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Irgendwo in dieser Welt

von

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Familientreffen

Die Station war am Wochenende erstaunlich ruhig. Satsuki arbeitete nicht, Thalia und Sorluska hatten Erlaubnis, sich in der Stadt aufzuhalten, was sie auch voll auskosteten und Nozomu befand sich mit Subaru und Baila mal wieder draußen im Park. Offenbar verbrachten die drei im Sommer oft ihre Zeit draußen. Narukana dagegen schien sich in ihrem Zimmer verkrochen zu haben. Mir konnte es nur recht sein, immerhin war ich so allein mit Zetsu – und das auch noch an dem Tag an dem seine gesamte Familie kommen wollte.

Eigentlich hatte ich ihn da auch alleinlassen und in meinem Zimmer lesen wollen, doch Zetsu war hereingekommen, um mich zu bitten, dabeizusein, auch wenn ich nicht wusste, weswegen. Aber offenbar waren seine Tante und sein Vater recht angetan von mir und hatten zu Hause schon von mir erzählt, weswegen man nun wahnsinnig gespannt auf mich war.

Mich machte das aber nur nervös, denn immerhin weckte das Erwartungen an mich, die ich möglicherweise nicht würde erfüllen können.

So saß ich, immer wieder schluckend, auf einem der Sessel im Gruppenraum und wartete darauf, dass seine Familie kam. Zetsu saß neben mir und versuchte, mich ein wenig zu beruhigen, auch wenn ich das als ein wenig irritierend empfand. Das alles kam mir vor als wären wir bei einem Arzt und warteten darauf, eine ganz schlimme Diagnose zu bekommen – was lächerlich war, da man ja vorher nie wusste, ob man eine schlimme oder eine gute Diagnose bekam.

Jedenfalls dauerte es nicht lange, bis irgendwann Stimmen von unten zu hören waren. Die Nervosität in meinem Inneren steigerte sich noch einmal ins schier Unermessliche. Erleichtert stellte ich fest, dass ich zumindest die erste Person, die den oberen Treppenabsatz erreichte und hereinkam bereits kannte.

Hinome umarmte Zetsu und wünschte ihm alles Gute nachträglich zu seinem Geburtstag, wofür er sich bedankte. Im Anschluss begrüßte sie mich mit einem Lächeln, das einfach ansteckend war und mich gleichzeitig auch beruhigte.

Als nächstes folgte ein Mann, den ich nicht kannte. Seine goldenen Augen, die mich durch Brillengläser anfunkelten, erinnerten mich frappierend an Zetsus Vater. Lediglich die schwarzen Haare waren anders, ich vermutete allerdings, dass dieser Mann Zetsus Onkel war – was sich gleich darauf auch als wahr herausstellte, als er sich als Hidakas Bruder Gekkyu vorstellte. „Ich bin der Ehemann von Hinome.“

Dabei blinzelte er ihr zu, was diese offenbar zu freuen schien.

Langsam bekam ich ein Gefühl dafür, woher Zetsu sein einnehmendes Wesen und seinen Charme herhatte. Auch wenn Gekkyu sich vom Aussehen her von Hidaka unterschied, so gab es doch etwas an ihnen, das dafür sorgte, dass man sie einfach sofort mögen musste und dass man von ihnen gemocht werden wollte, egal was kam – so viel konnte ich bereits nach kurzer Zeit feststellen.

Wesentlich kühler wurde der Empfang allerdings, als zwei weitere Personen die Treppe hochkam. Den Mann erkannte ich sofort als Hidaka wieder. Die Frau neben ihm war mir zwar gänzlich unbekannt, aber ihre blauen Augen und das lange silberne Haar wiesen eindeutig darauf hin, dass sie Zetsus Mutter war. Von ihr hatte er ganz offenbar das Aussehen, sogar ihr schmal geschnittenes Gesicht war dasselbe wie seines. Ich war sofort... fasziniert von ihr. Allerdings lag eine immense Traurigkeit in ihrem Blick, ich konnte mir nicht mal ausmalen, wie furchtbar es sein musste, ein Kind zu verlieren – und dann zusehen zu müssen, wie das andere seinen Lebenswillen verlor. Aber diese Traurigkeit ließ es mich fast schon einschätzen.

