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Blast from the Past

Das Phantom der Oper
von

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Viertes Kapitel

Allein zu Haus
 


 

Ich stand vor dem Spiegel. Ungläubig sah ich hinein. In dem Spiegel sah ich eine abgezehrte, kleine, zierliche junge Frau mit lockigen, haselnussbraunen, langen Haaren und smaragdgrünen Augen. Meine goldbraunen Hände befühlten den weißen, weichen Stoff des Nachthemdes. Ich konnte es nicht glauben obwohl ich es doch sah. Hatte Madame Giry mich den nassen Sachen entledigt während ich bewusstlos war? Sie hatte ihn also gesehen. Meinen hässlichen, abstoßenden Körper. Meinen Grund für dieses verfluchte Leben. Der Grund dafür, dass ich von meinem Volk verstoßen wurde. Und diese gütige Frau wusste um ihn. Wusste von meiner abstoßenden, menschlichen Hülle. Sie kannte ihn und sah mir immer noch gütig und lächelnd ins Gesicht? Ich sah noch immer in den Spiegel. Dem Mädchen mir gegenüber stiegen Tränen in die Augen. Tränen des Unglaubens. Viele Tropfen bahnten sich ihren Weg über ihre Wangen. Warum hatte ich nicht bemerkt, dass ich fremde Sachen anhatte? Ich hatte es wohl in der Hitze des Gefechts, beim Volksmund auch Fieber genannt, nicht wahrgenommen.

Diese Frau musste ein Engel sein. Anders konnte es nicht sein. Warum sonst sollte sie mir helfen wollen. Schnell wischte ich den Tränenfluss von meinen Wangen und aus meinen Augen. Ich wollte das schöne Nachthemd nicht mit ihnen benetzen. Ich ging wieder aus dem Bad, zum Flur hinaus. Ich konnte meinen Anblick nicht länger ertragen. Im Spiegel konnte ich sowieso nur bis auf meine Schultern sehen, denn es befand sich ein Stück weiter unten, was eh von dem Nachthemd bedeckt wurde. Doch zu wissen dass es da war genügte mir, es war angenehmer nicht in die Welt der Wahrheit, die der Spiegel immer zu zeigen vermag, hinein zu sehen. Im Flur wartete Rowen schon gespannt auf mich, wie er es immer zu tun pflegte, wenn er nicht bei mir bleiben konnte.

Er war mein einziger Freund in diesem trostlosen Stück. Bei diesem Gedanken fuhr ein seltsames Gefühl durch mich hindurch. Was war mit Madame Giry? War sie nicht wie eine Art Freundin? Ich schüttelte den Kopf um diese Gedanken abzuschütteln. Sie würde uns sicherlich in ein paar Tagen wieder hinauswerfen.

Neugierig sah ich den Flur entlang. Abgesehen von der Badtür und die die in mein Zimmer führte, gab es noch drei weitere. Die eine, das wusste ich ganz sicher, war die Küche, auch wenn ich sie, durch eine Madame Giry, die mir den Weg versperrte hatte nicht sehen konnte. Das Gefühl der Neugier stieg noch mehr an. Ich wollte unbedingt die restliche Wohnung sehen. Danach würde ich auch wieder ins Bett gehen wie ich es der netten Madame Giry versprochen hatte. Und so durchquerte ich mit nackten Füßen den Flur und machte die Tür zur Küche auf. Der Geruch der gebackenen Croissants hing noch leicht in der Luft und mein Magen meldete sich umgehend wieder. Ich machte ein paar Schritte in den Raum hinein und erblickte eine blaue Emailküche. Und in einer Ecke ein Esstisch an dem vier Personen platz nehmen konnten. Neben dem Tisch befand sich noch eine Tür. Nach wenigen Schritten und Handbewegungen stellte sich heraus dass dies die Speisekammer war.

