Zum Inhalt der Seite

Feel for you

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 6

Es war kurz nach halb drei, als Pirmin vor Harrys Wohnungstür stand.

Harry war sein Gitarrenlehrer. Ein etwa 25-jähriger Student, der sich mit dem Gitarrenunterricht ein wenig Geld dazuverdiente. Daran mangelte es ihm nämlich an allen Ecken und Kanten. Dementsprechend klein war seine Wohnung. Aber Pirmin kam trotz allem gern hier her.

Er klingelte. Und wartete. Niemand öffnete. Von innen konnte er Schritte hören. Jemand schien hastig im Flur herumzulaufen.

Endlich öffnete Harry die Tür. Er trug sein T-Shirt falsch herum und hatte ein Handtuch um die Schultern hängen. Seine Haare waren tropfnass.

„Ah, du bist es! Tag auch! … Hatten wir nicht gesagt, du kommst heute um drei?“, fragte er. „Du hast mich aus der Dusche geklingelt!“

„...Nein, du sagtest, ich solle um halb drei kommen. Wie immer“, antwortete Pirmin.

Harry grinste verlegen. „Oh, da hat mich wohl mein Zeitgefühl mal wieder verlassen. Komm doch rein!“

Er ging ein paar Schritte zur Seite und Pirmin trat ein.

„Geh schon mal ins Wohnzimmer, ich trockne noch kurz meine Haare ab.“ Er schloss die Wohnungstür und verschwand im Bad.

Pirmin sah ihm kurz hinterher und ging dann ins Wohnzimmer. Es war spärlich eingerichtet, in einer Ecke standen ein ziemlich altes Sofa und ein Fernseher, gegenüber davon ein Bücherregal, in dem ein heilloses Chaos herrschte und daneben zwei Hocker. Er setzte sich auf einen davon, nahm seine Gitarre aus der Gitarrentasche und wartete, bis Harry kam. Da das immer etwas dauern konnte, Harry war meist in allem etwas langsamer als andere, vertrieb Pirmin sich die Zeit damit, die vielen Bilder und Fotos, die an der Wand hingen, zu betrachten. Fast jedes Mal, wenn er kam, hingen neue da. Fotos von Harrys Freunden und Familie, Poster von allen möglichen Bands, Urlaubskarten... Zwischendrin waren auch immer mal wieder ein paar Notizzettel angepinnt, auf denen Termine oder zu erledigende Einkäufe standen. Manche schon über zwei Jahre alt.

Ja, Harrys Lebensstil konnte ziemlich gewöhnungsbedürftig sein, aber nichtsdestotrotz mochte Pirmin ihn. Er war einer der wenigen Menschen, die ihn nicht ständig fertigmachten und zudem ein echt guter Gitarrenlehrer.

Nach etwa zehn Minuten ging die Tür zum Wohnzimmer auf und Harry kam endlich hinein.

„Sorry, dass ich so lange gebraucht habe, aber der Föhn wollte mal wieder nicht anspringen.“ Er grinste verlegen. „Naja, jetzt bin ich ja hier!“

Er setzte sich auf den freien Hocker.

„Und, hast du fleißig geübt?“

Pirmin nickte.

„Gut, dann spiel doch einfach mal den ersten Song vor.“ Er sah sich kurz um. „Wo ist denn der Notenständer schon wieder?“

„Ich brauche keinen. Ich kenne die Songs alle auswendig.“

„Oh, okay. Wenn das so ist!“ Harry lehnte sich zurück. „Lass hören.“

Und Pirmin begann, zu spielen. Es war das selbe Lied, was er noch vorhin zu Hause gespielt hatte.

Harry hörte zu und wippte mit seinen Füßen im Takt dazu. Als es vorbei war, sagte er: „Gute Arbeit! Dass du den Titel in nur einer Woche so gut hinbekommen hast und dann auch noch auswendig... Respekt!“ Er lächelte. „Hattest wohl viel Zeit.“

„Mhm...“, machte Pirmin nur. Natürlich hatte er viel Zeit. Er hatte ja niemanden, mit dem er irgendetwas unternehmen könnte und um nicht zu vereinsamen, machte er eben Musik.