Hidaka lächelte mir zu. „Yoruna, das ist Leana, das Mädchen, von dem wir dir erzählt haben.“

Sie zog ihre Mundwinkel nach oben, aber das Lächeln erreichte nicht ihre Augen. „Es freut mich.“

„M-mich auch.“

Es war vielleicht lächerlich, in einer solchen Situation zu stottern anzufangen, aber ich fand es geradezu wahnsinnig, ihr gegenüberzustehen. Zetsu schien wirklich ihr... männliches Gegenstück zu sein und das verunsicherte mich ein wenig.

Statt sich weiter um mich zu kümmern, umarmte sie Zetsu und beglückwünschte ihn ebenfalls nachträglich zum Geburtstag. Am Tag zuvor war wohl niemand dazu gekommen, ihn anzurufen, ehe wir beim Grillen gewesen waren.

Wir setzten uns an den Tisch und unterhielten uns über allerlei Dinge, auch wenn ich mir eher wie das fünfte Rad am Wagen vorkam. Immerhin kannten die anderen Fünf sich schon ewig und hatten daher ihre ganz besonderen Insider-Jokes und diesen ganzen Kram, den man nur mit Familie und Freunden hat und die ich daher nicht im Mindesten verstand. Dennoch lauschte ich und versuchte, so viel wie möglich zu verstehen, allein aus dem Wunsch heraus, ebenfalls dazuzugehören.

Zumindest so lange, bis Yoruna Zetsu und mich plötzlich ansah. „Zetsu, Lieber, könntest du mir etwas zu trinken holen? Und könntest du ihn begleiten, Leana?“

Offenbar fand nicht nur ich die Frage ungewöhnlich, Zetsu zog seine Brauen zusammen, entschied sich dann aber dafür, nichts weiter zu sagen und nickte mir zu, damit ich ebenfalls aufstand.

Erst als wir in der kleinen Küche standen und ihr etwas einschenkten, wagte ich es, wieder etwas zu sagen: „Deine Mutter ist ein wenig...“

Ich wollte ihm nicht sagen, dass ich sie seltsam fand, aber glücklicherweise nahm er mir das bereits ab: „Eigenartig, ich weiß. Das ist sie in der letzten Zeit ziemlich oft... ich weiß nicht, warum.“

Das klang nicht sonderlich positiv, wenn man mich fragte. Immerhin hieß das, sie war früher einmal anders gewesen und sie hatte sich nicht durch Nanashis Tod verändert.

Aber was war es dann, was sie gerade so sehr mitnahm?

Noch in Gedanken versunken hörte ich plötzlich, wie die Stimmen von Yoruna und Hidaka im Gruppenraum lauter wurden. Zetsu wurde ebenfalls aufmerksam, doch als ich hinübergehen wollte, um nachzusehen, was los war, hielt er mich eilig davon ab. Stumm schüttelte er den Kopf und gab mir zu verstehen, dass ich still sein sollte. Offenbar wollte er hören, was es so lautstark zu besprechen gab.

„Wie lange willst du ihn noch im Unklaren lassen?“, konnte ich die erboste Stimme von Yoruna hören.

Da erst nichts weiter kam, glaubte ich, die anderen würden flüstern, um ihre Lautstärke auszugleichen, doch dann war deutlich ein überraschend ruhiger Hidaka zu vernehmen: „Ich finde, wir sollten warten, bis alles durch ist. Sonst machen wir möglicherweise unnötig die Pferde scheu.“

„Glaubst du etwa, es wird nicht funktionieren?“

Sie klang verärgert, ich fragte mich, was sie wohl so wütend machte.

„Es fehlt noch meine Unterschrift“, erinnerte Hidaka sie.

Ich konnte ihren stechenden Blick, der ihn durchbohrte, geradezu vor mir sehen – es musste derselbe sein, den Zetsu auch beherrschte.

Ihre gezischte Antwort konnte ich nicht richtig verstehen, aber es klang für mich so als ob sie ihm raten würde, sich nicht querzustellen und endlich zu unterschreiben.

Natürlich wusste ich nicht, worüber genau eigentlich gesprochen wurde, aber was ich mir da zusammenreimte gefiel mir nicht sonderlich – und ein Blick zur Seite sagte mir, dass Zetsu genau denselben Schluss zog. Er war noch blasser als sonst und blickte ein wenig betrübt. Ob er bereits irgendwann im Vorfeld so etwas hatte kommen sehen? Oder kam das für ihn genauso überraschend wie für mich?

Ich konnte ihn in diesem Zustand einfach nicht ansehen, deswegen wollte ich nach seinem Arm greifen und ihn trösten, doch erneut schüttelte er den Kopf und gab mir zu verstehen, dass er im Moment nicht darüber sprechen wollte.

