Zum Inhalt der Seite

Feel for you

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 5

'Wo bleibt sie denn?', dachte Roman ungeduldig. Seit einer gefühlten Ewigkeit stand er jetzt schon im Regen herum und wartete auf seine Schwester. Er hasste Regen. Er war eher ein fröhlicher Mensch, der den ganzen Tag draußen in der Sonne verbringen könnte. Das graue Novemberwetter war ihm daher ein Graus. Seine Kleidung war schon völlig durchnässt.

Endlich sah er von weitem den kleinen schwarzen Wagen seiner Schwester Carolin auf sich zufahren. 'Wurde aber auch langsam Zeit!' Er lief ihr ein paar Meter entgegen, wartete dann, bis sie hielt und riss dann schwungvoll die Tür auf.

„Hey, lass mein Auto ganz!“, sagte Carolin.

„Sorry.“ Roman ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. „Von diesem Regen kriegt man schlechte Laune.“

„Und die lässt du dann ausgerechnet an meinen Sachen aus?“ Sie wartete, bis er sich angeschnallt hatte und fuhr dann los. „Na, wie war der erste Schultag?“

„Ganz okay.“

„Sind ein paar nette Leute in deiner Klasse?“

„Das kann man doch nach einem Tag noch gar nicht richtig beurteilen. Aber die, mit denen ich die Pausen verbracht habe, sind in Ordnung... mehr oder weniger.“

„Und die Lehrer?“ Carolin drückte den Blinker und bog in eine kleine Seitenstraße ein.

„So wie Lehrer halt sind!“ Roman lächelte. „Doof.“

„Selber doof!“

Da seine Schwester gerade selbst auf dem Weg war, Lehrerin zu werden, machte es Roman Spaß, ständig über Lehrer herzuziehen. Er wusste, dass er sie damit ärgern konnte.

„Ich bin nur so doof, weil die Lehrer... PASS AUF!!“

„W-was?!“ Carolin konnte ihren Blick gerade noch rechtzeitig auf die Straße wenden und bremsen. Fast hätte sie einen Jungen angefahren, der gerade seelenruhig über die Straße lief.

„Blöde Kuh, lern fahren!“, motzte er sie an und zeigte ihr den Vogel.

„Idiot!“, rief sie zurück und fuhr dann an ihm vorbei.

Roman schaute aus dem Autofenster. Jetzt erkannte er, dass es Steffen war.

„Das ist so ein komischer Typ, der in meine Klasse geht. Laut meinen Klassenkameraden benimmt der sich immer so blöd“, meinte er. „Anscheinend ist er schon dreimal sitzen geblieben.“

„Kein Wunder, bei dem Stroh, das der im Kopf zu haben scheint.“ Carolin war anzumerken, dass ihr der Schreck, ihn fast angefahren zu haben, und die Wut über ihn ihr immer noch in den Gliedern saß. Der erlaubte es sich, sie einfach blöde Kuh zu nennen. „Lass dir bloß nichts von dem gefallen, hörst du?“

„Werde ich schon nicht“, antwortete Roman. „Du kennst mich doch!“
 

~
 

Pirmin war inzwischen an dem großen Mehrfamilienhaus, in dem er sich mit seiner Mutter eine kleine Wohnung teilte, angekommen. Er stellte sein Fahrrad in die Garage direkt neben dem Haus, ging dann zur Haustür und schloss sie auf.

Endlich zu Hause.

Er trat ein und lief die vielen Treppen nach oben. Seine Wohnung war in einem der obersten Stockwerke und es dauerte immer eine Weile, bis man dort angekommen war.

Auf halbem Wege kam ihm die Putzfrau des Hauses entgegen, sie trug einen Eimer und einen Wischmop mit sich.

„Junge, kannst du dir nicht die Schuhe abputzen bei dem Sauwetter? Schau jetzt mal den Boden an, den kann ich gerade nochmal wischen!“, zeterte sie.

„Tut mir Leid, ich...“

„Dein gespieltes 'Tut mir Leid' kannst du dir sparen. Davon wird der Boden auch nicht wieder sauber.“ Sie stellte den Eimer auf den Boden und wischte Pirmins Fußspuren weg.

