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L2

Messed up kid that I was...
von

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Two


 

"But just because it burns

Doesn't mean you're gonna die

You've gotta get up and try"

― P!nk, Try
 

Ihr zuständiger Ausbilder trug den Namen Vyrnnus.

Er war ein Turianer, einer jener Rasse, deren Heimatplanet Palaven irgendwo in den Weiten des Alls lag, wo bisher nur sehr wenige Menschen gewesen waren. Nun, wenn sie Vyrnnus gekannt hätten, wären sie wahrscheinlich auch gerne weiterhin auf der Erde geblieben.

Er war ein Commander gewesen, einer, der zusammen mit anderen Turianern im Erstkontaktkrieg gegen die Menschen gekämpft hatte, als sie zum ersten Mal aufeinander getroffen waren. Damals waren sie sich noch feindlich gesonnen gewesen und hatten sich als Bedrohung angesehen. Wobei die Menschen mit den hohen Entwicklungsstandards der Turianer kaum hatten mithalten können. Wie man gehört hatte, wurden sie deswegen mehr als einmal belächelt - so weit Lächeln den Turianern denn überhaupt möglich war.

Und was Vyrnnus anging... nun, seine Einstellung hatte sich wohl seitdem nicht wirklich geändert, er hatte noch immer nichts für die Menschen übrig. Und das konnten die ihm zugeteilten Biotiker schon nach guten fünf Minuten sagen und nur dadurch, dass er sich ihnen gerade vorgestellt hatte.

"Sie sind also hier, um den Umgang mit der Biotik zu erlernen, nicht wahr?" Vyrnnus' zwei Finger trommelten auf das Pult vor ihm und er betrachtete die Gruppe verängstigter oder zumindest eingeschüchterter Kinder mit einem Teil Zufriedenheit und einem Teil Verachtung.

Kaidan wusste nicht, warum, aber Turianer erinnerten ihn auf irgendeine Art und Weise an Vögel. Seltsame aggressive Falken, mit schwarzen Augen und Gesichtsbemalungen und graublauer Haut. Und dieser hier war wohl... ein ziemlich gemeines Exemplar von Vogel, das sich nicht darum scherte, wem es die Augen mit dem nicht vorhanden Schnabel aushacken würde. "Nun, es wundert mich nicht, dass man uns gebeten hat, das für die Menschheit zu übernehmen, da ihr Wissen diesbezüglich doch eher... nichtig ist."

Ja, er machte wirklich keinen Hehl daraus, dass Menschen für ihn nichts weiter als Neandertaler war, die versuchten, im Universum Fuß zu fassen. Für ihn war es ein Leichtes, so zu reden, war sein Volk doch vertraut mit der Biotik und dem Weltall und... allem einfach.

"Ich glaube kaum, dass viele von Ihnen den hier vorhanden Ansprüchen genügen", schnarrte der Commander dann leise, während er den Blick über die Schüler schweifen ließ. Dann stand er auf und ging um das Pult herum, bedachte viele von ihnen mit einem abschätzigen Blick. Schweigend trat er an ihnen vorbei, das Schaudern, das dabei durch den Raum lief, war schon fast spürbar. Es war Kaidan, vor dem er stehen blieb, als der sich gerade die Schläfe rieb. Das helle Licht in diesem Raum machte ihm zu schaffen, die Lampen brannten mit so viel Watt, dass ihm seine Lichtempfindlichkeit in diesem Moment mit einem Holzhammer auf die Schädeldecke schlug. Den Turianer schien das eher zu amüsieren, und Kaidan ließ die Hand sofort sinken, als er ihn vor sich stehen sah.

"Ich kenne die Menschen, sie sind schwach und haben keinerlei Durchhaltevermögen. Und sie sterben ganz einfach." Die klauenartigen Hände mit den drei Fingern legten sich auf den Tisch vor Kaidan, und der junge Biotiker nahm etwas mehr Haltung an, während er dem Turianer in die schwarzen Augen mit den blauen Iriden sah. "Ich habe viele von ihnen mit meinem Geschwader erledigt. Inklusive Ihres Vaters."

