Zum Inhalt der Seite

Tabu

One Shots für Harry Potter RPGs
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Noori II - Nae sarang

Mühsam atmete Noori durch. Heute fiel ihm das Atmen schwer und die Leichtigkeit seines Lebens, die ihn sonst auszumachen schien, war nirgendwo zu finden. Die Pflicht, der Sohn des Vaters zu sein, war heute erdrückend und unwillkommen und er fühlte sich schuldig dafür so zu empfinden. War er undankbar? Unangemessen? Früher hatte er sich diese Fragen nie gestellt. Niemals wäre ihm eingefallen, seine Position in Frage zu stellen oder die eigenen Handlungen zu hinterfragen. Wenn sein Vater wünschte, dass er zum Empfang im Chalet mitkam, dann dachte er nicht über das Warum nach – nicht darüber, ob es Auswege gäbe. Nicht einmal über die Kleidung, den Haarschnitt oder die Accessoires, die für ihn bereitgelegt worden waren und erst recht nicht darüber, ob er irgendetwas davon wirklich wollte. Er hatte sich stets in die Rolle gefügt und sie weder hinterfragt, noch als etwas anderes als selbstverständlich hingenommen.

Er war Jeon Noori, Sohn von Jeon Byeong-ho und damit kamen neben den vielen Vorzügen eben auch Pflichten einher. Pflichten, die er nie in Frage gestellt, nie als Bürde empfunden hatte.

Warum fiel ihm das Atmen heute dann so schwer?

Warum sah das Gesicht im Spiegel so blass, so unglücklich aus?

Noori schloss die Augen und zum wiederholten Male versuchte er, sich zu beruhigen, obwohl er nicht einmal aufgeregt oder angespannt war. Er bekam nur einfach kaum Luft. War das eine Panikattacke? Vorsichtig platzierte er seine große Hand auf Herzhöhe, beobachtete sein Spiegelbild dabei, doch sein Herz schlug normal schnell und nachdem er seinen Puls am Hals ertastet hatte war er sich sicher, dass rein körperlich gar nichts verkehrt lief.

Er war Sportler. Schon seit er elf Jahre alt war spielte er Quidditch und war früh in den Schulmannschaften geflogen – selbst in seinen beiden Auslandsjahren auf Durmstrang und Hogwarts war er in den Mannschaften gewesen und hatte altgediente Spieler ersetzt. Nicht zwingend, weil er ein Naturtalent im Fliegen war, sondern weil sein klarer Kopf, seine Übersicht und seine rationale Herangehensweise ihm einen klaren Vorteil gegenüber jedem intuitiven Hitzkopf gaben. Seitdem er studierte flog er nicht nur für die Unimannschaft als Jäger, sondern dadurch auch in der koreanischen Liga – die Unimannschaft der Seouler Zaubereruniversität hatte eine lange Historie und war vor Jahrzehnten in die koreanische Quidditchliga aufgenommen worden. Sie waren eine Institution, wenn auch mit wenig Tradition. Aber nicht nur das: er war Kapitän. Bereits als er die Universität betreten hatte war klar gewesen, dass er die Position des Kapitäns übernehmen würde und auch wenn hinter vorgehaltener Hand getuschelt wurde – immerhin war er der Sohn des Dekans, Vitamin B hatte noch niemandem geschadet, eh? – hatte er sich diese Position schnell verdient.

Noori wusste also was sein Körper aushalten konnte und verstand Anzeichen von übermäßiger Erschöpfung, Nervosität, Schlafmangel, falscher Ernährung und, und, und – jahrelange Erfahrung, jahrelanger Drill, jahrelanger Balanceakt zwischen den Pflichten eines Sohnes und dem Herausbilden der eigenen Person. Dass sein Körper ihm also einen fetten Daumen nach oben entgegenstreckte ließ nur noch einen Schluss zu.
 

Nur ganz langsam schlossen sich seine Augenlider. Gänsehaut rieselte unwillkommen und unerwünscht seine Arme herab und seine Nackenhaare stellten sich auf, als sich ein so vertrauter Geruch in viel zu heftiger Erinnerung in seine Nase schlich. Sein Atem stockte abermals, verließ als mitleidserregender Rest seine Lippen zischend und Kälte breitete sich in ihm aus. Sie schlang sich wie eine Schlange um seine Eingeweide, ließ ihn von innen heraus zittern – fast wie einer der vielen Kältesprüche, die gegen die Überhitzung beim Sport eingesetzt wurden. Aber er wusste es besser. Es war eine ganz andere Magie, die ihn befiel. Reue – Mitleid – A b s c h e u. Und schließlich: Resolution. Er kämpfte abermals gegen sich selbst. Seit Wochen schon und es wurde von Tag zu Tag schlimmer statt besser. Noori wollte sich auf die eigene Atmung konzentrieren, seinen Geist dazu bringen, sich zu beruhigen und den Geruch zu verdrängen – die Erinnerungen zu töten – und gleichzeitig klammerte sich dieses verfluchte Herz mit allem was es hatte an Geruch und Erinnerungen.

