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Forgivable Sinner II

to turn the wheel of fortune
von

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Part 33

Part 33:
 

Angenehme Stille lag in weißem Licht auf den erloschenen Kerzenständern im Audienzzimmer. Eduard betrat es widerwillig, wollte lieber umkehren, sich in Einsamkeit vor der Realität verbergen, die mit teuflischen Armen nach ihm griff.

/Ich will ... nicht mehr... schon lange.../

Florian verbeugte sich tief, als er Alexandra erblickte, obgleich diese es nicht bemerkte, denn sie stand mit dem Rücken zu ihnen, sah hinaus in die Helligkeit des frischen Frühlingstages. Als Schatten spiegelte sich ihre weiße Haut in der Fensterscheibe.

"Alexandra..." erklang tiefer Bass, ließ die junge Frau aufblicken.

Fast freudig wirbelte sie herum. Ein flackerndes Glänzen in den Augen verriet, dass sie innerlich aufgewühlt war.

"Sehen wir uns also doch endlich wieder, mein lieber Graf!" Sacht legte sie die Hand vor den Mund, verbarg dahinter ihr zartes Lächeln, als müsste sie sich dafür schämen. Eduard nickte ihr kurz zu, konnte jedoch seine Blicke nicht von dem kleinen Kind abwenden, welches die junge Frau auf dem Arm trug. Feines weißes Leinen verdeckte dessen Körper, ließ lediglich zwei kleine Händchen und den lieblichen Kopf hervor sehen.

Alexandra schritt auf von Kalau zu, blieb dicht vor ihm stehen, musterte ihn großäugig von oben bis unten.

"Ich wollte mich vergewissern, dass es Euch auch wirklich gut geht. Der Fürst berichtete mir, Ihr seid erst vor wenigen Stunden aufgewacht. Wie fühlt Ihr Euch?"

"..."

"Ihr habt Euch kein bisschen verändert. Wie immer... zieht Ihr es vor, zu schweigen..."

"Weshalb seid Ihr wirklich hier?" fragte von Kalau trocken, sah seinem Gegenüber dabei direkt in die dunklen Augen.

"Ich..." stotterte sie, beinahe verlegen.

"Ich überlegte lange, ob ich... Euch alles sagen sollte... oder lieber alles ignorieren... was zwischen uns... Aber..."

"Ich habe nie..."

"Nein bitte! Lasst mich aussprechen..." unterbrach sie, überlegte dann kurz. "Gerade jetzt, da Ihr eingesehen zu haben scheint, dass Ihr einen großen Fehler begangen habt, als Ihr die Frauen zurückwiest und Euch dem gleichen Geschlecht zuwandtet... Ihr seid... jung... Warum also nicht noch einmal von vorne beginnen... Ein neues... besseres... Leben...?"

"Meine Liebe war kein Fehler! Wenn Ihr gekommen seid, um mich der Pflichten als Vater, die mir ungewollt auferlegt wurden, zu erinnern, dann bin ich durchaus... Benötigt ihr finanzielle Mittel...?"

"Deswegen bin ich nicht hier!" Traurig sah sie ihm in die Augen. Ihre Lippen bebten.

"Dies Kind hier ist nicht Euer Sohn! Und ich danke Gott dafür, dass er Euch das väterliche Gefühl vorenthält. Ihr sollt es nicht kennen lernen, werdet niemals wissen, wie selig warm sich das Herz anfühlt, wenn man das eigene Kind im Arm trägt!"

/...Ein warmes... Herz.../

"Ich verging mich nie an Euch. Meine Seele brachte es nicht fertig, Euch zu... Ich kleidete Euch aus, doch... weiter ging ich nicht...

Für eine Hure hielt ich mich, als ich Euch so hilflos und entblößt vor mir liegen sah. Also zog ich Euch wieder an, rief eine Kutsche, die Euch schließlich aus meinem Leben trug..."

Tränen stiegen ihr in die Augen, zerrannen gläsern auf ihren leicht geröteten Wangen.
 