Dieser machte, dass er verschwand. Die Putzfrau hatte er noch nie leiden können. Sie war immer so unfreundlich. Und selbst, wenn er nichts schmutzig machte, fand sie irgendetwas, um ihn anzumeckern.

Als er endlich in dem Stockwerk seiner Wohnung angekommen war, suchte er in seiner Jackentasche nach seinem Schlüssel und öffnete die Tür. Sie war nicht abgeschlossen gewesen, wahrscheinlich war seine Mutter noch zu Hause. Er atmete kurz durch, bevor er eintrat.

„Oh, hallo Pirmin!“ Wie erwartet. Seine Mutter kam aus der Küche. „Na, schon Schule aus?“

„Ja, unser Geschichtslehrer war krank“, antwortete er, warf seine Schultasche in die Ecke und zog seine Jacke aus. „Deswegen durften wir früher heimgehen.“

„Schön!“ Sie ging wieder in die Küche. „Möchtest du etwas mitessen? Ich bin gerade fertig mit Kochen.“

Er folgte ihr. „Weiß nicht. Ein bisschen vielleicht.“ Eigentlich hatte er überhaupt keinen Hunger. Aber er wollte seiner Mutter nicht noch mehr Sorgen machen, als sie in letzter Zeit sowieso schon hatte. Sie hatte einen Job in einer großen Firma und da diese bald ihr 50-jähriges Bestehen feierte, hatte sie immer alle Hände voll zu tun. Wenn sie nach Hause kam, musste sie meistens noch ihren Bürokram erledigen und, und, und... Da wollte Pirmin sie echt nicht noch mehr belasten.

Er setzte sich an den Küchentisch, auf den seine Mutter gerade einen Kochtopf voller Suppe stellte. Er nahm sich etwas davon und begann langsam, zu essen. Seine Mutter setzte sich ebenfalls. Dann fragte sie: „Na, wie war es heute in der Schule?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ganz in Ordnung. Nichts besonderes.“

„Du hörst dich ja wahnsinnig begeistert an.“ Sie lächelte. „Es gibt eben spannenderes, nicht wahr?“

„Klar, alles ist besser als Schule.“ Dass er nicht gerne zur Schule ging, weil die anderen immer so fies zu ihm waren, verschwieg er. Noch nie hatte er mit jemandem darüber geredet. Das wollte er auch nicht. Manchmal schämte er sich richtig dafür, dass er so schüchtern war und alles mit sich machen ließ. Aber dagegen tun konnte er auch nichts.

„Und wie war die Englischarbeit?“

Pirmin sah auf seinen Teller. „Die war ziemlich... okay“, log er. „Englisch ist ja auch nicht wirklich schwer...“ Er hoffte, dass es ihm nicht anzumerken war, dass er log. Immerhin war die Arbeit eine einzige Katastrophe gewesen.

Aber seiner Mutter schien nichts aufzufallen.

Nach dem Essen stand sie auf. „Du, ich muss wieder gehen, meine Mittagspause ist gleich wieder vorbei. Machst du bitte den Abwasch?“

Er nickte. „Ja, mache ich.“

„Danke!“ Sie hob ihre Tasche auf, zog sich dann im Flur die Jacke an und öffnete dann die Wohnungstür. „Bis heute Abend!“

„Ja, bis dann“, antwortete Pirmin und wartete dann, bis sie gegangen war. Die Wohnungstür fiel zu. Endlich allein.

Er mochte seine Mutter. Er mochte sie sogar sehr. Und er hatte oft das Gefühl, sie sei die einzige Person der Welt, die ihn auch mochte. Aber trotzdem. Manchmal war er froh, einfach seine Ruhe zu haben. Noch dazu, wenn er schlechte Laune hatte und das alles überspielen musste, damit sie nichts merkte. So wie heute.

Er stand auf und räumte das Geschirr in die Spülmaschine. Danach ging er in sein Zimmer, hockte sich dort auf die Fensterbank und schaute hinaus auf die Straße. Direkt unter seinem Fenster befand sich eine Fußgängerzone, in der immer etwas los war. Manchmal konnte es ganz interessant sein, die Leute dort zu beobachten. Heute waren allerdings nicht so viele da wie sonst. Das lag wohl am Wetter. Pirmin hob seinen Blick und schaute in den Himmel. Immer noch grau. Das würde sich heute wahrscheinlich auch nicht mehr ändern. Aber wenigstens hatte es inzwischen wieder aufgehört zu regnen.

