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Forgivable Sinner II

to turn the wheel of fortune
von

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Part 32

Part 32:
 

Leise, getragene Violinenklänge waren das erste, was Eduard hörte, als er wieder zu sich kam. Zart wie ein liebliches Flüstern, so sanft gleich dem silbernen Flügelschlag eines Schmetterlings drangen sie an seine Ohren, begleitet von entferntem Klavierklimpern. Mal bestimmte das Piano die Melodie, dann erstarb es wieder, verlief sich in der Traurigkeit des Liedes.

Müde legte von Kalau seinen Arm über die Stirn. Er blinzelte vorsichtig, hatte mit Dunkelheit gerechnet, doch es war helles Tageslicht, das ihm entgegenströmte und ihn beinahe blendete. Gleißender Schmerz durchzuckte seine Schläfen. Er stöhnte leise unter der Last der eigenen Bewegungen. Seine Glieder schienen zu Stein erstarrt, nur widerwillig beugten sie sich seinen Befehlen.

"Zieht die Vorhänge etwas zu!" erklang eine Männerstimme, der der Graf im Augenblick kein Gesicht zuordnen konnte. Zu schwermütig schlichen seine Gedanken. Emsige Schritte huschten klackend über den Boden. Blendendes Hell wurde von nebligem Schatten abgelöst, tauchte das Zimmer in blaue Lethargie.

"Lasst uns nun allein! Ich rufe nach euch, wenn ich euch brauche!"

Eine Tür fiel ins Schloss.

Stille.

Friedlichkeit?

Die Ruhe nach dem Sturm?

Benommen öffnete der Graf die Augen. - Langsam, als müssten sie das Sehen neu erlernen. Engel lächelten auf ihn nieder. Er betrachtete genau die weißen Federn ihrer kleinen Flügelchen, die wallende Blässe ihrer edlen Gewänder. Das Bild verschwamm plötzlich; als es wieder klarer wurde, meinte er das Lächeln zu einem höhnischen Grinsen verzerrt.

"Fasziniert dich das Fresko der Decke, Eduard?"

Von Kalau blickte zur Seite, wendete angestrengt den Kopf.

/Minsk!/ durchfuhr es seine Gedanken.

"Verfolgt Ihr mich sogar bis in die Hölle, Fürst?" Schwach kamen die Worte über seine trockenen Lippen. Er selbst konnte sie kaum verstehen. Erneut wanderten seine Blicke zur Zimmerdecke, hefteten sich an dem großen Gemälde fest.

Plötzlich zuckte er heftig zusammen, als er Minsks Hand auf seiner Stirn spürte. Ohne nachzudenken versuchte er sich der Berührung irgendwie zu entziehen, doch sein Körper gab unter ihm nach.

"Ganz ruhig, Junge! Lass' mich sehen, ob du noch immer fieberst!"

Erneut streckte der Fürst die Hand nach ihm aus, doch von Kalau wehrte sie mit dem Arm ab. Minsks Miene wurde eisern.

"Es scheint dir ja doch nicht so schlecht zu gehen, wie ich dachte. Jedenfalls besitzt du noch immer genügend Kraft, dich gegen meine Zärtlichkeiten zu sträuben..."

"Fasst mich... nicht... an!" Kleine Schweißperlen formten sich auf Eduards blasser Stirn. Er atmete flach und das Flackern in seinen Augen verriet, dass er gegen eine Ohnmacht anzukämpfen suchte.

"Du solltest dich mir gegenüber etwas dankbarer zeigen!"

"Für was sollte ich Euch danken?!"

Ihre Blicke trafen sich. Minsk schloss kurz die Augen, grinste im Verborgenen und entfernte sich schließlich von Eduards Bett, lief auf einen reich verzierten Tisch zu. Vor diesem blieb er stehen und sog den Duft der bunten Blumen, welche ordentlich in einer Vase steckten, in seine Nase. Fast lüstern strich er mit seinen Fingern über die zarten Blütenblätter.

"Die Dahlien sind von Alexandra. Sie wird sich freuen, wenn sie hört, dass du... endlich aufgewacht bist..."