Von Kalau hatte versucht, ihr aufmerksam zuzuhören, jedes Wort in sich aufzunehmen, doch von Minuten zu Minute fiel es ihm schwerer, denn Übelkeit übermannte ihn, ließ seinen Körper zittern, seine Beine schwach werden. Aus den Augenwinkeln suchte er nach einem Stuhl, nach irgendetwas, an dem er sich festhalten konnte. Doch Nichts umgab ihn, alles schien so endlos weit entfernt. Flach atmete er, als umzäunten Fesseln seine Brust.

"Wieso sagt Ihr nichts, schweigt, als wäre ich eine Antwort nicht wert?!"

Eduard kniff die Augen zusammen, Schatten verdrängten Licht, zerrissen alles um ihn herum zu unerkenntlichen Silhouetten.

"Ich..." drang ein leises Flüstern an Alexandras Ohr.

"Vergebt mir, falls ich je den Anschein erw..."

Erschöpft krampften sich von Kalaus Hände in das eigene Hemd. Der Boden unter seinen Füßen schien zu schwanken, griff mit unbarmherzigen Armen nach seinem Körper, riss ihn mit sich, zwang ihn schließlich auf die Knie.

Kleine Schweißperlen rannen über seine Schläfen, tropften hinab mit jedem schweren Atemzug, der seine Brust heftig erbeben ließ. Stechender Schmerz durchstieß seinen Magen, ließ ihn trocken würden. Entfernt vernahm er schnelle Schritte, fühlte eine kleine Hand auf seinem Rücken. Dunkelheit bemächtigte sich seines Bewusstseins.

"Ich kam nicht, um Euch Vorwürfe zu machen, Graf! Ich wollte Euch nur noch... einmal... wiedersehen..."

Wahrheit, Wahnsinn... Wahnsinn trieb sein Spiel mit ihm. Er wusste nicht, ob es tatsächlich Alexandras Stimme war, die er hörte. Vielleicht war alles nur ein Traum, der sich zu Unsichtbarkeit auflösen würde, wenn er endlich erwachte.

/Wahnsinn greift nach meinem kalten Herz.../
 

Alexandra versuchte den Grafen zu stützen, legte den freien Arm um seinen Körper, nachdem sie laut nach einem Bediensteten gerufen hatte.

"Helft mir, ihn auf sein Zimmer zu bringen. Er braucht Ruhe!"

Florian und ein anderer junger Mann eilten auf sie zu.

"Wünscht Ihr, dass ich einen Arzt kommen lasse?" Schrecken lag in Florians Gesicht, auch mit gespielt steinerner Miene konnte er seine Gefühle nicht verbergen. Vorsichtig griff er von Kalau unter die Arme, versuchte ihn nach oben zu ziehen.

"Er braucht nur Ruhe. Sein Zustand sollte sich heute Abend wieder gebessert haben. Das Chloroform, das man ihm verabreicht hat... die Dosis scheint mir recht hoch gewesen zu sein..."

Nachdenklich senkte sie die Augen, heftete ihr Blicke bald auf die beiden Bediensteten, die Eduard von beiden Seiten stützen. Sie sah ihnen nach, als sie den Raum verließen.

Abwesend, doch liebevoll, griff sie nach dem zarten Händchen ihres Kindes, das sie mit rundem Gesichtchen anstrahlte.

"Wir hätten eine so glückliche Familie sein können, wenn er... nur damals nicht den falschen Weg gewählt hätte..."

Ein Dienstmädchen trat an sie heran, machte kurz einen höflichen Knicks.

"Verzeiht bitte die Störung, Madame. Fürst Minsk bittet Euch, Euch wieder unter die Gäste zu mischen. Er würde Euch sehr gerne zu einem Tanz auffordern."

Alexandra nickte flüchtig, warf dem Mädchen einen verstohlenen, beinahe misstrauischen Blick zu, bevor sie langsam aus dem Zimmer schritt, dabei ein Lied vor sich hersummend.
 


