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Freaks of Nature

von

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Zwei Dumme, ein Gedanke

L mochte Menschen nicht besonders.
 

Auf Papier liebte er sie. Geordnet und katalogisiert, als Zahlen und Statistiken und Prozente waren Menschen eine wunderbare Sache, sie konnten gedanklich gedreht und begutachtet werden, ihre Stärken und Schwächen abgeschätzt und nach reiflicher Abschätzung in eine passende Schublade einsortiert werden.
 

Im Fernseher liebte L sie auch. Süße Popsternchen wie Misa Misa, auf Knopfdruck erreichbar und durch das Glas im sicheren Abstand, die lächeln und kleine Torten backen.
 

Aber der direkte Kontakt hatte er immer so weit es ging vermieden. Theoretisch kannte er sich mit allen Facetten des sozialen Zusammenlebens aus und es war ihm klar dass er nicht der allgemeinen gesellschaftlichen Norm entsprach.
 

Aber dass er sein Verhalten der breiten Masse anpassen sollte erschien ihm absurd. L war Detektiv, mit jeder Faser seines Herzens und jeder Zelle seines Körpers. Das einzige was für ihn zählte war, sich zu verbessern, sich mehr an seine Grenzen und darüber hinaus zu treiben.
 

Je größer die Herausforderung, desto leidenschaftlicher und verbissener arbeitete er. Und um sich mehr und mehr steigern zu können konnte er sich nicht mit Nebensächlichkeiten aufhalten.
 

Er hatte das Tennisspielen aufgegeben, auch wenn es ihm sehr schwer gefallen war, er hatte seine Schlafzeiten bis zum absoluten Minimum reduziert und seine Diät komplett auf Süßigkeiten umgestellt um seine Denkleistung so hoch wie nur möglich zu halten. Was machte es wenn sein Äußeres alles andere als ansprechend und sein Lebensstil extrem ungesund war?
 

Er rettete Leben auf der ganzen Welt, all die Menschen da draußen waren auf ihn angewiesen, auf den großen Detektiv L. Denselben Mann den sie auf der Straße abwertend mustern würden, sich Überlegen fühlend in ihrer Einfältigkeit und Oberflächlichkeit.
 

Aber er müsste lügen wenn er behaupten würde dass seine augenblickliche Situation ihm nicht unangenehm war. Der Kira-Fall war groß, der Größte den er jemals hatte.

Es war ein Risiko sich offen als L zu zeigen, aber ein ungewöhnlicher Fall erfordert ungewöhnliche Maßnahmen.
 

Aber er hatte neben der direkten Gefahr auf sein Leben nicht bedacht wie sich die ständige Gegenwart von der Taskforce auf seine Gemütslage auswirken würde.
 

Nach außen hin behielt er seinen sorgfältig trainierten, neutralen Gesichtsausdruck, innen kämpfte er immer wieder gegen den Impuls,

all diese Menschen hinauszuschmeißen damit er endlich in Ruhe arbeiten könnte ohne abschätzende und ungläubige Blicke auf seine Person an sich,

auf die Menge an Zuckerstücken die in seinen Tee fielen oder auf die zweite Erdbeer-Käsesahne-Torte, die systematisch Stück für Stück in seinem Mund verschwand.
 

Leider war es, um weiterhin das Vertrauen der japanischen Polizei zu besitzen, unvermeidlich.
 

Und dann war da natürlich auch noch...
 

„Guten Tag alle zusammen! Vater. Ryuzaki.“
 

Light Yagami. Noch nie hatte er jemanden wie ihn gesehen. Sein Verhalten war tadellos, seine Noten überragend, er war höflich und beliebt und extrem gutaussehend.
 

Sein sportlicher Körper und seine leicht gebräunte Haut, sein schönes und ebenmäßiges Gesicht, seine freundliche und, wenn er wollte, charmante Art.

Er war so perfekt, zu perfekt. Eine glänzende, polierte Fassade, ein Musterbeispiel eines Studenten und Sohnes.
 

Selbst bei der 24-Stunden-Überwachung hatte L ständig das Gefühl, einem talentierten Schauspieler bei seinem ausgefeilten, meisterhaften Theaterstück 'Light Yagami' zuzusehen, bis hin zu Pornomagazinen, die pflichtbewusst durchblättert wurden.
 

Aber L kannte die Wahrheit. Ob Light nun Kira war oder nicht, auf keinen Fall war er der Mensch, den er seiner Umwelt jeden Tag präsentierte.

L konnte es in seinen Augen sehen.

In kleinen Momenten, in denen seine Körpersprache und sein Ausdruck minimal ins Wanken kamen. Wenn er überrascht oder verärgert war.

Wenn er von L herausgefordert wurde.

Light war wie L.

Sie waren zwei von der gleichen Art.
 

L ließ noch einmal zwei Zuckerstücke in seinen Tee fallen.

Er bemerkte wie seine Hand leicht zitterte.

Wieder überkam ihn diese überwältigende, hilflose Wut, und L hasste es.

Lügner, Lügner, Lügner! LÜGNER!
 

Wie durch einen Vorhang hörte L wie Light mit seinem Vater und dem Rest der Taskforce Smalltalk führte, er hörte Matsuda lachen und die freundliche, sanfte Stimme von Light durch den Raum dringen, er konnte fühlen wie sich alle um diesen warmen Punkt im Raum scharten, verführt von der eiskalten Berechnung von menschlichen Emotionen und Verhaltensmustern um die gewünschte Wirkung zu erhalten.
 

Es waren diese Augenblicke, in denen L versucht war alle Vernunft abzulegen und Light vor aller Augen seine Maske vom Gesicht zu reißen.

Alle sollten es sehen.

Er war nicht einer von ihnen, lebte nicht einmal in derselben Welt wie sie.

Er gehörte zu L und niemandem sonst.
 

Aber noch größer als der Wunsch ihn öffentlich zu demaskieren war der, zu Sehen was sich hinter der Fassade verbarg. Die ganzen kleinen Einblicke die L erhaschen konnte hatten ihn gierig nach mehr gemacht.
 

Scharfsinnige wilde Augen, ein kalter harter Ausdruck in seinem jungen Gesicht, der seine geistige Reife enthüllte, diese aggressive Körpersprache.
 

L wollte, nein, musste Light ohne alle seine Einschränkungen und Schutzmauern sehen. Wie er gehen, wie er reden würde. Wer er sein würde. Und ja, alles deutete darauf hin dass diese Person gleichzeitig Kira war. Verwunderlich wäre es nicht. Der letzte Mensch bei dem er ansatzweise so empfunden hatte war BB gewesen.
 

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Light mochte Menschen nicht besonders.
 

Jeder Mensch war letzten Endes manipulierbar, angetrieben von ihren Urinstinkten und grundlegend egoistisch.

Es war nahezu erbärmlich zuzusehen wie sich die sogenannten zivilisierten Menschen wie niedere Tiere um Ansehen und Macht zankten. Ihre Absichten und Begierden waren lächerlich einfach zu durchschauen, jeder versuchte die anderen zu benutzen um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen.
 

Light beherrschte dieses Spiel mit eingeübter Leichtigkeit. Die Menschen um sich herum einschätzen, ihre Ziele, Erwartungen und Wünsche erkennen und dementsprechend handeln.

Und so stieg er in der Rangfolge stetig nach oben, ein nicht enden wollender Siegeszug von Erfolg zu Erfolg. Nichts konnte ihn aufhalten, keine Herausforderung war zu groß für ihn.

Es war so... langweilig.
 

Das war es was Menschen für ihn waren. Langweilig. Und abstoßend in ihrem einfältigen Egoismus.
 

Deshalb war er auch der Einzige der das Death Note benutzen sollte.

Es war nur logisch dass jemand der soweit wie er über der Gesellschaft und der Menschlichkeit an sich stand über sie richten konnte.

Und er würde eine perfekte, glückliche Welt erschaffen und ihr rechtmäßiger Gott sein.

Denn all diese niederen Kreaturen um ihn herum brauchten ihn, auch wenn es jetzt nur anonym im Internet anerkannt wurde.

Bald würden alle Menschen offen bekennen dass Kira ihr Retter ist.
 

Eine große Aufgabe, aber durchaus umsetzbar wenn man bedenkt dass alle seine Gegner ihm hoffnungslos unterlegen sind.
 

Bis auf ihn. Bis auf L.
 

L, der ihn im Fernsehen herausgefordert hatte.

Light war das Blut in den Adern gestockt als er Lind L. Taylor gesehen hatte, die erste Konfrontation mit einem ernst zu nehmendem Gegner.
 

Er erinnerte sich an den freudigen Adrenalinstoß als er den Namen in das Death Note kritzelte, an das leichte Gefühl der Enttäuschung über den viel zu einfachen Sieg, an das rauschhafte Gefühl der Überlegenheit.

Und dann...
 

Nur eine Stimme.

Eine computerverzerrte Stimme und ein gotischer Buchstabe.

Scharfsinnige, spöttische Worte, öffentliche Erniedrigung und schließlich eine Kriegserklärung.

Light hatte noch nie zuvor jemanden gehasst. Es war ein merkwürdiges Gefühl so stark für jemanden zu empfinden. Bisher hatte er noch niemand gefunden der es wert gewesen wäre.
 

Es war unmöglich L einzuschätzen.

Er überraschte Light wieder und wieder, mit Erkenntnissen und Theorien die der unglaublichen Wahrheit erstaunlich nahe lagen.

Schließlich war Light schon seit den ersten Ermittlungen einer der Hauptverdächtigen, das Profil des Täters das L erstellt hatte ließ so gut wie keinen anderen Schluss zu.
 

Und dann hatte er L getroffen.

Light konnte beim besten Willen nicht sagen wie er sich L vorgestellt hatte. Aber ganz bestimmt nicht so.
 

Ein junger Mann, knapp älter als er selbst, mit wirren schwarzen Haaren und großen, leeren Augen.

Wie er daherschlürfte in seinen weiten Klamotten und seinen ungebundenen Chucks, die Schultern nach vorne gebeugt, dürr wie ein Skelett und genauso weiß.

Wie er auf dem Stuhl hockte, die Knie angezogen und einen Daumen an dem Mund hatte er etwas von einer geistig zurückgebliebenen, zerstrubbelten Eule.
 

'Ich bin L.' kam komplett aus dem Nichts.
 

Und obwohl sich im ersten Moment alles in Light sträubte diesen Freak als die Stimme und den Buchstaben den er hasste anzuerkennen wurde es ihm bald klar dass es, nach allem was er von L erfahren hatte, alles andere als unwahrscheinlich war.
 

Niemand war wie L.

Es gab kein Muster, keine Kategorie in der man ihn einordnen konnte.

L war einzigartig, deswegen tat er nicht anderes als Light zu überraschen und ihm die Kontrolle wieder und wieder zu entreißen.
 

L war... L war wie er. Zwei von einer Art.
 

Nur während Light sich seine Überlegenheit zunutze machte und die Menschen um sich herum geschickt manipulierte um seine Ziele zu erreichen war L einfach nur er selbst.

Verschroben und viel intelligenter als gut für ihn war, war er gleichzeitig Lachnummer und Genie.

Trotz seiner überragenden geistigen Fähigkeit hatte er beschlossen ein Ausgestoßener zu sein, was Light vollkommen unverständlich war.
 

Und das war nicht das einzigste an L das keinen Sinn ergab.
 

Wie konnte jemand der sich nur von Süßigkeiten ernährte und eine so furchtbare Körperhaltung hatte so hervorragend Tennis spielen?
 

Wie kam es dass L in einem Moment einen messerscharfen Verstand und eine so beeindruckende Aufnahme und Kombiniergabe hatte, und im Nächsten sich einen Lolli in den Mund steckte, sich verwirrt umschaute und keine Ahnung mehr zu haben schien wo er war und was er hier eigentlich machte?
 

Wie konnte jemand in einem Moment über blutige Vorfälle berichten und im Nächsten aus Zuckerstückchen kleine Türme bauen und Gummibärchen epische Schlachten führen lassen?
 

Wo kam L überhaupt her, gibt es irgendwo in einem geheimen Bergdorf im Himalaya eine Trainingseinrichtung für geniale Detektive auf Zuckerbasis?
 

Light war neugierig.

Noch viel stärker als der Drang den Detektiv zu töten war der ihn sorgfältig auseinanderzunehmen.

Herauszufinden wie er funktionierte, was ihn zu dem gemacht hatte was er jetzt war.

Und vielleicht, vielleicht war es ja möglich ihn für seine Sache zu gewinnen.
 

Natürlich wäre eine zweite Person mit gesteigertem geistigen Potenzial auch ein Risiko, aber Light war unweigerlich zu L hingezogen, das erste Mal mit jemandem konfrontiert der es von der Intelligenz mit ihm aufnehmen konnte.

Ein echtes Gegenüber zu haben.
 

Es wäre irgendwie ein Jammer diese Person gleich wieder zu verlieren.

Wenn es Light gelingen würde sich L irgendwie gefügig zu machen...
 

"Light-kun."

kam die tonlose Begrüßung von L, der sich nicht einmal die Mühe machte sich umzudrehen und unbeeindruckt mit seinem Löffel im Tee rührte, während die andere Hand mit einem einzelnen Finger im Schneckentempo auf die Tastatur hackte, die Augen starr auf den Bildschirm gerichtet.
 

Light erlaubte sich, einen Moment seiner Fantasie freien Lauf zu lassen und L gedanklich aus seinem albernen Sessel zu zerren und dem Detektiv seinen Laptop auf dem Kopf zu zertrümmern.
 

Light hasste es ignoriert zu werden.
 

Er schaffte es sich nach den üblichen Begrüßungsfloskeln von seinem Publikumskreis zu lösen und ließ sich neben L auf einen der anderen Sessel fallen, dankbar dafür dass sie sich in einer recht ungestörten Ecke des Raumes befanden.
 

„Wie laufen die Ermittlungen? Gibt es etwas Neues?“
 

L blinzelte durch seine dicken Haarsträhnen nach oben, die Augen groß und nichtssagend.
 

„Leider kommen wir im Moment nur sehr langsam voran. Die japanische Polizei beginnt wieder Druck zu machen, wenn der Fall nicht bald gelöst wird verweigern sie uns ihre fortlaufende Unterstützung. Die Angst vor Kira beginnt sich immer stärker bemerkbar zu machen.“
 

Angst? Nur die Ungerechten müssen vor Kira Angst haben. Alle sollten das doch schon bemerkt haben.
 

Ryuk begann gelangweilt durch das Hauptquartier zu schlendern.

'Light, das ganze wird langsam langweilig. Nichts aufregendes passiert, alle sitzten nur rum und klickern an ihren Computern. Und dieser L macht auch nichts anderes als Essen und in die Luft starren. Macht mal wieder was Interessantes.'
 

„Du siehst deprimiert aus Ryuzaki. Vielleicht würde es dir helfen ein wenig Abstand von dem Hauptquartier zu bekommen. Möchtest du nicht mal wieder einen Tag in die Universität gehen? Das bringt dich wieder ein bisschen in Schwung. Ich könnte dir eine Chance auf ein Rematch geben.“
 

L blickte zurück auf seinen Bildschirm, aber es war zu spät, Light hatte schon das freudige Aufflackern in seinen Augen schon bemerkt.
 

Die Aussicht auf einen Zweikampf mit seinem Rivalen, auf welche Art auch immer, schien sofort wieder Leben in den kleinen Haufen Mensch im Sessel zu bringen.
 

'Na endlich,' lachte Ryuk. 'Ich dachte schon hier kommt nie wieder ein bisschen Schwung in den Laden. Bin gespannt wer diesmal gewinnt.'
 

Oh ja, Light war es auch...

Back to school

Es war erst als L vor der Eingangstür der Universität stand dass es ihm wieder bewusst wurde warum er die kurze Zeit darin gehasst hatte.

Natürlich war es utopisch anzunehmen dass sich diese Schule mit Whammys Haus messen könnte.

Aber trotzdem hatte er irgendwie gehofft dass das Publikum gebildeter und niveauvoller sein würde als der Standard auf den Straßen.

Vielleicht wären sie sogar etwas toleranter und verständnisvoller einem Menschen wie ihm gegenüber.

Letzten Endes bekam er die gleichen Blicke und geflüsterten Kommentare wie überall sonst.
 

Aber er war schließlich aus gutem Grund hier. Beim ersten Mal hatte er sich Light Yagami angenähert.
 

Bei dem Gedanken daran musste er ein wenig lächeln.

Light sah so verwirrt aus, völlig sprachlos und aus der Bahn geworfen.

L konnte förmlich den Wirbelsturm von Gedanken hinter seinen goldbraunen Augen rasen sehen, ein wunderbarer, aufregender Einblick in den wahren Light Yagami.
 

Und jetzt war L wieder hier, bereit für eine weitere Runde.

Es war ein ständiger Wechsel aus Angriff und Verteidigung, beide vorsichtig genug um nicht zuviel von sich preiszugeben und mutig genug um waghalsig zuzuschlagen.
 

Bevor er Light traf war er dabei nachzulassen, dass konnte er jetzt erkennen.

Es fehlte ihm die immerwährende Energie die ihn antrieb, das Feuer und den Ehrgeiz.

Vielleicht wäre er ohne Light bald ausgebrannt, unfähig sich zu verbessern oder auch nur seinen jetzigen Standard zu halten.
 

Aber jetzt hatte sich ein ganz anderes Problem entwickelt.

Es bestand eine sechsprozentige Chance dass Light Kira war. Aber L bemerkte dass er begann sich zu sehr auf diese Theorie zu versteifen.
 

Eine der wichtigsten Eigenschaften eines Detektives sollte seine Fähigkeit sein, in jede erdenkliche Richtung ermitteln zu können.

Kira und Light begannen in seinem Kopf jedoch immer mehr zu verschmelzen, sodass es ihm langsam schwer fiel sie einzeln zu sehen.
 

War das wirklich sein detektivischer Spürsinn? Was, wenn es nur Wunschdenken seinerseits wäre, die Hoffnung dass es sich bei den beiden beeindruckensten Personen die er jemals getroffen hatte um ein und diesselbe handelte?

Wäre es nicht sehr viel logischer zu hoffen, dass Light Yagami unschuldig ist und damit ein wertvoller Verbündeter und potenzieller Partner für weitere Fälle wäre?
 

Nein, L wollte beide, Light und Kira. Der eiskalte Killer mit dem Aussehen eines Engels und den Augen aus Bernstein.

Stolz, arrogant und so, so intelligent.

Das war die Person der er gegenüberstehen wollte.

Die ganze Welt hatte er getäuscht und jetzt machte er sich daran ihr Herrscher zu werden.

Und niemand hatte es bemerkt, niemand seinen Plan durchschaut, bis auf L.

Und L stellte sich ihm todesmutig entgegen.
 

Er wickelte einen Lutscher aus seinem leuchtend pinken Papier und stecke ihn sich in den Mund.

Der große Detektiv L war bereit.
 

Light hatte während all seiner Vorlesungen gedankenverloren vor sich hingestarrt. L war immer noch nicht aufgetaucht.
 

Vielleicht hat er einfach keine Lust in die Vorlesung zu gehen und taucht erst am Nachmittag auf?

Light konnte es sich nicht vorstellen dass er ihn sitzenließ, L war genauso versessen auf die nächste Runde wie Light und selbst wenn er es sich leistete Light ein bisschen hinzuhalten würde er bestimmt nicht einen Nachmittag mit seinem Lieblingsverdächtigen für endlose Stunden vor flackernden Bildschirmen tauschen.
 

Und jetzt war er sogar bereit sich aus seinem sicheren Nest hinauszuwagen, in ein Territorium in dem Light eindeutig die Oberhand hatte.
 

Es galt L aus der Reserve zu locken, seine Schutzschichten vorsichtig abzutragen und ihm geschickt die Kontrolle zu entreißen.

Die Vorraussetzungen waren perfekt, jetzt durfte Light nur nicht zu übermütig sein und behutsam vorgehen, ansonsten ist der Tag vorbei und alles was erreicht wurde waren erhöhte Kiraprozente und ein motivierterer L.
 

Es war gerade Mittagspause als Light seinen Gegenspieler endlich entdeckte.
 

Erstaunlich wie jemand wie L es schaffte in einer so großen Menge fast schmerzhaft herauszustechen.

Wie eine komplett andere Spezies, die schon längst aufgegeben hat die Menschen um sich herum zu imitieren und sie nur noch gelangweilt anstarrt, wie nur mäßig interessante Fische in einem Aquarium.

Der einzige Unterschied in seiner Aufmachung im Hauptquartier waren die Chucks, die sichtlich lustlos freiheitsgewohnte Füße einzwängten.
 

Ansonsten stand dort L in all seiner exzentrischen Glorie, von den schwarzen struppigen Haaren zu dem weißen, knittrigen Shirt und der lockeren Jeans am dünnen Körper, den dunklen Schatten unter den Augen und dem leeren Ausdruck im Gesicht.

Aus seinem Mund ragte der weiße Plastikstab eines Lollies.

Außerdem hatte er es noch geschafft sich direkt auf den Raucherplatz zu stellen, auf dem sich jetzt langsam Gruppen von Jungs sammelten denen man besser nicht zu nahe kam wenn man allein und den Eindruck eines Freiwilds machte.

Und alles an L schrie geradezu 'Opfer'.
 

Mit ein paar knappen Sätzen wurde er das plappernde Mädchen neben ihm los (Takada? Teiko? Er wusste es schon nicht mehr...) und ging so schnell es möglich war zu der Ecke, an der sich schon eine handgreifliche Diskussion anzubahnen schien.
 

'Hey warte doch,' gluckste Ryuk hinter ihm. 'In ein paar Minuten hat sich das Problem L von selbst erledigt.'

Verdammt. Diesen Detektiv konnte man keine Sekunde aus den Augen lassen.

Der Retter

„Hey, warst du nicht einer von den beiden die Erste im Eignungstest wurden?“
 

L wurde unsanft aus seinen Gedanken gerissen. Vor ihm standen mehrere Jugendliche, Erstsemester von durchschnittlicher bis abfallender Intelligenz würde er schätzen.

Vier insgesamt, alle breiter gebaut als er, was nicht schwer war, und zwei von ihnen größer.
 

„Ja genau. Der andere war so ein reicher Schönling gewesen. Und du? Haben sie dich unter ner Brücke gefunden?“
 

Offene Feindseligkeit. Das könnte unangenehm werden.

Ls Kopf war mit einem Schlag angefüllt von Fakten und Studien über Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen, Gruppenbildungen als Stärkung des Gemeinschaftsgefühls, Bedürfnis nach sozialer Anerkennung und und und.
 

„Hey, ich hab dich was gefragt! Bist du dir zu fein um mit uns zu reden?“

Der Anführer der Truppe versetzte ihm einen Stoß vor die Brust der ihn zwei Schritte zurückstolpern ließ.
 

Obwohl er nichts lieber täte als diesen Kindern ehrlich zu antworten, ja, er war sich zu fein dafür, Herzlichen Dank und auf Wiedersehn, sah er doch ein dass dieses Problem anders zu lösen sein müsste, wenn er körperlichen Schaden vermeiden wollte.
 

„Sag mal bist du taub? Oder n bisschen zurückgebliebenen?“

Zu allem Überfluss fing sein Herz auch noch an schneller zu schlagen, ein leichter Schwindel setzte ein und sein Atem verkürzte sich.

In Panik zu verfallen konnte er sich absolut nicht leisten, auf die zwei Basisinstinke 'Angriff oder Flucht' zurückzugreifen erschien ihm lächerlich, wo es sich nur um frustrierte, unsichere Studenten handelte, die ein Ventil für ihre Agressionen suchten.
 

Vorsichtig nahm er mit zwei Fingern den Lutscher aus dem Mund.

„Ich würde hier nur gerne auf meine Verabredung warten. Meine Gegenwart wird euch nicht lange belästigen.“
 

Seine Stimme klang immer noch gewohnt monoton, trotz seiner feuchten Hände und dem pochendem Herzschlag.

Kaum hatte L den Mund wieder geschlossen war ihm klar dass er das Falsche gesagt hatte.

Allerdings konnte er sich auch nicht vorstellen was die richtige Reaktion gewesen sein könnte, diese Jugendlichen waren offensichtlich auf eine Auseinandersetzung aus.
 

Der Kreis um ihn begann sich langsam zu schließen, eine kleine abgeschirmte Welt in dem das Rudel den Einzelgänger ungestört erlegen konnten.

Kein Außenstehender würde es wagen in diesen rudimentären Akt einzugreifen. Körperliche Auseinandersetzungen wurden bis zu einem gewissen Grad übergangen und die Studenten ließ man die Rangordung unter sich regeln.
 

„Machst du dich lustig über uns, hä? Hallo?! Schau mich gefälligst an wenn ich mit dir rede!“

Der Anführer grub seine Hand in Ls Haare und riss ihm den Kopf in den Nacken.

L zuckte vor Schmerz zusammen, seine weiten Augen auf das verzerrte Gesicht vor ihm gerichtet. Er konnte den warmen Atem des Jungen auf seiner Haut spüren.

Ihm wurde übel.
 

Der Detektiv rechnete damit dass er mit Einem von ihnen fertig werden könnte, wenn es gut lief auch mit Zwei. Aber Vier überstiegen doch seine Fähigkeiten in Capoeira, und an körperlicher Stärke und direkter Nahkampferfahrung war er weit unterlegen.
 

„Jetzt pass mal auf du kleiner Freak. Ist mir total egal wie gut du in dem Test warst, du brauchst hier trotzdem nicht so zu tun als wärst du was besseres.“
 

Der Anführer riss ihm seinen Lutscher aus der Hand und warf ihn achtlos auf den Boden.

Die Geste erschien L fast lächerlich und er spürte wie ein hysterisches Kichern in ihm hochstieg aber im nächsten Augenblick traf ihn ein so harter Schlag ins Gesicht dass er rückwärts auf den steinigen Boden fiel.
 

Schmerz. Schock. Ein seltsamer Moment um jetzt gerade an Kira zu denken.

'Kira beschützt die Schwachen. Jetzt schikaniert mich keiner mehr.'

So oft hatte er diesen Satz schon in Internetforen gelesen.

Kinder, die bereit waren einen Massenmörder zu unterstützen um diesem Alltag zu entkommen.

'Kira beschützt...'

„Hideki! Da bist du ja!“
 

Als Light am Schauplatz ankam hatte sich die Situation schon recht aufgeheizt.

L saß am Boden, Blut tropfte ihm aus der Nase und seine Lippe war aufgeplatzt. Für Andere müsste Hideki nur überrascht und leicht irritiert wirken, aber Light wusste schon auf welche Zeichen er achten musste, das minimale Zittern, die blasse Gesichtsfarbe und für einem winzigen Moment dieser Ausdruck als sich ihre Augen trafen.

Hast du Angst L, hm? Was geht in deinem Kopf vor?
 

Lights Hand zuckte, er hätte am liebsten gleich noch einmal auf den Detektiv eingeschlagen, nur in der Hoffnung dass sich der Ausdruck noch einmal zeigen würde und Light erkennen könnte was sich dahinter verbarg.
 

Aber das Wichtigste zuerst. Entschärfung der Situation.

„Was sitzt du da unten rum? Bist du jetzt schon zum Laufen zu blöd? Ich hab den Tennisplatz für 14 Uhr reserviert und ich will vorher noch was Essen. Also beweg dich.“
 

Während L sich langsam wieder auf zwei Beine stellte meldete sich einer der Jungs zu Wort, die sich mit sichtlicher Mühe versuchten auf diese neue Situation einzustellen.
 

„Ach, und du bist die Verabredung? Dann seit ihr auch noch Schwuchteln?“

Verabredung? Was in aller Welt hatte L ihnen erzählt?
 

„Ich hab das Tennisspielen in der Mittelstufe aufgehört und jetzt hol ich ein bisschen nach. Und wenn es heißt dass ich zweimal die Woche mit der Vogelscheuche da rumhängen muss, hey, ich hab nen starken Magen.“
 

Das war das entscheidende Kommentar gewesen. Die Aufnahme in eine Gruppe durch den gemeinsamen Ausschluss einer dritten Partei.

Die Jungs lachten, der Kleinste mit einem deutlichen Akneproblem gab ihm sogar einen freundschaftlichen Schlag auf die Schulter.
 

Innerlich kochte Kira vor Wut. Diese dummen Kinder waren es nicht wert dieselbe Luft wie L zu atmen.

Dass sie es wagen konnten so auf ihn herabzusehen und Light dann auch noch als einer der Ihren zu behandeln.

Ungeziefer.

Aber jetzt musste er sich auf das Wesentliche konzentrieren.

Und das Wesentliche hatte schon begonnen sich langsam vom Platz zu schleichen. Als Light ihm nachlief und keine Reaktion mehr von der Gruppe kam konnte er sicher sein dass die Gefahr, zumindest fürs Erste, gebannt war.
 

Beide gingen schweigend nebeneinander her, L hatte den Blick auf den Boden gerichtet, Daumen leicht an den Mund gelegt, Blut von der Nase und der Lippe tropfte auf sein weißes Shirt.
 

„Hideki, alles in Ordung? Geht es dir gut? Das mit vorhin tut mir sehr leid. Anders hätten sie uns nicht in Ruhe gelassen.“
 

Light versuchte besorgt und schuldbewusst zu klingen. In Wahrheit war er wütend dass seine ganzen Pläne über den Haufen geworfen wurden.

Einen kleinen Einblick in L, als er ihn vom Boden aus ansah, war ihm vergönnt gewesen, aber jetzt schien noch verschlossener als sonst.

Soviel zu dazu, einem in Sicherheit gewiegten L ein bisschen mehr unter seine Kontrolle zu bringen.

Außerdem würde dieser Vorfall die Wahrscheinlichkeit, dass L noch einmal vor die Türe geht, bestimmt nicht steigern.

Verflucht!
 

„Light-kun hat mich aus einer unangenehmen Situation geholt, vielen Dank.“

Light versuchte irgendeine Gefühlsregung in L zu finden, aber er schien absolut neutral. Er wusste nicht was er jetzt sagen könnte und entschied sich dafür L den nächsten Schritt bestimmen zu lassen.

„Wohin gehen wir jetzt?“
 

L hatte aus den Tiefen seiner, jetzt ziemlich verstaubten, Jeans mit ebenfalls verstaubten, aufgeschürften Händen einen zweiten Lutscher gekramt.

„Zum Tennisplatz natürlich. Wir können auch gerne noch einen Umweg machen, falls du das Bedürfnis hast etwas zu essen.“
 

Light blieb abrubt stehen.

„Das kann doch nicht dein Ernst sein!“

L drehte sich um, völlig ausdruckslos.

„Wieso?“

„Weil du aussiehst als wärst du überfahren worden.“
 

Nein, nein, nein!

Das Tennisspielen sollte etwas sein dass L dazu bringt zutraulicher zu werden, es würde nichts bringen wenn er völlig verschlossen, mit zusammengebissenen Zähnen und blutverschmierter Kleidung gegen Light antreten würde.

L würde nur beweisen wollen dass er das Match durchhalten könnte, dass ihm das Erlebnis von vorher unbeeindruckt gelassen hätte. Jede Aussicht auf ein spielerisches Duell von Geist und Verstand wäre unweigerlich verloren.
 

„Mein leicht mitgenommenes Äußeres hat nichts an meinen sportlichen Fähigkeiten verringert. Ich bin sehrwohl in der Lage es mit dir aufzunehmen.“
 

Light seufzte.

„Wie auch immer, am Platz sind Sportumkleiden. Im Waschraum kannst du dich ein bisschen saubermachen. Der Dreck muss aus deinen Wunden.“
 

Grünes Papier wurde mit zwei Fingern zu Boden fallen gelassen und ein genauso giftgrüner Lutscher zwischen immer noch blutende Lippen gesteckt.

„Einverstanden.“

Die nächste Generation

Zeitgleich, in New York.
 

Feiner Sprühregen lag auf der nächtlichen Stadt.

Die Gegend war zwielichtig und heruntergekommen, flackernde Neonlichter lockten die Menschen in Spielhöllen und Striptease-Bars.
 

In einer schmalen, dunklen Gasse zwischen einem Pfandleiher mit schwer vergitterten Türen und Fenstern und einer alten Lagerhalle aus der laute Musik dröhnte standen zwei Gestalten.
 

„Ich hab ihn nie persönlich getroffen. Alles lief über das Telephon ab.

Die meiste Zeit hat mir so ein Typ der sich Gevanni nennt Anweisungen gegeben. Nur einmal hat sich jemand als 'Near' vorgestellt und da war die Stimme mit nem Computer verzerrt.

Keine Ahnung ob ers wirklich war. Ist mir auch lieber so.

Ich arbeite nur für diese Leute, ich will nichts von ihnen wissen, gibt weniger Probleme.“
 

„Natürlich war er es!

Er würde nicht zulassen dass jemand anders sich als Near ausgibt!

Hör zu, ich will dass du nochmal mit der Nummer, die er dir gegeben hat, Kontakt aufnimmst.

Sag dass du noch einen Job willst. Sag dass du mehr Geld brauchst und deswegen bereit bist ein größeres Risiko einzugehen.

Sieh zu dass du näher an ihn rankommst. Was immer er dir zahlt, du kriegst das Doppelte von mir.“
 

„Vergiss es! Ich hab keine Lust in irgendwas reingezogen zu werden.

Ich mache kleine Jobs für kleine Summen. Alles überschaubar, nichts für dass mir irgendwann ein Haufen Typen mit Baseballschlägern die Tür eintreten und danach meinen Schädel. Ich will einfach nur meine Brötchen verdienen.

Und die ganze Sache ist mir sowieso unheimlich. Fuck, ich hatte das Gefühl mit dem Kerl von 'Saw' zu telephonieren.

Und du? Hey, ich weiß ja nicht mal genau was für ein Geschlecht du überhaupt darstellen sollst.“
 

Der dumpfe Knall eines Schusses mit Schalldämpfung kam aus der Gasse.

Einen Moment Stille.

Dann:

„Arschloch.“
 

Aus dem Dunklen trat jemand in das dämmrige Licht der Straße.

Rote Stiefel, enge schwarze Lederhose, ein schwarzer Mantel mit genügend Federn am Kragen um alle Puffmütter von New York vor Neid erblassen zu lassen, kinnlange blonde Haare und stechend blaue Augen.
 

„Weißt du Mello, wenn du alle Informanten erschießt wird irgendwann niemand mehr für uns arbeiten wollen.“
 

Der junge Mann, der lässig an dem roten Chevy lehnte nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette und warf sie weg.

Er zündete sich eine Neue an.
 

Seine Haare waren feuerrot, er trug ein schwarzweiß-gestreiftes Shirt und eine dicke Fellweste.

Auf seinen Augen saß eine dicke, gelbe Fliegerbrille.
 

„Fick dich doch, Matt.“

Mello pflückte sich die frische Zigarette und nahm einen langen Zug.

Matt hob leicht eine Augenbraue.

Wenn Mello sich dazu herabließ diesen 'stinkenden Scheiß' zu rauchen schien es wirklich schlimm zu sein.
 

„Verdammt, wir kommen einfach nicht weiter. Dieser kleine Pisser hat sich einfach zu gut abgesichert.“
 

Matt war sich klar darüber dass er und Mello mit ihrem Intellekt sehr viel Produktiveres anstellen könnten als eine kindische Fehde auszufechten.
 

Aber für jedes Ziel braucht es Motivation.

Mellos Motivation war nunmal Near, schon immer.
 

Und Matt?

Matt wollte unterhalten werden.

Und neben Videospielen und dem kratzenden, befriedigendem Gefühl mit jedem Zug an der Zigarette dem Grab einem Schritt näher zu sein, war Mello die beste Unterhaltung die es gab.

Er hatte es nie geschafft so etwas wie Ehrgeiz und Antrieb und Leidenschaft zu entwickeln.

Aber das war in Ordnung so, Mello hatte genug davon für sie beide.

Matt ließ sich von ihm mitziehen, zufrieden damit, im Kielwasser von Mello zu erahnen wie es ist, ein Leben gesteuert von Emotionen zu führen.
 

„Das Zeug schmeckt scheiße.“

Mello warf die Zigarette angewidert hinter sich und kramte seine Schokolade aus dem Mantel.
 

Matt nahm die Nächste aus der Packung und fühlte undeutlich etwas Weiches und Warmes im Bauch aufsteigen.
 

Er würde nie soweit gehen zu sagen, dass er Mello mochte. Aber er war... tolerierbar.

Und wenn er nicht mehr da wäre... Matt vermutete dass er dann vielleicht etwas wie Trauer empfinden würde.

Schließlich war Mello einer der Hauptgründe dafür, dass er heute siebzehn Jahre alt geworden war.

Ansonsten hätte er höchstwarscheinlich schon längst Selbstmord begangen.
 

Aus purer Langeweile.

Ein Blick hinter Fassaden

Alles tat weh.

Der Schmerz schien mit jedem Schritt schlimmer zu werden, das Brennen an den Handflächen, der scharfe, pochende Schmerz im Gesicht, das dumpfe Dröhnen im Kopf.

Wie konnte es nur so schmerzhaft sein einen einzigen Schlag einstecken zu müssen?

Aber L hatte ja nicht wirklich eine Erfahrung mit der er das Gefühl vergleichen könnte.

Er hatte sich nie geprügelt.

Das Capoeira hatte er vor dem Fernseher mit Übungsvideos angeeignet.
 

Dass Light gerade im richtigen Moment aufgetaucht war könnte vermuten lassen dass der Vorfall geplant war, trotzdem bezweifelte L es.

Light hätte keinen Vorteil davon, bis auf vielleicht ein primitives Gefühl der Genugtuung.

Und Light stand über diesen Dingen.
 

Also hatte L es wirklich einfach nur geschafft, sich vor seinem ebenbürtigem Rivalen zu blamieren.

Fantastisch...
 

Der Waschraum war feucht und roch wie die Umkleide die davor lag, Schweiß und Deodorant und Polyester. Widerlich. Er warf seinen Lutscher in den Abfalleimer.
 

Zögernd hielt er seine Hände unter den leicht angerosteten Wasserhahn.

Der Schmerz explodierte erneut als das kalte Wasser über seine Handflächen lief.

Reflexartig stiegen ihm Tränen in die Augen, aber er zwang sich keinen Laut von sich zu geben.
 

„Bist du ok?“

L zuckte zusammen, Lights Stimme war viel dichter an seinem Ohr als sie sein sollte.

Als er sich umdrehte standen sie nur Zentimeter entfernt. Lights Atem roch leicht nach Minze.

L schluckte trocken.

„Natürlich.“
 

Das zweite Mal dass er heute einem Menschen näher als ihm angenehm war, die ganze Sache hatte sich verselbstständigt.

Aber obwohl Light auf seine Art sehr viel Gefährlicher und Unberechenbarer als sein vorheriger Angreifer war hatte L nicht dasselbe angewiderte Gefühl.

Stattdessen lief eine vibrierende Spannung durch seinen Körper, als ob er kurz davor stehen würde einen extrem verwinkelten Fall zu lösen oder wie damals, kurz vor dem letzten Spiel der Juniormeisterschaften.
 

„Wir müssen das nicht tun. Wie willst du denn mit deinen Händen den Schläger halten? Du musst niemanden etwas beweisen, auch deinem Hauptverdächtigen nicht.“

Schlanke, leicht gebräunte Finger strichen langsam über Ls Schulter, als würden sie versuchen den Schmutz etwas zu entfernen.

L schlug sie wütend weg.
 

„Geb dich nicht der falschen Annahme hin ich wäre schwach. Sei es im Körper oder im Geist.“

Nein. Das war nicht mehr das anregende Gefühl von Damals.

Es war stärker, viel stärker.

Light lächelte leicht und streichte jetzt sanft die andere Schulter ab.

„Das weiß ich. Deswegen sind wir hier. Wir beide...“

Er hielt einen Moment inne. Seine Hand ruhte immer noch auf Ls Schulter.

„Wir beide sind stärker als all die Menschen da draußen. Der einzige Unterschied ist der, dass ich gelernt habe mich meiner Umwelt so anzupassen dass es dem oberflächlichen Betrachter nicht auffällt. Du hattest dafür nur noch nicht genug Übung.“

„Mir scheint Light-kun verwechselt weltfremd und atypisch mit Soziophatie.“
 

L war sich darüber im Klaren dass das was er gerade tat dem Fall bestimmt nicht dienlich sein würde, aber er war aufgebracht und sein Herz schlug schnell, viel zu schnell, viel schneller als bei dem Angriff auf dem Platz.

Light hob leicht eine dünne Augenbraue.

„Soziophatie?“

„Nichts an Light-kun ist echt. Er hat seine Emotionen und Reaktionen alle tadellos kopiert, eine Collage der Dinge die seiner Meinung nach Menschlichkeit ausmacht. Aber das wahre Menschliche fehlt ihm, er ist eine Hülle, eine Tarnung für das was er von der Welt verbergen möchte, für sein wahres Ich.“

„Und was ist mein wahres Ich?“

Wenn L nur ganz leicht den Kopf nach oben neigen würde würden sich ihre Nasen streifen.

Light lächelte schmal, in seinen Augen schien der Bernstein zäh und träge zu fließen. Hypnotisch.

„Light Yagami ist ein Monster.“
 

L erwartete (hoffte) dass Light dieses neue Spiel an dieser Stelle beenden würde, lachen, ihn für verrückt und überlastet erklären würde.

Ja, er war viel zu schnell vorgestürmt und hatte durch diesen direkten Angriff sicherlich nicht den strategisch günstigsten Zug ausgeführt, aber jetzt war diese Runde vorbei und er musste damit leben.

Stattdessen kam eine zweite Hand nach oben.
 

Light hielt ihn an den Schultern, nicht wirklich fest, aber die Berührung allein schien durch den dünnen Stoff wie Feuer zu brennen.

Er lächelte jetzt noch breiter, und etwas Grausames war in sein Gesicht getreten.

„Und wie sieht es mit L aus, hm? Der große Meisterdetektiv der sich wie eine Ratte in abgeschotteten Zimmern verkriecht, Zuckersirup aus einem Glas löffelt und sich nur die schwersten Fälle aussucht, alles um der ewigen Langeweile zu entkommen. Denn darauf kommt es am Ende immer zurück. Langeweile. Sie macht uns zu dem was wir sind. Wir stehen soweit über den anderen Menschen um uns, das was sie tun genügt uns nicht um dieser tödlichen Trägheit zu entkommen.

Wann ist es dir zum ersten Mal aufgefallen? Dass dich das Detektiv-Spielen nicht mehr befriedigt?

Dass du mehr brauchst?“
 

Lights Stimme schien dumpfer, tiefer zu werden, als wäre L unter Wasser.

'Dong. Dong. Dong. Dong.'

Die Glocken...

Die Glocken waren nie ein gutes Zeichen.
 

„Deswegen tust du das alles. Deswegen bist du bereit deinen Körper bis an seine absoluten Grenzen zu treiben, immer weiter, immer höher. Deswegen bist du bereit hierher zu kommen, aus deinem Versteck zu kriechen und dich der Gesellschaft auszusetzen trotz deines offensichtlichen Abscheues.

Denn du weißt, wenn du stoppst, wenn du innehälst, dann bemerkst du wie unzufrieden du bist.

Dass du mehr sein willst.“
 

Mehr. Mehr als nur ein Detektiv.

Wie BB. Ein perfektes Verbrechen schaffen.

Wie Kira. Eine perfekte Welt schaffen.

'Dong. Dong...'
 

„Du hast dir den Kira-Fall ausgesucht weil der Täter dir so ähnlich ist.

Und während du versuchst ihn zu fassen kannst du beinahe vergessen wie sehr du ihn beneidest.

Was bringt es einen Verbrecher nach dem anderen hinter Gittern zu bringen? Das Rechtssystem lässt so viele wieder laufen, ein, zwei Jahre gute Führung und ein Vergewaltiger kann wieder auf die Straße. Und die größten Kriminellen, die wirklich verdorbenen Menschen, besitzen genug Geld und Einfluss das sie nie ihre gerechte Strafe bekommen. Tief in dir, da wünscht du dir Kiras Macht zu besitzen.

Also wäre ich an deiner Stelle vorsichtig mit Anschuldigungen.“
 

Light war euphorisch.

Das war besser, viel besser als alles was er erhofft hatte.
 

Er hatte damit gerechnet den Rest des Tages untätig vor Ls Schutzmauer stehen zu müssen und diese alberne Farce bis zum Ende durchzuziehen bis sie wieder ins Hauptquartier zurückkehrten.
 

Und dann hatte sich L vor dem Waschbecken umgedreht und noch nie hatte Light etwas so Wunderschönes gesehen.

Ls Augen waren feucht, verwirrt, OFFEN!

Jetzt! Jetzt, musste er etwas tun, irgendetwas, egal was, um ihn offen zu halten!

Und, oh Gott, es funktionierte.
 

Nur ein paar ruhige, gönnerhafte Worte und sanfte Berührungen und L spuckte ihm seine wahren Gedanken entgegen.

Dann konnte Light seinen Angriff starten.

Scheiß auf den langsamen und vorsichtigen Weg. Er musste nicht mehr die Hintertür nehmen, nicht wenn L so bereitwillig das Eingangstor offenhielt.
 

Während Light allem Luft machte was sich in ihm angestaut hatte, jede Erkenntnis und Beobachtung und Ahnung und Vermutung über dieses unergründliche, unvergleichliche Wesen das sich selbst in Ketten gelegt hatte, schien der endlose schwarze Abgrund in Ls Augen tiefer und tiefer zu werden, eine brodelnde, aufgewühlte Finsternis gefüllt mit all den Gedanken und Gefühlen die L ihm immer vorenthalten hatte.
 

Aber irgendetwas war nicht richtig. L schien ihn gar nicht mehr zu sehen, seine Augen waren starr auf einen weit entfernten Ort gerichtet.

Dabei war es doch Light, der ihm sein Fundament unter den Füßen wegriss!

Und jetzt auf einmal schien der Andere für ihn gar nicht mehr zu existieren.

L war verloren in seiner eigenen Welt und was immer gerade darin vorging sah nur er selbst.

Egoistischer Bastard!
 

Light krallte seine Finger in knochige Schultern und schlug den Detektiv mit voller Wucht gegen die harte, mamorierte Wand.

Wie ein zerrissenes Gummiband schnalzte Ls Aufmerksamkeit auf Light zurück.

Er stieß einen würgenden, kreischenden Schrei aus, so laut und unerwartet dass Light vor Schreck zurückstolperte.

L nutzte den neugewonnenen Abstand um ihm mit dem Fuß gegen das Brustbein zu treten, dass Light alle Luft aus den Lungen wich und er hustend zu Boden fiel.

Während er noch keuchend nach Atem rang hatte sich L schon auf ihn gestürzt und begonnen wie ein wildes Tier auf ihn einzuschlagen.
 

„Ich versuche alles! Ich mache alles richtig! Was soll ich noch tun? Was??!“

Light schaffte es ihm sein Knie in den Bauch zu rammen und L zur Seite zu stoßen.

Der Detektiv hockte zusammengekauert auf dem Boden und starrte Light mit dem Blick eines verletzten, panischen Tieres an. L war immer noch meilenweit weg.
 

Er begann leise vor sich hin zu brabbeln.

„Ich habs versucht. Immer. Und wenn wir gar nicht existieren sollten?

Vielleicht sollten Leute wie wir gar nicht... Alle um uns herum, die Gesellschaft, sie verachtet uns und wir sie. Wir können gar nicht in dieser Welt leben und werden deswegen von ihr abgestoßen.

Natürliche Selektion. Wir sind genauso von dem Gedanken getrieben sie zu vernichten wie sie davon uns zu vernichten.

Nichts wird das ändern können, alles was ich versuche, es tut mir so Leid, tut mir so Leid. Ich wollte Ihnen nur helfen. Ich wollte dir nur helfen, B.“
 

L begann langsam auf Light zuzukriechen, der sofort rückwärts krabbelte bis er mit dem Rücken an die kalte Wand stieß.

„Ich wollte nur helfen, B. Es tut mir leid. Bitte, bitte verzeih mir.“

Light konnte nur mit einer Mischung aus Erstaunen und Entsetzen zulassen dass L ihm halb auf den Schoß kroch und seine blassen, blutverschmierten Finger in Lights Schuluniform grub.

Bis auf das leise Schluchzen von dem größten Detektiv der Welt herrschte im Waschraum völlige Stille.

Unartige Jungs

Das Erste, dass L wahrnahm, war der Schmerz, der ihn wie eine langsame Welle überrollte. Sein Gesicht fühlte sich geschwollen an, er saß auf einem kalten Steinboden, krampfhaft an etwas Warmes, Lebendiges gekrallt.

Wo war er? Was war passiert?
 

Als er die Augen aufschlug stockte ihm der Atem.

Light Yagami saß vor ihm, auf dem Boden in einem Waschraum und wenn man von seiner unordentlichen Kleidung und der Schwellung und Kratzwunden ausging hatte ihn jemand stark zugerichtet.
 

Wie sind sie hierhergekommen?

L versuchte sich fieberhaft zu erinnern.

Er war an die Universität gekommen. Er wollte sich dort mit Light treffen, um...

Weswegen nochmal?

Er war auf dem Vorplatz gestanden, dann wurde er angegriffen.

Es waren Studenten. Jedenfalls glaubte er das.

Nein, er war sich sicher dass es Studenten waren.

Irgendein vorgeschobener Grund für sinnlose Aggression.

Das würde die Schmerzen erklären.
 

Und dann... Dann war Light aufgetaucht.

Hatte er etwa... Hatte Light ihn verteidigt?

Irgendwie klang dass nicht richtig.

Alles waren nur Gedankenfetzen, Gefühle, Augenblicke.

Es gab keine logischen Verbindungen.
 

Dann waren sie hierher gegangen. Wahrscheinlich um ihre Wunden zu säubern.

Und dann...

Light der ihn an den Schultern packte, ihn gegen die Wand drückte, warmer Atem, Hände überall, plötzlich waren sie auf dem Boden und L war es der Light festhielt, ihn festhielt und ihn küsste und biss und kratzte und...

Oh Gott, was hatte er getan?
 

Wenn man den verwirrten und entsetzten Blick von Light und ihre derzeitige Position bedachte...

Nein, nein, völlig unmöglich.

Er konnte so nicht nachdenken. Er fror, jeder Teil seines Körpers tat weh, sein Kopf pochte schmerzhaft und er brauchte dringend Zucker.

Zucker, das sichere Hotelzimmer und Zeit für sich.

Unter den gegenwärtigen Umständen war es unmöglich einen klaren Gedanken zu fassen.
 

Er löste vorsichtig den Todesgriff, mit dem er Lights Jackett immer noch festhielt, und stellte sich auf. Einen Moment tanzten schwarze Punkte vor seinen Augen. Er blinzelte sie weg.

„Wir sollten gehen.“

L war stolz darauf wie ruhig und teilnahmslos seine Stimme klang.
 

Light öffnete den Mund als wollte er protestieren, etwas sagen dass vielleicht Ls Gedächtnis auf die Sprünge geholfen hätte, aber schließlich klappte er den Kiefer wieder zu und kam ebenfalls wieder auf die Beine.
 

Auf dem Weg nach draußen kramte L sein Handy aus der Tasche.

„Ryuzaki.“

kam die sachliche Begrüßung von Watari.

„Bitte holen Sie mich und Light Yagami am Universitätseingang ab. Light wird zu seinem Haus gefahren, ich komme zurück. Und ich würde es sehr begrüßen wenn die Räumlichkeiten bei meiner Ankunft verlassen wären.“

Eine kurze, skeptische Pause.

„Sehr Wohl, Sir.“
 

L hatte nie Eltern, er wurde nicht klassisch erzogen wie andere Kinder.

Doch jetzt konnte er zum ersten Mal nachvollziehen wie es den unzähligen Minderjährigen ging, wenn sie an der Haustüre von ihren wütenden und besorgten Eltern erwartet wurden, im vollen Bewusstsein dass sie schon vor mehreren Stunden zuhause sein sollten und noch stark nach Alkohol rochen.

Ein ekelhafter, bedrückender Kloß saß ihm im Hals und Magen als Wataris dunkler Wagen vor ihnen hielt.
 

Watari blickte sie beide nur ruhig an, schien mit den Augen Protokoll aufzunehmen von Verletzungen, zerstörter Kleidung und dem unangenehmen Schweigen dass in der Luft hing.

„Ich bringe sie zu ihrem Vater nach Hause, Yagami-san.“

Seine Stimme war ungewohnt frostig.

L musste den Impuls unterdrücken schuldbewusst zusammenzuzucken.
 

Die Fahrt war schweigsam und angespannt. L spürte immer wieder die forschenden Blicke von Light, zwang sich aber starr aus dem Fenster zu sehen.

Als er schließlich mit einem knappen 'Auf Wiedersehen' vor seiner Haustür ausstieg waren nur noch L und Watari übrig.
 

Die Atmosphäre schien beinahe hörbar zu knistern, während der ganzen Fahrt zurück zum Hotel, dem Weg zum Zimmer bis sie sich im verlassenen Hauptquartier gegenüberstanden.

L starrte auf den Boden, die Haltung noch geknickter als gewöhnlich. Er hatte das Gefühl sich jeden Augenblick übergeben zu müssen.
 

„Ryuzaki,“

fing er mit leiser Stimme an.

Immer der Deckname, immer professionell. Der Kloß löste sich in kochende Wut auf.

Ls Kopf schnellte nach oben. Watari war nicht sein Vater, er war nicht sein Freund oder sein Vertrauter.
 

Watari war nur ein weiterer Teil seiner Arbeit. Was machte es wenn er ihn schon fast sein ganzes Leben begleitet hatte?

Ihre Beziehung war geschäftlich.

Und mehr noch. L war praktisch gesehen sein Boss.

Als er damals Wammys Haus verlassen hatte, hatte er ihn als seinen Angestellten mitgenommen, ein vertrautes Gesicht in einer unbekannten Welt voll mit Dingen, von denen er nichts verstand.

Watari regelte das Geschäftliche, die Verhandlungen, die allgemeine Kommunikation mit der Außenwelt.

Er hatte kein Recht L vorzuschreiben wie er seine Ermittlungen zu führen hatte.

Und schon gar nicht hatte er das Recht L mit diesem verzweifelten, unverständigen Blick anzusehen, wie ein Vater der von seinem Sohn enttäuscht worden war.

Was wusste er schon über L?

Was wusste L schon über Watari?

Sie kannten nicht einmal die wahren Namen von einander.
 

„Nein.“

sagte L fest und drehte auf dem Absatz um in Richtung Badezimmer.

„Ryuzaki!“

Er klang so ratlos und verletzt dass L ihn für einen Moment hasste.

„Ich werde über alles nachdenken. Ich benötige Ihre Hilfe für heute abend nicht mehr. Sie dürfen sich in ihre eigene Suite zurückziehen.“

„L, was ist passiert? Ich mache mir Sorgen um dich. Das ist dir alles gar nicht ähnlich. Und Light Yagmai...“

„Was weißt du schon über Light?“

fauchte L zurück und schlug die Tür mit Wucht hinter sich zu.

Er lehnte sich schwer atmend dagegen und lauschte auf die Geräusche im Nebenzimmer.

Endlose Sekunden verstrichen, dann der ruhige, feste Schritt von Watari, der durch die Zimmertür hinaustrat und im Flur verschwand.

Er war allein.
 

Erschöpft rutschte er an der Tür herunter bis er zum zweiten Mal heute auf kalten Fliesen saß.

Hatte er wirklich...?

Nein, völlig unmöglich.

L hatte diese Dinge immer gemieden. Natürlich kannte er sich mit den Fakten aus, und als er dann, viel zu spät, in die Pubertät kam erfuhr er die biologischen Veränderungen am eigenen Leib.

Aber bis auf ein paar undeutliche Träume nach denen die Bettlaken gewechselt werden mussten hatte ihn das alles völlig kalt gelassen.
 

Sex war etwas hoffnungslos Überbewertetes, Lächerliches und wenn man ehrlich war, Ekliges.

Man konnte ihn nur unter dem Rausch von einem gewaltigen Hormoncocktail genießen, ansonsten wäre er gar nicht durchführbar.
 

'Lasst uns unsere Geschlechtsteile aneinanderreiben bis sie eine schleimige Flüssigkeit ausstoßen!'
 

Widerlich.

All die Jahre hatte er so etwas Primitives weder Gewollt noch Gebraucht.

Warum jetzt? Warum mit Light?

L vergrub sein Gesicht in den Händen und stöhnte leise.

Er war erschöpft und die Kopfschmerzen kamen an die Grenzen des Erträglichen.
 

L schleppte sich in die Küche und holte Ibuprofen aus der Schublade und Buttercremetorte aus dem Kühlschrank.

Wenn es wirklich passiert war, wenn sie wirklich... Nein, er wollte nicht daran denken, konnte nicht daran denken.

Nachdem er sich die letzte Gabel Torte in den Mund geschoben hatte ließ er sich kraftlos auf das Sofa fallen.

Er konnte sich nicht erinnern jemals so müde gewesen zu sein.

Ein, zwei Stunden Schlaf, dann wird alles hoffentlich wieder Sinn ergeben.

Einfach Schlafen. Danach sieht alles bestimmt ganz anders aus.
 


 

„Also, das war ja wirklich ein Spaß! Dieser L ist ja noch kaputter als er aussieht. Hyahahaha!“

Ryuk hatte sich auf dem Boden ausgestreckt und stopfte sich einen Apfel nach dem Anderen in den Mund.
 

Light sagte nichts. Er lag still auf seinem Bett, blickte an die Decke und ließ seine Gedanken wandern.

B.

Wer zum Teufel war B? Was für eine Rolle spielte er in Ls Leben? Was hatte L damit gemeint, es täte ihm Leid, er hätte es versucht?
 

Allerdings hatte dieser unerwartete Ausbruch zumindest geklärt dass er in seinen Anschuldigungen richtig lag, oder zumindest in L Unterbewusstsein einen Auslöser gefunden hatte der ihn so spektakulär die Beherrschung verlieren ließ.
 

Hatte er überhaupt irgendeine Erinnerung von dem Vorfall?

Light bezweifelte es stark, L schien genauso verwirrt darüber sich auf Lights Schoß vorzufinden wie er.
 

Wenn überhaupt, wann würde sein Gedächtnis zurückkehren? Was würde er dann tun?
 

Das was heute geschehen war würde alles verändern. Ihre Beziehung hatte sich gewandelt, und Light war sich nicht so sicher ob ihm wohl dabei war. Zum Einen hatte er sich L offen aggressiv gezeigt, ein Verhalten das ihm bestimmt einige Kirapunkte einbrachte. Vielleicht sogar so viele dass es ernsthafte Probleme geben könnte. Andererseits hatte er eine Seite von L gesehen die ihn erschrocken und fasziniert und abgestoßen und erregt hatte.
 

Light musste unwillkürlich lächeln.

Das war so typisch L. Immer wieder überraschend, so anders als all die Anderen.
 

Nein, es war gut, es war fantastisch. Er musste herausfinden wer B war. Er musste wissen ob sich L erinnern konnte, warum er ihn mit diesem B verwechselt hatte, was genau er getan hatte dass er es so bereute.

Er musste ihn wiedersehen.

Jetzt gleich. Allein.
 

Wer bist du wirklich, L?
 

Wer bist du?
 

„Äh, Light, willst du dafür ein bisschen Privatsphäre? Ich mag dich zwar Kleiner, aber dass muss ich nun wirklich nicht sehen.“
 

Entsetzt riss Light die Augen auf und zog seine Hand von seinem Schritt weg als hätte er sich daran verbrannt.
 

Was in aller Welt war das gerade?!

Near you...

Rein persönlich hatte Matt nichts gegen Near.

Tatsächlich dürfte der Junge, wenn man von Mello absieht, einer der Wenigen sein mit dem er in seiner Zeit in Wammys Haus mehr als nur das Nötigste zu tun gehabt hatte.

Near war klug, klüger als er selbst oder Mello, obwohl er es Mello natürlich nie sagen würde.

Er strahlte außerdem eine Ruhe und Gleichgültigkeit aus mit der Matt sehr gut sympathisieren konnte.
 

Er war nicht besonders interessant gewesen, ein kleines, blasses Ding in weißen Pyjamas, das las und puzzelte und still mit seinen Actionfiguren spielte.

Wahrscheinlich hätte Matt ihn schon längst vergessen, wie die vielen anderen gesichtslosen Kinder die die Gänge bevölkert hatten, wenn nicht Mello gewesen wäre.
 

Mello schien an ihm endlos viele Dinge zu finden die interessant waren.

Er konnte stundenlang über ihn reden und schien ständig neues Material zu finden.

Matt hörte zu und nickte an den richtigen Stellen, fasziniert von der Tatsache dass Mello an Near soviel auszusetzen hatte.

Teilweise ergaben seine Reklamationen nicht einmal besonders viel Sinn, aber das schien nicht das Entscheidende zu sein.
 

Near war arrogant, zu klein, zu blass, emotionslos, einschmeicheld, schwächlich, trug alberne Klamotten, spielte mit Kinderspielzeug, nützte die Menschen um sich aus, ging nie nach draußen, aß so gut wie nie, war zu vorsichtig und ängstlich, drehte ständig an seinen Haaren rum, alle halten ihn für sooooo toll...

Das Niveau hielt sich knapp über 'Near stinkt!'.
 

Für Matt war Near das Benzin gewesen, das man jederzeit in Mellos Feuer werfen konnte wenn man ihn leuchten sehen wollte.

Und er schätzte das an Near.

Es war ihm auch schnell aufgefallen dass Near es oft genoss Mello mit kleinen Gesten und knappen, ausgesuchten Sätzen aufzuheizen.

Vielleicht war ihm auch langweilig wie Matt, dass er sich so ein bisschen Ablenkung holte.

Nach einem sehr spektakulären Wutausbruch war Mello aus dem Raum gestürmt und hatte sie beide alleine gelassen.

Near hatte aufgeblickt und Matt ein kleines, verschmitztes Grinsen geschickt.

Er musste unwillkürlich zurücklächeln.

Mello hatte Recht, Near war ein manipulativer kleiner Bastard.

Eine durch und durch positive Eigenschaft.
 

Jetzt, wo sie alle drei das Waisenhaus verlassen hatten, war Near für Matt langsam nur noch ein Code, der geknackt werden musste, das Ziel nach dem letzten Endgegner.

