Zum Inhalt der Seite

Black, White, Gray

“You can't create a monster, then whine when it stomps on a few buildings.”
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

In Need Of Sleep That Doesn't Come

Er stand in der Küche, Aki ihm gegenüber. In seinem Rücken die Tür, doch sie war abgeschlossen. Kein Ausweg, nirgendwo hin. Und vor ihm dieses Mädchen, ihre Strähnen offen vor ihrem Gesicht, das von ihrer Maske verborgen wurde. Ihre Haarspange lag vergessen auf dem Fliesenboden. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, doch er wusste, dass sie lächelte.
 

„Wieso tust du das?“, fragte Yusei und versuchte, so sicher und selbstbewusst wie möglich dabei zu klingen, doch seine Stimme versagte beinahe.
 

Ihre gedämpfte Stimme drang an sein Ohr, sie klang als würde sie von überall gleichzeitig kommen. „Weil es mir Spaß macht.“
 

Der Boden unter seinen Füßen begann sich zu wellen, fühlte sich nun beinahe an wie Morast, weich und klebrig. Düsternis breitete sich in der Küche aus, die nun nicht länger eine Küche war, mit Aki in ihrem Zentrum. Furchteinflößend und gesichtslos stand sie da, im Kern der Schatten, eine Hand erhoben, eine Karte darin haltend.
 

Er hörte sie lachen, hörte, wie ihr Atem schwer und keuchend ging. Ihre Stimme war direkt neben seinem Ohr und doch schien sie weit entfernt wie durch einen langen Tunnel zu ihm durch zu dringen. Leise und schwach, laut und beängstigend zu gleich. Die Augen ihrer ausdruckslosen Maske leuchteten unheimlich und glühend rot wie eine Wunde aus der Schwärze, und die Karte in ihrer Hand verschwand.
 

Für einen Augenblick fühlte Yusei die Realisation greifen. Im Nächsten war es schon zu spät. Er spürte, wie sich dornige Ranken aus dem Boden unter ihm erhoben. Er wollte davonstolpern, doch er konnte sich nicht bewegen, und in seinem Rücken diese unnachgiebige Wand. Die Ranken krochen seine Beine hinauf, langsam, stetig, ihre Dornen zerfetzten den Stoff seiner Hose, schnitten in sein Fleisch. Und weiter krochen sie aufwärts, vorbei an seinen Knien, über seine Oberschenkel.
 

Yusei wollte schreien, doch er bekam keinen Ton heraus, und immer noch war da dieses Gelächter um ihn herum, überall und nirgendwo.
 

Eine Ranke wand sich zwischen seinen Beinen hindurch um seinen Unterkörper, behutsam genug um nicht den Stoff seiner Hose zu zerreißen. Dann, mit einem Ruck, schlang sie sich fest um ihn, sodass Blut hervor trat, den Stoff dunkel färbte und Yusei zum Schreien brachte.
 

Die Pflanzen rankten nun seinen Oberkörper hinauf, um ihn herum, sein Rückgrat entlang, fesselten seine Arme und hielten ihn fest. Die Schmerzen waren kaum noch erträglich, und endlich schaffte Yusei es, einen Ton hervorzubringen. Leise wimmerte er, doch zu mehr war er nicht imstande.
 

Und er merkte, wie Aki, oder vielmehr die Black Rose Witch, langsam auf ihn zu kam, die Augen der Maske gespenstisch leer und glühend. „Wie ich sehe findest du auch Gefallen daran.“ Bei ihren Worten zog sich die Ranke fester um seinen Unterkörper. Er stöhnte leise und hilflos. Sie lachte. Yusei versuchte sich gegen die Fesseln zu wehren, die sich nun auch um seinen Hals schlossen und ihm die Luft abzuschnüren begannen. Die Black Rose Witch hob eine Hand, und strich behutsam mit den Fingerspitzen über seine Wange. „Wieso hast du denn solche Angst...?“, flüsterte sie, und legte die andere Hand auf ihre Maske.
 

Eine der dornengespickten Ranken begann, langsam über sein Gesicht zu kriechen und hinterließ dabei eine Spur aus Blut auf seiner Wange. Yusei begriff. Sie hatte vor, zu seinem Mund zu gelangen um ihn zu erdrosseln. Er versuchte, die Lippen fest geschlossen zu halten. Doch die Pflanze war unerträglich stark und zwang langsam, Stück für Stück, seine Kiefer auseinander.
 