 

"O... Ihr seid wieder wach! Geht es Euch besser? Wie fühlt Ihr Euch?"

Neugierig beugte sich Florian mit besorgter Miene über das große Bett, in welchem der Graf lag. Ein kleines weißes Tuch glitt ihm aus der Hand, als Eduards tiefe Blicke die seinen trafen.

"Ent... schuldigt! Verzeiht bitte meine Ungeschicklichkeit!" Schnell nahm er das Tuch wieder an sich, tauchte es konzentriert in eine Silberschüssel, wand es aus, um es wenig später auf von Kalaus Stirn zu legen.

"Ihr hättet im Bett bleiben sollen..."

Ein müdes Blinzeln kam dem Jungen entgegen und er beschloss, vorerst lieber zu schweigen, wusste man doch nie, wann der Graf wieder einmal griesgrämig reagieren würde.

"Wie lange habe ich geschlafen?"

"Inzwischen ist es Abend. Ihr erwacht, wenn sich alle anderen allmählich zu Bett begeben..."

Ein kritischer Blick traf ihn, doch er lächelte munter weiter.

"Ich habe Euch eine Suppe bringen lassen. Esst bitte etwas, damit Ihr wieder zu Kräften kommt..."

Vorsichtig reichte er dem Grafen einen kleinen, reich verzierten Silberlöffel, rückte den Teller etwas weiter an den Rand des schmalen Tischchens neben dem Bett, so dass Eduard ihn gut erreichen konnte.

Doch von Kalau rührte sich nicht, versuchte sich nicht einmal aufzusetzen, blieb stattdessen reglos.

Schweigen mischte sich mit kühler Stille, wurde lediglich von schwachen Atemzügen durchtränkt.

"Wie lange arbeitest du schon in diesem Schloss?"

Florian überlegte kurz.

"Im Grunde so lange, wie ich denken kann. Ich kam hier zur Welt..."

"Minsk duldete einen Säugling in seiner Dienerschaft?!"

Der Junge zuckte mit den Schultern, wusste nicht, was daran so besonders sein sollte.

"Wenn du hier aufgewachsen bist, kennst du dich sicher sehr gut aus... im Schloss..."

"Ja, bis auf die persönlichen Geheimgänge des Fürsten ist mir jeder Winkel hier bekannt. Ich könnte Euch im Schlaf durch dieses Gebäude führen!"

"Dann zeig mir einen unbewachten Weg hinaus!"

Florian musterte von Kalau, wendete aber sogleich beschämt die Augen ab, als er sich seines eigenen Starrens bewusst wurde.

"Was habt Ihr vor?" erklang leise seine weiche Stimme.

"Hilf mir zu fliehen!"

"..."

"Ich kann nicht hier bleiben!"

"Aber Ihr seid doch kein Gefangener! Fragt den Fürsten um Erlaubnis..."

"Er wird mich nicht gehen lassen..."

"Habt Ihr Euch bei Ihm verschuldet?"

"Er wird mich nicht gehen lassen!" Eduard legte sich die Hände vor die Augen.

"Könnt Ihr ihm das Geld nicht zurück zahlen?"

"Ich bin ihm kein Geld schuldig!"

Florian erwiderte hierauf nichts, schien zu überlegen.

"Bereits in meiner Kindheit zahlte ich ihm jede Schuld ab, die ich einmal bei ihm hätte haben können..."

Flüchtig trafen sich ihre Blicke, doch Florian wich dem Grafen aus, senkte traurig die Augen. Von Kalau lächelte sanft, zuckte innerlich gleichgültig mit den Schultern.

/Er nennt es Liebe, ich nenne es Selbstsucht. Er wird niemals loslassen können. Ich weiß es, weil... ich es.../

"...selbst nicht kann..." Es war nur ein leises Flüstern, das über seine Lippen drang. Wie ein Echo reflektierten die Worte an den Zimmerwänden, verschmolzen dann im Dunkel der Nacht.

