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Warme Berliner

Jaschas turbulentes Jahr
von

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September 2013

1. September - Sport ist Mord

 

"Dass ihr Kerle euch immer so wehleidig haben müsst."

Boah, dieses kleine Luder. Wenn die wüsste, welche Höllenqualen ich leide, dann würde sie ganz ruhig sein. Oder schreien wie am Spieß.

"So, und jetzt auf die Knie gehen und mit den Händen aufstützen."

"Mh, passiver Doggy Style", murmelt Tim erfreut. Der guckt zu, wie ich mich abrackere. Nachher muss er eine Strafwäsche ableisten dafür. Ach, eigentlich hätte er es sich verdient, mich den ganzen Tag über einzuseifen. Schließlich hat er Moo und Flori herbestellt, um sich mein Schicksal zu begucken aka mich zu unterhalten. Und wie der Zufall es so wollte, posaunte Flori heraus, dass Andie, die eine Ausbildung zur Physiotherapeutin macht, mir sicher helfen könnte.

Ja, und nun knie ich hier, mal liege ich auch wie ein Maikäfer auf dem Rücken und lasse mich malträtieren.

Und mir wird klar: Andie mag ich nur, wenn sie mir eine Lesbenshow liefert. So herrisch kann ich sie nicht leiden.

 

Zusätzliche Erkenntnis des Tages: Jeglicher Sport ist Mord. Einschließlich Sex. Man sieht ja, was man davon hat, wenn man es seinem Freund besonders geil besorgen möchte. Da tritt einem das Schicksal zur Strafe so fest in den Rücken, dass man total ausgeknockt ist.

 

2. September - Idiot

 

Der Arzt hat gesagt, ich hätte mir eine Zerrung zugezogen. Zum Glück wollte er nicht wissen, wie das passieren konnte. Allerdings gab er mir eine Spritze. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich mich auf Arbeit gequält.

Morgen soll ich wieder einsatzbereit sein. Na, mal sehen. Jetzt torkle ich zumindest noch herum wie eine alte Ente. Sogar als mir jemand auf die Schulter tippt, kann ich mich nicht in Windeseile herumdrehen und meinem Betatscher eins auf die Zwölf geben. Langsam sind meine Bewegungen. Wie die eines alten Opas.

Hinter mir steht ein Typ. Nicht hässlich, aber auch nicht hübsch. Durchschnitt. Blonde Haare. Ohrring rechts. Wie ging der Spruch? Links cool, rechts schwul? Mh.

Der Kerl lächelt. Lacht er mich aus? Falls ja, denn werde ich dafür sorgen, dass er ebensolche starken Schmerzen empfindet wie ich.

 

"Du bist doch andersrum, oder?"

Hä? Wie jetzt? Andersrum? Lauf ich auf den Händen, oder was?

Wahrscheinlich rafft der Kerl, dass ich gar nichts raffe. Und rafft sich auf, mir einen Hinweis zu geben.

"Schwul?"

"Was geht dich das an?"

"Ich hätte da nen heißen Tipp für dich. Vorausgesetzt, du kannst was mit Schwänzen anfangen."

Skeptisch ziehe ich eine Augenbraue in die Höhe. Wotzefack.

Obwohl ich nichts mehr sage, streckt mir der Typ ein Kärtchen entgegen.

"Kannst ja vorbeikommen. Geht Samstag?"

"Nee."

"Sonntag?"

"Mh."

Ich bin mit dem Studieren der Karte beschäftigt. Eine Adresse steht darauf. Was führt dieser Idiot im Schilde?

"Cool, also, bis dann."

Tze. Ich schaue dem Typen mit der Meise unter dem blonden Pony noch eine Weile hinterher.

Ich sags ja, Idiot. Ich kenne ihn nicht, aber ich weiß jetzt schon, dass er einer ist. Allein wie sein Arsch in der engen Hose beim Laufen wackelt.

Mal sehen, was Tim zu der Sache sagt. Ist ja schon irgendwie krass, das Ganze.

 

3. September - Höhen und Tiefen

 

Tim möchte den Schwulian besuchen. War mir klar. Aber ich bin ja selbst neugierig, was mich in diesen heiligen Hallen erwartet. Vielleicht der Goldtopf vom Ende des Regenbogens. Oder jemand, der mir sagt, dass mein Leben ein einziger Witz sei und ich nur geschaffen wurde, damit Satan etwas zum Lachen hätte. Wer weiß das schon. Manchmal erscheint mir besonders letztere Sache recht glaubwürdig.

 

Benjamin hat heute auf der Toilette gewichst. Jede Wette. Ich will es mir nicht genauer vorstellen. Jedenfalls sagte mir der Typ hinterher, ich solle mir öfter an der Palme wedeln, damit ich ein bisschen lockerer werde. Damit sich das Abspritzen leichter gestaltet, wollte er mir eine Seite für pornografisches Material von Shemales empfehlen. Ich lehnte dankend ab. Wer weiß, vielleicht hat er dort schon einen Vic-Porno hochgeladen. Und es würde mich wider Erwarten anmachen. Kann ja sein. Dass Vic keine Shemale ist, wage ich allerdings nicht auszusprechen. Schließlich möchte ich weiterhin die Höhen und Tiefen meines Lebens durchstehen und nicht als kleiner Quark in der Ecke enden. Deswegen sollen mir auch diese Shemales nicht auf die Pelle rücken. Ich verliere schon mein Augenlicht, wenn ich nur an diese akkuraten Frauen mit einer Überraschung in der Hose denke.

 

4. September - Gib mir noch Zeit

 

"Und, wie geht's deinem Kreuz?"

Tim sorgt sich um mich. Er ist eine gute Krankenschwester. Auch ohne Häubchen.

"Geht schon."

"Schön."

Schweigen. Wir sind eben wie ein altes Ehepaar. Wir kennen uns gut und sind beide keine Meister der Konversation. Aber das macht nichts. Hauptsache ich weiß, dass Tim am anderen Ende der Leitung ist. Dann ist er wenigstens irgendwie da, auch wenn er es eigentlich nicht ist.

"Du, ich würd gern wiedermal top sein."

Aus heiterem Himmel trifft mich dieser Schlag. Aber dieser Wunsch erscheint mir logisch, ist er doch schon bei meiner Krankengymnastik aufgeflammt. Tim mag es, wenn ich für ihn den Hund spiele. Leider mache ich es nicht gern.

"Ach Mann...dabei geht mir keiner ab, weißte doch."

"Wir müssen es nur richtig anstellen." Tim hat immer ein Argument. "Ich hab ne Idee. Kann ich morgen vorbeikommen?"

Wieso fragt er das?

"Natürlich. Mein Herz und mein Haus stehen dir jederzeit offen."

Er kichert. Jetzt würde ihm die Krankenschwesterkleidung wieder gut stehen, glaube ich.

Aber er führt etwas im Schilde. Nicht gut.

Ja, ich würde Tim den Hund vorspielen, doch ich kann mich dazu nicht noch einmal überwinden. Jedenfalls nicht heute und morgen. Vielleicht irgendwann. Ich brauche noch Zeit.

