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Sonnenblumen und Tee

Russland/England <3 *Kapitel Vier*
von

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... Und ...

Als er am nächsten Morgen den Konferenzraum betrat, überraschte es ihn nicht, wieder einmal der erste zu sein. Damit hatte er sich bereits seit dem Zweiten Weltkrieg abgefunden; nur dass er heute keine Bilder mehr an die Tafel zeichnete.

Die Tafel war stattdessen noch mit allerhand Gekritzel vom Vortag aus Amerikas Hand übersät. So stand dort gleich mehrfach das Wort „Mais“ im Zusammenhang mit kuriosen Gebieten geschrieben. Und Arthur fragte sich nicht zum ersten Mal, woher Amerika seine absurden Ideen hatte, wie beispielsweise Mais auf dem Mond anpflanzen zu wollen, weil dort ja bisher sowieso nichts wuchs. (Arthurs einziger Kommentar dazu war gewesen, dass das auch schon seinen Grund hatte.) Er hatte Amerika auf jeden Fall nicht diese Flausen in den Kopf gelehrt.

Unter dem fünften „Mais“ stand schließlich „Sonn“. Das folgende „e“ war nur noch angedeutet, weil Amerika aufgehört hatte zu schreiben, als sich Russland widersetzte. Sonnenblumen. Russland liebt Sonnenblumen. Er liebt Sonnenblumen. Ivan liebt Sonnenblumen ...

Missmutig nahm sich Arthur den Schwamm und wischte die sinnlosen Notizen von der Tafel. Bei dem Wort „Sonn(e)“ hielt er einen Moment inne, bis es schließlich auch zu Kreidestaub wurde. Als er den Schwamm wieder beiseite legen wollte, entdeckte er ein Stück Kreide. Dann dachte er zurück an die Konferenzen des Zweiten Weltkrieges. Und bevor er das Kreidestück in die Hand nahm, schaute er sich noch einmal um, ob er auch tatsächlich allein war.

Er zeichnete gern. Niemand hielt es für möglich, er am wenigsten. Es gab nicht viel, was er gern tat. Vieles hatte sich im Laufe der Jahre geändert und vieles, was er früher gern getan hatte, erinnerte ihn heute nur noch an traurige Zeiten. Doch das Zeichnen gehörte nicht dazu.
 

Sonnenblumen ...
 

Warum um alles in der Welt hatte er verdammt nochmal eine Sonnenblume gemalt?

Fassungslos starrte er das Stück Kreide an, als wenn es daran schuld wäre, dass er eine Sonnenblume gezeichnet hätte, und er bemerkte noch überraschter, dass sich seine Gedanken die ganze Zeit um diese Pflanze gedreht hatten. Und wohl oder übel verband er seit dem gestrigen Tag mit jeder einzelnen Sonnenblume Russland.

(Doch ganz abgesehen davon fand er seine Darstellung überaus gelungen.)
 

„Nya, eine Sonnenblume.“
 

Er wirbelte herum, als er die wohl bekannte Stimme hinter sich vernahm. Er hatte weder die Tür noch die Schritte vernommen. Und dabei war er doch sonst immer so aufmerksam und vorsichtig. Besonders in einem fremden gefährlichen Land wie die Russische Föderation.

Reflexartig griff er nach dem Schwamm, um die Zeichnung schnellstmöglich fortzuwischen. Er hatte ihn auch schon in der Hand, aber die Tafel würde er damit nicht erreichen. Ein entschlossener, zu allem bereiter Griff um sein Handgelenk hinderte ihn daran.

„Die ist doch so schön, da~“, sagte Russland und lächelte ihn an, wobei er seinen Griff nicht lockerte. „Guten Morgen, England.“

Arthur war Russland noch niemals so nahe gewesen, geschweige denn hatten sie sich bewusst berührt. Es gab schon gute Gründe, mit Russland auf Distanz zu bleiben, und Arthur hatte in naher Zukunft nicht vor, dies zu ändern.

Er bemerkte erst jetzt, wie viel größer als er Russland doch war. Das war ein Faktum, das er zwar gewusst, aber niemals zuvor so realisiert hatte wie in diesem Augenblick, in dem Russland spöttisch auf ihn herabsehen könnte. Die Betonung lag aber auf dem Wort „könnte“, denn Russland tat es nicht. Trotzdem konnte Arthur den Ausdruck in Russlands Augen, in denen sich sonst immer der Wahnsinn zu spiegeln schien, nicht deuten.

Zudem musste er sich auch noch eingestehen, dass er niemals eine Chance gegen Russland hätte. Niemals wieder. Denn sein einstiges Weltimperium beschränkte sich heute nur noch zum größten Teil auf die Britischen Inseln. Mit bloßer Hand könnte Russland sicherlich seinen Arm brechen, wenn er wollte. Und Arthur könnte nichts dagegen unternehmen.

Doch Russland schien im Moment andere Absichten zu haben als ihn verletzen zu wollen. Zuerst dachte er, sein Gegenüber wollte nach dem Schwamm greifen. Um dies aber zu verhindern, ließ Arthur den Schwamm achtlos zu Boden fallen. Das sollte keine provokante Geste sein, sondern einfach nur den Grund für Russland fortschaffen, ihm noch näher zu kommen. Arthur mochte diese Nähe nicht. Er wollte keine Nähe zu Russland, weder auf politischer noch auf wirtschaftlicher oder gar auf sozialer Ebene.

Er sah, wie Russlands Augen dem Weg des Schwammes folgten und dann wieder ihn fixierten. Irgendetwas war hier merkwürdig. Ehe Arthur sich versah, hatte Russland die Spitzen seines Handschuhs ergriffen und ihn von seinen Fingern gezogen. Irgendetwas lief hier gerade ganz schief. Im ersten Moment war Arthur zu überrumpelt, um zu reagieren. Besonders weil Russland lächelnd seine neue Errungenschaft betrachtete und sie schließlich in seine Manteltasche steckte. Als sich dessen Finger nun seiner nackten Hand näherten, schaltete Arthur – allerdings erfolglos, da ihm immer noch die richtigen Worte fehlten.