Er nahm seine Gitarre, die immer an der Wand neben dem Fenster lehnte. In etwa einer Stunde hatte er Gitarrenunterricht und ein bisschen üben konnte davor nicht schaden. Auch, wenn er jeden Tag mindestens eine Stunde spielte. Musik gehörte einfach zu seinem Leben dazu wie die Luft zum Atmen.

Er setzte sich bequemer hin und begann dann, eines der Lieder zu spielen, die er letzte Woche aufbekommen hatte. Mittlerweile konnte er es schon auswendig.

Erst spielte er leise, dann etwas lauter. Gedanklich sang er den Text mit. Nur gedanklich. Richtig singen konnte – und wollte – er nicht. Er wollte nicht, dass ihm jemand dabei zuhörte.

Er lehnte sich zurück und schloss die Augen, während seine Hand geradezu selbstständig über die Saiten tanzte. Jeden Ton nahm er in sich auf. Es war ein schönes Lied.

Und das war der bis jetzt einzige Moment an diesem Tag, in dem er sich wenigstens ein bisschen glücklich fühlte.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (4)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2012-02-27T16:32:33+00:00 27.02.2012 17:32
Jetzt bin ich gerade richtig in der Geschichte drin, da lese ich am besten gleich weiter.
Ich finde den Beinahe-Zusammenstoß mit Steffen sehr gut. Besonders „Ich bin nur so doof, weil die Lehrer... PASS AUF!!“ ist eine hervorragende Stelle. Ohne viele Worte hast du hier dem Leser gezeigt, was gerade vorgeht.

in dem er sich mit seiner Mutter eine kleine Wohnung teilte,
Das klingt eher nach einer Wohngemeinschaft. Würde "zusammen wohnen" nicht schöner klingen - und vielleicht besser passen? Zumal das "teilen"... muss Pirmin denn seinen Teil selbst bezahlten?

den kann ich gerade nochmal wischen!
Besser wäre "den kann ich jetzt nochmal wischen".

Ich bin ganz begeistert von der Mutter, also nicht von ihrem Auftreten, sondern ihrem Fleiß und ihrem Durchhaltevermögen. Von der Arbeit nach Hause, kochen und wieder zur Arbeit hin. Das ist leichter gesagt, als getan.

Er stand auf und räumte das Geschirr in die Spülmaschine.
Hey, moment, ich dachte, dass er abwaschen soll. ;D

Er wollte nicht, dass ihm jemand dabei zuhörte.
Da kann man richtig mit ihm mitfühlen. Er ist allein zu Hause und hat trotzdem Angst, dass jemand ihn hört und ihn vielleicht dafür auslacht. Traurige Szene.

Es war ein schönes Lied.
Du könntest noch sagen, welches Lied es ist. Es wirkt etwas runder, wenn man die Dinge beim Namen nennt. "Er las ein Buch" würde auch in diese Kategorie fallen. Man sollte schon hinschreiben, was es ist. ;)

Solides Kapitel, gute Rechtschreibung. Ich kann nicht meckern.
Jetzt bin ich gespannt, wie du die weitere Entwicklung schildern wirst, wie der der weitere Sichtwechsel gelingen wird.

~present for you~
Turnaris
Von:  Jio
2012-01-19T17:36:46+00:00 19.01.2012 18:36
Also gitarre kann man sich bei pirmin echt gut vorstellen
bin schon wieder gespannt auf das neue kapi ich schau grad regelmäßig nach ^^
Von:  Shunya
2012-01-17T22:12:33+00:00 17.01.2012 23:12
Hui, das war ja mal ein beinahe Zusammenprall. O.o
Zum Glück ist nichts passiert!
Pirmin ist ja auch ein armer Tropf. Der scheint echt nicht viel Freude in seinem Leben zu haben. Außer seiner Gitarre. >.<
Freue mich schon sehr aufs nächste Kapitel!!!
Von:  tenshi_90
2012-01-13T19:55:40+00:00 13.01.2012 20:55
Huhu!

Ich bin echt mal gespannt, wann die beiden mal so richtig ins Gespräch kommen werden...

Liebe Grüße


Zurück