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Ein Stück Unendlichkeit

von

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Kapitel 3
 

Es war so dunkel als Heinrich die Augen aufschlug, dass er einen schrecklichen Moment lang tatsächlich glaubte er wäre gestorben und seine Seele wäre nicht, wie er gehofft hatte, in den Himmel aufgefahren, sondern an einem grausamen, leeren und vollkommen hoffnungslosen Ort gelandet. Als sich seine Augen aber langsam an die Dunkelheit gewöhnten und er schemenhaft ausmachen konnte, dass er sich in dem geräumigen Zimmer befand, in dem nicht nur ein Bett, sondern auch ein Schrank, ein Nachtischkästchen und ein Schreibtisch stand, kehrten auch seine Erinnerungen an die vergangenen Tage zurück.
 

Schmerzhaft musste er daran denken, wie er sich mit seinem Freund Ernst gestritten hatte. Wie er ihre Freundschaft einfach so weggeworfen hatte, weil er seine lächerlich sentimentalen Gefühle ihm gegenüber nicht unterdrücken konnte. Wie er ihn geküsst hatte und augenblicklich darauf erfahren musste, dass Ernst ihn nicht liebte und ihn auch niemals, zumindest nicht auf eine romantische Art und Weise, lieben würde.
 

Heinrich erinnerte sich auch daran, wie er Dresden daraufhin geradezu fluchtartig verlassen hatte und nach Berlin gefahren war. Wie er eine Zeit lang am kleinen Wannsee spazieren gegangen war und das Wasser beobachtet hatte, das in der bereits untergehenden Nachmittagssonne so schön geglitzert und geglänzt hatte. Fast so schön wie die Schneide des Dolches, mit dem er daraufhin…

Der junge Dichter hatte den Gedanken noch nicht vollendet, da schnellte er schon ruckartig beide Arme in die Höhe und musste feststellen, dass sie mit dicken Verbänden verbunden waren, die die vielen Schnittwunden, die er sich zugefügt hatte, verdeckten.
 

Er brauchte einen Moment, um sich wieder zu fassen, um vollkommen nachvollziehen zu können, welche Bedeutung diese Verbände tatsächlich hatten, doch dann schien er zum ersten Mal seitdem er aufgewacht war gänzlich zu realisieren, dass er immer noch am Leben war, dass ihn jemand gerettet haben musste.
 

Und ganz plötzlich, fast so als käme diese Realisierung einem gewaltigen Schlag auf den Kopf gleich, der ihn aus seinem Zustand der Verwirrung befreite, fühlte Heinrich, wie er panisch wurde. Er lag in einem ihm völlig fremden Zimmer, in einem unbekannten Haus, an einem Ort, von dem er nicht wusste, wo er sich befand. Er spürte wie sein Herz immer schneller schlug, wie er kaum noch Luft bekam, wie ihn der Gedanke, dass ihn womöglich ein Staatsdiener gefunden hatte, der seinen Selbstmordversuch durchschaut und die Tat dem König gemeldet hatte, fast um den Verstand brachte. Doch dann, so blitzartig, wie diese Angst in ihm aufgestiegen war, war sie auch schon wieder verschwunden, als eine ganz andere Erinnerung zu ihm zurückkam.
 

„Sie müssen keine Angst haben. Ich habe Sie hier gefunden und mein Freund ist schon dabei Hilfe zu holen. Ihnen wird nichts passieren.“
 