Kaidan runzelte die Stirn. "Sir, mein Vater hat nicht im Erstkontaktkrieg gedient."

Es waren generell wenige Truppen gewesen, die dort gekämpft hatten und sein Vater war anderweitig stationiert gewesen, er war nie in ein direktes Feuergefecht geraten. Und nach allem, was man über den Erstkontaktkrieg hörte, war das auch nicht wirklich etwas Schlechtes gewesen. Dem Turianer allerdings schien das gar nicht zu gefallen. Kaidan wusste, dass er von nun an wahrscheinlich ihn und seine gesamte Familie für ausgemachte Feiglinge halten würde. Aber das sollte ihn nicht kümmern, schließlich wusste er am Besten, dass sein Vater sehr viel für die Allianz getan hatte. Einen Moment lang lag Vyrnnus' Blick auf seinem Namensschild und Kaidan konnte sich vorstellen, wie er die Archive nach seinem Vater und ihm durchsuchen würde. Nur zum Spaß.

"So, so..." Der Turianer wandte sich ab und durchschritt den Raum zurück zu seinem Pult mit einer stoischen Ruhe. "Wie ich bereits sagte, Sie sollen den Umgang mit Biotiken erlernen. Was nicht viele von Ihnen schaffen werden. Aber gut, Sie sind hier, und ich muss mich um Sie kümmern, ob ich will, oder nicht."

Die beißzangenartigen Wangen des Turianers zuckten, als er mithilfe von biotischen Kräften ein Datenpad in die Höhe hob, sich der Blicke der Schüler nur allzu bewusst. "Oder aber Sie glauben, dass Sie bereits perfekt sind. Dass Sie keine Kämpfe und Kriege und kein Training nötig haben, um Ihre Fähigkeiten zu verbessern."

Mit einer kurzen Handbewegung stieß er das Pad, ohne es irgendwie zu berühren, nur mit seinen Kräften von sich. Und Kaidan sah es genau auf sich zufliegen.

Oh, Schei-

Er zog den Kopf ein und duckte sich zur Seite weg, das Datenpad landete mit einem dumpfen Aufprall hinter ihm an der Wand und sank daran hinab, um dann halb zerborsten und unbrauchbar am Boden liegen zu bleiben. Erst nach einem Moment und dem Ausbleiben weiterer fliegender Gegenstände wagte es Kaidan, den Kopf wieder zu heben. Die gesammelten Blicke der anderen lagen auf ihm oder dem Pad und sein Herzklopfen schien im Moment nicht abklingen zu wollen. Dieser... er hatte wirklich etwas nach ihm geworfen?

"Man hätte das Pad natürlich auch mit einem Schutzschild aus biotischer Energie abprallen lassen oder es mithilfe der eigenen Biotik abfangen können", erklärte Vyrnnus in Plauderlaune. "Aber man kann sich auch verstecken wie ein Feigling. Auch eine sehr beliebte Option der Menschheit."

Kaidan ballte die Faust unter dem Tisch, aber er hielt sich zurück, schluckte jeglichen Kommentar hinunter, der ihm auf der Seele brannte. Es würde nichts nützen, es würde ganz und gar nichts nützen. Wenn er es hier schaffen wollte, dann musste er wohl oder übel mit diesem Tyrannen zurechtkommen...

"Nun, Alenko, mir ist leider das Datenpad aus der Hand gefallen, wenn Sie denn so freundlich wären...?"

Und in diesem Moment wünschte sich Kaidan bereits, dass er die nötigen Kenntnisse hätte, um es ihm mit voller Wucht ins Gesicht zurück zu geben.

 

"So lange es nur ein Pad war..." David stand im großen Vorratsraum der Gagarin Station und suchte sich etwas zum Abendessen aus. Es war nicht so, als würde es hier feste Zeiten für Mahlzeiten geben. Oder überhaupt einen Koch, der ihnen etwas zu Essen zubereiten würde. Hier versorgte man sich entweder selbst, oder man verhungerte. Wahrscheinlich sollte das auch eine Vorbereitung auf ihre Zukunft sein. Und man wollte sie ja schließlich nicht verwöhnen, nicht wahr?