Von Kalau bemerkte, wie Florian leicht die Lippen öffnete, sie dann aber krampfhaft wieder aufeinander presste, als plötzlich die Tür geöffnet wurde und der Fürst den Raum betrat. Mit einer kurzen, doch deutlichen Kopfbewegung befahl er seinem Bediensteten, das Schlafgemach zu verlassen und Florian gehorchte stumm. Nur aus den Augenwinkeln warf er dem Grafen noch einen heimlichen Blick zu bevor er verschwand.

"Du scheinst den Jungen lieb gewonnen zu haben... ich kann dich gut verstehen. Ein hübsches Kerlchen. Nur leider viel zu jung für dich!"

"Habt Ihr deshalb bis jetzt die Finger von ihm gelassen... weil er... zu jung ist?"

Minsk grinste, holte eine Zigarre aus der Jackentasche, zündete sie an, während er sich geschmeidig von Kalaus Bett näherte. Langsam... lauernd, wie ein gefährliches Raubtier, das kurz davor steht, zum Sprung anzusetzen.

"Er ist unberührt... Es war ein Unfall... den ich selbst verschuldete..."

"Wollt Ihr damit sagen...?"

"Er ist ein Bastard... und ich bin sein Vater... Natürlich weiß er das nicht und ich bin auch nicht gewillt, es ans Tageslicht gelangen zu lassen..."

Angewidert wendete Eduard den Kopf, wich dem Fürsten aus.

Raue Finger glitten plötzlich über seinen Hals. Er schreckte innerlich zusammen, als er die ungewollte Berührung auf seiner Haut spürte.

/Hört auf damit... Hört auf... Zwingt mich nicht... ich.../

"Weshalb zitterst du?"

/Übelkeit übermannt mich... Euer teures Parfum ruft finstere Erinnerungen in mir wach, die ich zu vergessen suchte... Bitte.../

"Liebe mich!"

/Wie... könnte ich? In königlichem Dunkel will ich stehen und Euch nicht wieder sehen. Wieso merkt Ihr nicht, dass Abscheu mir die Luft entzieht? Schmerz zerreißt mein blutendes Herz, doch alles, was Ihr wollt, ist Lust. Begehrt mich, fesselt mich in dunkelroter Verzweiflung... Nacht schreit nach mir. Ich breite weit meine Arme aus, dass Sternenlicht mich endlich rein wäscht... von allen Sünden, die ich je begangen habe.

Schmerz zerreißt mein blutendes Herz...

Lass dies mein Ende sein.../

_______________________________
 

3 Monate später...
 

Strahlendes Licht flutete das saftige Grün der Sommerwiesen. Hier und da reckten kleine Blumen ihre violetten, gelben und rosaroten Köpfchen gen Himmel, reflektierten matt das zarte Blau. Keine Wolke trübte den Tag. Auch der Wind wagte es nicht, die göttliche Herrlichkeit zu stören.

Von Kalau hielt sich den Arm vor die Augen, blinzelte geblendet in die Sonne, sog tief den lieblichen Duft des Lebens in seine Lungen. Er hörte Minsk aus einiger Entfernung lachen und auch die Stimmen einiger Bediensteter mischen sich darunter.
 

Es war die Idee des Fürsten gewesen, einen ruhigen Tag ausgelassen an diesem idyllischen Fleckchen zu verbringen. Früh am Morgen hatte er den Grafen geweckt, ihn aufgefordert, ihn zu begleiten. Eduard hatte zögerlich zugestimmt, jedoch erst, nachdem Minsk erwähnt hatte, dass eine Schar von Dienern sie begleiten würde. Eduard war froh darüber, nicht alleine mit Minsk zu sein. So würde er sich zumindest manchmal zügeln, wenn ihn erneut die Lust überkam.

"Wollt Ihr Euch nicht etwas zu uns gesellen?" erklang plötzlich ein freundliches Stimmchen. Von Kalau, der auf einer ausgebreiteten Decke saß, blickte auf, konnte aber zuerst nur undeutlich einen Schatten erkennen, in dessen Rücken die Sonne stand, die golden seine Silhouette umspielte.