Bis er Matt aus heiterem Himmel anrief.
 

In der kleinen, billigen Wohnung die Matt und Mello teilten lag Letzterer ausgebreitet, in voller Ledermontur und umgeben von Schokoladenpapieren, auf einer schmutzigen Matratze, aus der graugelbliche Füllung quoll.

Er schnarchte leise.
 

Matt saß auf dem kleinen, klumpigen Sofa und konnte, jetzt wo Mello ihm nicht mehr alle fünf Minuten über die Schulter sah, endlich in aller Seelenruhe mit seiner Kriegeramazone im Fellbikini Aliens abschießen.

Als sein Handy begann lautstark die Tetris-Titelmelodie zu trällern machte er einen verzweifelten Hechtsprung in die Richtung, aber es war schon zu spät.

Mello begann undeutlich zu murmeln und die Augen aufzuschlagen.

Ach, verdammt. Das wars dann mit der Ruhe.
 

„Matt. Was?“

meldete er sich eintönig in den Hörer.

Hoffentlich war es wenigstens ein interessanter Anruf.

„Hallo Matt. Hier ist Near.“
 

Einen Moment war Matt tatsächlich sprachlos.

Die leise, androgyne Stimme war unverzerrt und klang genauso wie er sie in Erinnerung hatte.
 

„Hey Near, was geht so?“

„Ich würde mich freuen wenn Mello aufhören würde meine Informanten zu erschießen. Es wirkt sich ungut auf die Arbeitsmoral aus. Ansonsten geht es mir sehr gut, vielen Dank.“

Matt könnte schwören ein leichtes Lächeln in seiner Stimme zu hören.
 

„...Near?“

kam die verschlafene Stimme von Mello.

„Redest du gerade mit Near?! Hey!“
 

„Du weißt ja wie Mello ist. Er wird manchmal ein bisschen impulsiv wenn er sich aufregt.“
 

„Du... was... Ist er etwa gerade am Telephon? Redet ihr über mich??!“
 

„Wie hast du eigentlich meine Nummer herausgefunden?“

plauderte Matt weiter und ignorierte amüsiert den verstrubbelten, verschlafenen Mello, der sein Bestes gab um wütend und bedrohlich auszusehen.

Er hatte das plötzliche Bedürfnis ihm durch die blonden Haare zu wuscheln.
 

„Mein Kontakt, der gestern von unserem impulsiven Bekannten erschossen wurde, hat sie mir freundlicherweise mitgeteilt.“
 

„Wenn ich das Mello erzähle wird er persönlich in die Leichenhalle einbrechen und ihn nochmal erschießen.“
 

„Da bin ich mir sicher.“

Definitiv ein Lächeln, vielleicht sogar ein Grinsen.
 

„Gib her!“

Mello riß ihm das Handy weg.

„Near! Bist du das?! Woher hast du diese Nummer?!“
 

Matt lehnte sich auf dem Sofa zurück und beschloss einfach die Show zu genießen.
 

„Dieses verfickte Arschloch! Ich wusste doch dass man dem Kerl nicht trauen kann!“
 

„Ja, du mich auch! Was willst du?“
 

„CHOLERISCH! ICH ZEIG DIR CHOLERISCH DU WICHSER! WENN ICH DICH FINDE WERD ICH DICH MIT DEINEN EIGENEN EINGEWEIDEN ERWÜRGEN, HAST DU GEHÖRT? ICH WERDE...“
 

Eine kurze Pause.
 

„Er hat aufgelegt.“

Mello sah Matt erstaunt und verwirrt an.
 

„Ja, nicht zu fassen dass er diese nette Unterhaltung abgebrochen hat.“

Er machte sich keine Mühe sein breites Grinsen zu verstecken.
 

Oh, das hatte er vermisst.

Nachmacher

Auf der anderen Seite von New York lag eine zierliche Blondine auf dem Bauch in ihrem Bett und klickte sich mit großen Augen durch die Kira-Fanseiten.
 

Misa Amane hatte erstaunlich wenig von Kira mitbekommen.

Sie war die letzten Monate vollauf beschäftigt gewesen, hatte einen Film fertiggedreht und ihre CD veröffentlicht und dann war sie für vier Wochen auf eine winzige Insel im Mittelmeer geflogen und hatte in der Sonne italienischen Wein getrunken.
 

Erst jetzt wurde ihr richtig klar wie groß diese Kira-Geschichte war.

Sie ging normalerweise Nachrichten aus dem Weg, ganz besonders wenn sie aus Japan kamen.

Japan gehörte zu einer Vergangenheit die sie lange hinter sich gelassen hatte.
 

„Denkst du dieser Kira hat auch so ein Todesnotizbuch, Rem?“
 

Der Shinigami hob und senkte langsam seine Knochenschultern.

„Es ist unwarscheinlich dass noch ein Death Note es in die Welt der Menschen geschafft hat.

Aber alles deutet darauf hin.“
 

Misa kaute gedankenverloren auf ihrem Stift.

Damals, als sie das Death Note bekommen hatte, war ihre ganze Familie kurz zuvor ermordet worden.

Aus Mangel an Beweisen musste der Täter freigesprochen werden.

Sie war völlig am Ende gewesen, das fröhliche, lebenslustige Mädchen von damals war in tausend Scherben zersprungen.
 

Sie verbrachte die Nächte damit, ziellos durch die Straßen zu irren, ohne Hoffnung, ohne Zukunft.

Als sie eines Nachts von einem Mann überfallen und in eine leerstehende Garage gezogen wurde gab sie sich keine große Mühe zu fliehen.

Plötzlich war er jedoch erstarrt, das Messer erhoben um auf sie einzustechen, und würgend zusammengebrochen.

Tot. Einfach so.
 

Aus dem Nichts ist dann ein schwarzes Buch neben ihm aufgetaucht, Misa hatte es verwirrt aufgehoben und so Rem kennengelernt.
 

'Der Mensch dessen Name in diesem Buch steht wird sterben.'
 

Misa hatte ohne Nachzudenken den Namen des Mörders ihrer Familie hineingeschrieben.

Am nächsten Morgen kam die Meldung dass er gestorben war. Ein plötzlicher Herzstillstand.

Sie lag auf dem Bett im Haus ihrer Pflegefamilie und lachte und lachte.
 

Das Leben war wieder schön.
 

Seitdem ging es stetig bergauf. Sie spielte in ein paar Serien, bekam ihre eigene Kochshow, die sogar weltweit ausgestrahlt und immer noch hin und wieder als Wiederholung gesendet wurde.

Sie bekam Filmangebote, sang, modelte.

Sie benutzte das Death Note nur selten, um den einen oder anderen Konkurrenten auszuschalten.
 

Sie war glücklich in New York, endlich weit weg von schlechten Erinnerungen und eingehüllt in ein Leben voller Luxus und Anerkennung.
 

Und jetzt war dieser Kira aufgetaucht, der die gleiche Macht wie sie zu haben schien.

Aber er hatte einen Plan. Er hatte es darauf angelegt diese Welt zu verbessern, zu reinigen.

Dieser Detektiv, dieser L, und die japanische Polizei versuchte gegen ihn zu ermitteln, aber natürlich war das völlig sinnlos.
 

Sie hatte nie darüber nachgedacht ihr Death Note für ein so großangelegtes Ziel zu benutzen.

Aber warum nicht?

Sie hatte sich damals selbst die Gerechtigkeit nehmen können die sie verdiente, aber was ist mit den unzähligen Opfern die niemals eine Chance dafür haben werden?

Wäre es nicht selbstsüchtig von ihr ihnen nicht das gleiche Glück wie ihr zukommen zu lassen?
 

„Was denkst du, Misa?“

Rem sah sie mit ihrem gewohnt gelassenen Blick an.

Sie mochte den Shinigami, sie war ein Ruhepol für ihre rastlose, überschäumende Energie.

Misa grinste breit.

„Ich denke dass Kira einen ziemlich coole Idee hatte.

Und dass er sich bestimmt über ein bisschen Hilfe von jemand Erfahrenerem freuen würde.

Fangen wir an die Welt von den bösen Menschen zu befreien!“
 

Sie sprang auf und klatschte fröhlich quietschend in die Hände.
 

„Und ich nenne mich: Jinx! Weil ich alle Bösen einfach wegzaubern werde! Das wird sooooo toll!“
 

Misa kramte ein Stück Papier aus ihrem Chaos und begann eifrig Pläne aufzukritzeln.
 

„Was meinst du, Rem? Soll ich mir ein Kostüm machen?“

Konsequenzen

Der nächste Morgen war unangenehm.

Die Schmerzen schienen am zweiten Tag erst richtig einzusetzen, außerdem musste Light sein zugerichtetes Gesicht seiner Familie zeigen und ihnen eine glaubwürdige Geschichte dafür liefern.

Noch dazu wusste er nicht wie L den gestrigen Vorfall erklären wird.

Er entschied sich so weit wie es ging bei der Wahrheit zu bleiben.
 

„Ich und mein Freund Hideki wurden von einer Gruppe Studenten angegriffen.

Nichts Ernstes, nur ein paar Jungs die das Bedürfnis hatten ihre Männlichkeit zu beweisen.

Es war schnell beendet.“

Seine Mutter und Sayu sahen zu ihm mit einer Mischung aus Stolz und Besorgnis, sein Vater starrte ihn düster über den Tisch an.
 

„Ich muss mit dir unter vier Augen sprechen.“

Light zwang sich dazu ruhig zu bleiben als er mit ihm hoch auf sein Zimmer ging.

Er würde das regeln, er konnte sich aus allem rausreden.
 

„Watari hat die Taskforce in Kenntnis gesetzt dass Ryuzaki sich einige Tage freinehmen wird.“

Light blickte seinen Vater erstaunt an. Damit hatte er nicht gerechnet.

Er musste L wiedersehen. Noch heute. Solange die Wunden, im wörtlichen und übertragenen Sinn, noch frisch waren.

Je mehr Zeit verstrich, desto mehr Chancen hatte L eine Strategie aufzubauen und seine alte, emotionslose Haltung wieder einzunehmen.

Und dann hätte Light ziemlich schnell gewaltigen Ärger.
 

„Was ist passiert, Light? Was in aller Welt habt ihr Beiden angestellt? Ich weiß er ist sehr jung und... speziell und du hast das Gefühl ihm etwas beweisen zu müssen, gerade auch weil du für ihn immer noch auf der Verdächtigenliste zu stehen scheinst obwohl deine Unschuld geklärt ist.

Er ist zwar sehr intelligent, aber er hat gewisse... Eigenarten die es ihm schwer machen, mit seiner Umwelt zurechtzukommen und...“

„Ich weiß das alles, Vater!“
 

Das fehlte gerade noch. Von seinem Vater einen Vortrag über L zu bekommen, der den Detektiv niemals auch nur Ansatzweise begreifen würde!
 

„Nein, hör mir zu Light! Hier wird eine Ermittlung durchgeführt, und dass ist unsere oberste Priorität. Da draußen läuft ein Massenmörder herum. Du und Ryuzaki, das hat sehr ungesunde Ausmaße angenommen. Ich weiß du bist fasziniert von ihm, ich weiß du hast Mitleid mit ihm,“
 

An dieser Stelle hätte Light beinahe laut gelacht.
 

„... aber das kann so nicht weitergehen. Watari hat angekündigt dass du in Zukunft von den Ermittlungen ausgeschlossen werden sollst. Und ich bin ehrlich gesagt erleichtert. Er hat eindeutig einen schlechten Einfluss auf dich. Du bist doch mehr ein Kind als ich dachte. In 10 Jahren wirst du dafür bereit sein.“
 

Sprachlos sah Light seinem Vater hinterher als aus dem Zimmer ging.
 

Ryuk kreischendes Gelächter riss ihn aus seiner Starre.

„Jaah, er hat so einen schlechten Einfluss auf unseren kleinen Massenmörder! Er hat ihn sogar schon dazu gebracht es sich selbst zu machen! Man sollte den Kerl einsperren!“
 

Light wünschte sich sehnlich Ryuk wenigstens einmal einen kräftigen Schlag verpassen zu können.

Verfluchter Shinigami.
 

L wachte auf als die Morgensonne schon hell ins Zimmer schien.

Wie lange hatte er geschlafen?

Sein Kopf fühlte sich an wie in Watte gepackt, aber die Schmerzen waren einigermaßen erträglich. Er fischte blind nach den Tabletten die noch neben ihm auf dem Tisch liegen müssten.
 

Eine große, raue Hand griff nach seiner Tastenden und legte ihm zwei Pillen auf die Handfläche.
 

L richtete sich ruckartig auf und blinzelte verwirrt zu Watari hinauf, der ihm jetzt ungerührt Tee einschenkte, als wäre es ein ganz gewöhnlicher Tag.

„Guten Morgen, Sir.“
 

„Watari.“

flüsterte L. Der gestrige Nachmittag brach wie eine Dachlawine über ihn ein.
 

Der alte Mann lächelte nur sanft, als wäre nichts ungewöhnliches vorgefallen.

„Die Buttercremetorte wurde ja leider gestern noch verwertet, deswegen kann ich zum Frühstück nur Fruchtkuchen anbieten. Aber wir haben noch Eiscreme. Und es sind noch zwei Packungen von den belgischen Pralinen vorrätig, ich würde vorschlagen dass wir heute noch Vorräte bestellen.“
 

„Ich muss mich entschuldigen!“

platzte L heraus.

Er spürte wie er rot anlief, und starrte beschämt auf die kleinen Pillen in seiner Hand.

„Ich habe mich gestern... ich weiß nicht warum ich mich so verhalten habe. Es war sehr unfreundlich und... nicht angemessen... es gibt keine Rechtfertigung für mein unreifes Verhalten...“

Er hatte das peinliche Gefühl in Tränen ausbrechen zu müssen.

Was hatte ihn nur veranlasst so mit Watari zu sprechen, den einzigen Menschen der all seine Launen mit so einer Geduld und Fürsorge ertragen hatte?

Was war nur los mit ihm?
 

„Ich habe mit der Taskforce geredet. Wir werden für einige Tage die Ermittlungen unterbrechen.

Wenn du dich soweit wieder voll Einsatzfähig fühlst werden wir unsere Arbeit wieder aufnehmen.“
 

L nickte betroffen.

Er hatte noch nie zuvor Hausarrest.

So fühlte sich das also an, ein ziehendes, dückendes Gefühl im Bauch, teils aus Schuldbewusstsein, teils aus Trauer über die Einschränkungen.

Aber das hatte er wohl verdient.
 

Watari holte noch einmal Luft und was er jetzt sagte schien ihm deutlich schwerer zu fallen.

Alles in L verkrampfte sich, aber er wollte L schließlich nur helfen.

Watari hatte sich immer um ihn gekümmert, was er auch für ihn geplant hatte, es geschah nur zu seinem Besten.

L war nunmal kindisch, er wusste das. Es stand nur noch nie so sehr seiner Arbeit im Weg wie jetzt.
 

„Außerdem wird Light Yagami nicht mehr an den Ermittlungen teilnehmen.“
 

„NEIN!“

L war aufgesprungen und stand zitternd, mit geballten Fäusten, vor Watari.

„Light ist essenziell für diesen Fall. Er ist der Hauptverdächige und ich kann ihn nicht aus den Augen lassen. Ich BRAUCHE ihn hier!“
 

„Light hat einen extrem negativen Einfluss auf dein emotionales und rationales Verhalten.

Er ist manipulativ und gefährlich. Ich möchte nicht dass du dich absichtlich diesen Risiken aussetzt nur weil...“
 

„Weil WAS?“

schrie L.

Er spürte wie ihm Tränen über die Wangen liefen.

So viele Gefühle, ein kochender Topf mit einer undefinierbaren schwarzen Masse und nichts ergab Sinn.

Bis auf den einen Gedanken.
 

'Light. Ich muss Light wiedersehen.'
 

Watari seufzte leise. Er sah plötzlich unglaublich alt aus. Alt und müde.

„Ich habe immer versucht dich zu beschützen. Ich hatte gehofft dir ein Leben bieten zu können dass erfüllend und glücklich sein kann. Aber ich habe auf der ganzen Linie versagt.“

Seine Augen leuchteten feucht. L hatte Watari noch nie weinen gesehen.

„Es wäre besser gewesen ich hätte dich nie aufgenommen. Es war anmaßend von mir, anzunehmen ich wüsste wie man einen so einzigartigen und brillianten Menschen glücklich machen könnte.

Ich habe dir viel mehr Schmerzen als Freude gegeben.“
 

Das war zuviel, zuviel von allem.

L hatte das Gefühl dass seine ganze Welt begann auseinanderzufallen.

Er stürzte in ein bodenloses Loch, völlig allein.

Er ließ sich zurück auf das Sofa fallen und schlang seine Arme um seine Knie, seine Zehen in das Sofa eingegraben.
 

„Ich kann nicht... ich kann das alles nicht...“

murmelte er leise.

„Watari. Ich brauche dich. Du bist doch alles... alles was ich habe. Ich weiß nicht was mit mir passiert. Bitte. Du darfst mich nicht verlassen.“
 

„Ich werde dich niemals verlassen.“

Watari setzte sich neben ihn auf das Sofa und legte zögernd seine Arme um ihn.

L konnte sich nicht erinnern dass er das jemals vorher getan hatte.

Es fühlte sich verkrampft und traurig an, beide waren steif und überfordert.
 

Nach einigen schleichenden Minuten ließ Watari los und ging wortlos aus dem Raum.
 

L starrte auf den langsam abkühlenden Tee.

Er schluckte die Tabletten und trank aus.

Watari würde wiederkommen um ihm nachzuschenken.

Ein Date

Das Problem war nicht, dass L nicht wusste, was das Richtige wäre.

Das Richtige wäre zu Watari zu gehen, der sich in seinem Zimmer am anderen Ende des Hotelflurs befand.

Er sollte zu ihm gehen und ihn bitten ihn aufzuhalten.

Denn L war gerade im Begriff etwas sehr, sehr Dummes zu tun und irgendjemand musste ihn stoppen.
 

'HQ. Inoffiziell. So schnell wie möglich.'
 

Er hielt das Handy mit zwei Fingern vor sich hoch, der Zeigefinger der anderen Hand schwebte über der 'Senden'-Taste.
 

Light müsste gerade noch in der Universität sein, sein Handy bestimmt nicht ausgeschaltet, wahrscheinlich auf lautlos , um nicht die Vorlesungen zu stören und direkt am Körper um sofort die Vibrationen zu bemerken.
 

Wenn L jetzt senden würde, käme die Nachricht etwa in 15 Sekunden bei Light an.

Er würde sich augenblicklich aus der Vorlesung entschuldigen und sich auf den Weg machen.

Das wären ungefähr 20 Minuten bis er beim Hotel wäre.
 

Er würde kommen. L wusste dass er kommen würde.

Watari war bemüht um seine Privatsphäre, er hatte sich am frühen Nachmittag zurückgezogen und würde erst wieder zu L kommen wenn er ihn rief, solange es nicht einen zeitlichen Rahmen von ca. 24 Stunden brechen würde.
 

L müsste nur einen Knopf drücken. Eine winzige Bewegung mit seinem Finger, und in knappen 25 Minuten wäre Light bei ihm.
 

Und dann... L wusste nicht was dann.

Er wollte herausfinden was passiert war, warum er unfähig war einen klaren Gedanken zu fassen, warum sich alles in seinem Kopf nur um LightLightLight drehte.
 

Und das wäre ein Fehler. Ein dummer, dummer Fehler.
 

Erst als das Handy einen leisen Bestätigungston von sich gab merkte L dass er gerade gesendet hatte.
 

Er atmete tief durch. Das wars dann. Kein Weg zurück.
 

Light saß mit versteinertem Gesichtsausdruck in der Vorlesung.

Das konnte doch alles nicht wahr sein. L war ihm entwischt.

Er war zum Greifen nah gewesen und jetzt war alles zerstört.
 

Wie sollte es jetzt nur weitergehen? Wie konnte er jetzt die Ermittlungen beeinflussen?

Er stand wieder am Anfang, dazu verdammt auf die Taskforce zu reagieren anstatt aktiv Einfluss auf die Ermittlungen zu nehmen.
 

Und L... Light ballte zitternd vor Wut seine Fäuste unter dem Tisch.

L hatte jetzt alle Vorteile. Seine Erinnerung ist wahrscheinlich schon längst zurückgekommen. Wieso sonst sollte er ihn plötzlich aus den Ermittlungen ausschließen?
 

Scheiße, Scheiße, Scheiße!
 

Warum musste er sich auch so gehen lassen? Warum konnte er nicht...?
 

In seiner Tasche summte es leise.

Light starrte auf die Nummer und las den Text. Und noch einmal. Und dann noch einmal.

Das konnte nicht sein!
 

L wollte ihn bei sich haben.

War das ein Trick?
 

Nein, dafür wirkte die SMS zu... unbeholfen. Plump.

Sie klang wie etwas das immer wieder neu geschrieben und dann gelöscht wurde um nur das Allernötigste preiszugeben, nicht wie die selbstsichere Nachricht eines Detektivs an einen Verdächtigen, um ihn in Sicherheit zu wiegen.
 

Und das müsste heißen... Light dachte an gestern, an den unsicheren, diffusen, emotionalen L.

Dieser L hatte ihm geschrieben. Dieser L wollte sich mit ihm treffen.
 

Light lief aus dem Hörsaal und sprintete den Gang hinunter, die verdutzten Gesichter um sich ignorierend.

Das Herz raste ihm in der Brust.
 

'Du willst noch mehr, L? Das kann ich dir geben!'

Missverständnis

Der Detektiv saß zusammengekauert auf der Couch und blickte auf seine wackelnden Zehen.

Sein ganzer Körper schien zu kribbeln, ganz besonders sein Bauch und... etwas weiter unten.

Es war nicht angenehm oder schmerzhaft, dafür war es zu intensiv.

So intensiv dass jeder Versuch sich ein paar Sätze zurechtzulegen vollkommen sinnlos war.

L war ein einziger Ball aus Gefühlen, hilflos verloren in einer Welt die für ihn völlig fremd und beängstigend war.
 

Kurz nach seiner SMS war ihm aufgefallen dass er immer noch die Kleidung von gestern trug.

Er stolperte panisch ins Bad und blickte in den Spiegel.

Seine Lippe war geschwollen, genauso wie seine linke Wange.

Blut war von seinem Mund bis zum Kinn geronnen und Schorf hatte sich auf seinen Handflächen gebildet.
 

Er ging schnell unter die Dusche und wusch sich Staub und altes Blut ab und wühlte dann frische Kleidung aus dem Schrank.
 

Er kroch zurück auf das Sofa, die Beine wieder hochgezogen und die Arme um sie geschlungen.

Er wackelte mit den Zehen.

Wasser tropfte aus seinen dicken Haaren auf sein Shirt.

Er goss sich Tee aus der Kanne nach, die Watari dagelassen hatte.
 

Was sollte er nur tun? Was sollte er Light sagen?
 

'Haben wir uns gestern geküsst?'
 

Unmöglich, Lächerlich.
 

Er wünschte sich verzweifelt dass er Light nicht geschrieben hätte.

Dass er gestern nicht an die Universität gekommen wäre.

Dass er Light überhaupt gar nicht persönlich konfrontiert hätte.
 

Und gleichzeitig wollte er Light bei sich haben, ihn 24 Stunden am Tag beobachten wie damals mit den Kameras, nur näher, viel näher.
 

Ein Bild schoss ihm durch den Kopf, er und Light, mit Handschellen an einer langen Kette verbunden.

L schüttelte energisch den Kopf.
 

Was für eine alberne Idee.
 

Light stand für einen Moment unschlüssig und immer noch schwer atmend vor der Zimmertür und entschied sich dann einfach zu klopfen.
 

Schlürfende Schritte näherten sich von der anderen Seite.

'OhGottOhGottEsgehtlosGanzruhig'
 

L öffnete die Tür und blinzelte ihn an, drehte sich dann wortlos um und hockte sich auf das Sofa um sich Zucker in den Tee zu schaufeln.

Seine Haare hingen ihm wirr und feucht ins Gesicht, sein Shirt war mit dunklen Tropfen übersät, er müsste gerade aus der Dusche gekommen sein.

Merkwürdig, sich den Detektiv bei etwas so Alltäglichen und Banalem vorzustellen.

Light schloss die Tür hinter sich und setzte sich auf den Sessel gegenüber.
 

Beide blickten aneinander vorbei, drückende Stille senkte sich wie eine Decke über sie.
 

Als Light seine Augen auf den mit Süßigkeiten angehäuften Tisch schweifen ließ musste er trotz der ernsten Situation leise lachen.
 

„Ähm, Ryuzaki, deine Zuckerleidenschaft in allen Ehren, aber die Tasse läuft über.“
 

Ls Blick schoss nach unten.

Er hatte sich unbewusst mehr und mehr in den Tee gelöffelt, dass jetzt nur noch ein Zuckerberg zu sehen war, der langsam begann kleine Eruptionen von weißen Körnchen auf die Untertasse zu schicken.
 

„Oh.“
 

Ihre Augen trafen sich und L lächelte ein klein wenig zurück.

Lights Magen begann sich schmerzhaft zusammenzuziehen.
 

„Ich war in Gedanken.“
 

Das Schweigen war gebrochen, Light hielt es für angebracht anzufangen.
 

„Ich wurde aus den Ermittlungen ausgeschlossen.“
 

„Ich weiß. Das war nicht meine Idee.“

murmelte L verstimmt.

Light hatte nach der Nachricht natürlich gehofft dass das der Fall war, aber es zu hören war doch eine Erleichterung.
 

„Ich schätze sie sind der Meinung wir hätten einen schlechten Einfluss aufeinander.“

seufzte L weiter und steckte sich eine übergroße Schokopraline mit zwei Fingern in den Mund.
 

„Und haben wir das?“

Light schmunzelte leicht.
 

„Irrelevant. Die Ermittlungen werden um ein Vielfaches besser laufen wenn wir zusammenarbeiten. Davon müssen wir den Rest der Mitarbeiter überzeugen. Deswegen sollten wir das gestrige Erlebnis so weit es geht klären.“
 

„Na gut. Wer ist B?“
 

Der entsetzte Blick der L ihm zuwarf war genug Beweis dafür dass der Detektiv keine Ahnung von dem hatte was passiert war.
 

„...was?“

hauchte er leise.
 

Der Schock ließ ihn so jung aussehen, die dunklen Augen schreckgeweitet, ein kleiner Fleck Schokolade klebte an seiner Unterlippe, knapp neben der verschorften Verletzung.

Light wollte...
 

„Erinnerst du dich nicht? Du hast gestern von einem B erzählt.

Und zwar Dinge die einem ernsthaft Sorgen machen können.“
 

„Ich... was habe ich... das ist nicht... das ist für unsere jetzige Situation nicht von Bedeutung.“
 

Seine Finger hatten sich zitternd in seine Knie gekrallt. Immer noch kurz vor dem Zusammenbruch, bereit von Light zerstört zu werden, verflucht, er hatte ihn HERGEBETEN.

Wollte er etwa dass er es tat?
 

„Ich denke schon.“

flüsterte er eindringlich zurück.

„Was hast du getan, L? Was hast du diesem B angetan? Hoffst du mit dem das du gerade tust etwas wieder gutzumachen? Soll ich dir vergeben für dass was du mit B getan hast?“
 

„Wie ich schon sagte, dass hat mit unserem aktuellen Problem nichts zu tun...“
 

„Also soll ich den Vorfall einfach vergessen und mich das nächste Mal wenn es dich überkommt wieder von dir angreifen lassen? Dieses Mal vielleicht vor Publikum? Und du denkst nicht dass es den Rest der Taskforce stören würde?“
 

„Was gestern passiert ist... das ist noch nie zuvor der Fall gewesen. Ich habe mich noch nie so verhalten, oder auch nur das Bedürfnis danach gehabt. Auch bei... auch bei B nicht. Ich kann mir nicht erklären wie dass passieren konnte.“
 

L sah merkwürdigerweise fast peinlich berührt aus, als ob die Tatsache dass er ihn angegriffen hatte ein unanständiges Missgeschick war.
 

„Aber es ist passiert und es kann jederzeit wieder passieren wenn wir darüber nicht offen reden. Deswegen hast du mich doch hierher bestellt.“
 

Light war aufgestanden und um den Tisch herumgegangen. L, sichtlich unbehaglich mit dem gewaltigen Größenunterschied kam ebenfalls auf die Beine, gebeugt mit den Händen in den Hosentaschen vergraben.
 

„Light-kun braucht nicht denken mir auf diese Weise Informationen entziehen zu können.“
 

„Weswegen bin ich dann hier? Willst du das zu Ende führen was wir gestern angefangen haben? Geht es dir dann besser?“
 

Das Ganze wurde langsam frustrierend.

Gib einfach auf, L! Hör auf das alles unnötig in die Länge zu ziehen!
 

Ls geschockter Gesichtsausdruck war beinahe komisch. Dann verengten sich seine Augen wütend.
 

„Und mit welchen Hoffnungen bist du hierhergekommen? Um in meiner Vergangenheit zu wühlen? Um einen Weg zu finden meinen Namen zu erfahren, Kira?“
 

Light warf entnervt die Arme in die Luft.
 

„Oh, das ist ja fantastisch! Einfach klasse! Du greifst mich an, ich werde aus den Ermittlungen geworfen, du rufst mich aus meinen Vorlesungen und holst mich hierher, wofür ich übrigens verdammt großen Ärger kriegen kann und jetzt muss ich mir auch noch Anschuldigungen anhören! Scheiß drauf, machen wir halt einfach dort weiter wo wir stehengeblieben waren!

Auf das bist du doch aus, oder? Und langsam erscheint es mir auch die bessere Alternative zu dieser Diskussion zu sein.“
 

Das war natürlich Sarkasmus, nichts lag Light ferner als einen zweiten Kampf anzufangen. Er hatte nur die Hoffnung dass L sich jetzt endlich kooperativer zeigen würde.

Womit er überhaupt nicht gerechnet hatte war dass Ls Hände nach oben schnellten, seinen Kopf nahmen, zu sich zogen und ihre Lippen aufeinander schlug.
 

Platzwunden öffneten sich durch den Zusammenprall wieder, Light schmeckte Blut, seines und Ls, fühlte Ls Finger in seine Haare krallen und Ls panischer Atem der stoßweise sein Gesicht streifte.
 

Riesige schwarze Augen starrte in Seine.

L roch nach Schokolade und Tee und frisch gewaschenen Haaren.

Light stieß ihn reflexartig weg.
 

„Was zum...? WAS? Was sollte das denn?“
 

„Oh Gott.“

L stolperte weiter rückwärts. Er schüttelte panisch den Kopf als wollte er aus einem Alptraum aufwachen.

„Ich... ich dachte... oh Gott... was... gestern habe ich doch...“
 

Das war... unerwartet. Hatte L wirklich geglaubt...?

„Gestern hast du zuerst versucht mich zu Brei zu schlagen und mir danach in meine Jacke geheult!“
 

L fiel rittlings zu Boden und blickte entsetzt zu Light auf, am ganzen Körper zitternd.

Light konnte die geisterhaften Berührungen immer noch spüren, die Stellen an denen ihre Zähne aufeinander geschlagen waren und die Haarwurzeln an denen L gezogen hatte.

Ls Geruch in seiner Nase, ihr gemeinsames Blut im Mund und jetzt lag er völlig schutzlos vor ihm und sah zu ihm auf, eine gehetzte Beute am Ende seiner Kräfte.
 

'Jetzt gehörst du mir, L.'

Hingabe

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Hingabe (zensiert)

Anmerkung:

Und hier nochmal eine zensierte Version, für alle Kiddies unter euch ;)

(Hoffe ich mach das richtig, hab noch nie was zensiert... mein schöner Sex *heul)
 

L war sich immer recht sicher gewesen dass er nicht verrückt war.

Er war nicht immer komplett geistig auf der Höhe, aber kein Genie war das. Das war der Nachteil mit dem er gelernt hatte zu Leben, kleine Zeitabschnitte die sein Gedächtnis einfach löschte, die Glocken, das alles war ein Teil von ihm mit dem er normalerweise zurechtkam und ignorierte.
 

Aber jetzt, zum ersten Mal, zweifelte L an seiner Vernunft, an der Realität um ihn herum.

Alles schwamm davon, Vergangenheit und Gegenwart, er war allein in der Dunkelheit, so so allein.
 

Und dann war plötzlich Light da.

Atemberaubend schöner, gerissener, tödlicher Light, der über ihm stand und ihn gierig ansah, als wäre er das begehrenswerteste, kostbarste Ding auf dieser Welt.
 

„Light.“
 

L streckte seine Hand zu ihm hoch, er musste wissen ob er wirklich da war, dass ihm seine Phantasie keinen Streich spielte.
 

„L.“
 

Eine warme Hand umschloss seine und L hätte vor Erleichterung am liebsten geweint.

Light war bei ihm, er hatte ihn nicht verlassen, er durfte ihn nicht verlassen, niemals!
 

L packte zu, riss den Anderen zu sich herunter und drückte Lights Handgelenke rechts und links neben seinem Kopf zu Boden.
 

Er ignorierte den überraschten Laut den der Junge unter ihm ausstieß und küsste ihn hungrig und verzweifelt. L musste alles aufnehmen, alles tief in seine Seele brennen, Lights Geruch und Geschmack und das Gefühl seiner Lippen, weich und feucht vor Blut.
 

'Blutsbrüder.' dachte er verschwommen.
 

Lights Mund hatte sich unter Seinem geöffnet und L presste sofort seine Zunge in die warme Öffnung, erforschte Zähne und Gaumen und Zunge so schnell und gründlich es nur irgend ging.
 

Mehr. Mehr. Mehr.
 

Light würde weggehen, würde ihn alleine lassen, deswegen musste er alles an sich reißen was er fand, bevor es zu spät war und er wieder einsam im Dunkel saß, das ewige Dröhnen der Glocken im Ohr.
 

Light begann sich unter ihm heftiger zu wehren und L musste seine Zunge zurückziehen um sie nicht abgebissen zu bekommen.
 

„Bitte. Bitte lass mich noch ein bisschen. Light. Bitte.“

flehte er gegen Lights Lippen.

Er küsste ihn sanft auf den Mund, drückte leichte Küsse auf Mundwinkel, Wangen, Kinn, Nase.
 

Light hörte langsam auf gegen ihn anzukämpfen und dann spürte L wie er begann zurückzuküssen, kleine, vorsichtige Berührungen.

„Sh. Sh. Alles wird gut.“

murmelte Light.
 

L schluchzte leise, er ließ Lights Handgelenke los und fuhr mit zitternden Fingerspitzen durch rotbraune Haare und über blutverschmierte Wangen.

Küsse und sanfte Arme umgaben ihn und es war nicht genug.

Er wollte näher, noch näher zu Light. Light war so warm und ihm war so schrecklich kalt.
 

„Sh, ist gut. Jetzt kann alles gut werden.“
 

L presste sein Gesicht an Lights Hals und atmete tief ein, Lights Geruch erfüllte ihn.

Nach all den Jahren erschien der Wahnsinn wie eine Erlösung.
 

Light bemühte sich sie so vorsichtig wie möglich umzurollen und so die Positionen zu vertauschen.

Der Detektiv schien es überhaupt nicht zu merken, immer noch zitternd an ihn geklammert.
 

„Sh...“

murmelte er nochmal.
 

Er fühlte sich als wäre er einen Marathon gelaufen. Jedes Mal wenn er dachte dass er die Oberhand hatte tat L etwas so völlig absurdes dass es ihm den Boden unter den Füßen wegriss.
 

Wie ihn zu küssen.

Light schauderte leicht als er an gestern dachte, an das was er beinahe auf dem Bett getan hatte.

Aber wenn L auch diese Gefühle hatte, dann war es vielleicht gar kein Ausrutscher.

Vielleicht war es unvermeidlich.

Wie hätten sie sich jemals von anderen Menschen angesprochen fühlen können?

Sie mussten beide warten bis sie jemand ihrer eigenen Spezies gefunden hatten um so etwas wie körperliche Anziehung zu spüren.
 

So vieles machte jetzt auf einmal Sinn.

Gefühle und Gedanken waren nicht mehr länger vage und undeutlich.

Unter Light lag L, und Light wollte ihn. Auf jede erdenkliche Art.

Und L, schrulliger, genialer, unbeholfener L, wollte ihn auch.
 

Light küsste seine blutigen Lippen, bat vorsichtig leckend um Einlass und mit einem leisen Seufzen

öffnete L seinen Mund.
 

So hastig und verzweifelt L seinen Mund erobert hatte, so ruhig und bedacht war er jetzt alles zu erforschen. Der Geschmack, Zucker und Adrenalin und L, kleine Zähne, eine lange, etwas raue Zunge die ängstlich zusammenzuckte als er sie berührte.
 

Und dann stupste sie leicht zurück, ein kleiner, ungelenker Tanz begann.

Light hatte schon mehrere Mädchen geküsst, einfache Fälle von Neugier, Experimenten und sozialer Anpassung.

Er hatte dabei nie etwas besonders empfunden, einige küssten plump und ungeschickt, andere hatten eine gute, ausgefeilte Technik und das Küssen war einfach und, wenn auch nicht besonders angenehm, problemlos durchführbar.
 

Nichts hatte ihn darauf vorbereiten können, auf die glühenden Funken die aus jeder Berührung zu sprühen schienen.

Und plötzlich war ihm klar was es war.
 

'Sex. Ich will Sex. Mit L.'
 

Jeder Versuch einen gemeinsamen Rhythmus zu finden war sinnlos, es war eine unkoordinierte, chaotische Angelegenheit, aber Light konnte nicht die Energie aufbringen dass es ihm etwas ausmachte.

Mehrmals bekam er Ls spitze Ellbogen und Knie in die Seite, Blut und Spucke war hoffnungslos über beider Gesichter verschmiert und Ls Fingernägel kratzten ihm neue Wunden in die Haut.
 

Als es vorbei war legte Light seinen Kopf auf Ls Brust und konnte seinen donnernden Herzschlag hören. Keiner von Beiden rührte sich, atemlos und erschöpft. Light lächelte leicht.

Sie waren immer noch angezogen und verklebt mit allen Arten von widerlichen Körperflüssigkeiten. Er hätte ewig so liegenbleiben können.

Nachbeben

L konnte nicht sagen wie viel Zeit verging.

Der Boden unter ihm war hart und sein Körper schmerzte, aber Lights Gewicht war schwer, warm und tröstlich, sein langsamer Atem beruhigend.

L spürte als er allmählich in die wirkliche Welt zurückkehrte.

Draußen war es bereits dunkel, das Licht der Straßenlaternen und Neonschildern viel gedämpft in den Raum.
 

Light musste gemerkt haben dass L zu sich kam, er richtete sich vorsichtig über ihm auf und strich ihm mit sanften Händen über sein Gesicht und seinen Oberkörper.

Ein Kuss knapp an Ls Ohrläppchen, dann ein kleinen Pfad von ihnen bis zu seinem Mund.

„L.“

flüsterte er.

Der Junge unter ihm seufzte leise.
 

Es war in diesem Moment dass Ls Handy anfing lautstark zu klingeln.

Beide sprangen erschrocken auseinander und L kramte hastig in seiner Tasche.

Es war Watari.

Er wusste, wenn er nicht drangehen würde, würde der Andere herüberkommen um nach ihm zu sehen.
 

„Ja?“

meldete er sich leise.
 

„Ist er bei dir?“
 

L atmete tief aus, es gab keinen Sinn mehr zu Leugnen.
 

„Ja.“
 

„Seit ihr beiden ok?“

Watari klang resigniert und erschöpft.
 

L fühlte sich leer.

„Ja.“
 

„Kann ich herüberkommen?“
 

L zögerte und blickte zu Light.

Sie sahen beide furchtbar aus und ihm wurde plötzlich der feuchte Fleck in seiner Hose unangenehm bewusst.
 

„Das wäre im Moment etwas unpassend.“
 

„Ich verstehe. Lights Vater hat angerufen. Er macht sich ziemliche Sorgen. Schick ihn bitte nach Hause. Wir werden alles andere morgen besprechen müssen.“
 

„Ja.“
 

Schweigen.
 

„Ich werde dann in etwa 20 Minuten zu dir kommen. Ist das in Ordnung?“
 

„Ja.“
 

Klick.

L ließ das Handy sinken.
 

„Light-kun sollte jetzt nach Hause gehen. Seine Familie macht sich Sorgen.“

murmelte er.
 

„Ich möchte aber nicht gehen.“

Light griff nach seiner Hand, streichelte sie mit seinem Daumen.
 

L riss sich los und fühlte sich dabei als ob er sich ein Stück Haut mit herausreißen würde.

„Bitte geh. Morgen werden wir weitersehen.“
 

Lights Blick war durchdringend und schwarz und für einen Moment erinnerte er ihn so sehr an B dass ihm schlecht wurde.

„Morgen.“

Ein Versprechen. Eine Drohung.

Er drehte sich ruckartig um und ging ins Badezimmer, in dem er sich schnell den gröbsten Schmutz vom Gesicht wusch, nahm seine Tasche und verschwand aus der Tür, ohne L noch einmal anzusehen.
 

Ohne Light schien der dämmrige Raum auf einmal Doppelt so groß. L hätte nichts lieber getan als sich auf dem Sofa unter eine Decke zu rollen und die Welt um sich herum zu vergessen.

Stattdessen stellte er sich zum zweiten Mal an diesem Tag unter die Dusche.
 

Das war also ein Orgasmus. Ein echter Sex-Orgasmus, kein Schlaf-Orgasmus.

Er hatte einen Orgasmus mit Light. Und Light hatte einen mit ihm.

Sie hatten Sex.

Oh Gott, er hatte Sex mit Light!

L stolperte aus der laufenden Dusche und übergab sich in die Toilette.

Würgend und zitternd klammerte er sich tropfnass an den Klositz und wünschte sich verzweifelt sein Gedächtnis würde ihm die letzten Stunden auch auslöschen.
 

Was hatte er nur getan? Watari... er hatte Watari hintergangen.

Er hatte alles an das er geglaubt und für dass er gearbeitet hatte achtlos weggeworfen, für Light Yagami. Für Kira.

Und er war Kira, er musste Kira sein.

Er hatte den Blick eines Mörders, genau wie BB.
 

Oh Gott, B...

Die Vergangenheit wiederholte sich, er hatte sich geschworen dass so etwas nie wieder passieren würde, und jetzt fing alles wieder von vorne an, nur dieses Mal war es viel, viel Schlimmer.
 

Dieses Mal wollte L es.
 

Natürlich würde sein Vater irgendwann anrufen.

Light hatte sich viel zu viel Zeit gelassen, aber es war so einfach gewesen sich in diesem Moment zu verlieren.
 

L sicher unter ihm verwahrt, ein ruhiger Herzschlag und leichtes Heben und Senken seines Brustkorbs.

Er konnte die einzelnen Rippen spüren, seine Wärme und sein Geruch...

Und dieses Mal sah L ihn. Kein Wort mehr von einem B, er wollte Light.

Die Tatsache hatte das alles noch viel Unwiderstehlicher gemacht.
 

Er hatte sich jetzt noch ein paar weitere blaue Flecken und Kratzer eingehandelt, außerdem war das feuchte Gefühl in seiner Hose ekelhaft.

Trotzdem konnte er sagen dass er jederzeit bereit wäre diese Erfahrung zu wiederholen.

Sie vielleicht sogar noch etwas weiterführen.
 

Light stellte sich vor wie L wohl ohne seine weite Kleidung aussehen würde.

Aus seinem gekrümmten Rücken würde sich seine Wirbelsäule abzeichnen, seine Rippen, seine Hüftknochen, Schlüsselbeine und Schulterblätter eine hügelige Landschaft aus weißer Haut.
 

Wäre er schüchtern, unsicher?

Hatte ihn überhaupt schon jemand, außer aus medizinischen Gründen, nackt gesehen?
 

Wie würde sein Penis aussehen, weich und rosig in einem kleinen Bett aus Schamhaaren?

Und erregt, steif und gerötet, ein unleugbares, unübersehbares Zeichen von Lights Effekt auf ihn,

bereitwillig den Blick auf empfindliche, geschwollene Hoden freigebend?
 

Merkwürdig, Light konnte an Körpern und Geschlechtsorganen nichts Erotisches finden, weder bei Männern noch bei Frauen.

Aber L... bei L bedeutete es etwas.

L war anziehend und aufregend, und genauso war es sein Körper, mehr wie ein exotisches, ungezähmtes Tier als ein Mitglied der Homo Sapiens.
 

Wenn Light in den Spiegel sah, sah er ein Abbild von dem, was die Menschen um ihn bewunderten und verehrten.

Ob L ihn überhaupt körperlich anziehend fand, oder sah er nur Lights Verstand?

Aus irgendeinem Grund wollte er, dass L ihn auch optisch als attraktiv sah.

Hatte der Detektiv so etwas wie einen 'Typ'?
 

Andererseits, L hatte ihm versichert (natürlich, jetzt erschien alles so logisch!) dass er so noch nie empfunden hatte, selbst bei seinem geliebten B nicht.

Light war also der Erste...
 

Er fischte seinen Haustürschlüssel aus seiner Tasche, aber bevor er ihn im Schloss umdrehen konnte wurde die Tür von seinem Vater aufgerissen.

„Light! Wo hast du gesteckt!?“
 

Ach ja, das hatte er fast wieder vergessen.
 

„Im Hauptquartier. Ich und Ryuzaki haben uns ausgesprochen. Ich denke jetzt...“
 

Sein Vater hob die Hand und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige.

Light starrte ihn geschockt an.
 

„Du hast mir absichtlich nicht gehorcht! Ich habe dir gesagt dass du diesen Jungen nicht wieder treffen darfst! Was zur Hölle geht da mit euch beiden vor? Das kann nicht nur dieser Fall sein. Was ist hier los?!“
 

„Light..?“

kam die leise, besorgte Stimme seiner Mutter aus der Küche.
 

„Wir müssen uns noch unterhalten.“

rief sein Vater zurück und zog ihn am Arm die Treppe hoch in sein Zimmer, vorbei an einer verwirrten, schläfrigen Sayu im Schlafanzug und mit Zahnbürste im Mund.
 

Sein Vater stieß ihn in den Raum und schloss die Tür hinter ihm.

„Ich warte! Was hat dich und Ryuzaki dazu bewegt...“

Er erstarrte, seine Augen weiteten sich entsetzt als sein Blick an Light hoch und runter wanderte.
 

„Ihr habt euch wieder geschlagen. Wieso ...

Oh Gott! …

Oh mein GOTT!“

Er ließ sich schwer auf Lights Bett nieder.

„Sag mir dass das nicht wahr ist! Ihr zwei seit doch nicht... ich meine, ihr habt doch nicht...“
 

„Vater, bitte, es ist nicht so...“

Oh, oh... Verdammt!
 

„Sei ehrlich! Du und Ryuzaki, was genau läuft da zwischen euch?

Seit ihr... noch etwas anderes als Freunde?“
 

Lights Mund klappte nutzlos auf und zu.

Das war ja wohl ein richtig beschissener Augenblick für einen plötzlichen Anfall von Scharfsinnigkeit von seinem sonst so begriffsstutzigem Vater.

Aber Light konnte es sich nicht leisten sein Vertrauen komplett zu verlieren, er musste retten was noch zu retten war.
 

„Ich weiß es selbst nicht genau.“

druckste er vorsichtig.

„Er ist... na ja, es ist wie du heute gesagt hast, er ist speziell und...“

Light seufzte laut und musste dafür nicht einmal schauspielern. Es war anstrengend genug L nicht entkommen zu lassen, seinem Vater den sexuell verwirrten Teenager zu geben war nun wirklich unnötiger Kraftaufwand.
 

„Unsere Bekanntschaft ist nicht gerade auf dem besten Fuß gestartet, und er kann wirklich frustrierend sein aber... Er ist anders als jeder den ich bisher getroffen habe. Wenn wir uns unterhalten habe ich das Gefühl dass er mich verstehen kann wie sonst niemand.

Irgendwie ist die Sache dann ausgeufert. Er hatte so etwas auch noch nie, mit irgendjemandem, er war sehr unsicher und hat mich angeschrieben ob ich zu ihm ins Hauptquartier kommen kann.

Wir haben dann sehr lange miteinander gesprochen und beschlossen dieses Thema auf Eis zu legen, auf jeden Fall bis Kira gefasst ist.“
 

Er war relativ zufrieden, die besten Lügen waren doch immer noch die Halbwahrheiten.
 

„Und ihr habt euren Entschluss gefeiert indem ihr... es getan habt?“
 

Ewww, das war nun wirklich nichts was Light je mit seinem Vater besprechen wollte.

„Wir haben es nicht getan!“
 

„Du kannst mir nicht erzählen, dass nichts passiert ist. Du hast... da Flecken am Hals.“

flüsterte er düster und fuhr mit seinen Händen über sein Gesicht.

„Habe ich etwas falsch gemacht? Was hat das alles ausgelöst? Er hat, er hat damit angefangen, oder? Das war doch bestimmt seine Idee gewesen... Ist es weil ich so selten zu Hause bin?“
 

Light unterdrückte den Reflex mit den Augen zu rollen.

So dämliche, langweilige, stereotypische Fragen.

Und er war auch noch gezwungen die passenden Antworten herunterzuplappern.
 

„Du hast nichts falsch gemacht, Vater. Ehrlich. Es hat absolut nichts mit dir zu tun.

Und es ging von uns beiden aus, er ist nicht unbedingt... erfahren in diesen Dingen, es hat ihn glaube ich sogar mehr mitgenommen als mich. Niemand ist Schuld, es ist einfach passiert.“
 

Sein Vater sah ihn mit sichtlicher Verzweiflung an.

„Du weißt dass du ein sehr gutaussehender und intelligenter Junge bist. Es gibt doch bestimmt viele Mädchen die gerne mit dir ausgehen würden. Wäre es nicht besser sich darauf zu konzentrieren? Und damit spreche ich für alle Beteiligten.“
 

'Wenn er nicht in fünf Sekunden aus meinem Zimmer raus ist schlag ich ihm mit seiner geliebten Gesetzessammlung den Schädel ein!'
 

In diesem Moment tauchte Ryuks Kopf aus dem Fußboden auf.

'Hi Light! Warum hast du mir nicht gesagt dass du L ficken gehst? Das war echt egoistisch von dir, ich wär verdammt gerne dabei gewesen! War er gut?'
 

„Ich bin wirklich müde! Wir reden morgen weiter! Gute Nacht!“

Light schob hastig seinen Vater aus dem Zimmer und ließ sich ins Bett fallen, sein Gesicht ins Kopfkissen gepresst.
 

„Light, Schätzchen?“ kam die Stimme seiner Mutter durch die Tür.

„Geht es dir gut? Hast du vielleicht Hunger?“
 

'Sag ihr, dass ich Äpfel will.'

flötete Ryuk.
 

„Nein danke! Ich möchte einfach gerne schlafen. Gute Nacht!“
 

Ihre Schritte entfernten sich zum Glück hastig. Sehr kluge Entscheidung.
 

„Ryuk, ich weiß, es ist schwer für dich, aber könntest du bitte, nur ein einziges Mal, einfach still sein? Wäre das möglich?“
 

'Na meinetwegen. Pff, Gott einer neuen Welt. Als zickige Prinzessin gehst du vielleicht noch durch... '

brummelte er leise vor sich hin.
 

Light schielte hinter seinem Kissen hervor. Ryuk war wieder verschwunden, das Zimmer war leer.

Endlich allein!
 

„Light? Vater war total sauer. Wo warst du? Sag bloß du hattest heimlich ein Date?!

Ist sie hübsch?“
 

„Sayu! Raus!“

Risiko

Der Großteil aus Nears Erinnerungen bestand aus Krankenzimmern, weißen Laken und dem Geruch von Desinfektionsmitteln.

Die Rituale waren längst tief in ihm eingebrannt, das An und Ausziehen, die kalten Instrumente, tief einatmen, husten, ins Licht sehen, Zunge weit herausstrecken, Reflexe prüfen, auf einer Linie gehen, Temperatur messen, Urinproben, routiniertes Abtasten, leises Piepen von diversen elektronischen Geräten...
 

Es machte nichts aus dass der dazugehörige Mensch im weißen Kittel ständig wechselte, sie waren austauschbar, eine gesichtslose Figur mit leiser Stimme und kalten Händen.
 

Er war mit leichtem Albinismus zur Welt gekommen und befand sich an der Kante zur Kleinwüchsigkeit, er hatte ein schwaches Herz und ein verkleinertes Lungenvolumen, trotz Physiotherapie blieb eine geringe Muskelschwäche in seinen Beinen und sein Kreislauf und Blutdruck variierten von besorgniserregend zu eben noch vorhanden.

Und natürlich noch das Asperger-Syndrom, nicht unbedingt körperliche Einschränkung, aber eine unsichtbare Wand zwischen ihm und allem was sich außerhalb befand.
 

Sie nannten ihn erstaunlich und außergewöhnlich und tapfer.

Sie gaben ihm Tabellen und Bücher mit, eine endlose Liste an Regeln und eine regenbogenbunte Ansammlung von Tabletten.

Sie nannten ihn sensibel und krankheitsanfällig.
 

Mello nannte ihn einen erbärmlichen, lästigen, aufschneiderischen, weinerlichen Schwächling.

Near gefiel diese Definition sehr viel besser.
 

Es waren zwei Tage nach seinem Anruf bei Mello dass er sich wieder meldete.

Eigentlich wollte er noch etwas warten, vielleicht eine oder eineinhalb Wochen verstreichen lassen bevor er es sich erlauben würde, wieder die elektrisierende, ausfallende Stimme zu hören, aber die Ereignisse hatten ihm die Entscheidung abgenommen.
 

Dieses Mal war es gleich Mello der abhob, vielleicht hatte er die ganze Zeit über lauernd vor dem Handy gesessen, eine Tafel Schokolade nach der anderen verschlingend. Vielleicht...
 

„Hallo Mello. Seht ihr beiden auch gerade die Nachrichten?“
 

„Nein, wir schauen die Wiederholung von den Golden Girls. NATÜRLICH SEHEN WIR NACHRICHTEN!“
 

Er stellte sich vor wie Mello jetzt wohl aussehen würde, das Gesicht rosa angelaufen und blitzende blaue Augen.

Sein verstorbener Informant, ihr gemeinsamer verstorbener Informant, der ihm nervös die Handynummer für eine nicht geringe Summe herausgegeben hatte, hatte gemeint dass er am ganzen Körper schwarzes Leder trug und eine Federboa um den Hals hatte.

Die Vorstellung war gleichzeitig magnetisch, furchteinflößend und ein wenig lächerlich, genauso wie Mello selbst.
 

Near zwang sich den Grund seines Anrufs anzugehen, später war noch genug Zeit seine Gedanken schweifen zu lassen.

„Mich würde stark deine Meinung interessieren. Wie gut bist du mit dem Kira-Fall bewandert?“
 

„Nur grob. Dass ist die Sache an der L schon eine ganze Zeit dran ist. Der Rest der Wammys haben sich da ja rauszuhalten, es soll schließlich keine Verbindung zwischen ihm und uns gezogen werden können.“
 

Er war immer noch verstimmt, aber schon etwas ruhiger. Und offensichtlich hatte Nears Frage bei ihm auch sofort den Ehrgeiz geweckt.
 

„Dieser 'Jinx' scheint die gleichen Fähigkeiten wie Kira zu besitzen. Aber er macht kleine Videobotschaften für die Abendnachrichten, bringt Leute live um und beginnt diesen Gerechtigkeitsquatsch zu predigen.

Ich glaub nicht dass die Zwei zusammenarbeiten, das ist so gar nicht Kiras Stil. Außerdem tötet Kira nur Verbrecher oder Leute die ihn direkt bedrohen.

Für Jinx scheint es schon genug zu sein in hirnlosen Talkshows zuzugeben, dass man Kira nicht 'ganz so geil' findet.“
 

Near hörte das Knistern von Alupapier, das vertraute 'Knacks', dann gleichmäßiges Kauen.

Er erinnerte sich an unzählige Nachmittage in der gigantischen Bücherei in Wammys Haus. Staubflocken, die in den den breiten Sonnenstreifen tanzten, der sanfte Geruch alter Bücher und genau dieses Geräusch in einer Endlosschleife von ein paar Tischen weiter, wo hinter einem Berg aus Büchern ein blonder Junge saß, unermüdlich damit beschäftigt ihn zu übertreffen.
 

„Ein Amerikaner höchstwahrscheinlich, niemand würde sich sonst kümmern was diese beschissenen Shows über Kira erzählen.

Der soll ja Japaner sein, also befinden sich die beiden ziemlich weit auseinander, unwahrscheinlich dass sie sich schon einmal getroffen haben. Also ist das wohl ein Nachahmer, der von Kira nur gehört hat und jetzt seine eigenen Vorstellungen von Gerechtigkeit verfolgt. Und dabei alles andere als zimperlich vorgeht.

Das heißt dann wohl dass wir in ziemlicher Scheiße stecken, einer war schlimm genug, der hier ist noch abgedrehter und wer weiß wie viele noch von diesen Typen auftauchen. Hier ist irgendne ganz große Sache am Laufen.“
 

Near nickte ruhig.

„Ja, zu einem ähnlichen Ergebnis bin ich auch gekommen. Es scheint, dass L beginnt die Situation über den Kopf zu wachsen.“
 

„Was soll denn das jetzt?! Das ist Ls Fall! Er wird das schon alles im Griff haben. Niemand kann sich da einfach ungebeten einmischen.“
 

„Es ist nicht ungebeten.“
 

„Hä?“
 

„Noch vor dieser beunruhigenden Ausstrahlung habe ich einen Anruf von Watari bekommen. Offenbar gibt es gewisse Komplikationen bei den Ermittlungen in Japan.“
 

„Komplikationen? Was soll denn das heißen? Ist L in Gefahr?“
 

„Er hat nichts konkretes berichtet. Nur dass ich mich in die Materie hineinarbeiten sollte, für den Fall dass etwas... Unerwartetes geschieht.“
 

„Und da hat er sich bei DIR gemeldet?“
 

„Nun, wenn man von meiner überlegenen Intelligenz absieht, ist es höchstwahrscheinlich deine beachtliche Liste an kriminellen Straftaten die dich als potenziellen Nachfolger disqualifiziert hat.

Natürlich ist das nur eine Vermutung.“
 

Eine recht beeindruckende Ansammlung an Flüchen kam aus der Leitung.
 

Near sollte sich wirklich zusammenreißen. So viel Spaß es auch machte, zum Spielen war später Zeit. Jetzt war es wichtig ein wenigstens halbwegs vernünftiges und produktives Gespräch zu führen.
 

„Wie auch immer,“

unterbrach er Mello als dieser gerade Luft für den nächsten obszönen Wortschwall holte.

„L scheint mit der Situation sichtlich überfordert zu sein. Spätestens der Auftritt dieses Jinx zeigt das deutlich. Deswegen ist es nur logisch dass der Nächste in der Reihe übernimmt. Allerdings glaube ich dass ich auf mich allein gestellt an diesem Fall ebenfalls scheitern müsste, soviel habe ich von meinen Nachforschungen erfahren. Ich brauche deine Hilfe, Mello.“
 

Das war der kritische Punkt.

Near hatte kein Problem damit zuzugeben, dass er ohne das Zutun von Mello mit ziemlicher Sicherheit scheitern würde. Für diesen Fall reichte es nicht Theorien in seinem Kopf durchzugehen. Man brauchte genauso wie ein ungewöhnlich gutes Denkvermögen die nötige Intuition und Initiative, eine passive und eine aktive Seite, denn der Gegner war in Beidem extrem gut bewandert.

Es war nur die Frage ob die Aussicht darauf, dass Near auf ihn angewiesen war, ausreichte dass Mello mit ihm zusammenarbeitete.
 

„Nur damit ich das richtig verstehe.

Watari hat dich damit beauftragt dich darauf vorzubereiten Ls Rolle zu übernehmen.

Und deine erste Reaktion ist es mich, einen gesuchten Verbrecher, hinter seinem Rücken dazu einzuladen mitzumachen?

Was erste Amtshandlungen angeht ist das ziemlich beschissen.“
 

Nun, das war zumindest kein Nein.
 

„Wirst du über meine Bitte nachdenken?

Gemeinsam können wir diesen Fall lösen, davon bin ich fest überzeugt.“
 

„Wir werden sehen. Gib mir was unter dem ich dich erreichen kann.“
 

Near schluckte die Bemerkung, dass Mello all die Zeit nach ihm gesucht hatte nur um jetzt höflich zu fragen, nur knapp herunter.

Stattdessen gab er ihm die Telefonnummer der Hauptleitung seiner Abteilung und die Adresse seines großen Bürogebäudes.
 

Es gab keinen Grund mehr sich zu Verstecken. Mello würde zu ihm kommen, und mit einer Herausforderung diesen Ausmaßes im Blick würde er wohl kaum einfach den Wolkenkratzer in die Luft sprengen.

Natürlich konnte man sich bei Mello da nie ganz sicher sein.
 

Near lächelte still vor sich hin.

'Mein erstes waghalsiges Risiko. Kein schlechtes Gefühl.'

Gevannis wirklich mieser, beschissener Tag

Stephen Loud hatte sich den Decknamen Gevanni selbst ausgesucht.

Mütterlicherseits hatte er genug südländisches Blut, dass man es ihm problemlos abnehmen könnte Italiener zu sein.

Und mit diesem Namen hatte er beschlossen ein neuer Mensch zu werden.

Ein unerschütterlicher, eiskalter Profi.

Ein Mann für den es keine Grenzen im Leben gab.
 

Er hatte sich im FBI pausenlos nach oben gearbeitet, immer auf der Suche nach neuen, anderen Herausforderungen. Und als er eines Tages den Vorschlag bekommen hatte, bei einer privaten Organisation zur Verbrechensbekämpfung anzufangen, hatte er, ohne sich groß zu Informieren, zugesagt.
 

Von allen seinen Jobs war dieser wohl der Ungewöhnlichste, und das konnte man allein schon an seinem Vorgesetzten festmachen.

Es hatte eine kurze Zeit gebraucht, bis er sich damit vertraut gemacht hatte, Befehle von einem Kind im weißen Schlafanzug entgegenzunehmen, das nebenbei mit einer Modelleisenbahn spielte.
 