Die Hexe lachte leise, ergriff ihre Maske und zog sie sich vom Gesicht.
 

Mit einem Mal war es keine Frau mehr, und erst recht nicht Aki, die Yusei gegenüberstand.
 

Es war Divine.
 

Mit den Fingern liebkoste er weiterhin die Wange des Kleineren, ein sanftes, beinahe liebevolles Lächeln auf den Lippen. „Halt still, dann tut es nicht so weh“, raunte er leise.
 

Die Ranke zwängte sich tiefer und tiefer in Yuseis Mund und Rachen, das Atmen wurde schwerer. Er bekam kaum noch Luft, keuchte verzweifelt, würgte. Tränen stiegen in seine Augen, doch er konnte sie nicht schließen. Alles was er sah waren Divines furchterregende, raubtierartige grüne Augen, als sich die Dornen seinen Schlund hinabwanden.
 

Mit einem erstickten Schrei schreckte Yusei hoch, fand sich selbst schweißgebadet und zitternd vor Angst. Er atmete schnell und flach, fasste sich mit der Hand an den Hals wie um zu prüfen, dass dort wirklich keine Dornenranken mehr waren. Er fand nicht einen einzigen Kratzer.
 

Mit weit aufgerissenen Augen ließ er sich zurück aufs Bett fallen und starrte die Decke an, die Hand immer noch an seinem Hals. Das widerliche Gefühl des Erstickens und der Dornen tief in seinem Hals hatte ein unangenehmes Echo hinterlassen.
 

Sein Oberteil klebte noch immer an seinem Körper, seine Handflächen waren feucht und auf seiner Stirn stand der kalte Schweiß. Sein Atem ging unregelmäßig, seine Kehle fühlte sich trocken an.
 

Es war alles nur ein böser Traum gewesen.
 

Er hatte immer schon Schlafprobleme gehabt, vor allem bei Vollmond. Und nun kamen in letzter Zeit auch noch diese Albträume hinzu. Jedoch drehten sie sich bisher normalerweise um Ghost und die dunkle Bedrohung, die Yliaster darstellte, nicht um Aki oder Divine...
 

Er fuhr sich kräftig mit beiden Händen durch das unordentliche, verschwitzte Haar.
 

Als hätte er nicht schon genug Probleme. Nein, nun tauchte auch Divine hier auf und machte alles noch hundert Mal komplizierter als es ohnehin schon war.
 

Die altbekannte Unruhe hatte wieder Besitz von ihm ergriffen, und so richtete er sich auf, um zwei-drei Mal im Zimmer auf und ab zu laufen. Doch es half nichts.
 

Er seufzte und beschloss, sich im Bad ein wenig Wasser ins Gesicht zu werfen. Auf dem Weg dorthin begegnete er einem verschlafenen Crow, der sich seinen Bauch kratzte und fragte, ob mit ihm alles in Ordnung sei, er habe einen Schrei gehört. Yusei versicherte ihm, alles sei bestens und er solle schnell ins Bett zurück bevor er sich noch eine Erkältung holte, es sei kalt heute Nacht. Gähnend gehorchte Crow und verzog sich zurück in sein Zimmer.
 

Yusei lächelte, ging ins Bad und schloss die Tür hinter sich. Er schaltete das Licht ein und wandte sich dem Waschbecken zu, drehte den Wasserhahn auf und ließ sich ein paar Tropfen eiskalten Wassers über die Handgelenke laufen. Dann formte er mit den Händen eine Schale, fing das Wasser auf und warf es sich ins Gesicht, das wiederholte er noch zwei Mal, dann drehte er den Hahn wieder zu.
 

Er fühlte sich schon um Längen besser, wie er zu seiner Erleichterung feststellte.
 

Damit griff er nach einem Handtuch, trocknete sich das Gesicht ab und blickte auf in den Spiegel.
 

Die bleiche Maske der Black Rose Witch starrte zurück, mit leeren, toten Augen. Für eine Sekunde konnte er nicht denken, nicht einmal atmen. Er stand einfach nur da, starrte das Wesen im Spiegel an. Dann schrie er.
 

Und erwachte erneut.
 

Er schnellte vom Bett hoch, hellwach, sein Herz hämmerte gegen seine Rippen. Vor seinen Augen flimmerte es in der Dunkelheit, er hörte sein Blut durch seine Adern rauschen. Ohne zu zögern verließ er das Zimmer, stürmte die Treppe hinab und ins Bad, wo er das Licht anschaltete und sein Spiegelbild anstarrte.
 