 

 

5. September - Klein

 

Ehrfürchtig betrachte ich dieses Ding. Nachtschwarz ist es und wirkt nicht sonderlich realitätsnah. Es ist klein, aber für mich trotzdem ein Monster. Tim wird sich für diese Aktion noch angemessen entschuldigen müssen. Ich bin ein bisschen sauer.

"Probiers doch einfach aus", meint Tim. "Ich würd mich doll freuen, wenn du auf den Geschmack kommen würdest. Du weißt ja, wie man den geilen Punkt trifft."

Mh. Griesgrämig gucke ich vor mich hin. Ich muss mir noch überlegen, ob ich Tim den Gefallen bereite. Wahrscheinlich bekomme ich es sowieso nicht über das Herz, mir dieses Teil in den Allerwertesten zu schieben. Denn sei es machohaft oder nicht: Ich bin nicht in der Position, um mich vögeln zu lassen. Ich vögele. Außerdem gefällt mir Tim viel besser, wenn er unter mir liegt und das empfängt, was ich für ihn bereithalte.

 

Das Ding liegt auf dem Tisch. Vorsichtig berühre ich es. Vielleicht beißt es plötzlich, weil es spürt, dass ich es nicht mag.

"Ich helf dir auch dabei."

Ach nee. Tim soll meiner Blamage nicht beiwohnen. Bestimmt benehme ich mich wie eine elende Pussy, die größere Angst vor dem Gerät als vor einer Spritze hat.

Tja, es sind eben die kleinen Dinge im Leben...

 

6. September - Prüfungen

 

Langsam. Es sticht. Kleines Teil ganz groß. Noch ein Stück. Oh scheiße. Vielleicht hätte ich mehr Gleitgel verwenden sollen. Doch nun ist es zu spät. Ich muss das durchziehen. Denke dabei ganz fest an Tim. Nur für ihn tue ich mir das hier an.

Mein Leben hält eben ständig schmerzhafte Prüfungen für mich parat. Psychische Herausforderungen vermischen sich mit physischen.

Aber da muss ich jetzt durch. Egal, wie fies es zwickt und zwackt an meinem Allerwertesten. Ramm dir den Prügel rein, Jascha. Ramm ihn dir rein, das kann doch nicht so schwierig sein. Irgendwann geht es sogar leichter, aber schön ist es nicht. Und ich bezweifle, dass sich der Genuss noch einstellen wird.

Deswegen stoppe ich an dieser Stelle. Blase die ganze Sache ab. Schmeiße die Plastikwurst in die Ecke. Ich werde Tim sagen, dass ich mit Spielzeugen nicht viel anfangen kann. Schließlich bin ich kein Kind mehr.

Prüfung nicht bestanden, würde ich sagen. Aber was juckt mich das. Irgendwie werde ich Tim schon weismachen, dass ich keinen 'geilen Punkt' in meinem Inneren besitze und deswegen dem seinen huldige. Tim ist eben ein anatomisches Wunder. Ein Homunculus.

Ach, was laber ich. Ich muss jetzt erst mal meinen wunden Arsch versorgen.

 

 

7. September - Egoistisch

 

Manchmal ist Tim wie ein bockiges Kleinkind. Besonders, wenn er die Arme verschränkt. Kombiniert mit dem finsteren Blick ist allerdings schon fast wieder niedlich. Leider schlägt mein Versuch fehl, mit einem Wollknäuel dem Katzen-Tim wieder eine heile Welt zaubern zu wollen. Eigentlich war das ja Bepanthen mit der heilen Welt. Und die hab ich mir auf meinen wunden Arsch geschmiert.

 

"Ich find das schon doof", meint Tim und versucht gechillt zu wirken. Gelingt ihm allerdings nicht. Meine Glaskugel verriet mir übrigens, dass Tim vor Freude über den erwarteten Rollentausch wie auf Speed über den Teppich getobt ist. Und nun habe ich ihm mit meinem Geständnis verbal in die Magengrube geschlagen. Sorry.

 

"Ist schon egoistisch, dass du immer top sein willst."

Ich seufze, haue mich neben Tim aufs Sofa und streichle ihm schnurrend über die Wange.

"Was haben wir denn da, den Schmunzelhasen!", stelle ich fest, als ein Lächeln auf seinem Gesicht heranwächst und glaube, nun ist mir Tim schon gar nicht mehr böse. Wäre auch furchtbar, schließlich wollen wir morgen den Schwulian besuchen.

"Aber du probierst es wiedermal?"

Ich brumme nur. Nur damit Tim zufrieden ist. Doch wahrscheinlich hätte der Kuss auch genügt, den ich ihm auf den Mund drücke.

 

8. September - Floß

 

Der Schwulian ist einer, den kannst du nicht vergessen. Auch wenn du es dir vorgenommen hast. Denn man sieht ihm nicht nur an, dass er homosexuell ist, nein, viel dramatischer ist die Tatsache, dass er ein weiteres Schwein im Stall der Perversen darstellt.

Das erste, was er von uns - speziell von mir - verlangte, war ein Striptease. Ohne Mist, ich sollte meine Hüllen fallenlassen. Ich weigerte mich. Deswegen stehen Tim und ich nun auch dumm da und wissen nicht, ob wir flüchten oder eine Schlägerei anzetteln sollen. Doch das Schicksal hat mal wieder mitgedacht. Es schickt nämlich Vic. Ja, Vic. Dieser schreitet nämlich nur mit einem Handtuch um den Körper aus dem Badezimmer. Ich raffe nichts mehr. Vic scheinbar auch nicht. Seine Augen fallen beinahe aus den Höhlen.

"Bin ich hier bei der Comedyfalle?", blaffe ich Schwulian an, der jedoch nicht so schnell antworten kann wie Vic fluchen.

"Verpiss dich", wettert er und Tim und ich folgen prompt seiner Aufforderung.

 

"Was sollte das jetzt?", frage ich Tim, als wir endlich der Höhle des Löwen entkommen sind. Tim allerdings schaut nur ratlos und schüttelt den Kopf. Ja, genau so sieht es auch in meinem Inneren aus. Nur einen Zacken aggressiver.

"Also ne Floßfahrt sollte das bestimmt nicht werden", nuschle ich. "Dafür zieht man sich zwar auch aus, aber nicht komplett. Alter, der wollte mich nackig sehen und wer weiß was dann noch gekommen wäre. Und was hat Vic mit dem zu tun? Mag sein, dass die sich durch die Schwulenszene kennen, aber wenn Mr Schwulschwul wirklich alle seine Gäste zunächst bittet, sich freizumachen, sollte man vielleicht mal das bunte Auto kontaktieren."

Ich bin in Rage, Tim schweigt. Was soll er auch sagen? Die Hintergrundinfos kennt er ebenso wenig wie ich.

Und ja, ne Floßfahrt sollte das nicht werden. Garantiert nicht.

 

9. September - Kneipe

 

Wir einigten uns darauf, dass Schwulian und Vic plemplem in der Birne sind. Dass es der passive Analsex sein könnte, der blöde macht, wollte Tim allerdings nicht hören.