Geschmeidig griff er nach einem Kleiderbündel, welches sorgfältig gefaltet, neben dem Strauß lag. Er nahm es in die Hand, schritt zurück zum Grafen, hielt stumm inne, als er auf den großen Mann nieder blickte, der noch immer leise keuchte.

Er warf ihm die Kleider auf die Bettdecke.

"Zieh' dich an! Ich erwarte dich in wenigen Minuten im Speisesaal! Ich kann meine Gäste nicht länger auf mich warten lassen. Es wäre unhöflich!" Damit verschwand er aus dem Schlafgemach, schloss langsam die Tür, wobei er leise flüsterte: "Sei mir dankbar dafür, dass... ich dir deine Männlichkeit bewahrt habe!"

Die Tür fiel ins Schloss und der Fürst lehnte sich mit dem Rücken gegen sie, schloss erleichtert die Augen.

/Wenn ich nur wenige Sekunden später in den Operationssaal gekommen wäre...

Sei mir dankbar dafür... Es war nicht leicht, dich "frei" zu bekommen.../

Er klatschte in die Hände, wartete einen Augenblick bis einer seiner Bediensteten vor ihm stand, sich demütig verbeugte.

"Hilf ihm, sich anzukleiden! Er... wird es allein nicht schaffen und dann führe ihn in den Speisesaal. Sollte er sich weigern... und vermutlich wird er das tun... sag' ihm, dass ich es so wünsche!"

Mit diesen Worten stieg er die Treppe hinab, verschwand bald in einem der dunklen Gänge.

Aufmerksam sah ihm der Bedienstete hinterher, klopfte nach kurzem Zögern vorsichtig an die hölzerne Tür, trat ein.
 

Von Kalau hatte sich inzwischen aufgesetzt, hielt ein weißes edles Hemd aufgefaltet in den Händen, war gerade dabei, es aufzuknöpfen, auch wenn ihm das Kleidungsstück hin und wieder entglitt.

"Lasst mich Euch behilflich sein!" eilte der Diener auf ihn zu, traute sich dann aber doch nicht, ihm zu nahe zu treten, denn finstere Blicke strömten ihm entgegen.

Er bemerkte das Zittern von Kalaus, beobachtete, wie ihm dunkle Haarsträhnen in die Augen fielen.

"Mein Name ist Florian. Man hat mich Euch als persönlichen Diener zugeteilt..." Der Junge Mann konnte sich nicht erklären, warum der Graf auf einmal die Augen zusammenkniff, sich krampfhaft mit der Hand auf dem Bett abstützte. Er wusste nicht, was er tun sollte, war zu unsicher.

"Woher kommt die Musik?" erklang trocken die Frage. Eduards tiefe Blicke trafen ihn.

"Fürst Minsk gibt einen Ball. Die Streicher haben im Nebenzimmer schon begonnen, zum Tanz aufzuspielen. Ihr solltet Euch etwas beeilen, denn die Speisen wurden ebenfalls bereits aufgetragen!"

Der Graf biss bitter die Zähne zusammen.

"Ich werde Minsk keine Gesellschaft leisten..."

"Aber..."

"Sorg' dafür, dass man ein Pferd für mich sattelt. Ich werde von hier verschwinden!"

Doch Florian blieb reglos stehen.

"Das wird nicht möglich sein, mein Herr!" räumte er schüchtern ein.

"Die Türen sind alle verriegelt. Auf Anweisung des Fürsten. Ihr müsst ihn wohl erst um Erlaubnis bitten..."

Ein unterdrücktes Knurren verließ Eduards sinnliche Lippen, er zog die Augenbraue nach oben.

"Dreh' dich um! Ich werde mir die Hose nun anziehen!"

/Meinen verunstalteten Körper darfst du nicht sehen... sollst du nicht sehen... so wie ich am liebsten die Augen davor verschließen würde.../

Florian suchte von Kalaus Blicke, erwiderte jedoch nichts, sondern gehorchte stumm. Er wendete sich ab, faltete wartend die Hände vor dem Schoß.