Und schließlich begann es zu rasen.

Noori keuchte erschrocken und atmete heftig ein, während er die Augen aufriss und seinem überraschten Selbst entgegenstarrte. So kannte er sich nicht. So außer sich. Er war ein ruhiger, beinahe gelassener junger Mann, mit sich selbst schon immer völlig im Einklang und sich seinem Platz in der Welt erschreckend bewusst – vollkommen konform in dem Bewusstsein, dass sein Weg für ihn bereitet war und er ihn einfach nur beschreiten musste und keinerlei Bestreben darin aufweisend, sich Schneisen zu schlagen oder gar Abwege zu nehmen. Niemals hatte er darüber nachgedacht, eigene Träume zu entwickeln, da die Träume seines Vaters zu den eigenen geworden waren und niemals hatte er auch nur daran gezweifelt, dass er glücklich werden würde auf dem ihm vorbestimmten Weg.

Er sah sich selbst im Spiegel – große rotgeräderte Augen, müde Schatten unter ihnen, aufgedunsene Wangen, stumpfes Haar – und schob die Hand vor die bebenden Lippen. Sein Oberkörper begann zu vibrieren – der Kampf hatte begonnen und Hoffnungslosigkeit und Vorwurf schlichen sich in die dunklen Tiefen der großen Augen.

„Warum hast du das getan?“, hörte er Yejuns Stimme sanft fragen und die eigene Antwort darauf wie einen Stupor sein Inneres lähmen: „Weil es sein musste.“ Sein Magen krampfte – die Kälte brachte ihn zum Zittern. „Das ist bescheuert, Noori. DU bist bescheuert. Was soll das?“, keifte Nam-kyu wütender, als er selbst es war und hinterließ harte tiefe Wunden im Inneren. Die Erinnerung an die Wut des besten Freundes brach das Eis schonungslos auf und Noori biss die Zähne zusammen, zog die Schultern hoch und sackte schließlich doch in sich zusammen, vornübergebeugt, beide Hände verzweifelt gegen die zitternden Lippen gepresst, irgendwie um das letzte Bisschen an Entschlossenheit im Kampf gegen sich selbst kämpfend. „Es muss sein…“, wisperte er Nam-kyus Erinnerung entgegen, die Augen fest zusammengepresst, sich weigernd auch nur eine Träne zu vergießen. „Es muss. Es muss, verflucht noch mal.“
 

Explosionsartig fegte sein Unterarm über die Kommode und das helle Klirren von zerberstenden Parfumflaschen gesellte sich zum anklagenden Klappern von allerlei Tand. Alarmiert streckte sein Assistent den Kopf durch die Tür, doch Noori schnippte mit dem störrischen Roteichestab und gewaltsam knallte die Tür wieder zu – er ignorierte den Schmerzenslaut auf der anderen Seite, ignorierte das Blut am Unterarm, das von Scherben der Parfumflaschen stammte und er ignorierte, wie es im Herrenhaus lauter wurde. Kurz gesagt: er ignorierte alles um sich herum.

Voller Zorn funkelte er dem eigenen Spiegelbild entgegen – die Fingerknochen traten weiß hervor, als er sich in den Rand der Kommode krallte und das erste Mal in seinem Leben hasste er, was er im Spiegel sah. Er hasste sich selbst.

„Scheiße…“

Ein leiser Fluch perlte von den eigenen Lippen und Sekundenlang starrte er sich selbst voller Abscheu entgegen, kämpfte um seine Selbstbeherrschung, kämpfte um die Kraft, seine eigenen Entscheidungen vor sich selbst zu rechtfertigen und kämpfte darum, weiter aufrecht zu stehen.

