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Wortstürmen

Der Schreibzieher Schlagworte
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Die Verurteilung

Sie ist weg. Einfach so, spurlos verschwunden! Das kann nicht sein, das darf nicht sein, das…

Ihm bricht der Schweiß aus.

Wie soll er das erklären? Wem könnte er es? Und, viel wichtiger, wer würde es verstehen?

Jedes Haar an seinem Körper ist aufgerichtet und er kann sich einfach nicht dazu bringen, still zu stehen.

Keiner wird ihm glauben, dass weiß er schon jetzt, nur Sekunden nachdem er den Verlust entdeckt hat, keiner wird ihn unterstützen.

Verdammt, wie konnte das nur geschehen? Er ist doch die ganze Zeit hier gewesen, direkt vor der Türe, nicht einen Moment hat er sich entfernt. Nur kurz eingenickt ist er, ganz kurz, vielleicht fünf Minuten oder zehn, auf jeden Fall nicht lange genug, damit sie verschwinden kann! Sein Atem rast inzwischen und er versucht verzweifelt, eine Spur ihres doch sehr prägnanten Geruchs zu finden. Sinnlos, hier riecht ja alles nach ihr, so sehr, dass er sich selbst nicht einmal wiedererkennen würde…

Er will weinen und traut sich doch nicht, seine Zeit dafür zu verschwenden. Sie muss hier irgendwo sein, sie ist ja noch gar nicht alt genug, um weit weg zu laufen.

Und wenn sie nicht gelaufen ist?

Eiskalt wird ihm, und der Schweiß in seinem Haar verklebt. Bitte, nur dieses eine Mal, dieses eine Mal darf nichts geschehen sein. Wenn sie doch nur aus einer Ecke gekrochen käme, fröhlich vor sich herschnatternd, das wäre alles, was er will, alles…

Doch dann riecht er es. Durch den penetranten Geruch, der alle seine Sinne verklebt hindurch, dieser warme, klebrige Duft des Eisens.

Blut, denkt er, und in seinem Magen krampft sich alles zusammen. Ihr Blut?

Er läuft, nein, rennt aus dem Schuppen, und bevor er überhaupt Geschwindigkeit aufnehmen kann, sieht er sie dort liegen.

Hell schimmert ihre Haut, der Kopf ist grotesk nach hinten verdreht, die Augen starr; für einen Moment glaubt er, den Verstand verlieren zu müssen vor Traurigkeit und Angst. Die Erde um sie herum ist dunkel vom Blut, der Gegensatz zum bleichen Körper, ihr weißes Kleid liegt um sie herum verstreut.

Sie ist tot, und niemand wird ihm glauben, ihm nicht.

Hektisch greift er den schlaffen Körper und zieht ihn zum nahen Wald, versucht dabei, nicht auf das unschuldige Gesicht zu blicken und dem Gefühl des Verlustes keine Chance zu geben; und trotzdem will er vor Verzweiflung heulen.

Doch das kann er nicht. Das darf er nicht. Schnell gräbt er ein Loch, so schnell, dass die Erde tief unter seine Nägel getrieben wird, wirft sie hinein und sammelt dann schnell die Reste des Kleides ein.

Er will das nicht tun, aber niemand wird ihm glauben. Niemand kann ihm glauben, und deswegen gräbt er die blutige Erde um, bis nicht einmal er eine Spur finden würde. Dann läuft er auf ihr hin und her, bis sie wieder flachgetreten ist.

Wie konnte das nur passieren?

Plötzlich ist er daheim, verkriecht sich in seinem Bett und weiß nicht, wie er dahin gekommen oder wie spät es ist. Ob es nur ein Traum war? Aber nein, er kann die Erde unter seinen Nägeln im Dunkeln noch riechen. Die Angst sitzt wie ein Knoten in seiner Brust, und er versucht zu weinen, um sich zu erleichtern, doch das klappt nicht.

Ob sie schon gemerkt habe, dass er und sie weg sind? Sie habe ihm vertraut, dieses eine Mal haben sie ihm vertraut; er hat er zunächst nicht glauben können. Misstrauisch hat er versucht, den Haken an der Sache zu finden, musste am Ende aber nachgeben, als sie ihn aus den dunklen Augen angeschaut hat.

Ob sie es schon gemerkt haben?

Er fängt wieder an zu zittern und vergräbt sein Gesicht zwischen den Beinen. So wartet er auf den Morgen.
 

Und der Morgen kommt; mit ihm, noch bevor er in den Mittag übergegangen ist, kommen auch die Schritte auf dem Waldboden, die wütenden, lauten Stimmen. Die Anklage.

„Fuchs! Du hast die Gans gestohlen!“

Er erkennt den Biber, doch kann sich nicht rühren. Wenn sie ihn haben wollen, müssen sie ihn holen. Das hohe Kreischen der Eule übertönt die zornigen Stimmen.

„Gib sie wieder her!“

Nach und nach fallen sie alle in den fordernden Sprechgesang, bis nur noch er selbst schweigt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Veroko
2010-11-04T22:30:46+00:00 04.11.2010 23:30
Du hast hier auch aus der Perspektive von Tieren geschrieben? Das finde ich toll =3
Ich habe das auch bei einer gemacht, wie das geworden ist, weiß ich noch nicht recht, aber deine Geschichte ist schön.
Man hat keine Ahnung, wer denn da ist, was er denn genau sucht und was überhaupt passiert. Meine Gedanken wurden regelrecht hin und hergeworfen. Mal hat er auf ein Baby aufgepasst, mal auf eine bedürftige Frau, aber auf eine Gans bin ich nicht gekommen.

Was mir momentan allerdings noch nicht so klar ist, ist die Sache, wie sie umgekommen ist. Es muss ja irgendjemand andres gewesen sein. Da kann ich wieder lange darüber nachdenken.

Liebe Schreibziehergrüße
Laurel
Von: abgemeldet
2010-09-20T15:08:23+00:00 20.09.2010 17:08
Hallo,
Erst dachte ich, du schreibst aus der Perspektive des Fuchses, dann, dass ein kleiner Junge gemeint sein, und dann landete ich wieder beim Fuchs.
Damit liege ich doch schlussendlich doch richtig, oder?

Eine nette kleine Fabel.
Ich war meines Wissens nach zwar noch nie ein Fuchs, aber es fiel mir nicht einmal ansatzweise schwer, mich in ihn hinein zu versetzen, ich sah und roch und hörte mit seinen Ohren, sah ihn selbst vor meinem inneren Auge und hoffe noch immer, dass sie ihm glauben werden, obwohl das recht unwahrscheinlich ist.

Zur letzten Geschichte hätte ich wirklich noch gerne ein paar Worte gehört, doch hier ist die Länge perfekt, selbst nachdem der Text gelesen ist, hängt die Spannung noch greifbar in der Luft.

Wenn ich so zurück blicke, gefällt mir diese Geschichte deines Wortstürmens bisher am besten!
Liebe Schreibziehergrüße
Polaris


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