/Ihr seid so unnahbar.../

Eduard schob langsam die Decke beiseite, starrte mit Widerwillen auf seine eigene Nacktheit, bemerkte einen weißen Verband zwischen seinen Beinen, auf welchem sich ein kleiner dunkelroter Fleck abzeichnete. Er tastete danach, begann ihn vorsichtig zu entfernen.

"Tut das nicht!" wirbelte Florian plötzlich herum, stockte in der Bewegung.

"Verzeiht, aber... ihm Glas des Kleiderschrankes konnte ich Euer Spiegelbild sehen... Tut das nicht! Lasst den Verband bitte wo er ist. Die Wunde könnte sich sonst entzünden! Ich werde ihn später noch einmal wechseln..."

"Soll das heißen, du hast mich nackt gesehen...? Als ich... schlief?"

Ein unschuldiges Nicken.

Misstrauische Blicke musterten den Jungen kalt.

"Und... Hast du dich davor geekelt?! Hat es dich sehr abgeschreckt?!"

"Aber mein Herr..."

"Wie verstümmelt muss ich aussehen..."

/Übertreibt Ihr nicht ein wenig?/

"Es ist doch nur ein kleiner Schnitt. Das wird schon wieder verheilen..."

"Hast du schon einmal jemanden wie mich gesehen?"

"Ich kann Euch nicht ganz folgen, Graf. Wenn Ihr wissen wollt, ob ich schon andere Männer nackt gesehen habe, dann ist dem so, ja!"

"Wie kannst du... mich noch immer als Mann bezeichnen... Ich wurde... kastr... ver-damm-mt..."

Florian überlegte einen Augenblick, lächelte sanft.

"Aber nein, mein Herr! Ihr seid vollkommen intakt! Es ist lediglich eine kleine Schnittwunde, die ich versorgt habe... Ihr müsst geträumt haben..."

Verwunderung lag im Gesicht des Grafen. Er schluckte, schob die Bettdecke nun ganz beiseite, entfernte, auch gegen die Anweisungen des Dieners, den Verband. Er musste sich vergewissern. Hatte der Junge die Wahrheit gesprochen? Hatte man ihm seine Bestrafung tatsächlich erlassen? Er versuchte sich zurückzuerinnern, sah den bleichen Operationssaal vor sich, hörte in seinem Inneren die Stimmen der Schwestern, das Knallen einer Tür.

/Dann war Minsk es, der.../

Beklemmung keimte in seiner Brust auf. Er konnte kaum noch atmen.

/Wenn Minsk mich frei gekauft hat, dann... erwartet er von mir.../

Er legte sich die Hände an die Stirn, stützte müde den Kopf auf ihnen ab.

"Weshalb bist du noch hier?! Habe ich dich nicht beauftragt, mir ein Pferd satteln zu lassen?!"

"Es ist im Augenblick nicht möglich, dieses Schloss zu verlassen... Nicht ohne die ausdrückliche Erlaubnis des Fürsten!"

/Er sperrt mich ein... Ich.../

Von Kalau erhob sich von seinem Bett, klammerte sich jedoch noch fest an einem der langen Pfosten fest, schwankte unsicher, als er versuchte, sich die Hose anzuziehen.

"Bring mich zu Minsk!" Dumpf durchströmte sein tiefer Bass das Gemach, wurde von den hohen kalten Wänden geschluckt. Florian eilte sogleich auf den Grafen zu, legte eine Hand um dessen Arm, wurde zurück gestoßen.

"Du sollst mich nicht führen, sondern mir nur den Weg zeigen!" erwiderte von Kalau schroff.

Florian ging voran, öffnete die Tür, zuckte innerlich mit den Schultern, da er nicht ganz begreifen wollte, weshalb der Graf keine Hilfe annahm.

Eduard folgte dem Jungen langsam. Alles um ihn herum schien unsicher zu schwanken, sich aufzulösen in einem dichten Nebel, der sich wie ein Schatten über seine Augen legte. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Sein Keuchen durchbrach die Stille. Verzweifelt spürte er, wie seine Beine drohten, unter ihm nachzugeben. Er suchte nach Halt, stützte sich mit der linken Hand an der Wand ab, war insgeheim dankbar, als ihm Florian Hilfe anbot.