Er erinnerte sich auf einmal wieder so lebhaft an den Mann, der diese Worte zu ihm gesagt hatte, dass er kaum glauben konnte, dass er bis jetzt nicht an ihn gedacht hatte. Dabei wusste er noch ganz genau wie der Fremde aussah, auch wenn er ihn nur kurz gesehen hatte, bevor er das Bewusstsein verloren hatte. Er hatte braunes, lockiges Haar gehabt und blaue Augen. Sie waren dunkler als seine eigenen gewesen, auch das wusste er noch, dafür hatten sie aber viel Wärme und Verständnis ausgestrahlt. Es waren unglaublich positive Eigenschaften, die Heinrich mit dem Fremden in Verbindung brachte, und doch spürte er, als er den ersten Schock überwunden hatte, wie er außerordentlich wütend wurde. Nicht unbedingt auf seinen Retter, vielmehr auf sich selbst. Denn er war zum Wannsee gefahren, um zu sterben, doch nicht einmal das war ihm gelungen. Er schaffte es nicht der Welt auf auch nur irgendeine Art und Weise nützlich zu sein und dennoch war es ihm ebenso wenig möglich gewesen diese zu verlassen.
 

Es war eine so furchtbare und niederschmetternde Erfahrung, dass sie Heinrich die Tränen in die Augen trieb. Er konnte und wollte einfach nicht verstehen, wieso ihm nichts gelang, wieso er immer der Nichtsnutz sein musste, der nie erfolgreich war.

Doch noch ehe er einen weiteren Gedanken an sein stetiges und enttäuschendes Versagen verschwenden konnte, wurde die Tür zu seinem Raum vorsichtig geöffnet und eine Person, die Heinrich auf Grund der Dunkelheit zunächst nicht weiter identifizieren konnte, trat ein. Erst als diese eine Öllampe entzündete, die den Raum ein wenig erhellte, konnte er erkennen, dass es sich um den Mann handelte, der ihn am Wannsee gefunden hatte.
 

„Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie so spät noch störe“, fing dieser an, nachdem er sich auf einen Stuhl, der dicht neben Heinrichs Bett stand, gesetzt hatte. „Aber ich war auf dem Weg in mein Zimmer und habe ein Schluchzen gehört, weshalb ich annahm, dass Sie endlich aufgewacht sind“. Ein erleichtertes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, fast so, als würde er sich über diese Tatsache freuen.
 

Heinrich hingegen war es vielmehr peinlich, dass dem Fremden sein Weinen aufgefallen war. Ohne etwas zu erwidern, hob er deswegen hastig seine Hand und versuchte sich die Tränen von den Wangen zu wischen, was ihm wegen seinem Verband nicht so recht gelingen wollte.
 

„Hier“, meinte der Ältere daraufhin und hielt seinem Gegenüber ein weißes Stofftaschentuch entgegen, „damit funktioniert es bestimmt besser.“ Wieder sah er Heinrich mit diesem verständnisvollen Lächeln an, das dem Jüngeren zumindest einen Teil seiner Scham nahm.
 

„Ich kann gut verstehen, dass das alles ein sehr großer Schock für Sie sein muss. Deswegen bin ich so spät auch nochmal zu Ihnen gekommen, weil ich Sie wissen lassen wollte, dass Sie nichts zu befürchten haben. Ich weiß nicht, ob Sie sich daran noch erinnern können, aber ich habe Sie heute Nachmittag am Wannsee gefunden und zusammen mit der Unterstützung meines Bekannten, der einen Arzt zu Hilfe geholt hatte, konnten wir Sie retten. Ich bin Alexander von Humboldt und Sie befinden sich momentan auf dem Familiengut meines Bruders Wilhelm.“
 

Der Ältere machte eine kurze Pause, weil er wohl irgendeine Antwort von Heinrich zu erwarten schien. Da dieser aber weiterhin schwieg und den anderen nur aus großen Augen ansah, beschloss Alexander doch weiterzusprechen.
 