Sein Atem ging keuchend, er bekam kaum noch Luft, so stützte er sich auf dem Waschbecken ab. Sein Spiegelbild sah ihn an, blass, mit schreckgeweiteten Augen, übermüdet, verwirrt, panisch. Doch ansonsten normal.
 

Er hustete, keuchte, erbrach ins Becken. Als er fertig war, konnten seine Arme und Beine ihn nicht länger halten, er sackte auf den kalten, gefliesten Boden.
 

Nur ein Gedanke wirbelte in seinem Kopf herum, wieder und wieder... „Was geschieht nur mit mir...“
 

*
 

„Jack...?“
 

„Was?“
 

„Hilf mir mal.“
 

„Wieso, was ist?“
 

„Yusei liegt im Bad auf dem Boden.“
 

„WAS??“
 

Polternde Schritte.
 

„Es scheint ihm ziemlich dreckig zu gehen.“
 

„Himmel, ist das ein Gestank hier drin.“
 

„Er hat ins Waschbecken gekotzt.“
 

„Na super, und wer darf das alles wieder sauber machen?“
 

„Sicher nicht du, so wie ich dich kenne. Jetzt hör auf zu quengeln und hilf mir lieber.“
 

Hände, die ihn ergriffen und vom kalten Boden hoben, Schritte, dann etwas Weiches unter ihm. Er stöhnte.
 

„Ich glaub, er wacht auf.“
 

„Na super, dann kann er uns ja gleich mal erklären was der ganze Zirkus hier soll!“
 

Ein klatschendes Geräusch.
 

„Aua, bei dir piepts wohl!“
 

„Sei still, er macht die Augen auf.“
 

Yusei blinzelte in das Licht, seine Augen waren zugequollen und sein Kopf arbeitete nur langsam.
 

„Er ist ja ganz unterkühlt...“, hörte er die eine der beiden Stimmen sagen, dann fühlte er etwas Warmes und Weiches auf seinem Körper. Man hatte eine Decke über ihm ausgebreitet. „Crow...?“, nuschelte er müde.
 

„Ja Mann, ich bin hier! Alles klar bei dir?“
 

Yusei versuchte den Kopf zu schütteln, doch es schmerzte zu sehr und so machte er nur „Mh-mh...“
 

„Scheiße, was treibst du auch die ganze Nacht auf dem Badezimmerboden?“, fragte die andere Stimme.
 

„Jack?“, fragte Yusei.
 

Doch der schnaubte nur als Antwort.
 

„Du hast uns 'nen ganz schönen Schrecken eingejagt!“, meinte Crow. „Ich mach dir erstmal was zu Essen.“
 

„Divine...“, murmelte Yusei, er wollte sich aufsetzen, doch ihm war schwindelig und Jack drückte ihn zurück aufs Bett. „Auf den haben wir aufgepasst, wie jede Nacht“, brummte er.
 

Crow kam schon bald wieder, und gab Yusei geschälte Apfelstücke in die Hand, die er zum Mund führte und langsam und vorsichtig zu essen begann. „Mach sowas nicht nochmal, hörst du?“
 

Yusei kaute die Äpfel nur langsam, großen Hunger hatte er keinen. Im Gegenteil, ihm war übel. Als er fertig war, rollte er sich auf die Seite und kuschelte sich tief in die Decke.
 

„Ich will wissen, was passiert ist!“, maulte Jack missmutig.
 

„Du kannst dir doch denken, was passiert ist. Er muss im Bad zusammengebrochen sein.“
 

„Was ist, wenn Divine ihn angegriffen hat?“
 

„Ja na klar. Divine haut ihn ohnmächtig, steckt sich noch schnell den Finger in den Hals, kotzt das Waschbecken voll und verdünnisiert sich dann wieder. Ein teuflischer Plan.“
 

Jack grummelte etwas Unverständliches.
 

„Jetzt lass ihn erstmal schlafen“, murmelte Crow. „Er hat es dringend nötig.“
 

Und das war auch das Letzte, was Yusei von den beiden hörte, bevor er in einen tiefen, unruhigen Schlaf abdriftete.
 