Schier endlos schienen die Treppen zu sein, die gewunden in eine große Vorhalle führten. Sie schlichen durch schmale Gänge, mussten wiederum einige Stufen nach oben gehen, bis sie irgendwann vor einer großen Tür ankamen, deren aufwändig gearbeitetes Schnitzwerk mit Blattgold edel verziert war.

Florian klopfte zweimal kurz. Drei Diener öffneten von innen und helles Licht erleuchtete wenig später den Flur.

Der Junge senkte bescheiden die Blicke, als sich die Augen der speisenden Gäste und die des Fürsten auf sie richteten.

Stille umgab sie. Eduard bemühte sich, langsam und gleichmäßig zu atmen, doch er glaubte, daran ersticken zu müssen.

Mit einem Ruck entledigte er sich grob Florians Berührung, schritt geradewegs mit erhobenem Haupt auf Minsk zu, der jede Bewegung des Grafen in sich aufzusaugen versuchte.

"Was denkt Ihr Euch dabei, mich hier festzuhalten?!"

Seine Frage traf auf eisiges Schweigen. Großäugig wurde er von allen Seiten gemustert. Die neugierigen Blicke der anwesenden Gäste widerten ihn an.

Fürst Minsk lächelte verschmitzt, griff nach einem halb gefüllten Glas Rotwein, hob es Eduard entgegen.

"Es freut mich, dass du meinem Wunsch nachgekommen bist, Eduard, und dich in unsere reizende Gesellschaft begibst! Das ist ein guter Anfang..."

"Ein Anfang für was...?" fauchte ihm der Graf entgegen.

"Das Hemd steht dir wirklich ausgezeichnet!" bemerkte Minsk leise, so dass es vermutlich keiner der anderen Anwesenden wahrgenommen hatte.

Eduard biss fest die Zähne aufeinander, hasste es, wenn ihn der Fürst auf diese verzehrend begehrende Art und Weise von unten nach oben ansah.

"Nun... willst du dich nicht zu uns setzen? Der Stuhl am Tischende dürfte gut genug für dich sein! Er entspricht ganz genau deinem Geschmack. Du würdest abgelegen sitzen, müsstest dich nicht mit unseren Gesprächen langweilen, könntest stattdessen vor dich hinstarren und unsere Blicke ignorieren, die auf deinem Körper ruhen. Wie wäre das...?"

Eduard schwieg, ballte lediglich die Hände zu Fäusten.

"Da ich allerdings annahm, dass dir die Beine versagen würden, bevor du das Ende des Tisches erreichst, hielt ich dir den Platz an meiner Seite frei. Nun ist es an dir zu wählen..."

"Ich bin nicht hier, um mich zu Euch zu gesellen! Ich verlange, dass Ihr den Befehl gebt, die Türen dieses Schlosses für mich zu öffnen! Lasst mich verdammt noch mal gehen!"

Von Kalau bemühte sich verzweifelt, mit fester Stimme zu sprechen, hasste sich innerlich dafür, dass er ein leichtes Zittern nicht zu unterdrücken vermochte.

Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete er, wie sich der Fürst langsam in seinem Stuhl zurücklehnte, die Hände geschmeidig vor sich faltete. Selbstsicheres Grinsen lag auf seinen Lippen.

"Nun denn..." begann er endlich. "Die Türen dieses Schlosses stehen dir jeder Zeit offen..."

Misstrauisch kniff der Graf die Augenlider zu dunklen Schlitzen zusammen, atmete tief aus. Er wendete Minsk langsam den Rücken zu, hielt nach Florian Ausschau, der geduldig vor der Tür auf ihn wartete und heimlich einige Worte mit einem Dienstmädchen wechselte, welches gerade an ihm vorbei huschte. Müde setzte Eduard einen Fuß vor den anderen, wollte diesen Saal so schnell wie möglich verlassen. Doch der Weg kam ihm unendlich lang vor. Hinter sich hörte er leises Flüstern, gemischt mit aufgesetztem Lachen.