Es war Near anscheinend gar nicht bewusst, dass er teils die äußeren Signale eines verschüchternden, unbeholfenen Jungen ausstrahlte, und teils einfach unhöflich und desinteressiert wirkte.

Vielleicht war es ihm auch einfach egal.

Wenn er den Mund aufmachte gab es keinen Zweifel daran, dass er ein selbstbewusster, hochintelligenter junger Mann war.
 

Commander Rester, wie Gevanni der große, muskulöse blonde Mann vorgestellt wurde, war anscheinend für Einiges mehr verantwortlich, als es für den stellvertretenden Leiter der Abteilung üblich sein sollte, einerseits wegen Nears offensichtlichen körperlichen Problemen, andererseits war er, wegen seiner Art von Autismus, in vielerlei Hinsicht naiv, und verwirrt wegen Selbstverständlichkeiten.
 

Zum Glück war Gevanni nichts wenn nicht anpassungsfähig, deswegen hatte er nach ein paar Monaten ausreichende Toleranz entwickelt um den täglichen Wahnsinn auf der Arbeit mit Fassung zu tragen.

Bis das Abteilungstelefon an diesem bestimmten Tag klingelte.
 

„Gevanni.“

meldete er sich ruhig.
 

„Das dauert ja ne Ewigkeit bis bei euch einer drangeht. Wart ihr beschäftigt mit Schneeflöckchen Bauklötze zu spielen?“

schnarrte ihm eine wütende Stimme entgegen.
 

Er blinzelte verwirrt.

„Wie bitte? Wer spricht da?“
 

„Ist es Mello?“

kam Nears leise Stimme zwischen seinen Würfeltürmen hervor.
 

„Hol deinen Boss ans Telefon. Sag Mello ist dran. Ich red nicht mit der Tippse.“
 

Gevanni legte die Hand über den Lautsprecher.

„Es scheint so.“
 

Eine zierliche, blasse Hand tauchte hinter einer weißen Mauer auf.

„Geben sie mir das Telefon. Eine Stimmverzerrung ist nicht nötig.“
 

Es gab hunderte von Fragen die ihm durch den Kopf schwirrten.

War Mello nicht der Verbrecher, der aus unbekannten Gründen schon seit Monaten hinter ihnen her war, und eine nicht unerhebliche Anzahl ihrer Mitarbeiter getötet hatte?

Woher kannte er diese Telefonnummer?

Wieso rief er an?

Glaubte er wirklich mit Near sprechen zu können?

Warum erwartete der Junge dass es Mello war?

Wollte er sich jetzt einfach mit diesem Kriminellen unterhalten?

Kannten sich die beiden etwa?

'Schneeflöckchen'!?
 

„Bitte sehr.“

er legte das Handy in die ausgestreckte Handfläche.
 

„Hallo Mello, schön dass du dich heute noch melden konntest... Ja... Ja... Ich glaube nicht dass das Anatomisch möglich wäre... Nein, natürlich nicht... Gevanni, bitte schalten Sie alle Kameras aus und öffnen Sie die elektrischen Türen.“
 

„W-Was? Ich verstehe nicht...“
 

„Da gibt es nichts zu verstehen. Führen sie meine Anweisungen aus.“
 

„Sir, Sie wollen das wir einen Schwerverbrecher in das Gebäude lassen?“
 

„Ganz genau. Wenn Sie bitte so freundlich wären.“
 

Es war schon spät am Abend, alle Mitarbeiter hatten das Hauptquartier verlassen, bis auf Gevanni war nur noch Rester anwesend.

Sie warfen sich einen unsicheren Blick zu, es war nicht unbedingt nicht das Unsinnigste dass sie je von ihrem Boss gehört hatten, aber bei weitem das Lebensmüdeste.
 

„Auf Ihre Verantwortung, Sir. Ich hoffe Sie haben einen guten Grund dafür.“

murmelte Gevanni als er sich an dem großen Schaltpult zu schaffen machte.
 

Die Monitore wurden schwarz und die Tür glitt geräuschlos auf.

Aus den Augenwinkeln sah er, das Rester nach seiner Waffe griff, und tat das gleiche.
 

„Das wird nicht nötig sein.“

Near baute ungerührt an seinen Türmen weiter.
 

Stampfende Schritte hallten durch den Korridor.

Gevanni hatte sehr wohl das Gefühl dass es nötig wäre.

Wenn es nach ihm ginge dürften ruhig noch einige Scharfschützen im Raum stehen.

Und ein paar SWAT-Einheiten.

Und ein kleinerer Panzer.

Ja, damit hätte er absolut kein Problem.
 

Zwei junge Männer kamen den Gang entlang.

Der Blonde sah aus wie eine unglückliche Mischung aus einem Biker und einer Burleske-Tänzerin.

Der mit der Fliegerbrille könnte als der große Bruder von Pippi Langstrumpf durchgehen.

Beide trugen Waffen. Gevanni schluckte.
 

„Hallo Mello. Matt. Es freut mich sehr dass ihr kommen konntet.“
 

„Du siehst immer noch aus wie Sechs.“

Die Stimme vom Telefon. Das müsste wohl Mello sein.
 

„Hey Near, nette Bude hast du da. Wir sollten uns auch so was zulegen. Aber mittlerweile haben wir eine starke emotionale Bindung zu den Kakerlaken aufgebaut.“

Und das war dann Matt. Wer auch immer Matt war.
 

„Kennt ihr euch etwa alle!?“

platze Gevanni heraus.
 

Mit einem kleinen 'Schnapp' setze sich Matt die Brille von den Augen auf die Stirn.

„Wir gehören zur Selbsthilfegruppe für hochbegabte Menschen ohne Modegeschmack oder sozialer Kompetenz.

Hast du deinen Babysittern nichts von uns erzählt? Oh, das ist hart. Schämst du dich etwa für uns?“
 

„Was haben diese Leute hier zu suchen?“

Gevanni war erstaunt über den ruhigen Tonfall den Rester selbst in diesen Situationen anschlagen konnte.
 

Vielleicht war er gar kein Mensch, sondern ein von Near entwickelter Roboter. Das würde soviel erklären, besonders die Terminator-Titelmusik, die ihm, jedes Mal wenn er Rester zu lange ansah, um Kopf herumspukte.
 

„Dieses kurzfristige Treffen ist etwas unglücklich, zumal große Teile des Teams fehlen, aber nichtsdestotrotz sollten wir die Fakten klären.

Unser Büro wurde mit dem Fall beauftragt, Kira zu fassen.

Ich bin mir sicher alle sind vertraut mit dem neu aufgetretenen Täter, Jinx.“
 

„Du brauchst mich gar nicht so anglotzen! Ich bins nicht!“
 

Gevanni blickte schuldbewusst zur Seite.

Konnte dieser Mello etwa auch Gedanken lesen?
 

Near redete unbeeindruckt weiter.

„Wir werden beide Fälle untersuchen müssen. Dabei brauchen wir jede Unterstützung, die wir kriegen können. Mello und Matt haben Verbindungen und verfügen über hohe Intelligenz, was uns beides sehr hilfreich sein wird.“
 

Gevanni versuchte gar nicht erst seinen Abscheu zu verbergen.

„Schlagen Sie etwa vor dass wir mit diesen... Kriminellen zusammenarbeiten? Sie sind für den direkten Tod von mindestens zwanzig unserer Mitarbeiter und Informanten verantwortlich.

Wie haben Sie überhaupt Kontakt mit diesen Beiden aufgenommen?

Hatten Sie Daten und haben sie nicht weitergegeben?

Wir hätten sie verhaften können! Menschen sind gestorben! “
 

„Sämtliche Mitarbeiter waren sich den Gefahren die diese Arbeit mit sich bringt sehr wohl bewusst.“

kam die frostige Antwort.

„Mello zu verhaften war zu keiner Zeit Teil unserer Aufträge.“
 

„MENSCHEN sind GESTORBEN!“

Er merkte dass er langsam hysterisch wurde.

Das wars mit diesen Jobs!

Er schwor sich zu kündigen, und sich einen Ruhigeren zu suchen, bei dem die Gefahr frühzeitig einen Herzinfarkt zu bekommen, oder eingewiesen werden zu müssen, geringer war.
 

„Menschen sterben doch ständig.“

Matt klang von der ganzen Situation nur gelangweilt.

„Deswegen rumzujammern macht Einen auch nicht zu einem besseren Menschen.

Es macht Einen nur verdammt nervtötend.“
 

Mit spitzen Fingern setzte Near den letzten Würfel auf den Turm.

„Ich möchte alle daran erinnern dass es sich hier um eine Geschäftsbesprechung handelt, keinen Beliebtheitswettbewerb. Gegenseitige Sympathie ist völlig irrelevant.“
 

Oh nein, keine Sekunde länger würde er mit diesen Irren in einem Raum bleiben.

Rester machte wieder seine beste stumme Schwarzenegger-Imitation, der war ihm auch keine große Hilfe.

Er schielte sehnsüchtig zur Tür.

Nichts wie raus hier, in die nächste Bar. Mit viel Alkohol und normalen Leuten.
 

Mello grinste plötzlich breit und zeigte dabei viel zu viele Zähne.

„Geschäftsbesprechung? Das hier ist keine Geschäftsbesprechung, Near. Das ist eine Entführung!“
 

Und er schoss Gevanni in den Kopf.

Waterloo

„DAS war dein Plan? Wenn das dein Plan war, war er echt Scheiße.“
 

„Ich hab improvisiert.“
 

Near stolperte stumm hinter Mello und Matt her, sein Handgelenk mit eisernem Griff von Mello gepackt.

Gerade wurde das erste Mal jemand vor seinen Augen ermordet.

Aus dem Augenwinkel konnte er in einem der großen Spiegel auf dem Gang einen Blick auf sich erhaschen, tiefrotes Blut klebte an seinen weißen Haaren, seiner weißen Haut, seiner weißen Kleidung.

Es hatte gespritzt, Blut und Knochensplitter und Gehirnmasse, auf Gevannis sauberen Anzug, den Boden, die Würfeltürme, auf Near.

Der Geruch war süßlich und übel.
 

Mello hatte gleich darauf auf die Schaltpulte geschossen und funkensprühend die Elektronik im ganzen Gebäude lahmgelegt.

Im plötzlich schummrigen Licht war ein genaues Zielen fast unmöglich, und Rester, der sofort einen Tisch umstieß und sich dahinter verbarrikadierte, hatte keine Chance auf Mello oder Matt zu schießen ohne Near zu gefährden.

Mello hatte ihn am Handgelenk gepackt (und dabei die Türme umgeworfen), hastig die Gänge hinter ihm her gezerrt und das kühle, dämmrige Treppenhaus hinunter.
 

Near spürte die kalten Steinstufen durch seine weißen Socken und ein stechender, tauber Schmerz, der langsam seine Beine hoch kroch. Seine Lungen brannten und sein Puls hämmerte in seinen Schläfen.

'Ich bin noch nie zuvor gerannt.'

schoss ihm benommen durch den Kopf.
 

Matt riss die Tür zum Notausgang auf.

„Gib ihn mir. Ich fahr mit dem Auto. Du nimmst das Motorrad. Wir treffen uns in der Wohnung.“
 

„Ich nehm ihn mit.“
 

„Auf der Maschine? Na dann viel Spaß. Wenn er dich vollkotzt bist du dran Schuld.“
 

Matt verschwand in einer Nebengasse und Mello zog Near weiter hinter sich her.
 

Ein Motorrad?

Near hatte Bilder von Unfallopfern aus Motorradkollisionen gesehen.

Blutige Schmierspuren, abgetrennte Gliedmaße.
 

Das, was einmal Gevannis Gesicht gewesen war, eine rote, ekelhafte Masse.
 

Mello hatte ihn bis vor ein schweres schwarzes Monstrum von einem Motorrad gezerrt.

Die Hand in dem Lederhandschuh, die nicht seinen Arm festhielt, packte ihn am Kinn und zwang seinen Kopf nach oben.
 

„Mach jetzt ja keinen Ärger!“
 

Near starrte ihn nur still an, sein Körper summte vor Schmerzen und Adrenalin.

Mello stieß einen entnervten Laut aus und hob ihn mühelos auf den Sattel.
 

„Wie viel in aller Welt wiegst du? 20 Kilo höchstens, und nur wenn man dich nassmacht!“
 

Near wollte antworten, dass er es gerade auf die 40 Kilo geschafft hatte, und zwar morgens, nüchtern und ohne Kleidung. Aber kein Laut kam an dem dicken Kloß in seinem Hals vorbei und Mello war schon vor ihm aufgestiegen und hatte den Motor angeworfen.
 

Panisch schlang er seine Arme um Mellos Hüften als sie auf die Straße donnerten.

Der Fahrtwind war kalt und das Atmen fiel ihm schwer. Er presste seine brennenden Augen zusammen und krallte sich fester an Mello.

'Ich werde sterben. Jetzt werde ich sterben.'
 

Er konnte unmöglich sagen wie lange die Fahrt ging bis sie schlitternd zum Stehen kamen.
 

„Hör mit der Klammerei auf.“
 

Near zwang sich den Griff zu lösen und die Augen zu öffnen. Straßenlaternen leuchteten matt auf große, graue, baufällige Häuser.

Mello schloss das schwere Vorhängeschloss einer großen, dunklen Halle auf und schob Near und dann das Motorrad hinein.

Eine Hintertür führte ins Treppenhaus und Mello zog ihn weiter hinter sich her.

Er kämpfte damit, mit Mello Schritt zu halten. Seine Beine waren nur noch ein taubes, schweres Gewicht und schwarzer Nebel schwamm vor seinen Augen.

Near wusste nicht, wo er war, er konnte nicht einmal sagen in welchem Stockwerk sie endlich halt machten, als Mello eine Tür aufschloss, von der grüne Farbe blätterte.
 

Near hatte noch nie eine so dreckige, verkommene Wohnung gesehen.

Es war ihm völlig egal.

Er wollte sich nur hinsetzen und ein paar Schmerztabletten nehmen.

Ein zitternder Finger drehte eine weiße Haarsträhne, er wollte seine Würfel und Roboter, irgendetwas um seine Hände zu beschäftigen, damit er wieder ruhig nachdenken konnte.
 

Mello schloss die Tür hinter ihm ab und schlug Nears Hand aus seinen Haaren.

„Hör auf damit!“
 

„Auch schon da? Habt ihr noch ne Spazierfahrt gemacht?“

Matt lehnte an einem Türrahmen, eine Zigarette im Mundwinkel.
 

„Kümmre dich um deinen eigenen Scheiß!“
 

„Das ist mein Scheiß, er ist in meiner Wohnung.

Und was jetzt? Willst du dass wir drei ne Detektei gründen?

Sollen wir hierbleiben, Kameras installieren und das Material als Sitcom ins Fernsehen stellen? Sollen wir ihn auf den Kinderstrich schicken?

Ihn zum Abendessen kochen?

Ich bin offen für Vorschläge.“
 

„Fuck!“

schrie Mello und schlug mit der Faust krachend gegen die Wand.

Near zuckte erschrocken zusammen.
 

„Das kannst du selber machen. Kleine Albinos turnen mich nicht unbedingt an.“
 

Einen Moment herrschte Stille, Mello und Matt starrten sich an und es schien eine stumme Unterhaltung zwischen ihnen stattzufinden, und Mello wurde etwas ruhiger.

Schließlich warf Matt seine Kippe auf den Boden.
 

„Ok, ok, was auch immer, wir sollten raus aus der Stadt, dann sehen wir weiter.

Ich frag bei ein paar Leuten rum, ich find uns was.“
 

Matts dramatischer Abgang wurde etwas gedämpft durch die Tatsache, dass er vergaß dass die Tür gerade abgeschlossen wurde und schwungvoll dagegen lief.
 

„Hab dir doch gesagt das ewige Gequalme räuchert dir noch das Gehirn ein.“

murmelte Mello als Matt die Tür aufschloss.
 

Matt seufzte tief.
 

„Bleibt einfach hier und... was immer ihr tut, tut es leise und unauffällig.“
 

Und er ging.
 

Near konnte das Zittern kaum noch unter Kontrolle halten. Die Schmerzen in seinen Beinen ließen alles um ihn herum verschwimmen, aber er konnte sich jetzt noch nicht hinsetzen, er durfte keine Schwäche zeigen.
 

Die Regeln hatten sich radikal geändert, auf einen Schlag wurden ihm fast alle Vorteile genommen, er befand sich völlig außerhalb seines Einflussgebiets, erstmals jenseits aller Begrenzungen und Regeln, und ohne Matt war der Puffer zwischen ihm und Mello völlig verschwunden.
 

Er würde Near nicht töten wollen, zumindest jetzt noch nicht, ihn auf der körperlichen Ebene zu schlagen wäre zu einfach und kein echter Sieg.

Aber andererseits war er extrem aufbrausend und emotional, wenn er gereizt genug wäre, würde er wahrscheinlich alle Vernunft wegwerfen und ihn in einem Anfall von Wut schwer verletzen oder umbringen.
 

Nears Blick schwenkte zu der Stelle an der Wand, gegen die Mello geschlagen hatte.

Putz bröckelte von ihr ab.
 

Er hatte es sich schon oft vorgestellt, dass Mello ihn umbringen würde.

Ein recht naheliegender Gedanke, schließlich drohte er es Near oft genug an.

Aber bis heute war es vage und theoretisch gewesen, ein Gedankengebilde, das auf seine Art recht ansprechend war.
 

Sein Körper wurde nur dürftig zusammengehalten, der Tod stand immer an seiner Türschwelle,

Mello als Ursache für sein Ableben schien ihm als eine bessere Alternative zu einem langsamen Dahinsiechen.
 

Heute hatte Near tatsächlich gesehen wie ein Mord aussah, live und aus nächster Nähe.

Dass Mello wirklich dazu fähig war eiskalt den Abzug zu betätigen und ein Leben auszulöschen.

Es war schockierend... abstoßend, aber... sehr viel intensiver und überwältigender als in seiner Vorstellung.
 

Es war nicht dass er es nicht mehr wollte, für Near war es unvermeidlich dass es am Ende darauf hinauslaufen würde.

Aber nicht jetzt. Nicht hier.

Es gab noch Möglichkeiten, Chancen, es gab noch Dinge die er sehen und erleben wollte bevor er sterben würde.
 

Zuerst galt es wieder ein Gleichgewicht der Kräfte herzustellen, dafür musste er sich zusammenreißen.

Dumpfe Töne drangen durch den Nebel, Mello redete mit ihm...
 

„Wie bitte...?“
 

„Hörst du mir gar nicht zu? Was denn, langweilst du dich?!“
 

Near zupfte fest an seinen Haaren, er musste sich konzentrieren.
 

„Mello, bevor weitere Aktionen besprochen werden können, sollten wir unsere jetzige Situation klar stellen und Richtlinien festlegen, nach denen wir vorgehen können.

Was ich von dir brauche habe ich bereits erörtert, Mithilfe bei diesem Fall.

Jetzt ist nur die Frage was genau du von mir erwartest.

Mit welchen Absichten hast du mich hierher gebracht?

Was hättest du gerne als Gegenleistung?“
 

„WAS? Ich... Verdammte Scheiße, ich glaub das nicht!“
 

Das war nicht gut. Mello schien wütend zu sein, warum...?

Mit einem schmerzhaften Ruck hatte Near seine Haare in der Hand, aber das Denken funktionierte trotzdem nicht.

Verzweifelt versuchte er die kriechende Dunkelheit wegzublinzeln, jetzt nicht, jetzt nicht.

Er durfte Mello keine Schwäche zeigen, er musste die Kontrolle behalten sonst würde alles auseinanderfallen.
 

Mello fegte krachend mehrere Flaschen von der alten Kommode im Gang auf den Boden.

„Du... Du verstehst gar nichts! Die ganzen Jahre... du hast gar nichts verstanden!“
 

Warum war Mello plötzlich so wütend?

Er war schon vorher geladen gewesen, aber da lag es an der Stresssituation.

Jetzt sollte ein guter Zeitpunkt für ein vernünftiges Gespräch sein.

Hatte er etwas Falsches gesagt?
 

„Mello, ich weiß nicht...“
 

„Nein, natürlich nicht! Gott, was für eine Scheiße! Warte... lass mich nachdenken. Lass mich kurz nachdenken!“
 

Es schien ernst zu sein. Was auch immer passiert war, es war schwerwiegender als eine Niederlage bei ihren Spielen. Die ließ Mello aggressiv und motiviert zurück, jetzt wirkte er nur ratlos und voll bitterer Wut.
 

Und Near spürte wie er seine Ruhe verlor, seine Kontrolle, und er brauchte sie.

Er hatte keine Ahnung was der Andere wollen könnte, das erste Mal, dass das Rätsel Mello keinerlei Anhaltspunkte gab und er fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben wahrhaft hilflos.
 

Mello hatte angefangen auf Slowenisch vor sich hin zu schimpfen, er lief auf und ab, mit sich selbst im Streit.

Near kämpfte mit dem Bewusstsein und mit den Tränen, er konnte kaum Slowenisch.
 

Schließlich kapitulierte der Körper vor dem Stress.

Ein drückender, krampfender Schmerz schoss durch seinen Unterleib.

Seine Blase drängte darauf sich zu entleeren.
 

„Mello, ich muss...“
 

„Halt den Mund!“
 

„Nein, ich muss...“
 

„Interessiert mich nicht. Halt einfach die Klappe und bleib da stehen!“
 

„Aber...“
 

Wammys Haus hatte zwar ungewöhnlich viele Freiheiten für seine Bewohner, aber die Regeln die es gab wurden mit rigoroser Strenge durchgesetzt.

Jede Art von Gewalt war streng untersagt und wurde sofort und hart bestraft.

Mello hatte ihn also noch nie geschlagen.

Die plötzliche Wucht, der peitschende Knall und das Brennen wie Feuer auf seiner Wange waren ein überwältigender Schock.
 

„Was muss ich tun um dich ENDLICH ZUM SCHWEIGEN ZU BRINGEN!?!“
 

Mit Entsetzen fühlte Near warme Flüssigkeit an seinen Beinen herunterlaufen, seine schwache Beckenmuskulatur unfähig sie einzuhalten.

Es machte nichts wenn die Ärzte von seiner Blasenschwäche wussten und wenn er vor ihnen urinieren musste, wenn er sich ihnen schutzlos und erbärmlich und abscheulich zeigte, keiner von ihnen war wichtig.
 

Mello war wichtig. Mello durfte ihn nie so sehen, wie unbrauchbar und unbefriedigend er wirklich war, jämmerlich und siechend.

Near war immer sein Gegner gewesen, überlegen aber nicht unbewältigend, ein konstanter Antrieb, genau das, was Mello brauchte.

Wenn er erkennen würde was er wirklich war würde er ihn rausschmeißen, vor die Tür werfen und ihn vergessen, und Near würde in der Gosse sterben, krank und frierend und verdreckt in seinen eigenen Ausscheidungen, nein, nein, er wollte das nicht, er wollte Mello, aber Mello würde ihn nie wieder ansehen, warum sollte er, was war er denn schon, hässlicher kleiner Freak, stirbt im Dreck zwischen Ratten, niemand will dich, niemand...
 

„Ach du Scheiße...“

flüsterte Mello.
 

Near sank stumm auf den Boden in seine kleine Pfütze, Scham und Verzweiflung und Schmerz und Trauer brachen über ihm zusammen.

Trockenes, keuchendes Schluchzen überwältigte ihn und er hatte keine Kraft mehr dagegen anzukämpfen.
 

Alles war vorbei. Er hatte sich herausgewagt und die Welt hatte ihn in Sekundenschnelle vernichtend geschlagen.

Natürliche Selektion.

Minderwertige Gene werden radikal aussortiert.

Wie konnte er auch so dumm sein und annehmen, dass es anders hätte kommen können?

Analog

Dass Mello improvisiert hatte, stimmte so nicht ganz.

Er hatte von Anfang an geahnt dass es auf so etwas hinauslaufen würde, dafür kannte er sich mittlerweile gut genug.

Kein Grund, Matt das zu erzählen, vielleicht würde ja doch alles anders werden, vielleicht hatte sich irgendetwas geändert.
 

Es hatte sich nichts geändert. Wortwörtlich.

Als er in den Raum gekommen war, sah Near genauso aus wie vor elf Jahren, seit sie sich das erste Mal begegnet waren. Und nichts, gar nichts war anders.

Dasselbe drückende, vibrierende Gefühl im Magen, derselbe kochende Strom der durch seine Adern floss, dieselbe überwältigende, unersättliche Gier.

Mello konnte nicht sagen ob er erleichtert oder wütend darüber sein sollte.
 

Mit Near zusammenzuarbeiten während er auf sein Spielzeug starrte, in diesem riesigen, weißen, leeren Raum, umgeben von diesen bewaffneten Trotteln war komplett undenkbar.

Selbst wenn er es wollte, würde er nach spätestens einer halben Stunde Amok laufen.
 

Er wusste, dass er die Situation ändern musste. Zum ersten Mal ändern konnte.

Seit er Wammys Haus verlassen hatte, hatte er auf diesen Moment gewartet, er hatte getötet und gestohlen, war Deals mit schleimigen, dummen Kriminellen und Mafiosi eingegangen, war immer, immer wieder in Sackgassen gelandet.

Aber jetzt endlich hatte er es geschafft, er hatte etwas aus sich gemacht, ohne die Hilfe von Irgendjemanden.

Er stand selbstständig und erfolgreich da, zwar auf der anderen Seite des Gesetzes, aber was machte das schon.

Er hatte das geschafft, wozu Near nicht fähig gewesen war.
 

Near sah nicht auf als sie reinkamen, natürlich nicht, zum Einen hatten sie zu viele Zuschauer, zum Anderen war er viel zu stolz als dass er zugeben würde, dass es ihm genauso wie Mello ging.
 

Egal, sobald sie alleine wären, würde sich das ändern.

Denn obwohl er sich noch genauso wie damals fühlte, war er ein neuer Mensch.

Nicht mehr Nummer Zwei, er spielte jetzt in einer eigenen Liga, und dort war er die Nummer Eins.
 

'Jetzt sind wir gleichberechtigt, Near. Keine Ausreden mehr, keine Kompromisse.'
 

Es war beinahe lächerlich einfach, er hatte sich grauenhafte Vollidioten zugelegt, vielleicht hatte er das Gefühl gehabt, er müsste es Mello leichter machen.

Arroganter Scheißkerl.

Er kam anstandslos mit, nur beim Anblick des Motorrads schien ihm nicht wohl zu sein.

Es war pure Eitelkeit, sie hätten auch problemlos alle mit dem Chevy fahren können, aber Mello wollte etwas Eindruck machen.

Außerdem krallte sich Near so fest in seine Hüften, dass er vermutete (hoffte) blaue Flecken davon zu bekommen.

Ja, er fuhr einen kleinen Umweg.

Ja, er fuhr etwas schneller und riskanter als nötig.

Und?

Nach elf Jahren Plackerei konnte man ruhig ein wenig angeben.
 

Als sie allerdings in der Wohnung ankamen, fiel ihm plötzlich auf, wie sehr er und Matt sie verkommen hatten lassen.

Mello war nie ein besonders reinlicher Typ gewesen, und Matt war es, wie alles andere, egal.
 

Near war ein strahlend weißer Fleck zwischen Zigarettenkippen, Essensresten, Bierflaschen, schmutziger Kleidung und Elektroteilen.

Mello dachte an den grauenhaft sterilen Raum wo er vorher war, an Matts Kommentar.

Verdammt nochmal. Irgendetwas lief immer schief.
 

Matt war zwar eine Nervensäge, aber er dachte praktisch und Mello war recht dankbar dass er sich um die anstehenden Sachen kümmerte.

Noch etwas, über dass er kaum nachgedacht hatte.

Immer noch viel zu viel unüberlegtes Handeln.
 

Was solls, was passiert war, war passiert. Jetzt war nur Near wichtig.

Und wieso war Mello nur so verdammt aufgeregt und unsicher?

Near sah ihn immer noch nicht richtig an, was war denn los?!

War er etwa immer noch nicht interessant genug?
 

„Ich schätze das wars. Spielstunde vorbei. Du weißt wer ich jetzt bin. Ich bin dir nicht mehr unterlegen. Wir sind endlich gleichberechtigt.

Darauf hast du doch gewartet, oder?

Darauf dass ich 'würdig' für dich bin?

Bin ich es jetzt endlich wert dass du mich ernst nimmst?

Oder soll ich noch irgendetwas machen?!“
 

„...wie bitte?“
 

Near blinzelte, die Augen stier auf den Lichtschalter neben Mello gerichtet, mit den Gedanken meilenweit weg.
 

„Hörst du mir gar nicht zu? Was denn, langweilst du dich?!“

Das kribblige, aufregende Gefühl verwandelte sich langsam in ätzende Batteriesäure.
 

Near zupfte wieder an seinen Haaren herum und begann irgendetwas vom Klarstellen der Situation zu schwafeln. Von diesem verfluchten Kira-Fall für den er Mello brauchte.

Und dann fragte er allen Ernstes was Mello gerne als Gegenleistung hätte.
 

Als wäre Mello nur einer seiner Geschäftspartner.

Als wären all die Jahre völlig bedeutungslos, der Hass und der Neid und die Leidenschaft, alles unwichtig.

Mello war ein Werkzeug, ein Puzzlestück.

Nicht mehr, nicht weniger.

Elf Jahre brachen über Mello zusammen. Elf Jahre, in denen er alles versucht hatte um diese Gier in ihm zu befriedigen, diese Gier von Near angesehen zu werden, wirklich angesehen.

Ihm mehr zu bedeuten als alle dummen Rätsel und Mysterien dieser Welt.

Und Near hatte es nicht einmal bemerkt.
 

Near hasste ihn nicht. Er liebte ihn nicht.

Mello war Near ganz einfach egal.

Und Mellos Herz fühlte sich an als ob eine Faust es langsam zerquetschen würde.
 

Near war verwirrt, er hatte so offensichtlich keine Ahnung von dem, was gerade in Mello vorging, dass Mello nicht einmal wirklich wütend auf ihn sein konnte.
 

Mello fluchte und richtete noch mehr Chaos an, verdammt, warum nicht, sowieso egal, und fluchte und schrie in seiner Muttersprache und warf sich jede Beleidigung die er kannte an den Kopf, wie konnte er nur so blöd sein, er war nicht gut genug, würde nie gut genug sein.
 

Near eine zu verpassen war auch nicht gerade die angemessene Reaktion, aber was solls.

Es war ja nicht so als ob es irgendeinen Unterschied machen würde...
 

Aber jetzt sah Near ihn an, entsetzt geweitete Augen, die schwarzen Pupillen fast völlig die hellgraue Iris verschluckend, am ganzen Körper zitternd.

Ein feuchter Fleck breitete sich in seinem Schritt aus, Urin sammelte sich unter ihm.
 

„...ach du scheiße.“
 

Near brach zusammen.
 

Mello stand da wie ein Kaninchen vor der Schlange.

Vor ihm kauerte ein kleiner, weißhaariger Junge und schluchzte und bebte und Mello hatte das ausgelöst.

Near, eiskalter, emotionsloser Near hatte sich gerade vor seinen Augen angepinkelt und vergrub jetzt das Gesicht in seinen Händen, an denen einzelne weiße Haare hingen.

Hatte er sie sich ausgerissen? Wann war das passiert?
 

Mello fragte sich, ob es möglich wäre, sich noch dümmer zu fühlen als in diesem Moment.

Er hatte alles falsch eingeschätzt. In Wirklichkeit... na ja, eigentlich hatte er keine Ahnung was in Wirklichkeit los war, aber Near war angespannt gewesen. Bis zum Zerbersten.

Es war ihm nicht gleichgültig.
 

Aber Mello vermutete, zu Pinkeln und jetzt so zu Weinen war nicht unbedingt ein gutes Zeichen.

Hatte er etwas kaputtgemacht?

Er wrang hilflos die Hände, was macht man in so einer Situation?

Sollte er ihn einfach liegenlassen und warten bis er wieder normal war?

Oder sollte er versuchen etwas zu tun, aber was wenn es falsch wäre und er noch mehr kaputtmachen würde?
 

Oh Gott, warum war Matt nie da wenn man ihn brauchte!?
 

Gott...
 

Mellos Hand flog zu dem Rosenkranz um seinen Hals.

'Gott, tut mir leid, dass ich mich schon wieder melde, ich weiß, Near ist jetzt da und ich sollte keinen Grund mehr haben dich zu nerven, aber ich hab, glaub ich, Riesenmist gebaut und weiß wirklich nicht, was ich jetzt machen soll. Bitte hilf mir. Amen.'
 

Mello atmete tief auf.
 

„Ok. Near...“

Er zog seine Handschuhe aus und kniete sich vor ihn hin, um ihn bei den Oberarmen zu nehmen.

Mello konnte sie mit einer Hand komplett umschließen, wie unterernährt WAR dieser Idiot eigentlich?
 

„Near, aufstehen. Los. Lieg nicht hier rum und lass dich in Pisse einweichen. Wenn ich gewusst hätte, dass du nicht stubenrein bist, hätte ichs mir nochmal überlegt. Ich verzichte mal darauf deine Nase reinzustecken, zieh einfach dein Zeug aus und stell dich unter die Dusche, ich wisch das da weg, ok?“
 

Near stieß nur ein wimmerndes Geräusch aus und verfiel sofort wieder in sein Schluchzen, ohne sich von der Stelle zu rühren.
 

„Hey! Verdammt, Near, stell dich nicht so an. Steh schon auf!“
 

Mello seufzte frustriert, nahm einen Arm unter Nears Schultern und den anderen unter seine Knie und hob ihn hoch.

Er wimmerte noch einmal, diesmal höher und lauter und krallte sich mit eisenhartem Griff an Mellos Jacke.
 

Das Bad sah genauso schlimm aus wie der Rest der Wohnung.

Zum ersten Mal wurden Mello der Schmutz und Kalk und Schimmel in den Ecken bewusst.

Near war bestimmt gegen das Alles allergisch.

Jetzt nicht zu ändern.
 

Er setzte ihn vorsichtig auf dem Klodeckel ab und begann sein Oberteil aufzuknöpfen.

„Das Zeug ist sowieso hässlich wie die Nacht. Du siehst damit aus wie Caspar. Ich schmeiß es weg.“
 

„NEIN!“
 

Near packte das weiße Hemd, mit Panik in den Augen.
 

„Na dann eben nicht, ganz ruhig. Aufstehen.“
 

Er gestikulierte auf die Hose.

Near versuchte sich langsam auf die Füße zu stellen und fiel sofort gegen Mello.
 

„Woah, ok, halt dich einfach an mir fest.“
 

Mello schälte ihn aus seiner feuchten Hose und Unterhose und befreite ihn dann von seinen schmutzigen Socken.
 

Near schien noch winziger nackt. So dünn und weiß, als ob ein plötzlicher Windstoß ihn wie Nebel verschwinden lassen könnte.

Mello warf einen verstohlenen Blick zwischen seine Beine.

Kleine, spärliche weiße Locken und ein kleiner, blassrosa Penis.
 

Near...
 

Mello setzte ihn behutsam in die Dusche.

Mit dem Duschkopf in der Hand ließ er lauwarmes Wasser über seinen blassen Körper laufen, tippte ihn leicht unters Kinn, damit er seinen Kopf hochnahm und das Wasser über seine Haare rinnen konnte.

Seine Augen waren verheult und ihm lief die Nase.
 

Mello wollte ihn wie noch nie zuvor in seinem Leben.

Er wollte ihn mit seinem Körper bedecken und einschließen und niemals wieder zulassen dass er irgendetwas oder irgendjemand sah außer Mello.

Und niemand sollte Near sehen, niemand sollte auch nur den Hauch einer Chance haben, dass zu erkennen, was Mello sah.
 

Er erinnerte sich an die Geschichte von einem schwerreichen Milliardär, der einen Van Gogh aus einem Museum hatte stehlen lassen, nur um ihn im Keller seines Hauses aufzuhängen, in den nur er kam, um ihn still zu betrachten, fern von allen neugierigen Augen.

Mello konnte das verdammt gut nachvollziehen.
 

Mit seifigen Fingern fuhr er über jeden Teil von Near, er ließ nichts unberührt, sei es die schmalen Zwischenräume seiner Zehen oder sein tiefsitzender Bauchnabel.

Ein Finger wanderte das Steißbein nach unten, bis zu dem kleinen, fest verschlossenen Eingang.

Near zuckte leicht und wimmerte wieder. Mello strich noch einmal, zweimal sanft darüber bevor er seine Hand wegnahm.

Nicht übertreiben.
 

Er rieb Nears Penis und umfasste mit der anderen Hand mühelos seine kleinen Hoden.

Dieses Mal wimmerte er lauter, und seine Genitalien begannen ganz leicht anzuschwellen.
 

„Einen Sexualtrieb hast du also. Das seh ich mir später noch genauer an. Jetzt abduschen.“
 

Mellos Stimme klang ihm selbst fremd, tief und rau.

Das Wasser stellte er jetzt etwas wärmer, Near hatte wieder mit dem Zittern begonnen.
 

„Ok, Handtuch... Handtuch...“
 

Saubere Handtücher waren Mangelware, aber er schaffte es zumindest ein halbwegs Anständiges zu finden und rubbelte Near sorgfältig ab.
 

Er ließ ihn im Handtuch eingewickelt sitzen und verschwand in das Zimmer (das einzige Zimmer, wenn man von Küche und Bad absieht) und kramte einen weichen, schwarzen Pullover aus dem Wandschrank, und eine blaue Hose von Matt die nach einem Waschversuch eingeschrumpft war.
 

Er dachte kurz an Unterwäsche, aber er konnte keine Saubere von sich finden (er trug auch so gut wie nie welche), und ihm Matts Zeug zu geben war... irgendwie nicht richtig.

Dann lieber gar nichts.
 

Er fand noch dicke, schwarze Socken und machte sich mit seiner Beute zurück ins Badezimmer.

Near saß immer noch unbewegt da und ließ sich widerstandslos anziehen.
 

Als Mello gerade dabei war, einen zierlichen Fuß in schwarze Wolle zu verpacken, hob Near langsam den Arm und drehte sich in vertrauter Geste seine Haare um den Finger.
 

„Warum tut Mello-kun das?“

Er klang verwundert und misstrauisch.
 

„Heute Abend läuft nichts Anständiges im Fernsehen.“
 

„Ich verstehe Mello-kun nicht.“
 

„Und ich verstehe Near nicht. Und jetzt komm, ich werde nicht die Nacht auf den Badefliesen verbringen.“
 

„Ich kann nicht. Die Natur ist gegen mich.“
 

„Die Natur kann mich mal kreuzweise. Hoch mit dir.“
 

Mello nahm ihn wieder auf den Arm und trug ihn ins Zimmer. Er ließ Near auf das alte Sofa fallen und warf eine Decke über ihn drüber.
 

„Wenn du wieder halbwegs bei Verstand bist, reden wir weiter.“
 

„...Habt ihr vielleicht Schmerzmittel im Haus?“
 

Zwei Ibuprofen später döste ein leicht lächelnder Near auf dem Sofa ein.
 

Mello wischte die Pfütze im Flur weg. Dann ging er ins Bad und blickte nachdenklich auf den kleinen Haufen Wäsche.
 

Das Zeug würde Near nie wieder anziehen, beschloss er.

In Zukunft würde er das tragen, das er von Mello kriegt. Schwarz stand ihm sowieso besser.
 

Aber wenigstens waschen sollte er es vielleicht, wenn Near so einen Aufstand deswegen machte.

Als er das Oberteil hochhob fühlte er etwas in der Brusttasche.

Verwundert zog er ein Stück Papier heraus.

Ein Photo.
 

Ein Photo von Mello, abgegriffen und alt.
 

„Oh...“

Versagt

Wenn man den Namen Quillish Wammy recherchieren würde, würde man auf den letzten Nachkommen der Wammy Familie stoßen.

Geboren 1901, verheirateter Wissenschaftler und hochintelligenter Erfinder, verschroben und von den Menschen gemieden, Besitzer von dem großen Landbesitz 'Wammys Haus' und glühender Nazianhänger.

Er wurde 1945 für seine Kriegsverbrechen hingerichtet, seine Frau Elisabeth wanderte nach Amerika aus, wo sie einige Jahre später in einem Zugunglück ums Leben kam.
 

Was niemand wusste, war, dass er einen Sohn mit selben Namen hatte, geboren während dem Beginn des 2. Weltkriegs.

Nach dem Sieg über die Nazis beschlossen der Dorfpfarrer und die Hebamme, dass das Kind nicht für die Sünden seiner Eltern leiden sollte.

Und so ging die Existenz von Quillish Wammy II in den Wirren der Nachkriegszeit verloren und Theodore Jones wuchs als einer von unzähligen Waisen auf, ein weißes Blatt Papier.
 

Es war erst Jahre später, dass er von dem alten Pfarrer von seiner wahren Familie erfuhr, als längst alle Angehörigen gestorben oder unauffindbar waren, und der Landbesitz verfallen und verwildert.

Er hatte das letzte Stück seiner Vergangenheit nach langer Überlegung gekauft.
 

Niemand wusste, dass das Haus wieder den Weg zurück zu dem letzten Wammy gefunden hatte, er erzählte keinem etwas davon, unwillig eine große Affäre heraufzubeschwören.

Nachdem er es renoviert hatte, ließ er es Jahre leer stehen, unsicher was er mit diesem großen Haus anfangen sollte.
 

Theodore Jones war nicht hochbegabt, aber fleißig und vielseitig. Er leitete im britischen Geheimdienst Außeneinsätze, entwickelte neue Arzneien im Labor und erhielt einen Professor und zwei Doktoren.
 

Alles änderte sich jedoch, als er sein ehemaliges Waisenhaus besuchte.

Als der Erfolg und damit das Geld in Theodors Leben zugenommen hatten, hatte er große Summen in die Renovierung und den Ausbau des Heims gesteckt.

Der Leiter war ein langjähriger Freund und Theodore hatte sich nach langer Zeit überwunden, seiner Kindheit noch einmal ins Auge zu sehen.
 

Als er die wage vertrauten Gänge entlanglief, hörte er eine Kinderstimme hinter sich.

„Du bist Watari.“
 

Er drehte sich verwirrt um.

Hinter ihm stand ein kleiner Junge, höchstens sieben Jahre, mit großen dunklen Augen und einem wirren Mob schwarzer Haare und stierte ihn durchdringend an.
 

„Wie bitte?“

fragte er erstaunt.
 

Der Kleine legte seinen Daumen an die Lippen und stupste ihn kurz mit der Zunge an, ohne ihn in den Mund zu nehmen.
 

„Und du und Bennett-san sind seit langem Freunde, möglich ist auch Verwandtschaft. Er hat eine starke emotionale Bindung zu dir. Er freut sich sehr auf deinen Besuch.“

murmelte er tonlos und blickte vor sich auf den Boden.
 

„Es wäre doch möglich, dass ich hier bin um ein Kind zu adoptieren.“

Theodors Neugier war geweckt, er ging vor dem Jungen in die Hocke.
 

„Unwahrscheinlich. 92 Prozent der Adoptionskandidaten treten in Paaren auf. Wenn Einzelpersonen auftreten, sind es ältere Menschen, die Alleinstehend sind und Zeit haben sich um ein Kind zu kümmern. Außerdem war das Einzige, dass heute im Terminkalender von Bennett-san stand, 'Besuch von Watari'.“
 

„Woher weißt du, was in seinem Kalender steht?“
 

Der Junge trat etwas verlegen von einem Bein auf das Andere.

„Du darfst das niemand verraten. Schwöre.“
 

„Ich schwöre.“

Theodore war fasziniert.
 

„Vor vier Tagen war ich im Büro weil ich die Aufsätze abgegeben habe, und als Bennett-san sie in den Schrank räumte lag da der Kalender da, und ich hab ihn kurz angeguckt.

Am Donnerstag stand da 'Besuch von Watari', dreifach unterstrichen und mit eindeutig schwungvollerer Hand geschrieben als andere Termine. Daraus schließe ich, dass er positive Gefühle für dieses Treffen hegt.“
 

Er blickte den Jungen sprachlos an.

„Das... Wie heißt du?“
 

„L.“
 

„L? Nur L?“
 

„Ja.“

sagte er trotzig und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Hab ich Recht? Ich hab doch Recht, oder?“
 

„Ja, du hast Recht, L.“

Theodore schmunzelte.

„Das war wirklich ganz erstaunlich.“
 

„Ich weiß. Später werde ich Detektiv.“
 

„Ich heiße aber nicht wirklich Watari. Das ist ein alter Spitzname von Bennett-san für mich.

Ich bin Theodore Jones. Lebst du schon lange hier?“
 

„Drei Wochen und fünf Tage. Es ist langweilig. Alle Kinder sind dumm. Die Bücher sind dumm. Die Lehrer sind dumm. Und niemand mag mich.“
 

„Nun, dass ist kein Wunder, wenn du ihnen sagst dass du sie dumm findest. Niemand wird gerne dumm genannt.“
 

„Aber es stimmt doch!“
 

„Nur weil etwas stimmt, sollte man es nicht laut sagen. Manchmal ist es besser, Wahrheiten für sich zu behalten.“
 

L schmollte.

„Das mach ich auch. Ich sag niemand wie ich wirklich heiße. Ich hab ihnen gesagt dass sie mich L nennen sollen, aber sie haben mir einen richtig dummen Namen gegeben. Ich will nicht Eric heißen.“
 

„Warum sagst du dann den Leuten nicht deinen wahren Namen?“
 

„Weil sie dann Macht über meine Seele haben. Wenn sie meinen Namen wissen können sie mich verhexen. Deswegen darf ich ihn nie niemals sagen. Nichtmal wenn ich ganz alleine bin.“
 

„Wer hat dir denn das erzählt?“
 

„So was weiß man doch!“
 

L, oder wie er im Grundbuch eingetragen war, Eric Dickson, war, wie er später erfuhr, als Straßenkind aufgenommen worden. Niemand wusste woher er kam, und er weigerte sich trotzig Antworten dazu zu geben. Er war stark unterfordert und fühlte sich unwohl zwischen den anderen Kindern.

Wenn Theodore ihn ansah, sah er vor allem Einsamkeit. Einsamkeit und ein riesiges ungenutztes Potential.
 

Und er musste an seinen Vater denken, verbittert und isoliert aufgewachsen in einer Welt, die er nicht verstand, der später seine Fähigkeiten für die Naziideologie einsetzte.

Dieser Junge könnte auch so leicht in die schiefe Bahn geraten. Oder sich langsam im Trott des Lebens verlieren und seine Intelligenz vertrocknen lassen, von Fernsehen, Drogen und seichten Mitmenschen.
 

Es dauerte keine zwei Wochen bis er einen Adoptionsantrag stellte.

Und damit fasste er einen Entschluss. Er würde das Haus seines Vaters dazu nutzen, solchen Kindern ein Zuhause und eine Perspektive zu geben. Ihnen zu zeigen wie man in dieser Welt überleben kann und ihnen eine Arbeit geben die sie erfüllt und einen Nutzen für die Gesellschaft bringt.
 

L war das Juwel seiner Sammlung. Er saugte Wissen auf wie ein Schwamm, vergraben in einem Bücherberg verbrachte er die Jahre lesend und lesend.

Er fand schnell heraus, dass der Name 'Theodore Jones' falsch war, fragte aber nicht weiter nach.

Beide behielten ihre Geheimnisse für sich.

Und er wurde zu Watari, ein unauffälliger Begleiter für sein Wunderkind.

L wurde ein Detektiv, so wie er es immer gewollt hatte. Er wurde der größte Detektiv der Welt.
 

Aber alles war schiefgelaufen. Zuerst mit A, dann mit B, dann Mello und Matt und jetzt... Jetzt schien auch L seine Grenze erreicht zu haben.

Am Ende hatte er nur tickende Zeitbomben erschaffen.
 

Er hatte das Gesicht in den Händen vergraben.

Near war jetzt sechzehn Jahre alt, er hatte ihn nur ein paarmal gesehen, er wirkte kühl und rational, genau das, was jetzt gebraucht wurde.

Watari hatte ihn angerufen und ihn gebeten sich den Kira-Fall anzusehen.

Der letzte Fall.

Sobald er abgeschlossen sein wird, würde er Wammys Haus auflösen, alle Tochterzellen schließen.

Das Experiment war gescheitert.
 

Als er zu L ins Zimmer kam, rauschte die Dusche immer noch leise vor sich hin.
 

„L?“
 

Keine Antwort. Er klopfte an die Badezimmertür.
 

„Ist alles in Ordnung?“
 

Er schob langsam die Tür auf.

L, sein wunderbares Kind, sein ganzer Stolz, kauerte nackt mit dem Kopf über der Toilette und würgte trocken.
 

Wataris Herz zerbrach.

Hartnäckig

Der nächste Tag begann für Light mit einer guten und einer schlechten Nachricht.

Die gute Nachricht war, dass das gestrige Desaster plötzlich stark an Wichtigkeit abgenommen hatte.

Die schlechte Nachricht war, dass es jetzt einen zweiten Kira gab.
 

Das Fernsehen sendete den ganzen Morgen schon nichts anderes, jeder redete von diesem Jinx.

Als er nach unten kam, war Sayu schon in der Schule und seine Mutter klapperte in der Küche.

Sein Vater saß am Essenstisch, das Frühstück vor ihm unberührt.

Tiefe Sorgenfalten zerfurchten seine Stirn. Light schien es, als ob über Nacht die grauen Haare auf seinem Kopf sprunghaft zugenommen hatten.
 

„Guten Morgen, Vater.“
 

Er seufzte müde und sah mit schweren Augen auf.

„Guten Morgen, Light...“

Sie saßen sich schweigsam gegenüber.
 

Light musste wieder in die Ermittlungen aufgenommen werden. Jetzt ging es nicht mehr nur um L und um ihn selbst. Es ging auch noch um diesen Jinx, der völlig außer Kontrolle war und Kiras Namen in den Schmutz zog.

Und das Team brauchte ihn, sein Vater und Watari mussten das doch einsehen.

Und L... brauchte ihn.
 

Er hatte L gesagt, dass er heute wiederkommen würde und er würde sein Wort halten.

Etwas anderes kam gar nicht in Frage.

Sollte er ihn etwa in seinem Hotelzimmer eingehen lassen, zwischen all diesen stumpfsinnigen Menschen und Watari, seinem Gefängniswärter?
 

„Vater, mir ist klar dass das gerade kein sehr guter Zeitpunkt ist, aber...

Niemand hätte das kommen sehen können.

Ihr braucht jede Hilfe die ihr kriegen könnt. Ich kann diesen Fall weiter vorantreiben.

Was auch immer sonst vorgefallen ist, Ryuzaki und ich sind die fähigsten Ermittler im Team, und dass weißt du auch.

Ich MUSS wieder zurück ins Hauptquartier.

Nichts ist wichtiger als diesen Alptraum endlich zu beenden. Bitte.“
 

Light setzte sein bestes 'besorgtes Pflichtbewusstsein'- Gesicht auf.

Er hoffte inbrünstig dass dieser verdammte Jinx wenigstens dafür gut wäre, ihn wieder in die Ermittlungen zu bringen.

Die ganze Sache war schon kompliziert genug.

Wenn Death Notes und Shinigami plötzlich bekannt werden würden, würde das den ganzen Fall umwerfen und er hätte gewaltige Probleme.
 

„Ich werde mit Watari darüber sprechen. Heute gehst du in die Uni.“

Er rieb sich angespannt die Schläfen.
 

„Wie soll ich zur Universität gehen, wenn ich bei euch helfen kann, Leben zu retten?

Das kannst du doch nicht von mir verlangen!“
 

'Ganz ruhig. Ganz ruhig, Light. Versau das jetzt nicht.'
 

„Ich werde mich heute im Laufe des Tages bei dir melden. Und jetzt geh!“
 

Light schlürfte unmotiviert aus dem Haus. Ryuk tauchte neben ihm auf, offenbar hatte er wieder gute Laune.

'Hey Light! Weißt du was? Es gibt jetzt einen zweiten...'
 

„...Kira! Ich weiß! Irgendeine Ahnung wer von deinen Freunden da die Finger im Spiel hat?“
 

'Nee, hab mit den anderen Shinigami nie so viel zu tun gehabt.'
 

„Klasse... Du bist ja auch zu nichts zu gebrauchen...“
 

'Bist du immer so unausstehlich wenn du gefickt wurdest?'
 

„Ich bin unausstehlich, weil ich jetzt nicht im Hauptquartier sein kann! Ausgerechnet jetzt!“
 

'Tja, ein Jammer. Wo es doch jetzt so richtig spannend wird.'
 

Light dachte daran, dass er noch den ganzen Tag abwarten musste.

Schleichende, quälende Stunden in stickigen Hörsälen, mit einem plappernden, nervigen Ryuk im Schlepptau.

Es war doch zum Kotzen.

Er machte ruckartig kehrt und holte sein Handy hervor.
 

'Ähm, Light? Was wird das?'
 

„Ich rufe L an.“
 

'Ich dachte, man soll nicht gleich am nächsten Tag anrufen, sonst wirkt man zu verzweifelt.'
 

„Ja, hallo?“

meldete sich L leise.
 

„Bring mich wieder ins Team!“
 

„Das kann ich nicht.“

Der Detektiv klang so unglücklich.

Light konnte Wataris Stimme im Hintergrund hören und wünschte sich sehnlichst ihn in sein Death Note eintragen zu können. Verfluchter alter Scheißkerl!
 

„Doch. Das kannst du. Du leitest diese Ermittlung, nicht Watari. Du brauchst mich! Ich bin schon auf dem Weg zu dir, und wenn ich ankomme, will ich dass du die Tür aufmachst.

Weil du es auch willst. Und weil wir diesen Jinx kriegen müssen.“
 

„Und Kira.“

murmelte L.
 

Light verdrehte die Augen.

„Ja, und Kira.

Hör zu, selbst wenn es nur wir zwei wären, würden wir sehr viel weiter kommen als du und die gesamte Polizei von Japan. Wenn du diesen Fall lösen willst, wirst du Himmel und Hölle in Bewegung setzten um mich wieder im Team zu haben. Ich bin gleich da.“

„Kira...“
 

„Ja? Was ist mit Kira?“
 

„Kira ist bestimmt jetzt auch ziemlich wütend.“
 

„Gut möglich. Jinx und er passen nicht unbedingt vom Stil zusammen.“
 

„Wenn sie sich treffen würden... könnte es allerdings sein dass sie sich zusammentun und zu einer wahrhaft gefährlichen Bedrohung werden.“

L klang beinahe wehmütig.

„Ich werde dich nicht in die Ermittlungen einbeziehen. Geh zur Universität. Ich werde jetzt auflegen.“
 

Light blieb schwer atmend stehen.
 

„Oh, Fuck! L... L, hör mir zu, ok? Hör mir zu...“
 

Warum lief nur alles schief? Light hatte nie Probleme gehabt, zu Schauspielern und zu Manipulieren. Und jetzt hatte er sich in einen nutzlos stammelnden Idioten verwandelt, der von einer Katastrophe in die nächste stolperte.
 

'Oh man, das ist ja erbärmlich. Der Junge muss echt verzweifelt gewesen sein um deinem Charme zu erliegen.'

Ryuk schwebte vor ihm auf und ab, sein Grinsen war noch gehässiger als sonst.
 

„Ryuzaki?“

hörte Light von der anderen Seite im Hintergrund.

Watari.
 

„Ryuzaki, Sie sollten jetzt auflegen. Die Analyse der Videobänder ist eingetroffen.“

Light starrte wütend auf einen Stein am Wegrand.

Er stellte sich vor, mit ihm Wataris Schädel einzuschlagen, wieder und wieder, bis sein Kopf nur noch Brei war.
 

Light redete nie ohne Nachzudenken.

Aber jetzt sprudelten Worte ungefiltert aus ihm heraus, stolpernd und sich überschlagend.
 

„L, ich kann dich nicht alleine lassen! Dieser Fall ist noch viel gefährlicher geworden, ich werde nicht dulden dass dir etwas passiert!

Ich hab dich gerade erst gefunden! Und niemand wird dich mir wegnehmen! Hast du das Verstanden?!“
 

Entsetzt hielt Light die Luft an bevor ihm noch mehr herausrutschen konnte.

Wie dass er bereit war jeden zu Töten der ihm dabei im Weg stand.

Oder dass er so eine überwältigende Begierde hatte mit L zu Schlafen, dass er an nichts anderes mehr denken konnte.
 

Light hörte das schwere Atmen von der anderen Seite, dann das Rascheln von Stoff und das Telefon bewegte sich schnell durch den Raum ('Ryuzaki, wo gehen Sie hin?' Die Stimme klang nach Matsuda), mehrere Türen schlugen, es wurde still im Hintergrund, ein Schlüssel wurde umgedreht.
 

„Ich bin kein guter Mensch, Light. Darüber bin ich mir im Klaren.

Vielleicht hast du Recht mit... dem was du mir gesagt hast. Ich kann mich wieder erinnern.

Im Waschraum.

Du hast gemeint dass ich Kira beneide. Dass ich unzufrieden mit meinem Leben bin.

Und du hast Recht, ich will dich hier haben, obwohl ich weiß dass es auf jede nur erdenkliche Art falsch wäre.

Aber ich weiß wohin das führt. Es wird uns beide zerstören, ich kann das nicht noch einmal ertragen.“
 

„B.“

Light zitterte leicht. Noch ein Kandidat für die Todesliste.
 

„Ich bin der Detektiv L. Und du bist mein Verdächtiger. Alles war darüber hinausgeht, was... intimer geht wird alles nur Chaotisch und Hässlich enden lassen. Um unser beider Willen müssen wir Abstand halten. Bitte versteh das.“
 

L klang resigniert.

Light wollte irgendetwas zerstören um dieses üble, zerfressende Gefühl im Brustkorb loszuwerden.
 

„Und jetzt was?“

fauchte er zurück.

„Leben wir jetzt beide weiter vor uns hin und tun als ob die letzten zwei Tage nie passiert wären? Willst du das?“
 

„Nein. Aber es ist das einzig Richtige.“
 

„Und kannst du das?“
 

Stille.
 

„Ich hoffe es.“

flüsterte L.
 

Light hörte heftiges Klopfen und schließlich die gedämpfte, drängende Stimme von Watari.

„L. Mach die Tür auf. Sofort.“
 

Und der Detektiv legte auf.

Light fühlte sich als ob er einen Tritt in den Magen bekommen hätte.

Die Welt um ihn wurde unscharf.
 

'Eh, sag mal heulst du? Was ist los, habt ihr Schlussgemacht?'
 

Light drehte sich wortlos um und ging mit geballten Fäusten zurück in Richtung Universität.

Es war noch lange nicht vorbei!

Fall abgeschlossen

Seit den frühen Morgenstunden saß L vor dem Computer, schaufelte Süßigkeiten in sich hinein und vergrub sich mit wachsender manischer Verzweiflung in den Jinx-Fall.
 

Watari hatte ihn ins Bett gebracht und war die ganze Nacht stumm neben ihm gesessen, während Ls Gedanken kreisten und kreisten, bis der Anruf mit den Neuigkeiten aus New York kam.

Fälle waren normalerweise eine gute Ablenkung für L, aber jetzt schien es völlig sinnlos.

Ständig schoss ihm durch den Kopf, was Light wohl zu diesem oder jenem Punkt sagen würde, wie er auf diesen zweiten Kira und seine Vorgehensweisen reagieren würde, wie gut er seine Fassade aufrechterhalten könnte angesichts des neuen Mitspielers und... der Ereignisse... zwischen L und ihm...
 

Light, warum hatte er das nur getan? Warum hatte er nur zugelassen das L das tat?

War das ein Spiel für ihn? Ein ausgefeilter, manipulativer Machtkampf?

Wusste er was er in L damit angerichtet hatte?
 

Natürlich wusste er es. Natürlich war das alles nur Theater gewesen, wenn auch das überzeugendste das Light bisher geliefert hatte.

Was sollte es denn sonst sein?
 

Sein Blick fiel auf einen schmalen Wandspiegel.

Ein zusammengekauertes, krummes Ding mit struppigen Haaren und Schokolade um den Mund verschmiert.

Was sollte jemand wie Light nur von ihm wollen?

Jemand der eine so überirdische, magnetische Schönheit besaß?

Wieso sollte dieser perfekte, brilliante Mensch sich von ihm angezogen fühlen?
 

L war klug, gebildet, ja, aber bei allem anderen war er extrem ungeschickt und unwissend, um nicht zu sagen abstoßend.

Wenn es Light also nur um Kontrolle seines Gegners ging, und jetzt Jinx aufgetaucht war... würde er versuchen L so schnell wie möglich loszuwerden um den sehr viel ernst zu nehmenden und nützlicheren zweiten Kira für sich zu gewinnen.

Zwei Kiras gemeinsam... wenn es dazu kommen würde, war L so gut wie tot.
 

Wenn Light sich doch nur nicht so ehrlich, so heftig anhören würde...

Dass er auch noch beschlossen hatte ihn anzurufen und zu verlangen wieder einsteigen zu dürfen, machte die ganze Sache auch nicht leichter.

L versuchte ruhig und logisch zu bleiben, sachlich zu argumentieren mit all den Sätzen, die er sich die Nacht lang wieder und wieder gesagt hatte.

Selbst wenn man annehmen würde dass Light... Emotionen ihm gegenüber hatte

Etwas wie BB durfte sich nie wiederholen.

Er war der Ältere, Erfahrenere. Er musste die Verantwortung übernehmen.
 

„Mach bitte die Tür auf.“

hörte er Watari nochmal von der anderen Seite der Badtür.

L blickte dumpf auf sein Handy, ließ es zu Boden fallen und zertrat es mit aller Kraft mit seiner Ferse.
 

'Leb wohl, Light...'
 

Mit einem letzten Blick auf das, was der verführerische Draht zu Light gewesen war, schloss er die Tür auf.
 

„L, was... was ist mit dem Handy passiert?“
 

L humpelte leicht aus dem Bad, diese Handys waren doch um einiges stabiler als er gedacht hatte.
 

„Ich habe mich an moderner Kunst versucht.

Soweit ich es beurteilen kann, ist es kein schlechter erster Versuch.

Fahren wir fort? War nicht gerade die Rede von einer Analyse?“
 

Seufzend folgte Watari ihm zurück in das Wohnzimmer.
 

Stunden verstrichen quälend langsam. L fühlte sich als würde er durch Treibsand waten, immer schwerer wurde jeder Schritt und immer tiefer sank er in eine lähmende Tiefe.