*
 

Es war nicht so, dass Yusei es sich einfach vorgestellt hatte, mit Divine unter einem Dach zu leben. Oder dass er überhaupt eine Ahnung gehabt hatte, wie es war, einen seine erklärten Todfeinde immer im Blick haben zu müssen, vor allem, wenn die Wehrlosesten seiner Freunde es sich nicht nehmen ließen, sich ihm immer wieder zu nähern.
 

Während Divine den Bewohnern des Poppo Time relativ offensichtlich zeigte, was er von ihnen hielt, und das war nicht viel, schien er wenigstens Aki gegenüber nicht feindlich gesinnt. Weit schlimmer war es hingegen, dass Lua einfach nicht den Gedanken aufgeben wollte, dass man doch mit „dem Onkel“ ganz dringend einige Gespräche führen musste. Davon war Yusei nicht eben begeistert, und, was um einiges fataler war, Divine ebenfalls nicht.
 

Wenn er allein mit den Freunden war, schwieg er normalerweise, nahm dankend das Essen an, das Crow sich bereiterklärt hatte ihm zuzubereiten, redete jedoch ansonsten kein Wort mit ihnen. Jack hatte sich widerwillig von Aki dazu breitschlagen lassen, Divine Kleidung zu leihen, da er der Einzige war, der ungefähr seine Größe hatte. Inzwischen hatte ihr Gast sich soweit erholt, dass er kaum noch Hilfe brauchte, um ins Bad zu humpeln. Oder viel mehr: Er akzeptierte die Hilfe immer weniger. Er mochte sehr nüchtern festgestellt haben, dass er keine andere Wahl hatte, als seinen Gastgebern wider Willen zu gehorchen, sich von ihnen stützen zu lassen schien jedoch gegen seine Prinzipien zu verstoßen. Sehr zur Beruhigung der Freunde, die auch nicht eben heiß darauf waren, ihm allzu nahe zu kommen.
 

Kam Aki zu Besuch, und das tat sie wenn es ihr möglich war von früh morgens bis spät in der Nacht, war sie kaum von Divine wegzubekommen, und nach ihrem Streit mit Yusei auch nicht bereit, mit diesem zu reden.
 

Dieser schlich daher permanent unsicher um die beiden herum, in großen Kreisen, immer etwas in den rastlosen Händen, an dem er herumfummelte, und den schlaflosen Blick starr auf Divine gerichtet. Kam Jack einmal dazu um Yusei eine Hand auf die Schulter zu legen (was den Kleineren regelmäßig dazu brachte zusammenzuschrecken) und ihn aufzufordern, er solle sich gefälligst hinsetzen, dieses durch-die-Gegend-Gerenne mache ihn noch verrückt, war er kaum ansprechbar.
 

Zu allem Überfluss verschlechterte sich sein Zustand zusehends. Die Albträume schienen sich zu verschlimmern, seine Augen waren leer und glasig, sein Blick gehetzt und seine Bewegungen fahrig. Mit seinen tiefen Augenringen und den aufgesprungenen Lippen begann er, Divine immer ähnlicher zu sehen. Der hingegen hatte allmählich begonnen, wieder Farbe anzunehmen, auch wenn er immer noch furchtbar ausgemergelt war.
 

Wie ein Zombie stolperte Yusei durch die Räume des Hauses, murmelnd, hin und her blickend.
 

„So geht das nicht weiter“, murmelte Crow Jack zu. „Er wird uns noch umkippen.“
 

Jack antwortete nicht, sondern beobachtete nur weiterhin Yusei, der wieder einmal Patrouille um das Sofa schlurfte. Er verengte die Augen. Ihm vor allen anderen schien es zu missfallen, was Yusei sich mit diesem Stress antat. Crow wusste, dass Jack es nicht mit ansehen konnte, wenn er so neben der Spur war.
 

Doch auch nach zwei weiteren Tagen, die Divine nun bei Bewusstsein war, geschah nichts Außergewöhnliches. Nur ein Mal war Crow mitten in der Nacht auf dem Weg ins Bad im Flur über einen ohnmächtigen Yusei gestolpert, der dort allerdings ganz offensichtlich nicht durch Gewalteinfluss, sondern aus purer Übermüdung das Bewusstsein verloren hatte, wahrscheinlich auf dem Weg ins Bett.
 