Doch Russland berührte seine Hand nicht. Seine Finger waren nur noch Millimeter von seiner Haut entfernt, sodass Arthur glaubte, die Kälte zu spüren, die von Russlands Körper ausgehen musste. Er schauderte. Als Russland dies bemerkte, lächelte er zufrieden und griff entschlossen nach seinem anderen Handgelenk. Als er Arthur dann mit sanfter Gewalt gegen die Tafel drückte, aktivierte sich auch endlich dessen inneres Verteidigungssystem, das vom schrillen Klingeln seiner Alarmglocken betäubt gewesen zu sein schien.

„Lass mich los“, sagte er so ruhig wie möglich. Sich niemals die Angst anmerken zu lassen, war das wichtigste in einem Gespräch mit Russland. Und sei es noch so schwer wie in diesem Moment. Was war der Sinn und Zweck dieser Aktion?

„Mhm, einen Moment noch, da~“, lächelte Russland und Arthur spürte erschrocken dessen andere, bisher unbeachtete Hand an seiner Taille. Er griff danach, um sie fortzudrücken, doch vergeblich. Was hätte er auch anderes erwartet? Russland trat noch näher an ihn heran, bis sich ihre Stiefelspitzen berührten.

Dann geschah das Unerwartete. Russland griff nach seiner Hand, so schnell, dass Arthur gar nicht hätte reagieren können, und zog auch den zweiten Handschuh von Arthur aus, der zu dem anderen in die Manteltasche wanderte. Danach wischte Russland mit seinen Fingern über Arthurs Schulter, ohne sie wirklich zu berühren. Doch Arthur spürte es, als wenn Russlands kalte Finger über seine nackte Schulter strichen.

„W-Was ...?“, begann er, unentschlossen, was er tun sollte. Sich ducken, die Hand wegschlagen und Russland laut beschimpfen waren nur drei der vielen Möglichkeiten, die sich ihm geboten hätten, von denen er aber keine in Russlands Gegenwart umzusetzen gewagt hätte. Stattdessen starrte er Russland an und er meinte, sein Herz müsste jeden Moment stehen bleiben, als sein Gegenüber ihn losließ, zurücktrat und lächelnd sagte, als wäre nichts geschehen: „Da war nur ein bisschen Kreidestaub, England.“
 

Arthur nickte. Was war gerade geschehen? Russland hatte seine Handschuhe für sich beansprucht. Weshalb? Er zitterte noch immer, aber es war nicht die Angst, die in seinen Gliedern saß. Russland war so nah gewesen wie niemals zuvor.

Dann schüttelte er den Kopf, um sich von diesen lästigen Gedanken zu befreien. Was war nur los mit ihm? Wieso ließ er sich so von Russland einschüchtern? ... Was für eine sinnlose Frage, gab es doch genug Gründe, die dafür sprachen: Er war auf russischem Gebiet, das heißt im Nachteil gegenüber des einstigen Feindes und Verbündeten, und auch wenn sie sich in seinem eigenen Haus aufgehalten hätten, wäre Russland ihm noch überlegen.

Er nickte erneut, ehe er langsam zu seinem Platz ging. Dabei ließ er Russland keinen Moment aus den Augen. Zu sehr standen ihm die Haare zu Berge, zu sehr schwirrten die Gedanken in seinem Kopf, zu sehr pochte das Herz in seiner Brust. Das, was er jetzt wohl brauchte, war ein starker Tee, den er hier niemals bekommen würde, nicht einmal in dem kleinen Café beim Sonnenblumenfeld.

Sonnenblumen ...

Russland stand, als Arthur sich setzte, immer noch an der Tafel, die Hand in der Tasche vergraben, in der auch die Handschuhe weilten, und betrachtete die Zeichnung an der Tafel, die nun durch Arthur oder vielmehr Russland selbst teilweise verwischt worden war. Russland hob den Schwamm und das Stück Kreide, das Arthur vorher ebenfalls fallen gelassen hatte, auf. Dann nickte er plötzlich und drehte sich zu Arthur um.

„Möchtest du Tee?“, fragte er mit seinem üblichen Lächeln.

Arthur sah ihn nur misstrauisch an. Natürlich wollte er Tee. Aber bloß nicht das wässrige Gesöff von gestern. Das würde er keinen weiteren Tag durchstehen. Dann lieber nichts. Er schüttelte den Kopf. Er wollte sich nicht mit Russland unterhalten und er wollte sich ihm auch in keiner Weise als Land nähern. Dazu bestand keine Notwendigkeit.

Wieder nickte Russland und verließ, Arthur glaubte erst, sich verhört zu haben, summend den Raum.
 

Arthur winkte das alles nur als eine höfliche Geste der Gastfreundschaft ab. Gestern hatte er ihn beispielsweise nicht gefragt, ob er etwas trinken möchte. Stattdessen hatte die Tasse schon an seinem Platz gestanden. Eine höfliche Geste der Gastfreundschaft. Mehr nicht.

Jeder hatte sein Getränk vor sich stehen gehabt. Amerika hatte ein Glas Cola. Deutschland ein alkoholfreies Bier. Und so weiter. Eine höfliche Geste der Gastfreundschaft. Mehr nicht.

Vielmehr irritierte ihn das Verhalten des anderen, das er davor gezeigt hatte. Russland war schon immer sonderbar gewesen, doch heute war es noch anders. Dass er von sich aus Nähe suchte, konnte nichts Gutes bedeuten. Vielleicht hatte er einen Rückfall. Früher wollte er, dass die ganze Welt Eins mit Russland wurde. Arthur hatte gehofft, dass sich das seit dem Kalten Krieg gelegt hatte. Doch er schien sich getäuscht zu haben, schien sich täuschen gelassen zu haben. Aber das schlimmste war, dass Russland ihn, Arthur, auserkoren hat?