Sein Magen rebellierte gegen die Flut an Zucker, den er jetzt schon direkt aus der Dose löffelte.

Die Energie und Konzentration blieben trotzdem aus.
 

Wataris Handy klingelte leise.

„Ja, bitte.“

L blickte auf, hoffte inständig auf neue Informationen, irgendetwas das seinen Gedanken einen neuen Anstoß geben könnte.
 

Watari verstummte und sein Gesicht erstarrte.

Die Person am anderen Ende redete und redete, es schien kein Ende zu nehmen.
 

„Was ist passiert?“

fragte L.
 

Watari gab ihm keine Antwort. Stattdessen redete er drängend ins Telefon.

„Aber können wir uns sicher sein, dass es wirklich Mello war?... Ja, ja, ich verstehe aber...“
 

Mello...

L hatte vage Erinnerungen an einen Mello, ein slowenischer Junge mit blonden Haaren und einem recht, nun ja, ungestümen Temperament. Außerdem war er einer der besten Schüler seiner Generation, nur übertroffen von...
 

„Das ergibt doch alles keinen Sinn! Warum sollte Near das tun?...“
 

„Watari, was ist passiert!?“
 

Die anwesenden Polizisten fingen an sich umzudrehen, L bemerkte es kaum.

Irgendetwas Schlimmes war passiert, mit seinen Nachfolgern, seinen Schülern, schon wieder...
 

„Ich rufe zurück, Roger. Ja, alles ist in Ordnung, sein Handy ist nur defekt.“
 

Watari legte auf, seine Hände zitterten.

L war aufgesprungen und nahm Sie zwischen seine Schmaleren, dachte an A und B und an die ganzen Jahre Arbeit und all die furchtbaren Dinge die sie nicht verhindern konnten.

Wie konnte er nur daran denken Watari und die Wammy-Kinder zu verlassen?

Er war für sie verantwortlich. Sie brauchten ihn.
 

„Watari...“

flüsterte er.
 

„Mello ist in Nears Büro eingebrochen, hat einen seiner Assistenten erschossen, große Teile der Elektronik zerstört und ihn mitgenommen. Der andere Angestellte, Commander Rester, hat überlebt. Aber wir wissen nicht...

Es ist Rester ein Rätsel warum Near Mello zu sich gelassen hat, warum er Hilfe von ihm wollte...“
 

„Warum? Es ist zwar nicht üblich dass sich die Kinder aushelfen, aber Rester konnte... Wobei wollte Near Hilfe? Soweit ich mich erinnern kann waren sowohl Mello als auch Near nicht sehr teamfähig. Besonders in Kombination.“
 

„Das...“

Watari stockte.
 

Es fühlte sich an als würden Ls Eingeweide langsam zufrieren.

Hier stimmte etwas nicht.
 

„Was ist passiert?“

Er verstärkte den Griff um Wataris Hände.

„Sag mir sofort was hier los ist, oder ich werde Roger anrufen und es selbst herausfinden.“
 

Watari warf einen Blick auf ihr verstörtes Publikum.

„Sollten wir das vielleicht woanders...?“
 

„NEIN! Ich will es jetzt gleich hören! Was verschweigst du mir?“
 

Einen Moment blitzte in Wataris Augen 'Theodore Jones' auf, Geheimagent und professioneller Scharfschütze ihrer Majestät.

Dann war er wieder verschwunden und vor L stand nur ein alter, erschöpfter Mann.
 

„Mello hat damals das Haus gemeinsam mit seinem Freund Matt verlassen. Er hat jede Art von Hilfe abgelehnt und ist untergetaucht. Gerüchten zufolge hat er sich für eine kriminelle Laufbahn entschieden. Aber die Beweise waren nicht stichhaltig genug und alles befand sich noch im tolerierbaren Rahmen, deswegen wurde eine aufwendige Aktion noch aufgeschoben...“
 

„Tolerierbarer Rahmen? Was ist das heutzutage?

Dass er keine brutalen, willkürlichen Morde begeht um mir kleine Nachrichten zu hinterlassen? Dass man Mello nicht auf uns zurückverfolgen kann?“

L trat angewidert zurück.
 

„Warum wusste ich nichts davon!? Warum hat mir niemand auch nur ein Wort davon gesagt!?“
 

„Nach dem letzten Vorfall...“

Warf Watari verzweifelt ein.
 

„Und so hast du beschlossen mich im Dunkel zu lassen!

Gibt es noch irgendetwas dass ich wissen sollte? STEHT Wammys Haus überhaupt noch?“
 

Watari sah ihn mit trüben Augen an.

„Ich hatte Near beauftragt, den Kira-Fall zu studieren, um ihn eventuell zu übernehmen.

Und daraufhin hat er Mello, ein bekannter Verbrecher in New York, der anscheinend schon längere Zeit aus unbekannten Gründen damit beschäftigt war, Nears Standort herauszufinden, zu sich eingeladen. Er musste doch gewusst haben wie das enden würde. Ich verstehe nicht...“
 

„Du hast Near meinen Fall gegeben?“

L konnte es nicht glauben. Es war zu surreal.
 

„Du weißt doch so gut wie ich dass du nicht mehr fähig bist diesen Fall weiterzuleiten. Persönliche, emotionale Bindungen zerstören jeden Versuch von Objektivität.“
 

„Du hast mir meinen Fall weggenommen, ohne mir etwas davon zu sagen!

Hattest du vor mich irgendwann einzuweihen?“

Near sollte den Fall bekommen, sollte all seine Daten bekommen, sollte LIGHT bekommen?

Watari hatte das einfach entschieden.

Und L hatte nicht einmal die Chance bekommen, zu protestieren.
 

„Und jetzt hat Mello Near entführt? Wieso?“
 

„Das wissen wir nicht...“
 

„Und wie sieht der weitere Plan aus?“
 

„Wir werden den Nächsten in der Reihe beauftragen müssen, soweit ich mich erinnern kann dürfte es ein Mädchen namens Linda sein...“
 

„Ihr wollt einfach den Nächsten nehmen? Einen nach dem Anderen, wie vom Laufband?

Ist es das, was wir jetzt tun?“
 

„Mello ist hochintelligent, seine Ergreifung würde Mittel benötigen, die wir jetzt nicht entbehren können. Diesen Fall zu lösen ist um ein vielfaches Wichtiger, allein die Anzahl der Menschen die mit jedem Tag, den wir den Mörder nicht stellen, sterben...“
 

„Stop. Hör auf.“

flüsterte L.
 

Er drehte sich zu den Polizisten um, erwartungsvolle, verwirrte Blicke.

„Meine Herren, ich danke ihnen für ihre wertvolle Arbeit.

Hiermit ist das Team aufgelöst. Sie können wieder in das Polizeipräsidium zurückkehren.“
 

„Was...?“
 

„Ah...Aber...“
 

„Die Bearbeitung des Falls ist von meiner Seite her abgeschlossen. Ich wünsche einen Guten Tag.“
 

Mit viel Gemurmel und fragende Blicke an Watari leerte sich das Zimmer.
 

„Das gilt auch für dich.“

L warf Watari einen eisigen Blick zu.
 

Der Mann nickte nur kurz und drehte sich an der Tür noch einmal um.

„L. Ich meine, was ich dir gesagt habe. Ich werde dich nie verlassen. Alles was ich getan habe, war aus Sorge und Zuneigung zu dir. Vergiss das bitte nicht. Wir werden später weiter reden.“
 

„Geh einfach.“

L konnte es nicht mehr ertragen, ihn anzusehen.
 

Außerdem hatte er jetzt Wichtigeres zu tun.

Überraschung

Light war alles andere als gut gelaunt, als er nach Hause kam.
 

Es war ohne Übertreibung der schlimmste Tag seines Lebens gewesen, einschließlich des traumatischen Erlebnisses, als er sich mit Sieben von Sayu hatte überreden lassen, einen ihrer Ballettröcke anzuziehen und sich schminken zu lassen, und sein Vater mittendrin ins Zimmer kam.
 

Verdammt, die Erinnerung half auch nicht dabei, seine Stimmung zu bessern.
 

„Oh, Light, du bist ja schon wieder da! Heute kein langer Arbeitstag mit deinem Vater?“
 

„Nein. Ich gehe in mein Zimmer.“
 

Light rauschte an seiner Mutter vorbei, das ganze Haus roch nach Abendessen, ihm war jetzt schon schlecht.
 

Er schlug die Tür hinter ihm zu und warf sich auf sein Bett.

Die ganze Welt schien es auf ihn abgesehen zu haben.
 

„Light...“
 

Oh, wunderbar, Sayu. Das hatte jetzt noch gefehlt.
 

„Ich bin gerade nicht in Stimmung.“
 

„Ich weiß. Deswegen bin ich ja hier.“
 

Sayu hatte die Tür hinter sich geschlossen und lehnte dagegen.

Sie sah ungewohnt ernst und erwachsen aus.

Plötzlich konnte er sich vorstellen, was für eine Frau sie später werden würde, eine klassische, elegante Schönheit.

Light würde noch mehr auf sie aufpassen müssen, die Männer würden ihr Scharenweise hinterherlaufen.
 

„Light, du hattest richtig Ärger mit Papa, nicht wahr? Wegen der Ermittlung, bei der du mitmachst?

Was ist denn dort passiert?“
 

Er seufzte tief.

„Ich will wirklich nicht mit dir darüber reden. Oder mit irgendjemanden.“
 

„Es geht doch um eine Frau, oder? Eine aus dem Team, deswegen hat dir Papa verboten, wieder hinzugehen.“
 

Light setzte sich erstaunt auf. Sayu war die meiste Zeit ein verträumter Teenager, deren ganze Welt sich um Stars, Musik und Kleidung drehte.

Vielleicht unterschätzte er sie.
 

„So etwas in der Art, ja.“
 

„Oh mein Gott, das heißt ja sie ist ALT!“

quietschte sie.

Vielleicht war es auch nur der Fall von einem blinden Huhn, dass ein Korn gefunden hatte.
 

„Geht es auch ein bisschen leiser?“
 

„Oh, entschuldige... aber im Ernst jetzt? Wie ist sie so?

Ich hab noch nie gesehen, dass du dich so richtig für ein Mädchen interessierst.

Sie ist hübsch, nicht wahr? Wie alt ist sie denn? Sie ist doch nicht etwa verheiratet, oder?“
 

Light öffnete den Mund und klappte ihn dann wieder zu.

War L hübsch?

Hübsch war nicht das passende Wort, es war zu flach, zu harmlos.

Ihm fiel nichts ein, was L ausreichend beschreiben könnte, außer vielleicht unvergleichlich, unwiderstehlich.

Er wusste nicht genau, wie alt er war, er würde auf Zwanzig oder Einundzwanzig tippen, aber L schien seltsam zeitlos.

Der Gedanke, dass er verheiratet sein könnte erschien völlig lächerlich, aber zum ersten Mal dachte er an Familie und Freunde, die er vielleicht hatte, allen voran natürlich Watari...
 

Es klingelte an der Tür.

„Light, Sayu! Geht einer von euch, ich kann das Essen nicht unbeaufsichtigt lassen!“
 

„Ich geh!“

rief Sayu und sprang die Treppe herunter, als ob sie ihr Gespräch schon völlig vergessen hätte.
 

„Hallo...oh...“
 

„Guten Tag. Ich wurde gerne mit Light sprechen. Ist er zuhause?“
 

Light kannte die Stimme, er würde sie überall wiedererkennen.

Langsam ging er die Stufen nach unten.

Dort stand L, vor seiner Haustür, als wäre es das normalste auf der Welt.
 

„Ähm, ich... da ist er ja!“

Sayu klang erleichtert.

„Kennst du den Jungen?“
 

„Ja, das ist Hideki, der Studienfreund, von dem ich schon erzählt habe.“

Light hoffte inständig, dass seine schweißnassen Hände und sein rasender Herzschlag ihm nicht anzumerken waren.
 

„Der, mit dem du in diese Schlägerei mit diesen Typen geraten bist?“

Sie musterte Ls heilende Wunden.
 

„Hallo, Light.“

Ls große schwarze Augen starrten ihn nichtssagend an.
 

„Wer ist es denn, Sayu?“

rief die Mutter aus der Küche.
 

„Ein Freund von Light.“

rief sie zurück.
 

„Wir gehen nach oben!“

verkündete Light. Er musste den Detektiv so schnell es ging hier wegbringen, bevor seine Familie ihre Klauen in ihn schlagen konnte.
 

L begann die Treppe hochzuschlürfen, seine Schnürsenkel wie immer offen.

Wusste dieser Idiot nicht, dass das gefährlich war?
 

Sayu packte Light am Arm, bevor er ihm folgen konnte.

„Ich weiß zwar nicht genau was hier los ist...“

flüsterte sie.

„Aber dieser Hideki ist mir unheimlich. Pass besser auf, ja?“
 

Light befreite sich achtlos von ihrem Griff und ging so ruhig wie nur irgend möglich nach oben.

L stand am Treppenansatz, die Hände in den Hosentaschen.

„Welches ist dein Zimmer?“
 

'Das weißt du doch, du mieser Bastard. Du hattest es schließlich mit Kameras vollgestopft.'

„Gleich hier.“
 

L stand in seinem Zimmer. In SEINEM Zimmer und blickte sich mit trägem Interesse um, als ob er nicht schon jeden Winkel kennen würde.
 

„Was willst du hier?“

Das kam etwas harscher heraus als beabsichtigt.

Er wollte schließlich, dass L hier war, hier blieb.

L passte sehr gut in sein Zimmer.

L würde sich bestimmt auch sehr gut auf seinem Bett machen, ausgestreckt, nackt, lange, knochige Arme und Beine, sein Bauch eingefallen, seine Lippen feucht und rot geküsst...
 

Lights Gedankengang wurde jäh unterbrochen, als er plötzlich in den Lauf einer Pistole blickte.

Oh, scheiße...
 


 

„Also... das ist ungünstig...“

stotterte Light und starrte L geschockt an und, zum ersten Mal heute, fühlte sich L stark und sicher.
 

„Und jetzt? Willst du mich erschießen?“

Light leckte sich nervös die Lippen.
 

Ls Augen wurden wie magnetisch zu der Bewegung hingezogen.

„Ich hab mich noch nicht entschieden.“

meinte er ruhig und bedacht.
 

Innerlich kicherte er wie ein kleiner Junge, es tat so gut endlich wieder die Fäden in der Hand zu haben, wie plump und primitiv auch seine Methode war.

Lights Bernsteinaugen leuchteten hell und groß, ängstlich und voller falscher Unschuld.
 

„Merkwürdige Methoden für eine Ermittlung. Und sehr, sehr illegal.“
 

„Die Ermittlung ist vorbei. Ich bin hier als Privatperson.“

L legte den Kopf nachdenklich schief, die Pistole immer noch direkt auf Light gerichtet.

„Ich könnte jetzt, sofort, alles beenden. Ich könnte Kira vernichten.

Die Nachwelt kann sich um Jinx kümmern, das mit ihm ist nichts... Persönliches...“
 

L ging einen Schritt auf ihn zu, Light stolperte nach hinten.

„L... bitte tu das nicht...“
 

In dem Moment traf L etwas am Kopf. Verwundert sah er neben sich auf den Boden.

Ein schwarzes Heft, mit den großen Buchstaben 'Death Note' auf dem Cover.
 

„Ryuk! Was zum Teufel soll das!?!“

schrie Light.
 

L drehte sich in die Richtung, aus dem es geflogen war.

Er schrie entsetzt auf.

Ein riesiges Monster stand mitten im Zimmer, mit einem irren, furchteinflößenden Grinsen im Gesicht und hervorquellenden, gelben Augen.
 

'Ihr zwei hattet soviel Spaß, da hab ich gedacht, ich misch ein bisschen mit.'

Es lachte düster.

'Hallo L. Mein Name ist Ryuk. Wir sollten unbedingt mal zu dritt Mario Golf spielen, mit Light alleine ist es mit der Zeit öde, er ist furchtbar schlecht darin.'
 

L zielte panisch auf das Monster Ryuk, auf Light, wieder auf Ryuk.
 

„Sh.. Shinigami?“

flüsterte er.
 

'Nein, ich bin Lights gute Fee. Willst du mal meinen Zauberstab sehen?'

Es wackelte anzüglich mit den Augenbrauen.
 

„Ich habs mir anders überlegt.“

stöhnte Light.

„Erschieß mich.“

Geständnisse

Light wusste, dass man diesen Satz niemals denken oder laut aussprechen durfte, es wäre sonst eine direkte Herausforderung an das Schicksal.

Aber als er von L, zu der, auf ihn gerichteten Pistole, zu dem vor Lachen grölenden Ryuk sah, schoss es ihm doch durch den Kopf.
 

'Jetzt kann es wenigstens nicht schlimmer kommen.'
 

Die Tür flog auf und Sayu stürzte herein.

„Light, alles in Ordnung!? Ich hab gehö... AH!“
 

'Das war ja so klar...'

„Hey Sayu... Wir, ähm, wir proben nur.“

Er warf einen verzweifelten Blick zu L.

„Nicht wahr? Hideki und ich sind in dem Theaterkurs an der Uni und... er ist vorbeigekommen, um unsere Szene durchzuspielen. Manchmal geht er ein bisschen zu sehr in seiner Rolle auf...“

Light lachte etwas nervös.

'Sag endlich was, L. Und hör endlich auf, mit dem Ding auf mich zu zielen.'
 

„Oh... also... dann ist er hier schon im Kostüm aufgetaucht?“

Sayu verzog skeptisch das Gesicht.
 

L sah von Ryuk, zu Sayu, zu Light, zu seiner Waffe, und schließlich an sich herunter.

„Kostüm...?“
 

„Ja, genau!“

Schaltete sich Light schnell ein.

„Er verbringt immer davor etwas Zeit, um sich in seinen Charakter einzufinden.

Ist manchmal fast ein wenig unheimlich, wie gut er es spielt, aber das macht einen wahren Künstler aus, oder?“
 

L hatte seine Waffe heruntergenommen und sah Light durchdringend an.

„Ja,“

meinte er tonlos.
 

Sayu kicherte erleichtert.

„Und ich hab schon gedacht, du hättest dich mit einem kompletten Psychopathen befreundet, als Hideki da vor der Tür stand.“

Sie wandte sich strahlend lächelnd an L, der so empört aussah, dass Light beinahe gelacht hätte, wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre.

„Hideki, also der Schauspieler, Hideki Ryuga macht das auch immer so. Bei einem Interview hat er mal gesagt, dass er zwei Wochen lang vor Dreharbeiten zu 'Mein Herz in der Wildnis' in einer Blockhütte gewohnt hatte, um den Hauptcharakter besser zu verstehen.

Der Mann ist ein Genie!“
 

L blinzelte langsam und erstaunt.

„Du kennst Hideki Ryuga?“
 

„Wer denn nicht? Er ist so toll... Am besten hat er mir in 'Liebe auf den Wellen der See' gefallen.

Wo er diesen Matrosen gespielt hat. Oh, er war so süß.“
 

„Ein schöner Film,“

antwortete L leicht verträumt.

Light starrte ihn entsetzt an. Der Detektiv sah sich dieses hirnlose Zeug an?

„Mein Favorit ist aber 'Mein Engel' mit...“
 

„Misa Amane!“

quietschte Sayu begeistert.
 

L lächelte.

„Genau. Ich mag Misa-Misa sehr.“
 

„Oh, Light, wieso hast du ihn so lange vor mir versteckt? Dein Freund ist ja so süß!“

Sie umarmte L stürmisch, der vor Schreck wie eingefroren dastand.
 

Light versuchte krampfhaft, die aufkochende Eifersucht zu unterdrücken.

An ihm zu kleben, und ihn albern mit den Wimpern anzuklimpern, das ging eindeutig zu weit.

Dass L und Sayu irgendetwas gemeinsam haben könnten, hätte er nie gedacht.
 

Und trotzdem war die Vorstellung, dass L vor dem Fernseher saß und sich Liebesfilme ansah, während er seine Süßigkeiten futterte, irgendwie ein bisschen niedlich.

Bizarr, aber niedlich.
 

Light riss sich von dem Bild los, L war mit einer Pistole zu ihm nach Hause gekommen und Ryuk hatte ihm das Death Note an den Kopf geworfen, jetzt war keine Zeit für diesen Blödsinn.

Zuerst musste er Sayu loswerden. Und zwar so schnell wie möglich, dieses Geflirte war widerlich.
 

„Ja, also, wir werden jetzt etwas... weiter proben. Bis später, Sayu.“

Er pflückte seine Schwester von Ls Arm und setzte sie vor die Tür.

Er schlug sie hinter sich zu und lehnte sich seufzend dagegen.

Das wäre geschafft.
 

L war schlagartig wieder völlig ernst, aber wenigstens zielte er nicht auf ihn.

„Sie konnte dich nicht sehen. Wieso kann ich es?“

fragte er Ryuk.
 

Ryuk erholte sich soweit von seinem Lachanfall dass er glucksend antworten konnte.

„Nur wer das Death Note berührt, kann mich sehen.“
 

„Death Note...“

murmelte er und blickte auf das Buch.

Blitzschnell hob er es vom Boden auf, hielt es an spitzen Fingern hoch und begann es durchzublättern.

Die Pistole ließ er achtlos liegen.
 

L schien in sich einzuschrumpfen, völlig auf das Death Note konzentriert, in einer unglaublichen Geschwindigkeit flogen seine Augen über Seite um Seite, seine Lippen bewegten sich tonlos.

Light konnte förmlich sehen, wie das Wissen von ihm eingesaugt wurde, mit ständig wachsender Gier.
 

Es kam die Stelle, an der Ls Mund die Worte 'Lind L Taylor' formte, und dann breitete sich ein triumphales, bösartiges Lächeln auf Ls Gesicht aus.

„Ich wusste es. Ich wusste es.“

flüsterte er glücklich.
 

Die nächsten Seiten wurden noch schneller überflogen, Ls Augen leuchteten aufgeregt.

Light fühlte sich... merkwürdig.

Er war wütend und beklommen, natürlich, aber... Ls offensichtliche Freude und Begeisterung hatten etwas Ansteckendes.

Bisher hatte er nur Ryuk gehabt, dem er vollends dargelegt hatte, wie er seine Pläne genau aufgebaut hatte.

Jetzt sah L hinter die Kulissen, und Light war fast ein wenig stolz dass endlich jemand da war, der es wirklich anerkennen konnte.
 

Sein Blick viel auf die Waffe bei Ls Füßen.

Wenn er schnell genug wäre, könnte er sie erwischen. Und dann...

Ja, was dann?
 

L ließ das Buch fallen, sein seliges Lächeln war beinahe verstörend.

„Der Name gibt Macht über die Seele.“
 

„Na ja, ohne Gesicht nützt einem der Name nichts, außerdem bringt man damit die Leute nur um, mit seinen Seelen kann man nichts anstellen. Aber so grundsätzlich, ja.“

meinte Ryuk vergnügt.
 

„Kira-san hat nur Namen in ein Buch aufgeschrieben.“

wandte er sich mit großen Augen an Light.

„Er musste es nur schreiben, und es passierte.

'Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.

Alles ist durch dasselbige gemacht, und ohne dasselbige ist nichts gemacht, was gemacht ist.'“

zitierte er leise.
 

Gott.

Light spürte einen wohligen Schauer durch seinen Körper laufen, Ls Blick war so fasziniert und voller Staunen.
 

„Ja,“

brach es heiser aus ihm heraus. Sein Herzschlag dröhnte ihm in den Ohren.

Vielleicht war das jetzt das Ende.

Vielleicht würde er den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen.

In diesem Augenblick war es ihm egal.

L sollte ihn nur weiter so ansehen, Death Note und Pistole und kichernder Ryuk völlig vergessend.

Nur Light und L, nichts hatte sonst Bedeutung.
 

L öffnete den Mund, um etwas zu sagen, um diese zarte, empfindliche Seifenblase zum platzen zu bringen.

Light packte ihn und küsste ihn verzweifelt und leidenschaftlich.

'Lass mich. Noch ein bisschen.'

Ls Worte im Hotelzimmer fielen ihm wieder ein.

Hatte er da das Gleiche gefühlt wie Light jetzt?

Hatte er auch gedacht, dass es das letzte Mal war?

Hatte es ihn auch innerlich zerrissen?
 

Schlanke, starke Finger krallten sich in seine rotbraunen Haare als L seinen Kuss erwiderte, Hitze schoss durch seinen Körper.

Wenn das das Ende ist, dann verdammt, wird er es unvergesslich machen!
 

„Ähm, ich geh dann mal. Viel Spaß euch Irren!“

hörte er undeutlich Ryuk rufen.
 

Dann versetzte ihm L einen Stoß und er fiel rückwärts auf sein Bett. Der Detektiv krabbelte sofort auf ihn drauf und küsste und biss seinen Hals. Light stöhnte auf, aber L presste ihm sofort eine Hand auf den Mund.
 

Light versetzte ihm einen Hieb in die Seite und L ließ keuchend von ihm ab.

„Was soll der Scheiß?“

fauchte Light.
 

„Wenn du nicht willst, dass wir deiner Schwester erklären müssen, dass unser Theaterstück einige sehr provokante Szenen hat, wäre es besser, still zu sein.“

L atmete ebenfalls schwer, kleine rosa Flecken waren auf seinen Wangen zu sehen und seine Haare und Kleidung sahen noch zerwühlter aus als sonst.
 

„Dann hör auf an meinem Hals herumzukauen. Mein VATER hat mich schon darauf angesprochen!“
 

L grinste unverschämt.

„Aber Kira-san mag es, wenn ich an seinem Hals kaue...“
 

„Fick dich!“

Er warf L unter sich und küsste ihn wieder, nur um ihn zum Schweigen zu bringen.

Und weil er es konnte.

Weil L ihn ließ und ihn auch küsste und dünne, kühle Finger unter sein Hemd krochen.

Light ließ seine Hand auch wandern, unter Ls weißes Shirt auf weiche, warme Haut.
 

L schlug ihm so heftig aufs Ohr dass Light vom Bett fiel.

Stöhnend hielt sich Light die Ohrmuschel, bis das schmerzhafte Dröhnen etwas abgeklungen war.
 

„Oh fuck... was... und was sollte das?“

stieß er hervor.
 

Als er nach oben blickte, saß L zusammengesunken da, die Augen nach unten gerichtet auf, den Daumen am Mund.

Er zitterte leicht.
 

„L...?“

fragte er vorsichtig.

„Was ist los?“
 

Er setzte sich langsam neben den Detektiv auf das Bett, der seine Beine schützend an sich gezogen hatte.

„Bist du noch da, L?“
 

„Natürlich bin ich noch da,“

kam die schnippische Antwort.
 

„Du weißt, was ich meine, oder?“

hakte Light nach.
 

„Ja, ich weiß, was du meinst. Gleich werden sie aufhören.“
 

„Wer sind sie?“
 

„Die Glocken. Es ist gleich vorbei.“
 

Glocken? Schon wieder?

„Was ist passiert?“
 

„Gar nichts!“

fauchte L und vergrub seine Hände in seinen dicken Haaren.
 

Light fühlte sich hilflos und wütend. Warum erzählte ihm L nicht, was los war?

Was war es, dass L es vor ihm geheim halten musste?

Er hatte dem Detektiv in einem Anfall von Leidenschaft alles gegeben, und jetzt wollte L ihm etwas vorenthalten?
 

„B,“

stieß Light wütend aus.
 

Ls plötzliches Zusammenzucken war alle Bestätigung, die er brauchte.

„Das verstehst du nicht...“
 

„Erklärs mir! Was hat es mit diesen beschissenen Glocken und diesem B auf sich?“

'Es ist die letzte Runde. Die Karten auf den Tisch, L. Das schuldest du mir.'
 

„Projekt B.“

flüsterte L, die Augen immer noch starr nach unten gerichtet.

„Projekt A ist gescheitert. Und Projekt B ist außer Kontrolle geraten. Ich konnte nicht...“

er stockte, als sein Körper heftig zu Zittern begann.
 

Lights Blick viel auf Ls Hände, die sein Shirt nach unten zogen. Schützend.

„Was hast du da?“
 

L schüttelte den Kopf.
 

„Zieh dein Shirt aus! Jetzt!“
 

„Warum? Damit du deine Neugier befriedigen kannst!?“
 

„Weil ich dich sehen will. Weil ich dich kennen will.“
 

L lachte bitter.

„Nein, das willst du nicht.

Ich weiß nicht, was du glaubst das ich bin. Ich weiß nicht, was du denkst das ich für dich tun kann. Aber egal was es ist, du irrst dich.

Ich bin schon lange nicht mehr, was ich einmal war.

Ich bin mein eigener Schatten und ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich jemals existiert habe, oder nur ein Traum von einem selbstsüchtigen, dummen Jungen war, der geglaubt hat, etwas besonderes zu sein.

Sieh mich nur an! Sieh dir an was aus mir geworden ist!“
 

L war aufgesprungen und zog sich ruckartig das Shirt aus.

Light stockte der Atem.
 

Narben.

Sein Oberkörper war übersät von Brandnarben.
 

„War das... B?“
 

L kicherte und es klang wie klirrendes Glas.

„Armer BB. Er wollte immer genauso aussehen wie ich. Aber alles hat seine Grenzen.

Und als die Kopie angesengt wurde, dann musste eben das Original auch brennen.

Aber wussten wir überhaupt noch, wer Kopie und wer Original war?

Rue Ryuzaki, wer von uns ist das?

Wer ist der Gute, wer ist der Böse? Ich weiß es nicht mehr...“
 

Er hatte die Arme um seinen Bauch geschlungen und blickte Light mit großen, traurigen Augen an.

„Er mochte Erdbeermarmelade.

Er hat sie direkt aus dem Glas gegessen.

Seine Finger waren ganz rot.

Als ich ihn wiedergetroffen habe, waren seine Finger auch rot.

Aber das, auf dem er kaute, war keine Marmelade. Zumindest nicht nur.

Und als ich ihn gefragt habe, warum, hat er nur gesagt:

'Aus dem selben Grund, aus dem du Fälle löst. Mir war langweilig. Willst du auch was?'“
 

Er kicherte wieder, schluchzte, kicherte.

„Er hat mich gefragt... ob ich auch... ob ich auch was ab... haben will. Und er hat mich angesehen...

und seine Augen... seine schwarzen Augen... sie haben rot aufgeleuchtet... rot...“
 

Light schlang die Arme um ihn und presste ihn, so fest er konnte, an sich.

Vielleicht war L wirklich verrückt, vielleicht stimmte das, was er gerade gehört hatte.

Aber Light schwor sich, alle echten und eingebildeten Feinde von ihm fernzuhalten.

Er spürte Ls warme Haut, die weiche, unbeschädigte Oberfläche und die unnatürlichen Erhebungen der Narben, die sich über seinen Rücken zogen.
 

Und wenn die ganze Welt dafür untergehen müsste.
 


 

Anmerkung:
 

Son of a ...! Man, hat das gedauert. Viermal hab ich das Kapitel angefangen, jedes Mal hat es mir nicht gefallen.

Dann hab ich meine Cosplays fertiggemacht (jetzt ist nur die Frage, was zur FBM: Grell oder Mephisto? Immer diese Entscheidungen...).

Dann hab ich meine One Piece Leidenschaft wiedergefunden und Luffy angehimmelt.

Mein Held! Strohdoof, verfressen und komplett von sich selbst überzeugt! Ich liebe ihn!

Jetzt endlich hab ich mich zusammenreißen können und hab weitergemacht, zwar nicht mit Mello und Near wie geplant, dafür aber L und Light...

Sorry für die Verspätung und ich hoffe euch gefällts....
 

Hasta la Pasta!

Auf die Plätze, fertig, los!

Poltern und Rascheln und laute Stimmen ließen Near blinzelnd aufwachen.

Er war immer noch in Mellos Wohnung, trübes Morgenlicht fiel durch die schmutzigen Fenster.

Matt war wieder da...
 

„Komm schon, wir müssen hier weg. Wie wärs wenn du dich mal nützlich machst?

Und hör auf dich zu betrinken!“
 

„Tu ich doch. Ich räum das Bier weg.“
 

Er stopfte einen großen Koffer scheinbar wahllos mit Dingen voll, während Mello auf dem wackligen Tisch in der Mitte des Zimmer saß, mit einer halbleeren Bierflasche in der Hand.

Near ließ die Augen, bis auf einen kleinen Spalt, zu und versuchte ruhig zu atmen und sein wild klopfendes Herz zu beruhigen.

'Sie wollen weg. Mit oder ohne mich?'
 

„Ich fasse es nicht, dass du meine Maschine für dieses Schrottteil eingetauscht hast.“

grummelte Mello, als er den nächsten Schluck trank.
 

„Das Ding war sowieso zu auffällig. Besorg dir doch einfach später wieder eins.“
 

„Tiffany war einzigartig. Sie hatte persönlichen Wert, das kann man nicht ersetzen.“

Mello lallte schon leicht, als er die Flasche abstellte, das war bestimmt nicht seine Erste.
 

„Du hast dein Motorrad 'Tiffany' genannt?! Das ist traurig, Mann.“
 

„Pff...“

schnaufte er verächtlich.
 

Matt nahm ihm die Flasche weg.

„Und was ist das eigentlich für ein Photo?“
 

'Photo... Das Photo! Hatte es Mello etwa gefunden?'

Near spürte wie Panik in ihm hochstieg.

'Bitte nicht. Bitte, das nicht auch noch!'
 

Mello hielt Matt wortlos das Bild hin.

„Ok, wer ist das komische blonde Mädchen?“
 

„Das bin ich, du Arschloch!“

Mello riss es wieder an sich.
 

„Stimmt ja, hab ganz vergessen, wie scheiße du damals aussahst. Wo hast du das her?

Alle Bilder und Dokumente werden doch vernichtet, wenn man Wammys Haus verlässt.“
 

„Von Near. Habs in seiner Tasche gefunden.“

Der Junge auf der Couch wäre am Liebsten im Boden versunken.

Sein Leben lang war er Mellos Rivale gewesen, der ihn motivierte, damit er sein Bestes geben konnte.

Und Near war bereit, das für ihn zu sein und damit einen zentralen, festen Platz in seinem Leben einzunehmen.
 

Gestern war er kein Rivale für Mello gewesen.

Er hatte sich in das schwache, abstoßende, unbrauchbare Ding verwandelt, dass er im Innersten war.

Near war unfähig gewesen, das zu liefern, was Mello wollte und brauchte.

Und Mello... er hatte ihn nicht weggestoßen.

Er war... sanft gewesen.

Er hatte ihn gewaschen und angezogen und ihn behandelt wie etwas Wertvolles, etwas Zerbrechliches.
 

Near wusste zwar nicht, warum, aber das warme Gefühl, das sich überall in ihm ausgebreitet hatte, war zu schön gewesen, als dass er es in Frage stellen gewollt hätte.
 

„Du verarschst mich! Near hatte die ganze Zeit ein Kinderphoto von dir? Wieso das denn?

Wenn das rausgekommen wäre, hätte er verfluchten Ärger gekriegt.

Und wieso hast du ihm überhaupt seine Klamotten ausgezogen?

Stehst du etwa doch auf ihn?“
 

Und jetzt trank er und redete mit Matt über ihn, erzählte ihm was für ein erbärmlicher, anhänglicher Schwächling er war, und gleich würden sie verschwinden und ihn einfach hier lassen.
 

„Er war total mit Blut vollgeschmiert! Was denkst du denn?“

Mello sprang von Tisch und kam zu Near herüber.
 

„Hey.“

Er tippte ihn mit dem Zeigefinger an, er roch nach Bier und Schokolade.

„Hey, Aufwachen. Wir müssen los. Matt hat uns ein potthässliches Ungetüm von einem Auto besorgt. Aber es ist nur für ein paar Tage.“
 

Near schluckte schwer und flüsterte.

„Uns?“

Hoffnung kroch in ihm hoch.
 

„Hey, frag ihn ob er irgendwas braucht.“

rief Matt herüber.
 

Mello setzte sich etwas wackelig neben ihn auf das Sofa und streichelte Near ungeschickt über den Kopf.

„Brauchst du irgendwas?“

Er nuschelte ein bisschen, seine blauen Augen waren glasig vom Alkohol.
 

„Etilefrin.“

antwortete Near benommen.
 

„Hä?“
 

„Ich brauche Etilefrin.“

wiederholte er etwas fester und setzte sich auf.

„Außerdem Acetylsalicylsäure und Eisentabletten.

Und Morphin.

Und Fluticason und Salmeterol.

Und Salbutamol, zusammen mit einem Inhalator...“
 

„Ach du heilige Scheiße.“

fiel ihm Mello ins Wort.

„Gibt es noch was an dir, das keinen chemischen Tritt in den Arsch braucht?“
 

Near biss sich auf die Unterlippe und drehte sich die Haare ein.

Mellos Worte hatten ihm noch nie zuvor wehgetan, sie waren nur ein Beweis dafür, dass Mellos ganze Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet war, ein Zeichen von Nears Macht über ihn und seine Frustration darüber.

Jetzt versetzten sie ihm plötzlich einen schmerzhaften Stich.

'Hatte er es sich jetzt anders überlegt? Beschlossen, dass es doch zuviel Arbeit war?'
 

„Na, was solls. Fragen wir halt unterwegs bei ner Apotheke.“

Mello zuckte mit den Achseln.
 

„Die Medikamente sind fast ausschließlich Rezeptpflichtig.“

murmelte Near.
 

Mello zog hinten aus seinem Hosenbund eine kleine Waffe und hielt sie Near demonstrativ unter die Nase.

„Dann werden wir eben besonders NETT fragen müssen.“

grinste er.
 

„Na los, Kinder! Ab ins Auto!“

Matt war mit seinem Koffer schon aus der Tür.
 

Near umfasste Mellos Hand als er dabei war, aufzustehen.

„Mello. Ich kann nicht Laufen.“
 

Er legte verwirrt den Kopf schief und steckte seine Pistole wieder ein.

„Deine Beine? Ist es immer noch so schlimm wie in Wammys Haus?

Das... Das wusste ich nicht. Scheiße, das muss gestern verdammt wehgetan haben...“

Er klang nicht wirklich, als würde es ihm leid tun. Er klang eher... fasziniert.

Und er schien auf einmal schlagartig nüchtern.

„Du kannst überhaupt nicht Laufen?“

fragte er weiter.
 

„Ein wenig schon. Gestern war allerdings weit über der Toleranzgrenze.

Die Schmerzen sind immer noch nicht ausreichend abgeklungen.“
 

Mello zog die Decke von ihm herunter. Near fröstelte leicht in der kühlen Morgenluft.

„Steh auf.“

murmelte er leise.
 

Near sah ihn erstaunt an.

„Ich habe doch gerade...“
 

„Egal. Steh auf.“

Ein manisches Feuer war in seine Augen getreten.

Near blickte unverständig zu ihm hoch und nickte langsam.
 

Er biss die Zähne zusammen und rutschte vorsichtig vom Sofa.

Tausende kleiner Nadelstiche schossen von seinen Fußsohlen aus nach oben.

Er schwankte auf den Beinen und krallte sich instinktiv an Mellos Handgelenk fest, um nicht hinzufallen.

Tränen stiegen ihm in die Augen.
 

Mello riss sich los.

Mit einem Schmerzenslaut fiel Near zu Boden.

Keuchend stützte er sich auf, kleine dunkle Flecken bildeten sich, wo seine Tränen auf den schmutzigen Teppich tropften.
 

„Warum... warum hat Mello-kun das gemacht?“

stöhnte er leise.
 

„Du kannst nicht weglaufen. Selbst wenn du es wolltest, du kannst es gar nicht, hab ich Recht?“

Da war sie wieder. Die tiefe, gefährliche Stimme, wie gestern im Badezimmer.

Er traute sich beinahe nicht, hochzusehen, aber er konnte nicht anders.

Mellos Blick war Wahnsinnig. Unbarmherzig. Gierig.

„Ich glaube, du gefällst mir so.“
 

Near blickte wie erstarrt zu ihm hinauf, zitternd vor Schmerz und Angst und etwas Anderem, Dunklerem.

Sah gebannt zu, wie Mello eine Schokoladentafel aus einer seiner Taschen zog und mit einem abrupten 'Knack' abbiss, die Augen immer noch hungrig auf ihn gerichtet.
 

„Bitte...“

flüsterte Near beschämt.

„Bitte... lass mich nicht hier. Nimm mich mit... Mello...“
 

Mello kam einen Schritt auf ihn zu und stupste ihn leicht mit seinem Stiefel in die Seite.

Er lächelte kalt.
 

Matt kam wieder hereingelaufen, in beiden Händen große Plastikkanister.

Er begann, den Inhalt über das Zimmer zu verteilen.

Benzin.
 

Mellos Grinsen wurde breiter, als er Nears schreckgeweitete Augen sah.

„Vernichtung aller Spuren. Außerdem mag ich Feuer.“
 

Matt tippte Mello von hinten auf die Schulter.

„Ich unterbreche ja nur ungern, aber: Raus hier.“
 

Als Mello sich zu ihm beugte und ihn aufhob, hätte er vor Erleichterung fast wieder angefangen zu weinen.

Mello flüsterte im beinahe zärtlich ins Ohr.

„Heute wirst du nicht sterben. Wenn ich dich töte, wird es Überwältigend und Glorreich.

Ich werde dir den schönsten Tod geben, den ein Mensch nur haben kann, das verspreche ich dir.“

Near kuschelte sich an Mellos Jacke und seufzte zufrieden.
 

Er sah das Feuer durch das Rückfenster des alten, großen PKWs, als sie davonfuhren.

Flammen, die die Fenster klirrend zerspringen ließen, Schreie.

Matt saß rauchend am Steuer, dem Spektakel hinter sich nur einen flüchtigen Blick in den Spiegel schenkend.

Mello hatte sich auf dem Beifahrersitz umgedreht und sah begeistert zu, wie das Feuer den dämmrigen Morgen erhellte und Menschen panisch aus den Häusern liefen.

„Wunderschön, nicht wahr?“
 

Near sah ihn an, das warme Licht der Flammen gaben Mello ein unwirkliches Aussehen, seine Haut glühte fast und seine blonden Haare schimmerten wie flüssiges Gold.

Seine Augen leuchteten mit kindlicher Freude.

Ein Todesengel. SEIN Todesengel.

„Ja.“

sagte Near lächelnd und drehte sich wieder zu dem Feuer.

„Ja, das ist es.“

Fahrt ins Ungewisse

Mello hatte das Photo in seiner Hand etwa zehn Minuten angestarrt und sich bemüht, sachlich und neutral über diese neue Situation nachzudenken.

Dann hatte er beschlossen, das sich sachlich und neutral ins Knie ficken können, und das erste Bier aufgemacht.
 

Near könnte das Bild aus allen möglichen Gründen haben, als Zielscheibe für Dartpfeile oder um sich damit einen runterzuholen (und verdammt, das war mal ein aufregender Gedanke).

Aber er hatte es bestimmt nicht, weil Mello ihm egal war.

Bei seinem dritten Bier begann er, vor sich hin zu grinsen. Er fühlte sich leicht und glücklich.

Es war zwar alles ein bisschen holpriger gelaufen, als er gedacht hatte, aber letztendlich war es doch ganz gut ausgegangen.
 

'Near schläft auf meinem Sofa.'

Mello kicherte leise bei dem Gedanken.

'Near schläft auf meinem Sofa, in meinen Klamotten, in meiner Wohnung. Alles Meins.'
 

Mello konnte sich noch gut erinnern, wie er damals in Wammys Haus immer mal wieder nachts in Nears Zimmer geschlichen war, und ihm beim Schlafen zugesehen hatte.

Er hatte nie etwas getan, obwohl er sein Messer jedes Mal dabei hatte, und Near war nie aufgewacht.

Alles in seinem Zimmer war komplett weiß gewesen, die Schränke, die Wände, das Bett, das Bettzeug, Nears Schlafanzug und Near selbst.

Er schien beinahe in all dem Weiß zu verschwinden, wie verdammtes Chamäleon, kaum noch zu Erkennen.

Und sein 'Büro' hatte ja auch nicht besser ausgesehen.
 

Nichts in Mellos Wohnung war weiß, selbst wenn es einmal gewesen war, hatte es der Schmutz und die Abnutzung längst bearbeitet.

Grau, braun, grün, beige, schwarz.

'Versuch jetzt mal, dich zu verstecken...'
 

Er ging vor dem schlafenden Jungen in die Hocke.

Verdammt, er sah jung aus. Noch jünger als sonst, und so blass. Und er lag da, so friedlich und wehrlos, seine kleinen Hände zuckten immer wieder leicht. Mellos Pullover war ihm von einer Seite gerutscht, schwarzer Stoff und weiße, schlanke Schulter.

So klein...
 

'Oh Fuck, er ist noch ein Kind! Und ich hab ihn begrabscht!'
 

'Er ist sechzehn, grade mal zwei Jahre jünger als du. Nur, weil er aussieht, wie direkt aus der Grundschule, heißt es nicht, dass man mit ihm so umgehen muss.'

Irgendwie half das trotzdem nicht, sein schlechtes Gewissen zu beruhigen.

Near hatte bestimmt keine Ahnung von Sex, wenn man mal von dem biologischen Kram absah.
 

'Ich fühl mich wie ein Kinderficker.

Ok, neue Regel: Nicht anfassen!

Zumindest nicht für Sex. Später vielleicht, in ein, zwei Jahren, wenn ich nicht mehr das Gefühl hab, ihn gerade vom Spielplatz entführt zu haben.'
 

Mello nickte zufrieden und öffnete das fünfte Bier.

Er war so Vernünftig und Erwachsen!
 

Matt kam in diesem Moment herein getrampelt.

„Schatz, ich bin wieder zuhause!

Gibt es nen bestimmten Grund, warum es hier noch mehr nach Pisse stinkt als sonst?“
 

„Gehts auch n bisschen leiser? Er schläft gerade!“

fauchte Mello zurück und schwenkte die Flasche in Nears Richtung.
 

Matt sah mit hochgezogener Augenbraue von Mello, zu Near, zu Mello.

„Entschuldigung, hab nicht daran gedacht, dass das Baby schläft.

Es interessiert dich vielleicht, dass ich uns was Neues organisiert habe.

Wir gehen nach Los Angeles. Da draußen steht ein Wagen für uns, wir sind etwa vier Tage unterwegs, dann kommen wir zu nem privaten Flugplatz, bei dem die Maschine wartet, die uns hinfliegt. Ein Glück, dass wir uns mit der Mafia gut gestellt haben, wir werden dort wahrscheinlich noch ein paar Jobs für sie machen müssen, aber das dürfte alles kein Problem sein.“
 

Mello schwankte zum Fenster hinüber.

„Sag mir, dass es nicht diese Schrottlaube ist.“
 

„Es ist nicht hübsch, aber funktionstüchtig und unauffällig. Der Kofferraum ist groß und die hinteren Seitenfenster sind verdunkelt, damit Prinzesschen in der Sonne nicht verbrutzelt.

Wenn du das Ganze stilvoller gewollt hättest, hättest du es mir ein bisschen vorher sagen sollen.

Übrigens, ich hab das Auto gegen dein Motorrad getauscht.“
 

„Du hast WAS?“
 

„Sieh es als Strafe dafür, dass du mich nicht eingeweiht hast. Wenn du das nächste Mal irgendwas hochgradig bescheuertes tust, warn mich vor. Und jetzt hilf mir packen.“
 

Als es dämmrig wurde, weckte Mello Near auf, der immer noch ein bisschen durch den Wind zu sein schien.

Irgendwie war er ja ziemlich niedlich. Wie eine kleine, wuschelige Albinokatze.

Eine Katze, die offenbar verdammt viele Medikamente brauchte.

Sah ganz so aus, dass sie noch Einkaufen gehen mussten.

Ein Glück, dass Matt sich vor einiger Zeit in das Sicherheitssystem der Pharmaziehalle einer großen Apotheke gehackt hatte, für ein paar Junkies, deren Dealer im Knast saß.

Am Ende wurde nichts draus, weil es diese Idioten geschafft hatten, sich erwischen zu lassen, als sie in irgendein Haus eingestiegen waren.

Und Near schien ja zu wissen, was er brauchte, alles also kein Problem.
 

Diese andere Sache war... überraschend.

Nears Beine waren damals im Waisenhaus sehr schwach gewesen, aber Mello hatte geglaubt, dass es sich mit der Zeit gelegt hätte.

Schließlich war ja ständig dieser Physiotherapeut ständig bei ihm gewesen, er wurde dafür bezahlt, dass es Near besser ging, oder?

Wenn er das nicht hinkriegen würde, wieso hatte Watari den Trottel nicht gefeuert und jemanden eingestellt, der wusste, was er tat?
 

Nicht dass sich Mello beschweren würde, der Anblick war mehr als überwältigend, Near, der völlig hilflos und bettelnd vor ihm lag.

Mello war erst jetzt bewusst geworden, wie sehr Near wirklich von ihm abhängig war.

In diesem Moment kämpften so viele Gedanken um die Oberhand.

Er wollte Near zertreten wie ein Insekt, wieder und wieder, bis man seine Leiche nur noch an den Zähnen identifizieren könnte.

Er wollte ihn in den Arm nehmen, ihn streicheln und zuflüstern, dass er bei ihm sicher wäre, dass er ihm niemals etwas tun würde.

Er wollte ihn einfach liegenlassen und die Wohnung anzünden, und ihn mit ihr verbrennen lassen.

Er wollte ihn ficken, ihn an den Haaren auf die Knie zerren und ihm seinen Schwanz in den kleinen Mund rammen.

Er wollte ihm wehtun, ihm alle Knochen brechen und ihn noch hilfloser machen, damit er nie, nie mehr ohne Mello sein könnte.

Er wollte ihm zu einem Arzt bringen, einem richtigen Arzt, der ihm helfen könnte und gemeinsam würden sie es schaffen, dass er wieder laufen könnte, und Near würde lächeln und bei ihm bleiben.

Er wollte...
 

Matt tippte ihm auf die Schulter und unterbrach den wirren Gedankensturm.

„Ich unterbreche ja nur ungern, aber: Raus hier.“
 

Ja, genau, sie mussten sich ja beeilen.

Später war genug Zeit, sich zu entscheiden.
 

Er hatte unglaublich gute Laune, als sie losfuhren, das Feuer aus ihrem ehemaligen Haus im Rücken.

Sogar, dass Matt sein Motorrad weggegeben hatte, konnte er großmütig übergehen, denn Near lächelte ihn warm und zufrieden an, die Welt schien groß und offen und schön und Mello hatte das Gefühl, dass jetzt nichts mehr unmöglich wäre.
 

Matt parkte den Wagen in einer Nebengasse bei der Pharmaziehalle und zog seinen Laptop nach vorne.

„Ok,“

meinte er, während er sich durch das System hackte,

„Gleich hab ichs. Sag mir nochmal genau, was du brauchst, dann lauf ich schnell rein und hols.“
 

„Warte, warte, ich komm mit.“

Mello zupfte ihm heftig am Ärmel.
 

„Vergiss es. Du bist immer noch betrunken, so nehm ich dich nicht mit. Einmal und nie wieder.“
 

„So schlimm wars doch nicht.“
 

„Sag das zu dem Kerl, mit dem wir das Ding hätten durchziehen sollen. Der hat mittendrin solche Angst vor dir gekriegt, dass er sich freiwillig der Polizei gestellt hat.“
 

„Er war ja auch ne Pussy.“
 

„Und du hast wahllos in die Luft geschossen und geschrienen:

'Die Aliens kommen! Tötet die Königin!'

Weglaufen war da eine ziemlich kluge Entscheidung.“
 

Near gluckste leise vor Lachen.

Beide drehten sich erstaunt um.
 

„Ihr zwei seit lustig.“

kicherte er.
 

„Sind wir das?“

Mello sah ihn verwirrt an. Matt zuckte nur mit den Achseln und tippte weiter.
 

Near hatte begonnen, seine Liste für Matt herunterzuplappern, Mello hörte kaum ein Wort davon.

Er sah so anders aus.

Nicht kalt und arrogant, nicht desinteressiert und gelangweilt, nicht ängstlich und unsicher.

Er saß in einer Decke eingekuschelt auf dem Rücksitz, lächelnd und zufrieden.

Mello wollte ein Photo machen, einfach weil er diesen Moment einfangen wollte, damit er ihn immer bei sich haben konnte.

Und Mello wollte Nears Lächeln küssen und über seine weichen Wangen streichen.
 

'War da nicht was mit keinem Sex?'
 

'Scheiße, stimmt...'
 

„Kannst du dir das alles merken?“

fragte Near.
 

„Natürlich.“

Matt steckte sich eine der Waffen in den Hosenbund.

„Komm gleich wieder. Seit brav.“
 

„Ist sie denn gerade verlassen?“

Near sah Matt hinterher, als er auf die Halle zuging.
 

„Keine Ahnung. Was macht das denn, er hat doch ne Knarre dabei.“
 

„Das soll die Lösung sein?“
 

Mello grinste ihn fröhlich an.

„Du wärst überrascht, wie viele Probleme man lösen kann, indem man ne Waffe mit sich herumträgt.“

Er kletterte mit etwas Mühe nach hinten auf den Rücksitz.

„Tun deine Beine sehr weh?“
 

„Es geht. Es wird besser, sobald ich das Morphium habe.“
 

„Du kannst dir nicht einfach das Zeug reinpfeifen. Du musst zuerst was Essen.“

Mello legte nachdenklich den Kopf schief.

„Essen tust du auch nicht so oft, oder?“
 

Near sah etwas verlegen und beschämt auf seinen Schoß.

„Ich mag Essen nicht.“
 

„Wieso?“

Wie konnte man Essen nicht mögen? Man, der Junge hatte ja echt Probleme...
 

„Es ist ein ekliges Gefühl im Bauch. Man ist träge und schwer und müde.

Das Nachdenken funktioniert nicht mehr so gut.

Und Dinge in den Mund zu stecken, zu kauen und herunterzuschlucken, Dinge, die mal gelebt haben, Pflanzen, die im Dreck gewachsen sind, das ist Widerlich.“
 

Mello sah ihn scharf an und krabbelte direkt auf ihn zu, bis er Nears Atem auf seinem Gesicht fühlen konnte.

„Jetzt hör gut zu. Das sag ich jetzt nur einmal und ich werde nicht darüber diskutieren, verstanden?

Du wirst essen, was ich dir gebe. Ist mir egal ob dus magst oder nicht, Schluss mit dem Abmagern.

Ich mache hier die Regeln, ich bestimme über dein Leben und deinen Tod, und du wirst ganz bestimmt nicht an deiner Magersucht sterben wie irgendein depressiver Teenie.“
 

Es wäre so einfach ihn jetzt zu küssen, drei Zentimeter und er könnte die weichen, schmalen Lippen auf Seinen spüren.

Nears Atem war so warm.

Nur ein Kuss. Ein Einziger.

Nur eine kleine Kostprobe.
 

„Mello?“

fragte er leise.
 

Der Bann war gebrochen. Mello stöhnte frustriert.

„Was denn!?“
 

„Danke. Danke das es dir nicht gleichgültig ist.“
 

„Natürlich ist es mir nicht gleichgültig! Ich hab dir doch gesagt, das ich derjenige sein werde, der dich tötet.“
 

Es war Near, der näher an ihn rückte und sich an ihn kuschelte.

Mello legte den Arm um ihn, und es fühlte sich an, als wären sie zwei Puzzleteile.

Near passte perfekt an seine Seite, klein, warm und anschmiegsam.

Er konnte hören, wie Near leise erwiderte:
 

„Gut. Das ist gut. Das hab ich mir immer gewünscht.“
 

'Gratulation. Sieht ganz so aus, als ob du tatsächlich den einen Menschen auf dieser Welt gefunden hast, der noch kaputter ist als du. Du solltest euch beiden besser gleich die Kugel geben.'
 

„Ach, halt doch die Klappe, du Arschloch.“
 

Near sah erstaunt auf.

„Was?“
 

„Hab nicht mit dir geredet.“

Mello zog ihn wieder an sich.

Niemand würde ihm vorschreiben, was er zu tun hätte.

Schon gar nicht irgendwelche Stimmen in seinem Kopf, die wie Matt klangen.

Pff.

Vergangenheit

„Ich will ein Eis.“
 

Light blinzelte L verwirrt an, als er sich aus seinen Armen löste.

Von allem, was man in dieser Situation nur sagen könnte, hätte Light DAS am Wenigsten erwartet.
 

„Du... willst ein Eis.“

wiederholte er ungläubig.
 

„Ja, ich möchte nach Aoyama fahren und ein Eis essen.“

L hob sein Shirt vom Boden auf und zog sich an.
 

„Wieso nach Aoyama?“
 

„Ich war noch nie dort. Es soll schön sein.“
 

Light hatte eine Menge Fragen.

Wie zum Beispiel, was L vorhatte, wegen Kira, Todesnotizbüchern und Shinigamis zu tun.

Oder, was er damit gemeint hatte, dass die Ermittlung zu Ende war.
 

Aber L war schon halb aus der Tür, ohne Light und dem Death Note weiter Aufmerksamkeit zu schenken.

Light verstaute es schnell wieder in seiner Schublade und lief hinter ihm die Treppe hinunter.
 

„Wie schade, dass du schon gehst!“

flötete Sayu an der Tür zu L.

„Du kommst doch bestimmt bald wieder, oder?“

Der Detektiv starrte stumm ins Leere.
 

„Jetzt müssen wir los, Theaterkurs.“

sagte Light schnell und schob L aus der Tür.

„Ich komme erst spät wieder. Sag Mutter Bescheid, ja?“
 

„Na dann...“

Sayu schmollte ein bisschen, als sie ihnen hinterherwinkte.
 

Sie liefen eine Weile schweigend nebeneinander her, in Richtung der Haltestelle.
 

„Deine Schwester ist sehr... nett.“

meinte L schließlich.
 

„Dann versuch mal, mit ihr zusammenzuleben. Sie ist wie ein großer, hyperaktiver Welpe, der um einen herumhüpft und Aufmerksamkeit will.“
 

L linste unter seinem Vorhang von Haaren hervor und lächelte ein bisschen.
 

'Er sieht richtig süß aus.'

schoss es Light durch den Kopf.

'Wieso ist es mir vorher noch nie so sehr aufgefallen?'
 

„Wir hatten mal einen Bernhardiner, Watari hatte ihn für ein paar Wochen zur Pflege aufgenommen.

Er ist an allen hochgesprungen und hat sie vollgesabbert.

Und wenn man ihn an der Leine ausgeführt hat, hat er einen unaufhaltsam hinter sich hergezogen.

Es war immer der Hund, der mit seinem Mensch spazieren ging, nie anders herum.

Aber irgendwie war es doch traurig, als wir ihn wieder abgeben mussten.“
 

Light lachte auf.

Nicht nur, weil die Vorstellung, wie ein riesiger Hund einen dürren L hinter sich herzog, zum Schreien komisch war.

Sondern auch, weil er zum ersten Mal ein kleines, sinnloses, alltägliches Stückchen von Ls Leben geschenkt bekommen hatte.

Er spürte ein warmes Etwas, das sich in seiner Brust ausbreitete.
 

L war offensichtlich noch nie zuvor Straßenbahn gefahren.

Er beobachtete interessiert, wie Light ihre Fahrkarten löste und starrte die Menschen um ihn herum neugierig an, die sich alle Mühe gaben, den merkwürdigen, unheimlichen Jungen zu ignorieren.

Sie setzten sich auf eine Stuhlreihe am Fenster, L wie immer mit angezogenen Füßen, und der Detektiv blickte kritisch auf den älteren Mann, der ihm auf der anderen Seite direkt gegenüber saß und krampfhaft auf seinen Schoß starrte, um Ls durchdringenden Blick zu entgehen.
 

„Light-kun, gibt es eine Regel, dass man während der Fahrt nicht nach oben schauen darf?“

Light grinste in sich hinein und schüttelte den Kopf.

Nun, das war auf jeden Fall interessanter, als mit irgendeinem Mädchen durch die Gegend zu fahren.

Nach etwa zehn Minuten wurde L langweilig und er begann, sich an der Haltestange über ihnen festzuhalten und im Sitzen, wie ein Äffchen, hin und her zu schwingen.

Ja, es war ganz und gar anders.

Light hatte das Gefühl, er könnte sich daran gewöhnen.
 

Es war schon eine Weile her, dass er in Aoyama gewesen war.

Aber trotzdem fand er das kleine Eiscafé wieder, indem er und sein Date damals gegessen hatten.

Das Café war ihm mehr in Erinnerung geblieben als das Mädchen.
 

Sie gingen in eine geschützte Ecke und L krallte sich sofort die Karte und blätterte sie kritisch durch.

„Guten Tag. Möchten Sie schon bestellen?“

strahlte sie die erschöpfte Bedienung an.
 

„Ja, ich hätte gerne Kaffee. Schwarz.“
 

„Und Sie?“

Ihr Ausdruck wurde ein bisschen unsicherer, als sie den Jungen mit den schwarzen Augenringen ansah.
 

„Ich hätte gerne den Fruchtsalat. Darauf hätte ich gerne zwei Kugeln Erdbeere und drei Kugeln Schokolade. Dann Smarties, vier Waffeln mit Puderzucker, Sahne, und zwei Stück von der Sacher-Torte dort im Schaufenster. Darauf zwei Kugeln Vanille. Bitte alles auf einen Teller und mit Erdbeer- und Schokoladensoße übergießen. Mit bunten Zuckerstreuseln obendrauf. Und eines dieser Schirmchen.

Und wenn sie mir auch bitte einen großen pinken Löffel mit Herz oben auf dem Griff geben, wie es das kleine Mädchen dort hinten hat.“
 

„Ich... werde sehen was ich tun kann.“

Die Bedienung floh schnell zurück in die Küche, bevor L noch mehr einfallen könnte.
 

Light schüttelte sich lautlos vor Lachen.

„Was ist so komisch, Light-kun?“

L sah ihn unverständig an.
 

Er atmete tief durch, um sich zu Beruhigen.

„L, niemand ist wie du! Du bist einfach Unglaublich!“
 

„Machst du dich lustig über mich?“

Er krauste skeptisch die Nase und knabberte an seinem Daumen.
 

„Nein, nein, es ist nur... ich fasse es manchmal einfach nicht, dass es jemanden wie dich wirklich gibt. Du bist Fantastisch.“

Light grinste.
 