Die Spannung fand ihren fulminanten Höhepunkt, als am dritten Tag unangemeldet Carly in der Tür der Garage stand und mit einem lauten „Jaaaaack!“ hineingestürmt kam. Dieser blickte von seiner Zeitschrift auf. „Hallo Carly.“
 

Es war eine der wenigen Stunden, die Aki noch in der Schule verbrachte, und Crow war außer Haus um Pakete auszuliefern, und so fand sie nur Yusei und Jack vor.
 

„Ich wollte fragen, ob du mir ein kleines Interview geben kannst, ich brauch ganz dringend noch eins wegen des WRGPs und sie wollten, dass ich einen der besten D-Wheeler interviewe und wen sollte ich dann befragen wenn nicht dich, schließlich bist du...“, begann sie aufgeregt zu schnattern, doch weiter sprach sie nicht. Sie hatte Divine auf dem Sofa erspäht und näherte sich ihm nun langsam. „Wen haben wir denn da? Einen verletzten Streuner, den ihr bei euch aufgenommen habt?“
 

„Carly, bleib da weg!“, knurrte Jack.
 

„Ach wieso denn, der schläft doch eh!“, lachte das Mädchen und hob ihre Kamera. „Ob der einen guten Zeitungsartikel abgibt?“
 

Doch Divine schlief keineswegs. Er wandte sich zu ihr um und stützte sich auf dem gesunden Arm auf, sein gebrochener befand sich inzwischen in einer von Crow provisorisch angefertigten Schlinge. „Ich muss dich leider enttäuschen, aber nein“, antwortete er auf ihre mehr oder weniger rhetorische Frage.
 

Als ihre Blicke sich trafen, erstarrten für einen Moment beide.
 

Yusei, der nicht fern war, beobachtete das Geschehen angespannt, ebenso Jack.
 

Weder Carly noch Divine schien sich an den jeweils anderen wirklich bewusst zu erinnern, doch da war etwas, und sie spürten es beide. „Carly...?“, murmelte Divine leise und ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. „Du bist also Carly.“
 

Alarmiert erhob sich Jack, doch Divine schüttelte den Kopf. „Keine Sorge, ich werde ihr nichts tun.“
 

Die Augen des Mädchens waren hinter ihren Brillengläsern geweitet. Auch sie hatte ihre Erinnerung an den gemeinsamen Vorfall verloren, und doch wusste sie, dass dieser Mann ihr etwas angetan hatte. „Jack...“, fragte sie leise ohne den Blick von Divines Augen zu wenden. „Ist das...“
 

„Ja“, antwortete Jack. „Jetzt geh da weg, Carly!“
 

Sie biss sich auf die Unterlippe und zögerte. „Nein... nein, ich will das jetzt wissen.“ Sie blieb stehen, stocksteif und regungslos. „Ihr habt mir nicht eben viel erzählt von dem was damals passiert ist. Ich habe ein Recht das zu erfahren.“ Und sie wollte es wirklich wissen. Ihr Blick war ungewöhnlich ernst, bestimmt. Sie sah Jack an. „Ich muss es erfahren.“
 

Jack biss sich auf die Unterlippe. Es ging in erster Linie um Dinge, die er am liebsten vergessen würde. Er fühlte sich immer noch verantwortlich für das, was mit Carly geschehen war. Er hatte sie weggeschickt, seinetwegen hatte sie sich in diese Gefahr begeben. Seinetwegen war sie...
 

Jack nickte.
 

Carly lächelte ihn dankbar an, wandte sich wieder zu Divine um. „Nach dem, was ich gehört habe, hast du mich umgebracht.“ Sie redete nicht lang um den heißen Brei herum. „Dafür hätte ich gern eine Erklärung“, setzte sie vorwurfsvoll hinzu.
 

Die Art wie Jack Divine anstarrte hätte jeden anderen Menschen vor Angst zusammenschrumpfen lassen.
 

Doch der Mann ignorierte ihn nur, lächelte sogar höflich. „So Leid es mir auch tut, ich kann mich genauso wenig daran erinnern wie du. Aber es muss einen wirklich guten Grund gehabt haben, wenn ich mich mit dir abgegeben habe.“ Er schien das Gespräch damit für beendet zu halten, denn er meinte „Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, ich schlafe in letzter Zeit nicht gut und bin sehr müde“, und drehte sich auf die andere Seite.
 

Mit ein paar großen Schritten war Jack bei Divine, packte ihn beim Kragen und zerrte ihn vom Sofa.
 

„Jack!“, rief Yusei erschrocken, doch der Blonde ließ sich nicht aufhalten.
 