Ohne mich weiter zu beachten, lief er mit dem Glas Wasser an mir vorbei, um zu seiner Familie zurückzukehren. Ich folgte ihm, auch wenn die bedrückte Stimmung im Gruppenraum, die sofort von allen mit einem Lächeln überspielt zu werden versuchte, beinahe dafür gesorgt hätte, dass ich am Liebsten gleich wieder umgedreht wäre.

Doch stattdessen setzte ich mich neben Zetsu und wohnte dem restlichen Gespräch bei, das sich nur um Kleinigkeiten drehte. Keiner erwähnte das, was Hidaka unterschreiben sollte, nicht einmal Zetsu. Sie alle umgingen dieses Thema als würde es gar nicht existieren – und obwohl mir das so vertraut war von früher, kam es mir in diesem Moment doch sehr seltsam vor.

Ich wagte aber nicht, etwas zu sagen, sondern beobachtete die Unterhaltung nur weiterhin, obwohl diese Atmosphäre es mir eiskalt den Rücken hinunterlaufen ließ.
 

Sie blieben bis zum Abend und auch wenn Gekkyu und Hinome ihr Möglichstes taten, um die Stimmung wieder aufzulockern, blieb dieses unangenehme Gefühl, dass ich mitten in eine Familienkrise hineingeraten war – und Zetsu tat auch nichts, um das verschwinden zu lassen, stattdessen behielt er sein künstliches Lächeln und die leicht unterkühlte Stimme, aber keinen schien es zu stören.

Erst als sie wieder gingen, fiel auch Zetsus abwehrende Haltung wieder von ihm ab, so dass ich endlich mit ihm darüber sprechen könnte: „Alles in Ordnung?“

„Sicher...“

Statt abweisend und unterkühlt, klang er nun gedanklich abwesend, was mir auch nicht sonderlich besser gefiel. In einem solchen Zustand wirkte er als ob er im nächsten Moment einfach verschwinden würde.

„Deine Familie ist... nett.“

Selbst darauf reagierte er nicht wirklich. Er nickte nur knapp, ich seufzte innerlich.

„Was denkst du, worüber deine Eltern gesprochen haben?“

Obwohl ich sicher war, dass wir zum selben Schluss gekommen waren, wollte ich es von ihm hören. Immerhin bestand auch die Möglichkeit, dass ich, da mir die Vorgeschichte fehlte, etwas vollkommen Falsches dachte. Doch als er zu mir sah, wusste ich, dass ich mich nicht irrte.

„Worüber sollen sie schon gesprochen haben? Sie wollen sich scheiden lassen.“

„Seit wann weißt du das?“

So wie er es sagte, klang es nicht so als wäre es neu für ihn, aber vielleicht lag das auch nur daran, weil er im Moment so gedanklich abwesend wirkte, er war immer noch besorgniserregend blass.

„Ich habe heute das erste Mal davon gehört. Bislang hat mir keiner etwas davon gesagt.“

Also war er wirklich ins kalte Wasser gefallen damit.

„Warum hast du sie nicht darauf angesprochen?“

„Wenn sie es mir hätten sagen wollen, wäre das schon früher geschehen.“

Ehe ich noch eine Frage stellen oder ihm sagen konnte, wie Leid mir das tat, stand er auf. „Ich werde ins Bett gehen, ich bin müde.“

Bei seinem derzeitigen Zustand war mir das auch lieber. Daher wünschte ich ihm eine gute Nacht – und hing den restlichen Abend mit meinen Gedanken bei ihm. Selbst als die anderen wieder zurückkehrten und die Station mit Leben erfüllten und auch als ich bereits im Bett lag, kam mir immer wieder Zetsus bedrücktes Gesicht in Erinnerung.

Doch irgendwann musste ich eingeschlafen sein, denn mit einem Mal schreckte ich auf und bemerkte erst nach mehreren Bruchteilen einer Sekunde, was mich so erschrocken hatte: Der unbekannte, schrille Klang einer Glocke hallte durch den Gang – und das verhieß nie etwas Gutes.

Für einen kurzen, vergänglichen Augenblick redete ich mir ein, dass es nichts Schlimmes, sondern nur ein falscher Alarm war.

Doch eine mir inzwischen wohlbekannte Stimme, die sich auf dem Gang in das Schrillen der Glocke mischte, verriet, dass all das wirklich ein Ernstfall war: „Es ist Zetsu!“



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