„Ich habe immer noch das Gefühl, dass sich Light-kun über mich lustig macht.“

brummelte L und begann, die Zuckerwürfel, aus der Schale an ihrem Tisch, vor sich zu stapeln.
 

Light betrachtete nachdenklich sein zusammengekauertes Gegenüber.

„Als du noch regelmäßig Tennis gespielt hast, hat da dein Trainer nichts wegen deiner Haltung gesagt?“

fragte er vorsichtig.

Vielleicht war jetzt eine gute Möglichkeit, ein bisschen mehr über Ls Vergangenheit zu erfahren.
 

L blickte ihn mit großen Augen an.

„Meine Haltung?“
 

„Na ja, sie ist nicht unbedingt gesund. Und deine Essgewohnheiten sind es auch nicht.“
 

„Damals hatte ich beide Komponenten noch nicht so stark ausgeprägt.

Ich war... weniger Spezialisiert als heute.“
 

„Du solltest dich trotzdem ein bisschen mehr um dich kümmern. Sonst ist dein Rücken bald völlig kaputt und du bekommst einen Organschaden durch Mangelernährung. Oder Diabetes.“
 

„Light-kun macht sich Sorgen um mich?

Bevor irgend etwas von diesen Dingen passiert, werde ich nicht mehr Leben sein.

Jemand wie ich wird nicht alt.“

Er zuckte gleichgültig mit den Schultern und schnippte den Zuckerwürfelturm um.
 

Lights Eingeweide zogen sich unangenehm zusammen.

„So solltest du nicht denken. Diese Welt braucht Menschen wie dich. Du hast eine Verantwortung.“
 

'Du darfst noch nicht sterben. Ich will nicht, dass du stirbst.'
 

L steckte sich einen der Würfel in den Mund.

„Ich war der Ansicht, dass sich Kira-san über meinen Tod freuen würde.“

meinte er ungerührt.
 

Light biss sich auf die Unterlippe.

Was sollte er darauf nur antworten?

„Kira würde versuchen, alle Hindernisse zu beseitigen, die seinen Plänen im Weg stehen.“

sagte er vorsichtig.
 

Aber das stimmte ja nicht ganz, oder?

Denn L war anders, er war mehr wert als die Menschen um sie herum, ihn zu opfern wäre... schwerwiegender.

Und der Detektiv hatte Recht, zwischen ihnen war es persönlich geworden.

Weil neben den Tatsachen jetzt auch Gefühle in der Waagschale lagen, und das Gleichgewicht sich gefährlich verschoben hatte.
 

L sah ihn schweigend an, die dunklen Augen bohrten sich prüfend in ihn.

„Kira-san scheint von seinem Ziel sehr überzeugt zu sein.“
 

Nach einer kurzen Pause redete L leise weiter, den Blick auf die gestürzten Zuckerwürfel gerichtet.

„Ich hatte auch ein Ziel, von dem ich überzeugt war.

Ich wollte Menschen wie uns helfen. Den Ausgestoßenen, den Andersartigen, denen, die nicht in das Schema dieser Gesellschaft passten.
 

Watari und ich haben eine Einrichtung gegründet, die solchen Kindern die Möglichkeit gibt, zu Lernen, ihre Fähigkeiten und ihren Intellekt so einzusetzen, dass sie eine Nische in dieser Welt ausfüllen können, dass sie Anerkennung und Frieden mit sich und anderen finden.
 

Sie kamen aus aller Welt, viele von ihnen haben grausame Dinge erlebt, bei uns bekamen sie neue Namen und ein neues Leben, eine Chance.
 

Einer der ersten Schüler, der zu uns kam, war A.

Er war sehr ernst und ruhig, er arbeitete gewissenhaft und lieferte einwandfreie Ergebnisse.

Deswegen haben wir ihm eröffnet, dass er mein Nachfolger werden soll.

Er sollte der nächste L werden.
 

A setzte sich deswegen schwer unter Druck und ich habe es sogar noch unterstützt.

Ich wollte, dass er noch mehr aus sich herausholt, noch besser und schneller arbeitet.
 

Es war zuviel für ihn.

Er hat sich selbst das Leben genommen.“
 

Ls Finger krallten sich so fest in seine Knie, dass die Knöchel weiß heraustraten.

Light wagte nicht, sich zu rühren oder einen Laut von sich zu geben, aus Angst, L könnte aufhören zu Erzählen.
 

„Er wurde von einem anderen Schüler gefunden, B.

B war... sehr exzentrisch, aber außergewöhnlich begabt. Er und A waren zwar Rivalen um meine Nachfolge, aber ich weiß, dass sie trotz allem befreundet waren.

A hatte sich im Treppenhaus erhängt und B saß direkt vor ihm, er war völlig hysterisch und hat geschrien, er könnte den Tod sehen, dass As Zeit abgelaufen gewesen wäre, dass die Zahlen auf Null standen.
 

Es hat vier Tage gebraucht, bis er wieder bei Vernunft gewesen war.

Seitdem hatte er sich verändert. Er war immer recht schwierig gewesen, aber jetzt war er aggressiv und unberechenbar.

Er hatte sich selbst zu meinem nächsten Nachfolger ernannt, und ich habe es geduldet.

Ich habe ignoriert, wie krank B war, in der Hoffnung, wenn er eine ihn auslastende Arbeit hätte, würde es ihm besser gehen.
 

Er wollte sein wie ich, er hatte begonnen, mich zu imitieren, mein Aussehen und meine Gewohnheiten.

Und ich war... fasziniert von ihm. Er war bösartig und gerissen, er hat seine Umgebung terrorisiert, aber ich fand ihn so interessant.
 

Ich konnte nicht anders, ich wollte sehen wohin das führen würde. B war ein Tsunami, der sich in Zeitlupe vor mir abspielte, und ich musste... ich musste einfach...“
 

L stockte und holte zitternd nach Luft.
 

„Wir hatten oft gemeinsam Tennis gespielt.

Mit ihm zu reden war erschreckend und wunderschön zugleich, er war pervers und unsagbar klug.

Ich kann bis heute nicht sagen, ob er mich liebte oder hasste, aber ich war seine Welt.

Und ich habe es genossen. Ich habe ihn ANGESPORNT.
 

Er ist gegangen. Er hat die Institution verlassen und war wie vom Erdboden verschluckt.

Und dann hörten wir von dem ersten Mord.
 

Er hatte sich soviel Mühe gegeben, er wollte ein perfektes Verbrechen kreieren, um mich zu schlagen. Am Ende konnten wir ihn fassen. Er war bereit gewesen, das letzte Opfer zu sein, er hatte alles vorbereitet, damit es so aussähe, der Mörder habe ihn umgebracht. Das letzte Puzzlestück, und das unlösbare Verbrechen wäre vollendet gewesen.
 

Als meine Agentin in das Zimmer kam, hatte er sich schon mit Benzin übergossen und angezündet.

Sie hat das Feuer sofort löschen können. Er ist dann aus dem Krankenwagen entkommen.

Wir haben ihn überall gesucht.“
 

L stockte wieder und starrte ins Nichts.
 

„Habt ihr ihn gefunden?“

fragte Light vorsichtig.
 

„Ja. Ich, ich habe ihn gefunden. Er hat sich von mir finden lassen.

Es war in einer verlassenen Scheune.

Ich war so schockiert, ich konnte nicht glauben dass das derselbe Junge war, zu dem ich mich so hingezogen gefühlt habe.

B sah... nicht mehr menschlich aus, der ganze Körper verbrannt, er kroch auf allen Vieren.

Er war blutverschmiert, aber das meiste war nicht von ihm.
 

Er hat mich angegrinst und mich gegrüßt wie einen lange vermissten Freund.

In der Ecke konnte ich die blutige Masse erkennen, die einmal die Bauernfamilie gewesen war, es stank fürchterlich und Fliegen kreisten darum.

B kaute, er kaute auf ihrem Fleisch.
 

Ich glaube, ich bin ohnmächtig geworden.

Als ich wieder aufgewacht war, lehnte er sich über mich und ich konnte den brodelnden Wahnsinn in seinen Augen sehen.

Er sagte, dass er ein Shinigami wäre, dass er den Tod bringen würde, wenn die Zahlen auf Null stehen.

Er hat mich ausgelacht, er hat gesagt, dass ich zu schwach wäre, um L zu sein, dass er jetzt meinen Platz einnehmen würde.

Er hat mir meinen Namen gesagt, meinen richtigen Namen, den ich nie jemandem verraten habe.

Dann hat er das Benzin genommen...“

L hatte seine Hände in seinen Haaren vergraben und sagte nichts mehr weiter.
 

'Den Tod sehen. Die Zahlen standen auf Null. Ryuk hat doch etwas ähnliches gesagt.

Mit den Augen eines Shinigami könnte man den Namen und die verbleibende Lebenszeit erkennen.'

fiel es Light wieder ein.
 

'Was zum Teufel hatte das alles nur zu bedeuten?'

Allianz

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Road Trip

„Ok, es geht weiter.“

Matt ließ sich auf den Fahrersitz fallen und warf eine große Plastiktüte nach hinten auf Mellos Schoß.
 

„Waaa...!“

schreckte Mello aus dem Schlaf hoch und versetzte Near beinahe aus Versehen einen Schlag ins Gesicht.

„Kannst du nicht besser aufpassen, du Arschloch?“

Kommentarlos trat Matt aufs Gas und raste die Straße hinunter.
 

Near klammerte sich sofort an Mello fest und tastete mit der anderen Hand nach dem Sicherheitsgurt.

Matt hätte sich ruhig noch etwas Zeit lassen können.

Mello war schnell eingedöst, benebelt von Alkohol und Schlafmangel, und das war ein völlig neuer Anblick gewesen.

Er atmete tief, schnarchte ab und zu, ein kleiner Speichelfaden hing ihm aus dem Mund, er brummelte unverständliches Zeug und verzog das Gesicht, hielt nie länger als ein paar Minuten still und der Arm um Near ließ immer wieder locker, um ihn dann noch enger zu sich zu ziehen.

Near hätte ihm stundenlang beobachten können.
 

„Mello-kun sollte sich anschnallen.“

Near ließ seinen Verschluss einrasten.
 

„Schnauze! Oh fuck, mein Kopf. Ich glaub, ich werd nüchtern.“
 

Near drehte eine Strähne ein und versteckte sein Grinsen.

„Die Chancen, bei einer schweren Kollision ohne Gurt zu überleben, stehen bei unter 2 Prozent.“
 

Mello schnaubte nur und leerte den Tüteninhalt auf den Rücksitz.

„Was ist denn das alles für ein Scheiß? Bio-Reiswaffeln?“
 

Matt sah nach hinten in den Rückspiegel.

„Hast du denn was zu Essen dabei, abgesehen von Schokolade? Dieses Zeug ist echt heftig, wenn man da nichts im Magen hat, ätzt es einem die Innereien weg.“
 

„Was ist denn an Schokolade auszusetzen? Ich ess seit Jahren so gut wie nichts anderes.“
 

„Ja, und schau nur, was aus dir geworden ist.“
 

„Stimmt irgendwas nicht mit mir?!?“
 

„Willst dus alphabetisch?“
 

Near blendete Mellos Geschrei und Matts monotone Antworten so gut es ging aus, und zupfte sich die Reiswaffeln aus dem Berg.

Matt hatte natürlich recht, so sehr Near es auch vermeiden wollte, wenn er seine Tabletten wollte, brauchte er eine Grundlage.
 

Er brach ein kleines Stück von dem weißen Keks ab und steckte es zwischen die Lippen.

Sofort schien seine Mundhöhle staubtrocken und die Zunge klebrig und schwer, Near unterdrückte seinen Würgreiz. Gott, wie er das hasste.

Er kaute angewidert auf seinem Bissen und hoffte auf ein wenig Speichel, um ihn herunterzubekommen.
 

„Siehst du?! Ihm schmeckts auch nicht. Kein Wunder, das Zeug ist doch reine Pappe!“
 

Matt seufzte.

„Was isst du denn sonst so, Near?“
 

„Haferflocken mit Wasser.“

presste er hervor, als er gequält hinunterschluckte.

„Manchmal auch mit Milch.“
 

Stille breitete sich im Wagen aus.

„Na, da lag ich ja ziemlich nah dran. Weichen wir die Waffeln einfach ein bisschen ein.“

meinte Matt, als er sich eine Zigarette anzündete.
 

„Kein Scheiß?“

Mello sah ehrlich schockiert aus.

„Bist du irgendwie gegen alles, das es gibt, allergisch, oder so?“
 

„Das kann ich nicht genau sagen.“

Near nahm einen Schluck vom 'Fitness-Gesundheits-Grüntee aus biologischem Anbau'.

„Ich kann mich nicht erinnern, jemals andere Essgewohnheiten gehabt zu haben. Ich bin zufrieden damit. Ich fühle mich leicht.“
 

So, drei Bissen dürften genügen.

Near öffnete methodisch die Tablettenschachteln und zwang sich seine Tagesrationen erleichtert nach unten.

Für Heute geschafft!
 

„Ich reg mich wieder auf, wenn mein Kopf aufhört, mich zu foltern.“

Mello kletterte in den Beifahrersitz und schlief prompt wieder ein.
 

„Sind Matt-kun und Mello-kun Freunde?“

fragte Near nach einer Weile.

Zwischenmenschliche Beziehungen waren nie seine Stärke gewesen.

Sie waren schwammig und wechselhaft, Begriffe wie Freund, Partner oder Bekannter waren zu undeutlich definiert, die Grenzen viel zu oft schwimmend.
 

„Weiß nicht.

Ist man befreundet, weil man schon den größten Teil des Lebens miteinander rumhängt?“

Matts Finger hielten die Zigarette aus dem offenen Fenster, kühle Morgenluft vermischte sich mit dem Geruch von Rauch.

„Jeder muss sich irgendwann eine Aufgabe suchen, die einen sein Leben lang beschäftigt. Mello ist der Grund, weshalb ich lebe.

Solange ich diesem abgedrehten Ein-Mann-Zirkus hinterherrenne und seinen Dreck wegräume, sehe ich noch einen Sinn darin, weiterzumachen.

Was nicht heißt, das ich den Kerl heiß und innig liebe. Es hat sich einfach alles so ergeben.“

Er blickte neben sich zu Mello, der wieder mit dem Schnarchen begonnen hatte.

„Weiß nicht, ob das Freundschaft ist.“
 

Near fühlte sich seltsam erleichtert.

„Du kümmerst dich gut um ihn.

Mello hat Glück, das er dich hat.“
 

Matt schüttelte den Kopf.

„Ich hab keine Ahnung, was in seinem Hirn vor sich geht. Es ist nur ein Trost, dass er es die meiste Zeit auch nicht weiß.“
 

„Es gab Probleme heute morgen, oder?“
 

„Die verfluchte Halle war total unübersichtlich. Hab mir nen Verkäufer zur Hilfe geholt.“
 

„Hast du ihn getötet?“
 

„Nee, ich hab ihn lieb gebeten, uns bitte nicht an die Polizei zu verraten... Ja, ich hab ihn getötet.“
 

„Danke.“
 

„Keine Ursache.“
 

Stunde um Stunde verging. Mello schlief beinahe den ganzen Tag, ruhelos und immer wieder einen Schwall kleiner Geräusche von sich gebend.
 

Matt hatte große Kopfhörer auf, aus denen leise Bässe kamen, und rauchte, während er über die immer verlasseneren und ländlicheren Straßen fuhr.
 

Near baute sich Türme aus Tablettenschachteln, so gut es während der Fahrt ging.

Die Schmerzen waren fast völlig verschwunden und seine Gedanken begannen zu wandern.
 

Kira und Jinx. Sie mussten diese Verbrecher fassen.

Mello war zwar wütend geworden, als Near den Fall das letzte Mal angesprochen hatte, aber Near konnte es sich nicht wirklich vorstellen, dass es an dem Vorschlag selbst lag.
 

Egal, wie positiv oder negativ die Erinnerungen an Wammys Haus sein mögen, es war ihre Heimat, ein Zuhause für sie, die verlorenen Kinder.

Und L war für sie alle ein Vorbild und eine Respektsperson.

Sie mussten ihm helfen und ihre Aufgabe als seine Erben erfüllen.
 

Mello hatte an L gehangen, ihn vergöttert.

Es hatte damals oft an Near gefressen, wie viel Aufmerksamkeit L von Mello bekam.

Aber Mellos Leidenschaft für L und seine Leidenschaft für Near wurden mit der Zeit zu zwei so unterschiedlichen Dingen, das Near seinen Frieden damit schließen konnte.
 

Near hatte den Detektiv bewundert wie alle anderen Kinder, auch wenn er kaum von seinen Puzzles aufgesehen hatte, wenn L im Raum gewesen war.

So hatte er zwar noch ein grobes Bild von dem Mann im Kopf, groß und dünn, Augenringe und ein starrer Blick, aber hauptsächlich war L für ihn eine tiefe, monotone Stimme und ein kluger, scharfsinniger Geist.
 

Mello würde diesem großartigen Menschen helfen wollen und Near wollte es auch.

Zusammen würden sie L retten, die Welt von Kira und Jinx befreien und dann könnten sie irgendwo hin gehen, Mello und er. Vielleicht mit Matt. Vielleicht sogar mit L.
 

Zu einem Ort, der still und kühl ist.

Der leichte Geruch von Matts Zigaretten in der Luft, Ls leise Stimme im Ohr.

Wo der Wind feucht und salzig vom Meer weht und eine blasse Sonne auf Mellos Haaren leuchtet.

Ein Ort mit einem leeren, ruhigen Himmel.
 

Irgendwann nickte Near ein.
 

Als er wieder wachwurde, hielt der Wagen ruckartig an. Es war draußen schon fast dunkel und sie standen vor einem großen länglichen Gebäude, ein Motel, wenn man von der flackernden Leuchttafel ausgehen konnte, mit einem sehr zwielichtigem Aussehen.
 

Mello hatte ausgeschlafen und minimal bessere Laune.

„Geh rein und besorg uns bei Norman Bates n Zimmer, ok?“
 

„Du bist der Boss. Aber ich werd nicht duschen, das sag ich gleich.“

Matt stieg aus und stapfte auf die Anmeldung zu.
 

„Ihr kennt den Besitzer? Stimmt etwas nicht mit den Badezimmern?“
 

Mello zuckte heftig zusammen.

„FUCK! Hast du mich erschreckt! Warn mich doch erst mal vor.“

Er drehte sich zu Near um, seine Haare standen ihm nach der langen Fahrt wirr vom Kopf.

„Norman Bates. Hast du Psycho nicht gesehn?“
 

„Wenn es eine Anspielung auf einen Film ist, ich beschäftige mich so gut wie nicht mit Popkultur.“
 

„Das ist Hitchcock. Das ist n Klassiker.“

Mello wickelte sich eine Tafel Schokolade aus.
 

Near drehte sich unsicher die Haare ein.

„Wie ist die Handlung?“
 

Mello biss herzhaft ab.

„Kann ich dir nicht sagen, das würde den ganzen Film ruinieren. Wir sehen ihn uns irgendwann an, ok?“
 

„...ok.“

Er begann wieder, die Schachteln zu stapeln.

Mello wollte mit ihm einen Film anschauen, es gab keinen Grund, nervös zu sein. Oder Glücklich. Oder Aufgeregt.

„Wir gehen nach Los Angeles...“

wechselte er schnell das Thema.
 

„Hm...“

Mello kaute vor sich hin.
 

„Was werden wir dort tun?“
 

„Wir könnten einen nervtötenden Klugscheißer entführen, eine Schießerei anzetteln und unser Haus abfackeln, um dann in einem uralten Schrotthaufen und einer halben Apotheke quer durchs Land abzuhauen. Aber das haben wir ja schon gestern gemacht.

Ich würde vorschlagen, wir helfen L und machen bei der Kirasache weiter.“
 

„Ich glaube nicht, dass die Polizei, sämtliche Geheimdienste oder Wammys Haus es gutheißen würden.“
 

„Sind wir hier im Kindergarten, oder was? Ich werd nicht um Erlaubnis fragen!“

Mello hatte sich zurückgelehnt und aß trotzig weiter, die Füße auf das Armaturenbrett hochgelegt.
 

„Du hast wegen mir viele Probleme bekommen.“
 

„Alle Probleme, die ich je hatte, waren wegen dir. Ein paar mehr oder weniger sind jetzt auch nicht weiter schlimm.“
 

Oh.

Near war für einen Moment sprachlos.

„Warum... warum ist Mello-kun dieser Ansicht?“
 

„Ach, vergiss es.“
 

Near starrte auf Mellos Profil, immer wieder kam er an einen Punkt, an dem er Mello nicht mehr verstand.

Er fragte sich, ob sich das je ändern würde, oder ob er für Near auf ewig das unlösbare Puzzle bleiben würde, dessen Teile sich ständig zu verformen schienen.
 

„Wird sich L freuen, wenn wir ihm helfen?“

fragte Near schließlich.
 

„Keine Ahnung.“
 

„Was denkst du ist passiert, in Japan? Wieso will Watari einen neuen L?“
 

„Wer weiß... L hat schon ne Menge Sachen mitgemacht. Vielleicht...“

Mello klang nachdenklich und schüttelte dann den Kopf.

„Naja, das wissen wir erst, wenn wir diese Geschichte entwirrt haben.“
 

Near legte den Kopf schief und drehte seine Strähne langsamer und langsamer.

Mello ahnte etwas.

Was wusste er über L?

Was könnte es sein, das es den größten Detektiv der Welt zu Fall bringen könnte?

Krisenbewältigung

Die Straße war schnurgerade und der Beat in Matts Ohren gleichmäßig und angenehm.

So sehr er Mellos anarchistische, wilde Energie mochte, war er doch immer wieder dankbar, wenn er in der grauen Leere und Eintönigkeit versinken konnte.

Ein tiefes Luftholen vor dem nächsten Sprint.

Matt nahm seine Kopfhörer herunter, als Mello ihn antippte, verschlafen und mit tiefen Furchen zwischen den Augenbrauen.

„Hat er noch was gesagt?“

Er zeigte mit dem Daumen auf Near, der auf dem Rücksitz schlief
 

„Weiß nicht. Du hast so laut geschnarcht, da hat man sein eigenes Wort nicht mehr verstanden.“
 

„Ich schnarche nicht!“
 

„Natürlich.“
 

Mello zog sich eine verbeulte Schokoladentafel aus der Hosentasche und knabberte an ihr herum.

„Wir sollten uns ein Motel suchen.“
 

„Warum? Du hast die ganze Zeit geschlafen, du kannst mich beim Fahren ablösen. Wir sind auf der Flucht, nicht auf Ferienreise.“
 

„Wegen Near.“
 

Matt verdrehte die Augen.

„Wenn wir im Knast landen, bin ich der Erste, der dich unter der Dusche fickt.“
 

„Deal.“

Mello gab normalerweise nie so schnell auf.
 

Matt steckte sich eine neue Zigarette an, Mello würde schon früher oder später damit rausrücken

„Schon ne Idee, wies in Los Angeles weitergehen soll?“
 

„Wir sind die Top drei der Wammys, wir lösen den Fall.“

meinte Mello bestimmt.
 

„Schön dass du das so siehst. Hab unseren Investoren nämlich schon gesagt, dass wir an Kira und Jinx dran sind, da sind sie sehr kooperativ geworden. Wäre schade, wenn wir sie jetzt enttäuschen würden. Und mit schade meine ich: Sehr, sehr schmerzhaft.“
 

„Ich hasse dich.“
 

„Ich weiß, Mellinda, ich weiß.“
 

Eine halbe Stunde verging schweigend.
 

„Matt?“
 

„Hm?“

Na endlich.
 

„Ich glaub, ich kann das nicht.“
 

„Was genau?“
 

Mello nickte in Nears Richtung.
 

„Das da.“
 

Der Kleine? Was war den jetzt schon wieder das Problem!?

„Du hast ihn unbedingt gewollt. Jetzt leb damit, oder wir entsorgen ihn. So einfach ist das.“
 

„Es ist nicht, das ich ihn nicht will. Es... ich... ich will ihn, glaub ich, zu sehr. Verstehst du?“
 

„Kein Wort. Entweder man will etwas, oder nicht.“
 

„Ich mache Dinge kaputt, Matt. Das war schon immer so gewesen. Ich kann gar nicht anders.

Wenn ich Near ansehe, dann habe ich schlechte Gedanken.“

Mello fingerte an seinem Rosenkranz.

„Wirklich Schlechte. Es geht nicht ums Töten oder so etwas. Naja, auch, aber ich will ihn... ich weiß nicht... einsperren, festketten, ich will ihn zerstören, völlig und endgültig, seinen Verstand und seinen Geist und seinen Körper. Und dann... will ich ihn aufessen. Damit nichts, nichts mehr von ihm übrig bleibt.

Weil ich will, dass er mir gehört. Nur mir allein.“

Seine zitternde Hand krallte sich um das Kreuz.

„Seit er damals ins Waisenhaus gekommen ist, geht das schon so.

Ich hab gedacht, dass es besser wird, wenn wir zusammen sind. Dass es vielleicht sogar aufhört.

Aber ich hab das Gefühl, es wird schlimmer...“
 

Matt hatte das Bedürfnis, seinen Kopf auf das Lenkrad zu knallen.

Oder noch besser Mellos Kopf.

„Dir kann man es aber auch nie Recht machen.

Du bist ein soziopathisches, bipolares, sadistisches Arschloch?

Jeder, der sich länger als drei Minuten in Hörweite von dir befindet, kriegt das mit.

Near kennt dich jetzt schon wie lange? Zehn Jahre?

Er weiß, auf was er sich einlässt und ist trotzdem hier.

Was zwar nicht unbedingt für seine geistige Gesundheit spricht, aber hey, ist doch gut für dich.“
 

„Darum geht’s nicht!“
 

„Wie wärs wenn du ein paar von Nears Pillen schluckst und wieder runterkommst.“
 

„Verstehst du irgendetwas, von dem, was ich versuche dir zu sagen!?“
 

Matt seufzte und warf seine Kippe aus dem Fenster.

„Du willst ihn beschützen, aber dir ist klargeworden, dass du mit Abstand die größte Bedrohung für ihn bist.“
 

Mello kaute stumm weiter und sein Blick starr aus dem Fenster auf den dichten Wald gerichtet, durch den sie fuhren.
 

„Hör mal,“

meinte Matt nach einer Weile, als Mello immer noch keinen Ton von sich gab

„Near ist kein Kind.

Außerdem ist er verdammt klug und wenn er wirklich abhauen wollen würde, würde er es hinkriegen, das weißt du auch.“
 

„Halt kurz an.“
 

„Was, hier?“
 

„Ja, halt an!“
 

Mello stolperte aus dem Auto, noch bevor es komplett stand, und schlug sich durch das Unterholz in den Wald.

Matt sah ihm verwirrt hinterher. Sollte er ihm nachlaufen?

Er sah nach hinten, wo Near immer noch tief und fest schlief.

Besser nicht.

Wenn irgendwer vorbeikommt und ihn mitnimmt, dreht Mello durch.
 

Er stieg aus und lehnte sich an den Wagen, als er sich eine Zigarette anzündete.

Vielleicht musste er nur mal dringend pissen, oder...

Aus weiter Entfernung drangen gedämpfte Schüsse durch den Wald.

Matt sah erstaunt auf.

Vögel stoben aus den Bäumen, Äste krachten, ein Reh floh über die Straße auf die andere Seite.

Dann wurde es still.

Mello kam langsam wieder aus dem Wald hervor, schwer atmend und die Waffe immer noch in der Hand.
 

„Den Bäumen hast dus aber gezeigt. Gehts dir jetzt besser?“
 

„Ja.“

Mello lächelte erschöpft.
 

Matt pflückte ihm beiläufig ein Blatt aus den Haaren und schlenderte auf die Fahrerseite.

„Dann kanns ja weitergehen.“
 

Der Rest der Fahrt verlief ohne Probleme.
 


 

Anmerkung:

Freue mich über Reviews! Traut euch, Leute!

In und über das Kuckucksnest

Als der sechsjährige Mihael Keehl nach England gebracht wurde, hatte er sich mit Händen und Füßen gewehrt.

Er wollte nur weg von diesen fremden Leuten, die versuchten, in gebrochenen Slowenisch auf ihn einzureden, von dem fremden Land, von dem fremden, riesigen Haus voller Menschen, die ihn anstarrten und in ihrer Sprache miteinander redeten.
 

Vor allen Dingen wollte er aber zurück zu seinen Eltern.

Wo war nur sein Papa?

Er war ein großer, starker Mann, er würde diese bösen Menschen alle töten und ihn retten!

Und Mama...

Er musste auf Mama aufpassen, bis Papa wieder da war.

Mama war doch so krank!
 

„Lass mich los! Lass mich los, du Scheißkerl! Ich muss nach Hause! Ich muss Mama beschützen! Lass mich!“
 

„Junge, deine Mutter ist tot.“

sagte einer der Männer.
 

„LÜGNER! Mein Papa wird euch alle umbringen!“
 

Die Männer redeten kurz in ihrer fremden Sprache und dann brachten sie ihn in ein Zimmer, in dem ein einzelnes Bett stand. Mihael wurde mit festen Stoffgurten an das Bett gefesselt, 'fixieren' haben sie es genannt. Dann hatten sie ihm eine Spritze gegeben, die ihn ruhig werden ließ.

Er weinte die ganze Nacht.
 

Mama war nicht tot. Sie war nur immer so müde, sie wollte schlafen, bis Papa wieder da wäre. Mihael war neben ihrem Bett gesessen, hatte ihre Hand gehalten und halblaut den Rosenkranz für sie und Papa gebetet. Die Tabletten brauchte sie, damit sie wieder gesund wurde. Und je mehr sie nahm, desto schneller würde sie wieder aufstehen können.

Bis dahin würde Mihael bei ihr bleiben, für sie beten und die lästigen Fliegen verscheuchen, die ständig um sie herumkreisten.
 

Wochen und Wochen vergingen.

Die Männer erzählten ihm Dinge, die keinen Sinn ergaben.

Dass sein Papa böse Dinge getan, aber damit aufhören gewollt, hätte.

Deshalb hätte er den Männern viele Informationen gegeben, damit sie ihn und Mama und Mihael vor Papas ehemaligen Freunden beschützten.

Aber sie hätten Papa trotzdem gefunden und umgebracht.

Seine Mama wäre darüber so traurig gewesen, dass sie krank geworden wäre vor Trauer und zu viele Medikamente genommen hätte.

Sie sagten, als sie Mihael und Mama in dem Versteck auf dem Dachboden gefunden hätten, wäre sie schon seit mindestens einer Woche tot gewesen.
 

Die Männer redeten von etwas, das sie 'Zeugenschutzprogramm' nannten.

Mihael spuckte und biss und trat um sich.

Er verbrachte noch viele Nächte auf dem Bett mit den Gurten.
 

Eines Tages brachte ihm ein Mann Bücher, Slowenische und Englische.

„Kannst du schon lesen?“

„Natürlich, du Arschloch!“

Er schwor sich, sie unberührt liegenzulassen, aber die Langeweile war noch unerträglicher.

Er lernte Englisch.

Schnell türmten sich in seinem kleinen Zimmer die Bücher.

Wissen war seine einzige Waffe, wenn er genügend Lernen und Verstehen würde, könnte er aus diesem kalten, grauen Ort entkommen und endlich wieder nach Hause.
 

Ein paar Tage nach seinem siebten Geburtstag traf er das erste Mal L.

Er dürfte damals nicht älter als sechzehn gewesen sein, aber er war so groß wie alle anderen Erwachsenen und damit automatisch ein Feind.
 

Obwohl er witzig aussah, denn er saß mit den Füßen auf dem Stuhl und hatte einen Lutscher im Mund. Und er sah Mihael nicht an, als hätte er Angst, er könnte ihn jeden Augenblick angreifen, wie es alle Anderen mittlerweile taten.
 

„Hallo, ich bin L. Möchtest du auch?“

Der Mann mit den strubbeligen Haaren reichte Mihael einen neuen Lutscher aus seiner Hosentasche.
 

„Den kannst du behalten und dir in den Arsch schieben.“

fauchte Mihael auf Slowenisch zurück.
 

„Das war aber nicht sehr nett.“

sagte L, immer noch auf Englisch, und blinzelte ihn mit seinen großen Eulenaugen an.

Und dann wechselte er, zu Mihaels Erstaunen, zu nahezu akzentfreiem Slowenisch.

„Ich habe gehört, du liest sehr viel und du lernst schnell. Ich habe auch gehört, dass du es hier hasst und dich weigerst, mit deinen Ärzten und Therapeuten zu reden.

Dass du gewalttätig bist, zu einem Grad, dass du eine Gefahr für dich selbst und für andere darstellst.

Wenn du weiterhin alles und jeden bekämpfst, wirst du hier bleiben müssen, bis du stirbst.“
 

„Ich geh wieder nach Hause! Zu meinen Eltern!“
 

L zog aus der Tasche neben sich eine dicke Akte und reichte sie ihm.

Er kramte sie ungeduldig durch.

Unzählige Zettel mit Fremdwörtern und Zahlen und Abkürzungen, aber spätestens bei den Photos war Mihael klar, was er in den Händen hielt.
 

Marko und Irena Keehl.

Papa mit einem großen, ekligen Loch im Hinterkopf.

Mama mit vertrockneter Haut und starren Augen.
 

Er ließ die Akte sinken. Die Welt flimmerte vor seinen Augen, die letzte Hoffnung, dass alles eine Lüge sein könnte, verloren.

Wie hatte er es nur vergessen können? Seine Eltern waren tot.

Er hatte selbst die Schüsse gehört, als sie seinen Papa erschossen hatten, seine Mama hatte ihm oben im Versteck im Arm gehalten und die Hand auf seinen Mund gedrückt.

Und als die Zeit verging hatte Mama sich nicht mehr gerührt und es hatte angefangen zu stinken und diese Fliegen...
 

„Dein Zuhause gibt es nicht mehr. Deine Eltern sind nicht mehr am Leben. Es gibt keinen Weg zurück, entweder, du bleibst stehen und verbringst den Rest deiner Tage hier, oder du gehst nach vorne.

Du bist stark. Und du bist klug. Du musst jetzt lernen, für dich selbst zu sorgen.

Ich kann dich hier herausholen. Aber du musst es wollen. Du musst dich entscheiden, ob du stillstehen oder vorwärts laufen willst.“
 

Mihael sah stumm auf seine geballten Fäuste auf seinen Knien.

Er wollte nicht mit diesem Mann mitgehen, auch wenn er lustig aussah und Süßigkeiten hatte und mit ihm umging, wie es sein Vater früher getan hatte, geradeheraus und nicht, als wäre er ein dummes Kind, das nichts verstehen würde.

Aber wenn er es tun würde... alles war besser, als das hier.
 

„Ich will nicht hierbleiben.“

murmelte er.
 

„Du gehörst nicht hierher. Du brauchst keine Therapeuten und Spritzen. Du brauchst eine Aufgabe.

Wir sind anders als normale Menschen. Es gibt eine Einrichtung, 'Wammys Haus'. Dort kannst du alles lernen, was man wissen muss, um in dieser Welt zu überleben.

Willst du mitkommen?“
 

Und Mihael nickte.
 

Es gab nichts, was er in Wammys Haus mitbrachte, bis auf den Rosenkranz seiner Mutter.

Nicht einmal seinen Namen.
 

„Du kannst sein, wer und was du willst.“

hatte ihm L am Eingangstor gesagt.

Er hatte es dem Detektiv nie vergessen, dass er ihm eine Chance gab, Mello zu werden.
 

L war ein Held. Was aber nicht hieß, dass er unbesiegbar war.

Was auch immer da in Japan passierte, Mello hoffte, dass L einen klaren Kopf behielt.

Und, dass nicht noch einmal jemand wie B aufgetaucht war.
 

„Mello-kun hat eine Vermutung.“

durchbrach Near seinen Gedankengang.
 

„Nich so wichtig.“
 

Matt kam wieder auf das Auto zu und hielt seine Hand hoch, an der ein kleiner Schlüssel baumelte.

„Es gibt nur Zweibettzimmer.“

verkündete er, als er einstieg.

„Aber ihr zwei kuschelt ja so gerne.“
 

Es half nichts, jetzt über L und B und diese ganze abgedrehte Scheiße nachzudenken.

Er gab Matt einen festen Schlag auf den Hinterkopf, mehr aus Gewohnheit als aus Ärger.

Mit Near in einem Bett zu schlafen hörte sich gar nicht so schlecht an.

Privatsphäre

Matt fuhr schwungvoll den kurzen Weg zu ihrem Apartment und hielt mit quietschenden Reifen davor an.

„Geht schon mal rein.

Weiter vorne solls noch Automaten geben, an dem man sich was zu Trinken kaufen kann und etwas, dass vage an Sandwichs erinnert.“
 

Near beäugte den Weg vom Wagen zur Eingangstür.

Das kurze Stück selbst zu Laufen dürfte kein Problem sein, soweit hatten sich seine Beine wieder regeneriert.

Die Frage war nur, ob Mello wütend wäre, wenn er es ansprechen würde...
 

Near war zu dem Schluss gekommen, dass es Mello um Kontrolle ging, als er gesagt hatte, dass es ihm gefiele, wenn Near unfähig war, aufzustehen.

Kontrolle und Macht waren die zwei Dinge, die Mello offenbar bei ihm anstrebte, ein Versuch, seinen Minderwertigkeitskomplex von früher zu bewältigen.
 

Aber sich schwächer zu geben, als er war, wollte Near nicht.

Er würde nicht einfach Mellos Ego aufbauen, um dann, wenn er sich selbstbewusst und überlegen fühlen würde, von ihm weggeworfen zu werden.

Near wollte mehr sein, als ein alter Ballast von Mellos Kindheit, die endlich überwunden werden und dann in Vergessenheit geraten würde.
 

Es war so einfach, viel zu einfach, sich in Mellos Gegenwart fallenzulassen, von seinem wilden Strom mitgerissen zu werden.

Aber sich willenlos hinzugeben war keine Option.

Near wollte für ihn ein Gegenüber sein, nicht jemand, über den man verfügen konnte, wie es einem gefiel. Mello musste ihn als eigenständigen Menschen sehen, anders wäre es unmöglich, etwas wie eine funktionierende Beziehung aufzubauen und es wäre schnell alles vorbei.

Selbst wenn Near riskieren musste, Mello aggressiv zu machen.

Er würde ihn ja nicht einfach sitzenlassen, oder?

Oder?
 

Mello öffnete Nears Autotür und zerrte die Medikamententüte heraus, er musste sich jetzt entscheiden.

Er rutschte leicht von Mello weg, als er nach ihm griff.
 

„Es geht schon wieder sehr viel besser. Ich denke, den Weg kann ich alleine bewältigen, vielen Dank.“
 

Mellos eisblaue Augen weiteten sich kurz, dann nickte er langsam.

Er ging nach vorne zu der Beifahrerseite und versetzte dem Wagen mit voller Wucht einen Tritt, dass eine große Beule in der Tür zurückblieb.

„Gott, ich hasse dieses Auto!“
 

Near kletterte aus dem Wagen und stellte sich vorsichtig in seinen schwarzen Strümpfen auf den steinigen Boden.

Er ahnte, dass dieser Tritt eigentlich für ihn bestimmt war.

Mello gab sich Mühe...

Das war ein gutes Zeichen.

Oder?

Near begann der Kopf wehzutun, Gefühle einzuschätzen war so anstrengend.
 

Er schlich langsam hinter Mello her, der mit dem Schlüssel in der Hand zu der Tür stapfte und sie hinter sich für Near offenstehen ließ.
 

Das Zimmer war recht groß und einigermaßen sauber, obwohl Near schauderte bei dem Gedanken, wie viele Menschen wohl schon die Betten und das Bad benutzt hatten.

Wer weiß, was schon alles hier passiert war? Und welche Keime hinterlassen wurden?
 

Er verdrängte den Gedanken, so gut es ging, und besetzte das Bett, das weiter von der Tür entfernt war.

Mello lief ruhelos im Zimmer umher, durchwühlte den Koffer, den er mitgebracht hatte und schaltete schließlich den Fernseher an.

Near wünschte sich, Mello würde sich hinsetzten. Er machte ihn nervös.
 

Im Fernsehen lief eine Sitcom, laute und unangenehme Charaktere, ständig unterbrochen von Gelächter und Klatschen.

Nahmen die Macher dieser Shows an, ihr Publikum wäre zu beschränkt, um zu verstehen, dass gerade ein Witz erzählt wurde, oder waren sie sich über die grauenhafte Qualität ihrer Sendungen bewusst und wollten so ihre Zuschauer trotzdem zum Lachen motivieren?

Near drehte sich eine Strähne um den Finger.
 

Mello hatte offenbar denselben Gedanken.

„Wenn Kira und Jinx unbedingt jemand töten wollen, könnten sie sich an die Produzenten von diesem lauwarmen Scheiß halten!“
 

Er hatte den Arm voll mit Handtüchern und Waschutensilien.

„Ich geh ins Bad. Komm mit.“
 

Near spürte, wie er rot wurde.

„Ich bin sehr dankbar für deine Hilfe gestern. Aber ich bin unter normalen Umständen sehr wohl in der Lage, meinen alltäglichen Verrichtungen eigenständig nachzugehen.“
 

Mello starrte ihn an, sein Gesicht für einen Moment völlig ausdruckslos.

„Wenn du nicht sofort hierherkommst, werd ich dafür sorgen, dass du den Rest deines Lebens aus ner Schnabeltasse trinkst.“

Seine Stimme klang gefährlich ruhig.

Er drehte sich um und ging in das Badezimmer.
 

Near kam anstandslos hinterher.
 

Mello hatte begonnen, sich ungeniert vor ihm auszuziehen.

Seine Schultern waren etwas schmal gebaut, was ihm ein eher feminines Erscheinungsbild gab, aber die sehnigen Muskeln deuteten die Kraft an, die in seinem schlanken Körper wohnte.

Mello war nicht nur unter den Armen rasiert...

Near senkte schnell den Kopf, bevor Mello seine prüfenden Blicke bemerken konnte.

Es war nur Neugierde.

Schließlich hatte Mello ihn auch nackt gesehen, es war nur fair.

Es schien Mello nicht das geringste auszumachen, dass er mit im Zimmer war, ganz anders als Near, der gestern vor Scham beinahe gestorben war.
 

Aber Mello sah ja auch gut aus.

Auch wenn oft Witze über sein weibliches Äußeres gemacht wurden, hatte er einen einzigartigen, unwiderstehlichen Charme und er bewegte sich mit einem Selbstbewusstsein und einer raubtierartigen Eleganz, die ihn magnetisch wirken ließen.

Wenn er sich nicht gerade wie ein Idiot aufführte. Aber selbst dann...

Mellos Anziehungskraft war stark, vielleicht weil er alles mit soviel Leidenschaft und Überzeugung

tat, dass man nicht anders konnte, als ihn zu bewundern.

Zu sagen, was man dachte, und zu tun, was man wollte, ohne lange über die Konsequenzen nachzudenken, war auf seine Art beneidenswert.

Er hatte bestimmt viele Verehrer...
 

„Da.“

Mello hielt ihm einen undefinierbaren Gegenstand vor die Nase.

„Ist Meine und Matts Gemeinschaftszahnbürste. Kannste auch benutzen.“

Near blickte entsetzt auf das malträtierte Ding, das bei genauerer Betrachtung tatsächlich ursprünglich eine Zahnbürste gewesen sein könnte.
 

„Ist Mello-kun bewusst, dass sich in der menschlichen Mundhöhle mehr Bakterien aufhalten als im Darmausgang?“
 

„Wenn du dich dann besser fühlst, darfst du danach Mir und Matt den Arsch lecken.“

Er drückte ihm noch eine Zahnpastatube in die Hand und stieg in die Dusche.

Mellos Rücken war auch schön...

Near drehte sich hastig um, als er bemerkte, dass er wieder angefangen hatte, ihn anzustarren.

Er blickte unglücklich auf die Zahnbürste, er hatte die Vermutung, dass sie schon damals in Wammys Haus von den beiden geteilt wurde.
 

Aber wenigstens war sein Versuch, den Würgreiz zu unterdrücken, während er widerwillig seine Zähne zu putzen begann, eine gute Ablenkung von einem sehr, sehr nackten Mello unter dem rauschenden Wasser.

Er würde Matt bitten, ihm eine eigene Bürste zu besorgen.

Und vielleicht noch ein paar andere Dinge, wie Unterwäsche oder eine Hose, die nicht ständig rutschte.
 

Near spülte sich den Mund aus und musste Lächeln.

Mello hatte leise angefangen zu summen.

Pausenlos erfuhr Near neue Dinge über ihn, konnte mehr und mehr Fakten und Informationen unter 'Mello' abspeichern und es machte ihn trotzdem immer unersättlicher.

Aus einer rein objektiven Sicht war das natürlich Unsinn.

Viele Menschen summten unter der Dusche.

Aber die Dinge, die an anderen Menschen uninteressant waren, gewannen bei Mello plötzlich Bedeutung, weil MELLO sie tat.
 

Das Rauschen stoppte abrupt.

„Ich kann dich denken hören. Es nervt.“
 

Der Vorhang wurde zurückgezogen und Near blickte interessiert auf seine Finger, in der Hoffnung, dass sich Mello schnell wieder anzog.
 

„Hey.“

hörte er seine Stimme hinter ihm, leise und fast sanft.
 

Near schluckte trocken und drehte sich langsam um. Mello hatte sich zum Glück wenigstens ein Handtuch um die Hüften geschlungen.
 

„Alles ok bei dir?“

Er legte fragend den Kopf schief.

Near spürte, wie er wieder rot wurde, unlogisch, unlogisch, unlogisch.

Die menschliche Anatomie war nichts peinliches oder ungewöhnliches, er wusste, wie ein Körper gebaut war.

Es gab viele Zivilisationen, in denen Nacktheit eine völlig normale Sache war.

Und wenn irgend jemand sich in dieser Situation unangenehm fühlen sollte, wäre es doch Mello...

Nears Blick blieb an den Wassertropfen hängen, die langsam Mellos Brust herunterrollten und im Handtuch verschwanden.
 

„OI! AUFWACHEN!“

Mello schnippte mit den Fingern direkt vor Nears Nase.

Er zuckte erschrocken zusammen.
 

„Ja? Bitte?“
 

„Geh duschen, bevor du hier noch im Stehen einschläfst.“
 

Mello hatte die Arme verschränkt und starrte ihn an. Near starrte zurück.

Die Sekunden verstrichen.
 

„Wartest du auf ne schriftliche Einladung?“
 

Near blickte auf den Boden und drehte seine Haarsträhne ein.

„Könnte Mello-kun sich umdrehen?“
 

„Was ist denn jetzt schon wieder das Problem? Ich hab doch schon alles gesehn! Warum stellst du dich plötzlich bei jedem Scheiß so an?“
 

Er biss sich nervös auf die Unterlippe, er wollte sich nicht vor ihm ausziehen, erst Recht nicht, wenn Mello nackt und schön vor ihm stand.
 

„Ach, mach doch was du willst.“

Mello schlug die Tür hinter ihm zu und ließ ihn allein im Bad zurück.
 

Near wusch sich hastig, je schneller diese ganzen peinlichen Dinge hinter sich gebracht wurden, desto besser.

Zwischendurch kam Mello nochmal kurz herein und Near erwartete mit angehaltenem Atem, dass er den Duschvorhang zurückziehen würde, aber er pinkelte nur kurz in die Toilette und ging wieder.

Es war erst, als Near aus der Dusche kam, dass er bemerkte, das Mello alle Kleidung und Handtücher mitgenommen hatte.
 

Dieser Mistkerl!

Provokant

Mello lag ausgestreckt auf dem Bett, in schwarzer Stoffhose und langarmigen Shirt, und zappte gelangweilt sich durch die Programme.

Sitcom, Sitcom, Cartoon, Talkshow, Drama mit hysterisch heulender Frau, Teleshopping...

Matt sollte mal an der Rezeption fragen, ob man hier die Pornosender freischalten konnte.
 

Apropos, wo steckte Matt eigentlich? Wie lange konnte man denn brauchen, um ein paar Knöpfe an nem Automaten zu drücken?

Na, vielleicht telefonierte er wieder mit irgendwem.
 

Mello schielte zur Badtür. Near war immer noch nicht aufgetaucht, aber die Dusche war schon seit einer Weile aus.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis er herauskommen wird, ihm würde schon bald kalt genug sein, damit er mit dieser neuen Fass-mich-nicht-an Nummer aufhört.
 

Er seufzte entnervt.

Hatte er wieder irgend etwas falsch gemacht?

Warum sagte Near nicht einfach, was ihm jetzt schon wieder über die Leber gelaufen war, anstatt sich so komisch aufzuführen?
 

„Mello...“

kam es leise aus dem Badezimmer.
 

„Was?“
 

„Würdest du mir ein Handtuch bringen?“
 

„Hols dir doch selber.“
 

„Mello, das ist kindisch.“
 

„DU bist kindisch!“
 

„Deine Argumentation ist peinlich. Die Tatsache, dass du in der Rangliste auf Platz Zwei stehst, ist ein Armutszeugnis für Wammys.“
 

„Wie wärs, wenn du ein einziges Mal deinen Mund aufmachst und sagst, was in deinem Kopf vorgeht? Das ewige Ratespiel macht mich verrückt!“
 

„Mello-kun hat Probleme, meine Gedanken nachzuvollziehen? Von uns beiden bin ich nicht derjenige, der immer noch unter seinen pubertären Gefühlsschwankungen leidet.“
 

„Und du hattest so was noch nie! Damit Gefühle schwanken können, braucht man nämlich erst mal

welche!“
 

„Ich habe Gefühle, ich lasse nur nicht zu, dass sie mich beherrschen.“
 

„BULLSHIT! Jedes Gefühl, das sich bei dir hochkämpft, wird sofort von deiner beschissenen Logik zugefroren. Gestern war... gut. Und jetzt ist auf einmal wieder diese Mauer da. Warum? WARUM, HÄ?“
 

Einen Moment war es auf der anderen Seite still.

„Für Mello-kun ist es so einfach...“
 

„EINFACH?! Du denkst... du denkst das alles ist EINFACH für mich? Weißt du, wie verflucht anstrengend es ist, dir nicht deinen verdammten Dickschädel einzuschlagen? Ich versuche hier, mich anständig aufzuführen! Du bist der frustrierenste Mensch, den ich kenne!“
 

„Und DU bist der frustrierenste Mensch, den ICH kenne!

Du bist wie eine Naturkatastrophe. Du läufst durch diese Welt, als ob sie dir gehören würde und hast auch noch Erfolg damit. Deine Handlungen sind irrational und übereifrig und du kannst so ein unglaublicher IDIOT sein!

Und jetzt reich mir ENDLICH ein Handtuch rein, bevor ich mir eure 'Gemeinschaftszahnbürste' in die Halsschlagader ramme, damit ich diese alberne Diskussion nicht mehr ertragen muss!“
 

Mello starrte mit offenem Mund auf die Tür, allein die Tatsache, dass Near zu so einer Lautstärke fähig war...

Er pfiff anerkennend durch die Zähne.

„Wow, du hast ja richtig Feuer unterm Hintern, wenn du willst.“

Mello öffnete die Badtür einen Spalt und hielt ein Handtuch hinein, das ihm sofort aus den Händen gerissen wurde.
 

Mello warf sich wieder aufs Bett und kurz darauf kam Near heraus, das Handtuch schützend um sich geschlungen, mit nassen Haaren und wütend funkelnden Augen.

Ein zufriedenes Grinsen breitete sich auf Mellos Gesicht aus.

Near ignorierte ihn und begann, den schwarzen Pullover einhändig wieder anzuziehen, während er mit der Andern krampfhaft versuchte, das Handtuch als Schutzschild vor sich zu halten.

Mello lachte leise vor sich hin und schüttelte den Kopf.

Er wusste gar nicht, dass Near so witzig sein konnte.
 

„Weißt du, bis vor zwei Tagen hab ich geglaubt, deine Gesichtsausdrücke bestehen nur aus Variationen von 'Leicht Gelangweilt'. Gut zu sehen, dass du noch mehr drauf hast.“

Near stoppte seinen Kampf mit Pullover und Handtuch für einen Moment, wahrscheinlich um innerlich abzuwägen, ob er gerade beleidigt worden war.
 

„Hey, du siehst süß aus.“

Mello warf ihm spielerisch ein leeres Schokoladenpapier an den Kopf.

„Nimm doch nicht alles so furchtbar ernst!“
 

Near nahm die Auseinandersetzung mit der Kleidung wieder auf, vielleicht versuchte er auch nur, seine leicht rosa angelaufenen Wangen zu verstecken.

Mello griff wieder nach der Fernbedienung.
 

Endlich hatte er es geschafft, einen erträglichen Kanal zu finden, irgendeine Dokumentation über Mutation bei Bäumen, von der sogar der Erzähler uninteressiert wirkte.

Ein Blick auf das andere Bett zeigte, dass Near den Kampf mit dem Pullover inzwischen gewonnen hatte, der ohne Matts Jeans fast wie ein schwarzes Minikleid an ihm wirkte.

Er cremte sich seine nackten Beine ein.
 

„Was ist das?“
 

„Muskelsalbe, entspannend und schmerzlindernd.“
 

Mello sah nachdenklich zu, wie kleine Finger die dünnen, weißen Unterschenkel massierten.
 

„Darf ich auch?“
 

„Mello-kun hat Schmerzen?“
 

„Nicht bei mir, du Idiot. Bei dir. Darf ich?“
 

Der andere Junge blickte erstaunt auf.

Mello rutschte etwas unbehaglich hin und her.

Zu früh? War Near immer noch sauer?

„Ich meine, nur wenn du willst, du musst nicht, war ne doofe Idee, ich sollte...“
 

„Ok.“
 

„...Oh, ok.“

Er klopfte sich gedanklich auf die Schulter.

Man war also wieder handzahm.

Da soll noch einer sagen, er wäre nicht einfühlsam.

Er war der verdammte Near-Flüsterer!
 

Er setzte sich zu ihm aufs Bett und tauchte seine Finger in die Cremedose.
 

„Nicht so viel.“
 

„Nerv nicht!“
 

Mello begann, mit beiden Händen leicht über die kühle Haut von Nears Beinen zu streichen.

Er konnte die seidenweichen, fast unsichtbaren Härchen spüren, die feste Fläche des Schienbeins vorne und die weiche Rückseite.

Ein leichter Schauer lief durch Near.

„Alles ok?“

Der Andere nickte nur mit gesenktem Kopf, den Blick verdeckt von feuchten, weißen Haaren.

Mello ließ seine Hände langsam nach oben wandern, vorsichtige Berührungen, immer gefolgt von einem kurzen Zittern.

Als er bei seinen Kniekehlen angekommen war, stieß Near einen kleinen Laut aus und versuchte, zurückzuweichen.

Mello packte zu und zog ihn stattdessen an den Beinen näher zu sich.
 

„Au...“
 

„Au? Tut das weh?“

fragte er verwirrt.

„Ich hab dich doch kaum angefasst. Oder...“

Mello grinste unverschämt und griff einen von Nears Knöcheln und fuhr leicht über seine Fußsohle.
 

Near quietschte vor Lachen.

„Nein, nein Mello, hör auf!“
 

„Du bist kitzelig! Scheiße, ich glaub das nicht!“

Lachend zog er ihn wieder am Fuß zu sich, und stürzte sich mit Begeisterung auf den kichernden Jungen, der vergeblich versuchte, sich unter ihm herauszuwinden.
 

Es endete damit, dass Mello zwischen Nears Beinen kniete und an beiden Knöcheln gepackt hielt, um keinen Tritt ins Gesicht zu bekommen, allerdings so auch keine Hand mehr zum Kitzeln frei hatte.

Beide keuchten schwer und atemlos.
 

„Unentschieden,“

Nears Augen blitzten vor Lachen zu ihm auf, seine blasse Haut rötlich und warm und Mello konnte sich nicht erinnern, Near jemals so lebendig gesehen zu haben.

Während der Rangelei war der schwarze Pullover nach oben gerutscht und der Junge lag auf eine unterwürfige, aufregende Art unter ihm, Arme ausgebreitet und Beine von seinen Händen geöffnet,

das weiche, zarte Geschlecht zwischen seinen Beinen bloßgelegt und völlig ungeschützt.
 

Oh Scheiße...

Das war sehr, sehr schlecht und gefährlich und er sollte jetzt unbedingt, sofort, abhauen, und draußen seinen Kopf gegen die Wand schlagen oder sich einen runter holen und auf gar keinen Fall Near weiter ansehen und berühren und oh Gott, Mello wollte... er wollte so sehr...
 

„Mello..?“

Wusste Near nicht, was Mello ihm antun könnte?

Wie konnte er nur so daliegen, wunderschön und hilflos, als würde er ihm vertrauen, als ob er sich sicher bei ihm fühlen würde?

Warum hatte Mello es nur zugelassen, dass es soweit kam?
 

„Mello...“

flüsterte Near wieder.
 

Mellos Stimme klang heiser und brüchig, verzweifelt.

„Sag mir... dass ich aufhören soll... bitte... sag... mir...“
 

'Bitte halt mich auf.'
 

In dem Moment wurde die Tür aufgeschlossen und Matt kam hereingeplatzt.

„Gute Neuigkeiten, die stellen uns sogar ein kleines Haus am Strand voller Elektroscheiß zur Verfügung, anscheinend hatte vor zwei Stunden einer ihrer Hauptlieferanten einen Gerechtigskeitsinfakt und...“

Er sah mit ausdruckslosem Gesicht auf die Szene vor ihm, Near so gut wie nackt und Mello, der über ihm kniete.

Die Drei starrten sich für einen endlos langen Moment an.
 

„... ich komm später wieder.“

Matt machte auf dem Absatz kehrt und ging.

... Vater sein dagegen sehr

Soichiro Yagami liebte seine Kinder.

Und wie jeder Vater wünschte er sich nur das Beste für sie und wollte sie glücklich machen.

Seit er Light und später Sayu das erste Mal im Arm gehalten hatte, wusste er, dass es ein harter Kampf werden würde, sie eines Tages loszulassen und dass wohl jeder potentielle Partner, den sie ihm vorstellen würden, in seinen Augen nicht gut genug wäre.
 

Trotzdem, er wollte grundsätzlich offen gegenüber der Partnerwahl seiner Kinder sein und sich Mühe geben, den Menschen kennenzulernen, bevor er sich ein Urteil zu ihm bildete.
 

Allerdings gab es da diese klare Linie zwischen 'möglicher Kandidat' und 'Light, bist du auf Drogen?'.

Und diese Linie war weit überschritten.

An L war so ziemlich alles falsch, was nur falsch sein konnte, angefangen allein bei seinem Geschlecht!
 

Als er spät abends nach Hause gekommen war, müde und ratlos nach langen, sinnlosen Stunden im Revier und er von einer ahnungslos lächelnden Sayu erfahren musste, das Light mit seinem 'lustigen Freund Hideki' zum 'Schauspielkurs' gegangen war, war er, gelinde gesagt, nicht erfreut.

Er war schon kurz davor, Watari anzurufen und eine Suchaktion nach den Beiden zu starten, als Light zur Tür hereinkam.

Zusammen mit L.
 

„Ich denke, ich und Hideki sollten uns unterhalten.“

murmelte Soichiro.

Er konnte beinahe fühlen, wie ein weiteres Haar auf seinem Kopf grau wurde.

Lights Blick war herausfordernd, bereit zu protestieren, aber L nickte nur und schlürfte an ihm vorbei, die Hände in den Hosentaschen vergraben.
 

Als er die Wohnzimmertür hinter ihnen schloss, nahm er sich einen Moment, um den Jungen vor sich anzusehen, der sich auf das Sofa hockte und einen Lutscher aus seinem scheinbar endlosen Vorrat seiner Jeans zog.

Er fiel auf, dass sie das erste Mal alleine in einem Zimmer waren.

Ryuzaki hielt den weißen Plastikstab, der auf seinem Mund ragte, mit Zeigefinger und Daumen, und starrte konzentriert ins Nichts.
 

Soichiro setzte sich seufzend ihm gegenüber.

„Ich nehme an, Sie haben Light jetzt nicht mehr im Verdacht.“
 

L nahm vorsichtig den Lutscher aus dem Mund und sah ihn beinahe erstaunt an.

„Ganz im Gegenteil, Yagami-san. Allerdings ist der Kira-Fall jetzt nicht mehr meine Aufgabe, deswegen sind meine Theorien irrelevant.“
 

„War das die Bedingung? Light sollte dieser... Beziehung zustimmen, und dafür würden sie den Fall niederlegen?“
 

Zu seinem Erstaunen verzog L sein Gesicht zu einem bitteren Lächeln.

„Sie machen sich lächerlich, Yagami-san. Sie wissen so gut wie ich, dass ich keinerlei stichhaltige Beweise gegen ihren Sohn hatte. Light ist außerdem viel zu intelligent, als das er sich auf so einen plumpen Erpressungsversuch einlassen würde.
 

Wie Sie wahrscheinlich durch das Telefonat mitbekommen haben, gab es schon länger persönliche Probleme mit anderen Mitgliedern der Organisation.

Die Arbeit war einfach nicht mehr tragbar.“
 

„Sie sind also immer noch der Meinung, mein Sohn wäre Kira!?“

Soichiro sah den Detektiv fassungslos an.

„Und trotzdem...“

Er machte eine vage Handbewegung, unschlüssig, wie er diese Situation in Worte verpacken könnte.
 

L schüttelte den Kopf, er sah seltsam traurig aus. Mutlos.

„Ich könnte niemals verlangen, dass Sie meine Handlungen nachvollziehen.

Sie sind ein guter Mann, Yagami-san. Sie glauben an das, was sie tun, an die Gerechtigkeit durch das Gesetz.
 

Sagen Sie mir, wenn Sie Beweise in der Hand hätten, die Ihren Sohn als Kira enttarnen würden, würden Sie damit an die Öffentlichkeit gehen?

Wäre die Liebe zu Ihrem Sohn stärker als ihr Wunsch nach Gerechtigkeit?“
 

„Gerade WEIL ich meinen Sohn liebe, würde ich niemals zulassen, dass er sich und anderen Menschen weiter so viel Schaden zufügen würde.