„Nur eine Sache... Du hast die Originalversion doch schon bestimmt irgendwo einmal gehört, oder?“

Er nickte nur.

„Gut, denn...“ Harry bückte sich und hob seine eigene Gitarre auf. „...die ist ein bisschen... wie sagt man... fetziger als das, was du gespielt hast, verstehst du, was ich meine? Deine Version ist etwas zu ruhig.“

Er spielte die ersten paar Takte. „Du siehst doch schon aus wie so ein kleiner Rocker, dann spiel auch so!“ Er musste grinsen.

„Alles klar.“ Pirmin spielte das Lied erneut, diesmal so, wie Harry es ihm gesagt hatte. „...War das besser so?“

Harry nickte. „Perfekt! Wenn du so weitermachst, gehörst du schon bald zu meinen besten Gitarrenschülern!“ Er lächelte.

Diesmal musste Pirmin auch lächeln. So ein Lob tat gut.
 

~
 

„Roman! … Roman! … Roman!! Hörst du mich nicht?!“

„I-ich... Ah!“ Roman stolperte und ließ den Bücherstapel fallen, den er gerade aus einem der vielen Umzugskartons gehievt hatte. Jetzt sah sein Zimmer noch unordentlicher aus, als es ohnehin schon war.

Seine Zimmertür schwang auf und Carolin steckte den Kopf hinein. „Was machst du denn da? Warum antwortest du nicht, wenn ich dich rufe?“

„Sorry, ich war gerade beschäftigt...“ Er ging in die Hocke und sammelte die Bücher wieder auf.

„Ach so. Sag mal, könntest du mir einen Gefallen tun? Ma hat gesagt, einer von uns solle heute noch einkaufen gehen. Aber da habe ich gerade keine Zeit für. Kannst du das nicht machen?“, fragte Carolin.

„Warum macht sie das nicht selber?“ Roman sah zu ihr. „Ich habe auch keine Zeit, das siehst du doch.“

„Sie hat doch diesen einen Arzttermin und da das etwas länger dauern kann, will sie, dass wir das machen. Aber ich habe ihr schon versprochen, dass ich noch putze und aufräume, außerdem muss ich noch etwas für die Uni machen und..“

„Okay, ich mache es“, meinte er seufzend und stand auf. Kurz in die Stadt zu gehen, würde ihn schon nicht umbringen. Außerdem war es eine gute Möglichkeit, mal dem ganzen Chaos in seinem Zimmer zu entkommen.

„Danke!“ Sie lächelte. „Unten in der Küche liegt die Einkaufsliste und das Geld.“

„Gut, dann gehe ich gleich mal.“ Er verließ sein Zimmer und ging die Treppe nach unten, in die Küche. Auf dem Tisch lagen ein paar Geldscheine, daneben ein Zettel.

Er steckte alles in seine Hosentasche, da er gerade nicht wusste, in welchem der Umzugskartons sich sein Geldbeutel befand, zog sich Jacke und Schuhe an und ging nach draußen.

Da er sich immer noch nicht allzu gut auskannte, lief er einfach mal in eine Richtung, immer der Straße nach. Und schon bald darauf hatte er das Stadtzentrum erreicht, wo die ganzen Läden waren.

'Das war einfacher als gedacht!', freute er sich und ging in eines der Geschäfte.

Etwa eine Viertelstunde später hatte er alle Sachen beisammen, die seine Mutter ihm aufgeschrieben hatte. Bepackt mit zwei vollen, schweren Tüten machte er sich auf den Weg zurück.

„Hey, Roman!“, hörte er plötzlich eine Stimme hinter sich. Er blieb kurz stehen und drehte sich um. Katharina aus seiner Klasse fuhr mit ihrem Fahrrad auf ihn zu. Als sie ihn erreicht hatte, bremste sie und verlangsamte ihr Tempo.

„Na, fleißig am Shoppen?“ Grinsend betrachtete sie seine Taschen.

„So in etwa.“ Er lächelte. „Bin gerade wieder auf dem Heimweg.“

„Ah, so ist das!“ Sie stieg von ihrem Fahrrad ab und lief neben ihm her.