„Du mieser Bastard hast ein wehrloses Mädchen umgebracht und mehr hast du dazu nicht zu sagen??“, herrschte er ihn an.
 

Divines Gesicht war schmerzverzerrt, doch er presste ein spöttisches Lachen hervor. „Ich habe also sie umgebracht. Ich glaube, das beruht auf Gegenseitigkeit.“ Er sah Jack direkt in die Augen. „So wie ich das sehe sind wir also quitt.“
 

Jack war sprachlos, und das war etwas, das dem Blonden weiß Gott nicht häufig widerfuhr. Entsetzt ob solcher Kaltschnäuzigkeit stand er da, und bevor Yusei oder Carly ihn davon abhalten konnten, hatte er seine geballte Faust mit voller Wucht in Divines Gesicht geschlagen. Er holte ein zweites Mal aus, doch Yusei hielt ihn fest. „Jack!“, rief er. „Jack, hör auf!“
 

Schwer atmend ließ der Ältere sich nur mit größter Mühe von seinem Freund aufhalten, Divine immer noch am Kragen gepackt haltend, dem nun ein schmales Rinnsal aus Blut aus dem Mundwinkel lief. Doch wenn ihn seine neue Wunde schmerzte, so zeigte er es nicht. Er lächelte nur weiterhin, seine Augen gefährlich hell. „Lass mich los.“ Seine Stimme war leise, kaum hörbar. Jack zögerte einen Moment, gehorchte dann jedoch. Divine hob eine leere Teetasse vom Tisch und spie Blut hinein. „Unter Gastfreundschaft verstehe ich aber etwas Anderes, meine Herren.“ Er setzte sich zurück aufs Sofa, Jack nicht aus den Augen lassend.
 

Yusei spürte wie sein bester Freund am ganzen Körper zitterte vor unterdrückter Wut. Doch da musste noch etwas anderes sein, Jack war nicht der Typ, der sich zurückhielt, wenn er das Bedürfnis hatte, jemanden zurechtzustutzen. Und als der Blick des Schwarzhaarigen von Jack zu Divine wanderte, ahnte er, wieso Jack nicht angriff. Divines Blick war furchteinflößend. Seine verengten, drohenden Augen sahen aus wie die eines in die Enge getriebenen Raubtiers, das, würde es angegriffen, absolut alles tun würde um sich zur Wehr zu setzen, selbst wenn es sich dabei selbst verletzte. Der Gedanke ließen ihn erschaudern.
 

Carly stand etwas abseits hinter Jack und beobachtete ihn erschrocken. Sie hatte offenbar nicht geahnt, wie sehr ihn das alles aufwühlen würde. „Leute... wenn er es auch nicht weiß, dann... naja, dann ist doch alles geklärt!“ Sie versuchte ein fröhliches Lächeln, doch es funktionierte nicht ganz. Sie sah immer noch erschrocken und irgendwie... traurig aus.
 

„Ich habe einen Vorschlag für dich, Carly“, erhob Divine nun wieder seine Stimme. „Wenn ich dir jemals etwas angetan haben sollte, dann kann ich mich nicht daran erinnern, und du dich umgekehrt ebenfalls nicht. Fakt ist, wie sind beide hier.“ Er wischte sich mit dem Handrücken über die noch immer blutverschmierten Lippen. „Halbwegs unbeschadet, aber auf jeden Fall am Leben. Da ich hier eine Weile lang nicht wegkommen werde und wahrscheinlich keiner hier darauf aus ist, dass wir uns tagein tagaus die Köpfe einschlagen, lass uns einfach so tun, als sei das Ganze nie passiert und reden nicht mehr darüber.“
 

Jack wollte protestieren, doch Yusei schüttelte schnell den Kopf. Dies war Carlys Entscheidung, nicht seine.
 

Diese schaute Divine abwägend an.
 

Er sah zurück. Auf einmal nicht mehr gefährlich, nicht mehr bedrohlich. Nur noch müde.
 

Sie nickte. „Gut.“
 

„Aber-“, begann Jack, wurde jedoch von Yusei unterbrochen.
 

„Gut, dann haben wir wenigstens ein Problem weniger. Jack, bist du damit einverstanden?“, sagte er hastig und blickte zu dem Größeren auf. Dieser war kurz davor, lautstark zu widersprechen. Doch als Yusei ihn ansah, mit diesen glasigen, leeren Augen, zögerte er, nickte schließlich. Er hatte nicht vor, dem Freund noch mehr Schwierigkeiten aufzuhalsen als er so schon hatte.
 