Er betrachtete seine Hände. Er war niemals in fremden Häusern, ohne seine Handschuhe zu tragen. Niemals. Hatte er schon zu viel erlebt, um noch unvorsichtig sein zu dürfen. Doch nun war es anders. Und er konnte Russland weder nach seinen Handschuhen fragen noch ihn irgendwie überwältigen. Da blieb ihm nur eines übrig: So wenig wie möglich anfassen und so schnell wie möglich in sein Hotelzimmer zurückkehren, wo ein Ersatzpaar wartete.

Er ballte seine noch immer zitternden Hände. Was wollte Russland eigentlich von ihm? Sie hatten niemals viel miteinander zu tun gehabt, nicht einmal zur Zeit der Triple Entente. Warum jetzt aus heiterem Himmel? Wieso brannte noch immer seine Haut unter Russlands flüchtiger Berührung seiner Schulter? Wieso beruhigten sich sein Atem und sein Herz nicht? Und wieso hörten seine verdammten Hände nicht endlich auf zu zittern?
 

Da kam Russland auch schon wieder. Mit einer dampfenden Tasse auf einem kleinen Tablett, die er vor Arthur auf den Tisch abstellte. „Bitteschön, da~“, sagte er dazu erwartungsvoll lächelnd.

Für einen Moment fragte sich Arthur, ob ein Kopfschütteln in Russland Ja bedeutete. Er wollte keinen Tee von Russland, der am Ende eh nicht schmeckte und sogar seine kommenden Kopfschmerzen nur noch verschlimmern würde. Er sah zu Russland auf. Jetzt, wo er saß, war er noch kleiner ...

Russland lächelte und lächelte und würde keine Widerworte dulden.

„Danke ... schön“, murrte Arthur und betrachtete misstrauisch die Flüssigkeit in der Tasse. Sie war schon leicht milchig, was bedeutete, dass Russland sogar schon für Milch gesorgt haben musste. Jetzt traute sich Arthur nur noch weniger an den Tee. Wer weiß, was sonst noch da drin war.

Nichtsdestotrotz musste er sich eingestehen, dass der Tee doch sehr einladend roch. Auch wusste er, dass er diesen Geruch schon einmal in der Nase hatte, aber nicht mehr von woher. Er spürte, wie sich sein Körper zu entspannen begann und wie sich Herz und Atem beruhigten. Doch je klarer seine Gedanken wurden, desto mehr dachte er über den Zwischenfall von vor wenigen Minuten nach.

„Willst du nicht trinken, England?“ Russland musste ihn genau beobachtet haben, denn sein Lächeln wurde breiter. Und Arthur glaubte, einen gewissen Stolz in Russlands Augen zu erkennen.

„Ist noch heiß“, antwortete er und dachte an die gestrige Begegnung mit heißem Tee zurück. Und daran, weshalb.
 

Ivan liebt Sonnenblumen ...
 

Ohne nachzudenken bildeten seine Lippen lautlos den Namen, den er niemals zuvor gesagt oder gar gedacht hatte, ehe er sich Russlands aufmerksamen Blick bewusst wurde. Dieser grinste mit einem Mal. Überlegen und äußerst ... zufrieden.

Er legte das kleine Tablett auf den Tisch und stützte sich auf seinen Arm. Dann lehnte er sich zu Arthur hinunter. Dieser erstarrte. Russland war schon wieder so bedrohlich nahe, dass er dessen Atem hören konnte. Arthur fuhr unwillkürlich ein Schauer über den Rücken. Russland öffnete den Mund, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern, und-

„Fürchtet euch nicht, der Held ist zurück!“

In der darauffolgenden Stille, die nur für wenige Sekunden anhielt, aber dennoch an Wirkung nichts einbüßte, klirrte nur leise die Tasse Tee auf dem Untersatz, nachdem die Tür mit einem lauten Knall gegen die Wand geschlagen war.

„Guten Morgen, Amerika“, sagte Russland und richtete sich langsam auf.

Arthur war sich nicht sicher, was genau ihn erschrocken hatte. War es Amerikas Geschrei, die aufgeschlagene Tür oder doch Russlands zur Faust geballte Hand gewesen, während er die Distanz zwischen ihren Gesichtern wieder vergrößert hatte? Wahrscheinlich trug alles irgendwie seinen Part dazu bei, dass er als Ausdruck seines Schreckens scharf die Luft einsog.
 

Während die anderen Länder nur kurze Zeit später ebenfalls eintrudelten und die Konferenz von neuem begann, fühlte sich Arthur seltsam fehl am Platz. Er konnte sich gar nicht auf das Gesagte konzentrieren, obwohl das meiste sowieso nur aus Amerikas merkwürdigen Ideen bestand. Aber er hegte noch nicht einmal das Bedürfnis, ihn in seine Schranken zu weisen.

Viel zu sehr hingen seine Gedanken dem Zeitpunkt hinterher, bevor Amerika den Konferenzsaal gestürmt hatte. Was wäre geschehen, wenn Amerika nicht aufgetaucht wäre? Was hätte Russland dann getan? Was hätte er gesagt? Und wie hätte er, Arthur, darauf reagiert? Er wurde diese Gedanken nicht los, was vermutlich auch geringfügig damit zusammenhing, dass Russland ihm direkt gegenüber saß.

Arthur starrte auf das Blatt Papier, das vor ihm lag. Dort stand nichts geschrieben, weder Datum noch Thema, obwohl er sich sonst immer so viele Notizen machte. Stattdessen trommelte er abwesend mit dem Ende des Kugelschreibers, den er in der Hand hielt, auf dem Tisch, was ihm von allen Seiten genervte Blicke einheimste.

Die ganze Zeit über spürte er Russlands Blick auf sich ruhen. Und das machte ihn aufgrund der vorherigen Ereignissen doch irgendwie ... ob er nun wollte oder nicht ... nervös.
 