So mussten sie sich jeden Tag selbst etwas aus dem schier endlos wirkenden Vorrat auswählen und sich in der dafür bereitgestellten Küche zuzubereiten. Jeder der das nicht tat musste hungern. Zumindest waren sie aber so umsichtig gewesen, mehrere Küchen in der gesamten Einrichtung einbauen zu lassen, um wenigstens die Chance zu gewährleisten, dass auch wirklich jeder etwas essen könnte - wenn er es denn zubereiten konnte.

"Wenn es auf dich zugeschossen wäre, dann hättest du dich sicher auch geduckt..." Kaidan drehte nachdenklich eine Büchse Ravioli in der Hand, ehe er sie kopfschüttelnd zurück in das voll gestellte Regal stellte. Auf Biotiker zugeschnittene Nahrung... Das einzige, was es immer für ihren zu hohen Verbrennungshaushalt gab, waren Energieriegel für jeden, die den Kohlenhydrathaushalt auffrischen sollten. Und dass die nicht einmal sonderlich gut schmeckten, das musste wohl nicht extra gesagt werden.

"Musst du mir nicht sagen. Mein menschlicher Ausbilder hat mal aus Versehen ein Tablett voller Essen auf mich zufliegen lassen, weil er keine Ahnung hatte, was er eigentlich tut." David deutete auf die Narbe an seiner Augenbraue. "Seitdem bin ich flinker geworden. Und besser mit meinen Schilden." Der Biotiker grinste, ehe er sich etwas Fleisch aus dem Gefrierfach des überdimensionalen Kühlschranks nahm und es mit einem leisen Seufzen in der Hand wog, während Kaidan ihn einfach nur bedrückt ansehen konnte. Immerhin hatte er nicht im Sinn gehabt, ihn zu beleidigen oder unangenehme Erinnerungen zu wecken.

"Tut mir l-"

"Hey, Kanada, kannst du kochen?" Ohne eine Warnung warf ihm David das Fleisch zu. Kaidan fing es ungeschickt auf und hob eine Augenbraue in Richtung des anderen Jungen, als so etwas wie 'ist doch das, was ihr da oben esst, oder?' aus Richtung des Kochbereichs erklang. Rindfleisch... nun gut, damit ließ sich etwas anfangen. Er schnappte sich ein bisschen Knoblauch aus dem Regal und machte sich auf nach vorne.

"Ich mach' ein ganz passables Steak, denke ich." Kaidan suchte eine große Pfanne aus dem Schrank, er hatte es noch nicht oft machen müssen, aber so lange davon keiner krank werden würde, sollte es schon in Ordnung sein. Und wer es nicht wollte, nun, der musste es ja nicht essen, nicht wahr? Es waren ohnehin nicht viele hier. Robert saß noch an einem der Tische, und dabei ein paar andere aus Kaidans und Davids jeweiligen Gruppen. Manche hatten sich selbst schon etwas zu Essen gemacht, andere warteten noch, bis die beiden endlich fertig sein würden. Schweigend schnitt sich Kaidan Fleisch und Knoblauch zurecht, ehe er sie in die Pfanne warf. "Warum eigentlich Kanada?"

Er blickte halb über die Schulter, wo David an einem der tristen grauen Küchenschränke lehnte und ihn nachdenklich musterte. "Weil es keinen Sinn hat, sich deinen Namen zu merken, so lange ich nicht sicher bin, ob du auch überlebst. Und nach deinen Erzählungen heute sieht es für dich echt mau aus."

In diesem Moment wünschte Kaidan, er hätte nicht gefragt. Wunderbar, er hatte es sich gleich am ersten Tag mit seinem Ausbilder verscherzt und war damit scheinbar in der Nahrungs- und Überlebenschancenkette ein gutes Stück weit nach unten gesackt. Das waren wirklich beruhigende Aussichten. Er wartete ja nur darauf, dass sich der Falke namens Vyrnnus auf ihn stürzte und ihm die Augen aushackte.