Er gewann. Wie immer … Vielleicht wäre es besser gewesen er hätte nicht gewonnen. Vielleicht wäre es besser gewesen er würde zusammenbrechen. Nur ein einziges Mal nicht der Sohn seines Vaters, nicht Jeon Noori, nicht der Kapitän, nicht der starke, sture Erbe sein. Nur ein einziges Mal stattdessen Jagiya – der Einzige für immer – sein.

Noori senkte den Kopf und atmete durch. Verschloss diesen lächerlichen Wunsch tief in sich und legte jene Eisschichten darüber, die zuvor seinen Magen in Aufruhr gebracht hatten. Er fand, das war ein passendes Bild und je länger er es sich so vorstellte – eine kleine Schachtel in seinem Herzen, mit all den Erinnerungen, all den Gerüchen und all den Wünschen, Versprechungen, Vorstellungen, umhüllt von einer massiven Schicht aus glänzendem Eis – desto einfacher wurde es, das Atmen wieder zu lernen.

Die Schultern entkrampften sich – das Herz wurde leichter – der Magen rebellierte nicht mehr.

Und schließlich lächelte er sich selbst entgegen, halberherzig, aber es war ein Lächeln.
 

„Weil es nicht anders geht, Noori“, sprach er sich selbst zu, „das weißt du. Du willst, dass er glücklich ist. Wenn du ihn dafür zuerst unglücklich machen musst, dann ist das so, aber schlussendlich wird er ohne dich besser dran sein und auch das weißt du. Das alles hier würde ihn zerquetschen und du kannst nicht fort. Du willst es auch nicht, nicht einmal für ihn.“ Während er mit sich selbst sprach, richtete er sich auf, begutachtete die Wunde am Unterarm und befand, dass sie nicht weiter dramatisch war, hatte sie doch auch schon aufgehört zu bluten. Er würde sich bei seinem Assistenten entschuldigen müssen und auch bei den Leuten, die auf ihn warteten.

Ein Klopfen an der Tür ließ ihn automatisch mit „herein“ antworten und sein Vater – müde vom langen Flug nach Hause – betrat das ausufernde Schlafzimmer. „Noori. Jinwon hat mir ausgerichtet, dass es dir nicht gut geht.“ Der Blick des Vaters fiel auf das Chaos, das ungewöhnlich für den sonst so gelassenen und geordneten Sohn war.

Obwohl Byeong-ho ein erfolgreicher Geschäftsmann war und viel Zeit auf Reisen und in den verschiedenen Bereichen des großen Imperiums verbrachte, hatte er nie die Liebe für seinen Sohn verloren. Er wollte sein Bestes – und die Liebe zu seinem Sohn war größer, als die zu seinen Geschäften.

Daher schaute er nun sorgenvoll auf das Profil des ihn überragenden jungen Mannes und trat langsam auf ihn zu, ein weiches Lächeln auf den Lippen.

„Tut mir leid, Papa. Ich räume das sofort auf. Ich bin … ausgerutscht.“

Sanft legte Byeong-ho seine Hände auf die starken Oberarme und drückte sie, bemerkend, wie die dunklen Augen seines Sohnes unruhig zu schimmern schienen. Es war selten ihn derart aufgeregt zu erleben und damit meinte er nicht siegestrunken oder voller Enthusiasmus für etwas, das ihm am Herzen lag. Sondern aufgelöst – sein Sohn war kein Mensch, der seinen Emotionen freien Lauf ließ und gerade ihm gegenüber versuchte er, sie zurückzuhalten, das wusste Byeong-ho. Wie auch nicht, schließlich war er in seinem Alter genauso gewesen. Daher lachte er leise und strich die hellen blauen Haare aus der Stirn seines so groß gewordenen Jungen.

„Nicht nötig. Jinwon kann das sofort erledigen“, sprach er so sanft wie es ihm möglich war und spürte, wie Noori sich anspannte. „Du rutscht nicht oft aus. Besonders nicht mit deinen Armen, a-dul. Ich glaube, das letzte Mal war im Spiel gegen die Busans, oder?“ Das Lächeln verlor sich während seiner Worte und er nahm seinen Sohn ernst in Augenschein, der sich unter dem aufbrechenden Blick des Vaters zu winden begann – nicht durch Bewegungen, aber die Augenlider flatterten nervös, ohne sich komplett zu schließen. Noori befeuchtete sich die Lippen mit der Zungenspitze, fand jedoch keine Worte und Byeong-ho bugsierte ihn sanft auf das Ende das Kingsize Betts, um sich neben ihn zu setzen.

