnen hinunter.

Sie haben sich in den Sessel im Empfangsraum Ivanos nieder gelassen um Bericht zu erstatten, nach dem sie das Mädchen bei einem Wärter in Obhut gegeben hatten. Zuerst hatte der Matador sie noch erheitert mit Tee und Wein begrüßt, doch nachdem sie ihm geschildert hatten was in der Stadt vorgefallen war, war er merkwürdig ernst geworden. 

„Es tut mir Leid, Matador Ivano, aber damit hätten wir nur Zeit verloren.“, erwiderte Ray, „Das Mädchen war bereit die Flucht zu ergreifen und wäre sie von uns nicht schnell genug davon abgehalten worden, wäre sie jetzt unauffindbar. Ich habe das Gefühl, dass sie sehr klug ist und erst denkt und dann handelt. Das hätte die Suche nach ihr deutlich schwerer gemacht.“

Der alte Mann schien kurz über seine Worte nachzudenken. „Vielleicht hätte sie uns aber auch die Zeit gegeben darüber nachzudenken, was nun mit ihr passieren soll. Ihr wisst, dass auf die Ausführung des Kämpfens von weiblichen Personen eine lebenslängliche Einbuchtung im Kerker aussteht?“

Ray nickte bedrückt. „Ja, aber..“ Er stockte und suchte verzweifelt nach den richtigen Worten. Wie sollte er ihm beschreiben mit wie viel Geschick sie die beiden Kaufmänner in Schach gehalten hatte? Wie sie dem Mann mit dem Messer die Arme auf den Rücken gedreht und ihn in so einer unangenehmen Stellung gehalten hatte, dass er sich unmöglich daraus befreien konnte?

Glücklicherweise kam ihm Paride schnell genug zu Hilfe. „Matador Ivano, bisher gab es noch keinen Fall von dieser Art. Die Frauen, die wir aufgreifen konnten, sind wegen dem Versuch die Kampfkunst zu erlernen verurteilt worden und nicht, wegen der tatsächlichen Benutzung. Vielleicht sollten wir erst einmal in Erfahrung bringen wie weit sie in der Ausbildung ist, um über ihre Strafe zu entscheiden und.. Nun. Denkt ihr, dass wir sie zu einem Assassinen-?“

„Nein.“, unterbrach ihn Ivano, der schon ahnte worauf der Frater hinaus wollte. „Ich persönlich würde sie nicht zu einem Mitglied der Fraternitat machen und wohl möglich noch zu einem Assassinen ausbilden. Nicht, weil ich denke, man sollte Frauen allgemein keine Chance geben, sondern weil es mir nicht logisch erscheint mit unseren Traditionen wegen einer einzelnen Kämpferin zu brechen. Allerdings wird darüber wohl letztendlich König Danilo entscheiden.“

Rays Herz krampfte sich zusammen. Der König von Algahra war als gerecht und gutmütig bekannt, aber bei Gesetzesbrechern kannte er in den meisten Fällen keine Gnade. So war ein junger Mann vor 3 Jahren wegen Diebstahls zu einem Diener der Fraternitat geworden und stand noch heute in ihrem Dienst. Damals hatte er mit ihm gesprochen und erfahren, dass er für seine Mutter und seine kleine Schwester etwas zu Essen beschaffen wollte. Sie lebten in Armut, konnten sich kaum die Miete eines kleinen Raumes über einem Gasthaus leisten und nach dem Tot seines Vaters war er als einziger Mann in der Familie zum Familienoberhaupt geworden. Während er erzählte, dass er sich nicht vorstellen konnte, wie seine Familie nun überleben sollte war er in Tränen ausgebrochen und Ray hatte es bisher nicht übers Herz gebracht ihm zu erzählen, dass seine kleine Schwester tot in einer Seitengasse aufgefunden worden war und ihre Mutter kurz darauf Selbstmord begangen hatte. Der junge Mann würde es ohnehin nicht über die Grenzen des Schlosses hinaus schaffen um sie zu besuchen, so traurig das auch war.

„Hat sie denn bisher etwas über sich preisgegeben?“, hörte er Paride gerade fragen und die Frage nach dem Mädchen ließ ihn abermals aufhorchen.