Da der Arbeitstag anstrengend war und ich nur noch pennen will - nachdem mir Tim einen Blowjob verpasst hat und dann vor Erschöpfung weggeschnarcht ist - lasse ich es gut sein. Man sollte sich seinen Energievorrat für die schönen Dinge des Lebens aufheben.

 

Aber nichts da mit schönen Dingen. Wir schlafen friedlich in unserem Bett, als ich plötzlich durch ein Türklingeln aufschrecke. Sauer sowie schlaftrunken erhebe ich mich, hoffend, die Herrin wäre nicht erwacht und ließe mich wegen des Krachs meine Rache spüren. Obwohl ich gar nichts dafür kann. Selbst als ich die Stimme am Sprechautomaten als die Vics identifiziere, trifft mich keine Schuld. Hab ich mir ausgesucht, Vic zu kennen? Ja, kann schon sein. Trotzdem.

 

In Unterhosen stehe ich im Türrahmen, als Vic samt einer zweiten Person erscheint. Erwartungsvoll lege ich meinen Kopf schief. Die kommen bestimmt aus der Kneipe.

"Was soll das jetzt?", pampe ich, als sich die Person Nummer zwei als Felix entpuppt. "Ich hab keinen Bock auf euch, schon gar nicht jetzt."

Vic aber hat die Maske mit dem Hundeblick aufgesetzt.

"Jascha...wir wären nicht hier, wenn es nicht dringend wäre. Dürfen wir bei dir pennen?"

Hab ich ein Gasthaus, oder was? Aber sie haben Glück. Ich bin zu müde, um mich aufzuregen. Am nächsten Morgen werde ich es sicher bereuen, 'ja' gesagt zu haben. Momentan will ich nur zurück in meine Kiste und zu meinem warmen Freund. Zu meinem warmen Berlinerchen. Scheiße, wie schwul denke ich eigentlich mitten in der Nacht?

 

Vic und Felix sollen die Nacht in meinem Zimmer verbringen. Wo und wie sie pennen ist mir egal. Ich glaube, ihnen auch. Na dann gutes Gelingen, Sandmännchen.

 

10. September - Wir kommen ins Geschäft

 

Ich wusste es. Seit Anbeginn der gemeinsamen Zeit mit Benjamin plagte mich dieses seltsame Gefühl im Bauch. Die Sache mit den Shemales, den Pornos und der Masturbation auf der Personaltoilette - all diese Dinge ließen mich an der Reinheit dieses Antagonisten des Drehbuchs 'Mein Leben' zweifeln. Und jetzt ist es offiziell: Benjamin hielt sich Vic und Felix, damit sie ihm das große Geld verschafften. Vic stellte den aufstrebenden Pornostar dar, die Shemale, die keine ist, und Felix musste auf den Strich gehen. Ohne Mist. Ich habe auch blöd geguckt. Denn: Welcher Idiot sucht sich ausgerechnet Felix aus, um sich einen Orgasmus zu verschaffen? Eben, niemand. Niemand außer Vic. Und vielleicht noch Benjamin.

 

Wir kommen ins Geschäft. Vic und Felix sind nun meine Sklaven. Aber ich benötige sie lediglich für das Tragen der Einkaufstüten. Mein Genussmittel ist und bleibt Tim.

"Und dann seid ihr abgehauen?", fragt Tim noch immer etwas ungläubig in die Runde. Ich reiße jedoch das Wort an mich, noch ehe mein Freund erneut den Mund aufmacht und weitere unintelligente Sachen herauspurzeln.

"Schön blöd seid ihr", grummle ich, den Einkaufswagen vor mir herschiebend und lecker Nutella einladend. "Hättet ihr dem doch aufs Maul gehauen, als ihr gemerkt habt, dass Benni-Boy euch ausbeutet."

Benni-Boy wollte Vic nämlich mit einem fremden Typen vögeln lassen. Für Geld. Und so ne Schlampe ist nicht mal mein kleiner, femininer Ex.

Felix hatte ne Tracht Prügel angedroht bekommen, weil er nicht genug Geld auf dem Strich eingesammelt hatte. Mh. Der Kerl scheint echt für jeden der Boxsack zu sein. Wenn du dieses Gesicht siehst, beginnt deine Faust ein Eigenleben zu führen.

Trotzdem, Benjamin ist doof. In dem Punkt sind wir uns alle einig.

Vic und Felix sagen nichts mehr. Selbst dann nicht, als ich dem Emolein in den Arsch fahre. Es ist aber auch reizvoll.

 

 

11. September - Waschlappen

 

Es ist vollbracht. Sozialstunden abgeleistet. Adieu, Altersheim und vor allen Dingen adieu, Benjamin! Am liebsten hätte ich ihm zum Abschluss einen Waschlappen rektal eingeführt. Aber so schmerzpervers war ich doch nicht.

Meine masochistische Ader blüht ohnehin in allen möglichen Farben, denn Felix und Vic hängen rund um die Uhr bei mir ab. Keine Ahnung, wieso. Vielleicht sehen sie in mir eine Vaterfigur. Beide wissen schließlich, wie gut ich im Ernstfall zuhauen kann; Beton ist meiner Eisenfaust dennoch zu hart. Nein, meine lieben Kinderchen, ich werde Benjamin nicht das geben, was er verdient. Denn ich hänge an meinem Leben. Und Tim liegt auch viel daran, dass es mich noch eine Weile gibt. Schließlich besteht sein Lebensziel darin, meinen Arsch zu penetrieren.

Aber nicht heute. Heute wird gefeiert, denn ich bin ein freier Mann. Natürlich wohnen auch Felix und Vic dem freudigen Ereignis bei, obwohl ich gemeinsam mit Tim und Alkohol meine Privatsphäre genießen wollte. Doch wenn sie schon mal da sind...

Angetrunken bin ich, als sie eintreffen. Breitbeinig sitze ich auf dem Bett, die Pulle in der Hand.

"Tanzt, ihr Nutten, der König hat Laune!", gröle ich, glaube aber, die Kleinen nehmen mir den Spruch übel. Dabei bin ich wirklich König.

 

12. September - Umschlag

 

"Tuffi!"

Was will der denn jetzt schon wieder?

"Nicht vor den Kindern", weise ich Tim zurecht. Vic und Felix sollten eigentlich nicht von meinem peinlichen Kosenamen erfahren. Nun aber wissen sie alles. Und sie kichern dumm.

"Hahaha!", äffe ich sie ärgerlich nach. Wie sie da vergnügt auf diesem Mauervorsprung sitzen und die Beine baumeln lassen. Nun lachen sie sogar noch mehr. Ich sollte echt andere Töne anschlagen. Benjamin hat mit seinen Erziehungsmethoden vielleicht gar nicht so danebengelegen. Außerdem: Es ist noch gar nicht lange her, da empfand Vic meine sexuellen Qualitäten so herausragend wie die eines Lutschers. Und Felix hatte ursprünglich mal Angst vor Onkel Jascha. Und jetzt? Jetzt sind sie frech. Einfach nur frech.