Das Thema Sonnenblumen wurde nicht mehr angeschnitten. Viel zu sehr hatten sie Respekt vor dem Ende der gestrigen Sitzung. Dennoch wanderten Arthurs Gedanken immer wieder zu dieser Pflanze, was vermutlich auch an seiner Zeichnung liegen könnte, die immer noch die Tafel zierte.

Italien hatte sie abwischen wollen, doch Russland hatte ihn mit bedrohlicher Höflichkeit darauf hingewiesen, das doch bitte sein zu lassen. Seitdem hatte Italien kein Wort mehr gesagt.
 

Russland war nach wie vor furchteinflößend. Das würde sich auch niemals ändern.
 

Und er, Arthur, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, hatte sich einschüchtern lassen.
 

Da waren sie wieder, seine Kopfschmerzen. Und der Druck, den der Blick Russlands auf ihn ausübte, verschlimmerte die Angelegenheit nur noch. Sich niemals die Angst anmerken lassen, war seine Devise.

Das beste, was er in diesem Moment hätte tun können, wäre gewesen, den Kopf zu heben und Russland direkt ins Gesicht zu schauen. Er hätte Gewissheit, ob Russland ihn tatsächlich anstarrte, und er würde zeigen, dass er sich davon nicht unterkriegen ließe. Er war das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, das einstige Britische Empire; er brauchte sich vor niemanden zu fürchten. Weder vor Frankreich noch vor Amerika oder gar Russland ... Russland war auch nur eine Nation, die sich keine Fehler in den Augen der Welt leisten konnte.

Noch immer spürte er das Brennen seiner Haut, den Griff um sein Handgelenk, den Atem an seinem Ohr. Irgendetwas war anders. Russlands Verhalten oder Arthurs Reaktion darauf?

Er versuchte, sich auf Frankreich zu konzentrieren, der gerade über irgendetwas sprach, was Arthur nicht verstand. Nicht verstand, weil er sich nicht konzentrieren konnte. Er fühlte den lauernden Blick auf sich ruhen. Er ließ sich doch sonst nicht so leicht ablenken! Er wägte mit sich ab, ob er Russlands Blick erwidern, ihn anschnauzen oder ihn sogar unter dem Tisch treten sollte, und entschied sich letztendlich dafür, Russland weiterhin zu ignorieren.

Er begann, sich die Schläfe zu massieren. Er konnte nicht weiterhin hier untätig sitzen bleiben. Der Kugelschreiber trommelte schneller auf dem Tisch. Er konnte auch nicht weiterhin Russlands Blick ertragen. Oder gar das Lächeln, das seine Lippen zieren würde, wenn Arthur aufblickte, und das sich so von dem Lächeln von vorhin, als sie noch allein in diesem Raum gewesen waren, unterschied ... Es war nicht richtig und bereitete ihm nur sinnlose Kopfschmerzen.

Dann schmiss er den Kugelschreiber von sich- Italien zwei Plätze weiter erschrak und sein Bruder warf Arthur einen bösen Blick zu, dem er aber keine Beachtung schenkte- und griff zur Tasse Tee, die vor ihm stand. Ihm wurde erst bewusst, als er bereits einen Schluck genommen hatte, dass er das eigentlich nicht hatte tun wollen. Doch er bereute seine Entscheidung nicht.

Es war nicht der gleiche Tee von gestern. Es war ein guter Tee. Ein Tee, den er schon einmal getrunken hatte. Und zwar in diesem kleinen Café am Rande der Stadt, wo er gestern gesessen und unwillkürlich Russland beobachtet hatte.

Erst jetzt fragte er sich, was Russland dort wohl getan hatte.

Erst jetzt fragte er sich, was wirklich geschehen war, bevor Amerika das Konferenzzimmer gestürmt hatte.

Er blickte zu Russland hinüber. Dieser lächelte ihn an, als wäre nie etwas gewesen, und Arthurs Herz machte einen Sprung, denn es war das Lächeln; das Lächeln, das ihm allein gegolten hatte, als sie noch allein gewesen waren. Arthur spürte, wie ihm bei diesem Gedanken die Hitze in die Wangen schoss. Nein, das hatte er gerade nicht gedacht, das hatte er gerade nicht ernsthaft gedacht, nein. Das war weitaus schlimmer als seine Erkenntnis vom Vortag, dass selbst Russland seine Schwächen hatte. Und als er glaubte, es könnte nicht noch schlimmer werden, sah er, wie Russlands Lächeln breiter wurde.
 

Russland liebt Sonnenblumen ...

Ivan liebt Sonnenblumen ...

Er liebt --
 

„England?“, fragte Russland nun. Und Arthur bemerkte erst jetzt, dass ihn alle ansahen. Er hatte nicht aufgepasst. Das hatte er nun davon. Das einzig Gute an dieser Situation war, dass es die Röte seiner Wangen verständlich für alle erklärte. Nur Russland sah ihn an, als wüsste er mehr, als hätte er seine Gedanken lesen können. Das Lächeln, dachte Arthur, wieso bemerkte keiner dieses offensichtlich andere Lächeln?

Als Erstes fing Amerika an zu lachen. Kurz darauf folgten Italien und Frankreich. Und als sich selbst Deutschland sein Grinsen nicht mehr verkneifen konnte, war die schwierige Stimmung vom Vortag wie weggeblasen. Und das alles war allein der Verdienst Englands aufgrund von Russland, dem die schwierige Stimmung des Vortages überhaupt erst zu verdanken war.
 

Nach der Konferenz, die heute eher einem Kaffekränzchen geglichen hatte, blieb Arthur noch auf seinem Platz sitzen. Er hatte sich entschieden. Er hatte sich etwas vorgenommen. Er würde Russland zur Rede stellen. Weswegen wusste er selbst nicht genau. Schließlich konnte er schlecht zu Russland gehen und ihm sagen, dass er sich durch dessen Blicke und dessen Lächeln belästigt fühlte und dass er das bitte künftig unterlassen sollte.