„Nein, sie schweigt stur wie ein kleines Kind. Wir können machen was wir wollen.“, gab Ivano zu und seufzte. Dann wanderte sein Blick zu Ray hinüber, der ihn auffing und darin nach einem Gefühl von Anschuldigung suchte, doch das war es nicht. „Würdet ihr mit ihr reden, Frater Ray?“

„Ich?“

„Ja, ihr. Ihr habt ein Händchen für schwierige Fälle und seid feinfühliger als die Wachen, die ein Verhör nur als eine Art Mittel zum Zweck betrachten. Daher würde ich euch gerne mit diesem Fall betrauen.“ Der alte Mann lächelte und wandte sich an Paride. „Ihr kümmert euch bitte darum, dass der König von dem Aufgriff der Kämpferin erfährt und wir in den nächsten Tagen eine Privataudienz erhalten. Ich möchte nicht, dass bei der Verurteilung überflüssiges Publikum anwesend ist.“

Der Frater nickte und erhob sich eilig. Er schenkte den beiden Männern zum Abschied einen höflichen Blick, klopfte seinem Freund im Vorübergehen auf die Schulter und war mit wenigen langen Schritten aus der Tür, die der Diener hinter ihm schloss. Auch Ray wollte sich erheben, doch Ivano bedeutete ihm sitzen zu bleiben.

„Lasst mich noch klarstellen, welche Informationen die wichtigsten sind.“ Er ging um seinen Schreibtisch herum, setzte sich den unbequemen Holzstuhl und verschränkte die Finger ineinander.

„Bringt in Erfahrung aus was für einer Familie sie stammt und wer ihr die Kämpferausbildung näher gebracht hat, wobei die Gründe dafür nicht wichtig sind. Dann müsst ihr herausfinden ob es noch mehr von ihr gibt. Ob eine Art Organisation wie unsere existiert, wird sie sicher nicht preisgeben, aber jeder Hinweis darauf ist entscheidend. Und zu guter Letzt wäre wichtig zu wissen, was sie mit ihren Fähigkeiten getan hat, aber auch hier denke ich nicht, dass sie euch Dinge wie Diebstähle offenbaren wird.“

„Ihr erwartete ziemlich viel von mir.“, entgegnete Ray zaghaft und bereute im nächsten Moment, dass er indirekt deutlich gemacht hat, er würde die Aufgabe ablehnen. Ivano hat so viel vertrauen in mich, um mir so eine Aufgabe zuzuteilen. Da werde ich sicher nicht ablehnen, nur weil es mir schwierig vorkommt, schoss es ihm durch den Kopf und er fügte hastig hinzu: „Natürlich werde ich es trotzdem versuchen.“

Der Matador lächelte. „Ihr dürft ihr auch gerne über etwas über die Fraternitat erzählen, wenn sie das Vertrauen zu euch fassen lässt. Vor allem da der König sie sicher nicht laufen lassen wird.“

Ray nickte und erhob sich mit einer Verbeugung. „Ich melde mich bei euch, wenn ich ein Ergebnis erzielt habe und hoffe, dass es nicht allzu viel Zeit in Anspruch nehmen wird.“

„Solange die Angelegenheit erledigt ist, bevor die Audienz beginnt ist alles in Ordnung. Und nun rasch ans Werk.“, erwiderte Ivano.

Der junge Mann neigte zum Abschied höflich den Kopf und wandte sich zum Gehen. Als der Diener hinter ihm die Tür geschlossen hatte, lehnte er sich an das schwere Brett und atmete einmal tief durch. Er würde sich gleich auf den Weg zu den Verhörzellen machen, um mit dem Mädchen zu reden. Je früher er anfing, desto eher konnte er dem jungen Ding ein paar Antworten abringen und sie auf das Bevorstehende vorbereiten. Dabei entlockte ihm der Gedanke an die Privataudienz beim König und die Verurteilung ein tiefes Seufzen.

Was habe ich mir da nur eingebrockt?
 

Kathya sah sich voller Abscheu in dem kleinen Raum um, in den man sie gebracht hatte. Außer dem Tisch mit zwei gegenüberstehenden Stühlen, an dem sie saß, und zwei Fackeln an den Wänden war er komplett leer. Die Wände waren aus groben Ziegelsteinen gemauert und der Boden gepflastert, wodurch jedes laute Geräusch, das sie machte doppelt so laut zurückschallte und in den Ohren dröhnte. Vielleicht wollte man dadurch sicherstellen, dass sie ruhig blieb.