"Das Wasser des Sees soll sehr angenehm sein. Wollt Ihr Euch nicht ein wenig erfrischen?"

Florian faltete die Hände hinter dem Rücken, beugte sich leicht nach vorne, zwinkerte Eduard lieb entgegen.

Von Kalau betrachtete den Jungen aufmerksam. Florian hatte sein Hemd abgelegt, stand mit entblößter Brust und nur mit einer schwarzen Hose bekleidet, vor ihm.

/Kim.../ durchzuckte es seine Gedanken. - So wie fast jeden Tag, Stunde um Stunde, ununterbrochen, wie eine Beschwörungsformel. Irgendwann wendete er mit einem entschuldigenden Lächeln die tiefgrünen Augen ab, deutete Florian mit einer Handbewegung, ohne ihn zu gehen.

"Ich bade nicht gern, wenn der See durch so viele Menschen aufgewühlt ist. Vielleicht später..."

/Freiwillig werde ich mich vor Minsk nicht entkleiden... nicht freiwillig vor euch allen.../

Florian nickte kurz, rannte auf den kleinen See zu, in welchem sich bereits viele Diener tummelten, die lachend den Fürsten umschwammen. Dieser spritzte sie manchmal neckisch voll oder schwamm ihnen als Verfolger hinterher. Der Graf konnte dem Treiben nicht lange zusehen. Innerlich verdrehte er die Augen, seufzte leise. Er ließ sich zurück auf die Decke fallen, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Vielleicht würde er ein wenig schlafen können, hier... im Halbschatten einer großen Eiche, deren Blätter leise säuselten.

Eduard fühlte sich müde, seit einem Monat schon und der Arzt hatte ihm Bettruhe und Spaziergänge an frischer Luft verordnet, als fressender Schmerz Besitzt von seinen Lungen ergriff.

Doch das dunkle Blut auf seinem Kopfkissen, neben dem er jeden Morgen erwachte, deutete nicht auf Besserung.

Minsk pflegte Eduards Krankheit zu übersehen, sie vielleicht auch absichtlich zu ignorieren. Oder er wartete einfach stumm darauf, dass er bald wieder genesen würde...
 

Zwei kalte Wassertropfen rissen den Grafen aus seinen Gedanken. Unerwartet, wie aus dem Nichts, fielen sie auf seine blasse Haut. Überrascht öffnete er die Augen, konnte jedoch nichts erkennen.

"Dreh' dich nicht nach mir um... Minsk wird meine Anwesenheit nicht dulden..." erklang eine leise Stimme.

"Heinrich!" entwich es Eduard. Er wollte sich nach seinem Bruder, der versteckt hinter dem Stamm des knorrigen Baumes stand, umdrehen, erinnerte sich dann aber an dessen Worte, die ihm vernünftig schienen.

"Verzeih mir, dass ich dich vollgespuckt habe, aber nach deinem Namen rufen konnte ich nicht und du schienst mir in Träumen versunken..." schmunzelte Heinrich heimlich in sich hinein. Den kritischen Blick seines jüngeren Bruders konnte er sich in Gedanken genau vorstellen, aber dass es nur Wasser war, dass er auf Eduard getropft hatte, würde er für sich behalten.

"Bist du zufällig hier vorbei gekommen?"

"Es müsste schon ein sehr großer Zufall sein, dich an diesem Tag ausgerechnet hier zu treffen. Nein... ich folgte euch, habe schon lange auf eine Gelegenheit gewartet, mit dir sprechen zu können. Ich frage dich nicht danach, wie es dir geht, die Antwort kenne ich bereits..."

"Was willst du hier?"

"Wie immer begrüßt du deinen geliebten Bruder auf solch überschwänglich herzliche Art und Weise! Auch ich freue mich, dich wieder zu sehen!"

"Ich sehe dich nicht. Du verbirgst dich!"

Heinrich schwieg daraufhin. Vielleicht lächelte er leise oder schüttelte den Kopf, von Kalau wusste es nicht.