"Aber mach dir keine Sorgen, Ohio ist im Moment noch schlimmer dran als du." Robert war noch nicht wirklich aufgetaut, nein, aber das war wohl einfach so bei ihm, er war eher der ruhige und reservierte Typ. Und er hatte Heimweh, das konnte man spüren und gesehen hatte man es am Morgen auch, als man sein Gesicht gesehen hatte, die Augen noch immer rot und geschwollen.

"Sag so was nicht, du weißt nicht, wa-"

"Oh, das riecht gut." Überrascht von der unbekannten Stimme sah Kaidan auf, und blickte direkt in ein paar warme braune Augen, in einem ziemlich hübschen Gesicht, dass von schwarzem Haar umrahmt wurde. Das Mädchen lehnte sich über den Tresen vor den Kochplatten und betrachtete das Essen, das Kaidan gerade versuchte zuzubereiten - wenngleich er im Moment etwas von dem liebevollen Lächeln abgelenkt war, dass sich auf das Gesicht des Mädchens legte. "Gibt es eine Chance, dass davon genug für eine hungrige Person mehr übrig bleibt?"

Der Biotiker sah einen Moment lang einfach nur mit offenem Mund zu ihr, nicht wissend, wie er diese Frage jetzt am besten verarbeiten sollte. Sie wollte... etwas davon abhaben, wenn er das richtig verstanden hatte. Ja, er hatte es ganz sicher richtig verstanden und nun ja, es war sicher genug Essen für vier da, von daher sollte das kein Problem sein. Das musste er ihr nur sagen! "Ähm... ja?"

"Oh, vielen Dank!" Das Mädchen faltete die Hände und strahlte ihn einfach nur einen Moment lang an, nachdem sie sich bedankt hatte. Kaidan kannte sie zumindest vom Sehen, sie gehörte zu den anderen, die von Vyrnnus ausgebildet wurden. Zwar kannte er ihren Namen nicht, aber das war nichts, was man nicht ändern konnte, nicht wahr?

"Hey, Kanada, dein Knoblauch brennt an", erklang schließlich Davids Stimme hinter ihm und riss ihn aus seiner Lethargie. Richtig, erst das Essen, dann alles Weitere!

Und trotz angebranntem Knoblauch wurde sein Essen ziemlich gelobt, sogar von David, der meinte, dass er Kanada mal besuchen würde, wenn er wieder zurückkommen würde. Oder falls. Ob er damit das Land an sich meinte oder doch Kaidan selbst, das ließ er bisher offen. Robert rang sich sogar ein schwaches Lächeln ab, als er aufgegessen hatte. Und das Mädchen? Nun, man konnte sagen, dass es geradezu herzerwärmend war, wie sie lächelte. Dass sie lächelte. Selbst an einem Ort wie diesem.

 

Ihr Name war Rahna und sie kam aus der Türkei. Sie war ebenso wie viele andere im Mutterleib der Strahlung ausgesetzt worden und hatte entgegen aller Umstände biotische Fähigkeiten entwickelt, anstatt wie viele andere an einem Hirntumor zugrunde gehen zu müssen. Sie hatte dasselbe Problem wie jeder andere Biotiker mit L2-Implantaten. Nur, dass ihre Sorgen damit nicht ganz so groß waren wie die anderer. Lichtempfindlichkeit war ein Problem, und das kannte Kaidan nur allzu genau, nur schien es bei ihr noch schlimmer entwickelt zu sein, während es bei ihm mit den Migränen einher ging - oder diese mitunter auch auslösen konnte.

"Manchmal habe ich Schwierigkeiten, allem zu folgen, wenn es im Raum so hell ist", erklärte sie. Sie würde so gut wie nichts erkennen können und es war ihr jedes Mal, als würde sich jemand mit einer Säge durch ihren Schädel sägen wollen. Aber ansonsten fand sie wohl persönlich, dass es sie verdammt gut erwischt hatte, wenn man andere bedachte. David hatte manchmal Anfälle, die ihn für eine Weile außer Gefecht setzten. Er sagte, dass es sich für einen Moment anfühlte, als würde jemand ein Klavier auf ihn werfen und dann hielt der Schmerz für eine Weile an. Eine ganze Weile, wie es klang. Manchmal sogar für Stunden.