Zu seiner Überraschung blieb Russland ebenfalls sitzen. Aber er sah ihn nun nicht mehr an. Vielmehr blickte er über ihn hinweg, hinaus aus dem Fenster, während einer nach dem anderen den Konferenzsaal verließ. Jetzt bemerkte Arthur, dass Russlands Hand wieder in seiner Tasche verschwunden war. Wieder dort war, wo auch seine Handschuhe waren. Er bezweifelte, sie jemals wiederzusehen, geschweige denn sie zurückzubekommen.

Das Unbehagen stieg in Arthur, je leerer der Raum wurde. Und als gerade Italien, von Deutschland angetrieben, als letzter zur Tür schlenderte, verwarf er seine Entscheidung endgültig und sprang auf. Er wollte Russland doch nicht mehr zur Rede stellen. Er wollte nicht erneut allein mit Russland in diesem Zimmer bleiben.

Doch er kam nicht weit. Russland war ebenfalls aufgestanden und hatte die Tür verschlossen. Arthur erstarrte.

„Sag ihn noch einmal, England“, lächelte Russland.

Arthur sah ihn verständnislos an. Und er konnte nicht verhindern, dass langsam die Panik in ihm aufstieg. Russland war ein ernst zu nehmender Gegner, der es sogar mit Amerika aufnehmen konnte. Arthur war dagegen ganz klein. Früher! Ja, früher als größte Kolonialmacht überhaupt hätte er ihm etwas entgegensetzen können. Doch heute nicht mehr.

„Sag ihn noch einmal, England“, wiederholte Russland und seine Stimme übte einen bedrohlichen Druck auf ihn aus. Doch Arthur verstand noch immer nicht.
 

Russland wusste, dass er immer das bekommen würde, was er haben wollte. Und Arthur wusste das auch.
 

Während Russland immer näher kam, wich Arthur immer weiter zurück, bis er gegen die Wand stieß. Russland lächelte und Arthur saß in der Falle. Die Tische, die zwischen ihnen standen, stellten für seinen Gegenüber kein Hindernis dar, das nicht überwunden werden könnte. So wie es in der Vergangenheit immer gewesen war.

„Stopp!“, rief Arthur dann schließlich, als Russland und ihn nur noch wenige Meter trennten. Um seinen Ausruf noch zu unterstrichen, hob er abwehrend die Hände. Zu seiner Überraschung blieb Russland stehen, lächelnd und fragend den Kopf schief legend. „W-Was soll das werden, wenn es fertig ist?“

„Ich möchte nur, dass Arthur ihn noch einmal sagt, da~.“ Damit trat Russland weiter an ihn heran. Arthur, hatte er gesagt. Er hatte es gewagt, ihn bei seinem Namen zu nennen. Niemand tat das. Niemand hatte das jemals getan.

Als nur noch der Abstand zwischen ihnen lag, den Arthur mit seinen Armen bildete, griff Russland entschlossen nach seinen Händen und hielt sie fest.

Russlands Hände waren erstaunlicherweise warm, beinahe heiß. Arthur war immer der Meinung gewesen, dass Russlands Körper kalt wie sein Schnee, sein Frost und sein Winter sein müsste. Dass Russland kaltblütig war.

Doch diese Berührung, Haut an Haut, widerlegte seine Vermutung.

„Was soll ich sagen?“ Arthurs Stimme war ein bisschen höher als sonst. Das fiel nicht nur ihm selbst auf. Sein Gegenüber lächelte immer noch. Jetzt, da Russland seine beiden Hände in den seinen hielt, gab es kein Entkommen mehr. Er konnte nicht mehr fliehen. Arthur hatte seine Chance vertan. Warum war er nicht davongelaufen, als er es noch hätte tun können?

Es war etwas in Russlands Gesicht, das ihn in seinen Bann gezogen hatte. Das Lächeln war anders als sonst. Es wirkte auf irgendeine Weise natürlich vergnügt und zufrieden.

Arthur hatte vorhin festgestellt, als Russland ihn am Handgelenk gepackt oder sich zu ihm hinunter gelehnt hatte, dass er ihm noch niemals zuvor so nahe gewesen war. Das nahm er jetzt wieder zurück. So nah, wie jetzt in diesem Augenblick, mit solchen Gefühlen und Gedanken im Hinterkopf, war Arthur noch niemals jemanden zuvor gekommen. Nicht einmal Frankreich oder Amerika.

Russlands Griff war nicht fest, aber bestimmt. So, als wenn er Arthur niemals wieder loslassen würde. Und gerade das erschreckte Arthur so sehr. Es war nicht das, was er von Russland gewohnt war beziehungsweise was er von ihm erwartete. Russland war jemand, der mit Kraft, Macht und Gewalt alles erreichen könnte. Er könnte Arthur die Beine brechen, damit er nicht floh. Er könnte Arthur die Arme brechen, damit er sich nicht wehrte. Doch er tat nichts dergleichen. Er hielt Arthurs Hände einfach nur fest und lächelte; lächelte, als wenn es kein Gestern und kein Morgen gäbe.

„Meinen Namen, Arthur“, flüsterte Ivan, als dessen Haarsträhnen in Arthurs Gesicht fielen und als dessen Nase die Arthurs strich. Er schauderte und spürte, wie Ivans Hände leicht zitterten. Wie Ivans Körper bebte. Wie Ivans Atem schwerer wurde. Und Arthur? Der gab sich einfach dem Augenblick hin und damit auch gleichermaßen Ivan. Er spürte den heißen Atem auf seinen Lippen, doch nichts weiter geschah.

Seinen Namen ...

„I ... Ivan“, murmelte Arthur langsam und beinahe lautlos und überwand von sich aus die letzten Zentimeter. Das war ein Moment, in dem selbst Ivan überrascht war, sodass Arthur seine Hände frei bekam und sie in Ivans Haaren vergrub. Gleich drauf spürte er Ivans Hände an seinem Körper und an seinem Hals. Er konnte nicht anders und stöhnte gedämpft in den Kuss hinein, was Ivan auch sofort ausnutzte. Arthur spürte, wie dessen Zunge über seine Lippe glitt. Er schauderte.