„Noori“, fing er an und nahm seine Hände zwischen die eigenen. Sie waren so viel größer und wieder sah er sich fassungslos der Tatsache gegenüber, dass sein Sohn mittlerweile erwachsen war. „Du bist unglücklich“, stellte Byeong-ho schließlich leise in den Raum und war überrascht von dem heftigen „nein!“, das sofort von Noori zu hören war. Die Hände unter seinen krampften sich um die eigenen Finger und er schaute seinen Sohn an, der ihm fest in die Augen schaute.

„Ich bin vielleicht nicht ganz ich selbst gerade, Papa, aber ich bin nicht unglücklich“, wollte er ihm versichern und Byeong-ho wusste, dass er glaubte, die Wahrheit zu sprechen – sein Sohn log nicht. Selbst dann nicht, wenn es vielleicht besser für ihn oder die Firmen, die eigene Reputation oder das Imperium gewesen wäre. Eine der vielen bemerkenswerten Eigenschaften an diesem jungen Mann war, dass er mit den Konsequenzen seiner Wahrheiten zu leben wusste und dass sie ihn nicht zu zerreißen wussten.

Aber hier und heute wusste der erfahrene Geschäftsmann, dass Noori nicht ehrlich zu sich selbst war.

Daher löste er die krampfenden Finger und strich behutsam über den Handrücken. Noori schauderte und Byeong-ho lächelte abermals, den Blickkontakt suchend.

„Ist es wegen Hirose Koya?“, fragte er schließlich und bemerkte, wie Nooris Schultern sich reflexartig mehr durchdrückten. Sein Sohn schien mit dem Gedanken zu spielen zu lügen oder eine kluge Antwort darauf finden zu wollen, doch schließlich zuckte er nur mit den Schultern.

„Indirekt, ja. Aber ich habe eine Entscheidung getroffen und muss nun mit den Konsequenzen zurechtkommen.“

„Noori… Du bist noch so jung. Er wird nicht der einzige Mann sein, den du lieben wirst.“

Byeong-ho war überrascht über den sichtbaren Ärger, der durch dunkle Augen zog und der für den Bruchteil einer Sekunde die sonst so gelassenen Züge seines Sohnes in Aufruhr brachte. Er entzog ihm seine Hand und die Nasenflügel blähten sich auf, als er tief durchatmete.
 

Quod licet Iovi, non licet bovi?
 

Perplex starrte der Vater den Sohn an und Noori begegnete dem Blick offen.
 

„Du hast nach Mama niemanden mehr an deiner Seite geduldet und sagst nun, dass ich jemand anderen lieben soll? Das klingt mir ganz nach Doppelmoral, appa.“
 

Es war einen Moment still zwischen den beiden; immerhin musste Byeong-ho sich von dem Schock erholen, dass sein Sohn ihn als einen Hypokriten beschuldigte und gleichzeitig um Selbstbeherrschung kämpfen. Er war müde und erschöpft vom langen Flug und den Terminen zuvor, hatte bereits das Meeting mit den Anwälten im Hinterkopf und die Erwähnung der toten Ehefrau trug nicht gerade zum eigenen Wohlbefinden bei.

Aber das für ihn Schmerzhafteste war, dass Noori sie verglich – die Liebe seines Lebens mit Hirose Koya. Byeong-ho hatte nicht gewusst, nicht einmal im Ansatz geahnt, wie tiefgehend die Gefühle des Sohnes für den Japaner waren. Natürlich hatte er gewusst, dass es ihm ernst war … vier, beinahe fünf Jahre Beziehung war in dem jungen Alter eine lange Zeit, aber etwas anderes hatte er von seinem treuen Sohn auch nicht erwartet. Eine Beziehung, die er nicht ernst nahm? Die nach einigen Wochen wieder beendet war? Noori war viel zu realistisch, um sich auf jemanden einzulassen, den er nicht als angemessen für sich selbst oder den Platz im Rampenlicht erachtete. Dass Byeong-ho Hirose Koya als unangemessen angesehen hatte, verstand sich leider von selbst. Der Muggelstämmige aus Kōchi mit geschiedenen Eltern und ohne nennenswerte Erfolge oder aber Auszeichnungen – absoluter Durchschnitt, ruhig und unscheinbar, wenn auch hübsch an der Seite seines Sohnes, durchaus. Und Hirose Koya war ein guter und loyaler Begleiter für seinen Sohn gewesen, aus das musste Byeong-ho ihm zugestehen.

Aber er war – schlussendlich – eben nur durchschnittlich.