Robert klagte selten über stechende Schmerzen und des Öfteren bekam er sogar Nasenbluten, wenn der Schmerz zu heftig war. Alles in allem waren sie alle gehandicapt durch ihre 'Krankheiten', aber es ging ihnen besser als anderen, die sie hier gesehen und gesprochen hatten. Viel besser, wenn man hörte, dass einige sogar unter Wahnvorstellungen litten. Viele warteten nur darauf, dass ihnen vielleicht irgendwann die L3-Implantate eingesetzt werden würden, an denen schon länger geforscht wurde, aber es würde wohl noch eine Weile dauern, bis diese auch wirklich fertig gestellt sein würden.

"Als ob sie es noch schlimmer machen könnten", hatte David angemerkt, und eigentlich konnte man ihm damit nur Recht geben. Und ob man überhaupt die Chance hatte, eins davon eingesetzt zu bekommen, war eher fraglich und unwahrscheinlich.

Und so wuchs ihre kleine Gruppe langsam aber sicher zusammen. Sie waren nicht viele, aber ab und an wurde es einer mehr, der sich zu ihnen gesellte. Sie verbrachten die freie Zeit in ihren Zimmern oder einem der Gesellschaftsräumen auf dem Flur einen Stock über ihnen, spielten Karten, erzählten, lernten und tauschten sich aus. Viel mehr konnten sie hier nicht tun, aber sie versuchten, das Beste aus der Zeit zu machen, die sie für sich hatten, aus der Zeit, die ihnen allein zustand und wo ihnen niemand Befehle erteilen konnte. Es war ein wirklich gutes Gefühl, bei dem man auch schon einmal all die Schrecken, die man über Lager Gehirnwäsche überall auf Jump Zero hörte, erst einmal ausblenden konnte. Es war die beste Zeit des Tages, wo die Ausbildung doch am allerwenigsten vergnüglich war. Vyrnnus brachte sie gerne bis an ihre Grenzen und er kannte kein Pardon. Nicht wenige waren bereits einmal unter seinem strengen Kommando zusammen gebrochen. An einem Tag war Rahna gerade aus der Tür getreten, als sie fast in die Knie gegangen wäre. Kaidan hatte sie gerade noch auffangen und zur nächsten Sitzgelegenheit bringen können. Sie hatte blass ausgesehen, aber sie hatte ihm mit fester Stimme versichert, dass sie sich vor Vyrnnus keine Blöße geben wollte. Und in diesem Moment war er wirklich stolz auf sie gewesen.

Das Training bestand teils aus geistiger Arbeit, daraus, Gegenstände mit der Biotik zu bewegen und Schaden mit mehr schlechten als rechten Schilden abzuwenden. Und Vyrnnus zwang sie sogar dazu, selbst kleine Dinge wie ein Glas voll Wasser oder ein Pad oder einen Stift per Biotik zu sich zu ziehen, und sollte jemand gegen diese Regel verstoßen, so zögerte er auch nicht, entsprechende Strafen zu verteilen. "Natürlich sind mir die Dokumente aus der Hand gerutscht, aber seien Sie so gut und heben sie jedes einzelne Blatt biotisch auf... und bringen Sie sie in die richtige Reihenfolge."

Und wenn es keine einfachen Übungen waren, dann mussten sie körperliche Arbeit leisten, da man ja Körper und Geist in Einklang halten wollte. Für jemanden wie den Commander bedeutete das wohl, dass man Körper und Geist in gleichem Maße zerstörte und die Kinder bis an ihre Grenzen trieb. Es war erschreckend  gewesen zu sehen, wie eine von Kaidans und Rahnas Mitschülerinnen auf einmal aus heiterem Himmel begonnen hatte, unkontrolliert zu lachen und gleichzeitig zu weinen. Das Mädchen war aus dem Raum gebracht worden und seitdem war ihr Platz leer. Das war vor anderthalb Wochen gewesen. Zwar konnte Kaidan nicht sagen, dass er sie gut gekannt hatte, aber dieser Verlust war schon... schwer zu verdauen.