„Ich... sollte dann vielleicht besser gehen“, meinte Carly mit einem Seitenblick auf Yusei. Auch ihr musste aufgefallen sein, wie ausgezehrt er aussah. Außerdem gab es sicher auch für sie einiges, über das sie nach dieser Begegnung nachdenken musste. „Wir können uns ja vielleicht mal im La Green treffen und dann interviewe ich dich da.“
 

Jack warf ihr einen kurzen Blick zu und nickte. „Pass auf dich auf.“
 

Sie wurde rot, grinste verlegen und verließ die Werkstatt mit federnden Schritten, ihre vorherige gedrückte Laune wie weggeblasen.
 

Zum wiederholten Male legte sich eine unangenehme Stille zwischen die Bewohner des Poppo Time und ihren ungebetenen Gast.
 

„Vielleicht wäre es für dich besser, wenn du diese Lösung auch vorerst akzeptieren würdest“, stellte Divine an Jack gewandt schlicht fest.
 

„Wieso sollte ich?“, knurrte dieser.
 

„Ich weiß, dass ihr mich hasst. Und glaubt mir, ihr seid auch alles andere als meine besten Freunde. Aber wie ich bereits erwähnt habe, hänge ich hier eine Weile fest. Wie wäre es also mit einer Art... Waffenstillstand.“
 

„Wir haben schon Waffenstillstand“, entgegnete Yusei knapp.
 

„Nein, wir gehen uns nur nicht physisch an die Gurgel. Jedenfalls meistens nicht.“ Er warf Jack einen Seitenblick zu. „So wird unser hoffentlich kurzes Zusammenleben nur von übermäßigem Stress und Unruhe geprägt, und jeder erwartet, dass der jeweils andere ihn im Schlaf überfällt. Damit schaden wir uns im Endeffekt nur selbst. Was ich meine, ist ein Vertrag. Wir müssen uns sicher sein, dass wir nichts gegen den Anderen unternehmen werden.“ Divine sah nachdenklich das Fußende des Sofas an, nickte schließlich wie zu sich selbst. „Das wäre eine provisorische Lösung.“
 

Yusei verengte die Augen. „Ich glaube dir kein Wort.“
 

Der Mann sah auf in Yuseis Gesicht. „Dann wirst du dich wohl weiter von deiner Schlaflosigkeit und Nervosität zerfressen lassen müssen“, erwiderte er trocken.
 

Der Schwarzhaarige war sich unsicher, was er sagen sollte. Jede Faser seines Körpers wehrte sich dagegen, diesem Mann zu vertrauen. Er spürte, wie sich all seine Muskeln anspannten und gleichzeitig schmerzten vor Entkräftung.
 

„Yusei“, sagte Jack. „Lass uns kurz reden.“ Er deutete auf die Küche.
 

Erstaunt blickte der Kleinere auf. Es war eine Weile her, dass sie ernsthaft über Probleme gesprochen hatten. So nickte er und folgte Jack in die Küche, die inzwischen so etwas wie ihr geheimer Beratungsraum geworden war.
 

„Was hältst du davon?“, fragte Jack nachdem er die Tür geschlossen hatte.
 

„Ich halte es für Schwachsinn“, knurrte Yusei. „Er will uns über den Tisch ziehen. Er will uns nur in Sicherheit wiegen.“
 

„Ich verstehe, dass du ihm misstraust. Mir geht es nicht besser. Aber was würde es ihm bringen, uns in seiner Situation zu belügen? Stell dir vor, du wärst an seiner Stelle!“
 

„Ich bin aber nicht an seiner Stelle! Er ist-“
 

„Ein Monster, ich weiß. Aber gehen wir davon aus, Izayoi hätte dich verletzt auf der Straße gefunden und dich mit zu sich ins Arcadia Movement geholt, oder wie auch immer die Bude hieß. Wie würdest du dich fühlen, wenn du umgeben von Menschen wärst, die dich hassen?“
 

Yusei biss sich auf die Unterlippe.
 

„Vor allem glaube ich nicht, dass du versuchen würdest, ihnen zu schaden, denn sie wüssten sofort, dass du es warst. Und sie sind in der Überzahl.“
 

Jacks Ausführungen waren erstaunlich logisch. Und trotzdem...
 