Nun ging ich zurück in den Flur und betätigte die Klinke der Tür, die sich der Wohnungstür gegenüber befand. Diese entpuppte sich als Wohnraum, bei den erhabeneren Leuten auch Salon genannt. An der Wand an dem die großen Fenster einem einen Blick in die Außenwelt ermöglichten, stand eine Chaiselongue und eine monströse Wohnwand. Auf dieser standen viele Familienbilder und Porzellan. Madame Giry schien eine regelrechte Sammlerin von Porzellan zu sein. Auf dem dunklen Holzboden lag ein herrlicher Teppich mit beeindruckendem Muster und auf der einen Seite des Zimmers stand ein Klavier. Dieses fesselte meinen Blick. Ich ging langsam auf es zu, als wäre es ein wohlhabender Mann, bei dem ich mir nicht sicher war, ob er meine Anwesenheit begrüßte oder mich gleich mit Beschimpfungen fortjagen würde. Ich setzte mich und lies meine Finger sanft über die Tasten gleiten. Ich wollte schon immer gerne Klavier spielen lernen, seit ich denken konnte. Hatte auch immer gerne zugehört, wenn ich die Möglichkeit dazu hatte. Doch hatte man als Zigeuner nicht die finanzielle und moralische Chance dazu. Sollte ich vielleicht versuchen ein wenig darauf zu spielen? Bei den anderen sah es nicht schwer aus. Ermutigt begann ich auf die Tasten zu hauen, und je länger ich das tat, desto mehr schwand mein Mut. Enttäuscht darüber das ich offensichtlich kein Talent dafür hatte, stand ich auf und lies das Klavier ein Klavier sein, und nicht, wie ich es gerade miterlebt hatte, eine Vergewaltigung der Musik. Plötzlich stockte mein Atem und mein schwacher Körper wurde von einem Hustenanfall durchgeschüttelt und begann zu frieren. Ich überlegte nicht lange und huschte schnell wieder ins warme Bett zurück. Ich hätte auf Madame Giry hören sollen, wenn ich jetzt wieder Fieber bekommen sollte, war es meine eigene Schuld. Nachdem ich im Bett lag und mich eine Zeit lang langweilte, drehte ich mich um und versuchte noch ein wenig zu schlafen, was mir nicht so recht gelang, und so musste ich mich damit begnügen nur zu dösen. Irgendwann war es mir zu dumm, ich brauchte eine Beschäftigung. Da fielen mir die Bücher wieder ein. Ich stand auf und schnappte mir das Erstbeste. Lesen hatte ich zwar gelernt, doch las ich nicht oft ein Buch. Genau genommen hatte ich es gelernt, konnte diese Fähigkeit jedoch nie anwenden. Mein Volk tat mit anderen, ordinäre Möglichkeiten des Zeitverstreichens. Ich schlug es auf und mir schlug es sofort entgegen worum es in diesem ginge. Ballett. Es ging auf jeden Fall um Ballett, denn die meisten Seiten waren mit gezeichneten Bildern beschmückt, unter denen Anweisungen zur jeweiligen Bewegung stand. Rowen schnüffelte interessiert an dem Buch, hatte dieser so was doch noch nie gesehen. „Soll ich dir vorlesen?“ Ich begann traurig zu lächeln. Es musste für andere Menschen komisch aussehen wenn ich mit meinem Hund sprach. Doch für mich war er mehr als ein Hund. Ich streichelte ihm kurz überm Kopf und fing das Lesen an, wenn man es denn so nennen konnte. Ich brach oft ab und las sehr langsam, verstand aber dennoch gut worum es ging. Man merkte sofort dass ich nicht viel in meinem Leben mit Büchern zu tun hatte. Das Buch begann immer interessanter zu werden. Sonst fand ich dieses Hüpfen in diesen albernen Kostümen lächerlich. Doch sah ich es jetzt, wo ich mich damit befasste geradezu graziös. Es erforderte viel Gewandtheit. Bei dem ordinären Tanz den ich immer vollzog war solch eine Gewandtheit nicht vorzufinden. Nun begann ich dieses anregende Buch ganz von vorne zu lesen. Ab und zu schenkte ich mir Tee in die Tasse und trank viel, wie ich es Madame Giry versprochen hatte. Es vergingen Stunden und ich hatte, aufgrund meines langsamen Lesens, nicht einmal ganz die Hälfte geschafft. Ich sah aus dem Fenster. Es musste bereits später Nachmittag sein. Rowen lag schon seit einer ganzen Zeit vor dem Bett und döste. Ich verspürte das Verlangen es ihm gleich zu tun, legte das Buch in die oberste Schublade des Nachttisches, drehte mich um und schlief bald ein. Es wunderte mich nicht dass ich dieses Mal von Ballerinen träumte. Aber das störte mich nicht. Das war besser als wenn ich die üblichen Alpträume von meinem Onkel oder anderen Leuten gehabt hätte. Ein paar Stunden später wachte ich wieder auf. Es dämmerte bereits. Wann kam Madame Giry wieder zurück? Ich hatte keine Uhr und wusste nicht wie spät es war. Ich hoffte nur dass sie bald kam, denn trotz des Lesens war es langweilig. Es machte mich langsam aber sicher wahnsinnig. Ich wälzte mich im Bett, wie vom Fieber geplagt. Es vergingen Minuten um Minuten, Stunde um Stunde und irgendwann hörte ich das ersehnte Geräusch von dem Schlüssel, der im Schloss der Tür herumgedreht wurde. Und dann trat die Person herein die ich mit so voller Sehnsucht erwartet hatte. Rowen sprang auf und horchte gespannt. Er war es nicht gewohnt.