Sein Kopf war leer. Er hätte an so vieles denken müssen. Doch nichts war in diesem Moment so wichtig wie Ivans gedämpftes Murren, als Arthur seine Hände zu fest in dessen Haar krallte. Es schien aber nicht so, dass es Ivan störte, es schien ihn sogar zu gefallen.

Arthur hatte doch tatsächlich die Augen geschlossen. So, als wenn er es genießen würde ... Und ja, verdammt, er genoss es. Sein Kopf war schließlich leer. Es gab kein Gestern und kein Morgen und keine Konsequenzen, mit denen sie leben müssten. Arthur hatte geglaubt, dass Ivan nicht mehr hätte näher kommen können, doch er wurde eines besseren belehrt. Überrascht über dessen plötzlicher Nähe öffnete Arthur die Augen, wenn auch nur für einen kleinen Spalt, und erschrocken vergaß er alles um sie herum, vergaß, wo sie waren, vergaß, was sie taten. Der Ausdruck auf Ivans Gesichts sprach für sich. Er hatte die Augen entspannt geschlossen, seine Wangen glühten und Arthur hätte niemals auch nur im Traum gewagt, sich Ivan mit solch einer schüchtern-erregten Miene vorzustellen. Als dieser bemerkte, dass Arthur von sich aus nichts mehr tat, zogen sich seine Augenbrauen zusammen. Das gefiel Arthur überhaupt nicht. Es störte Ivans zufriedenen Ausdruck. Arthur schloss erneut die Augen und lehnte sich gegen Ivan. Dessen Gesicht würde sich für alle Ewigkeiten in sein Gedächtnis gebrannt haben.

Noch niemals zuvor ...

Doch dann, als Ivan begann, seine Krawatte zu lockern, wachte Arthur auf und ihm wurde bewusst, was er gerade mit wem tat. Er konnte Russland nicht von sich stoßen. Dazu fehlte ihm die Kraft. Zudem hatte er noch das Gefühl, dass seine zittrigen Beine ihn nicht länger tragen würden. Also ließ er sich während des Kusses einfach an der Wand hinab rutschen.

Auch das war ein Moment, mit dem Russland nicht gerechnet hatte, und er stützte sich geschlagen an der Wand über Arthur ab.
 

Arthur keuchte. Was hatte er getan? Wozu hatte er sich hinreißen lassen? Und gerade er?

Er traute sich nicht, hinauf zu Russland zu schauen. Nicht jetzt, wo er sich der Hitze in seinen Wangen und der Hitze in seinem Körper bewusst wurde. Auch Russland atmete schwer. Arthur wollte sich die Ohren zuhalten, doch sein Gehirn schaffte es nicht, das Signal an die Arme weiterzuleiten. Es klang so ... so betörend in seinen eigenen Ohren. Und zusammen mit dem Bild in seinem Kopf war das eine fatale Kombination.

Russland ließ sich neben ihm ebenfalls zu Boden gleiten. Arthur wagte einen Seitenblick, doch Russland schaute nur geradeaus ins Leere. Er hatte sein Gesicht so weit es ging hinter seinem Schal versteckt. Dennoch erkannte Arthur auch auf seinen Wangen die Hitze und er schwitzte leicht. Was nun?

Das schlimmste an der ganzen Sache war ja wohl, dass es ihm gefallen hatte. Dass es ihnen gefallen hatte. Dass es Russland gefallen hatte. Doch warum? Wieso war Russlands Verlangen nach ihm mit einem Mal so groß? Und weshalb schien Arthur dieses Verlangen auch noch zu erwidern?

Dann umschloss Russlands Hand plötzlich die seine. Er drückte sie nur und schloss die Augen. Arthur verstand nicht. Irgendetwas war anders. Die Berührung sagte nichts wie „Du wirst nicht entkommen!“ oder „Ich lasse dich nicht gehen!“, sondern kam eher einem bittenden „Bleib ...“ gleich. Arthur hatte das noch niemals erlebt. Er wusste, dass Berührungen nicht sprechen konnten. Das war ja absurd. Doch Russlands Hand, die Wärme, die von ihr ausging, schien ihm genau das vermitteln zu wollen.
 

Bleib ...
 

Und Arthur wollte bleiben. Er erwiderte den Händedruck zögerlich. Damit zog er Russlands Aufmerksamkeit wieder auf sich. Genau das hatte er gewollt. Er wollte, dass Ivan ihn sah. Er wollte, dass Ivan nur ihn sah. Nur ihn anlächelte. Nur ihn berührte. Er wollte die Gefühle, die ihn durchströmten, mit niemanden teilen.

Dann geschah alles ganz schnell, auf jeden Fall glaubten sie das in diesem Moment. Mit einem Mal fand sich Arthur auf Ivans Schoß wieder. Nicht, dass dieser ihn dorthin platziert hätte, nein. Arthur hatte das ganz allein getan. Ohne groß nachzudenken, versteht sich. Denn hätte Arthur vorher darüber nachgedacht, hätte er sich für wahnsinnig erklärt und wäre wahrscheinlich schreiend aus dem Zimmer gelaufen. (Ivan hätte ihn vermutlich nicht einmal aufgehalten ...)

Er ließ seine Finger zwischen Ivans gleiten. Er wollte Ivan berühren. Er wollte Ivan berühren wie noch niemals jemanden zuvor. Er wollte seine Nähe und seine Wärme für sich allein. Arthur konnte in diesem Moment nicht klar denken. Er gab sich einfach nur seinem Wunsch- Begierde wäre wohl das passendere Wort- hin und wollte ihm auch bedingungslos nachkommen.

Er wollte, dass Ivan ihn berührte.