Aber Light ist nicht Kira, er könnte niemals diese Dinge tun.“
 

Ryuzaki nickte langsam, wirre schwarze Haare verdeckten sein Gesicht.

„Ein guter Mensch. Und ein Selbstloser.

Menschen wie Sie haben es nicht verdient, dass ihnen so grausame Ereignisse widerfahren. Es tut mir so leid. Ich wünschte, ich hätte die Kraft und den Willen, wie Sie zu sein, mit ihnen gemeinsam für das Recht zu kämpfen.
 

Aber ich bin ein Heuchler gewesen. Ich glaube schon lange an nichts mehr.

Am Ende hat meine Gier und mein Egoismus gewonnen.
 

Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen, das Ihre Gerechtigkeit existiert und das diese Welt vielleicht nicht völlig verloren ist. Aber ich sehe es nicht. Ich sehe nur die Dunkelheit und die Verzweiflung um uns herum und ich habe keine Kraft mehr, dagegen anzukämpfen.“
 

Etwas an seiner Haltung und seiner Stimme erschütterte Soichiro. Er hatte das Gefühl, gerade etwas unsagbar Trauriges und Herzzerreißendes zu beobachten.

L war vielleicht geistig verwirrt und homosexuell und im Begriff, seinen Sohn zu verführen, aber er konnte nicht anders, als Mitleid mit ihm zu haben.

Dieses Häufchen Elend vor ihm sah nicht wie ein aggressiver, manipulativer Triebtäter aus, sondern mehr wie ein verlorenes, ängstliches Kind.

Er muss wohl Furchtbares durchgemacht haben, dass es ihn so verdreht und krank werden hatte lassen.
 

„Sie sollten zurück zu Watari fahren. Er macht sich bestimmt schon Sorgen um Sie. Und sie müssen sich in ärztliche Behandlung begeben.“
 

L sah zu ihm auf.

„Ich werde Japan verlassen und nach Amerika gehen. Es gibt hier nichts mehr für mich.

Dort kann ich mich auf die Suche nach Jinx machen. Wenn ich ihn vernichte, kann ich vielleicht für einen Bruchteil meiner Sünden büßen.“
 

In Soichiro kämpften Erleichterung und Besorgnis um die Oberhand.

„Aber Sie werden mit Watari gehen?

Und diese Organisation, von der Sie sprachen, sie werden weiterhin mit ihr zusammenarbeiten?“
 

„Nein, Yagami-san. Ich werde alleine reisen. Es ist das Beste, auf diesem Weg setze ich niemanden mehr einer Gefahr aus, weder der von Jinx, noch der von mir selbst.

Aber ihr Sohn wird mit mir kommen.“
 

Soichiro blieb der Mund offenstehen.

„Was? Verzeihung... WAS!?“
 

„Das war kein Befehl ihrem Sohn gegenüber, sondern einfach das Aussprechen einer Tatsache. Selbst wenn ich versuchen würde, ihn aufzuhalten, würde er sich nicht umstimmen lassen.“
 

„Light ist achtzehn, noch nicht einmal Volljährig!“
 

„Er ist es in Amerika.“
 

„Das ist verrückt! Ich werde nicht zulassen, dass Light etwas so Unsinniges tut.“
 

„Ja, mit dieser Reaktion habe ich gerechnet. Aber Light ist fest entschlossen, und Sie wissen, dass er einen Weg finden wird, seinen Willen durchzusetzen. Er ist sehr selbstständig und sehr wohl dazu fähig, für sich selbst zu sorgen, also alles Andere als auf mich angewiesen. Regelmäßiger Telefonkontakt kann natürlich gehalten werden.
 

Meine Geldreserven sind weit ausreichend für uns beide und wenn wir die Möglichkeit erhalten, zusammen an diesem Fall zu arbeiten, werden wir ihn lösen können, ein Team bestehend aus zwei Personen kann schnell und unauffällig handeln.

Wir würden dieser Welt einen großen Gefallen tun.
 

Es wird schwieriger und schwieriger, Verbündete im Kampf gegen Verbrecher wie Kira und Jinx zu finden, wie Ihnen bestimmt schmerzlich bewusst ist. Die Zeit drängt und auf diese Weise könnte man wenigstens Einen von ihnen unschädlich machen.“
 

„Und Kira?“
 

„Wie schon gesagt, Kira wird mit mir reisen.“

L sah ihn an, als ob er es mit einem besonders begriffsstutzigen Menschen zu tun hätte.
 

Soichiro stöhnte und lehnte sich erschöpft zurück auf das Sofa.

„Was ist nur schiefgelaufen? Wie konnte sich innerhalb so kurzer Zeit mein ganzes Leben plötzlich auf den Kopf stellen? Das darf doch alles nicht wahr sein!“
 

Der Detektiv steckte sich den Lolli in den Mund und stand auf.

„Sie möchten jetzt bestimmt eine Zeit für sich sein und über alles nachdenken. Ich und Light stehen ihnen natürlich jederzeit für Fragen zur Verfügung.“
 

Und damit ging er und ließ Soichiro in den Polstern zusammengesunken sitzen.

Aus dem Flur drang Sachikos fröhliche Stimme und, so sehr er seine Frau liebte, wünschte er sich, sie wäre manchmal etwas weniger offenherzig.
 

„Oh, Hideki, Light hat mir erzählt, dass du Süßes so gern magst. Ich hab heiße Schokolade gemacht!“
 

„Mit Marshmallows?“
 

„Natürlich mit Marshmallows! Oh, so ein lieber Junge.

Und du bist auch ein so großer Fan von Hideki Ryuga und Misa-Misa? Es ist selten, dass Jungen in deinem Alter einen so guten Geschmack haben. Sayu war ganz begeistert von dir.“
 

„Eh, Mama, red doch nicht so ein peinliches Zeug! Ich hab nur gesagt, wie nett ich dich gefunden hatte.“
 

„Ja, drei Stunden lang ohne Pause.“
 

„Mutter, Sayu, lasst ihn doch mal in Ruhe.“
 

„Das ist schon in Ordnung, Light-kun. Es freut mich, dass ich offenbar einen guten Eindruck gemacht habe. Ich kann mich nicht erinnern, dass das schon einmal passiert wäre. Das ist ein völlig neues Erlebnis für mich.“
 

„Das kann ich mir gar nicht vorstellen, ein so reizender Junge wie du. Du bist in Lights Alter, nicht war? Und, gibt es für dich schon eine Herzensdame? Oh, ich weiß noch Light, als dein Vater mir damals den Hof gemacht hatte, war er etwa so alt wie du gewesen.

Noch mehr Marshmallows?“
 

„Ja, gerne.“
 

„Mutter, hör auf ihn mit Süßigkeiten zu bestechen. Und Sayu, kleb nicht wie ein Blutegel an ihm!“
 

Ja, die Welt war eindeutig wahnsinnig geworden!

Seine Familie saß nebenan und umschwirrte den Geisteskranken, der sie vierundzwanzig Stunden hatte überwachen lassen und immer noch einen von ihnen für einen Massenmörder hielt, während er gleichzeitig Pläne machte, mit Eben dem durchzubrennen, und wenn es so weiterging, würde Sachiko ihm Sayu gleich mit aufs Auge drücken, denn tiefschwarze Augenringe und eine schiefe Haltung schrien ja offenbar förmlich 'zukünftiger Schwiegersohn' und nicht, wie man annehmen könnte, 'drogensüchtiger Schizophrene'.
 

Und Soichiro verstand, warum Leute anfingen zu Trinken.

Sweets for my Sweet

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Ende und Anfang

„Light-kun, das ist zu eng.“

L zupfte unglücklich an dem weißen Hemd, das ihm Light aus seinem Schrank gegeben hatte, nachdem sie sich die Cupcake-Reste abgewaschen hatten.
 

„Wir haben ungefähr die gleiche Größe. Du bist sogar dünner als ich. Das ist nur, weil du gewohnt bist, deine Klamotten drei Nummern zu groß zu kaufen.“
 

„Aber es sieht komisch aus...“

Er verzog den Mund, als er sich im Spiegel am Kleiderschrank ansah.

Light lächelte nur belustigt und legte seine Hände von hinten auf Ls Schultern.

Sie gaben schon ein merkwürdiges Paar ab, dachte sich der Detektiv unbehaglich, so unterschiedlich wie Tag und Nacht.
 

„Du könntest ja mal probieren, dich gerade hinzustellen.

So. Schulterblätter zurück.

Schieb dein Brustbein nach oben. Genau.

Und atmen solltest du auch noch.

Nicht die Schultern hochziehen. Ganz locker.

Nein, nein, nicht so!“
 

Es sah nicht besser aus.

Nur noch alberner, als er versuchte, mit angehaltenem Atem und herausgestreckter Brust die Schmerzen in seinem Rücken zu ignorieren, der jahrelang die gebogene Haltung gewöhnt gewesen war.

Er atmete tief aus und ließ sich wieder in sich zusammensinken.

„Das klappt nicht, Light-kun.“
 

Light schlang lachend seine Arme von hinten um ihn und sie blickten gemeinsam ihre Gegenüber im Spiegel an.
 

„L, du bist so schön, dass es manchmal fast wehtut, dich anzusehen.“

flüsterte er ihm ins Ohr.
 

Mit großen Augen starrte L geradeaus und sah, wie der schwarzhaarige, unansehnliche Junge im Spiegel rot anlief und der Braunhaarige, der Gutaussehende, grinste und ihn an sich drückte, als ob er mit ihm das große Los gezogen hätte.

Passierte das alles wirklich? War es nicht etwas zu gut, um wahr zu sein?
 

„Du kannst hier übernachten, wenn du willst.“
 

„Nein, ich sollte zurück zum Hotel gehen. Es gibt viel Organisatorisches zu regeln. Und ich werde noch mit Watari sprechen müssen.“
 

Light seufzte und ließ seinen Kopf auf Ls Schulter fallen.

„Verstehe. Und es wäre wohl besser, wenn ich da nicht dabei wäre.“
 

„Genau.“

Er war erleichtert, dass Light es anscheinend verstand. Diesen Abschnitt seines Lebens musste er alleine beenden.
 

„Ich kann trotzdem mitkommen.“
 

„Bleib hier und kümmere dich um deine Familie.“
 

„Du wirst dich nicht von ihm überreden lassen, oder? Du kommst zurück zu mir?“

Lights Kopf wanderte von der Schulter langsam nach oben, eine Spur kleiner Küsse bis zu seinem Ohr hinter sich herziehend.
 

„Es gibt keinen Ort, an den ich sonst könnte.“

Er schauderte leicht, als Lights Zunge ihm sanft über die Ohrmuschel fuhr.
 

„Ich rufe dich morgen früh an.“

murmelte Light leise.
 

„Ich... muss dir die Nummer des Hotelzimmers geben.“

L kämpfte gegen seine steigende Erregung an, der Anblick im Spiegel war hypnotisch.

Einen Moment lang wünschte er sich, die Kameras nicht entfernt zu haben. Dann könnte er sich die letzten Stunden heimlich noch einmal ansehen... oh Gott, er würde wahrscheinlich sterben vor Scham.
 

„Was stimmt nicht mit deinem Handy?“
 

„Es besteht nur noch aus Einzelteilen.“
 

„Warum das denn?“
 

„Ich fand, dass es eine sehr effektive Methode war, Anrufe zwischen uns Beiden zu unterbinden.“
 

Light schnaubte und schüttelte den Kopf.

„Klingt logisch. Letzten Endes hat es trotzdem nicht so viel gebracht.“
 

„Nein, das wohl nicht.“
 


 

Als L wieder im Hotel angekommen war, war alles noch genauso wie er es verlassen hatte.

Kalter Tee stand auf dem Tablett, halbvolle Schalen von Süßigkeiten, leises Summen von Computern auf Standby-Modus.

Von Watari keine Spur.
 

War er etwa schon wieder nach England abgereist?

Hatte er ihn so schnell abgeschrieben?

War er jetzt der Watari dieser Linda, war L etwa schon vergessen?
 

L kroch auf das Sofa und fühlte sich dumm und egoistisch. Was hatte er denn erwartet?

Er hatte Watari doch weggeschickt. Und dass das unangenehme Gespräch zwischen ihnen jetzt anscheinend hinfällig war, sollte ihn freuen.

Die Entscheidung war schon längst gefallen, das musste Watari auch gewusst haben, deswegen hatte er ihnen beiden weiteres Drama erspart.
 

Warum fühlte er sich dann so schrecklich? Hatte er gewollt, dass Watari um ihn kämpft?

Ja, gestand er sich ein. Ein komplett unsinniger Gedanke, aber nach all den Jahren hatte er gehofft, dass Watari gewisse Emotionen ihm gegenüber entwickelt hätte. Dass er ihn nicht einfach aufgeben würde, so unproduktiv es auch für sie beide wäre.

Er hatte Streit und Enttäuschung und Wut erwartet.
 

Stattdessen war da nur das dunkle, stille Zimmer und das tat unendlich mehr weh.

Mit einer kleinen Grimasse trank er den Rest alten Tee aus.
 

Leb wohl, Watari...
 


 

Am nächsten Morgen rief Light nicht an.

L umkreiste stundenlang das Telefon, getrieben von einer inneren Panik, die langsam zu wachsen begann.

Was war nur los? Was war nur los? Warum meldete er sich nicht?

Seine Gefühle schwankten zwischen bitterer Wut und einer tiefen, tiefen Verzweiflung.

Hatte Light ihn jetzt etwa auch...? Der Gedanke war zu grauenhaft, als dass er ihn zu Ende führen konnte.
 

Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, als das Telefon endlich klingelte.

Die Digitaluhr auf dem Display zeigte 12:43 an.

Was hatte sich Light nur dabei gedacht, sich so zu verspäten? Ihm solche Angst zu machen?
 

„L? Es tut mir so Leid! Mein Vater ist im Krankenhaus. Er hatte heute morgen einen Herzinfarkt.“
 


 

L stand in der Tür und blickte zögerlich in das weiße Zimmer, in dem Lights Vater auf seinem Bett lag, seine Frau und Light auf harten Plastikstühlen neben ihm, das perfekte Bild einer besorgten Familie.

'Daran bist du Schuld. Der Stress war zuviel für ihn.'

Er biss sich auf die Unterlippe und dachte daran, einfach kehrt zu machen und zu verschwinden.
 

„L!“

rief Light und sprang auf, unter falscher Trauer blitzten seine Augen freudig auf.
 

Soichiro sah vom Bett herüber, blass und kraftlos.

Beschämt blickte L zur Seite, unfähig, ihm in die Augen zu sehen und ließ sich von Light nach draußen ziehen.
 

„Ich konnte nicht eher anrufen, das hätte ein schlechtes Bild abgegeben. Tut mir leid.“

meinte Light, als sie durch die kleine Parkanlage des Krankenhauses gingen.

Der bedrückte Gesichtsausdruck war völlig verschwunden, er schlenderte entspannt neben L her, als ob nichts passiert wäre.
 

L wusste nicht, was er sagen sollte.
 

„Was ist denn los mit dir?“
 

„Dein Vater hatte einen Herzinfarkt.“

'Ist dir das egal, Light?'
 

„Und? Es war natürlich. Wenn sein Name aufgeschrieben geworden wäre, dann wäre er tot.“

Light zuckte unbekümmert mit den Achseln.
 

„Es war trotzdem unser Verschulden.“
 

„Was denn, sollen wir uns jetzt schlecht fühlen, weil mein Vater sich unnötig Stress macht?“
 

„Unnötig?“
 

Light rollte mit den Augen und blieb stehen.

„Worum geht es dir hier, L?“
 

„Du hättest es getan. Wenn er sich gegen uns gestellt hätte, hättest du ihn umgebracht.“

'Er ist dein Papa...'
 

„Verstehst du nicht, L? Niemand kann sich gegen uns stellen. Nichts kann uns aufhalten.

Die Macht, die ich habe, ist absolut.

Vielleicht ist es aus bestimmten moralischen Ansichten böse oder falsch, aber sei ehrlich!

Würdest du sie etwa nicht nutzen?

Wenn du damals das Death Note gefunden hättest, wärst du dann nicht jetzt Kira?“

Er strich mit seinen schlanken, schönen Fingern über Ls Haare und lehnte sich nach vorne, bis sie gegenseitig ihre Stirn berührten.

„Das Death Note gehört mir. Ich trage damit die Verantwortung. Wenn ich dafür verdammt bin, ist es so.

Aber diese Kraft ungenutzt zu lassen, sie nicht für meine Ziele einzusetzen, das wäre verrückt.“
 

L lief ein Schauer über den Rücken als er in Lights Augen sah.

In der Ferne läuteten die Glocken.
 


 

L saß alleine auf der Parkbank. Light war wieder zu seinem Vater gegangen, aber nichts konnte L dazu bringen, mit ihm zu gehen und Soichiros Anblick zu ertragen.

Kalter Wind rauschte in den Bäumen, zerrte an seinen Haaren und seiner Kleidung.
 

Jemand setzte sich neben ihn, aber er ignorierte es, bis er eine vertraute Stimme hörte, die sein Herz höher schlagen ließ.

„Es gibt auf der Welt nur zwei Tragödien. Die eine ist, dass man nicht bekommt, was man sich wünscht, die zweite, dass man es bekommt.“
 

„Oscar Wilde.“

erwiderte L automatisch und sah in Wataris sanfte, braune Augen.

„Ich dachte, du wärst schon abgereist.“
 

„Ich wollte mich verabschieden.“

Er lächelte trübe.
 

L fühlte wie sich ein bittersüßes Gefühl in ihm breitmachte.

Für einen verzweifelten Augenblick dachte er daran, mit ihm zu gehen. Nach Hause.

Alles zu vergessen.
 

Aber der Gedanke verflog so schnell, wie er gekommen war.

Es gab keinen Weg zurück, keine Möglichkeit, zurück in die Zeit zu reisen, als er Light nicht kannte und A noch lebte und die Zukunft warm und vielversprechend war.
 

„Du weißt, wie du mich erreichen kannst. Egal, was passiert, ich werde immer für dich da sein.“

Sie saßen eine Weile stumm nebeneinander, dann stand Watari langsam auf, ein alter Mann, der die Last seiner Jahre in den Knochen zu spüren begann.
 

„Danke, Papa.“

sagte L vorsichtig.
 

Der Mann erstarrte in seiner Bewegung und dann, ohne sich umzudrehen, schienen sich seine Schultern zu entspannen.
 

„Wir sehen uns wieder. Bevor alles zu Ende ist.“

L konnte das Lächeln in seiner Stimme hören.

„Du hast mein Leben ganz schön auf den Kopf gestellt. Eric Dickson.

Der kleine Junge, der niemanden seinen Namen erzählte und fest entschlossen war, Detektiv zu werden. Du hast dein Leben lang gekämpft, gib jetzt nicht auf.

Du findest ein Stückchen Glück für dich auf dieser Erde!

Letztendlich ist das vielleicht alles, worauf es ankommt.“
 

L sah ihm hinterher, bis er zwischen den Bäumen verschwunden war.

Und langsam formte sich ein Plan in seinem Kopf.

Freundschaft

'Da lässt man die Beiden mal für ein paar Minuten alleine!'

Matt stand auf dem Parkplatz und schüttelte ungläubig den Kopf, während er sich eine Zigarette ansteckte.
 

Im gleichen Moment würde die Tür hinter ihm aufgerissen und Mello stürmte heraus, Stiefel ungebunden und seine Jacke nur notdürftig übergeworfen.
 

„Ich bin vielleicht kein Experte, aber mittendrin einfach abhauen ist bestimmt nicht sehr höflich.

Geh wieder rein, der Typ denkt noch, er hätte was falsch gemacht.

Und warn mich das nächste Mal gefälligst vor, ich hab gerade gegessen.“
 

Hätte Matt nicht schnell reagiert, wäre durch den Faustschlag wahrscheinlich sein Kiefer gebrochen worden. Es tat trotzdem verflucht weh.
 

„FUCK! Was soll das?“

Er lag auf dem Rücken und hielt sich sein schmerzendes Kinn.

„Tut mir Leid, wenn ich die 'romantische Stimmung' versaut hab, du Arschloch. FUCK!“
 

Mello ließ sich neben ihm auf den Boden fallen und vergrub die Hände in seinen blonden Haaren.

„Was soll ich nur tun..?“
 

Stöhnend streckte sich Matt auf den Steinen aus.

„Mellorine, ich mach für dich jede Scheiße mit. Aber bei Beziehungstherapeut hörts auf.

Du willst ihn ficken? Kauf ihm ein Stofftier oder so was, dann lässt er dich vielleicht ran.“
 

„Gib mir die Autoschlüssel!“
 

„Und wohin solls gehen? In die nächste Bar, dich besaufen? Ja, das wird alle Probleme lösen.“
 

„Erinnerst du dich an den Trailerpark, an dem wir vorbeigefahren sind?“
 

„Nicht dein Ernst, oder?“
 

„Doch. Schlüssel.“
 

„Und du denkst, das hilft?“
 

„Einen Versuch ist es wert.“
 

Matt kramte den Schlüssel aus der Hosentasche, hob seine Zigarette vom Boden auf und nahm einen kräftigen Zug.

„Viel Glück.“
 

„Könntest du vielleicht... na ja... mit ihm reden? Bis ich wiederkomme?“

Mello befingerte nervös den Schlüsselbund in seiner Hand.
 

„Worüber?'“
 

„Meinetwegen das Wetter. Und sorg dafür, dass er was isst. Ich bin so schnell es geht wieder da.“
 

Matt blinzelte dem Wagen hinterher, als er auf die Straße fuhr.

Sein Kiefer tat verflucht weh.

Warum zum Teufel machte er das alles?

Weil Mello...
 

Weil Mello was?
 

Weil er Matt brauchte und sich auf ihn verließ.

Und obwohl es anstrengend war, war es doch... schön. Dass Mello so sehr auf ihn angewiesen war.

Dass er, ohne Nachzudenken, bereit war, ihm Near anzuvertrauen, wo er doch damals in Wammys Haus Jeden, der nur in die Richtung der Nummer Eins schaute, mit Blicken ermordet hatte.
 

'Sind Matt und Mello Freunde?'
 

War es das, was Mello von ihm hielt? War er für ihn ein... Freund?

Irgendwie gefiel ihm der Gedanke.

Mello durfte ruhig weiter davon ausgehen, dass sie Freunde wären, wenn Matt dann deswegen dieses angenehme Gefühl in der Brust hätte.
 

Er betrat mit deutlich besserer Laune das Motelzimmer.

Auf dem hinteren Bett lag ein nearförmiger Klumpen unter der Bettdecke eingegraben.

„Ich hab hier Putenbrust und Tunfisch. Was willste lieber?“

Matt hielt die leicht angeschlagenen Sandwichs hoch, die er aus seiner Westentasche gefischt hatte.

Der Klumpen rührte sich nicht.
 

„Wenn du dich nicht entscheidest, stopf ich sie dir beide rein. Mir ist es ja egal, ob du was isst oder nicht, aber Mello steht kurz vor nem Nervenzusammenbruch, deswegen wärs besser, wir halten ihn bei Laune.“
 

„Putenbrust.“

kam die gedämpfte Stimme unter der Decke hervor und eine kleine Hand streckte sich heraus, die gleich wieder verschwand, als Matt ihm das Sandwich hineinlegte.
 

„War es denn so schlimm? Ich meine, du hast doch jahrelang sein Photo mit dir rumgeschleppt.

Hast du dir da nie vorgestellt, wie es wäre, seinen Schwanz zu lutschen?“
 

Erschrockenes Husten ertönte, dann schlug Near die Decke zurück.

„NEIN!“
 

Matt hob beschwichtigend die Hände.

„Ok, ok... was dann?“
 

Near zupfte sich an seinen wirren, weißen Haaren.

„Was meint Matt mit, was dann?“

murmelte er.
 

„Na, was hast du dir dann vorgestellt?“
 

Der Andere sah starr vor sich auf das angebissene Sandwich und rutschte unwohl hin und her.

„Mello ist... ein sehr körperlich orientierter Mensch. Der Schluss, dass er in unserer Beziehung auch eine physische Komponente sieht, ist an sich sehr einleuchtend.“
 

„Aber du hattest trotzdem keine Ahnung.“
 

„Ich habe nie an solche Dinge gedacht. Ich... bin nicht... Mello ist sehr schön...“
 

„Das sind Blumenwiesen auch, und trotzdem willst du sie nicht ficken. Hoffe ich zumindest.“
 

„Ich will nicht mit Mello... so etwas tun!“
 

„An welche Dinge haste stattdessen gedacht?“
 

„Ich... habe... mir gewünscht dass Mello mich tötet.“

flüsterte er kaum hörbar. Seine Wangen färbten sich rosa.
 

„Wie?“
 

„Ich verstehe nicht...“
 

„Wie sollte er dich umbringen?“
 

„Das war... immer unterschiedlich.“
 

„Dann erzähl mal. Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen. Ich versuch hier, euch beiden zu helfen.“
 

„Dass er mir die Kehle durchschneidet. Mit einem Taschenmesser. Ich habe mir vorgestellt, dass er nachts in mein Zimmer kommt und, nun ja, es tut. Ich wusste, dass er eines hatte. Manchmal habe ich gesehen, wie er im Gemeinschaftsraum damit herumspielte. Und dann hat er mir einen Blick zugeworfen und ich wusste, dass er das Gleiche dachte wie ich. Es war... aufregend.“
 

Matt hob interessiert die Augenbrauen. Das hörte sich doch recht vielversprechend an.

„Ok, weiter. Was noch? Haste auch ne Neuere?“
 

Near pickte an seinem Sandwich, die Wangen mittlerweile hochrot.

„Ich bin in einem verlassenen Gebäude, eine alte Fabrik. Es ist dunkel und ich finde nicht heraus. Und dann höre ich schwere Schritte hinter mir und... ich habe Angst. Ich weiß, dass ich zu langsam bin, deswegen versuche ich, mich in einer der Büroräume zu verstecken.

Ich sitze unter dem Schreibtisch und halte die Luft an, mein Herzschlag dröhnt in meinen Ohren. Dann sind die Schritte bei mir im Zimmer und ich bin wie gelähmt, ich schließe meine Augen und höre, wie jemand direkt vor mir stehen bleibt.

Ich habe schreckliche Angst aber trotzdem bin ich... ich weiß nicht, erwartungsvoll, vielleicht.

Ich spüre, wie die Person vor mir in die Hocke geht und mich ansieht.

Sie sagt, ich soll die Augen öffnen und ich höre, dass es Mello ist.

Und dann... er erwürgt mich.“

beendete er hastig.
 

„Warum hab ich das Gefühl, das du gerade nen wichtigen Teil übersprungen hast?“
 

„Es ist mir unangenehm, darüber zu reden... Es sind alberne Phantasien...“
 

„Du bist angetörnt, hab ich recht?“
 

„Das ist nicht so...“
 

„Schwachsinn, es macht dich total an. Das seh ich doch. Ich wette, du hast grad nen Ständer, oder?“
 

Near biss sich auf die Unterlippe, Haarsträhne straff um seinen Finger gespannt.
 

„Hey, ist keine Schande. Jeder, was ihm Spaß macht. Aber Mello macht sich totale Vorwürfe, weil er denkt, du stehst nicht auf ihn. Red mit dem Kerl.“
 

„D... Darüber? Das kann ich nicht... Was wenn...?“
 

„Besorg dir n Rückgrat, Kleiner, sonst bist du ja auch nicht auf den Mund gefallen!“
 

„Und wenn ich nicht... so bin, wie Mello es sich vorstellt? Wenn ich ihm nicht das geben kann, was er will? Ich weiß nicht, was er sich von mir verspricht. Ich weiß nicht, was man in solchen Situationen tut. Was, wenn wir beide furchtbar enttäuscht werden? Wenn es alles kaputtmacht?“
 

„Und was, wenn nicht?“

Matt zuckte mit den Achseln.

„Das Leben ist ne merkwürdige Sache und vieles ist ganz Anders, als man zuerst denkt. Man muss halt Risiken eingehn, wenn man was will.“
 

„Ich bin hier. Ist das nicht Risiko genug?“
 

„Nope. Und jetzt iss auf.“
 

„... Wo ist Mello?“
 

„Der ist unterwegs zu den Nutten-Trailern.“
 

Near starrte ihn mit offenem Mund an.

„WAS?!“
 

„Wenn er dich nicht vögeln kann, nimmt er halt jemand anderes. Ist sehr aufmerksam von ihm, oder?“
 

Er sah nicht aus, als würde er sich besonders darüber freuen.

„Mello schläft mit Prostituierten?“
 

„Das macht er für dich. Der Typ hofft, dass er dich dann in Ruhe lassen kann. Wär auch nicht das erste Mal, dass er sich den Frust wegfickt. Entweder das, oder er erschießt irgendwas.“
 

Near ballte die Hände zu Fäusten.

„Mello DARF nicht mit Leuten schlafen!“
 

Matt schmunzelte.

„Was, hast du etwa gedacht, der Kerl ist noch Jungfrau? Hast du ihn dir schon mal angeschaut?! Du bist echt verdammt naiv.“
 

In einer beeindruckenden Geschwindigkeit war Near vom Bett gerutscht und war schon halb aus der Tür heraus.

„OI! Wo willst du hin?!“

Er zerrte ihn wieder herein und schlug die Tür zu.
 

„Lass mich los!“

fauchte Near.

„Ich muss zu Mello.“
 

„Die Vorstellung, wie du ohne Hose den Highway hinunterläufst, auf der Suche nach Nutten, ist zwar recht amüsant, aber ich glaube nicht, dass Mello sich darüber freuen würde. Lass ihn sein Ding machen und wenn er wieder da ist, und hoffentlich etwas entspannter, könnt ihr Reden.“
 

Letztendlich entschied sich Matt dafür, ihn mit einer Hand mit Handschellen an das Bettgestell zu fesseln. Nur zur Sicherheit.

So musste er nur die tödlichen Blicke von Near aushalten, als dass er von Mello tatsächlich getötet wurde.

Außerdem war er für Mello ein FREUND. Und Freunde helfen sich gegenseitig.

Angriff ist die beste Verteidigung

Near war wütend.

Wütend. Wütend. WÜTEND.

Er konnte sich nicht erinnern, dass jemals so viel Energie durch seinen Körper geflossen wäre.

Und er konnte nichts tun, nur sitzen und warten, während Matt auf dem anderen Bett friedlich eingeschlafen war und der Fernseher immer noch leise im Hintergrund lief.
 

„Sie wollen frischere, kräftigere Farben für ihre Wäsche? Versuchen sie 'Ultracolor Carat'! Seine sanfte Formel erhält den natürlichen Farbton und...“
 

Er zerrte zum Gefühlten hundertsten Mal an der Kette.

Wie konnte Mello es wagen?!

Und wer weiß, wie viele er schon gehabt hatte!

Hatte er sie auch so angesehen wie Near? Mit dieser schönen, verzweifelten, schrecklichen Gier?

Hatte er sie berührt, wie er Near berührt hatte? Sanft und liebevoll? Grausam und kalt?
 

Dabei war es doch Near gewesen, der all die Jahre Mellos Gefühle kontrolliert, seine Leidenschaft in der Hand gehalten hatte

Und trotzdem war er zu anderen Leuten gegangen, hatte das, dass Near gehörte, gedankenlos weitergegeben.

Und nicht einmal jetzt, wo sie zusammen waren, hatte er damit aufgehört!
 

Eine Stimme aus dem Fernseher unterbrach seine Gedanken.

„... das Feuer brannte bis in die späten Morgenstunden und breitete sich auf zwei weitere Gebäude aus. Die Feuerwehr musste den Bereich großräumig absperren. Zwei Menschen zogen sich schwere Brandverletzungen zu, sechs Weitere mussten mit Rauchvergiftung ins Krankenhaus gebracht werden. Die Brandursache ist noch nicht geklärt...“
 

Das Feuer!

Near betrachtete mit großen Augen die Bilder in den Nachrichten und musste lächeln.

Gigantisch!

Mello hätte das sicher gern gesehen...
 

Wen interessierts!? Schnaubend drehte er den Kopf weg.

Er hat ja offensichtlich wichtigeres zu tun...
 

Es klopfte laut an der Tür.

„Ich bins!“

Wenn man vom Teufel spricht.
 

Matt war mit einem Schlag wach und fuhr sich durch die strubbeligen roten Haare.

„Uh, jetzt geht’s los.“

seufzte er, schloss die Tür auf und ging direkt an dem Mello vorbei, während er ihm den kleinen silbernen Schlüssel für die Handschellen zuwarf, den der Andere reflexartig fing.
 

„Was zur... Wieso hast du ihn ans Bett gefesselt?!“

„Weil er dir sonst nachgelaufen wäre. Viel Glück, du wirst es brauchen!“

Er gab Mello einen aufmunternden Klaps auf die Schulter und ging nach draußen.
 

Mello griff verwirrt nach der Fernbedienung und schaltete den Apparat aus.

„Ähm...“

meinte er in die peinliche Stille, die folgte.
 

„Mach. Mich. Los.“

fauchte Near.
 

„Ähm, du bist sauer. Offensichtlich. Und, ähm...“

Er trat wie verlegen von einem Bein auf das Andere.

Near suchte fieberhaft mit den Augen nach Zeichen, die einen kürzlich durchgezogenen Geschlechtsverkehr aufweisen könnten.

Seine Kleidung war unordentlich, aber das war sie schon gewesen, als er gegangen war.

Keine auffälligen Flecken, weder an den Klamotten, noch an der Haut, aber das war nur auf den ersten, oberflächlichen Blick.

Wer weiß, wie es darunter aussah...
 

„Also, es tut mir leid. War extrem scheiße von mir. Ich verspreche, dass das nie wieder vorkommt, ok? Das is n Problem von mir, das geb ich zu, aber das krieg ich schon in den Griff. Und, ähm... ich kann Matt in die Fresse schlagen, wenn du willst, für die Handschellensache.“
 

„Hattest du Sex?!“
 

„Äh... was?“
 

„Ob du gerade mit einer Prostituierten geschlafen hast!? Matt hat mir erzählt, wo du hingefahren bist!“
 

„Wovon redest du da? Ich versuch mich hier grad zu entschuldigen und du laberst was von Nutten? Was soll das?!“
 

„Hast du oder nicht?!“
 

„Das ist meine Sache, ok? Wichtig ist doch nur, dass so was nicht nochmal passiert. Was ich in meiner Freizeit mach, muss dich nichts angehen!“
 

Near riss wutentbrannt an der Handschelle, die Schmerzen am Handgelenk ignorierend.

„Da irrst du dich! Ich verbiete dir, mit solchen Frauen zu schlafen! Ich verbiete dir, überhaupt mit jemandem zu schlafen!“
 

„Bist du jetzt meine Mutter? Was kümmert es dich, wen ich ficke?! Gottverdammt, kann man bei dir denn gar nichts richtig machen?!

Diese ganze Scheiße hängt mir so was von zum Hals raus!

Ja und Nein, Anfassen und dann doch Nicht, dann versucht man, das Richtige zu tun und erträgt verfluchte fünfzehn Minuten Autofahrt mit einem Schwanz so hart, dass es wehtut und kaum hat 'Sunshine' ihre Hand in meiner Hose, NICHTS!

Und natürlich, NATÜRLICH, in dem Augenblick wo ich hier reinkomm, sitzt du da auf dem Bett, mit verfickten HANDSCHELLEN und deinen zerwühlten Haaren und diesem BLICK und verflucht, das ist nicht FAIR!“
 

Near versuchte angestrengt, Mellos Redeschwall zu entwirren.

„Du hast nicht mit ihr geschlafen?“

fragte er schließlich.
 

„Ich KONNTE nicht mit ihr schlafen. Ich hab keinen hochgekriegt, du Idiot!“

Mello ließ sich auf das andere Bett fallen.
 

„Oh...“
 

„Ja, oh! Und sobald ich dich sehe, hab ich das Problem natürlich nicht mehr! Gratuliere!

Es gibt jetzt ganz offiziell keinen Teil mehr in meinem Leben, bei dem es nicht um DICH geht!“
 

Eine tiefe, tiefe Erleichterung breitete sich in Near aus.

'Mello gehört mir. Alles ist in Ordnung.'

Und dann kam der nächste Gedanke.

'Mello will mit mir schlafen.'

Das war... beunruhigend.

Er sah zu dem Anderen herüber.

Er hatte seine Jacke neben sich abgeworfen und die Stiefel abgestreift und sah jetzt beinahe so aus wie damals in Wammys.

Schwarze Baumwollkleidung, honigblonde Haare und nackte Füße.
 

Natürlich größer, mit markanteren Gesichtszügen und tieferer Stimme. Sein Wachstumsschub lag lange hinter ihm und seine Gliedmaßen wirkten nicht mehr lang und dürr sondern schlank und schön geformt.

Erwachsen. Das Wort passte so gar nicht zu Mello.

Im Vergleich dazu sah Near tatsächlich noch aus wie ein Kind, obwohl er sich sicher war, Erwachsener zu sein, als Mello es jemals werden würde.
 

Und jetzt war es Zeit, Verantwortung zu übernehmen.

Sie hatten jahrelang aneinander gehangen, jeder in seiner eigenen Welt auf seine eigene Art.

Wenn Near nachts seinen Phantasien nachgehangen war und verstohlen über die Vorderseite seiner Pyjamahose gerieben hatte, war es sicher gewesen.
 

Aber jetzt war es Real. So Real wie Gevannis Blut auf seiner Kleidung und Mellos Hände an seinem Körper gewesen waren.

Und das war Furchteinflößend. Und Aufregend. Und sehr, sehr Gefährlich.
 

„Mello, komm her.“
 

Zeit für ein weiteres Risiko.
 

„Hm?“
 

„Mach die Handschellen los.“
 

„Äh, klar.“
 

Mello wirkte ungewöhnlich nervös und ungeschickt.

Vielleicht war ihm sein Ausbruch etwas peinlich.
 

„Mello, ich habe die Vermutung, dass dir nicht bewusst ist, weshalb ich wütend bin.“
 

Der Schüssel drehte sich im Schloss und Near konnte sein wundes Handgelenk herausnehmen.

Er drehte es ein paar Mal, um das Blut wieder zum Zirkulieren zu bringen.
 

„Können wirs nicht dabei belassen? Ich hab doch gesagt, dass es mir Leid tut.“
 

„Dir tun deine Absichten mir gegenüber Leid. Aber das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass du bei anderen Menschen diese Befriedigung gesucht hast.

Wie immer warst du viel zu emotional.

Du warst so vollauf beschäftigt, diese sexuelle Komponente von mir fernzuhalten, dass dir ein sehr wichtiges Detail entgangen war.“
 

„Ach ja, und was wäre das?“

Das klang schon mehr wie der Mello, den Near kannte.
 

Anstatt einer Antwort kletterte Near auf den Schoß des verdutzten Jungens und fuhr ihm mit gespreizten Fingern in die blonden Haare, drehte Strähnen langsam um sie auf, herum und herum, bis seine Handflächen an Mellos Kopf anlagen.

„Ich hatte dir nicht gesagt, dass du aufhören sollst.“

flüsterte er.
 

Und dann zog er mit aller Kraft.

La petit mort

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Ragnarök

Sex, entschied Near, war noch viel Schlimmer, als er befürchtet hatte.

Es hatte so rein gar nichts von seinen Fantasien.

Dort konnte er sich im Dunkeln dem leichten Kribbeln hingeben, allein, und jederzeit aufhören, wenn das Gefühl zu stark werden würde. Es war ein verbotenes, schmutziges Vergnügen gewesen, dass seinen festen Platz im Bett und in der Nacht hatte, meistens in der Zeit zwischen drei und fünf Uhr, in der er sowieso üblicherweise wach wurde, zuerst in seinem Zimmer in Wammys Haus, dann in der Wohnung im Hauptquartier.

Jedes Mal war es ihm unendlich peinlich gewesen, aber gleichzeitig fühlte er sich wunderbar verrucht dabei, immer in der Gewissheit, dass Mello nichts von seinen Gedanken und deren Wirkung auf ihn wusste.
 

Der Plan war einfach, aber sehr riskant gewesen.

Mello dazu bringen, seine Emotionen freizulassen, endete immer in einer Explosion und die Gefahr, von den Bruchstücken getroffen zu werden, war extrem hoch.

Aber spätestens, als er die Waffe in Mellos Tasche gesehen hatte, stand sein Entschluss fest.

Solange man einen Trumpf im Ärmel besaß...

Und dann ging es natürlich schief.
 

Mello war sehr, sehr wütend gewesen.

Und er sagte Dinge... grausame Dinge in einer sanften, dunklen Stimme und Erregung breitete sich in Near aus, brachte ihn völlig aus dem Konzept.

Es war fast wie eine Fantasie, nur war die Pistole in seiner Hand kühl und schwer, sein Kopf und Rücken taten weh von dem Sturz, er konnte noch den Druck von den Handschellen spüren, den harten Boden unter ihm...

Es passierte wirklich!

Es passierte WIRKLICH!
 

Und als sein Finger abrutschte und die Waffe auslöste, stockte Near vor Entsetzen der Atem.

'Leer.'

'Du hättest Mello erschossen!'

'Sie ist leer! Ich habe gar nichts!'
 

Near hatte nur noch Angst, wollte nur noch weg.

Die grelle Deckenleuchte tauchte den Raum in gnadenloses Licht, Mello konnte alles sehen.

Konnte ihn sehen, hatte ihn zu Boden gedrückt und sich tief in seinem Hals verbissen und Near konnte nichts tun, außer nutzlos zu Zappeln und zu Stammeln:

„...stopp ... bitte... hör... mellobitte... tutweh... estutweh...“

Near hörte seinen rasenden Herzschlag und Schwere kroch langsam über seinen Körper, ließ seine Arme und Beine taub werden, bis er wie gelähmt liegen blieb.

Die Bisswunde brannte und er fühlte sich unendlich hilflos, wie in den Klauen eines Raubtiers.
 

Und dann steckte er ihm einfach seine FINGER in den Mund und Near fiel Matts Kommentar ein und dass Mello vielleicht noch etwas anderes in ihn reinstecken würde (oh Gott, er konnte Mellos... Mellos Erektion sehen und sie war riesig und bedrohlich) und der Gedanke daran war entsetzlich.

Nichts hatte mehr Ästhetik oder Ordnung.
 

Noch schrecklicher war es, als Mello begonnen hatte, ihn zu berühren. So selbstverständlich und mit beiläufiger Leichtigkeit streichelte und rieb er Near zurück in die Erregung und darüber hinaus.

Als wäre es nichts besonderes, ein Zeitvertreib, während Near langsam zerfiel, wie einer seiner Türme, Würfel um Würfel.

Warum passierte das nur schon wieder?

Warum verlor er schon wieder vor Mello auf so demütigende Weise seine Selbstbeherrschung?
 

Er wollte nichts mehr, als sich an Mello zu klammern und seinen Geruch einzuatmen, den nach Leder und Schokolade und warmer Haut, nicht diesen schweren Duft von Erregung, der jeden rationalen Gedanken zunichte machte.
 

Aber zu spät, zu spät, denn sein Körper stand in Flammen und dann stürzte er hinab, tiefer, immer tiefer und tiefer in eine bodenlose Finsternis.
 

Das Nächste, von dem Near wusste, war, dass er auf dem Bett saß, zugedeckt und warm und umgeben von Mello, der mit ihm in einem so lockeren Tonfall redete, dass man meinen könnte, dass sich nichts Ungewöhnliches zwischen ihnen abgespielt hätte.
 

Für Mello war es wahrscheinlich so, wenn man so oft sexuelle Kontakte hatte, ist es wohl eine ganz normale Angelegenheit.

'Und es ist auch eine normale Angelegenheit! Sexualität ist eine völlig natürliche Sache, nur, weil es gerade für dich ein neuartiges Erlebnis war, muss man es nicht überbewerten.

Nur, weil es zwischen Mello und dir stattgefunden hatte, hat es nichts besonderes zu Bedeuten. Nichts weiter als sexuelle Stimulation. Mello ist jetzt wieder entspannt und das war der Sinn dieser Übung gewesen. Kein Grund, jetzt so emotional zu reagieren.'
 

Wenigstens machte sich Mello nicht lustig über ihn.

Er hatte ihn sogar in den Arm genommen, und abgesehen davon, dass Near unter der Decke nackt war und fühlen konnte, wie diverse Flüssigkeiten auf seiner Haut trockneten, war es beinahe behaglich.

Ihm wurde Schokolade in die Hand gedrückt und das war doch eine nette Geste.

Mello teilte seine Schokolade nicht mit Jedem.
 

Near knabberte vorsichtig an der dunkelbraunen Tafel und hätte beinahe den Bissen wieder ausgespuckt.

„S... Süß!“

hustete er.
 

Mello schüttelte ungläubig den Kopf.

„Is siebzig Prozentige Bitterschokolade. Aber wenn man sein Leben lang nur Styropor futtert, kommt einem natürlich alles Extrem vor.“
 

„Und du ernährst dich wirklich ausschließlich davon?“

Near blinzelte fasziniert auf die Tafel.

„Das erklärt einiges...“
 

„Wie was, zum Beispiel?“

Ein alter, bekannter Tonfall. Er bedeutete 'Spielen'.

Ein gewohntes Territorium für Beide.
 

Lächelnd kuschelte Near sich zurück.

„Ein übermäßiger Konsum von Süßigkeiten bringt starke Schwankungen im Blutzuckerspiegel, was daraufhin zu extrem unbeständiger Leistungsfähigkeit und einem unausgeglichenem Gefühlsleben führt.“
 

„L isst auch nur Süßes. Wenn man viel denkt, braucht man viel Energie.“
 

„Es ist aber nur sehr kurzfristige Energie. Man sollte annehmen, wenn man sich dem Denken derart verpflichtet hat, ist man in der Lage, länger als zehn Minuten im voraus zu Planen.“
 

„Ach, dann liegt L also falsch, willst du das damit sagen?“
 

„L ist ein großartiger Detektiv, aber nicht Unfehlbar. Seine Verhaltensweisen blind zu Kopieren zeugt von einem sehr niedrigen Vertrauen in das eigene Können.“
 

„Da hast du dir natürliche die klügere Alternative gesucht. Gar nicht Essen.

Bist du da ganz alleine draufgekommen oder hast du dir die Myspace-Seiten von vierzehnjährigen Mädchen durchgelesen?“
 

„'Gar nicht' ist eine maßlose Übertreibung. Wenn dem so wäre, hätte ich unmöglich bis zum heutigen Tag überlebt.“
 

Near konnte fühlen, dass Mellos Finger während ihrer Unterhaltung zu Wandern begannen.

Seine Arme entlang, langsam hoch bis zu den Schultern, mit leichtem Druck an der Wirbelsäule herunter.

Die Berührung war ruhig und fest und er konnte nicht anders, als es zu Genießen.

Seine Muskeln entspannten sich, wurden warm und weich und er seufzte leise.

Mello war wieder so anders, so liebevoll...

Seine Augen begannen, zuzufallen.

Das Erlebnis von vorher wurde schleichend zu einem unwirklichen Traum, einer Fantasie.
 

Es war eine gute Fantasie.

Mello kniete über ihm, seine Stimme wie tiefroter Samt und seine Augen eisig kalt.

Er hatte seine Hände um Nears Hals gelegt und verstärkte seinen Griff im schleichendem Tempo.

Es war beinahe... beruhigend. Mello würde sich um alles kümmern.

Er könnte Nears Leben zwischen seinen Händen beschützen oder zerstören, was immer gerade nötig war. Er würde für ihn Sorgen.

Geisterhafte Hände streichelten über seinen Körper, berührten ihn sanft aber unerbittlich, das Kribbeln stieg an, und an, und...
 

„Man, das hätten wir schon seit deinem ersten Tag in Wammys Haus machen sollen.“

Knabbernde Zähne an seinem Ohr und eine fremde Hand zwischen seinen Beinen.

Mello! Der wirkliche Mello!
 

„An meinem ersten Tag war ich gerade erst fünf Jahre alt.“

Near kämpfte sich aus der Umarmung und kroch so schnell er konnte an das andere Ende.
 

„Na und? Hey! Warte! Wo willst du hin?“
 

Verdammt!

Er war immer noch nackt und seine Kleidung befand sich quer über das Zimmer verteilt, da blieb ihm nur Eines.

Er zog an der Bettdecke.

Mello hielt sie fest.

Er zog wieder.
 

„Bitte lass die Decke los. Ich brauche sie.“
 

„Wenn dir kalt ist, beweg deinen Hintern wieder her!“
 

„Ich muss mich anziehen.“
 

„Wieso?“
 

„Wieso... ich mich anziehen muss?“
 

„Ja, du Idiot. Und wieso du zum anziehn die Decke brauchst.“

Mello sah ernsthaft verwirrt aus. Und langsam auch wieder sauer.
 

Near fühlte sich noch längst nicht bereit für die nächste Auseinandersetzung.

„Ich habe nichts an.“
 

„Ich weiß. Ich hab dich ausgezogen.

Was, willst du damit sagen, dass du immer noch n Problem damit hast? Ich hab doch schon alles gesehn.

Warum bist du weggehüpft, als ob man dir ne Mistgabel in den Arsch gesteckt hätte? Grad hats dir noch gefallen.

Und die Leute sagen, ICH hätte Stimmungsschwankungen.“
 

„Es ist vorbei. Wir haben es getan, und es ist vorbei. Es besteht kein Grund für einen zweiten Durchgang.“

Noch einmal könnte er das nicht ertragen.
 

Mello stöhnte und schlug bei jedem Wort mit dem Hinterkopf gegen die Wand

„Oh. Das. Kann. Doch. Nicht. Dein. Ernst. Sein.“
 

Near biss sich nervös auf die Unterlippe und drehte an einer Haarsträhne, seine Blicke wanderten sehnsüchtig zu seinen Klamotten.
 

Mello krabbelte zu ihm herüber.

„Sag mal, machst du das mit Absicht? Ist das systematische Folter? Wenn ja, ist sie verflucht erfolgreich... Es wird einen zweiten Durchgang geben. Es wird noch verdammt viele Durchgänge geben.

Deswegen würd ich vorschlagen, du gewöhnst dich besser schnell dran.“

Er umfasste mit erstaunlich vorsichtigen Fingern Nears Kinn und zog sein Gesicht zu ihm.

„Du magst es doch. Also, was ist das Problem?“

murmelte er.
 

Das Problem.

Near könnte ein ganzes Buch mit den Problemen füllen.

Andererseits... gab es überhaupt eine Möglichkeit, das aufkommende Desaster abzuwenden?

Es war doch nur eine Frage der Zeit, bis dieses morsche, wacklige Bauwerk, auf dem sie balancierten, einstürzen würde.

Warum nicht einfach die Augen schließen und sich fallen lassen?

Vielleicht hatten Mello und L Recht.

Ein Leben nur für die nächsten zehn Minuten zu führen und dafür alles zu geben, denn am Horizont zogen schon die schwarzen Gewitterwolken auf.
 

Nears Blick fiel auf den Rosenkranz um Mellos Hals.

„Glaubt Mello an Gott?“
 

„Hä? Wie kommst du denn jetzt da drauf? Und ja, natürlich glaub ich an Gott! Du etwa nicht?“
 

„Ich bin Agnostiker.

Wenn Mello an Gott glaubt, glaubt er auch an das kommende Ende der Welt? Die Apokalypse?“
 

„Ja, schätze schon. Irgendwann wird Gott diesen Laden in die Luft fliegen lassen.“
 

„Bald?“
 

„Woher soll ich das denn wissen? Und selbst wenn, dann könnten wir ja auch nichts dagegen tun.“
 

„Ich glaube, dass das Ende der Welt kommt. Es bleibt nicht mehr viel Zeit.“
 

„Und das heißt?“
 

Near griff nach seiner Schokolade auf dem Nachttisch. Der zweite Bissen schmeckte schon besser. Der Dritte und Vierte waren fast schon gut.
 

Mello sah ihn nur unverständig an.

„Und das heißt??

Dass wir mehr Schokolade essen sollten? Was!?

Hey, was soll das, was grinst du mich so dämlich an?

Was ist so komisch?

Lachst du mich aus?

Hey!

...

Ach, du kannst mich mal!“

Prioritäten

Ryuk war am frühen Morgen verschwunden, kurz nachdem Lights Vater zusammengebrochen war, eindeutig desinteressiert.

'Wenn das alles was mit dem Death Note zu tun hätte, wärs noch sehenswert. Aber das ist langweilig. Habs schon tausende Male gesehn. Ich schau später mal vorbei, wies ausgegangen ist.'

Light konnte nicht sagen, dass ihn Ryuks Abwesenheit störte.
 

Erst spät abends kam er zurück, als Light schon im Bett lag und der Decke finstere Blicke zuwarf.

'Hey Light! Ist er tot?'
 

„Nein. Die nächsten Tage steht er unter Beobachtung, aber es scheint alles einigermaßen in Ordnung zu sein.“
 

'Da ist aber jemand mies drauf. Hast du gehofft, der Alte kratzt ab? Dann hättest du ihn nur in das Buch eintragen müssen.

Oder hattest du wieder Ärger mit deinem FREUND?'
 

Light sah zu ihm herüber, zu seinem düsteren Grinsen und den spöttischen Blick in seinen Augen.

Verdammt, warum nicht? Es gab sonst ja niemanden, mit dem er darüber reden konnte.

„Er war wütend wegen der Sache. Er hat gemeint, dass ich meinen Vater umgebracht hätte, wenn es mir etwas genutzt hätte.“
 

'Stimmt ja auch.'
 

„Ja, aber... ich glaube, er versteht es einfach nicht. Er hat diese Einstellung, dass man gewisse Menschen nicht opfern sollte, aus komplett unlogischen Gründen.“
 

'Du bist doch genauso.'
 

„Das ist was anderes!

Man kann L nicht mit anderen Menschen vergleichen.

Genauso wenig wie mich.“
 

Light war aufgesprungen und lief aufgeregt im Zimmer auf und ab.
 

„Wir sind anders, besser als alles um uns herum. Ich wusste schon immer, dass ich nicht zu dieser Welt passte. Und ich habe geglaubt, ich wäre der Einzige.

Der Einzige, der wirklich zählt, der letzten Endes EXISTIERT und um mich herum drängten sich nur bedeutungslose graue Schatten.
 

Ich habe tatsächlich jemanden gefunden, der auch existiert. Aber er kommt von den Schatten nicht los. Er hat es immer noch nicht verstanden, dass man sie auslöschen muss, sie manipulieren muss, um das zu Schützen, was wichtig ist. Dabei muss er es doch auch sehen, oder?

Dass diese Welt schwarz-weiß ist, und nur er und ich in Farbe?“

Schwer atmend blieb er stehen.
 

Ryuk hatte den Kopf schief gelegt und sah ihn fast schon nachdenklich an.

'Und wenn es dazu kommt, dass L sich gegen dich stellt? Wirst du dann die einzige andere Person auf dieser Welt töten, um dich selbst zu Retten?'
 

„L würde das nicht tun!“

Ein scheußliches Gefühl breitete sich in Light aus.

Was wenn doch?

„L würde niemals zulassen, dass ich sterbe.

Das sieht man schon wegen seinen Schuldgefühlen, die er immer noch A und B gegenüber hat. Er versucht ja jetzt noch, B vor mir zu beschützen, nach allem, was dieser kranke Wichser mit ihm gemacht hat.“
 

'Wer isn B?'
 

„Ist eine lange Geschichte.“
 

'Er muss dich ja nicht unbedingt töten. Vielleicht beschließt er irgendwann, dich einzusperren. Dir dein Death Note wegzunehmen. Dich in die Klapse einzuweisen, wo du Keinem mehr Schaden kannst.

Und was dann, hm?'
 

So wie B.

Nein. Nein, nein, nein!

Das würde L nicht tun.
 

'Wer weiß, wann ihm deine Mission zur Reinigung der Welt zu viel wird, und er beschließt, dich aufzuhalten?

Vielleicht nicht heute oder morgen, aber der Tag wird kommen, und ich glaube, du weißt das auch.

Was wirst du dann tun? Wenn du wie Wahl hast zwischen L und deinem Leben als Kira, für wen entscheidest du dich?'
 

„Ich muss mich nicht entscheiden! Ich kann Beides haben! Ich MUSS Beides haben!

Schon allein wegen den vielen Feinden, die sich L im Laufe der Jahre zugelegt hat.

B und wer auch immer diese anderen Geisteskranken aus diesem Waisenhaus sind, die da draußen frei herumlaufen.

Selbst die normalen Menschen, die breite Masse, sie tun L weh, du hast es doch in der Uni gesehen.
 

Mit dem Death Note kann ich ihn beschützen. Uns Beide, das, was wir haben, beschützen, von den ganzen ignoranten Arschlöchern, die diese Erde verseuchen!
 

Ich hatte Anfangs diese neue Welt nur für mich erschaffen wollen. Aber jetzt, jetzt tue ich es auch für L. Weil er es verdient, in einer schöneren, besseren Welt zu Leben als die, die ihn so zugerichtet hat!“
 

'Denkst du nicht, dass L da vielleicht auch etwas dazu zu Sagen hat?'
 

„L hat doch keine Ahnung, was gut für ihn ist. Er braucht jemanden, der für ihn sorgt.“

Er stand mit geballten Fäusten und schwer atmend vor Ryuk.
 

'Und das wäre dann wohl Gott. Mit anderen Worten, DU!'

Plötzlich warf er den Kopf in den Nacken und lachte kreischend, dass Light vor Schreck zusammenzuckte.

'Oh, ihr Menschen seit so lustig! Das dürfte noch echt interessant werden.'
 

L würde ihn niemals verraten. Er würde es einsehen, eines Tages würde er es einsehen.

Es war nur der Stress. Schließlich war so viel auf einmal passiert.

Sobald er die Ruhe fand, darüber nachzudenken, würde er es verstehen.
 

Oder?

War Light etwa zu optimistisch an diese Sache herangegangen?

Zu geblendet von Ls Lächeln und der Art, wie er am Daumen knabberte und Light in die schwarzen Abgründe hinter diesen großen Augen schauen ließ.

Vielleicht wäre es ratsam, in Zukunft etwas vorsichtiger zu sein. Nur zur Sicherheit.
 

Er warf sich wieder auf das Bett, ein saures Gefühl im Magen.

Wenn er wählen müsste, zwischen Kira und L... wer würde gewinnen?
 

Er brauchte Beide. Aber er ahnte, wofür er sich entscheiden müsste.

Diese Gefühle für L, sie machten ihn schwach. Abhängig.

Kira machte ihn stark.

Wenn es darauf ankam, egal wie sehr es weh tat, würde er L beseitigen müssen.
 

Vielleicht... musste er ihn nicht töten. Wenn er ihn nur irgendwo wegsperren würde.

An einem Ort, an dem selbst der große Detektiv keine Chance auf Flucht hätte.

Es wäre schließlich zu seinem eigenen Schutz.
 

Unglücklich setzte er sich wieder auf und holte das Notizbuch aus der Schublade.

Der Einband war fest und etwas rau, die Worte 'Death Note' gut leserlich eingraviert.

Er blätterte durch die Seiten.

So viele Namen. So viele Menschen, die den Tod verdient hatten.

Niemals könnte er damit aufhören.
 

Light schaltete seinen Computer an und holte einen Stift hervor.

Und für die nächsten Stunden gab es nur Kira und die Verbrecher, die er richtete.

Ein Frauengespräch

Kiyomi Takada war zum Fernsehen gegangen, in der Hoffnung, eines Tages eine angesehene Moderatorin zu werden, die über die großen, bedeutsamen Ereignisse in dieser Welt sprechen würde. Ein seriöser, würdevoller Beruf.

Dass sie jetzt eine billige Talkshow leitete, die idiotische Prominente über ihre privaten Skandale und anderen Schwachsinn ausquetschte, war so nicht geplant.
 

Neben ihr auf der Bühne saßen:
 

Ein alternder Selbsthilfeguru namens Terence Dawn, der pausenlos seine unzähligen Ratgeber anpries und von Auren und Energieströmen faselte.
 

Gina Becker, Hardcore-Feministin mit Damenbart und einer penetranten, dröhnenden Stimme, die mehrmals wegen Körperverletzung im Knast gesessen hatte. Natürlich handelte es sich jedes Mal um Notwehr, wie sie beteuerte. Kiyomi hatte Mitleid mit jedem, von dem sich diese Frau angegriffen fühlen würde.
 

Misa Amane, Model, Sängerin, Schauspielerin und Vollzeitblondine.
 

Und schlussendlich ein Kerl, der Mark Irwin hieß und sich auch einbildete, Schauspieler zu sein, nur aus gigantischen Muskelhügeln bestand und gerade mal das geistige Niveau von Toastbrot erreichte.
 

Kiyomi hasste sie alle.
 

„Kommen wir zu unserem nächsten Thema!“

strahlte sie übertrieben enthusiastisch in die Kamera.

„Das Phänomen Kira!“
 

Es gab nur diesen winzigen Lichtblick. Nach ewigen Diskussionen war es ihr endlich gelungen beim Sender durchzusetzen, Kira ansprechen zu dürfen.

Wenigstens eine Kategorie, die nicht komplett sinnloses Gelaber war, aber so viel konnte man von ihren Gästen natürlich nicht erwarten.
 

„Wer oder was ist Kira? Gibt es ihn wirklich? Und wenn es ihn gibt, ist das was er tut richtig?

Mark, was ist ihre Meinung dazu?“

Sie schenkte ihm ein süßliches Lächeln, während der widerliche Typ endlich seine Augen aus ihrem Ausschnitt nahm.
 

„Ähm, ja, Kira. Also ich glaub ja, dass Kira so ne Art Alien ist. Ich mein, das wär doch total logisch. Und als er hier gelandet ist, da hat er so ne abgefahrene Weltraumkrankheit mitgebracht und alle Menschen, die Verbrechen begehn, sterben daran. Bestimmt gibt’s Planeten da draußen, wo diese Krankheit so gezüchtet wurde, in Labors und so, und ganz normal is, die haben dann keine Polizei und so, weil alle Verbrecher von sich aus Sterben.“
 

'Was für ein riesiger Haufen Scheiße.'

„Ein interessanter Ansatz! Was ist Ihre Theorie dazu, Terence?“
 

„Aliens! Pff! Unsinn! Es ist keine Macht von Außerhalb, es ist unsere Erde selbst, die die Verbrecher abstößt. Sie sind nicht mehr willkommen und die ewigen Energien durchfließen sie nicht mehr. Deswegen sterben sie einfach.“
 

'Du lieber Himmel.'