Ich allerdings wäre ihr am liebsten entgegen gekommen, doch lies ich es bleiben und dachte lächelnd dabei an dem heutigen Morgen. Erst ging sie in die Küche, sie hatte wohl eingekauft. Nach Minutenlangen warten kam Madame Giry in mein Zimmer. „Hallo Liebes, wie geht es dir?“ „Besser. Ich hab den ganzen Tag über viel getrunken, wie Sie es mir gesagt haben. Aber ich habe riesigen Hunger, die Croissants heut Morgen haben nicht gereicht“, sagte ich ein wenig beschämt das ich sie um Essen bat. „Du hast den ganzen Tag nichts gegessen? Ich habe wohl vergessen dir zu sagen das du dir ruhig aus der Küche was holen kannst. Ich werde sofort etwas kochen. Da fällt mir ein, ich hab dir etwas mitgebracht.“ „Aber das ist doch nicht nötig.“ Ich saß wie angewurzelt da. Bei dieser Frau blieb mir wohl keine Überraschung erspart. „Doch, doch. Ich kann mir vorstellen, das du das noch nie gegessen hast.“ Sie gab mir eine bunte Schachtel. „Pralinen? Danke! So was hab ich wirklich noch nie gegessen.“ Ich probierte eine. Der Geschmack war außergewöhnlich. Nicht zu süß und nicht so herb. Genau richtig. Ich schwebte im Himmel. „Ich weiß dass du riesigen Hunger hast, aber iss bitte nicht zu viel, sonst verdirbst du dir den Appetit.“ Ist gut!“ Sie verschwand in die Küche und ich ging ihr hinterher, denn ich hielt es nicht mehr in dem Zimmer aus. „Kann ich ihnen beim Kochen helfen?“ „Nein das brauchst du nicht. Setzt dich ruhig.“ Ich sah sie erstaunt an. Eigentlich hatte ich erwartet dass sie sofort wieder loswettern würde und mich ins Bett schickt. Sie ging kurz weg und kam mit Wollsocken zurück. „Hier, zieh die an, sonst kannst du nicht gesund werden.“ Ich nahm sie ihr dankend ab, zog sie an und sah ihr beim Kochen zu. Ab und zu lies sie mich Gemüse klein schneiden oder sogar etwas vom Kleingeschnittenen naschen.

„Wo arbeiten sie? Ich wollte sie heut früh schon fragen, aber sie waren so schnell aufgebrochen.“

„Ich arbeite in der Opéra Populair, vor deren Tür ich dich gefunden habe. Ich bin die Leiterin der Tanztruppe und des Corps de Ballet. Als ich dich fand war ich auf den Heimweg. Du hast großes Glück gehabt, denn ich gehe nur am Samstag nach Hause. Die restlichen Tage lebe ich in der Oper, dort habe ich ein Zimmer.“ Ich staunte nicht schlecht. Kaum hatte ich heute Nachmittag mein Interesse am Ballett gefunden, schon stellte es sich auch noch heraus dass ich bei der Leiterin dieser gewandten Mädchen wohnte. „Sie sind wirklich Ballettmeisterin?“ Ich wollte sicher sein das ich richtig hingehört hatte, und es sich nicht später als peinliches Missverständnis herausstellt. „Ja bin ich. Überrascht dich das so sehr?“ „Natürlich, ich habe noch nie eine Person kennen gelernt, die einen so tollen Beruf, in einem so ehrwürdigen Haus hat.“ „Nun haben wir aber genug geredet. Iss dich satt. Wir können später reden.“ Ich willigte ein und schlang das Essen in mich hinein. Ich kann nicht sagen wie oft ich mir nachlud. Normalerweise wäre es mir peinlich gewesen, vor einem Menschen der von meiner Sicht aus, einem so hohen Stand hatte, so zu Essen als hätte ich keine Essmanieren aufzuweisen. Nun, eigentlich hatte ich wirklich keine, aber in diesem Moment war es mir egal. Nachdem ich mir meinen Magen so richtig voll gegessen hatte, wie lange nicht mehr in meinem Leben, vergaß ich die leckeren Pralinen auf meinem Bett, die ich eigentlich nach dem Abendessen naschen wollte. Den Abwasch erledigten wir zusammen und danach lies sie mir sogar ein Bad ein. Ich wurde rot als sie sagte sie ließe mir ein Bad ein. Zum Glück konnte ich mich nicht selber sehen. Prüfend roch ich kurz an mir und verzog daraufhin das Gesicht. „Ich habe dir ein Kleid meiner Meg hingelegt, probiere es dann mal an.“ „Vielen, vielen Dank Madame.“
 

Fortsetzung folgt . . .



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