Und dieser kam seiner stummen Bitte nach. Er schloss die Augen, seine Wangen glühten, und drückte Arthurs Hand. Mehr tat Ivan nicht und mehr brauchte Arthur nicht. Denn es war der erregte Ausdruck in Ivans Gesicht, den Arthur sehen wollte ... Dann schluckte er schwer und war mit einem Mal zurück in der Gegenwart.

Er saß auf Russland, sie hielten einander an der Hand und Russland hatte einen erregten Ausdruck im Gesicht. Irgendetwas lief hier gerade vollkommen schief. Arthur wäre am liebsten aufgesprungen und davongelaufen. Doch etwas hielt ihn. Etwas, das ihn schon die ganze Zeit hielt. Es war nicht Ivans Hand, nicht Ivans Wärme, nicht Ivans Nähe und auch nicht Ivans Miene. Es war Ivan an sich, der ihn hielt.

„Arthur ...“ Ivan sah ihn nicht an, sondern vergrub sich stattdessen noch weiter hinter seinem Schal. In diesem Moment begriff Arthur, dass Ivan sich schämte. Dass Ivan eine schwache Seite hatte. Dass sich Ivan gerade ihm anvertraute. „Arthur ...“

Dann griff Arthur nach Ivans Schal. Er ärgerte sich, dass er nur zwei Hände hatte, dass Ivan seine andere Hand nicht freigeben wollte, dass er diesen verdammten Schal nicht los wurde. Er wollte nicht, dass sich Ivan hinter seinem Schal versteckte. Er wollte sein Gesicht sehen. Er wollte es so sehr. In seinem Frust knurrte er leise, was Ivans Blick wieder auf ihn richtete. Als sich ihre Blicke trafen, hielt Arthur in seiner Bewegung inne. Der Schal hing nur noch lose um Ivans Hals, als dieser das eine Ende um Arthur warf. Arthur blinzelte zweimal verdutzt. Einmal zu viel, wie er feststellte, denn Ivan, seinen Mut zurückgewonnen, griff nach seiner Krawatte und zog ihn zu sich.

Es war anders als zuvor, als sich ihre Lippen trafen. Waren es ihre Hände, ihre Finger, die einander hielten? War es die Position; Arthur auf Ivan, Ivan unter Arthur? War es Ivans Initiative? Oder war es das beidseitige stille Einverständnis?

Ivans Finger ließen die Krawatte wieder los und wanderten über Arthurs Schulter und Nacken in dessen Haare. Arthur hingegen, die freie Hand leicht auf Ivans Brust abgestützt, spürte dessen Herz pochen, im gleichen, schnellen Rhythmus wie das seine. Er wollte mehr von Ivans Wärme, mehr von seiner Nähe. Ein wohliger Schauer lief ihm über den Rücken, als er das sanfte Streicheln der heißen Finger im Nacken spürte. Dann ließ Ivan von seinen Lippen ab. Stattdessen liebkoste er seinen Mundwinkel hinunter zum Kinn in Richtung Hals. Doch Arthur wollte das nicht. Es reichte ihm nicht. Er fühlte sich betrunken von den Sinneseindrücken, die über ihn hineinbrachen. Der Geruch des Tee auf der anderen Seite des Zimmers, den Ivan ihm gebracht hatte. Ivans Hände, die ihn berührten. Ivans Atem, der sich noch immer nicht beruhigt hatte, sondern vielmehr schneller als zuvor ging. Ivans Augen, die ihn so aufmerksam beobachteten. Ivans Haare, die leicht verklebt vom Schweiß und zerzaust von Arthur Händen waren. Ivans Körper, der vor Erregung zitterte. Ivans Herz, das immer lauter in seiner Brust schlug. Ivan. Ivan. Ivan. Arthur war von Ivan betrunken.

Er drückte Ivan zurück gegen die Wand und sah lächelnd auf ihn hinab, während er sich die Lippen leckte. „Ivan“, flüsterte er, ehe er sich zu ihm hinunterbeugte. Dann geschah etwas, womit Arthur niemals gerechnet hätte.

Ivan schlang seinen Arm um Arthur und zog ihn zu sich hinunter. Arthurs Kopf lag nun auf Ivans Schulter und er vernahm dessen Herzrasen viel deutlicher als zuvor. Ivan hielt ihn fest, als wenn er ihn niemals wieder gehen lassen wollte, und Arthur spürte seinen Atem an seinem Ohr, beinahe so wie am Morgen.

„Arthur ...“, murmelte Ivan ganz ganz leise. „Arthur ... werde Eins mit mir, Arthur ...“
 

Arthur erstarrte. Und als Ivan das mitbekam, erschrak er. Scheinbar war das, was er gesagt hatte, nicht für Arthurs Ohren bestimmt gewesen.

„Vergiss, was ich gesagt habe, da“, sagte Ivan schnell und drückte Arthur, der sich aufrichten wollte, weiterhin an seinen Körper. „Du hast nichts gehört, da?“ Langsam kehrte der bekannte Befehlston in Ivans Stimme zurück. Doch Arthur ließ sich nicht beeindrucken. Er wollte sich nur aufsetzen und Ivans ins Gesicht sehen. Warum verwehrte er ihm dies?

„Ivan, was ...?“, murrte er und versuchte, sich aus dessen Griff zu befreien, was von Anfang an aussichtslos erschien. Er hörte Ivans Herz immer schneller in seiner Brust pochen. Ein weiterer Grund, warum er Ivan ins Gesicht sehen musste. „Verdammt, Ivan, lass mich los! Ich will doch nur-“ Weiter kam Arthur nicht, denn Ivan hatte ihn tatsächlich losgelassen und blickte nun verlegen zur Seite. Arthur blinzelte.