„Ich hoffe, ich finde den Weg wieder. Mein Orientierungssinn ist in dieser Stadt gleich null!“, meinte er verlegen.

„Das ging mir auch so, als ich neu hier war“, antwortete sie. „Ich wurde auf dem Land geboren und war so eine Großstadt zuerst gar nicht gewohnt.“ Sie grinste. „Aber mittlerweile kenne ich mich hier bestens aus.“ Sie strich sich eine rote Haarsträhne aus dem Gesicht. „Wenn... wenn du willst, können wir mal einen kleinen Rundgang durch die Stadt machen, damit du sie besser kennen lernst. Dann brauchst du dir auch keine Gedanken mehr darum machen, ob du dein Zuhause wieder findest!“

Er nickte. „Danke, das können wir gerne mal machen!“

„Von mir aus auch gleich heute noch!“ Sie lächelte ihn an.

„Nein, heute habe ich leider keine Zeit mehr“, antwortete er. „Aber in den nächsten Tagen bestimmt!“

„Okay! Was machst du denn heute noch so?“

„Ich muss noch meine Umzugskartons ausräumen, mein ganzes Zimmer ist noch voll davon. Langsam fühlt man sich da echt nicht mehr wohl.“

Sie lächelte. „Kann ich verstehen! Ich hasse Unordnung über alles.“

Roman wollte gerade etwas antworten, als sie plötzlich zu kichern anfing. „Was ist denn los?“, fragte er verwundert.

„Dort drüben!“ Sie zeigte auf die gegenüberliegende Straßenseite. Roman schaute sich kurz um, ehe er ein ihm bekanntes Gesicht entdeckte.

„Meinst du Pirmin?“ Dieser lief dort gerade des Weges, eine Gitarre tragend. Er bemerkte die beiden nicht.

„Klar meine ich den!“ Sie grinste. „Ich kann mir nicht helfen, ich muss einfach immer lachen, wenn ich den anschaue!“

„Hm. Ich nicht“, erwiderte er. „Warum sollte ich auch?“

„Ist das nicht offensichtlich? Du hast doch heute in der Schule mitbekommen, wie der sich manchmal verhält. Nicht einmal gegen jemanden wie Jan kann der sich wehren und das ist echt lächerlich!“

„Also wenn ich immer so ausgelacht würde, hätte ich auch nicht den Mut, mich zu wehren, ganz ehrlich. Ich will gar nicht wissen, was ihr schon so alles für Aktionen gemacht habt...“

„Das ist doch alles nicht böse gemeint. Wir wollen ihn einfach etwas necken, das ist alles. Wenn er keinen Spaß versteht, ist er selbst schuld.“

„Ach so, wenn das nur Spaß ist, ist das natürlich was anderes.“ Die Ironie in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Jetzt mal ehrlich: Ich weiß nicht, was daran Spaß macht, jemanden zu verletzen!“

„Das machen wir doch gar nicht! Noch niemand ist daran gestorben, dass er vom Stuhl gefallen ist!“ Sie musste schon wieder lachen. „Das war einfach genial heute!“ Sie blieb kurz stehen und suchte in ihrer Handtasche nach ihrem Handy. „Ich habe das sogar kurz mitgefilmt, willst du es sehen?“

„Nein, will ich nicht“, entgegnete Roman schnell. „Ich habe doch gesagt, ich habe noch zu tun heute.“ Er entfernte sich ein paar Schritte von ihr. „Ich gehe dann mal nach Hause. Bis morgen in der Schule.“

„Warte doch noch kurz!“ Sie lief hinter ihm her.

„Ein anderes Mal, okay? Tschüss!“

„Naja, dann eben nicht. Tschüss...“ Sie sah ihm noch kurz hinterher.

Roman lief an ein paar Häusern vorbei und bog dann in die Seitenstraße ab, die zu seinem Zuhause führte. Dann atmete er erst einmal tief durch. Diese Katharina war genauso merkwürdig wie die anderen aus seiner Klasse. Zu manchen Leuten nett, zu manchen einfach nur ekelhaft.