„Was denken Sie, Misa?“

Kiyomi wandte sich dem Popstar zu, der den größten Teil der Show bisher genau die aufgekratzte, alberne Entertainerin gewesen war, wie man es sich hätte denken können.
 

Aber plötzlich war es, als säße eine andere Person an Misas Platz.

Völlig ruhig und ernst, ihre Stimme dunkler und ihre Augen scharf, sie sah beinahe... gefährlich aus.

Kiyomi blieb vor Staunen fast der Mund offen stehen.

Was war jetzt auf einmal los?
 

„Kira ist ein Mensch, aber er hat eine Macht, die für uns unvorstellbar ist.

Und anstatt sie für seine eigenen Zwecke zu nutzen, setzt er sie für die Gerechtigkeit ein. Das ist bewundernswert. Wir sollten uns alle ein Beispiel an ihm nehmen. Er wird diese Erde von Grund auf ändern und ein Paradies für uns erschaffen.“
 

Im Raum war es völlig still geworden, die Stimmung unsicher und angespannt.

Etwas stimmte nicht mit diesem Mädchen, ihr Blick, ihre Körperhaltung... Kiyomi schauderte leicht.

„Sie sind also der Meinung, dass Kira Gerechtigkeit ist?“

Ihr Mund fühlte sich ausgetrocknet an, sie leckte sich nervös die Lippen.
 

„Ja. Es muss ein Mensch sein, die all die schlimmen Dinge in dieser Welt gesehen und erfahren hat und jetzt dagegen vorgeht. Er ist so etwas wie ein Superheld.“
 

Misas grünen Augen bohrten sich in Kiyomis, ein amüsiertes, fast spöttisches Lächeln auf ihren Lippen.

Das war nicht der einfältige Popstar. Das war etwas Schönes und Furchteinflößendes.

Kiyomi hielt dem Blick stand, ihre Hände schweißnass und ihr Herz rasend.

Was wenn...
 

„SO EIN SCHWACHSINN!“

brüllte Gina dazwischen.
 

Kiyomi unterdrückte ein genervtes Aufstöhnen.

Misas Blick flog zu der grölenden Frau und wurde Mörderisch.

Sie hingegen schien es gar nicht zu bemerken und redete ungehindert weiter.
 

„DIESER KIRA IST EIN VERBRECHER WIE JEDER ANDERE. NIEMAND KANN EINFACH DAS GESETZ IN DIE HAND NEHMEN. DAFÜR HABEN WIR DIE POLIZEI.“
 

„Die Polizei und das Gesetz haben so lange versagt. Aber Kira, er bewegt etwas auf dieser Welt. Er verändert die Dinge wirklich. Außerdem sind Sie doch auch jemand, der das Gesetz gerne selbst ausführt, oder etwa nicht? Kann es sein, dass sie vor ihm Angst haben? Niemand, der sich Rechtschaffen verhält, hat etwas zu Befürchten!

Aber ein gewalttätiges Miststück wie Sie sollte sich vor Kira in Acht nehmen!

Er reinigt diese Welt von dem Ungeziefer!“

fauchte Misa zurück.
 

Kiyomi bekam die unsicheren Blicke und hektischen Handzeichen der Techniker mit.

Stimmengemurmel erhob sich im Publikum, eindeutig zu Gunsten von Misa.

Sie musste die Situation entschärfen.
 

Die Sache war nur die, sie wollte es gar nicht.

Das war der größte Spaß, den sie je bei ihren Shows gehabt hatte.

Teru saß jetzt wahrscheinlich in ihrem gemeinsamen Wohnzimmer und lachte wie ein Wahnsinniger.
 

Sie lächelte so sanftmütig wie sie konnte.

„Fakt ist, dass die Verbrecherzahlen extrem zurückgegangen sind. Gefängnisse, die früher überfüllt waren, können wieder frei atmen. Millionen an Steuergeldern werden gespart. Fünfundfünfzig Prozent der Bevölkerung der Vereinigten Staaten sprechen sich positiv für Kira aus, und die Zahlen steigen stetig an. Wir leben in aufregenden Zeiten, finden sie nicht?“

flötete sie Gina zu.
 

Friss das, du Schlampe.

Scheiß drauf, wenn sie deswegen gefeuert werden würde, war es das wert.

Misa grinste sie breit und ausgelassen an, ein echtes Grinsen, meilenweit entfernt von ihrem üblichen, süßlichen Lächeln für die Kameras und Kiyomi war so glücklich, dass es beinahe lächerlich war.

Sie hatte sich seit Jahren nicht mehr so gut gefühlt, dass ausgerechnet Misa Amane dafür gesorgt hatte, war unerwartet.
 

War das ein Zeichen für die Wende? Wurde Kira jetzt endlich von den Menschen in aller Öffentlichkeit anerkannt werden?

Hatten sich all die Monate Arbeit zusammen mit Teru endlich bezahlt gemacht?
 

„DAS IST DOCH NICHT IHR ERNST. STEHEN SIE ETWA AUCH AUF DER SEITE VON DIESEM MÖRDER? SIND HIER DENN ALLE VERRÜCKT GEWORDEN?“
 

In diesem Moment brach Gina Becker stöhnend zusammen, eine Hand an die Brust gepresst.

Und Panik brach aus.
 

Es waren fast sechs Stunden später, als sie endlich nach Hause gehen durfte. Die Polizei hatte ihre Zeugenaussage mindestens vier Mal aufgenommen.

Von allen Seiten redete man auf sie ein, Reporter drängten sich um das Gebäude vom Fernsehsender, ein riesiges Chaos ließ alle um sie wie Ameisen umher rennen.

Kiyomi sah sich das Durcheinander nur lächelnd an.
 

Jinx. Es gab jemand da draußen, der Kiras Macht hatte und bereit war, mit den Menschen in Verbindung zu treten.

Sich offen entgegen der Hetze gegen die wahre Gerechtigkeit zu Stellen, und zwar ohne Kompromisse und Sentimentalitäten.

Menschen wie Gina Becker waren genauso schlimm wie die Verbrecher, sie verdienten es genauso ausgelöscht zu werden, um diese Verleugnungen zu Stoppen.

Die Kinder mussten schon lernen, Kira als ihren Retter zu Sehen! Er muss über jeden Zweifel erhaben sein!
 

„Miss Takada! Kiyomi!“

Sie war schon auf dem Weg zur Tür, als sie ihren Namen hörte.

Es war Misa Amane.

Sie lächelte und winkte Kiyomi zu sich herüber, nichts an ihr erinnerte an die plötzliche Verwandlung auf der Bühne.

Das war das Blondchen, dass man kannte, der Inbegriff hübscher Dummheit.

Kiyomi musste sich die seltsame Verwandlung bestimmt nur eingebildet haben...

Es war eine Erleichterung, aber irgendwie auch eine Enttäuschung.
 

„Sie können gerne in meinem Auto mitfahren. Wir stehen direkt beim Hintereingang, da können wir den ganzen lästigen Reportern entkommen. Ich bringe Sie nach Hause.“

Strahlend hakte sie sich bei Kiyomi unter.
 

„Nun, ich weiß nicht...“

fing Kiyomi an und auf einmal wurde Misas Griff hart und sie wurde mit unerwarteter Kraft mitgezogen.

„Hey, warten...“
 

„Keine Sorge, dass macht mir gar nichts aus.“

fiel Misa ihr einfach ins Wort.

Ihr Lächeln war immer noch zuckrig, als sie die überrumpelte Kiyomi aus der Tür schleppte und sie in eine verdunkelte Limosine stieß.
 

Kiyomi sah panisch zu dem Mädchen, dass sich auf den schwarzen Ledersitz neben ihr fallen gelassen hatte und sie mit einem Piranhagrinsen anstierte. Es war dasselbe Mädchen wie heute auf der Bühne.
 

Und das war entweder gut.

Oder sehr, sehr schlecht.
 

Misa lehnte sich nach vorne, bis Kiyomi ihren warmen Atem spüren konnte.

Sie roch nach Erdbeerkaugummi.

„Wenn du weglaufen willst, kannst du das jetzt tun.

Eigentlich wollte ich dir jetzt eine rote und eine blaue Pille anbieten, aber die Idee ist mir zu Spät gekommen und ich hatte keine Zeit mehr, Smarties zu kaufen.“
 

„Was soll das alles? Was weißt du über den Vorfall heute? Was willst du von mir?“

entgegnete sie so selbstsicher, wie sie konnte, während eine Hand schon am Griff der Autotür lag.

Das war doch verrückt!
 

„Na, wenn du das wissen möchtest, musst du mit zu mir kommen. Ich weiß, wer du bist, und was du und dein Freund in eurer Freizeit so machen. Und ich garantiere dir, dass dir das, was ich dir zu Sagen habe, gefallen wird.“
 

„Ich habe keine Ahnung, worüber du redest!“
 

„Natürlich. Also, was ist? Die Welt verändert sich. Und mit dem, was ich dir erzählen würde, könntet ihr ein Teil davon sein. Und das wollt ihr doch, oder?“
 

Kira. Jinx. Misa hatte etwas damit zu tun.

Kiyomi beging den größten Fehler ihres Lebens.

Oder sie ergriff eine Chance, die nie wiederkommen würde.
 

Sie nickte.
 

Misas Apartment war riesig und sah aus wie der Drehort eines klischeeüberladenen Horrorfilms.

Totenköpfe, Kreuze, schwarze Spitze, viktorianische Möbel, unheimliche Puppen.

Es passte gut zu dem Gothic-Stil, den Misa die meiste Zeit trug.

Was das Ganze nicht weniger albern machte.

Weshalb hatte Misa sie noch einmal so nervös gemacht?

Kiyomi gähnte erschöpft. Sie war müde und sehnte sich nach ihrem Bett zuhause.

Bestimmt wollte sich dieser möchtegern-okkulte Teenager nur wichtig machen.
 

„Ich hab eure Webseiten im Internet gefunden. Ihr macht Propaganda für Kira und stellt Namen von Verbrechern online. Ihr habt mittlerweile eine riesige Fangemeinde aus aller Welt gewonnen.

Nicht zu fassen, wie viel du und dein Freund Teru Mikami in nur so wenigen Monaten erreicht habt.“
 

„Wir haben nichts Illegales getan. Ich weiß zwar nicht, wie du herausgefunden hast, dass wir es waren, aber wenn du uns Erpressen möchtest, wird dir das nichts bringen. Ich werde jetzt wieder gehen.“
 

„Und ich habe geglaubt, dass ihr bereit seit, den nächsten Schritt zu gehen.“

Sie ließ sich auf ihr dunkelrotes Bett fallen.
 

„Mit dem Tod von Gina Becker habe ich nichts zu tun!“
 

„Dass weiß ich doch, du Dummerchen! Ich wars doch!“

Lachend setzte sich Misa auf.

„Ich bin Jinx. Und? Sollen wir zusammenarbeiten?“
 

„... DU? Denkst du wirklich, dass ich dir das glaube?“
 

„Ich kanns dir beweisen, wenn du willst.“

Misa zog einen kleinen Schmollmund und zog ein schmales, schwarzes Buch unter ihrem Kopfkissen hervor. Auf dem Einband waren ein paar merkwürdige Schriftzeichen eingraviert.

„Lies den neuesten Eintrag!“
 

Im Buch standen Namen. Seite um Seite.

Auf der Letzten stand:

Gina Becker. Herzinfarkt.

Gina Becker erleidet einen Infarkt und stirbt, nachdem sie sich im Fernsehen negativ über Kira geäußert hat.

Darunter war das genaue Datum und die Uhrzeit, an dem es passiert war.
 

„Und? Du hast die Ereignisse von heute hier eingetragen. Was soll das schon beweisen?“
 

„Den Eintrag hab ich vor sieben Tagen gemacht.“
 

„Natürlich...“

Was für eine Zeitverschwendung.
 

„Sags ihr, Rem!“
 

Monster. Ein riesiges, weißes, skelettartiges Monster.

„Ja, Misa hat den Tod von Gina Becker im Voraus eingetragen. Der Mensch, dessen Name in diesem Buch steht, stirbt. Das ist die Macht des Death Note.“
 

„Ziemlich cool, ne? Kiyomi?“
 

„D... D... Da... D... Da... Da is... ist... MONSTER!“
 

„Ich bin kein Monster. Ich bin ein Shinigami.“
 

Kiyomi griff auf den Frisiertisch und warf eine Bürste nach dem Ding, die durch Es durchflog, als Bestände Es nur aus Luft.
 

„Das ist aber wirklich unhöflich, Kiyomi. Sag Rem doch wenigstens 'Guten Tag', bevor du sie bewirfst.“
 

„A... Aber... Monster! Skelett! Im Zimmer!“
 

„Sie war schon die ganze Zeit da. Aber man kann sie nur sehen, wenn man das Death Note berührt hat. Sie ist ein Shinigami, ein Todesgott. Und von ihr habe ich das Notizbuch bekommen.

Kira hat bestimmt auch so eins, das ist die einzige Erklärung für seine Macht.

Der einsame Held hat Verstärkung bekommen.

Er ist Superman und ich bin Wonderwoman. Und mit der Hilfe von dir, Teru Mikami und all unseren Gefolgsleuten im Internet werden wir eine gigantische Revolution starten!

Wir sind überall und niemand kann uns aufhalten! Was sagst du?“
 

Misa war auf ihr Bett gesprungen und stand da, die Arme ausgebreitet und ihre Augen leuchtend.

Verrückt, überdreht, schön und wild entschlossen.

Das war es also, was sie auf der Bühne gesehen hatte. Das war Jinx.

Das weiße Monster, der Totengott, stand mit ruhiger, ausdrucksloser Miene hinter ihr.

Die Zukunft. Eine reine Welt. Ein zweiter Kira, der auf sie zugekommen ist, der sie einbeziehen will in diesen Krieg.

Die ganze Arbeit hatte sich wirklich bezahlt gemacht.
 

'Gott ist zu den Menschen gekommen,' würde Teru jetzt sagen.

Und das alles nur wegen Kiyomi und ihm.
 

„Jinx. Ich schwöre, dass ich alles in meiner Macht stehende tun werde, um unseren Traum zu erfüllen. Wenn ich und Teru dir auf jedweder Art und Weise dienen können, wäre es für uns eine große Ehre.“

Sie verbeugte sich feierlich. Was für ein Moment!
 

Misa sprang vom Bett und warf sich ihr um den Hals.

„Yeah! Das wird ein Riesenspaß! Wir werden bestimmt beste Freundinnen! Und ich freu mich schon so drauf, deinen Teru kennenzulernen! Ist er wirklich immer so mies drauf, wie er auf seinem Passbild aussieht, oder hatte er an dem Tag Blähungen?“
 

„I.. Ich dachte, du verhältst dich so nur zur Tarnung??“
 

Ihr Gegenüber blinzelte sie nur unverständig an.

„Was meinst du? Wie verhalt ich mich denn?“

Ohne auf eine Antwort zu warten packte Misa plötzlich mit einem erschrockenen Quietschen den schwarzen Plüschwecker auf ihrem Nachtkästchen.

„Oh mein Gott, schon so spät? Ich hab die neue Folge von 'Black Blood' verpasst! Dabei wird Victor heute endlich Emilia seine Liebe gestehen!“
 

Kiyomi seufzte. Da lag wohl noch ein ziemlicher Berg Arbeit vor ihnen.

Scooby-Doo

Near kam genau zweiundzwanzig Tage nach Mello in Wammys Haus an.

Niemand bekam ihn die erste Zeit zu Gesicht.
 

Unter den Kindern ging das Gerücht um, ein kleiner weißer Junge, den Watari und L in einem alten schottischen Schloss gefunden hätten, würde jetzt durch die Gänge des abgesperrten Teil des Krankenflügels geistern. Er wäre schon seit Jahrhunderten tot, und jetzt, wo sein Schloss abgerissen wurde, hatte er in Wammys ein neues Zuhause gefunden.

Sie hatten ein eigenes Gespenst!
 

Mello hielt das natürlich alles für Unsinn.

Was nicht hieß, dass er nicht neugierig war.
 

Seine erste Zeit im Waisenhaus war großartig gewesen.

Er hatte sich zwar mit allem und jedem angelegt und mehr als einmal zur Strafe die endlosen Steingänge auf Knien geschrubbt, in der Küche Kartoffeln geschält und Gemüse geschnitten und riesige Körbe von Wäsche aufgehangen, aber das Lernen, die endlose, überwältigende Flut von Wissen, erfüllte ihn, wie er es noch nie zuvor gekannt hatte.
 

Das Beste von allem war die Aufmerksamkeit, die Anerkennung.

Er hatte schon immer gewusst, dass er verflucht klug war, aber jetzt hörte er das erste Mal wieder Lob von anderen Menschen, seit... seit Papa.

Die Kinder sahen zu ihm auf und kamen zu ihm, wenn sie etwas nicht verstanden.

Beim Fußballspielen stritten sich die Mannschaften darum, bei wem er mitspielen sollte.

In kürzester Zeit hatte er sich bis ganz zu den Führungspositionen gekämpft, was einen grenzenlosen Vorrat an Schokolade und Bewunderung mit sich brachte.
 

Deswegen hörte er auch als Erster von dem Plan, nachts in den Krankenflügel zu Schleichen und nach dem Geist zu Suchen.
 

„Es gibt keine Gespenster.“

Mello schüttelte den Kopf und widmete sich wieder seiner Schokoladentafel.
 

„Aber irgendwas ist da oben. Ich habs doch gesehen. Es war weiß und hat um die Ecke geschaut und dann war es sofort wieder verschwunden!“

Elene, die den Rest der Gruppe fast um einen halben Kopf überragte, wedelte aufgeregt mit den Armen. Sie hatte die Angewohnheit, nachts durch die Gänge zu Spazieren und erzählte liebend gerne von irgendwelchen Dingen, die sie angeblich bei ihren Wanderungen gesehen hatte.

Wenn man ihr Glauben schenken würde, beherbergte Wammys Haus mindestens acht Gespenster, riesige Spinnenmonster und eine unheimliche, alte Hexe, die Kinder aus ihren Betten stahl und fraß.
 

„Mello hat Recht, ich glaub auch nicht, dass das ein Geist ist. Aber vor ein paar Tagen hatte ich Küchendienst und da hab ich gesehen, dass sie einen Teller für die Krankenstation hingestellt haben, den dann die Schwester mitgenommen hat. Irgendjemand ist da. Und er isst. Geister essen nicht.“

Jacob nickte selbstzufrieden und zog laut die Nase hoch.

Elene drückte ihm angewidert ein Taschentuch ins Gesicht.
 

„Also,“

schloss Taya mit wichtiger Stimme und stemmte eine Hand in ihre schmale Hüfte.

„Wir wissen, dass da oben jetzt jemand wohnt. Jemand, den die Erwachsenen vor uns verstecken. Warum?“
 

„Vielleicht ist Es hässlich.“

Robert zuckte mit den Achseln.

„So wie 'Der Glöckner von Notre Dame'.“
 

„Dann würden sie Elene doch auch von uns verstecken.“

Jacob duckte sich, um dem Hieb von dem größeren und stärkeren Mädchen auszuweichen.

Der zweite Schlag saß und der kleine, rundliche Junge hielt sich jammernd den Kopf.
 

„Vielleicht ist Es gefährlich,“

sinnierte Robert weiter und schob sich die große Brille auf der Nase wieder nach oben.

Niemand wusste, warum er sie trug, sie hatte keine Gläser und rutschte ihm ständig herunter, eindeutig eine Erwachsenenbrille.

Keiner fragte danach. Es würde schon seine Gründe haben.
 

Bei 'Gefährlich' war Mello plötzlich sehr interessiert.

„Wenn die hier wirklich jemand gefährliches verstecken, müssen wir wissen, was Es ist. Sonst können wir uns nicht verteidigen.“
 

Und so schlichen in dieser Nacht Mello, Elene, Robert, Jacob und die kleine Taya mit ihrer Stoffente 'Sir Peter' durch das dunkle Haus.

Bei dem kleinsten Geräusch zuckte die Gruppe schreckhaft zusammen, ihre Schritte schienen ohrenbetäubend laut auf dem Steinboden.
 

„Die erwischen uns. Die erwischen uns,“

murmelte Jacob ängstlich vor sich hin.
 

„Wenn du nicht die Klappe hältst, erwischen sie uns wirklich,“

fauchte Elene zurück und stieß ihm unsanft in den Rücken.
 

„Seit still, alle beide,“

zischte Mello nach hinten. Er hatte Taya an der Hand, die stumm ihre Ente an sich drückte.

Robert bildete die Nachhut.
 

„Jemand läuft hinter uns,“

flüsterte Jacob nach einer Weile.
 

„Niemand läuft hinter uns. Das ist das Echo.“

Mello verdrehte genervt die Augen.
 

„Wir sollten alle stehenbleiben. Dann hören wir ja, ob da noch jemand ist,“

schlug Robert leise vor.
 

Mello nickte. Jacob war zwar ein Idiot, aber wenn hier wirklich einer von den Erwachsenen herumlief...

„Ok. Drei, zwei, eins.“
 

Alle hielten inne.

Stille.

„Sag ich doch.“
 

Langsam tappten sie die schmale Wendeltreppe nach oben, von der man von hinten in den Krankenflügel kam. So gut wie niemand benutzte diesen Weg, Spinnweben säumten die Ecken und der Staub kitzelte in der Nase, durch trübe Fenster kämpfte sich das blasse Mondlicht.

Taya drückte seine Hand fester. Mello erinnerte sich, dass sie eine ziemliche Angst vor Spinnen hatte. Aber sie blieb völlig leise. Er drückte zurück, stolz.
 

Oben angekommen mussten sie feststellen, dass sie große Holztür verschlossen war.

„Oh, verdammt!“

Mello versetzte der Tür einen wütenden Tritt.

„Verfluchte Scheiße! Daran hätten wir denken müssen! Was machen wir jetzt?!“
 

„Du kannst versuchen, die Tür einzutreten. Oder du nimmst den Schlüssel.“

tönte eine neue Stimme hinter ihnen.
 

Jacob schrie auf und klammerte sich an Elene, die ihm dafür die zweite Kopfnuss für heute versetzte.

Taya quietschte und schlang beide Arme um Sir Peter.

Alle starrten den Neuankömmling an.
 

„Matt, was machst du denn hier?“

fragte Robert verdutzt.
 

Mello blickte düster zu dem rothaarigen Jungen herunter, der aus seiner Tasche eine Zigarettenschachtel zog und gemächlich Eine anzündete.

Taya begann zu husten.
 

„Mach das aus!“

Mello riss ihm die Zigarette aus der Hand und trat sie aus.
 

„Du bist doch viel zu jung zum Rauchen.“

Elene verschränkte mit erhobener Nase die Arme.
 

Matt zuckte nur unbeeindruckt mit den Achseln.

„Und ihr dürft nicht mitten in der Nacht auf Geisterjagd gehen.“
 

„Woher weißt du das?“

Mello funkelte ihn wütend an. Matt spielte so gut wie nie mit ihnen. Soweit er sich erinnern konnte, war das das erste Mal, dass sie überhaupt miteinander sprachen.

Er war irgendwie komisch. Manchmal hatte Mello das Gefühl, dass er sie alle im Inneren auslachte.
 

„Wenn ihr das nächste Mal so eine Aktion plant, wär es glaub ich besser, wenn ihr das nicht lautstark im Gemeinschaftsraum macht, nur son Tipp.“

Er zog einen großen Schlüssel hervor und machte sich an der Tür zu Schaffen.

„Dachte mir schon, dass ihr gar nicht so weit denkt, dass es abgeschlossen sein könnte. Habt ihr ein Glück, dass ich da bin.“
 

„Und warum hilfst du uns?“
 

Die Tür öffnete sich quietschend und Matt grinste Mello zufrieden an.

„Mir war langweilig. Dann schauen wir uns mal unseren Geist an.“
 

Weiße Betten säumten den langen Raum.

„Geister können uns gar nichts tun. Ich meine, wenn die Einen anfassen, gehen sie durch Einen durch,“

flüsterte Robert, aber seine Stimme klang etwas unsicher.
 

„Es sei denn, man stirbt vor Angst,“

warf Matt ein.

„Dann finden einen am nächsten Morgen die Anderen mit ganz schreckverzerrtem Gesicht und heraushängender Zunge. Hab ich in nem Comic gesehen.“
 

Mello sah ihn erstaunt an.

„Und du bist trotzdem hergekommen?“
 

„Dann sieht man wenigstens witzig aus, wenn man tot ist. Normale Tote sehen voll langweilig aus.“
 

Langsam begann Mellos Anerkennung für Matt zu Steigen. Wenn sie heute Nacht überleben sollten, musste Matt unbedingt in ihre Bande aufgenommen werden. So jemanden konnte er gut gebrauchen.

Taya war zu klein und Jacob ein Angsthase.

Robert war ein bisschen mutiger, aber manchmal war er ganz schön komisch, wenn er wieder stundenlang still dasaß und man ihn anschreien und schütteln konnte, ohne dass er etwas merkte.

Elene war mutig, aber gruselig. Außerdem war sie ein Mädchen.
 

„Hier ist niemand. Wir sollten wieder gehen,“

flüsterte Jacob.
 

„Da hinten gibt es noch zwei kleinere Zimmer. Da müssen wir noch nachschauen.“

Elene marschierte mit erhobenem Kopf an ihm vorbei und riss die Erste der Türen auf.

Leer.
 

„War ja klar, es ist immer die Zweite,“

murmelte Robert.
 

Unsicher stand die Gruppe vor der anderen Tür.
 

„Wer macht auf?“

flüsterte Taya.
 

„Matt,“

entschied Mello.

Jetzt konnte er zeigen, ob er wirklich zu ihrer Bande gehören konnte.
 

Ohne zu Zögern drückte Matt die Klinke herunter.

„Ist ja auch leer,“

seufzte Mello enttäuscht.
 

Plötzlich tönte eine hauchdünne, körperlose Stimme durch den Raum.

„Wer seit ihr?“
 

Alle sechs schrien entsetzt und Jacob klammerte sich wieder an Elene.

Im Bett, das bis vor einem Moment noch unbenutzt wirkte, saß ein weißer Junge und sah sie mit großen, dunklen Augen an.
 

Mello schluckte schwer und warf einen kurzen Blick auf Matt, der steif und unbewegt auf das Bett starrte. Wenn er nicht weglief, wollte Mello es auch nicht tun.

Als Anführer musste er schließlich der Mutigste sein!
 

Also ballte er seine zitternden Hände zu Fäusten und trat einen Schritt vor.

„Bist du ein Geist?“
 

Der Junge auf dem Bett legte den Kopf schief. Er war wirklich sehr klein, kleiner als Taya.

Ein leise summendes Gerät stand neben ihm, aus dem zwei dünne Schläuche bis in seine Nase gingen.

„Nein. Warum fragst du?“
 

„Du siehst aus wie Einer.“
 

Der Junge schüttelte den Kopf.

„Geister tragen lange weiße Bettlaken und rasseln mit Ketten.“
 

Mello dachte einen Moment nach.

„Aber es gibt auch andere Geister. Die sehen aus wie normale Leute, nur weiß und durchsichtig.“
 

„Ich bin nicht durchsichtig.“

Der Junge, der kein Gespenst war, drehte sich eine Haarsträhne um den kurzen Finger.
 

Matt hatte inzwischen seine Sprache wiedergefunden und war sichtlich enttäuscht.

„Da hat er Recht. Schade. Ich hatte mich schon auf den Geist gefreut.“
 

„Ihr habt noch nicht meine Frage beantwortet. Wer seit ihr?“
 

Taya tappte an Mello und Matt vorbei und stupste den Jungen vorsichtig mit dem Finger an.

„Du bist wirklich ein echter Mensch,“

meinte sie erstaunt und zeigte hinter sich.
 

„Die da ist Elene. Und der, der sich hinter ihr versteckt, ist Jacob. Der mit der Brille ist Robert. Der Rothaarige ist Matt. Das da ist Mello, unser Anführer. Ich bin Taya. Und das,“

sie hielt ihm ihre Stoffente vor die Nase,

„ist Sir Peter.“
 

„Hallo Elene. Hallo Jacob. Hallo Robert. Hallo Matt. Hallo Mello. Hallo Taya. Hallo Sir Peter,“

murmelte er monoton, während er auf die Bettdecke starrte.
 

„Warum hast du Schläuche in der Nase?“

fragte Elene interessiert.
 

„Da kommt Sauerstoff raus. Das bekommen alte Leute, wenn sie nicht mehr richtig atmen können.“

Nachdem Jacob sich sicher war, es nicht mit einem Geist zu tun zu haben, war er plötzlich sehr viel mutiger.

„Aber du bist doch gar nicht alt.“
 

„Ich brauche das,“

meinte der Junge leise.
 

Mello trat bis dicht vor das Bett vor und beugte sich über ihn.

„Und wenn wir sie dir rausziehen? Stirbst du dann?“
 

Der Junge drehte die Haarsträhne weiter, herum, herum.

Angst schien er keine zu Haben.

„Nein, so schnell geht das nicht. Ich hab das schon versucht.“
 

„Wie heißt du?“

fragte Taya.
 

Anstatt einer Antwort zeigte der Junge auf den roten Notfallknopf neben seinem Bett.

„Jetzt solltet ihr besser schnell weglaufen, gleich ist die Miss Krankenschwester da.“
 

„Du hast den Knopf gedrückt? Scheiße, warum?!“

schrie Mello ihn wütend an.
 

Near blinzelte unbeeindruckt.

„Du hast ein böses Wort gesagt.

Und ich hab ihn gedrückt, weil ich das machen soll, wenn jemand hier hereinkommt, der nicht Watari, Roger, L oder Miss Krankenschwester ist.“
 

„Nichts wie weg hier,“

rief Elene und zog Taya an Einer und Jacob an der anderen Hand hinter sich her, Robert dicht auf den Fersen. Matt zeigte dem Jungen den Mittelfinger und lief hinterher.
 

Mello funkelte ihn wutentbrannt an.

„Scheiß-Petze.“
 

„Ich heiße Near.“
 

Mello riss ihm mit einem Ruck die Schläuche herunter.

„Verreck doch!“
 

Dann rannte er so schnell er konnte.
 

Am nächsten Tag bekamen sie alle Strafarbeiten, anscheinend hatte Near der Krankenschwester brav alle Namen genannt.
 

Acht Tage später kam Near nach unten zu den anderen Kindern und nahm am Unterricht teil.
 

„Hallo Mello.“
 

„Verpiss dich.“
 

„Hallo Elene.“
 

„Sprich mich noch einmal an und ich mach dich fertig.“
 

„Hallo Taya. Hallo Sir Peter.“
 

Taya drehte sich wortlos um und ging weg.
 

„Hallo Robert.“
 

Der Junge rückte seine Brille zurecht, ohne von seinem Buch aufzuschauen.
 

„Hallo Jacob.“
 

„Verschwinde.“
 

„Hallo Matt.“
 

Matt grinste und salutierte.

„Du überlebst hier keine Woche.“
 

Er hatte immer noch den viel zu weiten, weißen Schlafanzug an, fiel Mello auf.

Bei Tageslicht wirkte er nicht mehr wie ein Geist, eher wie eine kalte, ausdruckslose Porzellanpuppe.

Mello wollte ihn gegen die Wand werfen, um zu sehen, ob er zerbrechen würde.

Und ob dabei endlich irgendeine Regung auf seinem Gesicht zu Erkennen sein könnte.
 

Nears Stimme war so leise und nichtssagend.

Aber sein Blick war auf Mello gerichtet, als er erwiderte:

„Das ist gut möglich.“

Für einen winzigen Moment hatte es den Anschein, als würde er lächeln.

Dann setzte er sich in eine Ecke und machte sich an einem Puzzle zu Schaffen.
 

Und Mellos Herz klopfte wie verrückt.

Machtverhältnisse

„... eine Zahnbürste, Taschentücher, Kleidung in meiner Größe, Waschutensilien, eine Sonnenbrille und Hautcreme mit Lichtschutzfaktor.“
 

„Wars das?“
 

„Ja, fürs erste.“
 

Mello lehnte sich stöhnend zurück.

„Wie kann ein einzelner Mensch nur soviel Zeug brauchen.“
 

Matt zuckte nur mit den Achseln.

„Hey, er ist dein... äh... Freund? Haustier? Was auch immer.“
 

Sie hielten vor einer alten, schmuddligen Tankstelle, mitten im Nirgendwo.

Den ganzen Tag waren sie jetzt schon unterwegs gewesen und Mello war langsam ziemlich angespannt. So lange stillzusitzen machte ihn unruhig. Vor allem, weil man soviel Interessanteres tun konnte...

Wenn er in den Rückspiegel sah, saß da Near in seinen zu großen Klamotten und drehte an seinen Haaren herum und der Anblick war viel Erotischer, als er sein sollte.

An seinem Hals konnte man die Bisswunde erkennen.

Ein paar mehr würden sich bestimmt gut auf seiner blassen Haut machen...
 

Seit gestern hatte sich etwas zwischen ihnen geändert.

Near hatte sich geändert, er schien sicherer, entschlossener und Mello konnte nicht anders, als sich vorzustellen, was dieser Near bereit wäre, alles mit sich machen zu lassen...
 

Aber Matt hatte darauf bestanden, den Rest der Strecke bis zum Flugplatz in einem Stück durchzufahren. Zum Ausgleich dafür konnte Near durchsetzen, Einkaufen zu Gehen.

Weder Mello noch Matt protestierten allzu heftig, schließlich gingen die Schokoladen- und Zigarettenvorräte auch langsam zur Neige.
 

„Ok, schauen wir mal, was wir hier alles kriegen können. Aber du bleibst hier, damit das klar ist. Ich und Matt sind gleich wieder da.“
 

„Mello, ich möchte, dass ihr bezahlt. Mit Geld.“
 

„Wieso?“
 

„Er hat Recht,“

meinte Matt.

„Soweit wie wirs vermeiden können, sollten wir uns aus Ärger raushalten.“
 

„Na gut, na gut.“

Mello stopfte seine Waffe wieder in das Handschuhfach und zog stattdessen einige Dollarscheine heraus.

„Tun wir mal zur Abwechslung, als wären wir normal.“
 

Eine blechende Glocke läutete, als Matt die Tür aufstieß und die warme, stickige Luft des Ladens ihnen entgegenkam.
 

Hinter der Theke sah der Besitzer träge auf, ein massiger Typ mit Stoppelbart und fettiger Halbglatze, und warf ihnen einen säuerlichen Blick entgegen.
 

„Kann ich euch irgendwie helfen?“
 

„Ne, wir kommen schon klar.“
 

„Hey, was hältst du davon, Mello?“
 

„Matt, das sind Kindersonnenbrillen.“
 

„Und? Dann passen sie ihm wenigstens.“
 

„Bist du farbenblind? Das Ding ist rosa!“
 

„Hey, ich hab sogar das perfekte Zubehör gefunden!“

Fröhlich wedelte Matt mit einem kleinen, rosa-weiß gepunkteten Schirm.
 

„Vergiss es!“
 

„Es ist entweder das, oder er verkohlt uns in der Sonne.“
 

Mello hatte inzwischen begonnen, einen Einkaufskorb lustlos mit Sachen zu füllen.

Nach ein paar Sekunden blickte er auf, nur um Matt direkt vor sich zu sehen, der ihn mit verschlagenem Blick angrinste.

„Und? Wie wars so?“
 

„Wie war was?“
 

„Denkst du etwa, mir wären die weißen Flecken auf deinem Pulli nicht aufgefallen? Außerdem sieht er aus, als hätte ihn n Tier angefallen.“
 

„Das geht dich nichts an. Das ist privat.“
 

„Seit wann biste denn so schüchtern? Bei der Letzten, die du gevögelt hast, haste nicht mal kurz Pause gemacht, als ich ins Zimmer gekommen bin. Und auf einmal machste hier auf Verklemmt?“
 

„Wie wärs wenn du mal nach Zahnbürsten suchst? Für uns kannste dann auch gleich Eine mitnehmen, Unsere sieht schon total scheiße aus.“
 

Dieses Mal lachte Matt aus vollem Hals.

„Scheiße man, du stehst total auf ihn, oder?! Mello is verliebt! Mello is verliebt!“

Er konnte gerade noch einer Dose Bohnen ausweichen, die ihm wutentbrannt entgegengeschleudert wurde.

„Kein Grund, hier so auszuticken, Mellinda. Ist ja nicht so, als ob das ein großes Geheimnis gewesen wäre.“
 

„HEY! Was soll das?“

schnaufte der Ladenbesitzer wütend.

„Wenn ihr hier nur zum Randalieren seit, könnt ihr zwei Schwuchteln euch verpissen!“
 

„Fick dich doch selbst!“

schrie Mello zurück und warf die nächste Dose nach Matt, der hinter einem Regal in Deckung ging.
 

„Raus hier! Oder ich ruf die Bullen!“
 

Die Türglocke klingelte.

„Bitte tun sie das.“

Near stand im Laden, die Pistole mit beiden Händen umklammert und auf Mello gerichtet.

„Sagen sie ihnen, dass sich bei Ihnen zwei Verbrecher mit Kontakten zur Mafia befinden.

Ich wurde von diesen Leuten entführt.“
 

„N.. Near...“

flüsterte Mello.
 

„Dieses Mal bin ich sicher gegangen, dass sie auch geladen ist.“

Nears Stimme klang frostig und seine Augen bohrten sich in ihn.
 

„Ach, scheiße...“

stöhnte Matt.
 

„Near... warum... warum...“

murmelte Mello, schluckte.

Er konnte nicht atmen, sich nicht bewegen. Das passierte nicht wirklich! Das konnte doch nicht...

Near würde doch nicht, nach allem...
 

„Warum, Mello? Hast du wirklich gedacht, dass ich eine Chance zur Flucht nicht nutze?

Dass ich mit dir gehen würde? Ich gehöre nicht hierher, sondern in eine saubere, ordentliche, sichere Welt. Und ihr, ihr gehört ins Gefängnis.“
 

Ein eisiger Klumpen saß in Mellos Brust.

Nein, nein, nein, nein, nein...

Hier, im Sonnenlicht, in Schwarz und Blau gekleidet, aufrecht, schwer atmend mit rosa Wangen und dem entschlossenen Ausdruck im Gesicht war Near so greifbar, so real.

Near durfte auf keinen Fall zurück in seine weiße, weiße Welt.

Eines Tages würde er einfach in ihr verschwinden, sich in Nichts auflösen und Mello würde ihn nie mehr wiederfinden können.
 

Der Ladenbesitzer griff panisch nach dem Hörer von dem altmodischen Telephon neben ihm.

„Was für eine Scheiße geht denn hier ab...“

murmelte er ängstlich, als er mit zitternden Fingern wählte.
 

Ein Schuss fiel und er ließ schreiend den Hörer fallen.

An seinem Kopf, wo gerade noch ein Ohr gewesen war, hang nur noch ein blutiger Fetzen.

Was in... Near hatte auf den Kerl geschossen?!
 

„War nur Spaß.“

Der kleine Junge lächelte etwas verschlagen.
 

„S... Spaß..“

wiederholte Mello tonlos.
 

Matt versetzte ihm einen Klaps auf den blonden Hinterkopf und grinste.

„Sieht ganz so aus, als hätte dein Near einen ganz schön ekligen Sinn für Humor.“
 

„Nach all den Jahren hat Mello das mehr als verdient.“

Near nahm die Pistole herunter und schüttelte sich mit kritischem Gesicht eine Hand aus.

„Der Rückstoß war etwas härter als erwartet... ich wollte ihn in den Kopf treffen...“

murmelte er wie zu sich selbst.
 

„IHR SCHEIßKERLE! OH GOTT, IHR SEIT JA SOWAS VON KRANK! IHR PERVERSEN SCHWEINE!“
 

Matt nahm Near mit einer fließenden Bewegung die Waffe ab und schoss den, immer noch vor Schmerzen brüllenden Mann, zweimal in die Brust, dass er zusammensackte.

„Wenn du willst, bring ichs dir bei, Kleiner. Schießen sollte man nur, wenn man auch treffen kann.“

Er wuschelte Near durch die weißen Locken und begann, pfeifend die Kasse auszuräumen.
 

„Mello? Ist alles in Ordnung?“

fragte Near leise.

„Ist schon gut. Ich gehe nicht weg.“
 

„Matt...“

presste Mello hervor.

„Matt, raus.“
 

„Oh, oh, jetzt kriegst du ganz schön Ärger.“

Von einem fröhlichen Klingeln begleitet, spazierte Matt mit Einkaufskorb und Pistole aus dem Laden.
 

Mello packte Near am Hals und presste ihn, fast einen halben Meter über dem Boden, gegen die Wand.

Near rang mit geweiteten Augen nach Luft, stumpfe Fingernägel kratzten an Mellos Hand, seine Füße kickten nutzlos in der Luft.

Mello konnte den pochenden Herzschlag an Nears Kehle fühlen und seinen warmen, feuchten Atem.

„Mach das NIE WIEDER! Denk nicht mal an so was!“
 

Noch einmal schlug er den Jungen krachend gegen die Wand.

„Spürst du das?! Das ist das Leben! Schmerzen und Freude und Sex und Schokolade!

Das ist es, was es bedeutet, zu LEBEN! Dort, wo du herkommst, gibt es gar nichts! Nur beschissene, weiße LEERE! Und du wirst dort NIE wieder zurückgehen, das lasse ich nicht zu!

Ich werde dich überall finden, und wenn ich dir dafür bis in die Hölle folgen muss. Ich werde dich finden und dich zurückholen. Denn HIER gehörst du hin!“
 

Der Puls gegen seine Hand wurde langsamer, die Versuche, sich zu Wehren, schwächer, Tränen traten in Nears Augen.

Erst, als er begann, blau anzulaufen und seine Augäpfel sich zurückrollten, ließ Mello los.

Near fiel wie ein Stein zu Boden, hustend und stöhnend, eine Hand schützend an seinen Hals gelegt.
 

„Du lebst nicht, du existierst. Wenn man nur existiert, kann man nicht sterben, man kann nur aufhören, zu existieren. Wenn du willst, dass ich dich töte, musst du erstmal lernen, was es heißt, zu Leben. Verstehst du das?“
 

Der Junge zu seinen Füßen nickte langsam und wischte sich seine feuchten Augen mit dem Handrücken ab.

„Ich bleibe, ich verspreche es. Egal, was passiert. Es gibt keinen anderen Ort, wo ich sein kann.“

Seine Stimme klang rau und brüchig.

„Mello braucht keine Angst zu haben.“
 

„ICH HAB KEINE ANGST!“

Mello zerrte ihn auf die Beine.

„Ich hab keine Angst...“

wiederholte er leise, unsicher.
 

Eine zitternde, kleine Hand streichelte Mello über die Wange, strich zwei blasse Finger über seine Lippen.

Nears Blick war so sanft und weich.

„Mello... es gibt etwas, das wir tun sollten.“
 

„Was denn?“

presste er heraus, an dem schweren Klumpen vorbei, der ihm im Hals saß.

Er hasste, wie schwach und hilflos er sich fühlte, Nears zärtliche Berührungen waren wie süßes Gift, noch nie hatte ihn jemand so angefasst, so angesehen. Es war, als könnte Near bis in die tiefsten Abgründe seiner Seele blicken, als würde er mit seinen sanften Fingerspitzen tiefe Fleischwunden in ihn schneiden.

Und es tat weh weh weh weh...
 

„Wir hätten es gestern schon tun sollen, bevor unserem sexuellen Akt. So ist es, denke ich, üblich. Und... ich würde es sehr gern.“
 

Kleine Hände zogen ihn an seinem Shirt nach unten und Nears schmale, weiche Lippen strichen schmetterlingsleicht an Mellos, fast wie ein Lufthauch.
 

Mello wagte nicht, sich zu Rühren, oder auch nur zu Atmen, seine Augen fest geschlossen.

Near war ein Puppenspieler und er seine Marionette.

Mit einer winzigen Geste, mit samtweichen, unscheinbaren Berührungen hatte er ihn völlig in seinen Bann gezogen.

In diesem Moment wurde ihm klar, dass er alles für Near tun würde.

Dass er schon immer alles für Near getan hatte.

Und dass dieser Junge in seinen zierlichen Händen die Kraft hielt, ihn zu zerstören.
 

„Du hast es versprochen. Du wirst nicht gehen,“

flüsterte er gegen Nears Lippen.
 

„Und du hast versprochen, mich zu Töten. Wir werden beide unser Wort halten,“

kam die leise Antwort.
 

Mello grub seine Hände in weiße Locken und küsste ihn mit aller Wut und Leidenschaft, überfiel ihn mit Lippen und Zähnen und Zunge, wie ein Verdursteter.

Und Near küsste ihn zurück, warm und offen, sich bereitwillig hingebend.
 

Mello trank.

Ein neuer Mitspieler

Der Bildschirm war weiß, bis auf den gotischen Schriftzug 'Jinx'.

Eine tiefe Computerstimme sprach:
 

„Ich danke für die großartige Unterstützung, die ich nach meinem ersten öffentlichen Auftritt erhalten habe. Ein weiteres Zeichen, dass es sich hier um eine weltweite Revolution handelt, nicht um die Taten eines Einzelnen. Es ist die gesamte Menschheit, die Gerechtigkeit einfordert.

Deswegen rufe ich alle dazu auf, euch uns anzuschließen.

Denn nur, wenn wir zusammenarbeiten, können für diese Erde verändern, von Grund auf und für alle weiteren Generationen.
 

Außerdem möchte ich mein Wort an Kira richten:

Du bist die Inspiration für uns alle gewesen. Du hast uns gezeigt, dass es eine bessere, hellere Zukunft für uns gibt.

Komm zu uns! Lass uns gemeinsam kämpfen!

Du bist nicht allein, wir alle stehen hinter dir.

Wenn wir uns treffen, können wir Notizen vergleichen und uns gegenseitig unsere Shinigami zeigen. Du brauchst dich nicht mehr zu verstecken, denn jetzt ist ein neues Zeitalter angebrochen.
 

Wir erwarten dich!“
 

Und der Schirm wurde schwarz.
 


 

Um aus einer Psychiatrie auszubrechen, sind eigentlich nur zwei Dinge nötig:

Eine gute Beobachtungsgabe und sehr viel Geduld.
 

Egal, wie viele Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, egal wie viel computergesteuerte Schlösser und Überwachungskameras installiert werden, letzten Endes sind es immer Menschen, die Menschen bewachen.

Alle Menschen machen Fehler und lassen sich manipulieren.
 

Also spielt man mit.

Man ist brav und macht keinen Ärger, tut so, als würde man seine Tabletten schlucken, trottet auf dem kleinen, abgezäunten Außenhof umher, übt sich in dem gleichen, stumpfsinnigen Blick, den die ganzen anderen lobotomierten Zombies mit sich herumschleppen und eines Tages, wenn man schlaff auf seinem Stuhl hängt und sich selbst ansabbert, ist man für die Welt offiziell harmlos und hirntot.
 

Wenn man den Menschen das zeigt, was sie erwarten, schauen sie normalerweise nicht zweimal hin, bemerken nicht, wenn man in seiner Matratze ein Tablettenlager anlegt, anstatt sie einzunehmen oder seine Fingernägel mit Geduld gegen eine raue Stelle des Bettgestells zu scharfen Krallen feilt.

Wenn man sich sorgfältig einprägt, wann welche Wärter Schicht haben und wann die Wechsel stattfinden, die Karte des Gebäudes und die verschiedenen Alarmanlagen, die auf den Plänen im Computer des Chefarztes verzeichnet sind, in dessen Büro man sich in einem passenden Moment einschleicht.
 

Und dann muss man sich nur noch einen Tag aussuchen, an dem man am besten verschwinden kann.
 

Ein Kinderspiel.
 

Der Junge auf dem Fahrersitz hatte das Autoradio bis zum Anschlag aufgedreht und grölte lautstark mit, als er durch die Nacht raste:

„...like the way I love you? Does she stimulate you? Attrack and captivate you? BABY! BABY! Tell me, does she miss you, existing just to kiss you? Like the way I DOOOOOOOOOOOOOO...“
 

Er grinste die breitschultrige Gestalt in Aufsichtsuniform auf dem Beifahrersitz mit blutigen Zähnen an, spitze, blutverkrustete Nägel trommelten auf dem Lenkrad im Rhythmus der Musik.

„Weißt du, Walther Hooper, als du noch gelebt hast, warst du ein richtiges Arschloch. Aber je länger du tot bist, desto sympathischer wirst du für mich. Ist total nett, dass du mich mit deinem Auto fahren lässt. Echt. Du bist ein wahrer Freund.“

Er lachte laut und schrill.

Neben ihn knallte die leblose Gestalt bei einer Kurve gegen das Seitenfenster, Blut rann immer noch träge aus der klaffenden Halswunde.
 

„Falls es ein Trost für dich ist, in zwei Tagen wärst du sowieso gestorben. Ich hab den Prozess nur ein bisschen beschleunigt.“
 

Er zerschlug das dröhnende Radio mit der Faust, Stille senkte sich in dem Wagen.

Brandnarben zogen sich seine linke Hand nach oben, bis sie unter seinem langarmigen Shirt verschwanden. Die Narben an seinem Hals und seine entstellte linke Gesichtshälfte waren Unübersehbar, die Nase verformt, struppige pechschwarze Haare, vereinzelte Stellen an seinem Kopf kahl.
 

„Da fällt mir ein, ich hab mich ja noch gar nicht vorgestellt.

Beyond Birthday. Oder BB. Oder B, was dir lieber ist.
 

Diese Kira/Jinx Sache war ja schon an sich interessant genug. Fast schon wert, mich auf die Suche nach ihnen zu machen, wenn auch nur, weil ich weiß, wer sie ebenfalls sucht. Ein alter Bekannter von mir, mit dem ich noch eine Rechnung offen hab.“
 

Seine Miene verfinsterte sich.

„Aber nach Jinxs zweiter Nachricht heute Abend weiß ich, dass ich keine Zeit zu Verlieren habe.

Shinigami. Shinigami. Shinigami. SHINIGAMI!“

Er schlug aufgebracht auf das Lenkrad.
 

„'Wir sollten uns treffen und Notizen vergleichen, Kira. Damit können wir uns gegenseitig erkennen können wir uns unsere Shinigami zeigen,'“

äffte er aggressiv nach.
 

„Es sind Shinigami hier! Nach all den Jahren sind wieder Shinigami auf der Erde. Das würde natürlich erklären, wie Kira und Jinx töten. Aber warum zur Hölle sollten Shinigami für irgendwelche Gerechtigkeitsfanatiker morden?

Wenn ich diese beiden Idioten finde, finde ich auch die Shinigami,“
 

Nachdenklich schwenkte er seinen Blick auf die nächtliche Straße.

„In den vier Jahren im Gaga-Haus hatte ich ne Menge Zeit, mir über einiges klarzuwerden.

Diese Welt war zwar für eine Weile ganz nett, aber jetzt will ich dorthin, wo ich hingehöre. Zu meinen Artgenossen. Zu den Shinigami. In eine höhere, bessere Dimension!
 

Dann ist endlich Schluss mit der ganzen Scheiße.

Alles, was hier passiert ist, hat dann keine Bedeutung mehr. Dann bin ich endlich frei.

Ich habe so lange gespielt. Jetzt will ich nach Hause.“

flüsterte er.
 

Dann grinste er plötzlich wieder und versetzte der Leiche neben ihm einen fröhlichen Schlag gegen die Schulter.

„Aber hey, genug von meiner depressiven Scheiße!

Kennst du schon den?
 

Drei Typen stehen kurz vor ihrem Abschluss zum CIA-Agent. Ihr Vorgesetzter führt sie zu nem Raum, hält ihnen eine Waffe hin und sagt:

'Im letzten Schritt wird ihr absoluter Gehorsam von Ihnen verlangt. Hinter dieser Tür ist eine Person, die Sie ohne Zögern erschießen werden!'
 

Der Erste sagt gleich 'Nein.' und haut ab.
 

Der Zweite nimmt die Waffe, geht rein, und sieht dass da ein kleines Mädchen, so fünf Jahre alt, auf nem Stuhl sitzt, zwei Zöpfe, Blümchenkleid.

Er rennt sofort wieder raus und sagt, dass ers nicht kann.
 

Dann nimmt der Dritte die Waffe, schließt die Tür hinter sich und man hört mehrere Schüsse und Schreie.

Schließlich kommt der Mann wieder raus, komplett blutüberströmt.

'Sorry dass es so lange gedauert hat. Irgend son Scherzkeks hat Platzpatronen in die Kanone gemacht und ich musste ihr den Schädel einschlagen!'
 

KYAHAHAHAHAHAHAHAHAAHA!

Der ist gut, oder?

KYAHAAA!
 

... Naja, Sinn für Humor hattest du noch nie, du alte Kotztüte. Aber ich liebe dich trotzdem!“

Distanz und Nähe

Light verbrachte die meiste Zeit der zwei Wochen bis zu ihrem Flug bei L im Hotelzimmer.

Es war beinahe, als würde man zusammen wohnen, und L liebte jede Sekunde.
 

Nicht, dass es immer einfach war.

Es fing mit dem Essen an. Light hatte sich anscheinend vorgenommen, dass wenigstens eine 'normale' Mahlzeit pro Tag auf dem Programm stehen musste.
 

„Schmeckt nicht.“
 

„Du hast es nicht einmal probiert.“
 

„Könnte ich nicht...“
 

„Nein, du kannst keine Schokosauce auf dein Gemüse machen!“
 

Außerdem wollte er allen Ernstes, dass L Rückenübungen machte.

Nach einer heftigen Diskussion war Light aus dem Hotel gerauscht, nur um anderthalb Stunden später mit der 'Misa-Misas Rückenschule' – DVD in der Tür zu Stehen, mit einem Gesichtsausdruck, als ob er sein Todesurteil in der Hand hielt.
 

„Ich werde mit dir diese hirnlose Gothic-Barbie bei ihren Verrenkungen ansehen!

Und dann werden wir es zu zweit Nachmachen! Und wehe, du erzählst irgendjemandem davon!“
 

L lachte und küsste ihn.
 

Das war etwas, was sie viel taten. Küssen.

Stunde um Stunde, auf dem großen Sofa, lagen sie aufeinander, küssten sich langsam, tief, ohne Eile. Beide erregt, aber nicht so sehr, dass der Wunsch nach Sex, nach dem Höhepunkt, zu groß wurde. Nur eine warme, summende Wolke, die sich auf sie senkte und die Welt aussperrte.

Dann herrschte in Ls Kopf eine angenehme, vibrierende Stille, alle Gedanken verstummten und alles, was er tat, war fühlen.

Es war wundervoll. Erstaunlich. Fantastisch. Und er konnte nicht genug davon bekommen.
 

Natürlich hatten sie auch Sex.

Mit der Zeit begann L seine Unsicherheit zu Verlieren und das Gewicht von Lights Erektion wurde vertraut in seiner Hand, die Bewegungen, die Lights Atem schneller werden ließen und seine Knie weich machten, wurden sorgfältig abgespeichert und selbst wenn die Erregung alles in L in Flammen aufgehen ließ, wussten seine Muskeln, was sie zu tun hatten, um Light mit ihm gemeinsam zum Orgasmus zu bringen.
 

Auf dem Sofa, gegen die Wand, in der Dusche, auf einem der Sessel, auf dem niedrigen Wohnzimmertisch, in dem großen Bett, das sie sich jetzt fast jede Nacht teilten.

Sie hielten sich gegenseitig in der Hand und rieben sich schnell, langsam, fest, leicht, dem Höhepunkt entgegen, während sie sich küssten, lächelten, sinnlose, zärtliche Worte flüsterten.
 

Manchmal rutschte L an Light herunter und nahm ihn in den Mund, umschloss seinen Schaft mit der Hand und leckte über die Eichel, saugte und lutschte und leckte an ihm und Light stöhnte hilflos und krallte seine Hände in die Polster, oder die Bettwäsche, oder die Tischkante, oder in Ls Haare, bis der vertraute, salzig-bittere Geschmack in Ls Mund schoss und er hastig versuchte, alles bis auf den letzten Tropfen zu Schlucken, damit nichts von Light verloren ging, selbst wenn es bitter war und ein unangenehmes, schweres Gefühl im Magen zurück ließ.
 

Light. LightLightLightLightLight...

Seine Haut, seine Lippen, seine Hände.

Light, wenn er morgens aufwachte, die Haare ungekämmt und mit verschlafenen Augen und einem warmen Lächeln.

Light, wenn er sich die Zähne putzte und wie immer viel zu viel Zahnpasta nahm, dass der Schaum ihm vom Kinn tropfte.

Light, wenn er ihn plötzlich aus dem Nichts umarmte und tausende, wild flatternde Schmetterlinge in Ls Bauch zurück ließ.

Light, wenn er nach Hause ging, und L wusste, er WUSSTE was Light dort tat.

Dass er das Death Note dort versteckt hielt und all die Menschen tötete, von denen L am nächsten Tag im Fernsehen hörte.
 

Jedes Mal, wenn der Gedanke daran zuviel wurde, wenn der Todesgott Ryuk wieder einmal bei ihnen auftauchte und grinsend ihren Apfelvorrat vernichtete, versuchte sich L zu Vertrösten.

Jetzt noch nicht. Jetzt noch nicht.
 

Zuerst mussten sie Jinx vernichten, und dazu brauchten sie eine mächtige Waffe wie Kira.

Aber dann, wenn alles vorbei war...
 

L hatte das Death Note nur für ein paar Momente in der Hand gehalten.

Die Seiten mit den vielen Regeln hatte er nur überflogen, auf der fieberhaften Suche nach den Namen.

Aber eine der Regeln, die ihm im Gedächtnis geblieben waren, hatte besagt, dass wenn das Notizbuch zerstört werden würde, der Besitzer alle Erinnerungen daran verlieren würde, es jemals gehabt zu haben.
 

Die Lösung erschien beinahe zu einfach.

L würde das Death Note vernichten und Light wäre frei. Kira wäre einfach verschwunden.

Und obwohl eine leise, schwarze Stimme in seinem Herzen traurig darüber sein würde, Kira zu verlieren und nur noch mit einem Bruchteil von Light zu leben, wusste L, dass es das einzig Richtige war.

Lieber ein Teil von Light als gar nichts.

Dann wären sie alle Sorgen los und könnten zusammen bleiben. Für immer.
 

Bevor es soweit wäre, musste er noch einmal die Regeln durchlesen. Damit er nichts übersehen konnte und nichts schief ging. Und im entscheidenden Augenblick musste er wissen, wo es sich befand. Dafür musste Light ihm vollends vertrauen.

Und das tat er nicht. Noch nicht.
 

Der Gedanke tat ein klein bisschen weh. Er hatte natürlich allen Grund, L zu misstrauen.

Aber es wäre schön, wenn sie nichts voreinander verstecken und verheimlichen müssten.
 

Bald.

Bald würde es so sein.

Bald. Bald.
 

Light schlief auf ihrem Bett, L hatte Arme und Beine um ihn geklammert und sah zu, wie die Lichter der nächtlichen Stadt Schatten auf Lights Gesicht malten.

L brauchte immer noch sehr viel weniger Schlaf als er, aber er liebte es, Light einfach zu betrachten, seinen Schlaf zu bewachen.
 

Ein paar Stunden zuvor hatte es L Light mit dem Mund gemacht, langsam, ganz langsam, bis Light bettelte und fluchte und an Ls Haaren zerrte, kommschon kommschon kommschon...

Er war danach erschöpft und befriedigt in sich zusammengesunken und hatte L, wie schon so oft, gefragt, ob er bei ihm auch durfte.
 

L hatte nein gesagt, wie immer.

Nicht, dass er es nicht wollte. Die Vorstellung von Lights Lippen dort unten war sehr, sehr aufregend. Und es gab noch mehr, so viel mehr, was man tun konnte. Aber L wollte warten, warten bis sie aus Japan weg waren.

Warten, bis nichts mehr zwischen ihnen stand. Kein Death Note. Nur Light und L.
 

Vielleicht würde er Light dann sogar seinen echten Namen sagen...

Nein, das wohl doch nicht.
 


 

Light sah fassungslos auf den Bildschirm. Er konnte nicht glauben, dass er das gerade gesehen hatte.
 

„Jinx-san scheint ja sehr siegesgewiss zu sein. Und sehr leichtsinnig.“

L hatte skeptisch die Augenbrauen gehoben.
 

„Er redet in aller Öffentlichkeit von den Shinigami! Dieser Idiot!“

Light hielt stöhnend seinen Kopf in den Händen.

„Was bildet sich dieser Kerl ein!“
 

Es war nur gut, dass sie morgen schon fliegen würden. Sie mussten diesen Typen so schnell es ging finden, bevor er noch mehr Unsinn anstellte.

Ja, die Begeisterungswelle für Jinx und damit auch für Kira war nach seinem ersten Auftritt förmlich explodiert, aber Jinx verhielt sich ja, als ob er den Sieg bereits in der Tasche hätte und unangreifbar wäre.
 

Und wenn es wirklich so war...?

Unsinn!

Aber man sollte sich auf jede Möglichkeit einstellen können...

Es ging Light zwar absolut gegen den Strich, aber vielleicht würde er ein wenig gute Miene zum beschissenen Spiel machen müssen und Jinx in den Arsch kriechen, bis er ihn erledigen könnte.

Mächtige Feinde konnte er nicht gebrauchen.

Aber Jinx hätte dann auch ihn in der Hand. Und wenn dieser Typ an L kommen würde... oh Gott... er würde ihn sofort ermorden...
 

„Light-kun sieht sehr besorgt aus. Überlegt er, wie er die Situation am Besten zu seinem Vorteil nutzen kann?“
 

„Zu unserem Vorteil. Jinx lädt uns ein. Wenn wir es klug anstellen, haben wir ihn bald.“
 

„Oder er hat uns.“
 

„Das ist das Risiko. Ist es dir zu gefährlich?“
 

L sah ihn an, als wäre er ein sehr, sehr begriffsstutziger Mensch.

„Wenn ich an einem sicheren Leben interessiert wäre, befände ich mich nicht augenblicklich in einer intimen Beziehung mit Kira.“
 

„Touché.“

Light presste ihm einen kleinen Kuss auf das Ohr und L wand sich kichernd unter seinen Armen heraus.

Ls Ohren waren sehr empfindlich, wie Light schnell zu seiner Freude festgestellt hatte.
 