"Ich bin noch lieber Tuffi als Shemale", wettere ich weiter. Ha, endlich bleibt dem Blondchen das Lachen im Halse stecken. "Ist doch so", trete ich nach.

Tja, so ist das halt. Wer bei mir Asyl beantragt und mir noch Tage später auf die Pelle rückt, der wird eben gemobbt.

"Pass du nur auf", erhebt Vic seine Stimme. Er versucht drohend zu klingen, glaube ich.

"Irgendwann kannst du deine Zähne im Umschlag aufbewahren."

Höhö. Der Kleine will mich schlagen. Der ist doch genauso ein Pussyfighter wie Tim. Von Felix ganz zu schweigen. Wie ich mich fürchte.

"Tuffi", höre ich nun wieder Felix leise brummeln. Dann grunzt er vor Vergnügen. Und Vic stimmt ein. Er ist wohl schon nicht mehr sauer.

Während die beiden Spaß haben, wende ich mich an Tim.

"Schön!", rüge ich meinen Freund. "Warum gehst du nicht gleich ins Fernsehen damit?"

Tim aber schlingt mir von hinten seine Arme um die Hüften und legt den Kopf auf meine Schulter.

"Böser Jascha. Arwww", macht er und klingt dabei wie ein Hund, der sein Schnuffeltuch zerfetzt.

Na schönen Dank auch. Die machen mich alle so fertig.

 

 

13. September - Geschichten erzählen

 

Da sitzt er, der Pimpf. Wenn Vic für eine Sekunde von seiner Seite weicht, dann ist er wieder der kleine, ängstliche Neurosenemo, den ich kennengelernt habe. Plötzlich scheint er sich wieder vor mir zu fürchten. Aber gestern eine große Fresse haben und über Tuffi lachen.

Warum ich mich überhaupt mit ihm abgebe, fragt ihr euch? Tja, so steht es im Drehbuch meines Lebens. Es ist mein unvermeidliches Schicksal, ihn ertragen zu müssen. Im Grunde ist Satan an allem Schuld. Denn ich bin sein kleines Püppchen, dessen Gelenke er mit Stricken bewegt. Manchmal hoffe ich, die Fäden würden sich verheddern und sich ungünstig um meinen Hals schlingen, aber in meiner Rollenbeschreibung steht nicht, dass ich selbstmordgefährdet bin. Nur in Felix' Steckbrief findet eben jenes Adjektiv Erwähnung.

 

Besagter sitzt auf meinem Bett. Ja, auf meinem Bett. Nun ist es verseucht mit schwarzer Emotionalität. Doch ich sage nichts dazu. Vielmehr ist es Felix, der plötzlich die Fresse aufmacht. Das macht mich so sprachlos, dass ich einfach nur zugucken kann, wie die Katz von ihrem Kapuzenhoodie imaginäre Fusseln abzupft, während sie es nicht wagt, mich anzuschauen.

"Ich wollt mich wegen der Anzeige entschuldigen", entweicht es kleinlaut seinen kleinen, blassen Lippen. "Habs ja eh verdient, dass du mich geschlagen hast. Ich hab falsche Geschichten erzählt, ich bin ein Arschloch, ein -"

"Ist ja gut", mache ich dem geballten Selbsthass ein Ende. Eigentlich habe ich keinen Bock mehr, mich über den Vorfall aufzuregen. Vorbei ist schließlich vorbei.

Als ich bemerke, dass der Ärmel von Felix' dicken Kapuzenhoodie ein Stück hochgerutscht ist und sein zerschnittenes Handgelenk freigibt, vergeht mir sowieso alles.

"Zieh das runter", weise ich den Kleinen mit einem Blick auf die Stelle hin, die mich schwach macht. Hastig leistet er dem folge. Doch gegen die Gänsehaut auf meinem Rücken hilft das auch nicht mehr. Brr.

 

 

14. September - Der Schuss ins Blaue

 

Auch wenn Vic und die Ritzekatz neben Tim momentan einen großen, meiner Meinung nach viel zu ausladenden Platz in meinem Leben einnehmen, so wird mir bald bewusst, dass es auch noch anderes, intelligentes Leben auf diesem Planeten gibt. Nun, die Anzahl der grauen Zellen in mancher Menschen Hirn scheint äußerst begrenzt zu sein. So begrenzt, dass man seinen Ausweis vorzeigen muss, um die Gefahrenzone passieren zu können. In Moos Birne ist jedenfalls der Knisterspaß ausgebrochen.

 

"Mein Bruder kommt."

"Ich hör nichts."

Ich versuche, witzig zu sein, doch meinen Versuch entpuppt sich als Schuss ins Blaue, genau wie der Orgasmus von Moos Bruder. Obwohl sich eher sein Körper von A nach B zu bewegen droht als dessen Manneskraft.

 

"Nächste Woche kommt er."

Ich erinnere mich, dass Moo kein Einzelkind ist. Dass sein Bruder auf keinem Familienfoto zu sehen ist, gibt mir zu denken. Entweder, er ist potthässlich oder würde mit seiner Schönheit die ganze Jakob-Sippe in den Schatten stellen. Ich tippe auf ersteres. Denn Moos Eltern können einfach keine attraktiven Gene verbreiten.

 

"Ist er cool?", will ich wissen. Moo zeigt sich emotionskarg.

"Deine Witze werden dir im Hals stecken bleiben", sagt er nur, während ich grüble, was er wohl damit meint.

 

15. September - Hilf mir

 

Man nimmt an, dass ein Großstadtkind schon in jungen Jahren alles von der Welt gesehen hat. In Berlin vereinen sich schließlich die Kulturen, genau wie die Subkulturen. Und trotzdem verstören diese einen noch manchmal.

 

Ich dachte, solche wie Felix gehören eigentlich in die Geisterbahn. Doch die Katz erscheint armselig, wenn man bei Edeka an der Kasse steht und vor einem ein nach Schweiß stinkendes, langhaariges Tier Bierflaschen auf dem Band aufbaut. Ich hätte ihm gern mitgeteilt, dass Wasser seinen Loden nicht schadet, doch diese schwarzgekleidete Mischung aus Bär und Mensch ist bewaffnet. An ihrem Arm prangt ein Lederband mit Stacheln. Sofort bin ich mir sicher, dass dies ein Sadomasospielzeug ist, denn seit Tim denke ich bei langen Gegenständen zweideutig. Ich kann nicht einmal mehr an den Gurken vorbeigehen, ohne blöd zu grinsen.

 

Im Moment grinse ich allerdings kein Bisschen. Dieser Typ ist gefährlich, sagt meine männliche Intuition. Und obwohl ich mich verteidigen kann, liebäugle ich mit den Einkaufstüten.

Vielleicht nimmt er es nicht mit kopflosen Gegnern auf. Vielleicht steht er aber darauf, netten Menschen die Luft abzuschnüren, mitten im Einkaufszentrum. Schließlich sind wir alle ein bisschen hardcore.

Trotzdem.

Ich bin froh, dass ich es bin, der ihn von hinten sieht.