Er war froh darüber, dass die Gäste begannen, sich wieder mit sich selbst zu beschäftigen. Auf diese Weise würden sie vielleicht nicht bemerken, wie er gegen das Zittern seines Körpers ankämpfte.

Er trat in den Flur und sogleich wurde die Tür hinter ihm geschlossen. Er stand allein, spürte Florians musternde Blicke.

"Ich habe bereits veranlasst, dass man Euch ein Pferd sattelt. Möchtet Ihr, dass ich Euch in den Schlosshof geleite?"

Ein kurzes Nicken war die einzige Antwort auf seine Frage.

"Seid Ihr sicher, dass Ihr reiten könnt? Vielleicht wäre es vernünftiger, wenn Ihr Euch noch etwas ausruht..."

Doch Eduard wollte davon nichts wissen, brachte Florian mit einer beherrschten Handbewegung zum Schweigen.

Zwei Bedienstete öffneten ihnen die Eingangstür des Schlosses. Sie traten in den prächtigen Hof, dessen graue Pflastersteine silbrig glänzten, als weiße Sonnenstrahlen auf ihnen entlang krochen. Für einen kurzen Moment schloss der Graf seine Augen. Er fühlte sich geblendet von der Lebendigkeit des Frühlingstages, genoss die frische Luft, die ihn umhüllte und den zarten Duft der ersten blühenden Bäume mit sich trug.

Man brachte ihm ein Pferd und er griff nach den Zügeln, zögerte kurz.

"Bitte, Graf... Ich glaube nicht, dass Ihr dazu in der richtigen Verfassung seid..."

"Ich habe dich nicht um deine Meinung gebeten!"

Mit Mühe schwang er sich auf den schwarzen Hengst. Seine Schläfen pulsierten und Übelkeit kroch seinem Magen empor.

Abwesend nickte er Florian noch einmal zu, ritt auf das hohe schwarze Eisentor zu, welches den Schlosshof in weiträumigem Abstand umringte. Zwei Diener des Fürsten, große Männer in dunkelblauen Roben, reckten ihre Köpfe nach oben als von Kalau ihnen entgegen kam.

"Öffnet das Tor!" befahl der Graf, wischte sich kurz über die Augen, versuchte die Schatten zu vertreiben, die sich seiner bemächtigten. Doch die Mienen der Männer blieben eisern, als hätten sie seine Worte nicht vernommen.

"Öffnet das Tor!"

"Es ist Euch nicht gestattet, Euch außerhalb des Schlosshofes aufzuhalten!"

"Öffnet dieses verfluchte Tor oder ich..."

Plötzlich drang lautes Klatschen hinter seinem Rücken an sein Ohr. Er drehte sich danach um, erkannte Minsk, der halb verborgen an dem knorrigen Baumstamm einer großen Eiche, die einsam stand, lehnte, die Arme vor der Brust verschränkt.

"Oder du wirst was tun, mein lieber Eduard?!"

"Die Türen Eures Schlosses stehen mir offen... Ihr habt es selbst gesagt!"

"Aber ich erwähnte niemals dieses Tor! Bis hierher und nicht weiter! Ich hätte nie gedacht, dass du überhaupt so weit kommst. Ich mag es, wenn du mich immer wieder überraschst!"

Breites Grinsen prallte auf eisernes Starren.

Von Kalaus Hände zitterten.

Er riss die Zügel um, das Pferd bäumte sich auf, warf seinen Reiter beinahe zu Boden. Unter Zähneknirschen sprang von Kalau ab, packte den Fürsten unsanft am Kragen.

"Wer glaubt Ihr, dass Ihr seid, solch hinterlistige Spielchen mit mir treiben zu dürfen?! Ihr könnt mich hier nicht halten!"

"Wohin willst du denn gehen? Vergiss nicht, dass Hornbach mir gehört!"

Leere schlich sich in Eduards Augen, er blinzelte kurz, fixierte erneut sein Gegenüber mit finsteren Blicken.