Er träumte davon, noch mehr mit L zu machen, als die gemeinsamen Handjobs und Ls, zugegeben inzwischen meisterhaften, Blowjobs. Aber L hielt ihn auf Abstand, was frustrierend und ein wenig ernüchternd war. Er hielt zurück, was nur bedeuten konnte, dass er ihm noch nicht voll vertraute.

Würde er es jemals?

Oder würde für immer ein kleiner Spalt zwischen ihnen bleiben?
 

Aber sie hatten ja Zeit. Eines Tages wird auch Ls letzte Schutzmauer fallen und dann gehörte er nur Light. Eines Tages.
 

„Du bist schon viel geflogen, oder?“
 

„Ja.“
 

„Ich noch nie.“
 

„Hat Light-kun Flugangst?“
 

„Nein!“
 

...
 

„Ich weiß nicht. Wie gesagt, ich bin noch nie geflogen...“
 

„Light-kun hat Flugangst.“
 

„Das hab ich nicht gesagt!“
 

„Light-kun hat Flugangst! Light-kun hat...!“
 

Light drückte L ein Kissen ins Gesicht und L wehrte sich lachend, leckte frech quer über Lights Gesicht und nutzte seine Schrecksekunde, um seinerseits mit einem Kissen anzugreifen.
 

Es war ihr letzter Abend in Japan.
 

Beide würden nie mehr wiederkommen.

God is a girl

Teru Mikami war nicht jemand, der die Dinge nur Halb machte.

Sein Job, sein Training, immer gab er einhundert Prozent, diszipliniert, strukturiert, schnell und mit maximalem Ergebnis.

Seit er denken konnte hatte er sich selbst straffe Richtlinien vorgegeben, und mit den Jahren hatten sie sich nur verstärkt.
 

Faule, antriebslose Menschen, die sich von einem Tag in den Nächsten treiben ließen, gleichgültig und desinteressiert am Leben, waren für ihn abstoßend, widerlich.

Fast schon schlimmer als die eigentlichen Verbrecher waren die Zuschauer, die Wegschauer, die der Meinung waren, es ginge sie nichts an, wenn direkt vor ihrer Nase furchtbare Dinge passierten.
 

Die Menschheit musste mobilisiert, aus ihrer Trägheit geholt und aktiv werden.

Kira war ein Anstoß, aber unerreichbar und wage, ein abstraktes Wesen.
 

Aber Jinx... Jinx schien zum Greifen nahe. Er sprach die Menschen direkt an, rüttelte sie auf.

Er war derjenige, der sie in ein neues Zeitalter führen konnte.
 

Er war wahrhaftig Gott, und er war zu ihnen herabgestiegen!

Ihr Retter!
 

Und Kiyomi, seine wunderbare, kluge Partnerin Kiyomi.

Eine glückliche Fügung, dass er so eine Frau kennen lernen konnte. Er hatte sich nie besonders für Frauen interessiert, aber sie teilte seinen Enthusiasmus, seine Leidenschaft für die Gerechtigkeit.

Außerdem war sie ein hart arbeitender und zielstrebiger Mensch.

Teru konnte sich eine gute gemeinsame Zukunft mit ihr vorstellen.
 

Schade war nur, dass sie keine Kinder bekommen wollte. Er hatte das Thema ein paar Mal angesprochen, aber Kiyomi hatte sofort abgeblockt.

Dabei waren Kinder so wichtig, gerade für dieses neue Zeitalter, das eine neue Generation von Menschen hervorbringen würde.
 

Bis vor wenigen Jahren hätte er es verstanden, wenn man es sich gut überlegte, Kinder in die Welt zu setzen, aber jetzt schien eine gute, lebenswerte Zukunft zum Greifen nahe.

Nun, vielleicht würde sie es noch einmal überdenken...
 

Als sie einen Tag nach der Ausstrahlung von Jinx erster Nachricht nach Hause kam, und ihm erzählte, sie hätte Jinx persönlich getroffen und er wollte mit ihnen zusammenarbeiten, konnte er sein Glück kaum Fassen.

In was für einer großartigen Zeit lebten sie doch, in der harte Arbeit letzten Endes so belohnt wurde!
 

In dieser Nacht schliefen sie miteinander.

Es passierte nicht oft, aber wenn, dann gab sich Teru die größte Mühe, ein zärtlicher und aufmerksamer Liebhaber zu sein, gerade, weil Kiyomi schnell verkrampfte und ihre Lust verlor. Aber an diesem Abend war es noch so viel mehr.

Seine Kiyomi hatte Jinx gesehen, mit diesen Augen, dessen Lider er sanft küsste.

Mit ihm gesprochen, mit diesen Lippen, über die er langsam mit der Zunge fuhr.

Seine Stimme gehört, mit diesen schönen, kleinen Ohren, an denen er vorsichtig knabberte.

Hatten ihre Hände Seine berührt?

Vielleicht hatten sich ihre Schultern, ihre Arme gestreift?
 

Als er endlich, endlich in sie eindrang, und sie wohlig stöhnte, konnte er es fühlen.

Es war mehr als ein körperlicher Akt, es war der göttliche Segen, der durch Kiyomi hindurch strömte und ihn erfüllte.

Eine spirituelle Erfahrung, eine Erleuchtung, eine Erlösung, und Teru fühlte Tränen des Glücks über sein Gesicht laufen und er küsste sie und küsste sie, wieder und wieder.

„Ich liebe dich, Kiyomi. Ich liebe dich.“
 


 

Natürlich wünschte er sich sehnlichst, Jinx auch eines Tages zu Sehen, aber bis jetzt hatte er noch nicht die Bitte danach geäußert, und Teru wagte nicht, zu Fragen.

Er würde sich in Geduld üben, bis Gott es ihm erlaubte und Kiyomi an der Türe erwarten, wenn sie von den Treffen zurück kam. Nicht, um unverschämt Fragen zu Stellen und Informationen aus ihr herauszulocken, sondern nur, um sie Anzusehen, zu Verwöhnen und ein wenig von der Göttlichkeit zu Erhaschen, die sie noch immer Ausstrahlen musste.
 

Und nach der zweiten Nachricht, dem Aufruf, nicht nur an die Menschen, sondern auch an Kira selbst, eröffnete sie ihm, dass Jinx zu ihnen nach Hause kommen würde.
 

„J-Jetzt? Aber, ich bin gar nicht vorbereitet! Das Haus ist nicht geputzt!“
 

„Es ist sauber genug, glaub mir, das wird gar nicht auffallen.“
 

„Wir müssen sofort etwas kochen!“
 

„Nicht nötig. Jinx bringt was vom KFC mit.“
 

„Der... KFC?“
 

„Du magst doch Hähnchen, oder?“
 

„Aber... Gott kauft fettiges Fastfood?!“
 

„Ja... ich glaube, ich sollte dir da noch etwas erzählen. Nur als... Vorwarnung...“

Kiyomi wirkte peinlich berührt und fuhr sich nervös durch die Haare.

„Jinx ist... wahrscheinlich nicht so, wie du es dir vorgestellt hast...“
 

Ein lautes, langes Klingeln unterbrach sie.

Teru warf einen hastigen Blick in den Spiegel, dankbar, dass er noch den Anzug aus der Arbeit trug.

Aber seine Haare standen ihm wirr vom Kopf und sein Blick war panisch. Er strich sich hastig über die schwarzen Strähnen und atmete einmal tief durch.

Er musste den Eindruck eines seriösen, kompetenten Mannes machen!
 

„Äh, Teru, warte eine Sekunde...!“

hörte er noch Kiyomis Stimme hinter sich, als er die Tür öffnete.
 

Etwas Kleines, Schwarz-Blondes warf sich ihm quietschend um den Hals und leerte beinahe den riesigen Eimer voller fettiges Hähnchen über seinen Anzug.
 

„Ooooh, du bist Teru, nicht wahr? Mannoman, du bist ja groß.

Ich meine, du bist echt RIESIG! Wie groß bist du?! Zwei Meter?“
 

Das Etwas war Weiblich, unübersehbar durch den großzügigen Ausschnitt und ihrer, für ihre Größe und schlanke Figur, beeindruckende Oberweite.

Sie trug ein schwarzes Kleid, dass nur aus Rüschen, Tüll und Spitze zu bestehen schien und ihre Augen und Lippen waren tiefschwarz geschminkt. Sie strahlte ihn so breit an, dass ihm beinahe schwindlig wurde.
 

„KIYOMI! HI!“

Die Frau neben ihm bekam die gleiche, stürmische Begrüßung.

„Ich hab uns was zum Futtern mitgebracht, um den heutigen Abend zu Feiern! Endlich lern ich deinen Teru kennen! Ihr habt ja ne tolle Wohnung! Habt ihr Haustiere? Ist das das Wohnzimmer? Wo kann ich den Eimer abstellen? Und wo ist das Badezimmer, ich muss ganz dringend mal für kleine Mädchen!“
 

Kiyomi schickte Teru über die Schulter des Mädchens einen zerknirschten Blick.

„Ich... hätte es dir schon vorher sagen sollen... aber...“
 

„G-Gott?“

stotterte Teru.
 

Das Mädchen wirbelte herum, die Augen leuchtend, heftig atmend dass ihre Brüste sich hoben und senkten, ihre Wangen rot und ihr Lachen hell und überschäumend.

„Mein Name ist Misa Amane! Na, wie sieht's aus? Lust, dass wir drei Alles verändern?“
 

Misa Amane. Jinx. Gott.

Er fiel auf die Knie, zitternd und mit rasendem Herzschlag.

Gott war ein blondes, überirdisch schönes Mädchen, die den ganzen Raum zum Leuchten und Knistern brachte, ein wilder Sturm von Energie, eine magische, irre, ungebändigte Kraft.

Sie würde die alte Ordnung zerschmettern!
 

Der Gott einer neuen Welt!

Nichts für ungut

Eine explodierende Tankstelle war ein ziemlich beeindruckender Anblick.
 

Es gab zwar die offizielle Erklärung, dass es zur Vernichtung der Beweise nun mal keine bessere Methode gab, aber Near vermutete, dass Mello einfach gerne Dinge in Brand steckte.
 

Unter normalen Umständen hätte er vielleicht ein paar spitze Kommentare zum Thema Pyromanie abgegeben. Aber sein Hals fühlte sich geschwollen und schmerzhaft an, sein Kopf dröhnte dumpf und er war immer noch ein wenig zittrig.
 

Nicht, dass er damit gerechnet hätte, dass Mello seine Aktion besonders gut aufnehmen würde, aber das war doch sehr viel heftiger als erwartet gewesen.

Er hatte es ja auch nicht unbedingt zum Spaß gemacht, obwohl es doch eine gewisse Genugtuung gewesen war. Mello hatte es wirklich verdient, wenn auch nur für die letzten drei Tage.
 

Nein, Nears Hauptziel war es, etwas zu Beweisen.

Er war nicht schwach. Er musste nicht beschützt werden.

Und er war genauso dazu fähig, ein vollwertiges Mitglied ihrer Gruppe zu sein, wie sie auch.

Er würde Mello nicht einfach das tun lassen, was er wollte und ihn währenddessen beiseite schieben.

Er musste Near ernst nehmen, egal, in welcher Situation sie sich befanden, sonst würde er zurückgelassen werden.

Und Gott, der Gedanke tat weh...
 

Aber Mello...

Near hatte es erst viel zu spät gesehen. Dieser Schmerz in Mellos Gesicht. Die Angst.

Und natürlich reagierte Mello auf die einzige Art, die er kannte, wenn ihm alles zuviel wurde.
 

Als die dunklen Punkte vor seinen Augen sich zu einer schwarzen Wand verdichteten und seine brennenden Lungen fast unerträglich wurden, ließ der Druck von Mellos Hand plötzlich nach und er fiel auf den Boden, wo er gierig Luft durch seine schmerzende Kehle sog.

Mellos Augen waren feucht. Er sah so verletzlich, so verloren aus.

Eine nie da gewesene Welle der Zärtlichkeit überrollte Near.
 

Sein schöner, starker Mello...

Hatte er wirklich gedacht, dass Near gehen würde?

Dass er das Wundervollste, dass er je besessen hatte, einfach wegwerfen würde?
 

Plötzlich wollte Near ihn berühren, ihn festhalten und ihm sagen, dass alles gut wird.

Dass alles, was er jemals brauchen könnte, bei Mello war und dass er keine Angst mehr haben muss.
 

Sein armer Mello.

Sein schönes, geliebtes Spielzeug.

Seit den Anfangstagen bei Wammys hatte Near ihn gewollt, diesen lauten, ungehobelten, leidenschaftlichen Jungen, der alles war, war Near niemals sein würde.

Er MUSSTE ihn haben. Er würde nie wieder so jemanden finden, jemand, der so lieben und so hassen konnte, der ihm das Gefühl gab, der Mittelpunkt der Welt zu sein.

Alle Gefühle und Handlungen von anderen Menschen verblassten dagegen bis zur Unkenntlichkeit.
 

Bis er ihn getroffen hatte, wusste er nicht, was für ein farbloses, kaltes Leben er geführt hatte.

Bis er ihn getroffen hatte, wusste er nicht, wie einsam er wirklich gewesen war.

Und ab dann ging es nicht mehr ohne Mello, nur eine winzige Kostprobe und Near war unheilbar süchtig nach ihm geworden.
 

Seine Finger strichen leicht über Mellos Gesicht, die vertrauten Konturen, die er mit den Augen schon unzählige Male nach gefahren war und er konnte sein Glück kaum fassen, als Mello unter seinen Händen völlig still hielt.
 

Lange, blonde Wimpern und hellblaue Augen, die auf die kurze Distanz noch eindrucksvoller wirkten, schmale, zartrosa Lippen, die nur ein klein wenig rau waren.

Und Near küsste ihn und fühlte sich für einen Moment wie das mächtigste Wesen im Universum.
 

Dann brach Mello aus seiner Starre und Near ließ sich von ihm überwältigen und mitreißen.

Er presste Near zurück gegen die Wand, zerrte an seiner Kleidung, seine Hände schienen Near überall gleichzeitig anzufassen.
 

Oh...

Das war... schön...
 

Etwas stöhnte leise, hustete.

Stöhnte wieder. Fluchte.
 

Near schlug die Augen auf und schielte an Mello vorbei.

„Mello? Ähm, vielleicht solltest du dich kurz umdrehen...“
 

Widerwillig riss sich Mello los, sah hinter sich und stöhnte genervt.

„Ach du Scheiße! Manche Leute wissen echt nicht, wann sie einfach die Klappe halten und sterben sollten.“
 

Der Ladenbesitzer hatte die Augen wieder geöffnet und röchelte leise in seiner Blutlache, während er sie mit schmerzverzerrtem Gesicht und hasserfülltem, nebligen Blick anstarrte.

„...ihr...verdammten...wichser...perverse...fetische...“
 

Near versteckte sein hochrotes Gesicht in Mellos Shirt und murmelte:

„Wir sollten das vielleicht auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.“
 

„Ja, verpissen wir uns. Hey, schon mal ne brennende Tankstelle gesehn?“
 

Matt hatte das Radio angeschaltet und er und Mello überschrieen die dröhnende Rockmusik.
 

„Erschieß die Leute das nächste Mal gefälligst richtig!“
 

„Der Typ sollte mir dankbar sein. Wenigstens hat er vor dem Tod noch ne geile Peepshow gesehn.“
 

„Was laberst du von ner Peepshow?!“
 

„Ihr wart für fünf Minuten alleine und der Kleine hat einen Haufen neuer blauer Flecken.

Um darauf zu kommen, muss man nicht besonders schlau sein.“
 

„Na, ein Glück für dich, Nummer Drei.“
 

„Keine frechen Kommentare, Mellorine, oder ich dreh auf der Stelle um und fahr wieder nach Hause.“
 

Mello war so seltsam.

Gerade noch war er so emotional und am Ende gewesen, und jetzt verhielt er sich, als wäre nichts Außergewöhnliches passiert.
 

Nun ja, nicht ganz.

Near sah für einen Moment den Blick, den Mello ihm im Rückspiegel zuwarf.

'Das Hier ist noch nicht erledigt.'

Er schluckte schmerzhaft, sah im Spiegel den großen, dunklen Handabdruck an seiner Kehle.

Mello leckte sich die Lippen und sah wieder geradeaus.

Die Nachricht war angekommen.
 

Das hieß dann wohl, dass Mello bei der nächsten Gelegenheit wieder Sex haben wollte.

Der Gedanke schickte ein heißes Kribbeln durch Nears Körper.
 

Ja, sie könnten noch einmal miteinander schlafen...

Das eine Mal war so schnell gewesen, so überrumpelnd, dass Near gar nicht die Chance hatte, aktiv daran teilzunehmen.

Vielleicht, wenn sie es ein zweites Mal tun würden, würde er sich nicht ganz so ungeschickt aufführen. Dann könnte er IHN anfassen...
 

So ein seltsamer Gedanke, er hatte sich noch nie vorgestellt, Mello zu Berühren.

Aber dann würde Mello vielleicht wieder so ruhig, so verletzlich werden, wie er bei ihrem Kuss gewesen war...
 

Andererseits...

'Ich werde dich ficken, bis du zwischen Schmerz und Lust nicht mehr unterscheiden kannst. Bis du völlig ausgelaugt bist und nur noch eine kraftlose Puppe in meinen Händen, ohne Verstand, ohne Willen. Mir komplett ausgeliefert. Für immer...'

Er drehte sich langsam und sorgfältig eine Strähne um den Finger.

Andererseits war da auch das...
 

Als Matt anmerkte, dass sie jetzt bald da wären, zog Mello sich während der Weiterfahrt wieder in seine Ledermontur um und warf seine Klamotten achtlos hinter sich, auf Near, den Rücksitz und den Boden.

Möglicherweise war es für ihn seine 'Arbeitskleidung', und das war so verrückt, dass es sogar stimmen konnte.

Near nahm das Shirt, dass auf seinem Schoß gelandet war, und bevor er wirklich bemerkte, was er tat, atmete er tief ein.

Zigaretten, Schokolade, Mello.

Er behielt es den Rest der Fahrt in den Händen.
 

Es war ein alleinstehendes Gebäude mit kleinem Flugplatz, dass mehr von einem alten Farmhaus von einem privaten Flugenthusiasten, als von einer Zweigstelle der Mafia hatte.

Die Frau, die herauskam, um sie zu Begrüßen, war Ende fünfzig, kräftig und wischte sich die Hände an ihrer bunt geblümten Schürze, ein Bild einer gewöhnlichen Hausfrau.

„Ihr musst unsere Kunden aus New York sein! Mein Mann hat schon alles vorbereitet, ihr könnt sofort los.“

Sie schien es eilig zu Haben, sie wieder loszuwerden.
 

Matt und Mello waren schon ausgestiegen, als Near sich schnell durch den Einkaufskorb wühlte und zu seiner Erleichterung sofort eine Sonnenbrille fand, die Mittagssonne brannte schon heiß und grell vom Himmel.
 

Sogar ein kleiner Schirm lag dabei.

Er lächelte.

Nett von Mello.

Sandra

Es war nicht unbedingt Franks Job an sich, den sie nicht ausstehen konnte. Oder seine Geschäftspartner, die größtenteils anständige Gentlemänner waren.

Nein, es waren genau diese jungen Leute, die Neuankömmlinge, die sich einbildeten, sie befänden sich in einem dieser Actionfilme, die unverschämt und rücksichtslos den Ruf der ganzen Organisation beschädigten und keinerlei Respekt vor dem Alter hatten.

Dass sie die nächste Generation waren, dieser Haufen gewöhnlicher Ganoven, konnte einem Angst machen.
 

Aber wer weiß, wie die Zukunft aussah, mit diesem Jinx und diesem Kira.

Ob es überhaupt eine Zukunft gab.
 

Die Zwei, die gerade angekommen waren, waren genau dieses Kaliber von jugendlichen Rabauken.

Nichts als Ärger.

Wie die Beiden schon aussahen...

Wie Punks von der Straße. Eine Schande.
 

Ihr Gang kam komplett ins Stocken als sich die hintere Wagentür öffnete und die dritte Person herauskam.

Mein Gott, das war ja ein Kind!

Wurden sie jetzt auch noch immer jünger?
 

Was Sandra sofort ins Auge fiel, gleich nach dem rosafarbenen Schirm und der Sonnenbrille, war der riesige blaue Fleck an seinem Hals.

Sie wusste, woher diese Art von Flecken kamen.
 

„Hey Süße! Perfekt, je schneller wir hier wegkommen, desto besser.“

Der Kerl mit der Fliegerbrille salutierte lässig mit zwei Fingern.
 

„Hey, wo hast du das Zeug...? Ach, auch egal.“

Der Blonde hatte für einen Moment entsetzt auf den Jungen mit dem Schirm gestarrt, der langsam in seine Richtung trottete und winkte dann seufzend ab.

„Willste laufen?“
 

Der Junge schüttelte den Kopf.

Zu Sandras Erstaunen hob der Blonde den Jungen hoch und setzte ihn seitlich auf seine Hüfte um ihn den Rest des Weges ihn Haus zu Tragen, während der Junge sich mit einer blassen Hand an ihm festkrallte, und in der Anderen sich immer noch den Regenschirm über den Kopf hielt.
 

Fliegerbrille zündete sich eine Zigarette an, als er ins Haus kam, die ihm Sandra prompt wieder aus den Fingern nahm und nach draußen warf.
 

„Hier drinnen wird nicht geraucht. Frank! Deine Kunden sind da!“
 

Der hagere, grauhaarige Mann im Flanellhemd kam aus dem Wohnzimmer und nickte ihnen fröhlich zu.

„Guten Tag, die Herren. Ich hoffe, meine Frau war nicht zu ruppig, im Grunde ihres Herzens ist sie ein Engel. Wer von Ihnen ist Matt?“
 

Fliegerbrille hob die Hand.

„Und das da is Mello. Und der da ist Near. Wär gut, wenns schnell losgehen könnte, wir haben auf dem Weg hierher ein bisschen Ärger gehabt.“
 

Sandra stellte auf Durchzug, solche Dinge wollte sie sich gar nicht anhören.

Ihr Blick fiel wieder auf den Jungen, den dieser Mello wieder abgesetzt hatte.

Near.
 

Er hatte sich die Sonnenbrille abgenommen und angefangen, sich interessiert umzusehen, besonders die Puppen, die Sandra auf ihrer Essecke aufgestellt hatte, schienen es ihm angetan zu haben.
 

„Ich habe noch mehr, wenn du mal sehen möchtest.“
 

Seine Haare waren so gut wie weiß.

„Ja.“
 

Langsam kam er hinter ihr her, als sie ihn in die Kaminstube führte.

Dort war das Herzstück ihrer Sammlung.

Die hellgrauen Augen wurden riesig.

Puppen aus Holz, Porzellan, Plastik, Stoff, Stroh.

Große und Kleine, Alte und Neue, aus Indien, Afrika, China, Europa.

Schöne und Hässliche, Teure und Minderwertige, reihten sich auf Regalen, Sofas, Fensterbänken.

Insgesamt hatte sie über dreihundert und jede Einzelne von ihnen wurde von Sandra geliebt.
 

„Gefallen sie dir?“
 

„Ja.“

Er kletterte auf Eines der Sofas und drückte eine hübsche Porzellanpuppe mit blonden Locken an sich.

„Sie sind sehr schön.“
 

Er erinnerte sie auf einmal an ihre autistische Tante Elisabeth.

Zusammengesunken auf dem Sofa, eine von Sandras Puppen im Arm, die sie dann oft verweigerte, aus der Hand zu Geben, meistens nahm sie sie am Ende mit.

Als sie gestorben war, hatte Sandra rund fünfzig ihrer Puppen aus Elisabeths Wohnung wiederholen müssen.
 

Sie hatte ihre Tante sehr gemocht.

Dieser Junge war ganz eindeutig auch auf eine Art beeinträchtigt, wie Elisabeth es gewesen war.

Und diese beiden Typen bei ihrem Mann hatten ihm weh getan...
 

„Wer war das?“

Sie zeigte auf den Hals des Jungen.
 

Near blieb stumm und blickte ins Leere.

Sandra seufzte.
 

„Wie alt bist du?“
 

„Ich bin sechzehn.“

Er drückte die Puppe fester an sich.
 

Sie hob skeptisch die Augenbrauen.

'Ach, tatsächlich...'
 

„Junge, hör mal, du hast mit den Beiden doch eigentlich gar nichts zu Schaffen, oder?

Du brauchst keine Angst zu Haben, wir können dich beschützen, ich...“
 

„Sie mögen den Umgang Ihres Mannes nicht besonders, nicht wahr?“
 

Sandra blinzelte verwirrt.

„Nun ja...“
 

„Und Ihr Mann, wie ist seine Meinung zu Ihrer Sammelleidenschaft von Puppen?“
 

„Ähm, ich denke, mittlerweile stört es ihn nicht weiter...“

Irgendwie war das Gespräch in eine falsche Richtung geraten.
 

„Aufgrund Ihrer Erscheinungen und der Einrichtung Ihres Hauses schließe ich, dass Sie schon ungefähr zwanzig Jahre verheiratet sind, wenn nicht sogar dreißig, trotz dieser und gewiss auch weiterer Differenzen.

Wie haben Sie das geschafft?“
 

War das ein Versuch, vom Thema abzulenken?

Oder interessierte ihn das etwa wirklich?

„Nun es gibt immer... Differenzen. Man hat nun mal oft unterschiedliche Vorstellungen. Aber wenn man aufeinander eingeht, und bereit ist, Kompromisse zu Schließen... Nun ja, bei uns hat das bisher immer gut funktioniert...“
 

Near nickte leicht.

„Ich verstehe.

Wie sieht es im Schlafzimmer aus?“
 

„Im Schlafzimmer?“

Was in aller Welt...?

Wollte er das Schlafzimmer sehen?
 

„Ich rede von ihrem gemeinsamen Sexualleben. Trifft das, was sie eben gesagt haben, auch darauf zu?“
 

Hitze schoss ihr in den Kopf.

„D... Das sollten... wir wirklich nicht... nicht besprechen...“

Du liebe Güte!
 

„Aber Sie besprechen es mit ihrem Mann. Was Sie tun möchten. Was er tun möchte. Damit Sie dann einen gemeinsamen Kompromiss schließen können. So funktioniert es, nicht wahr?“
 

„Nun, ich schätze schon...“
 

„NEAR! WO STECKST DU, VERFLUCHTE SCHEIßE?! WIR MÜSSEN LOS!“
 

„Ich muss jetzt gehen. Sie haben mir sehr geholfen.“

Der Junge drehte sich an der Tür um.

„Dürfte ich diese Puppe behalten?“
 

„Willst du bei Mello und Matt bleiben?“

Sandra verschränkte die Arme vor der Brust.
 

„Natürlich.“

Er sah sie ausdruckslos an.

„Warum stellen Sie mir eine so seltsame Frage?“
 

Sandra ließ die Arme sinken und seufzte.

„Nimm sie mit. Ich leihe sie dir, solange du möchtest. Und wenn du irgendwann die Möglichkeit hast, dann kommst du mich besuchen und bringst sie wieder mit. Einverstanden?“
 

Er nickte wieder, kaum merklich.
 

„Und pass auf dich auf, hörst du?“
 

Aber er war schon durch die Tür verschwunden.

Empfängnis

Jelous Vorliebe für Menschenmädchen war seit Jahrhunderten der Auslöser für Spott von den anderen Shinigami gewesen.

Sie verstanden es einfach nicht.
 

Jedes seiner Mädchen war schön gewesen, verzweifelt, von Sehnsucht zerrissen.

Sie wandelten verloren durch ihre Welt, auf der Suche nach Glück, nach Liebe und wurden jedes Mal enttäuscht.

Und er beobachtete sie, unermüdlich, Jahre und Jahrzehnte, bis ihre Zeit abgelaufen war und sie starben, so einsam und trostlos, wie sie gelebt hatten, ohne dass er sich jemals einmischen durfte.

Jedes seiner Mädchen hatte einen Riss in seinem Herzen hinterlassen, dass es mit der Zeit völlig von ihnen durchzogen war.
 

Aber er konnte nicht aufhören. Er konnte es nicht verhindern, dass er nach dem Tod seines Mädchens bald schon wieder ein Neues finden würde, genauso schön und genauso traurig, und seinen Weg beobachtete.
 

Sein Herz war schon völlig porös, als er Gabriele fand. Sie war wahrlich ein Engel.

Schwarze Haare und dunkle Augen. Ein feines Gesicht und ein zarter Körper.

Und sie war so unglücklich.

Sie weinte und weinte, wegen grausamen Menschen, die ihr weh taten.

Wegen Armut und Angst.

Sie hatte niemanden, der sie in den Arm nahm.

Niemand, der ihr sagte, wie schön sie war und dass alles gut werden würde.

Niemand, der die Schatten vertreiben würde, der sie lieben würde.
 

Eines Nachts ertrug er es nicht mehr länger.

Gabriele war nicht allein!

Er war da. Er liebte sie.

Wenn sie es nur erfahren würde, dass es wenigstens Einen gab, der sie liebte, würde sie bestimmt nicht mehr diese Männer zu sich holen, nur um der Einsamkeit zu Entkommen.

Sie würde nicht mehr weinen.

Nicht mehr verzweifelt lieben und lieben, ohne je etwas zurück zu bekommen.
 

Sie würde ihn lieben, den Einzigen, der sie zurücklieben könnte, so, wie sie es verdient hatte.
 

Er stieg herab in die Menschenwelt, sein Death Note fest umklammert.

Nur eine winzige Berührung und sie würde ihn sehen können.

Sie würde hören können, wenn er ihr seine Liebe gestand.
 

Er stand vor ihr, seiner Gabriele, ausgebreitet auf dem Bett, die Augen rotgeweint, blaue Flecken überall auf ihrem schönen nackten Körper.

So ein verachtenswerter Mann, etwas so Schönes zu zerstören!

Wenn sie es wollte, würde er ihn töten!
 

Eine federleichte Bewegung, ein sanftes Streichen des Death Note über ihre Hand und die Verbindung war gelegt.
 

„Gabriele, ich liebe dich.“

flüsterte er ihr zu.
 

Das Mädchen schrie.
 

Es war so schwer zu Sagen, was danach passiert war.

Alles falsch, es war alles falsch gelaufen.
 

Sie sollte ihn lieben. Sie sollte Dankbarkeit und Freude empfinden.

Aber sie hatte Angst. Panik.

Immer und immer wieder sagte er ihr, dass er sie liebte.

Aber sie verstand einfach nicht.

Warum verstand sie nicht?

Glaubte sie es ihm nicht?

Was musste er tun, um es ihr zu Beweisen?
 

„Ich erfülle dir jeden Wunsch, meine Liebe, mein Leben. Bitte, vertrau mir.“
 

„Paul! Hilf mir! Paul!“

Zu Jelous Abscheu sah er, wie der Mann ins Zimmer stürmte.
 

„Er hat dir weh getan. Dieser Mann ist böse. Ich werde dich befreien.“

Er kritzelte mit zitternder Hand den Namen in sein Death Note.

„Ich befreie dich. Weil ich dich liebe.“
 

Paul fiel stöhnend vor Schmerz zu Boden, seine Hand an die Brust gekrallt.

Gabriele weinte, warum?

Sie müsste sich freuen, sie sollte sich freuen!
 

„Ich werde dich lieben. Auf jede Art, die du dir wünschst. Besser, als irgendjemand sonst es könnte.“
 

„Gib mir Paul zurück, du Monster! Du Dämon!“
 

Sie musste nun wirklich aufhören zu Schreien, sonst würden die Nachbarn die Polizei rufen.

Jelous war nicht groß, aber stark und er drückte sie mühelos zu Boden, während er ihr den Mund zuhielt.

„Ich liebe dich. Ich zeige es dir. Ich liebe dich besser als jeder Mann. Ich beweise es dir, Gabriele.“
 

Jelous brach in dieser Nacht eine gefährliche Regel.

Der König der Shinigami konnte die Welten aneinanderkrachen fühlen, als zwei Wesen verschmolzen, und ein Drittes entstand.

Noch nie hatte es so etwas gegeben, eine Vereinigung, die gegen alle Richtlinien verstieß und das Gleichgewicht in seinen Grundfesten erschütterte.
 

„Für diese Tat sollte man dich hinrichten! Du bist eine Schande, du hast gegen die Gesetze der Menschen und der Shinigami verstoßen.

Für so einen absurden Fall wurde keine Strafe festgelegt, aber merk dir meine Worte:

Was auch immer im Bauch dieser Frau heranwächst, ist eine nie dagewesene Abscheulichkeit.

Es steht uns nicht zu, dieses Leben auszulöschen, aber glaube mir, jedweden Schaden, den diese Kreatur anrichten wird, wird dir zu Last gelegt.

Ich will, dass niemand von dem erfährt, was zwischen dir und dieser Frau passiert ist.

Und jetzt geh mir aus den Augen.“
 

Alles, an das Jelous dachte, war der schreckensvolle, angeekelte Ausdruck in dem Gesicht seines Engels, als er von ihr abgelassen hatte.

Er hatte ihr ein letztes Mal gesagt, dass er sie liebte.

Und sie hatte ihm ins Gesicht gespuckt.
 

Nach all dem hatte Gabriele Birthday noch nicht einmal seine Liebe erwidert.

Ausprobieren

Mello hatte eine recht genaue Vorstellung von den weiteren Stunden gehabt.

Flug nach LA, Ankommen in ihrem neuen Haus, Sex.

Ein ziemlich guter Plan, seiner Meinung nach.

Er konnte bei dieser Aussicht sogar die Puppe ignorieren, die Near auf einmal anschleppte.
 

Aber in LA angekommen, stürzte sich die Mafia sofort auf sie, als ob sie die Rolling Stones oder so was wären.

Das Haus war bis oben hin voll. Rod Ross, der absolute Oberboss in der Gegend, hang bei ihnen auf dem Sofa rum, zusammen mit seinem ganzen Hofstaat.

Alle hatten irgendwas zu Sagen, mussten ihren Senf dazugeben, 'Ratschläge' und 'wichtige Hinweise' geben.

Das Schlimme war, dass vieles von dem Zeug tatsächlich ziemlich hilfreich war.
 

Es war klar, dass die Angst umging.

Kira und Jinx töteten Jeden, vom kleinsten Straßendealer bis zu den höchsten Kreisen, niemand konnte entkommen durch Erpressung oder Bestechung.

Konflikte wurden beiseite gelegt, kleinere Differenzen ignoriert, alle wollten diese Gefahr aus dem Weg räumen.
 

Near stürzte sich mit voller Begeisterung in die Arbeit, kommandierte die gesamte Unterwelt von LA herum, ließ sich Berge von Spielzeug anschleppen.

Und verdammt, wenn Near so schnell dabei war, musste Mello natürlich mithalten.

Was dazu führte, dass sich Matt achselzuckend anschloss.
 

Tagelang arbeitete das Trio fieberhaft.

Es gab eine zentrale Webseite, die mittlerweile alle kleineren Kira/Jinx-Seiten verzeichnet hatte und den Ton angab, neuste Meldungen veröffentlichte und ein riesiges Archiv von Verbrecherkarteien online stellte.

Interessant war, dass es bereits erste Gruppen gab, die sich auch außerhalb des Internets trafen. Wieweit sie bereits organisiert waren, und ob die Macher der Webseite auch hier an der Spitze standen, war noch unklar.

Genauso, ob Jinx oder Kira schon im direkten Kontakt mit dieser Seite standen, aber zumindest bei Jinx war die Wahrscheinlichkeit recht hoch.
 

Dann wurde Jinx' zweite Nachricht ausgestrahlt.
 

„Dieser Jinx ist ein totaler Vollidiot. Der einzige Grund, weshalb Kira sich mit ihm treffen wird, ist, ihm seinen psychotischen Hippiearsch aufzureißen.“

Matt drückte seine Kippe in den, schon überquellenden, Aschenbecher.
 

„Das heißt also... sie werden sich nicht zusammenschließen?“

meinte Rod neben ihm auf dem Sofa nervös.
 

Jetzt meldete sich Near zu Wort, der vor ihnen auf dem Boden saß, inmitten seiner Modellbaulandschaft, in der mit gemächlicher Stetigkeit ein Zug seine Runden drehte.

„Kira ist der Annahme, dass es ihm zusteht, Verbrecher zu Richten, weil er über der Menschheit steht. Er hält sich für so etwas wie einen Gott, er würde niemals zulassen, dass noch weitere Menschen seine Macht besitzen, oder sich in seine Entscheidungen einmischen. Er will keine Mitstreiter, er will Untergebene. Er wird auf jeden Fall versuchen, Jinx und seine Anhänger zu Vernichten, damit seine Stellung als Alleinherrscher nicht gefährdet wird.“
 

Rod lehnte sich seufzend zurück.

„Mit ein bisschen Glück kann es also dazu kommen, dass die Beiden versuchen werden, sich Gegenseitig zu Töten.

Das wäre die erste gute Nachricht nach langem.“
 

Mellos Gedanken kreisten immer noch um das eine Wort, das Jinx in seiner Botschaft benutzt hatte.

Shinigami. Wo hatte er das nur schon mal gehört?

Aus irgendeinem Grund gingen da bei ihm die Alarmglocken...

Wo hatte er...
 

„Was hat 'Shinigami' zu Bedeuten?“

fragte die Schwarzhaarige, die an Rods Arm klebte, Sarah oder Sandy.
 

„Ein Shinigami ist ein Todesgott in der japanischen Mythologie. Es muss sich um eine Art Code handeln.“

Near betrachtete nachdenklich seine Bahn.
 

„B! NATÜRLICH!“

platzte Mello heraus.

Alle Blicke waren plötzlich auf ihn gerichtet.
 

„B? Was soll denn das heißen?“

fragte Rod verwirrt, aber Mello beachtete ihn nicht.
 

„B hat auch immer von Shinigami geredet!“
 

Die beiden anderen Wammys warfen ihm unsichere Blicke zu.

Matt meldete sich als Erster zu Wort.

„Ähm, Mello, B war verrückt. Komplett irre. Wir hatten Glück, wenn er morgens nicht vergaß, sich anzuziehen.“
 

Near schlug etwas fester als nötig auf den Schalter, der die Bahn abrupt zum Stehen brachte.

„Hatten B und Mello sich oft unterhalten?“
 

„Ja, ich weiß dass er n bisschen daneben war, aber das heißt nicht, dass alles was er von sich gegeben hat, Müll ist.“
 

„B war sehr gefährlich und instabil. Mello hätte nicht...“
 

„Near! Halt endlich die Klappe! Ich weiß das und zwar noch um Einiges besser als du!“
 

„Wow, hey, was soll denn das heißen, Mellinda? Willst du uns vielleicht irgendetwas sagen?“
 

Seufzend ließ sich Mello neben Matt auf das Sofa fallen und wickelte sich Schokolade aus.

„Ich hab n paar Sachen mitgekriegt, was ich nicht hätte mitkriegen sollen.

Damals, als A gestorben ist, hab ich B öfters besucht, weil, na ja... weiß selbst nicht so genau. Vielleicht weil ich irgendwie das Gefühl hatte, wir wären uns ähnlich, auf ne komische Weise.

Er hat ständig von Shinigami geredet und anderer, wirklich kranker Scheiße. Das konnte einem richtig Angst machen.
 

L... ist öfters zu mir gekommen und hat mich über B ausgefragt. Zwischen den beiden ging irgendwas komisches ab, erinnert ihr euch?

Eines Tages war B dann einfach verschwunden und L war auch kaum noch da.

Dann hieß es auf einmal, B wär tot, aber keiner wusste wirklich, wie und warum.

Das alles stank doch zum Himmel.
 

Und jetzt passiert wieder so seltsamer Scheiß, in der L auch verwickelt is, und wieder geht es um 'Shinigami'.“
 

Matt runzelte nachdenklich die Stirn.

„Ist das nicht alles ein bisschen weit hergeholt? Mal von L abgesehn, was haben die beiden Fälle noch gemeinsam?“
 

„B hat immer von den Shinigami geredet, als ob sie wirklich existierten. Wir wissen nicht, wie Kira und Jinx töten. Was wäre, wenn wirklich etwas Übernatürliches hinter den Morden steht? Das würde so einiges erklären...“

Mello kaute langsam und bedächtig, während er die Fakten in seinem Kopf hin und her wälzte.
 

„Todesgötter? Ist das euer Ernst?!“

fragte Rod entsetzt in die Runde.

„Wollt ihr mich verarschen?!“
 

Near murmelte leise, den Anderen immer noch mit dem Rücken zugewandt.

„Es wäre zumindest ein Ansatz, den wir bisher noch nicht in Augenschein genommen haben.

Eine übernatürliche Macht, genutzt von Menschen und deswegen limitiert.“

Er drückte auf den Knopf, dieses Mal sanfter, und ließ die Bahn wieder fahren.
 

„Ich weiß ja nicht, hört sich alles nach nem schlechten Horrorfilm an,“

brummelte Rod in Nears Richtung.
 

„Als Detektiv sollte man keine Möglichkeiten außer Acht lassen, egal, wie unwahrscheinlich sie scheinen,“

kam die frostige Antwort.
 

„Nur, weil man gerade nicht weiterkommt, kann man diese Morde also auch umherstreifenden Vampirclans in die Schuhe schieben?“
 

Near drehte sich mit ernstem Gesichtsausdruck zu ihm um.

„Natürlich nicht. Vampire saugen Menschen das Blut aus, und keiner der Opfer hatte dieses Merkmal.“
 

Rod blieb für einen Moment der Mund offen stehen und wandte sich dann demonstrativ Mello und Matt zu.

„Ok, ab jetzt rede ich nur noch mit euch Beiden.

Meinetwegen sucht nach irgendwelchen Todesgöttern, hauptsache, ihr findet diese Scheißkerle und macht sie unschädlich. Wenn ihr was braucht, sagt Bescheid. Ich denke, ich hab ein paar Tage Auszeit nötig.“

Und so kam es, dass das Haus im einem Schlag nur noch drei Leute beherbergte.
 

„Habe ich irgendetwas Falsches gesagt?“

Near blinzelte verwirrt zu Mello hoch.
 

Der zuckte nur mit den Achseln.

„Manche Menschen sind halt sehr empfindlich, was ihre Theorien angeht.

Aber wenigstens sind wir jetzt diese ganzen Leute los.“

Er unterdrückte ein Gähnen. Wann hatte er das letzte Mal geschlafen?
 

„Also, ich verschwinde nach oben. Die nächsten Stunden bin ich nicht vorhanden, klar?“

Matt erhob sich mühsam und schlürfte zur Treppe.
 

„Grüß die PS2 von mir,“

rief ihm Mello hinterher.

Gott, war er fertig.
 

„Gehen wir schlafen.“

Im Vorbeigehen zog er Near auf die Beine und schwankte, mit ihm im Schlepptau, in eines der Schlafzimmer, wo er sich auf das große Bett fallen ließ.
 

„Mello.“
 

„Hnn.“

Er war schon im Halbschlaf.

Was war denn los? War er nicht auch müde?
 

„Mello, ich möchte ein Spiel spielen.“
 

„Was, jetzt? Kann das nicht warten?“

nuschelte er in das Kissen und drehte sich dann missmutig zu dem Jungen.
 

Mit einem Mal fiel Mello alles auf, was er die letzten Tage ausgeblendet hatte.

Near.

Seine Augen, und diese verdammten Finger, die schon wieder an seinen Haaren drehten.

Der verblasste Fleck an seinem Hals...

An irgendeinem Moment hatte er neue Kleidung bekommen, das dunkelblaue Shirt und die jeansfarbene Stoffhose schmiegten sich an seinen Körper an.

Wann war das passiert?

Hatte Near die letzten Tage eigentlich geschlafen?

Sich gewaschen?

Oder gegessen?

Oder seine Medikamente genommen?
 

Na toll! Er war so sehr mit diesem beschissenen Fall beschäftigt gewesen, dass er ganz vergessen hatte, dass Near ja jetzt niemanden hatte, der sich um ihn kümmerte.
 

Nun ja, zumindest sah er nicht aus, als ob er schon dem Tod nahe wäre.

Ein kurzer Blick in den Wandspiegel bei der Tür zeigte, dass er sogar um einiges besser aussah als Mello.

Nears Haare fielen in watteweichen Locken, während Mellos schon stähnig und ungepflegt herunter hingen.
 

Duschen und andere Klamotten würden ihm echt nicht Schaden. Und rasieren könnte er sich auch wieder mal...
 

„Mello...“
 

„Äh, ja?“

Worüber hatten sie gerade gesprochen?
 

„Ich möchte ein Spiel spielen.“
 

Er seufzte.

„Und was für ein Spiel soll das sein?“
 

„Eine Art von Spiel, die Mello bestimmt gefällt.“
 

Jetzt war Mello plötzlich schlagartig wach.

Near meinte doch nicht etwa...

Nein, Schwachsinn.
 

„Du willst... ähm... ich denke nicht...“

Bestimmt ging nur wieder seine Phantasie mit ihm durch, wie damals, als er der festen Überzeugung gewesen war, der Pizzabote wäre ein Auftragskiller gewesen.

Blut ging wirklich verflucht schwer aus Teppichen raus...

„...ich glaub, wir denken gerade an unterschiedliche Sachen...“

beendete Mello schließlich lahm.
 

„Ich denke an Sex. Ich weiß nicht, woran Mello denkt.“

Jetzt hörte sich Near beinahe beleidigt an, und kletterte vom Bett.

„Wenn Mello aber lieber schlafen möchte, kann er das gerne tun.“
 

„Hey! Hey, warte!“

Mello zerrte ihn zurück, was ihm einen sehr giftigen Blick einbrachte.

„Jetzt hau doch nicht gleich wieder ab.“

Er konnte sein Glück kaum fassen.

Dabei hatte er damit gerechnet, vor dem nächsten Mal wieder ewig zu Diskutieren.

Aber kaum waren sie allein, war es Near, der anscheinend gleich nächste Runde einläuten wollte.

Mello hatte zwar keine Ahnung, was den plötzlichen Sinneswandel bewirkt hatte, aber hey, beschweren wollte er sich deswegen bestimmt nicht.
 

„Erzähl mal. Was für ein Spiel?“

Er grinste Near fröhlich an.
 

„Nun..,“

mit einem Mal hörte sich Near sehr unsicher an, Röte stieg ihm ins Gesicht.

„...wenn Mello es gefällt, würden wir uns heute Abend nicht kennen.

Das ist mein Haus.

Wenn Mello es gefällt, kann er bei mir Einbrechen.“
 

Ach. Du. Scheiße.

Hatte Near, die verklemmte Unschuld in Person, ihm gerade ein Sex-Rollenspiel vorgeschlagen?

Allem Anschein nach Ja, denn der Typ sah gerade aus, als ob er kurz davor stand, vor Scham ohnmächtig zu werden.
 

Das Ganze wäre echt zum Schreien komisch, wenn Mello nicht so geil wäre, dass ihm schwarze Punkte vor den Augen schwammen.

Er stieß Near zurück auf die Matratze und kniete sich über ihn, seine Hände drückten die schmalen Schultern nach unten, und küsste den panischen Jungen, biss auf seine Lippe bis er den metallisch-süßen Geschmack von Blut wahrnehmen konnte.

Dann stand Mello ruckartig auf, warf einen letzten Blick auf Near, seinen blutigen Mund und seine schockierten Augen, und ging mit großen Schritten zur offenen Tür.
 

„Mello!“
 

Er hielt inne, ohne sich umzudrehen, ein breites Lächeln auf seinem Gesicht.

„Was denn? Willst du jetzt kneifen?“
 

Einen Moment war es Still.

„Nein.“
 

Mello lachte leise, zitternd vor Anspannung, vor Energie.

Er sah über die Schulter, direkt in Nears graue Augen.

„Wir sehen uns.“
 

Und er schlug die Tür hinter sich zu.

Willkommen in Amerika

„Light-kun sieht sehr blass aus.“
 

„Halt die Klappe.“

Light krallte sich an seinen Sitz fest, ihm war speiübel.
 

„Geht es Light-kun nicht gut?“
 

Das Flugzeug ruckelte leicht im unruhigen Aufwind und Light schloss die Augen, so fest er konnte.

'Wir stürzen ab, wir stürzen ab...'
 

„Ich habe den Verdacht, dass Light-kun Flugangst hat.“
 

„Wow, du bist ja n richtiger Detektiv.“

stöhnte er.

Nie wieder würde er in so ein verdammtes Monster steigen, und wenn man ihn unter vorgehaltener Pistole zwingen sollte!
 

Das Hotelzimmer in LA, dass L für sie reserviert hatte, war genauso riesig und luxuriös, wie das in Japan gewesen war und der Zimmerservice hatte schon Kuchen und Süßigkeiten angeliefert.
 

Sie weihten gleich zu Anfang das Bett ein.
 

„Ich kann Pferde nicht leiden,“

meinte Light später.

Beide lagen erschöpft und nackt auf der weichen Matratze, L futterte eine Pralinenschachtel leer, seine Version von einer 'Zigarette danach'.
 

„Warum?“

nuschelte L mit vollem Mund.
 

„Keine Ahnung. Sayu mochte sie immer.

Wir hatten einmal Urlaub auf dem Land gemacht, dort hatte der Hotelbesitzer ein Paar.

Riesige Biester.

Und weil sie sich alleine nicht getraut hatte, musste ich mich mit ihr zusammen draufsetzen.

Das Mistvieh ist mit uns drauf durchgegangen und als wir runtergefallen sind, hätte es Sayu und mich fast zertrampelt.“
 

„Ich bin ein Paar Mal geritten. Ein Freund von Watari hatte ein Gestüt.“

L schluckte herunter und fuhr dann verständlicher fort.

„Mein Pferd ist nie durchgegangen. Allerdings ist es auch kaum vorwärts gegangen.

Es war ein sehr gemütlicher Typ.“
 

Sie stellten sich abwechselnd Fragen, unbedeutende und kindische, wie, welche Tiere man nicht mochte oder welche Farbe man als Erstes verschwinden lassen würde, wenn man wählen könnte.
 

Es war schon fast beängstigend, wie schnell Light immer wieder vergaß, weshalb sie überhaupt hier waren. Wie schnell Death Notes und Shinigami in den Hintergrund rückten.
 

Neben ihm gähnte L herzhaft und warf die leere Packung auf den Boden.

Er schlief in letzter Zeit ein bisschen mehr, worauf Light ziemlich stolz war.

Vielleicht lag das an der gesteigerten... 'körperlichen Betätigung'.
 

„Ich habe für morgen einen Wagen gemietet. Ich werde zu B fahren.“
 

Light zog die Stirn kraus. Da ging die gute Stimmung hin...

„WIR werden zu B fahren.“
 

„Ich werde nur aufgrund meiner Verbindungen zu ihm gelassen. Dich kann ich unmöglich mitnehmen.“
 

„Schwachsinn. Gibst du dir überhaupt noch Mühe, eine anständige Ausrede zu Finden?“
 

L seufzte leise.

„Ich möchte nicht, dass du mitkommst.

Es wird schwierig genug sein, alleine mit B zu Reden. Wenn du noch dabei bist, wird er seinen Mund gar nicht aufmachen.“
 

„Und wenn ich dabei bin, kann ich Ryuk dazu bringen, mitzukommen. Wir könnten herausfinden, ob er Shinigami sehen kann.

Und ich kann ihm bessere und gezieltere Fragen stellen.

Er sitzt schon seit vier Jahren in seiner Zelle herum, ihm ist sterbenslangweilig.

Wenn er auch nur ein bisschen so ist wie du, wird er darauf brennen, mit uns zu Reden, wenn auch nur, um sich wie ein überhebliches Arschloch aufzuführen.“
 

„Light-kun ist nicht sehr nett.“

brummelte L und drehte sich weg.
 

Der Andere verdrehte genervt die Augen.

Manchmal waren Ls kindische Anflüge wirklich anstrengend.
 

Apropos Ryuk...

Wo war der Shinigami eigentlich?

Das letzte Mal hatte er ihn im Flugzeug gesehen, wo er sich köstlich über Lights verzweifelte Versuche amüsierte, sein Frühstück im Magen zu Behalten.
 

„L..,“

er drehte sich zu ihm und zog den schwarzhaarigen Jungen mit dem Rücken zu sich.

„...jetzt sei nicht gleich beleidigt. Wir ziehen das zu Zweit durch. Alles wird gut, das verspreche ich. Ok?“
 

Ls Körper blieb angespannt in seinen Armen.

„Light-kun?“
 

„Hm?“
 

„Du lügst. Nichts wird gut. Das hier... es wird nicht gut enden. Das weißt du, nicht wahr?

Oder belügst du dich auch selbst?“
 

Die Worten trafen Light wie ein Schlag ins Gesicht.

„Ist es das, was du denkst? Warum tust du das dann alles, wenn du nicht an eine Zukunft glaubst?“
 

„Ich weiß es nicht. Vielleicht, weil ich hoffe. Ich werde wohl nie damit aufhören, zu Hoffen.

Light. Kira.“

L wandte sich wieder zu ihm, erwiderte die Umarmung.
 

„Sag mir, wie kann alles gut werden, wo so viele Menschen sterben und sterben?

Wenn es Death Notes vom Himmel regnet?

Wann wird es dann aufhören? Wann wird es Frieden geben?

Wenn die Menschheit völlig vernichtet ist?

Das hier. Muss. Aufhören.

Wir müssen diesen Wahnsinn stoppen.“
 

„Und das werden wir auch! Du wirst es sehen. Jetzt hast du Kira auf deiner Seite, gemeinsam können wir Alles überwinden. Hab einfach Vertrauen, in dich und in mich.
 

Ich weiß, dass du das Death Note nicht für den Segen hältst, den ich in ihm sehe.

Aber keine Waffe ist böse. Es geht darum, wer sie verwendet und wie und aus welchen Gründen sie angewandt wird.
 

Und ich werde das Death Note benutzen, damit wir beide frei sein können.

Wenn das hier vorbei ist... Wenn die Gefahr gebannt ist...“
 

Light konnte nicht fassen, was er gerade sagte.

Noch weniger, dass es ihm in diesem Moment fast ernst war.

Als er das Death Note gefunden hatte, war die Vorstellung, als Gott über die Welt zu Herrschen, egal, was es für Opfer bringen würde, die bestmögliche Zukunft gewesen.

Die Befriedigung, die das Töten mit sich brachte, war die schönste Erfahrung seines Lebens gewesen.
 

L hatte das alles kaputtgemacht. L hatte alle Empfindungen durcheinandergebracht, oben war unten und schwarz war weiß und alles was früher wichtig war hatte plötzlich keinerlei Bedeutung mehr.

Was brachte es, von Millionen gesichtslosen, unbedeutenden Menschen geliebt und gefürchtet zu Werden?

Würde es nicht auch reichen...

NEIN!

NEIN! NEIN!
 

„Wenn das hier vorbei ist, werde ich das Death Note vernichten. Ich werde dann alle meine Erinnerungen daran verlieren. Und niemand kann uns dann irgendetwas nachweisen. Das wird das Ende sein. Dann wird es nur noch uns beide geben.“
 

Ein leichtes, melancholisches Lächeln lag auf Ls Gesicht.

„Light-kun ist so klug.

Er wusste genau, was in meinem Kopf vorging, wie immer.

Was ist es nur, dass unsere Gedankengänge so ähnlich sind?

Sind wir in der Geisterwelt ein und dieselbe Person?“
 

„Wer weiß...“

Er musste L beruhigen und ihre Probleme beseitigen.

Dass L offenbar die Regel gelesen hatte und schon eigene Pläne gemacht hatte, zeigte noch einmal, dass er ihm auf keinen Fall zu sehr vertrauen durfte.

Und wenn dann alles vorbei war, würde er eine Lösung für L finden müssen, ihn auf irgendeine Weise unschädlich machen, damit er seine Arbeit weiter ausführen konnte.

Jetzt musste er sich auf jeden Fall noch nicht darüber den Kopf zerbrechen.
 

„Wird Light-kun mich töten?“
 

„Red keinen Unsinn.“
 

„Er wird mir doch eine gute Todesart aussuchen. Einen schönen Eintrag für mich machen.“
 

„Hör auf mit der Scheiße!“

Wütend wälzte er sich über L und drückte ihn mit seinem Gewicht in die Matratze.

Die großen, schwarzen Augen starrten ihn an, so leer und matt, als ob sie bereits zu einem Toten gehören würden.
 

„Hör auf damit.“

flüsterte Light. Er schluckte schwer.

L starrte weiter regungslos zu ihm hinauf, ohne zu Blinzeln, wie die toten, kalten Fische in der Auslage auf dem Markt.
 

„HÖR AUF!“

Namenlose Panik überflutete ihn.
 

„L!“

Er schüttelte ihn wie eine leblose Puppe, keine Reaktion.

„Jetzt hör schon auf L! Ich hab gesagt, HÖR AUF!“
 

„BITTE! L! BITTE HÖR SCHON AUF!““
 

Sei nicht tot, bitte sei nicht tot, lass mich nicht alleine, will nicht mehr alleine sein, lass mich nicht im Stich, brauche dich, kann nicht ohne dich, stirb nicht, stirb nicht...
 

„Light, was ist denn los? Light!“

L war nicht tot.

Er lag unter ihm und sah ihm verwirrt und fragend ins Gesicht.
 

Warum hatte er gerade geglaubt...?
 

„Entschuldigung...“

murmelte er und drehte sich weg.

„Ich muss mal...“

Light stolperte aus dem Bett, verschwand im Badezimmer, wo er die Tür hinter sich abschloss.
 

Was zur Hölle war nur los mit ihm?
 

L lag unbeweglich auf dem Bett und starrte die Decke an.

Light würde es niemals zulassen, würde niemals von alleine aufhören.
 

Natürlich nicht.
 

'Das war ja richtig romanisch.'

Die dunkle Stimme durchbrach seine Gedanken.

Wie aus dem Nichts schwebte die abartige Kreatur plötzlich am Fußende des Bettes.
 

„Wie lange bist du schon hier, Shinigami?“
 

'Na, na, ich hab das Gefühl, als könntest du mich nicht leiden.

Ich wollte nur kurz die Gelegenheit nutzen, um mal ganz in Ruhe mit dir zu Reden.

Weil ich denke, dass du da etwas nicht ganz kapiert hast.'
 

Mit einem Wimpernschlag war Ryuk nur noch Millimeter von Ls Gesicht entfernt.

Die gigantischen gelben Augen starrten in Seine.
 

'Das hier ist meine Show. Ich habe das Death Note fallen gelassen.

Und der einzige Grund, warum das alles passiert, ist, weil ich es so verdammt witzig finde, wie ihr Menschen euch gegenseitig vernichtet.

Wenn ihr mich nicht mehr unterhalten könnt, habt ihr keinen Nutzen mehr für mich.
 

Sollte das Death Note zerstört werden, ist dieses Spiel zu Ende.

Dann werde ich das tun, was die Tradition von mir verlangt.
 

Dann werde ich Light Yagami in mein Death Note eintragen.
 

Also...'
 

Ein leises, düsteres Lachen quoll aus dem haifischartigen Mund.
 

'... wär es für uns alle das Beste, wenn Kira hübsch weitermordet, nicht wahr, L Lawliet?'



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Kommentare zu dieser Fanfic (25)
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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Teru_Mikami
2013-03-13T21:02:12+00:00 13.03.2013 22:02
Waaaaaaaaaaaas???? ......Wie jetzt??? Sie kommen Nie mehr nach Japan ???? (T___T)
Von:  Teru_Mikami
2013-03-13T18:22:44+00:00 13.03.2013 19:22
Sooooooooooooo süß die zwei (*______*)
Von:  Teru_Mikami
2013-03-13T14:56:57+00:00 13.03.2013 15:56
Awwww hab ich schon erwähnt dass ich dene FF liebe? *Noch mehr kekse rüberschieb*

Erstaunlicherweise gefällt mir sogar das MelloxNear Pairing (*_*) Und dazu Matts Kommentare,wie geil ist das denn bitte? (^_^)
Von:  Teru_Mikami
2013-03-13T12:40:53+00:00 13.03.2013 13:40
So ich lass mal ein zwischenkommi da *Kekse rüberschieb*

Ich finde die FF genial...Ich lese seit gestern abend und habe mich heute den ganzen Tag drauf gefreut... Du hast einen sehr angenehmen Schreibstil und Ich hab mich oft Totgelacht über diverse Situationen... Ich finde du hast die Charaktere sehr gut getroffen und ich bin schon gespannt wie es wohl weitergeht (^_^)

Weiter so (*.*)
Von:  Teru_Mikami
2013-03-13T00:14:49+00:00 13.03.2013 01:14
"ein schwarzer Mantel mit genügend Federn am Kragen um alle Puffmütter von New York vor Neid erblassen zu lassen" <---- ahahahahaha....wie geil...wie kommt man denn auf sowas??? <3 <3 <3
Von:  Teru_Mikami
2013-03-13T00:11:56+00:00 13.03.2013 01:11
Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaawwwwwwwwwwwwwww voll zucker die zwei (*_________*)

Also ich muss sagen, obwohl ich seit einer stunde im Bett liegen müsste, kann ich mich nicht überwinden mit lesen aufzuhören (^_^) Und hab auch das ein oder andere mal schon herzlich abgelacht ^^

Der Schreibstil ist der hammer....weiter so <3
Von:  Schmetterlingsgirl
2011-10-14T17:30:12+00:00 14.10.2011 19:30
Muss ich immer erst hier auch noch posten um dich zum weiterschreiben zu ermuntern? =D Mello+Near oder Light+L ist egal, hauptsache es geht endlich weiter =D
Von:  Koala
2011-10-12T08:40:16+00:00 12.10.2011 10:40
wow gleich zwei "mello" kappis hintereinander XD
*freu*
ich mach mich sicher unbeliebt abba i-wie freu ich mich immer mehr auf die mello near matt kappis als auf die anderen XD
was sagt uns das?
*lach*
war echt gutes kappi^^
ich find mellos innerer konflikt echt amüsierend XD
und matts antworten darauf sind eh die besten^^
Von:  Schmetterlingsgirl
2011-10-11T16:32:56+00:00 11.10.2011 18:32
Bleibt wohl doch nicht der einzige xDD

Weiterweiterweiter~ *hechel*


=D
Von:  sailor_muffin
2011-10-05T17:01:42+00:00 05.10.2011 19:01
echt? wer bist du??? *neugierig


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