 

16. September - Hoffnung

 

Oma hat bald Geburtstag, ob ich will oder nicht. Und ich will definitiv nicht. Jeder weiß, dass Oma-Geburtstage zum Sterben langweilig sind.

Die Herrin besteht darauf, dass ich an ihrem Ehrentag teilnehmen soll. Faselt irgendwas von 'es könnte das letzte Mal sein', weil Oma nicht mehr die Jüngste ist. Und selbst ich bin nicht so böse, dass ich es wage, Hoffnungen zu hegen. Obwohl es mir auch egal ist, wenn man die Früchte, die ich säte, operativ entfernt. Zum Glück mag Tim Arschlöcher. Und ich auch.

 

"Hat Oma noch diese verdammte Katze?", will ich von meiner Mutter wissen. Sie schüttelt den Kopf.

"Die ist gestorben."

Man merkt, dass ihr das Theatralische liegt. Ganz im Gegensatz zu mir bodenständigem Hinterloch.

Die Katze ist also tot. Obwohl ich sie als ‘verdammt‘ bezeichnet habe, mochte ich sie, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Sie war vor Tim die einzige, die sich gerne von mir streicheln ließ. Meine magischen Hände brachten sie stets zum Schnurren. Und nun ist dieses Drecksvieh verreckt und ich habe bei Oma nichts zum Befummeln. Sich bei Kaffee und Kuchen am Schritt zu spielen, kommt nicht so gut.

 

"Kann ich Tim mitnehmen?"

Dass die Herrin nicht 'Ja!' schreiend um den Ecktisch rockt, entsprach meinen Erwartungen. Schade ist es dennoch.

Sie guckt mich so lange zerknirscht an, bis ich klein bei gebe.

"Vergiss doch mal, dass Tim und ich...den Teufel bilden. Er ist trotzdem mein Kumpel, egal wie heftig das Bett in der Nacht klappert."

Ich hege Hoffnungen, denn Sprachlosigkeit von Seiten meiner Mutter ist als gutes Zeichen zu werten. So auch heute.

"Aber ihr behaltet eure Finger bei euch!", verlangt sie, und ich verspreche es.

 

Erst später fällt mir ein, dass Tim aus dem Grund mitkommen sollte, weil die Katze tot ist und ich meine Finger eben nicht bei mir behalten wollte.

 

17. September -  Jung und Alt

 

"Du willst mir an den Sack gehen, während deine gebrechliche Oma in ihrem russischen Kaffeetässchen rührt? Willst du, dass sie einen Herzinfarkt erleidet?"

An manchen Tagen ist Tim zu vernünftig für mich. Wenn er auf dem Oma-Geburtstag ebenfalls den Spießer heraushängen lässt, werde ich den Hahn des Samowars befingern und nicht Tims. Hart sind die Dinger beide, und aus beiden fließt manchmal warmes Wasser. Nicht, dass ich darauf stehen würde. Ich nasche lieber von der Kaffeesahne.

 

"Einen Scheiß will ich", erwidere ich. "Es ist nur so, dass ich einen Kulturschock erleide, wenn ich mich lange mit alten Leuten umgebe."

"Im Altersheim musstest du dich stundenlang mit ihnen abgeben."

"Ja, und irgendwann mochte ich Spitzentischdecken."

Er wirkt skeptisch. Ich hasse das, denn es bedeutet, dass Tim sein Gehirn überbeansprucht. Und ein überbeanspruchtes Hirn fickt nicht gern. Meine Ausnahme bestätigt die Regel.

 

Eigentlich will ich über dieses Thema nicht reden. Viel lieber will ich mit Tim im Bett bleiben. Zum Glück gehört dieser Abend nur uns. Vic und Felix sind noch im Kindergarten.

 

"So gebrechlich ist meine Oma gar nicht", erkläre ich Tim. Eine seiner Haarsträhnen klebt an seiner leicht schwitzigen Stirn. Ich bin so heiß, dass sich seine Poren öffnen. Ich bin ein Samowar. "Wahrscheinlich wird sie mich mit ihrem Kaffeetässchen erschlagen, wenn ich unorthodoxe Dinge tue. Du kennst die russischen Frauen nicht. Total rabiat sind die."

Eine meiner Hände schleicht sich auf Tims Oberschenkel.

"Lass mich dir zeigen, dass auch in mir eine russische Frau steckt."

"Wow, bist du männlich. Tuffi. So männlich wie deine eigene Großmutter."

Tim grinst, und ich fühle mich alt. So alt, dass ich mir plötzlich beigefarbene Schuhe wünsche.

 

Fazit: Alte Menschen und Subkulturen machen mich krank. Und ich habe mit beiden intensiven Kontakt. Aber nicht so intensiven wie mit Tim.

Ich bin doch nicht pervers.

 

 

18. September - Bett

 

Vic ist wie eine Kakerlake auf den Kanaren. Diese sind in Hotels willkommen, sogar im Doppel- oder Dreierpack.

Vic kommt auch im Doppelpack. Doch heute scheint er allein zu sein, was seine offensichtliche Langeweile suggeriert. Denn als ich ihm im Flur begegne, bemerke ich, dass er etwas trägt, was ihm nicht gehört. Man sagt Männern nach, dass sie nichts mitbekommen, doch meinem Adlerauge entgeht nichts. Vielleicht liegt es auch daran, dass dieser Lederrock meine Sexualsynapsen aktiviert. Zumindest, wenn Vic ihn trägt.

 

Ich packe ihn am Arm. So heftig, dass er doof kreischt.

"Woher hast du den her?", will ich wissen, deute unter seine Gürtellinie.

"Gefunden", erwidert die Blondine eingeschnappt.

"Meine Mutter poliert dir deine Puderfresse." Doch Vic zeigt sich unbeeindruckt und versucht, meinem Griff zu entkommen. "Nicht, dass du dich wunderst."

Was erwidert die feine Dame daraufhin?

"Geh doch ins Bett, Jascha."

"Das werde ich tun, mein Täubchen", rufe ich ihm hinterher. "Aber nicht mit dir."

Obwohl sein Arsch in dem Rock tatsächlich gut zur Geltung kommt. Aber er erinnert mich an meine Mutter. Und daran, dass Tim mich umbringen würde. Oh ja, das würde er. Er mag vernünftig und schmerzpervers sein, aber er würde mich köpfen. Das spüre ich.

 

19. September - Es grünt so grün

 

Ja, ich bin auch der Meinung, dass wir kein Heim für benachteiligte Jugendliche bilden. Und ich stimme dir zu, Mutter, dass wir etwas ändern müssen. Doch dass du mir drohst, mich auf die Straße zu setzen, nur, weil ich ein gutes Herz habe, geht zu weit. Und noch weiter geht, dass du Tim als verschrobenen Bengel bezeichnest. Natürlich entspricht dies einer Tatsache, aber darüber müssen wir uns nicht streiten.

 

"Die haben schlechten Einfluss auf dich. Schau sie an..."