"...

...

...Bist du... glücklich, Eduard?"

/Eine einfache Frage, doch ich weiß, wie schwer dir die Antwort fällt. Du hast Angst, dir die Wahrheit einzugestehen. Also schweigst du lieber, senkst betreten den Kopf, als müsstest du angestrengt über etwas nachsinnen... Wie lange schon vermag ich als Bruder dein Herz nicht zu erreichen?.../

"Wieso fliehst du nicht?"

"..."

"Was hält dich bei diesem Mann?"

"Mein ganzes Leben lang laufe ich schon vor ihm davon... Wie weit hat es mich gebracht? Er haftet an mir... wie ein garstiger Schatten. - Selbst in dunkelster Nacht..."

Eduards Worte klangen leer, erloschen im sanften Rauschen des Grases, als müssten sie ungehört vergehen.

/Du kannst es nicht verstehen... Hätte es dich getroffen... wärst du sein Opfer gewesen... wüsstest du, dass... einem früher oder später die Kräfte schwinden... bis man nicht mehr will... bis man in gläsernem Lächeln gleichgültig sein Schicksal annimmt. So schmerzhaft es auch sein mag... /

"Du kannst nicht ernsthaft erwägen, den Rest deines Lebens mit IHM zu verbringen?! Gibst du so leicht auf?!"

"Was... ist mir denn geblieben... wofür es sich zu kämpfen lohnte? Wohin sollte ich gehen?"

"Wovor fürchtest du dich so sehr?"

"Er liebt mich..."

Heinrich stockte der Atem. Er schluckte, wollte sich räuspern, doch seine Lippen blieben stumm.

/Das sind nicht deine Worte!/

"Nennst du sein Begehren nach deinem Fleisch etwa Liebe?!"

/Dein erzwungenes Lächeln erfriert in Bitterkeit.../

Plötzlich spürte der Graf eine warme Hand auf seiner Schulter.

"Ich lass' nicht zu, dass du bei ihm bleibst. Ich bin hier, um dich wegzuholen! Er hat kein Recht, dir Fesseln anzulegen... Mein Pferd ist nicht weit entfernt von hier... Steh' auf, mach' schnell... noch hat man mich nicht bemerkt!"

Von Kalau erhob sich langsam, wendete sich seinem Bruder zu, legte ohne zu zögern die Arme um dessen Körper. Leise flüsterte er etwas, doch Heinrich verstand die Worte nicht, hatte auch nicht die Zeit, nachzufragen. Sie mussten sich beeilen, durften nicht länger hier verweilen. Schnell, doch sanft löste er die Umarmung, schritt voran, steuerte auf ein kleines Wäldchen zu, das nicht weit entfernt lag und Eduard folgte ihm stumm.
 

"Lass uns..." setzte der junge Mann zum Sprechen an, stockte augenblicklich, als er hinter sich sah.

/Weshalb... weshalb entfernst du dich von mir, mein Bruder?! - Gehst zurück zur Eiche... Hast du dort etwas wichtiges vergessen? Uns bleibt doch keine Zeit mehr...

Ich suche deine Blicke. Du starrst mich an..., auf eine Art und Weise, die mich begreifen lässt, was du vorhast. Nein... senke deine Augen nicht zu Boden... lächle nicht über mein steinernes Gesicht. Denn du weißt nicht...

Ich strecke meine Hand nach dir aus, weshalb bist du so verflucht weit entfernt? Deine Lippen bewegen sich, sprichst du die Worte laut aus oder schweigst du sie mir zu?

Ich will sie nicht verstehen und kenne sie doch...

,Ich kann nicht!'

Was kannst du nicht? Dich deinem Unglück entziehen, welches dein stetiger Begleiter ist? Das Leid, dass an deiner Seele frisst, hinter dir lassen?