"Hätte auch jeder von uns sein können", hatte David am Abend schulterzuckend gemeint. "Komm, wir spielen 'ne Runde Karten."

Der Turianer ließ keine sich ergebende Gelegenheit aus, seine Schüler zu piesacken. Kaidan war noch immer eines seiner bevorzugten Opfer, es kam des Öfteren vor, dass Dinge zu Übungszwecken durch den Raum auf ihn zuflogen oder dass er doch den anderen die tollen Dinge zeigen sollte, die er schon mit seiner Biotik zu tun vermochte und die er nicht einmal ansatzweise beherrschte. Aber so lange man still war und nicht widersprach, war man eigentlich auf der sicheren Seite. Außer der Commander hatte einen tiefgreifenden Hass entwickelt... Dann sah die Sache schon langsam anders aus.

Robert taute langsam etwas auf. Auch er litt unter Vyrnnus' Tyrannei, gerade, weil er so ruhig und verschüchtert war, aber er hielt sich tapfer und versuchte, keine Miene zu verziehen, selbst, wenn der Commander ihn anherrschte und beleidigte. Am Abend war er dennoch relativ entspannt, scherzte mit den anderen, beteiligte sich am Kartenspiel und ließ sich auch ab und an für den Küchendienst einteilen. Wenn es ihm im Moment schlecht ging, dann bemerkte man es nicht. Manchmal erzählte von sich, von dem kleinen Familienbetrieb seiner Eltern, eine Viehzucht, in der er irgendwann arbeiten wollte, wenn er wieder daheim auf der Erde war. Manchmal ging er sogar auf Davids derbe Scherze ein, witzelte herum, wenn es hieß, dass sie alle zusammen ein paar Mädchen einladen sollten, um Strip Poker zu spielen. Kaidan konnte Rahna nur entschuldigend anlächeln, er hoffte, dass das nicht so kommen würde... Aber die Biotikerin drohte den beiden mit einer haushohen Niederlage und das dazugehörige selbstbewusste Lächeln ließ die Jungs erst einmal verstummen. Alles in allem war die Zeit, in der sie nicht an das BAaT denken mussten, wirklich angenehm. Bis sie an jedem Morgen aufs Neue die Wirklichkeit einholte.

 

"Bewegen Sie sich schneller! Ihre Kondition ist lächerlich! Wenn sie nicht einmal das durchhalten könnten, wie wollen sie dann auf Dauer von ihren biotischen Kräften Gebrauch machen?" Es war natürlich eine sehr befriedigende Idee gewesen, die dem Turianer gekommen war. Ausdauertraining. Nachdem einige von ihnen zumindest die Grundlagen der Biotik verinnerlicht hatten, war es für ihn wohl mehr als wichtig gewesen, dass sie auch die dazu nötige Kondition antrainierten. Im Dauerlauf über den riesigen Innenhof der Station. Viele von ihnen schafften kaum ein paar Runden über den kiesbehafteten Weg zu drehen, ehe sie schon schnauften und prusteten. Kaidans Kopf dröhnte unangenehm durch die Belastung und die direkte Sonneneinstrahlung. Aber Vyrnnus trieb sie weiter, anscheinend wollte er von jedem an die zwanzig Runden sehen, ehe er vielleicht zufrieden war. Rahna lief ein Stück vor Kaidan, das schwarze Haar klebte bereits an der schweißnassen Stirn. Er brauchte nur ein wenig, um aufzuholen. Früher hatte er einmal öfter Wanderungen mit seinen Eltern unternommen, ein wenig Kondition hatte er sich von damals noch bewahren können, deswegen war es im Moment noch nicht das Problem für ihn, obwohl es in seiner Brust schon ziemlich stach und brannte und ihm sein Kopf arge Schwierigkeiten bereitete. Mehr als durchhalten konnte er nicht. Und genau das versucht er.

Die Biotikerin versuchte sich an einem schwachen Lächeln und hob einen Daumen, als Kaidan sie erreicht hatte. Scheinbar würde sie durchhalten. Er erwiderte die Geste und rannte weiter, überholte Dimitri und Merle, ehe er an Robert vorbei rannte, der schon fast eher taumelte als wirklich lief.