Besonders von Vic habe ich mir schon viel angeschaut. Von Tim ganz zu schweigen. Meine Knutschpuppe erkenne ich an der Form ihrer Sacknaht. Habe ich Tim in Gedanken gerade Knutschpuppe genannt? Es grünt so grün in deinem Kopf, Jascha. Deine Mutter hat Recht. Leider. Es sind die Schwulitäten, die seltsame Keime in meinen Kopf pflanzen, aus denen giftige, aber unwiderstehliche, pinkfarbene Pflanzen erblühen. Hilfe.

 

"Entweder, sie verschwinden, oder ich muss böse werden."

"In meiner Brust schlägt ein Herz in der Größe eines Walrosssackes! Ich-"

"Hör auf, die Mutter Teresa zu spielen", fällt sie mir ins Wort. "Du rast mal mit 180 in die Hölle. Da hilft keine Tarnung."

Ich hab noch mein Kinder-Engelskostüm. Das wird mir zur Seite stehen. Du wirst sehen.

 

20. September - Spielereien

 

Ich wittere sie regelrecht, die Spitzentischdecken. Und ich weiß, dass meine Nase mich nicht getäuscht hat, als ich sie erblicke. Es wird nicht lange dauern, bis ich eine besitzen möchte. Alles nur eine Frage der Zeit.

Oma guckt Tim aus ihren kleinen Äuglein an, als ich ihn als meinen Kumpel vorstelle. Wahrscheinlich wittert sie auch was. Die gute Nase scheint in der Familie zu liegen.

Noch sagt sie nichts. Erst als wir am Tisch sitzen und ich die dämliche Katze vermisse, legt sie los.

"Heutzutage lässt man abartige Spielereien zwischen Männern gewähren", erklärt sie in ihrem Kaffeetässchen rührend. "In der Heimat hat man früher an Homosexualität erkrankten Knaben die Hoden abgeschnitten."

Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Zumindest wage ich es nun nicht mehr, meine Hand auch nur ansatzweise in Tims Richtung wandern zu lassen.

Eigentlich hatte ich vermutet, auch Tim würde nun seine Fresse halten, nachdem ihm demonstriert worden war, wie hardcore russische Frauen sind. Doch nichts da.

"Na ja", sagt er und schlürft an seinem Tässchen. "Man kann auch ohne Eier Spaß haben."

Ich trete ihm so doll auf den Fuß, dass er fast in den Tee kotzt.

Wahrscheinlich hilft beim Austreiben mancher Meinungen nur eine Reitgerte.

 

 

21. September - Tradition

 

"Aber Jascha! Wir können nicht heim!"

Vic mutiert zu meiner Mutter. Nicht nur kleidungstechnisch.

Sogar der sonst so apathische Felix ist ganz aus dem Häuschen. Dass Vic Angst hat, kann ich nachvollziehen. Aber Felix? Ich dachte, der liebäugelt mit seinem Untergang. Und für diesen würde sich nun die beste Gelegenheit bieten.

"Der Arsch ist in unserem Haus."

"Der Arsch ist aber auch hier. Der Arsch ist überall."

"Wir meinen nicht dich", widerspricht Vic. "Du bist der Vogel."

Schmeichelhaft. Ich verziehe keine Miene.

Felix zupft zaghaft an meinem Ärmel. Er berührt mich. Ich muss zum Arzt. Mich gegen Tollwut impfen lassen.

Ängstliche Kulleraugen schauen zu mir auf. Ich bin der Papi. Ein Rollenspiel, das mich nicht geil macht.

"Kannst du Benjamin nicht...aus der Wohnung prügeln?"

"Können schon", sage ich. "Aber ich bin nicht lebensmüde. Das solltest du nie vergessen. Wer von uns vergnügt sich mit der Rasierklinge, huh?"

"Lass ihn." Vic stellt sich schützend vor das kleine, hilflose Ding. Vic ist die Mama. Ein Rollenspiel, das mich ebenfalls nicht geil macht. "Die Tradition sieht es vor, dass der Mann auf die Jagd geht."

Den wilden Bären Benjamin möchte ich trotzdem nicht erlegen. Schließlich bin ich nur ein stinknormaler Vater. Nicht Herkules.

 

 

22. September - Jemandem eine Freude machen

 

Da wandelt man still und leise durch die heiligen Hallen des Alexas, hat ursprünglich nichts Böses im Sinne, erfährt aber von einem Augenblick zum anderen eine Gefühlsdrehung um 180 Grad, ob man will oder nicht.

Von weitem erkenne ich Moos bemützten Schädel. Ich würde ihn unter Tausenden erkennen mit seinem dämlichen Yolo-Cap, egal, in welch reizender Begleitung er sich befindet. Heute ist seine Begleitung allerdings höchst angsteinflößend, wenn nicht gar dazu prädestiniert, bei mir Deja-Vu-Erlebnisse allererster Klasse hervorzurufen. Gedanklich bin ich plötzlich wieder bei Edeka und sinniere darüber, ob der langhaarige Typ vor mir auf einseitig lustvolle Erstickungssspielchen bei Hoppern steht. Denn Moo hat einen Artgenossen dieses Monstrums an seiner Seite.

Als die beiden auf mich zuschlendern, dämmert mir vieles. Worte, vorgetragen mit Moos Stimme, sausen mir durch den Kopf.

Bruder. Nächste Woche. Ratter, ratter.

Mit einem Mal verstehe ich, wieso von diesem unbekannten Wesen, das sich anscheinend Moos Bruder schimpft, keine Fotos existieren. Menschen wie es ruinieren jede Familienehre, wenn man mich fragt. Tiere gehören ohnehin nicht ins Wohnzimmer. Und dieses Kaliber dort kann man nicht als Homo sapiens bezeichnen. Alle Mythen von Fabelwesen werden plötzlich wahr. Mein inneres Kind freut sich. Mein äußerlicher Erwachsener dafür weniger.

 

Wir machen Bekanntschaft. Ich gebe ihm nicht die Hand, weil ich bei den Bären im Zoo auch nie blöd genug gewesen war, um meine Hand durchs Gitter zu stecken. Außerdem glaube ich, dass auf dem Bärenplaneten, von dem dieser Moo-Bruder kommt, keine Hopperbegrüßungen üblich sind.

Er ist groß. Bestimmt zwei Meter. Hat lange, dunkle Haare. Eigentlich will ich gar nicht, dass ich ihn kennenlerne. Da mein inneres Kind ohnehin aktiviert wurde, verschränke ich die Arme und gucke skeptisch empor zu diesem schwarzgekleideten Bärenmacker.

"Mach mir ne Freude und verpiss dich", sage ich, doch schließlich bin ich es, der sich zum Gehen abwendet.

 

23. September - Intelligent

 

Wir sollten besorgt sein. In unserer Runde befindet sich ein Zoophiler. Obwohl man Felix auch nicht gerade als menschlich bezeichnen kann. Und einen Katzenbär gibt es ja wirklich. Dass dieser im Grunde ganz nett aussieht, kann ich allerdings nicht nachvollziehen. Sollte Felix sich tatsächlich mit diesem Metalhead-Max paaren, kommen sicherlich ziemlich missgebildete Gestalten heraus, die schon von der Psyche her nicht lebensfähig sind. Sozusagen Lemminge. Kleine Selbstmordhäschen. Man sollte sich meiner Meinung nach gründlich überlegen, ob es für die Allgemeinheit gut ist, sein Erbgut weiterzugeben. Aber so intelligent ist Felix nicht. Er denkt nur an die nackte Paarung. Den Blick, den er an den Tag gelegt hat, als er heute auf Max gestoßen ist, kenne ich wie meine Westentasche. Tim guckt mich auch immer so an, und dann will ich ihn am liebsten fragen, ob er schwul ist, weil dieser Blick echt homo aussieht. Dass sich diese Frage erübrigt, muss nicht erwähnt werden.