„Wir… wir wollten Sie eigentlich in einem Gasthof unterbringen, da wir uns bereits gedacht haben, dass Sie ein vollkommen fremder Ort, wie es das Anwesen meines Bruders ist, wahrscheinlich noch mehr ängstigen würde, aber wir mussten, nachdem ihre Wundern aufs erste versorgt waren, schnell handeln und nachdem Sie kein Geld bei sich hatten, haben wir doch beschlossen Sie hier her zu bringen. Sie fallen hier aber niemandem zur Last, das Gebäude ist groß genug, darüber müssen Sie sich keine Gedanken machen.“
 

Heinrich, der sich zwar immer noch nicht dazu im Stande fühlte etwas zu sagen, aber wusste, dass er irgendwie auf die Erzählung des anderen reagieren musste, nickte nur vorsichtig. Es war eine einfache und vollkommen undankbare Geste, dessen war er sich bewusst. Er hätte dem Fremden eigentlich auf Knien danken müssen, dass er ihn einfach so an diesem Ort gebracht hatte und sich nun vollkommen selbstlos um ihn kümmerte, doch irgendetwas schnürte ihm die Kehle so fest zu, dass ihm kein Laut über die Lippen kam.
 

Alexander allerdings schien allein schon froh darüber zu sein, dass der Schwarzhaarige ihm auch nur irgendwie gezeigt hatte, dass er seinen Erläuterungen folgte. „Ich habe das hier in ihrer Manteltasche gefunden“, erklärte er deswegen und hielt Heinrich sein Drama Penthesilea entgegen, „als ich nach Papieren gesucht habe, die mir Ihren Namen verraten würden. Ich gehe davon aus, dass Sie Heinrich von Kleist sind?“
 

Wieder nickte Heinrich nur schüchtern, ohne jedoch ein Wort der Zustimmung auszudrücken.
 

„Nun, Herr von Kleist, dann muss ich Ihnen allerdings auch gestehen, dass ich diesen Brief von Ihnen gefunden und gelesen habe“, meinte Alexander und zog den Abschiedsbrief an Ulrike aus der Tasche seines Gehrocks hervor. „Es war keine böse Absicht, aber ich wusste, dass der Arzt Fragen stellen würde und wollte deswegen sicher gehen, dass sie auch tatsächlich Heinrich von Kleist sind.“ Damit legte er den Brief langsam auf dem kleinen Nachtischkästchen ab und sah Heinrich eindringlich an. „Ich… ich habe dem Doktor allerdings nichts über die Begleitumstände Ihrer Tat erzählt, da ich sie für zu privat hielt. Wenn Sie allerdings darüber sprechen möchten oder mit einem Ihrer Bekannten in Kontakt treten wollen, dann lassen Sie es mich wissen.“
 

Zumindest jetzt hatte Alexander eine Antwort erwartet, doch sein Gegenüber sah ihn weiterhin nur unsicher an und erwiderte nichts.
 

„Nun es… es ist bereits spät, ich lasse Sie dann wieder in Ruhe“, sagte der Ältere und bemühte sich so gut es nur ging seine Irritation über Heinrichs Verhalten zu verstecken. „Wenn Sie irgendetwas brauchen, dann scheuen Sie sich nicht danach zu fragen.“ Damit war Alexander aufgestanden, um den Raum zu verlassen. Er hatte die Tür schon fast erreicht, als Heinrich ihn doch noch einmal mit brüchiger Stimme ansprach.
 

„W-wieso haben Sie m-mich gerettet?“, stotterte er und fühlte augenblicklich, wie sich seine Wangen aus Scham für seinen Sprachfehler röteten.
 

Es war wohl die letzte Frage, die Alexander in dieser Situation erwartet hatte und sie brachte ihn für einen Moment so sehr aus dem Konzept, dass er gar nicht wusste, was er erwidern sollte. „Wie bitte?“, fragte er deswegen und sah den Schwarzhaarigen verwirrt an.
 

„I-ich meine, wieso h-haben Sie mich nicht einfach s-sterben lassen? Wieso haben Sie m-mir geholfen?“, wiederholte der Jüngere seine Frage so gut es nur ging.
 