"Ich habe nicht nur dieses Schloss!" Er ließ ab von Minsk, richtete sich stolz auf, wendete dem Fürsten ruhig den breiten Rücken zu und sprach mit tiefem Bass weiter.

"Und jetzt lasst dieses Tor öff- ... nen!" Das Gleichgewicht entglitt ihm, er schwankte, stützte den Arm an die dicken Gitterstäbe des schwarzen Torbogens. Müde schloss er die Augen. Er keuchte leise, griff mit der freien Hand nach seinem Hemdkragen, versuchte ihn zu lockern, in der Hoffnung, das Atmen würde ihm dann leichter fallen. Eine unnatürliche Kraft schien ihn zu Boden reißen zu wollen, er stemmte sich dagegen, umklammerte fest das spröde Eisen, lehnte die fiebrige Stirn dagegen.

"Warum... tut Ihr mir das an, Minsk...?"

Er blinzelte durch die dichten Wimpern, suchte das weiche Blau des zarten Himmels. Kleine Wolken schwebten in der Ferne, wandelten langsam ihre Form, spielten im Licht der warmen Sonne.

"Nehmt mir nicht das bisschen Freiheit, dass mir noch geblieben ist..." Der Wind trug sein Flüstern fort.

Schritte hinter seinem Rücken. Eine warme Hand auf der Schulter.

/Ich bin jetzt deine Freiheit... Ich schenkte sie dir... und band dich an mich.../

"Bringt ihn auf sein Zimmer!" befahl der Fürst mit harter Stimme und einer deutlichen Kopfbewegung. Die Bediensteten nickten stumm, schritten auf Eduard zu, griffen ihm unter die Arme und von Kalau ließ es geschehen.

/Fühle nichts... sehe nichts... alles wird einmal vorbei gehen. Jeder Schmerz und wenn er noch so groß ist... wird irgendwann sein Ende haben. Akzeptiere ich mein Schicksal, das ich von Anfang an nicht zu ändern vermochte? Der Teufel greift nach meiner dunklen Seele und ich... weiß keinen Ausweg mehr.../

Minsk heftete seine Blicke starr auf den Grafen, senkte die Augen, als er kleine glitzernde Tränen über dessen blasses Gesicht in die Tiefe stürzen sah.

/Du zerbrichst in meinen Armen... Verabscheue mich dafür!/
 

"Ich halte es für vernünftiger, wenn du den Tag heute auf deinem Zimmer verbringst! Ich werde dir einige Diener kommen lassen, die dich unterhalten. Oder ziehst du es vor, mir auf dem Ball Gesellschaft zu leisten? Es steht dir frei, zu wählen."

"Ihr gewährt mir eine Wahl? Wie edel von Euch!" antwortete Eduard, sah dabei den Fürsten jedoch nicht an, hatte die Augen in die Leere des Zimmers gerichtet, die sich vor ihm auftat. Kein Gefühl huschte über sein Gesicht, kein Zucken seines Mundwinkels verriet, was er empfand. Er blinzelte kurz, zog sich den Kragen seines Hemdes wieder fester um den Hals.

"Du siehst blass aus. Hast du Schmerzen? Wünschst du, dass ich einen Arzt kommen lasse?"

Ihre Blicke trafen sich und Minsk schauderte beinahe, als er drohte in tiefem Grün zu versinken. Langsam schritt er auf Eduard zu, legte zärtlich eine Hand unter dessen Kinn, verhinderte, dass er seine Augen wieder abwenden konnte um ins Nichts zu starren.

"Ich mag es nicht, wenn du versuchst, mir auszuweichen um dann mit Hochmut zu kontern! Andere magst du niederstarren können, aber nicht mich!"

Schweigen kehrte zwischen beiden Männern ein, kroch verstohlen durch den hohen Raum, verschmolz mit der lieblichen Stille, die aus den Engelsbildern an den Wänden schrie.