Was verflucht noch mal kannst du nicht, Eduard?!/

Ohne es verhindern zu können quollen dichte Tränen aus Heinrichs Augen, verschleierten die Umgebung zu düsteren Nebeln. Er biss sich fest auf die Lippe, bis ein kleines rotes Rinnsal sein Kinn hinabfloss. Dann verzog er seine Mundwinkel zu einem abfälligen Grinsen.

"Das kann doch nicht dein Ernst sein?! Ich werde... dich nicht ... hier lassen!" schrie er laut.

/Es war meine eigene Entscheidung.../

Wütend stapfte er zu seinem Bruder zurück. Ob ihn jemand sah war gleichgültig.

"Hat dieser Mistkerl dich schon so in seiner Gewalt, dass du aus freien Stücken bleibst?!"
 

/Es ist das ... letzte Mal, dass du... mich für eine lange Zeit sehen wirst, Heinrich. Sei nicht wütend... begreif doch... Ich werde bald abreisen... In ein anderes Land muss ich gehen... Vielleicht ein paar Jahre... wie damals... Die Krankheit... lässt mir keine andere Wahl.../
 

"Nach alledem, was er dir angetan hat, wie..."
 

/Und Kim... wird mit mir gehen. Minsk hat eingesehen, dass ich ohne ihn nicht sein kann. Er wird mich begleiten und ich.../
 

"Ich versteh' dich einfach nicht..."
 

/Und ich... werde glücklich sein. Kim und ich... wir werden von Neuem beginnen. Wenn ich wieder vollkommen gesund bin... werde ich mich von Minsk losreißen und wir... werden fliehen. Aber allein will ich es nicht, weil.../
 

"Wovor hast du solche Angst...? Antworte mir, Eduard! Antworte endlich!"
 

/... weil Einsamkeit die letzten Scherben meines Herzens zerbrechen würde.../

Misstrauisch richtete Heinrich die Blicke auf die Bediensteten und den Fürsten, die sich ihnen inzwischen aufgeregt näherten.

"Nein! Ich lass' dich nicht hier!"

Strenge mischte sich in seine Gesichtszüge, als er unter seinen Mantel griff, der ihm locker über den Schultern hing und sich selbst im lauen Luftzug leicht bewegte.

"Du... ziehst eine Waffe gegen mich, Heinrich...?" flüsterte von Kalau erstarrt, Leere in den tiefen Augen.

"Lieber bringe ich dich heute um, als dir die Freiheit zu verschließen, indem ich dich deiner Dummheit überlasse..."

Doch von Kalau reagierte nicht darauf, blieb stehen, lächelte schließlich sanft, prallte auf die gläsernen Blicke seines verzweifelten Bruders.

"Du stirbst allein, wenn du mir nicht folgst!"

"...

...

...

Jeder stirbt allein..."

/Meine Hand zittert. Ich kann nicht glauben, was du da sagst... ich.../

Das schrille Zischen eines Schusses durchbrach die trügerische Friedlichkeit, hallte wider in der blendenden Leere der Landschaft, als pralle es auf Stein, mischte sich mit dem betäubenden Schreien mehrerer Bediensteter.

Heinrich wendete sich wortlos ab, lief langsam auf den Wald zu.

"Genug deines kostbaren Blutes klebt bereits an meinen schuldigen Händen. Ich war es, der dich in dein Unglück trieb... der dir drei Jahre deines Lebens zur Hölle machte, die du auch hättest glücklich verbringen können, wenn...

Und nun lieferst du dich selbst dem Mann aus, der das Rad deines Schicksals drehte... In seinen gierigen Fingern.

Hätte er mir nicht gedroht, mir Kind und Frau zu nehmen... damals...

O Gott vergib mir, dass ich dich verriet, mein Bruder! Doch auch ich weiß nur zu gut, was es heißt, mit gebundenen Händen geboren worden zu sein.

Ich gewann das Leben meiner Familie... indem ich dich deinem Untergang preisgab.

Verfluche mich für diese Sünde, die mir die größte von allen zu sein scheint!

Wie verfluche ich dich dafür, dass du sie mir niemals vergeben können wirst.../



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