Allerdings wäre sie das so oder so geblieben. Sie war nicht so dumm nach Hilfe zu schreien oder an der großen Eisentür zu hämmern, bis sie sich komplett verausgabt hatte. Sie würde ihre Energie mit Sicherheit noch brauchen und wollte sie nicht durch törichtes Randalieren verschwenden. Die Wache hatte das jedoch offensichtlich erwartet, denn alle fünf Minuten lugte ein braunes Augenpaar mit buschigen Brauen durch einen schmalen Schlitz in der Tür, um sich zu vergewissern, dass sie auch immer noch an ihrem Platz saß. Kathya konnte über solch ein Verhalten nur lächeln. Wie sollte ich denn von hier fliehen? Durch Geheimgänge, die andere Gefangene gegraben haben? Durch eine versteckte Leiter? Durch Magie? Vielleicht erwarten sie auch noch, dass ich jeden Moment durch die Tür spaziert komme.

Ein Geräusch von Metall auf Metall lenkte Kathyas Aufmerksamkeit für kurze Zeit auf die Tür, aber es wurde nur einmal mehr der Spalt aufgesperrt. Wieder schielte ein Augenpaar herein, doch es war nicht dasselbe wie bei den anderen Malen. Die Augen waren grün und die dazugehörigen Augenbrauen viel schmaler und geschwungener. Als das Mädchen den Blick des Fremden erwiderte schob sich die Abdeckung abermals davor und sie hörte wie der Riegel des Eisentors betätigt wurde.

Eine gedämpfte Stimme drang an ihr Ohr. „Sie hat nicht einen Laut von sich gegeben und sich nicht einen Millimeter bewegt. Ich dachte schon, sie wäre abgehauen.“

Jemand anderes lachte leise. „Vielleicht kann ich ihr ein paar Worte entlocken. Danke euch, Arigo.“

Plötzlich schwang die Tür nach Innen auf und Kathya erblickte einen jungen, hochgewachsenen Mann mit braunen Haaren, der im Türrahmen stand. Sein Äußeres wirkte gepflegt und ein munteres Lächeln spielte um seine Mundwinkel. Als er eintrat und sorgsam die Tür hinter sich schloss, bemerkte sie, dass auch er ein Kämpfergewand trug, das die gleiche Farbe wie seine Augen aufwies – ein kräftiges waldgrün.

Der Fremde stellte sich nun an den Tisch und lächelte zu ihr hinab. „Darf ich mich setzen?“

Kathya runzelte die Stirn, nickte jedoch und sah dabei zu wie er sich elegant auf den Stuhl sinken ließ. Er bemerkte ihren Blick und als er ihn erwiderte, wandte sie sich wieder ab. Er lachte hell auf.

„Was gibt es da zu Lachen?“, fragte sie verärgert und hielt sich im nächsten Moment erschrocken die Hand vor den Mund. Er hat mich schon innerhalb der ersten zehn Sekunden zum Reden gebracht, dachte sie und fluchte innerlich. Sein Lachen wurde lauter und verebbte nur langsam.

„Ich glaube, dass es euch jetzt nichts mehr bringt zu schweigen.“, sagte er sobald er sich gefangen hatte, „Jetzt weiß ich nämlich mit Sicherheit, dass ihr nicht taubstumm seid.“

Das Mädchen presste die Lippen aufeinander und verfiel in ein leichtes Grübeln. Auf der einen Seite hatte er Recht, wieso sollte sie überhaupt noch schweigen? Es würde ihr nichts bringen, außer den netten Nebeneffekt, dass man sie weiter festhielt. Doch auf der anderen Seite, wusste sie nicht, wieso sie sich überhaupt mit einem Fremden unterhalten sollte. Ich taste mich lieber erst einmal langsam vor. Mal sehen wohin es mich bringt. 

„Könnt ihr mir eine Frage beantworten?“ Sie unterdrückte ein Lächeln, als der junge Mann vor Überraschung über ihr Sprechen die Augenbrauen hochzog. 

„Natürlich. Ich werde euch zu allem, was ihr wissen wollt eine Antwort geben.“

„Zu allem?“, hakte sie nach. Er zögerte, als ihm langsam dämmerte auf was das Mädchen hinauswollte. „Nun, vielleicht nicht zu allem, aber zu den meisten Sachen.“

„Nagut.“, erwiderte sie resigniert, „Wo bin ich?“

„Ich hätte nicht gedacht, dass das eure erste Frage ist.“

„Was hätte ich denn als erstes fragen sollen?“

Seine Mundwinkel zuckten. „Zum Beispiel, wer derjenige ist mit dem ihr euch hier unterhaltet. Das wäre auch eine Frage gewesen, die ich als erstes gestellt hätte.“

Nun konnte sie unter seinem Wohlwollen das Lächeln nicht mehr unterdrücken. „Erst ihr, dann ich.“