"Geht es?", fragte Kaidan mit kratziger Stimme und trockenem Hals. Der andere Junge machte dieselbe Geste wie Rahna, die noch immer dicht hinter ihnen war, aber ihm kaufte sie der Biotiker nicht wirklich ab. Dennoch, eine knappe Erwiderung und er rannte weiter, Rahna dicht auf den Fersen.

"Sie sind mir zu langsam, ich will vor Sonnenuntergang wieder drin sein!" Das Bild vom Sklaventreiber wäre perfekt gewesen, wenn der Turianer noch eine Peitsche gehabt hätte. Aber auch so hatte man genug Respekt vor ihm, dass man den Aufforderungen ungefragt Folge leistete. Es war immerhin auch nicht so, als hätten sie eine andere Wahl.

Es verging kaum eine halbe Minute, ehe Kaidan hinter sich plötzlich einen dumpfen Aufprall hörte.

"Rahna?" Er wandte sich um, lief ein wenig langsamer um das Mädchen hinter ihm anzusehen, aber sie war es nicht gewesen, die hingefallen war. Der Blick der Biotikerin wanderte zu einem Punkt hinter ihr, ehe sie gänzlich stehen blieb und kehrt machte, und dieses Mal war es Kaidan, der ihr folgte.

Es war nicht Rahna gewesen. Er hörte sie nur einen Namen schreien, ehe sie los rannte.

Es war Robert, dessen Blut gerade den Kies dunkelrot färbte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  TheJenno92
2013-07-15T12:29:47+00:00 15.07.2013 14:29
Das Ende... Ich hasse Vyrnnus!
Scheiß Sklaventreiber... wie gern würde ich seinen Schädel spalten. Armer Robert..
Aber ich finde, dass die Figuren jetzt viel mehr Tiefe haben und man kann sich diese Truppe verdammt gut vorstellen <3. Jeder mit seinen ganz eigenen Zügen <3.
Und du stellt Kaidan wirklich exakt so dar, wie ich ihn mir immer vor Augen gehalten habe <3.
Schreibtechnisch ist das ganze so toll und es lässt sich sehr flüssig lesen <3.
Zusätzlich ich wieder, wie du die Geschichte erzählst. Aber am liebsten mag ich wirklich, dass du immer so schön Spannung aufbaust und es nicht im Sande verlaufen lässt <3
Von:  Rooro
2013-06-24T20:11:22+00:00 24.06.2013 22:11
Genau das meinte ich heute, genau das! Jetzt ist es perfekt, die Zusammengehörigkeit der vier, genau so soll es sein :) Einfach nur ein paar wenige Zeilen mehr, ein wenig Gelächter, ein wenig Ausgelassenheit und Späße, ein wenig Zusammengehörigkeitsgefühl und die vier sind ein Team! Und das sind sie jetzt, auch wenn David nicht in derselben Gruppe ist wie die anderen drei.
Vyrnnus ist einfach nur ein Arsch! Jetzt hat er ja ein paar Opfer gefunden, die er quälen kann und auch, wenns teilweise echt weh tut, das lesen zu müssen, es kommt super rüber ;___; Oder eher erschreckend, siehe das Mädchen, das lacht und weint und seitdem nicht mehr zum Unterricht erschienen ist. Entweder man hält durch und stählt sich, oder man kommt als Wrack raus. Oder als Leiche.
Und das mit Robert am Ende war einfach nur die Spitze des Eisbergs! Allein der Gedanke, wie er japsend auf dem Kies liegt und die Steine mit seinem Blut färbt, weil sein Körper weit jenseits der Belastungsgrenzen sind, nur aus Angst vor einem einzigen Mann.....
Ich kanns nicht anders sagen, ich find das Kapitel sehr gelungen! Erstmal die Tyrannei vom Turianer, wobei das ja leider erst der Anfang sein wird, aber man lernt ihn bereits zu hassen! Und dann eben die Zusammengehörigkeit der kleinen Gruppe. Ich mag das Kapitel ;____;


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