„Weil ich glaube“, und damit trat Alexander wieder etwas näher an das Bett des anderen heran, um ihn auch ansehen zu können, während er sprach, „dass jedes Menschenleben etwas ganz besonderes und wertvolles ist, das man nicht einfach so wegwerfen sollte. Ich weiß, dass sich das in Ihren Ohren bestimmt anmaßend anhört, weil ich gar nicht wissen kann, was Sie zu dem Entschluss, sich das Leben nehmen zu wollen, geführt hat, doch Sie schrieben in Ihrem Brief, dass sie keine andere Möglichkeit mehr sahen Ihrem Unglück entfliehen zu können. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das stimmt. Ich glaube nämlich, dass es immer einen Weg gibt, der weiterführt, wenn man nur bereit ist ihn auch zu gehen. Oft ist es kein leichter Weg und manchmal scheint er für einen selbst unauffindbar zu sein. Doch das bedeutet nicht, dass er nicht vielleicht für eine andere Person sichtbar ist, die einem stattdessen weiterhelfen kann. Manchmal fällt man eben, aber das kann man nicht ändern und das ist auch gar nicht wichtig. Wichtig ist nur, dass man wieder aufsteht.“
 

„Und w-wenn man nicht mehr aufstehen k-kann? W-weil man sich bei dem Sturz s-so verletzt hat, dass man g-glaubt nie mehr gesund w-werden zu können?“
 

„Dann sollen Sie wissen“, und damit legte sich ein Lächeln auf Alexanders Lippen, „dass es immer jemanden gibt, der bereit ist einem wieder aufzuhelfen. Man muss nur selbst auch bereit sein diese Hilfe anzunehmen. Schlafen Sie gut, Herr von Kleist.“
 

Damit drehte sich Alexander um und schloss, nachdem er das Zimmer verlassen hatte, leise hinter sich die Tür. Und obwohl es nur ein kurzes, ein äußerst seltsames erstes Gespräch war, das der mit dem jungen Dichter geführt hatte, so konnte er doch nicht umhin zu glauben, dass es ein vielleicht schon ein erster Schritt in eine hoffnungsvollere Zukunft gewesen war.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  KaethchenvHeilbronn
2011-12-29T23:51:54+00:00 30.12.2011 00:51
"Wie er eine Zeit lang am kleinen Wannsee spazieren gegangen war und das Wasser beobachtet hatte, das in der bereits untergehenden Nachmittagssonne so schön geglitzert und geglänzt hatte. Fast so schön wie die Schneide des Dolches, mit dem er daraufhin…"
Das hätte von Kleist oder wahlweise Kafka sein können^^ Schönheit und Brutalität = <3

Ich find's gut, dass du Heinrichs Ängste beschreibst, als er aufwacht, dass ihn jemand an den König verraten könnte...der hielt ihn ja nach seiner wahnwitzigen Idee, mit Napoleon gegen England in den Krieg zu ziehen, für wirklich geisteskrank^^' Ein Selbstmordversuch hätte ihm sicherlich Schwierigkeiten eingebracht...

Und auch toll, dass er wütend ist, dass ihm der Versuch nicht gelungen ist...dieses Gefühl, dass er sogar im Tod "versagt", hab ich oft, wenn ich die Notiz auf einem der Abschiedsbriefe lese, dass Ulrike(?) doch bitte den Barbier bezahlen soll - das ist so...! unmöglich XD

Heinrich ist so süß, wie er einfach nur dasitzt, Alexander mit großen Augen anstarrt und nicht weiß, was er sagen soll X3 Wie ein kleines Kind, das man gerade vor dem Ertrinken gerettet hat *schnüf*

Awwwwwwwwww!! >.< Und noch süßer wird er, wenn er den Mund endlich aufmacht <3
Ich bereue es so, ihm das in VLE abtrainiert zu haben...!

Hach~ Alexanders Antwort ist traumhaft :3 Er ist so verständnisvoll...
Ich finde auch, dass er ihm diesen Ausweg sicherlich finden kann :)


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