„Gerne.“, sagte er, stand auf und verbeugte sich elegant, „Ich bin Frater Ray vom Clan der Ginto. Es freut mich, einen 20 Jahre alten Greis, eure Bekanntschaft zu machen Madame..?“

„Kathya.“, erwiderte sie und verbeugte sich ebenfalls vor ihm, „Die verborgene Kämpferin vom Clan der Kiapo. Es freut mich ebenfalls eure Bekanntschaft zu machen, Frater Ray.“

Es sah wahrscheinlich ziemlich merkwürdig aus, wie sie sich in einer bedrückend engen Zelle gegenüber standen und sich voreinander verbeugten, doch es hatte für Kathya etwas respektvolles. Etwas, das man stets machen sollte und in der Gesellschaft üblich war. Etwas, das sie verband.

„Eine verborgene Kämpferin also.“, sagte Ray nachdenklich, als sie sich wieder gesetzt hatten und sich über den Tisch hinweg in die Augen blickten. Mit einem Mal grinste er schelmisch. „Ich hatte schon überlegt, ob die Tatsache, dass ihr dem Kaufmann mit dem Messer den Arm auf den Rücken drehen konntet, einfach nur etwas mit Geschick und nicht mit einer Kämpferausbildung zu tun hat.“

Kathya biss sich auf die Unterlippe. Jetzt habe ich mich auch noch selbst verraten. Was ist mir mir los, ich bin doch sonst nicht so kopflos, dachte sie, doch gleich darauf kam ihr ein weiterer Gedanke.

„Ihr seid derjenige der mich auf dem Hinterhof in der Stadt gefesselt hat!“, rief sie anklagend aus.

„Das bestreite ich auch nicht.“, bemerkte er kühl, „Aber es war meine Pflicht. Ihr wisst sicherlich, dass es Frauen verboten ist die Kampfkunst zu erlernen und alleine der Versuch wird schon bestraft. Ich musste allerdings feststellen, dass unser Regelwerk in dieser Hinsicht etwas lückenhaft ist, denn einen Fall von einer tatsächlichen Ausführung hat es bei uns noch nie gegeben.“

„Wem gegenüber müsst ihr diese Pflicht erfüllen?“ Ihre Stimme hatte sich wieder beruhigt und auch ihre Augen waren nicht mehr ein Meer aus Abscheu und Hass. Sie selbst hatte sich auch an einen Schwur geklammert und deshalb das Gesetz gebrochen; sie konnte Rays Verhalten beinahe nachvollziehen.

„Der Fraternitat des Königs, meiner Bruderschaft.“, erwiderte er, „Ich habe mich ihr schon vor Jahren verschrieben und befolge seit dem die Anweisungen des Königs und dem Matador Ivano.“

Das klang für Kathya schon etwas interessanter. „Und was hat es damit auf sich? Was müsst ihr tun?“

„Die Fraternitat ist eine geheime Organisation zum Schutz der drei verbündeten Länder Algahra, Kyvarla und Nordas.“, gab er bereitwillig Auskunft, „Wir müssen zum Beispiel Hinweisen auf Verschwörungen nachgehen oder betrügerische Absichten unterbinden und tarnen uns dabei als Algahrische Ritter. Die eigentliche Tat ist dabei von Mission zu Mission unterschiedlich und ist auch vom Ausbildungsstand abhängig. Ich bin ein voll ausgebildeter Assassine, mir können daher Missionen vom Grad einer Bündnisverschwörung zugeteilt werden.“

Kathya lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und verarbeitete die Menge an Informationen, die in ihr Gehirn geflutet waren. Eine Bruderschaft. Davon scheint die Bevölkerung nichts zu wissen, denn sonst hätte mich diese Information schon vor langer Zeit erreicht. Wahrscheinlich ist es nicht umsonst eine geheime Organisation.