„Er ist gerissen, er würde-“
 

„Dieser Mann ist schwer verletzt, seiner Waffen beraubt und umgeben von Feinden. Wenn irgendjemand hier Grund hat, Angst zu haben, dann ist er es!“ Jack verschränkte die Arme.
 

Der Jüngere schluckte. Ihm kam wieder das Bild von dem in die Enge getriebenen Raubtier in den Sinn. „Wenn er Angst hat, verbirgt er es ziemlich gut“, murmelte er schließlich, jedoch ohne rechte Überzeugung.
 

„Was soll er machen? Anfangen zu weinen wie ein kleines Mädchen?“ Jack schüttelte den Kopf. „Du hörst nicht auf, dich seinetwegen völlig fertig zu machen. Ich halte diesen Waffenstillstand für eine gute Idee. Er ist zu unser aller Vorteil.“
 

„Aber wir können ihm nicht vertrauen!“
 

Jack sah aus als sei er kurz davor, Yusei wieder so zu schlagen wie damals, als er aus Angst vor Kiryus Rache und den Jibakushins nicht einmal hatte essen können. Er tat es jedoch nicht, sondern seufzte nur entnervt. „Du wirst diesen Waffenstillstand annehmen. Und du wirst dich daran halten. Du wirst ihm wohl oder übel vertrauen müssen, wenn du uns nicht andauernd umkippen und irgendwann vor Entkräftung und Übermüdung komplett zusammenbrechen willst.“
 

Er schaute Yusei ernst an. Der Kleinere sah zurück in diese ihm sein Leben bekannten und vertrauten violetten Augen. Jack sorgte sich sehr um ihn. Und er wusste, dass er selbst diesen Zustand der Anspannung nicht mehr lange würde durchhalten können. Er hatte keine andere Wahl. „Gut“, willigte er schließlich ein. Und nach einem Moment Schweigen setzte er hinzu: „Tut mir Leid.“
 

Jack antwortete nicht. Er sah, dass Yusei lächelte, und lächelte zurück. Das war alles, was die beiden brauchten, um sich zu verstehen.
 

Sie verließen die Küche und gingen zurück zu Divine, der geduldig wartete. „Habt ihr euch entschieden?“, fragte er.
 

Yusei nickte. Er trat an Divine heran, so nah, dass er ihn mit dem Arm erreichen konnte. Sein erstes Zeichen des Vertrauens. „Solange du in diesem Haus und unter unserer Obhut bist, wirst du nichts tun was uns oder unsere Freunde verletzen könnte. Und du wirst nicht mit Aki allein reden, es wird immer jemand bei euch sein. Bist du damit einverstanden?“
 

Divine nickte. „Das muss ich wohl einsehen.“ Er sah Yusei in die Augen. „Ihr könnt mir Vorwürfe machen wir ihr wollt, ich bin es gewohnt. Aber ihr werdet mich weder bedrohen noch mir sonst in irgendeiner Weise schaden solange ich euch hilflos ausgeliefert bin. Ist das für dich soweit akzeptabel?“
 

Yusei nickte ebenfalls, reichte dem Anderen die Hand. „Waffenstillstand.“
 

Divines Lächeln wirkte ebenfalls erleichtert, als er Yuseis Hand ergriff und wiederholte: „Waffenstillstand.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Sean
2010-12-05T19:45:01+00:00 05.12.2010 20:45
Na bitte, es geht doch.
Jack gefällt mir in diesem Kapitel am besten, vor allem wie er Divine eine reinhaut. Das wäre ganz genau das, was er tun würde. XD
Divine ist sehr schwer zu lesen, wäre interessant das ganze noch mal aus seiner Sicht zu sehen. Ich hab das Gefühl, von allen Charas ist er ganz natürlich der "schwierigste", weil er im original Plot an dieser Stelle ja nicht da war... oder so.
Von:  Jitsch
2010-12-03T18:06:09+00:00 03.12.2010 19:06
Na, immerhin etwas XD ist ja nicht mitanzusehen bzw. zu lesen, wie Yûsei sich quält. Aber passt total zu ihm, so ist er halt.
Schön, dass Carly auch mal wieder mit augegriffen wurde ;)

Ansonsten geht es bisher recht langsam voran, was die Story angeht, aber ich denke mal, da nun der Waffenstillstand geschlossen ist, wird sich das demnächst etwas ändern. Ich freu mich schon drauf.


Zurück