Vorsichtig glitt Minsks Daumen über von Kalaus Wange, strich sanft über seine Haut. Der Fürst näherte sich seinem Gegenüber langsam, feuchtete seine schmalen Lippen an, bevor er damit heimlich Eduards Mund streifte. Heißer Atem strömte dem Grafen entgegen, er wollte den Kopf abwenden, doch die Beklommenheit, die sein Herz umfesselte, lähmte ihn in seinen Bewegungen.

Die gierigen Hände an seiner Brust warfen den feinen Stoff seines Hemdes in kleine Falten, tasteten erahnend nach blasser Haut.

Von Kalau suchte die Blicke seines Gegenübers, bemühte sich, sie fest zu halten, auf welche Art und Weise auch immer.

"Hört auf, Eure Augen stets nur an meinem Fleisch zu laben..."

Minsk hielt in seinen Bewegungen plötzlich inne, zwinkerte verwundert, strich dem Grafen sanft über das volle Rot seiner Lippen.

"Seit wann wünschst du mir deine Seele zu offenbaren, Eduard? Bis jetzt hast du mir stets nur deinen Körper dargereicht, hast dich scheu in deinem Inneren verborgen..."

Angewidert senkte der Graf die Augen, richtete die Aufmerksamkeit auf den glänzenden Marmorboden unter seinen Füßen, in dem sich Minsks grotesker Schatten bewegte. Erneut küsste ihn der Fürst, ersehnte fordernd Einlass mit seiner Zunge. Von Kalau streckte den Arm aus, stemmte hart die Hand an die breite Brust seines Gegenübers, stieß ihn unsanft zurück, bevor er ihm den Rücken zuwendete.

"Vergreift Euch an den zig Frauen, die Euch täglich besuchen. Nur rührt mich nicht an, weil ich es verflucht noch mal nicht will! Zieht mich nicht in eine Sünde, aus der zu erretten Ihr mich glaubtet!"

Der Fürst erwiderte nichts. Lediglich ein höhnisches Grinsen erschien in seinen Mundwinkeln.

Dumpfe Schritte hallten durch den Raum, entfernten sich in Richtung Tür.

"Denke nicht, dass ich dich zu mir holte, um mich in Keuschheit zu üben. Du weißt, wonach mich seit Jahren dürstet. Ich werde es mir holen und du wirst es mir bereitwillig darreichen, denn sonst werde ich dir deinen Aufenthalt auf diesem Schloss bei weitem weniger angenehm bereiten!"

Langsam öffnete er die Tür, fuhr leise, doch in hartem Tonfall fort:

"Alexandra erwartet dich in meinem Audienzzimmer. Dein Diener wird dir zeigen, wie man hingelangt. Sag ihr, ich freue mich darauf, sie später wieder unter meinen Gästen zu sehen..."

Minsk trat aus der Tür, blieb noch einmal stehen, unerwartet, als wäre ihm noch etwas wichtiges in den Sinn gekommen.

"Ein wahrlich schönes Kind trägt sie im Arm. Ich wüsste zu gerne, welcher Mann ihr diese Frucht bescherte..."

Der Fürst schloss die Tür hinter sich, ließ den Grafen allein.

Erst jetzt bemerkte dieser, dass er vergessen hatte, zu atmen. Schrecken brach das Grün seiner Augen. Er legte die Hand an die Stirn, als müsse er sein Gesicht dahinter verbergen.

/Sie trägt ein Kind im Arm.../

"Darf ich Euch zum Audienzzimmer führen, mein Herr?"

Eduard zuckte erschrocken zusammen, hatte Florian nicht kommen hören.

"Bitte verzeiht... Ich nahm an, Ihr hättet bemerkt, wie ich das Zimmer betrat..."

Doch von Kalau winkte abwesend ab, näherte sich mit langsamer Vorsicht dem Flur und Florian folgte ihm, stützte ihn schließlich bald, als er es nicht mehr vermochte, alleine zu gehen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  yume22
2004-04-29T20:56:54+00:00 29.04.2004 22:56
Wie immer...sehr gut gelungen^_______^
Was ist mit Kim? *wissenwill*
Ach, will aich so gut schreiben können *seufz*


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