 

Aber zurück zu Felix. Ich weiß nicht, was Max über ihn denkt. Ob er überhaupt Emos mag. Oder ob er die Katze ohnehin als zu jung für sich einstuft. Der Bärenmacker ist nämlich schon Mitte zwanzig. Gegen den sind wir alle noch Kinder. Der Typ würde sich strafbar machen, wenn er Felix mag. Obwohl sich eigentlich jeder strafbar macht, der Felix mag.

 

Als ich die Katz nach Max' Verschwinden auf meinen Verdacht anspreche, beißt er fast in Gras, anstatt es zu rauchen.

"Ey, gibs zu. Deine kleine Spritzgurke konnte kaum noch an sich halten wegen diesem Viech."

"Leck mich", ist die einzige Antwort, die ich erhalte.

"Nee, danke, mein Arzt hat mir das Naschen verboten. Aber interessant, was deine Klöten dir zu sagen diktieren."

Er tut komisch. Und ich lasse es darauf beruhen. Fühle mich intelligent wegen dieses Spruchs.

Nun weiß ich, wer von Felix' IQ zehrt.

 

 

24. September - Taschentuch

 

Ich weiß nicht, wo Vic sich herumtreibt, wenn ich nicht gucke. Ich weiß aber, dass er die meiste Zeit in seinem Kindergarten für Verrückte verbringt. Und so wie es aussieht, hat er dort einen Gleichgesinnten getroffen. Ich frage mich, wo diese geschlechtsverwirrten Dinger produziert werden.

 

Das Wesen heißt Dominik. Oder Dominique, weil es darauf besteht, einen Frauennamen zu tragen. Ich stelle fest, dass es genauso schlampig gekleidet ist wie Vic. Huh. Yeah.

"Gleich mal geradeaus durchgehen", rutscht es mir heraus. Es muss sein. "Und dann einfach freimachen und auf Anweisungen warten. Du kennst das sicher."

Dominique guckt mich an, als wäre er nicht intelligent. Wahrscheinlich ist er es auch nicht. Blondinen sagt man ja so was nach. Und Dominique ist richtig krass weißblond.

 

Vic flüstert ihm etwas zu. Anschließend ernte ich missbilligende Blicke, und keiner schlendert geradeaus weiter.

Schade. Einen Porno mit Vic und Dominique in den Hauptrollen stelle ich mir geil vor. Um ehrlich zu sein, hammergeil. Toll, jetzt habe ich Kopfkino. Und kein Taschentuch zur Hand. Dabei könnte ich losspritzen, wenn ich nur an die beiden falschen Mädels denke.

Ich muss Tim finden, damit er mir diese Flausen austreibt. Mit der Reitgerte. Wir sollten uns tatsächlich eine zulegen.

 

25. September - Plagen

 

Manche Leute verdienen noch nicht einmal das Prädikat 'Merkwürdig'. Manche Leute sind so übertrieben WTF?, dass ich glaube, mich auf dem falschen Planeten zu befinden. Und damit meine ich noch nicht einmal Vic oder Felix.

Den Bärenmacker sehe ich nun öfter. Leider auch von geringer Distanz. Sehr geringer Distanz. Anscheinend hat ihn mein schrulliger Begrüßungskommentar nicht abgeschreckt.

 

Er guckt mich schon die ganze Zeit schweigend an. Hin und wieder nimmt er einen Zug von seiner Zigarette. Ich will, dass das aufhört. Dass er aufhört. Zu existieren am besten.

Doch er hört nicht auf. Irgendwann lehnt er sich zu mir vor. Er riecht nach verdammter Erde. Ich wusste nicht, dass Bären unterirdisch leben. Er soll sich wieder eingraben. Aber anstellte mustert er mich ausgiebig. Wenn er anfängt, zu schnüffeln, sage ich ihm, dass ich keinen potenziellen Paarungspartner darstelle und man mein Geschlechtsteil ohnehin nicht riechen kann, weil ich mich wasche.

 

Er deutet auf die Stelle unter seinem Auge. Genau dorthin, wo ich mein winziges, umgedrehtes Kreuztattoo trage.

"Das ist aber nicht das satanische Kreuz", sagt er. Seine Haut besitzt so große Poren. Sie ist derb wie Leder. Ein ganz schreckliches Tier. Früher hat man aus solchen wie ihm Schuhe gebaut.

"Klar ist das eins." Der will mich wohl verarschen.

Plötzlich wendet er mir den Rücken zu und zieht sein Shirt nach oben. Zum Vorschein kommt ein...Muster.

"Das ist ein satanisches Kreuz", erklärt er mir.

"Sieht eher aus wie diese Schlange, die Apotheken gerne verwenden", murre ich, woraufhin der Bär belustigt schnaubt und den Kopf schüttelt. Als wäre ich ein dummes Kind.

"Typischer Kommentar von so nem Hipsterknollo", sagt er. "Denken, die sind böse mit ihrem Petruskreuz."

Ich bin auch böse. Ich kann es ihm gerne zeigen. Aber ich habe meinen Stolz und meine Ehre.

Hipsterknollo. Ey, ich brauch dringend einen Spaten.

 

26. September - Vorhersehung

 

Wer meint, ich hätte mich über diesen blöden Bärenmacker zur Genüge geärgert, irrt. Dass ich ihn interessiere, macht mir ohnehin Sorgen. Aber dass er behauptet, ich müsste etwas für meinen Muskelaufbau tun, geht zu weit. Habe ich mich beschwert, dass ich nicht so ein Bodybuilder-Tier wie er bin? Will ich Türsteher werden?

 

Ich kotze mich bei Tim aus. Und was tut der Kunde? Er schmunzelt bekloppt vor sich hin. Typisch.

"Was lachstn da?"

Tim zuckt die Schultern.

"Bloß so."

"Ey, erzähl nicht. Du denkst auch, dass ich ein Spargel bin."

"Spargel wird gestochen, aber du würdest eher auf dem Feld verrotten."

Das Thema. Bah.

"Du weichst aus."

"Nö."

"Ey, der will mich ins Fitnessstudio schleifen! Ich glaub, er mag mich. Gibt dir das nicht zu denken?"

Sag jetzt nichts Falsches.

"Du magst ihn aber nicht."

"Fakt."

Er lehnt sich entspannt zurück, die Hände hinter dem Kopf verschränkt.

"Dann geh mit ihm ins Fitnessstudio. Verschaff mir ne starke Schulter, an der ich mich anlehnen kann."

"Du bist so gay, Alter."