Ivans Hand lag schwer auf seiner Schulter, während er diesen aufmerksam von der Seite betrachtete. Er spürte, wie dessen Hände zu zittern und zu schwitzen begannen. Das musste ja ein großes Geheimnis gewesen sein, das er da gesagt hatte. Arthur überlegte. Dabei hatte Ivan diesen Satz schon an die hundert Male in der Vergangenheit in seiner Gegenwart gesagt. Was war nun anders als damals, dass sich Ivan plötzlich für diese Worte schämte? (Nicht dass Arthur sie gern hörte ...) Dann schaltete er.

„War das ...“, begann Arthur schließlich zu fragen. „War das ... etwa eine ...“ Irgendwie schaffte er es nicht, dieses eine Wort mit Russland in einem gemeinsamen Kontext zu bringen. „... auf russische Art ... ?“

Er war mehr als überrascht über Ivans Reaktion. Seine Wangen färbten sich dunkler, er schaute zu Boden und murrte: „Ich habe gesagt, du sollst das vergessen, da!“

Erst damit schaltete Arthur einen Gang weiter und er begriff das Ausmaß seiner eigens gesagten und gedachten Worte. Seine Wangen glühten. Er musste verrückt geworden sein, so etwas überhaupt zu denken, geschweige denn es in Ivans Anwesenheit laut auszusprechen. Wegen seines Schweigens schaute Ivan wieder auf. Es war ihm immer noch peinlich, doch etwas anderes erkannte Arthur jetzt in seinen Augen.

Er sah von Ivan zu seinen Händen, die er zuvor in dessen Haaren vergraben hatte. Dann wieder zu Ivan. Und er hatte das Bedürfnis zu schreien.

Er hatte das Gefühl, im falschen Film zu sein. Was hatten er und Ivan- nein, Russland- ach, verdammt, er und Ivan gerade getan? Sie kannten sich doch gar nicht so gut, als dass sie sich so nah kommen dürften. Was wussten sie schließlich schon von einander?
 

Ivan liebt Sonnenblumen ...
 

Da war er wieder. Der Satz, mit dem alles bei Arthur angefangen hatte.
 

„Ivan liebt Sonnenblumen ...“, flüsterte er und seine Stimme wurde immer lauter. Ivan sah ihn überrascht an. Arthur vergrub sein Gesicht vergeblich in seiner Hand. „Verdammt, was soll der Mist? Russland! Ich ... Ich weiß gar nichts mehr. Was hast du getan, Russland? Was habe ich getan? Verdammt! Was haben wir getan, Ivan?“

Damit drückte ihn Ivan zu Boden.

„Arthur“, sagte er. „Ich will-“

Doch weiter kam er nicht, weil er selbst seine Lippen auf Arthurs drückte. Dieser hielt im ersten Moment den Atem an und sein Herz schien stehen zu bleiben. Es war anders als vorher. Ivan war anders als vorher. Dessen Hände waren in seinem Haar vergraben, dass es beinahe wehtat. Er wollte etwas. Er wollte etwas, das Arthur ihm nicht geben konnte. Nicht geben durfte.
 

Fortsetzung folgt in Kapitel Vier
 

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Kommentar der Autorin: Uh, ich hätte so viel zu sagen zu diesem Kapitel, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll! xD

Der zweite Teil und damit das Ende war am Anfang ganz anders! Ich hatte zu der Zeit sehr viele Doujinshi gelesen, die eigentlich immer in sexuellen Handlungen endeten ... Dadurch war ich so geprägt, dass sich bei beiden nach dem ersten Kuss etwas geregt hatte, Ivan Arthur zur Hand gegangen war und sich Arthur dafür mit dem Mund revanchiert hatte ... XD Aber als ich bemerkte, dass ich so etwas nicht schreiben kann, habe ich mich auf Küsse und Körpernähe beschränkt. (Es klang halt so plump und doof ... ;__;)

Als nächstes möchte ich noch auf die Namen eingehen, besonders auf Ivan. Vielleicht fiel dem einen oder anderen auf, dass ich eigentlich nur Arthur, Russland und Ivan genutzt habe. Ich weiß, dadurch entsteht diese Wiederholung. Ich habe deswegen auch versucht, an einigen Stellen mit 'sein Gegenüber' und 'dieser' und so zu arbeiten. Aber ich wollte mit den Namen spielen! Dadurch, dass das Kapitel aus Arthurs Sicht geschrieben ist, nennt er Ivan im Allgemeinen Russland, was die Distanz zwischen ihnen verdeutlich. Doch wenn Arthur seinen Gefühlen erlag, wurde plötzlich, kurz und schmerlos, aus Russland Ivan. Das ist etwas, dass ich hervorstreichen wollte. Und ich muss sagen, ich finde es sehr gelunden. :> *stolz is*

Ach ja, es war gar nicht geplant, dass das Kapitel sooo lang wird. ö.ö Es wurde mit jedem Überarbeiten länger, weil ich immer wieder etwas fand, was ich einbauen beziehungsweise ausbauen konnte. Es ist lange her, dass ich so ein langes Kapitel geschrieben habe. :)

Und als letztes eine kleine Frage: Na, wem ist aufgefallen, was mir besonders bei Kussszenen gefällt? . . . . . . . . . Richtig, die Hände in den Haaren! Ich liebe das~ <3
 

Joa, das war es von Arthurs Seite. Die nächsten beiden Kapitel werden aus Ivans Sicht sein. :)



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Koala
2010-04-07T17:15:39+00:00 07.04.2010 19:15
awwwww~
das ist echt soo romantisch XD
arthur gedanken sind ziemlich klar und gut zu verstehen haben aber trotzdem noch den typischen "englischen charme" XD
wirklich toll~
und das ivan rot werden kann...die vorstellung ist sowas von eh...wai?
wirkt aber trotzdem nicht out of charakter...zumindest nicht in dem zusammenhang XD

konnte bisher zwar nix mit desem pairing anfangen aber du hast es mir soeben echt extrem nähergebracht *____*
*keks und dankeskatrte geb*
bin ja schon gespannt wie das ganze aus ivans sicht wird XD!
*extrem gespannt desu*

lg


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