„Und wie steht es mit Felic selbst?“ Rays Frage unterbrach ihr Grübeln. „Habt ihr euch auch irgendwie.. organisiert?“

Kathya musste bei dieser offensichtlichen Fragestellung unwillkürlich lächeln. „Wenn ihr andeuten wollt, dass es mehr von meiner Sorte gibt muss ich euch leider enttäuschen. Wenn es jemanden gibt, der es mir gleich getan hat, dann ist mir derjenige nicht bekannt.“

Er seufzte erleichtert und entspannte sich sichtlich. „Das ist gut.“

Als er den fragenden Blick der jungen Frau auf sich spürte, fügte er missmutig hinzu: „Ich hasse es, Menschen ihrer Freiheit zu berauben. Vor allem, weil ich mich sehr für ihre Geschichten interessiere und sie mir so bereitwillig alles erzählen. Ich könnte Dinge vortragen, bei denen euch die Nackenhaare zu Berge stehen würden. Diese Ungerechtigkeit und Grausamkeit könnt ihr euch nicht einmal in euren kühnsten Träumen ausmalen. Manchmal sind Familienväter dabei, die gestohlen haben damit ihre Familie ganz knapp überlebt oder Mütter, die dabei erwischt worden sind wie sie ihre Babys vor die Tür des Waisenheims gelegt haben. um ihnen eine bessere Zukunft zu bieten. Und dann werden sie für Jahre in den Kerker gesperrt oder zu einem unserer Diener. Das ist so-“

„Wie werden sie mit mir verfahren?“, unterbrach sie ihn eindringlich. Er zögerte plötzlich, blickte ihr nicht mehr in die Augen sondern beklommen zur Seite, blieb stumm.

Sie spürte, wie eine Woge von Angst über sie hereinbrach. Wenn sie mit einfach Dieben ohne böse Absichten schon so verfahren, was soll dann erst mit mir passieren? Lebenslänglich Kerker und wohl möglich niedere Arbeiten? Ich kann das alles nicht. Ich kann nicht so lange von meiner Familie getrennt sein, kann den Leuten in der Stadt nicht abtrünnig werden.

Hätte ich es doch bloß gelassen. Wäre ich doch niemals eine Kämpferin geworden.

Kathya fühlte die Tränen bereits ihre glühenden Wangen hinunter rinnen, bevor es ihr Gehirn verarbeitet hatte. Sie tropften auf die Tischplatte und auf ihre Kleider, benetzten ihre Haut und brachten ihre Augen zum Brennen. Sie wollte sie einfach mit dem Ärmel wegwischen und sich entschlossen dem Stellen, was sie erwartete, doch sie konnte nicht. Die junge Frau konnte sich vor Angst und Sorge nicht bewegen und ließ den Tränen, die als dicke Wasserperlen massenweise aus ihren Augenlidern drangen, freien Lauf. Sie setzte sich nicht einmal gegen den mitfühlenden und gleichzeitig skeptischen Blick von Ray zur Wehr, den sie auf sich spürte, während sie den Kopf gesenkt hielt um ihren Schmerz zu verbergen. Doch plötzlich spürte sie seinen Körper neben sich.

„Alles wird gut.“ Kathya hörte die Stimme nur entfernt und fühlte kaum, wie sich seine Hand auf ihre Schulter legte und dort verweilte. Sie konzentrierte sich nur auf die Wärme seiner Haut, die Weichheit seiner Stimme und das Mitgefühl, das darin mitschwang. Sie bezog daraus Kraft und schaffte es endlich zu ihm aufzublicken und ihm direkt in seine grünen Augen zu sehen, die ihr mittlerweile so vertraut waren, als würde sie sie schon ein Leben lang kennen.

„Was wird mit mir passieren?“, fragte sie erneut, mit brüchiger Stimme und klopfendem Herzen.

„Ihr werdet bald für eine Privataudienz hinauf ins Schloss gebracht werden. König Danilo entscheidet über euer Schicksal.“ Und sein Tonfall ließ sie erneut in Tränen ausbrechen.
 

„Matador Ivano.“

Der Matador wirbelte herum. „Frater Paride. Was gibt es?“ 

Er lächelte und neigte leicht seinen Kopf. „Ich habe gute Neuigkeiten. Die Berater und der König haben einer Privataudienz in zwei Tagen zugestimmt und erwarten uns bei Sonnenuntergang im Audienzsaal.“

Ivano seufzte erleichtert. Er hatte den jungen Mann erst vor einem Tag mit seiner Bitte zum König geschickt und war froh, dass alles reibungslos verlaufen war. „Wer soll anwesend sein?“

„Frater Ray, ich und ihr. Und natürlich das Mädchen. Außerdem ein Verteidiger, der die Interessen der Angeklagten vertritt.“, erwiderte Paride.