Und Byeong-ho wusste, wie leicht durchschnittliche Menschen an Nooris und seinem Nachnamen zerbrechen konnten. Seine Frau war zerbrochen. Es hatte sie so sehr vernichtet, dass sie krank geworden und langsam dahingesiecht war. Byeong-ho wusste nicht, ob Noori bewusst war, dass es jenes Rampenlicht, jene Aufmerksamkeit, jene fehlende Privatsphäre gewesen war, die seine Mutter krank gemacht hatte … aber um jeden Preis musste Byeong-ho verhindern, dass es seinem Sohn genauso erging wie ihm selbst.

Zumindest war das seine Intention gewesen, als er ihm geraten hatte, Hirose Koya zu verlassen.
 

Und nun?

Nun verglich sein Sohn Hirose Koya mit Jeon Bin-na … mit der Liebe seines Lebens … und implizierte damit, dass auch er selbst niemals abseits von Hirose Koya glücklich werden würde.

Der so erfahrene, so gefasste Geschäftsmann sah sich den eigenen Gefühlen gegenüber vollkommen schutzlos ausgeliefert und musste sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischen.

Appa … weinst du?“, fragte Noori leise nach und Byeong-ho nickte. „Ich wusste nicht, dass es dir derart ernst mit ihm ist. Warum hast du nichts gesagt?“ Noori schwieg, doch Byeong-ho konnte das Zögern um die Mundwinkel genau lesen. Er seufzte. „Weil ich nicht zugehört habe?“, vermutete er und sein Sohn verzog das Gesicht, sich im Zwiespalt darüber gefangen, dass er zustimmen wollte, aber nicht konnte.

Byeong-ho atmete tief durch und legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter.

„Ist er das?“

Noori war verwirrt und runzelte die Stirn. „Ist er … was?“

Nae sarang.
 

Alles in Noori gefror und wo er zuvor dieses verfluchte Kästchen mit Eis überzogen hatte, war genau jenes das Einzige in seinem Inneren, was zu brennen begonnen hatte. „Wie …“ hast du das gewusst wollte er seinen Vater fragen – er hatte nie gehört, wie er Koya mit diesem kitschigen Kosewort bedacht hatte und es war nicht typisch für ihn, mit derlei herzigen Worten um sich zu werfen. Wie also hatte sein Vater genau das erraten? Und wieso fragte er ihn jetzt danach?

Er beobachtete, wie sich ein trauriges Lächeln auf den Zügen seines Vaters ausbreitete und sein Herz krampfte sich zusammen. Vorahnung schlich durch sein Inneres und Schauer rieselten seinen Rücken herab. „… hast du Mama so genannt?“, mutmaßte Noori atemlos und Byeong-ho nickte langsam, ein leises „jah“ hervorbringend.
 

Hätte er gewusst, wie ernst es seinem Sohn war … Hätte er nur zugehört …
 

Die Hand auf der Schulter Nooris krallte sich beinahe schmerzhaft ins Fleisch und er zuckte zusammen, doch sein Vater schaute weder weg, noch lockerte er den Griff.

„Es tut mir leid“, entschuldigte sich Byeong-ho und Noori schüttelte den Kopf. „Es war meine Entscheidung.“

„Nein. Streng genommen war es das nicht, oder?“

Unwillig runzelte Noori die Stirn und bestärkte noch einmal: „Es war meine Entscheidung, appa. Du hast mir nur einen Schubs in die richtige Richtung gegeben.“

Byeong-ho ließ langsam von ihm ab. „War es denn die richtige?“, hörte Noori ihn leise fragen und sein Herz setzte für einen Moment aus.

„Was meinst du damit? Du hast selbst gesagt, dass…“ – „Ich weiß, was ich gesagt habe, a-dul, aber auch ich mache Fehler und auch ich wähle meine Worte nicht immer mit Bedacht. Ich hätte dir zuhören müssen, als du ihn mir vorgestellt hast und ich hätte mir die Zeit nehmen müssen, euch als Paar kennenzulernen. Oder auch nur Koya als Person und ihn nicht als Hindernis für dich zu sehen.“

Noori war überfordert und schüttelte den Kopf.

„Das kannst du nicht ernst meinen. Nicht, nachdem …“

Byeong-ho schloss die Augen, als sein Sohn sich selbst unterbrach und nicht wusste, wie er den Satz beenden sollte. Er spürte, wie sehr er bereute – er spürte, wie sehr er mit sich kämpfte – und einmal mehr wurde ihm schwer ums Herz, weil er das Glück seines Sohnes so sehr geringschätzt hatte. Weil die wirklich wichtigen Dinge im Geschäftsalltag manches Mal untergingen.
 