Er hatte Mitleid mit Pirmin. 'Vielleicht ergibt sich morgen ja mal eine Gelegenheit, mit ihm zu sprechen...', dachte er. 'Und vielleicht kann ich ihm helfen.'

Mit diesem Gedanken machte er sich auf den Weg nach Hause.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2012-02-27T17:49:30+00:00 27.02.2012 18:49
Und wieder zurück.

Er klingelte. Und wartete. Niemand öffnete. Von innen konnte er Schritte hören. Jemand schien hastig im Flur herumzulaufen.
Also hier finde ich diese kurzen Satzgebilde schon ein bisschen sehr zu viel. Im letzten Kapitel konnte man noch recht gut darüber hinwegsehen, aber an diser Stelle ist es übertrieben. "Er klingelte und wartete. Niemand öffnete, aber er konnte Schritte hören - anscheinend lief jemand hastig im Flur herum." Wäre vielleicht eine Möglichkeit.

Oh, da hat mich wohl mein Zeitgefühl mal wieder verlassen.
Nein, eher sein Gedächtnis. Sein Zeitgefühl hätte ihn im Stich gelassen, wenn er auch geglaubt hätte, dass Primin um halb drei kommt und er noch geduscht hätte, aber da er davon ausgegangen war, dass der Junge erst um drei kommt, hat er sich falsch erinnert.

Manche schon über zwei Jahre alt.
Das ist eine schöne Stelle. Du beschreibst Harry hier ein wenig, wie sein Leben so aussieht, ohne dass er überhaupt im gleichen Raum ist. Gefällt mir sehr gut.

die ihn nicht ständig fertigmachten
Das klingt hier so, als ob Harry ihn "manchmal" fertig machen würde, nur eben nicht ständig. Aber du meinst sicher, dass Harry es "nicht" tut, oder?

Harry lehnte sich zurück.
Saß er nicht auf einem Hocker? Wohin lehnt man sich denn da zurück?

und um nicht zu vereinsamen, machte er eben Musik.
Obwohl es mit dem Vereinsamen an sich nichts zu tun hat. Er sucht wohl eher Beschäftigung, etwas, dem er sich widmen kann?

gehörst du schon bald zu meinen besten Gitarrenschülern!“
Ich frage mich gerade, woher er die Zeit für soviele Schüler nimmt? Ist Harry nicht Student?

Da er sich immer noch nicht allzu gut auskannte, lief er einfach mal in eine Richtung, immer der Straße nach.
Um ganz ehrlich zu sein, finde ich es etwas befremdlich, sein Kind in einer neuen Stadt einfach sich selbst zu überlassen. Das klingt etwas abwegig. Vor allem, weil er den Einkauf ja auch irgendwie nach Hause kriegen muss.

Langsam fühlt man sich da echt nicht mehr wohl.
Habe ich als Leser eigentlich eine Ahnung, wie lange diese Zeit schon anhält, die er zwischen Kartons leben muss?

'Und vielleicht kann ich ihm helfen.'
Das ist nett und mutig. Nicht jeder Neue würde überhaupt auf diese Idee kommen.

Das Kapitel ließ sich sehr schnell lesen, ich bin also schon richtig in deine Geschichte eingetaucht.

~present for you~
Turnaris
Von:  Shunya
2012-02-16T03:04:25+00:00 16.02.2012 04:04
Waiii~ endlich komme ich mal dazu, das neue Kapitel zu lesen! *o*
Pirmin ist echt süß, wenn er Gitarre spielt, da geht er ja mal richtig auf. Das gefällt mir. :D
Roman nimmt Pirmin in Schutz, dass finde ich so süß!!! >.<
Jaaaa~ er soll sich endlich mal mit Pirmin anfreunden! XD lol
Wird auch langsam mal Zeit. ^.~
Ich freue mich schon total auf das nächste Kapitel!!!!!!!!!!! :3
Von:  angel_of_sand
2012-01-27T20:20:08+00:00 27.01.2012 21:20
oh man D=
ich mag Pirmin sehr und die meisten sind voll gemein zu ihm >3<
los,Roman!
tu etwas x`D

(ja,ich liebe deine FF ~)


Zurück