„Darf es einer von uns sein oder muss ein Unbeteiligter in die Sache mit hinein gezogen werden?“

„Wie immer, Matador. Die Zeugen dürfen die Angeklagte verteidigen, wenn sie dazu befragt werden, aber im allgemeinen muss ein Unbeteiligter hinzugezogen werden.“

Und schon hatte er wieder ein ungutes Gefühl. Wer sollte die Interessen des Mädchens vertreten? Er hatte sich bereits – für den Fall der Fälle – in der Fraternitat umgehört, ob es jemanden unter den Fratern und Tutoren gab, der die junge Frau unterstütze. Doch bisher war niemand bereit ihr zu helfen. Vielleicht würde er bei Adamo oder Doan mehr Erfolg haben, die bald von ihrer Auslandsmission zurückkehren würden und mit denen er sich bisher nicht in Verbindung setzen konnte.

„Hat sie denn bereits mit Frater Ray gesprochen?“, unterbrach ihn Paride und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Gegenwert.

„Ja. Der Wärter hat Stimmen aus der Verhörzelle gehört, aber ich hatte noch keine Gelegenheit mit Frater Ray darüber zu sprechen, was sie von sich preisgegeben hat. Er meinte, wenn er etwas wichtiges in Erfahrung bringt, würde er sich bei mir melden. Im Moment scheint das nicht der Fall zu sein.“

Paride nickte bedächtig. „Meint ihr, dass er Informationen zurückhalten würde um sie zu schützen? Er scheint sich sehr um sie zu sorgen.“

Der Matador dachte kurz über seine Worte nach, schüttelte jedoch entschlossen den Kopf. „Nein, das sähe ihm nicht ähnlich. Er war immer darauf bedacht, meinen und König Danilos Befehlen so genau wie möglich Folge zu leisten und würde es nicht wagen, sie wegen einer Gefangenen nicht zu befolgen. Vielleicht muss er das gehörte erst einmal überdenken und sich darüber im klaren werden, was er mir erzählen kann und was nicht. Was wichtig sein könnte und was er getrost beiseite schieben kann. Und ich lasse ihm gerne die Zeit.“

Paride zuckte mit den Achseln und lächelte. „Es ist gut, dass ihr ihm so vertraut, Matador. Ich will euch auch nicht weiter aufhalten und ich selbst habe auch noch einige Sachen zu erledigen.“

„Natürlich.“, erwiderte der alte Mann lächelnd, „Frater Paride.“

„Matador Ivano.“ Er verbeugte sich flüchtig und ging an ihm vorbei in Richtung seiner Gemächer. Als er um die Ecke spaziert war, stieß Ivano den Atem aus, den er unbewusst angehalten hatte und machte sich ebenfalls auf, um sich wieder in seinem ruhigen Lesesaal niederzulassen und über einem guten Buch ihre jetzige Situation zu vergessen. Bei so viel Unruhe, die das Mädchen jetzt schon mit sich gebracht hat, will ich eigentlich überhaupt nicht die Ursache für Rays Schweigen erfahren. Was ist nun, wenn er das Mädchen tatsächlich deckt? Obwohl mich immer noch die Frage nach dem Grund plagt, denn der ist nicht wirklich offensichtlich. Sie hat das Gesetz bezüglich des Kämpfens gebrochen und sich somit gegen alles und jeden gestellt, der für die Fraternitat selbst steht – und somit auch gegen ihn. Das sollte ihm eigentlich klar sein.

Leise vor sich hin grübelnd folgte Ivano den Treppen und roten Teppichen, bis er vor der Tür seiner Räume stand und sie leise aufdrückte, nur um sich fast zum gleichen Zeitpunkt zu fragen, warum er überhaupt so leise war. 

Sein Diener hatte ihm ein Tablett mit exotischen Früchten aus Kyvarla bereit gestellt und dazu heimischen Wein in ein Glas gefüllt, das der Matador nun anhob und sich mit einem lauten Seufzer in das weiche Polster seines Sessels fallen ließ. Er setzte das kühle Gefäß an seine Lippen, ließ ein wenig der rötlichen Flüssigkeit in seinen Mund laufen – und spuckte es im hohen Bogen wieder aus. 

Ihm war gerade ein Gedanke gekommen, der beinahe so logisch wie sinnlos war und ihn den restlichen Abend verfolgte, wie ein Schatten. Vielleicht wusste Ivano nun, aus welchem Grund sich Frater Ray – den er seit seinem Beginn als 15-Jähriger in der Fraternitat ins Herz geschlossen hatte und von dem er dachte, er würde ihn wirklich kennen – so verhielt. Vielleicht war schlicht und einfach das unwahrscheinlichste aufgetreten, was er gedacht hätte, als er ihn zu dem Mädchen geschickt hatte: Er könnte tatsächlich freundschaftliche Gefühle für eine Gefangene entwickelt haben.



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