Ich sehe uns schon förmlich. Wir beide auf dem Cover eines Groschenromans. Tim die holde Maid. Ich mit breiter Brust. Und Max, der Wilde aus dem Wald.

Geht echt gar nicht.

 

27. September - Jahrmarkt

 

Wenn Tim manche Dinge wüsste, die er aber nicht weiß, würde ich schon längst wie eine ausgediente Puppe in irgendeiner Ecke liegen, sexlos und allein.

 

Ich bin tatsächlich mit Max ins Fitnessstudio gegangen. Einfach, weil ich Langeweile hatte. Und weil sich in Fitnessstudios meist hübsche Mädchen tummeln.

Tatsächlich habe ich ein paar Titten zu Gesicht bekommen, aber das wars dann auch. Man hat es nicht leicht, wenn man als Hetero in einer Beziehung mit einem Mann lebt. Man muss vieles unterdrücken. Doch zum Glück nicht den Harndrang.

Ich bin nach wenigen Trainingseinheiten erledigt, sage allerdings, dass ich mal für kleine Spargelstecher muss. (Tim ist nämlich auch nicht gerade muskulös.)

Zu meinem Leidwesen hat Max zur selben Zeit Harndrang wie ich. Wir stehen also nebeneinander am Pissoir. Und ich falle fast mit der Fresse in das Becken, als er sein Ding rausholt.

Mit einem Menschen hat das nichts mehr zu tun.

Nun bin ich mir endgültig sicher, dass der Bärenmacker auf den Jahrmarkt gehört, am besten in die Freakshow. Der Typ hat nen dritten Unterarm zwischen den Beinen. Ohne Mist.

 

Wenn Tim das wüsste, würde er von mir verlangen, dass ich Sport treibe, der die Schwanzgröße fördert und auf Muskeln scheißen.

 

28. September - Der Sprung ins kalte Wasser

 

Es kristallisiert sich immer deutlicher heraus: Das Auftauchen von Max ist die größte Katastrophe, die meinem jungen Leben jemals widerfahren ist. Bald schon wird mich kein Arsch mehr anschauen, und das Cover, das den Muskeljascha zeigt, wird niemals gedruckt werden. Denn der Antagonist wird die Hauptrolle an sich reißen und das schöne Mädchen ficken. Obwohl Tim als Mädchen absolut untragbar ist.

 

Wieso kann ich nicht hin und wieder ein bisschen wie Felix sein, jederzeit dazu bereit, seiner Existenz zum Abschied leise Lebewohl zu sagen? In dem Falle nämlich wäre ich derjenige gewesen, der als großer Held genau in diesem Augenblick gefeiert wird. Und nicht Max, der ohne großes Flehen von Vic und Felix in die Höhle des Bären Benjamins einmarschiert ist und diesem den Marsch geblasen hat. Einfach so ist er ins kalte Wasser gesprungen und hat ihn schachmatt gesetzt, wie ein wahrer Mann es eben tun sollte.

Und nun erntet er die Lorbeeren. Die Kinder können wieder in die W-Gay zurückkehren.

Vic fällt ihm prompt um den Hals, doch im Grunde ist es Felix, der zerfließt wie ein Stück Butter in der Sonne, obwohl er nur von weitem guckt und sich nicht traut, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Seine Kulleraugen verraten ihn allerdings einmal mehr. Er ist ja so verliebt. Ich muss sein Glück ein wenig fördern, wenn ich schon selbst keines erhalte. Selbstlos wie immer, der blöde Halbrusse.

 

"Boah ey, guck mal auf Felix!", rufe ich Max mit vor der Brust verschränkten Armen zu. Tatsächlich lässt er sich nicht weiter von der Penisprinzessin bezirzen, sondern beäugt die Katz, deren Birne mächtig feuert. "Leck seine Wunden, du geiler Wrestler. Siehst du nicht, dass er das will? Leck dem seine Wunden. Dir sei gesagt, er hat viele."

 

Edel sei der Mensch, hilfreich und gut. Na und, wenns auch stimmt.

 

29. September - Ersetzen

 

Max meint, Vic und Felix sollten Benjamin anzeigen. Er hat Recht. Aber ich will nicht, dass er Recht hat.

Zum Glück sind die beiden kleine Pussys, die jedem Ärger aus dem Weg gehen und lieber auf ewig an ihren psychischen Wunden leiden wollen. Mir solls wayne sein. Wenn sich nicht allmählich herumspricht, was für einen Kosenamen Tim für mich benutzt.

 

Ich bin bei Flori. Sitze auf dessen Couch. Will chillen. Doch nichts da. Die Tür geht auf. Flori nähert sich mir mit einem Grinsen.

"Willste was trinken, Tuffi?"

Schlimm genug, dass Felix und Vic wissen, welche Tiernamen man mir gibt. Doch nichts ist so schrecklich wie wenn deine Kumpels erfahren, dass du jemandes kleiner Liebling bist.

Flori hat Glück. Ich bin zu faul, um mich aufzuregen. Barbara Salesch hat schon ihren Hammer in der Hand. Wahrscheinlich ist sie Floris Bodyguard. Obwohl sie sicher kein Muskeltraining betreibt. Ganz im Gegensatz zu Herrn Kotz an der Backe.

 

"Ääääh", schnarre ich. "Es tut mir leid, aber du bist nicht in der Position, mich zu tuffin. Ich kann mich nicht erinnern, dir das Tuffi angeboten zu haben. Ersetze dieses Codeword mit einem anderen. Ciao Bambino."

"Dir hamse echt ins Hirn geschissen."

"Riechstes schon, Alter?"

 

30. September - Es war einmal...

 

Heilige Scheiße. Oder besser gesagt: Unheilige Scheiße. Dieser dämliche Bärenmacker und ich könnten Freunde werden, wenn er wie gesagt nicht so dämlich wäre und davon absehen würde, mir mein Leben zu ruinieren.

Ich weiß nicht, wie es immer dazu kommt, dass er mir über den Weg läuft. Jedenfalls treffe ich ihn heute auch. An seiner Lippe klebt noch immer das getrocknete Blut, das vom Kampf der Giganten herrührt. Aber es scheint ihm wurscht zu sein. Er kann trotzdem grinsen. Und er führt etwas im Schilde. Wahrscheinlich möchte er ordentlich nachtreten, weil er genau sieht, dass bei mir nicht die Sternstunden des Lebens Einzug gehalten haben.
 

Er sagt nichts, während er mich passiert. Ich sage auch nichts. Nicht mal Hallo. Weil ich eingeschnappt bin. Aber ich bin weniger eingeschnappt, als er sein Shirt glattzieht und ich die Aufschrift entziffern kann.

'Sei nicht rassistisch. Hasse alle Menschen gleichermaßen.'

Als er glaubt, dass ich es gecheckt habe, macht er sich vom Acker. Und ich bleibe stehen.

Boah, ich will das Shirt, denke ich nur. Boah ey, ich will das voll.

Plötzlich dämmert mir, dass ich Halbrusse bin. Ich beginne, misstrauisch zu werden.

Es war einmal ein kleiner Jascha, den hasste sogar die Misanthropie.



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