Es klopfte an der Tür und Jinwon streckte vorsichtig, als befürchte er einen weiteren Anschlag mit der Tür, den Kopf herein. „Jeon Byeong-ho-ssi … die Herren für die Vertragsschließung sind hier. Ich habe sie ins Teezimmer gebracht, aber sie warten schon ein paar Minuten.“

„Ich habe verstanden, Jinwon. Sag ihnen, dass ich gleich da bin.“ Er schaute zu Noori. „Dass wir gleich da sind. Hast du Jinwon nicht noch etwas zu sagen, Noori?“

Noori lächelte den Assistenten schief an und konnte so etwas wie Amüsement in den älteren Zügen ausmachen, als er ein „Entschuldigung für die Beule“ zum Besten gab, das Jinwon abwinkte. „Ich sage den Herren Bescheid. Zehn Minuten?“

„Mach sieben draus“, grinste Noori und stand bereits auf, um sich endlich die dunklen Augenringe abzudecken und die Haare zu machen. Byeong-ho beobachtete ihn und wartete, bis die Tür wieder ins Schloss gefallen war. Dann stand er auf, tätschelte den Rücken seines Sohnes, der ihn um einen Kopf überragte und flüsterte sanft: „Bring das in Ordnung, Noori. Nicht für mich oder für das Imperium, sondern für dich. Dieses Mal höre ich zu. Versprochen.“ Nur kurz begegneten seine Augen denen seines Sohnes im Spiegelbild, dann gluckste er über dessen verdutzten Gesichtsausdruck und wischte mit dem eigenen Zauberstab durch die Luft. „Jinwon hatte heute schon genug Kopfweh, meinst du nicht auch?“ Noori musste lachen und nickte, sich der Anspielung bewusst. „Ah. Vergiss nicht, dass es unter anderen um den Vertragsabschluss mit Antimatter als Sponsor für Jeon-gong Inc. geht. Ah – und der CEO von IntAG hat dir ein Geschenk dagelassen … eine Uhr, schätze eine Rolex mit dem Firmenlogo. Wärst du so gut …?“ Sein Vater brauchte nicht weiter auszuführen, sondern Noori fing die Schachtel auf, die Byeong-ho magisch herbeigeholt hatte und machte die Uhr um. Selbstverständlich passte sie perfekt und er drehte das Handgelenk nur ein paar Mal, ehe er seinen Vater anschaute. „Will er sie zurück?“

„Nein. Er hat das Wort Geschenk betont … vermutlich will er etwas von uns dafür, aber das werde ich in Erfahrung bringen.“

Noori nickte und zog ein Jackett über das erschreckend auffallende und ein wenig obszöne Shirt von Antimatter – nicht sein persönlicher Favorit, aber er fand sich schnell damit ab. Wenigstens passte es farblich zu den hellblauen Haaren.
 

„Ich warte dann unten. Nimm dir noch einen Moment, um dich zu sammeln. Und … denk über mein Versprechen nach, wenn wir heute durch sind.“

Im Spiegel schaute ein dunkles Augenpaar nachdenklich zum Vater und obwohl Noori niemals eine Entscheidung überdachte, sondern mit den Konsequenzen seines Handelns lebte, lenkte er bei seinem Vater hin und wieder ein. Auch hier? Er blinzelte und ein weiches Lächeln zuckte über die zuvor so angespannten Züge – das Eis im Inneren war zu weichem Schnee geworden, der sich pudernd über das Kästchen mit Erinnerungen, Wünschen und Versprechungen warf. Nicht um es zu begraben, sondern um es zu schützen, es einzuhüllen und sanft anzuklopfen.

„Ich denke darüber nach“, stimmte Noori schließlich zu und sein Vater spürte eine Welle der Erleichterung über sich einschlagen, die ihn selbst überraschte.
 

Wenn Hirose Koya für Noori das war, was Bin-na für ihn gewesen war … dann würde Byeong-ho sich bemühen, zuzuhören und zu verstehen und dafür sorgen, dass der kleine Japaner nicht an dem zu ersticken drohte, was ihn als Jeon erwartete. Dann war Byeong-ho bereit all das für seinen Sohn und dessen nae sarang zu tun, was er nicht für seine Frau hatte tun können.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück