Making Love Out Of Nothing At All
Making Love Out Of Nothing At All
Untertitel: Zwischen den Zeilen ohne Text
Da haben wir mal einen echten Schmachtfetzen aus 1983, ‚Making Love Out Of Nothing At All’ von Air Supply. Ich kann versichern, dass mein Stilbewusstsein gelitten hat.
„Wen hast du denn erwartet?“
Itachi war nicht in der Stimmung für schlechte Psychospielchen. Er blieb im Türrahmen stehen, eine zerknitterte, vergleichsweise kleine Erscheinung mit wirrem Haar und geröteten, müden Augen.
Ja, er wusste, wonach er aussah.
„Es ist nicht so, wie du denkst.“
Kisame maß ihn mit einem so skeptischen Blick, dass es schon ungehobelt war. Und dass er es von oben herab tat, lag schon natürlicherweise an dem Größenunterschied.
„Es ist schon elf. Bist du geschrumpft?“
Itachi rieb sich die juckenden Augen und ignorierte die hoffentlich ironische Fragerei.
„Es ist Wochenende, und ich hatte eine Hausarbeit liegen gelassen. Zusätzlich zu dem Anderen.“
„Entweder, du bittest mich jetzt rein, oder du schläfst im Türrahmen weiter.“
Itachi war bereits erleichtert, dass Kisame nicht fragte, als es doch kam, gerade in dem Moment, als er beiseite trat: „Und was ist dieses ‚Andere’?“
I can make tonight forever, or I can make it disappear by the dawn;
And I can make you every promise that has ever been made,
And I can make all your demons be gone
Kaum fünf Minuten später hatte Itachi Kisame erst mit grimmiger Miene seinen hoffnungslos aus der Ordnung geratenen Schreibtisch gezeigt, bis dieser achselzuckend signalisierte, dass er ihm die durchgearbeitete Nacht glaubte, dann kehrten sie in der Küche ein. Itachi tunkte einen der von Kisame mitgebrachten Doughnuts in den Kaffee und rieb sich die Augen, bis ihm auffiel, dass sie ihre Rötung dadurch nicht schneller verloren, ganz im Gegenteil.
Ihm entging nicht, dass Kisame sich gelegentlich umsah. Es war Samstag, also war es ein Ding der Unmöglichkeit, Madara schon um elf Uhr zu begegnen. Wenn man es doch tat, mied man ihn besser.
Die Kaffeekanne war sonnengelb.
„Nein.“
Itachi betrachtete missmutig die Krümel, die der Doughnut in seinem Kaffee hinterlassen hatte, und fischte sie mit dem Löffel heraus. Allerdings war sein Zielvermögen nicht besonders gut, wenn er müde war und Koffein auf nüchternen Magen bekam.
„Was ‚nein’?“, fragte Kisame und blickte sich betont ein weiteres Mal um. Itachi ignorierte auch diese Nachfrage.
„Ich lege es nicht drauf an, also bleibe ich nicht. Du bist sicher gut informiert?“
Es lag etwas Trockenes im letzten Satz, das Kisames Geduld aufzehrte.
„Sieh mal einer an, du bist ja wirklich melodramatisch. Wegen solcher Lappalien tust du zwei Wochen lang so, als wärest du tot?“
Itachi funkelte ihn mahnend an, als das verhasste Wort zitiert wurde. Er hätte es ja wissen müssen. Madara brauchte nicht mal viele Worte, um einen bleibenden Eindruck bei Menschen zu hinterlassen, einen so starken Eindruck, dass er Kisame zu kritischen Äußerungen verleitete. Itachi weigerte sich zu glauben, dass Kisame das von sich aus getan hätte.
„Ich hatte zu tun. Und ich schlafe nicht gut.“
„Ach?“
„Der Wasserhahn tropft, das stört.“
Kisame vergewisserte sich dessen mit einem raschen Blick, und Itachi hätte ihn dafür treten können, dass er ihm das nicht einfach abkaufte. Der Wasserhahn tropfte bestätigend, mit großem Abstand, aber ständig.
„Und Madara?“, bohrte Kisame nach, jedenfalls kam es Itachi wie ein Verhör vor.
„Hat gesagt, dass er sowieso eine Wohnung in einem Haus mit separater Garage will, und für mich allein ist die Wohnung zu teuer und zu lästig.“
Itachi deutete auf den Wasserhahn, obwohl er eigentlich den Briefschlitz meinte, und verschränkte dann die Finger um sein vor die Brust gezogenes Bein. Er fühlte sich bereits wacher vorhin, und das hatte unerfreulich wenig mit dem Kaffee oder dem Zuckergehalt der Doughnuts zu tun, sondern mit diesem unbequemen Gespräch.
„Kein neuer Mitbewohner?“
„Was willst du von mir?“, schoss Itachi zurück. Dass sein bester Freund sich gegen ihn verschworen hatte, war nicht der Start ins Wochenende, den er gebrauchen konnte. Und dass er mit seinem ehemaligen Mitbewohner paktierte, war genug, um ihn achtkantig rauszuschmeißen.
Wie auch immer er das anstellen würde.
Kisame seufzte leise und stupste gegen den Henkel seiner Kaffeetasse.
„Nach dir sehen. Das war nicht-“
„Nicht was?“, fiel ihm Itachi eisig ins Wort, und Kisames Finger verharrten.
„Zuerst mal ist es vierzehn Tage her, du könntest die Staatstrauer mal langsam ablegen, findest du nicht?“
„Das hat mit Zeit nichts zu tun...!“
„Womit denn?“
Kisames Erwiderung kam so unvermittelt und schnell, dass Itachi im ersten Moment zu verblüfft war, um auf eine geistreiche Parade zu kommen, überhaupt über eine nachzudenken. Der Kaffee in seinem Magen fühlte sich ätzend heiß an mit Scham, Zorn und Trotz, die sich dort in seiner Magengrube festgesetzt hatten und jetzt aufgewirbelt wurden. Wie harter, dreckiger Kalk in einem Abflussrohr. Itachi schluckte und versuchte, den süßen, klebrigen Geschmack von Gebäck loszuwerden, bevor ihm schlecht davon wurde.
„Kannst du dir... kannst du dir eigentlich nicht vorstellen, wie peinlich das war? Wie demütigend?“
„War doch kein Staatsgeheimnis, dann ist es eben raus. Das ist nicht das achtzehnte Jahrhundert.“
Noch bevor Kisame es zu Ende aussprach, krachte Itachis Faust auf den Tisch. Kein Geräusch, das imposant genug war, um die Worte abzuschneiden, und das machte es noch schlimmer.
„Wieso begreifst du nicht, dass es nichts damit zu tun hat, melodramatisch zu sein? Hast du dir je Gedanken darüber gemacht, was die anderen jetzt von mir denken? Und erspar’ mir deine Verniedlichungen von einem aufgeklärten Zeitalter, weil du sie kennst.“
An der Art, wie Kisame seine Augen senkte, las Itachi ab, dass er Recht hatte. Es gab kein ‚Scheiß auf die anderen’, dazu war die Welt immer noch zu klein. Und die Frage, ob Itachi eigentlich homosexuell war, war dabei zweitrangig.
Und dass Kisame nicht sagte, auch nach mehreren Minuten nicht, bestätigte das.
„Du solltest vielleicht mit Deidara reden.“
„Deidara ist nicht schwul.“
„Ist er nicht?“
Itachi musste einen ungewöhnlichen Ansturm von lästerlichen Beschreibungen davon zurückhalten, wo sich der Unterschied zwischen exzentrisch-emotionalem Verhalten und einem nicht praktizierenden Homosexuellen befand. Es hatte nichts mit Kisame zu tun, er zeigte nur das typische Unverständnis eines normalsterblichen Hetero.
Nein, mit der Orientierung hatte dort nichts verloren. Das war bloß eine bequeme Ausrede.
„Es ist besser, wenn du-“, begann Itachi, doch Kisame ließ ihn diesmal nicht ausreden. Als wollte er verhindern, dass er es sich selbst anders überlegte.
„Selbst, wenn du mal... Das heißt ja nichts. Du kannst nicht allen, die dabei waren und deine Schmach miterlebt haben, bis an dein Lebensende aus dem Weg gehen.“
Itachi war der Meinung, dass er das sehr wohl konnte, aber er ließ Kisame trotzdem seinen Spießrutenlauf um verfängliche Formulierungen weiterführen. Es war das Falsche, das war ihm klar, dennoch war er überzeugt, dass sein Freund nur so verstehen würde, warum man sein Verhalten nicht einfach unter Selbstmitleid abbuchen konnte.
„Tja, und... kann sein, dass es dir besser geht, wenn du dir dessen erst mal klar wirst, bevor du dich mal wieder integrierst.“
„Wessen?“
„Was?“
„Wessen soll ich mir klar werden?“
Kisame zog seine Umhängetasche auf den Schoß, doch der tadelnde Unterton seiner Miene lebte in seiner Stimme weiter: „Lass diese penetrante Paragraphenreiterei, wir sind hier nicht im Hörsaal. Da.“
Er warf eine Zeitschrift auf den Küchentisch, mit dem Cover nach oben, damit Itachi nicht so tun konnte, als hätte er nicht verstanden.
„Und das soll mir dabei helfen?“
„Noch so eine skeptische Frage, und ich nehm’s wieder mit.“
Itachi wusste, dass sein gesunder Menschenverstand ihm anraten sollte, Kisame genau dazu zu bringen, doch nichts in ihm regte sich. Nur seine klägliche Rücksicht, die ihm empfahl, nicht noch unausstehlicher zu werden, als er heute eh schon war.
Er seufzte.
„Ein Pornoheft?“
„Illustrierte Erotikliteratur. Meinetwegen spül’s im Klo runter.“
Itachi nickte mit zusammengepressten Lippen; mit einem Mal ballte sich sein Magen wieder zusammen, und er verschränkte die Arme davor.
„Wo ist er eigentlich?“
Kisame war gnädig genug, das Spielchen der unpräzisen Fragen nicht zu wiederholen, und Itachis Dankbarkeit dafür paarte sich mit einem schlechten Gefühl.
„Weiß ich nicht so genau. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, hat er versucht, etwas an seinem Auspuff zu reparieren. Da muss sich irgendwas verbogen haben, wahrscheinlich muss das ganze Ding ersetzt müssen – schöner Scheiß, bei einer neuen Maschine.“
Itachis Magen verwandelte sich in Eis, fassungslos starrte er Kisame an. Nichts in diesem Gesichtsausdruck musste gefälscht werden, und wenn dem anderen etwas daran verdächtig vorkam, ging er darüber hinweg und behandelte Itachi selbstverständlich wie den schlecht informierten Exmitbewohner.
„Pech eben, das Glas ist hin, und eigentlich ist die Süße noch nicht abbezahlt.“
Itachi wusste, wenn Kisame log oder etwas ausließ – er musste dann eine kurze Pause einlegen, um seine Worte zu koordinieren. Und momentan schien er wirklich nicht zu wissen, wer Madaras Hornisse so zugerichtet hatte.
„Wann... ist das passiert?“
Kisame reagierte augenscheinlich nicht auf Itachis krächzenden Tonfall, allerdings musste das nichts heißen.
„Irgendwann letzte Woche, er wusste es selbst nicht so genau. Auch eine Kawasaki Ninja ist nicht unverwundbar.“
Regungslos starrte Itachi auf die leicht zerknitterte Illustrierte, die Kisame ihm mitgebracht hatte. Er meinte es nur gut. Alle meinten es gut. Oder so kam es einem vor, wenn man erfuhr, dass Madara auf jeden Fall wissen musste, dass seine Hornisse nicht in der letzten, sondern am Ende der vorletzten Woche lädiert worden war, an jenem verwünschten Samstag.
Kisame schien nichts weiter sagen zu wollen, er stand auf, hängte sich seine Tasche über die breite Schulter und stellte den Kaffeebecher in die Spüle, unter den tropfenden Wasserhahn. Itachi war dankbar, dass er wusste, wann er gehen sollte.
Doch ganz so einfach wurde es offenbar nicht, Kisame drehte sich im Türrahmen der Küche um, ein letztes Mal.
„Nicht, dass es mich was angeht, aber ist dir was aufgefallen?“
Itachi funkelte ihn ein weiteres Mal warnend an. Defensiv.
„Der Wasserhahn da tropft ständig, Madara hat an die hundert Mal versucht, ihn zu reparieren. Erst jetzt, wo er weg ist, raubt es dir den Schlaf.“
And I know the night is fading, and I know that time’s gonna fly;
and I’m never gonna tell you everything I’ve got to tell you,
but I know I’ve got to give it a try
Itachi starrte gedankenlos auf das Heft, das Kisame ihm hier gelassen hatte. Das also war sein Rückticket in ein normales Leben. Er sollte hoffen, dass der Zug nicht schon abgefahren war.
Er setzte sich auf die Couch, noch immer in seiner Jogginghose und seinem zerknitterten T-Shirt, in denen er geschlafen hatte. Das Heft – Pornoheft – legte er auf seine Oberschenkel und betrachtete kritisch das Cover.
Zumindest kein Groschenheft. Die Artikel klangen gar nicht mal alle so anrüchig oder inhaltslos, doch Itachi ertappte sich dabei, das Mädchen auf dem Deckblatt einfach zu übersehen. Und das, obwohl sie suggestiv ihre Schürze fallen ließ.
Itachi seufzte leise und schlug das Heft irgendwo in der Mitte auf. Die linke Seite war beschriftet, auf der rechten befand sich ein qualitativ hochwertiges Farbfoto einer jungen Frau auf dem Sattel eines Motorrads. Anstatt wie ein waschechtes Boxenluder die Zähne zu fletschen und sich breitbeinig darauf auszustrecken, saß sie beinahe damenhaft mit beiden Beinen auf einer Seite, eine Hand hielt ihren Tweedmantel zu – was nicht hieß, dass sie sich züchtig bedeckt hielt, das war immer noch ein Pornoheft, wie Itachi säuerlich bemerkte – , die andere krallte sich in die lederüberzogene Sitzfläche. Ihr welliges, dunkles Haar lag nahezu penibel ordentlich auf dem Rücken, und ihre halb geöffneten Lippen glitzerten feucht. Sie hatte große, braune Augen mit dichten Wimpern und ein schmales, nicht allzu markantes Gesicht. Dieses Gesicht verschwamm langsam vor Itachis Augen, während er darauf herab stierte.
Er war vermutlich der erste Mann, der über einem Pornoheft in Tränen ausbrach.
I know just how to whisper, and I know just how to cry;
I know just where to find the answers, and I know just how to lie
Es war nicht weiter schwierig, die Halle wiederzufinden, den ‚Hort der stahlharten Erotik’, wo die Hornisse herkam und wo Itachi Madara bereits ein Mal getroffen hatte, als das blöde gelbe Ärgernis noch unter ‚Vega’ rangierte.
Schwieriger war es, an Hidan vorbeizukommen.
Wenn Itachi einem nicht gegenübertreten wollte, dann ihm – in seinen Augen hatte Hidan den Karren fast so sehr in den Dreck gefahren wie Madara, mit dem Unterschied, dass er einfach zu dämlich war, es zu merken. So zumindest beurteilte Itachi das, und ihm war sowieso nicht daran gelegen, sich mit den anderen zu befassen. Kisame mochte es herunterspielen, wie er wollte, er wusste selbst sehr gut, dass es eben nicht ‚nichts hieß’, wie Kisame es ausgedrückt hatte.
Ein Geschäft von Zweirädern in dieser Größe hatte meist auch eine Werkstatt, und Itachi kannte Madaras Arbeitszeiten. Und er kannte auch ihn, und wie. Er würde hier seine Zeit zubringen, wie andere Menschen am Krankenbett wachten. Außerdem kosteten professionelle Reparaturen noch mehr Geld, und da dieser geistesschwache Do-it-yourself-Handwerker ja darauf schwor, dass das schon irgendwie ging...
Warum hatte er dann nie den Wasserhahn repariert?!
Itachi hatte keine Geduld, er wollte das jetzt regeln. Der Eingang zur Werkstatt befand sich neben dem Tresen, der Information, wie man es auch nennen wollte, wo Hidan gerade seine Füße abgelegt hatte. Er hatte die Kopfhörer seines iPods in den Ohren, das Dröhnen von Grunge-Gitarren meinte Itachi sogar von Weitem zu hören. Das hier war auch der einzige Ort, an dem das da eine Arbeitshaltung war... Warum vögelte Madara eigentlich nicht mit dem, die konnten ja sogar über ihre dummen Maschinen reden, wenn sie mal zwischendurch Pause machten, sie konnten sogar zusammen rauchen, um das Klischee zu perfektionieren.
Shall I compare thee to a winter’s day?
Hidan sah nicht mal auf, als Itachi an ihm vorbeirannte.
Every time I see you, all the rays of the sun
are streaming through the waves in your hair,
and every star in the sky is taking aim at your eyes like a spotlight
Madara beugte sich stirnrunzelnd über eine zersprungene Glühbirne. Die Hornisse hatte ihren knallgelben Panzer eingebüßt, er lag auf einer Werkbank wie eine Hülle, die bei einer Häutung übrig geblieben war. Ihre tatsächlich insektenähnlichen Scheinwerferaugen waren noch nicht ersetzt, womöglich hatte bei den Schlägen eine Stromleitung gelitten, die jetzt die Glühbirne versorgen sollte.
Es war still, keine laute Musik, auch keine leise, kein Radio. Dass es hier so ölfleckig und unordentlich war, rechnete Itachi den Ansprüchen des Klientels zu. Niemand sonst war hier, es war unangenehm kühl.
Itachis Knie waren sonderbar weich und zittrig, als er einen Schritt vorwärts machte, in das Licht der Leuchtstoffröhren, die für grelle Beleuchtung sorgten und den gelben Panzer der Hornisse unwirklich leuchten ließen.
Madara bemerkte ihn. Zuerst schaute er zurück auf die leere Augenhöhle des Motorrads, als überlegte er, ob er damit weitermachen sollte. Dann schien er zu dem Entschluss zu kommen, dass sich diese Konfrontation schwerlich aufschieben ließ, und stand auf. Das war so schrecklich an Madara – er schob nie etwas Unangenehmes auf, dabei war das nichts als menschlich.
Itachi löste die Arme, die er bisher verschränkt hatte, etwas zu eilig voneinander und machte einen weiteren Schritt vorwärts.
„Warum hast du gelogen, was den Zeitpunkt angeht?“, fragte er, seine Stimme klang ungewöhnlich herausfordernd. Madara fuhr sich durch sein widerspenstiges Haar, rieb sich die besonders rebellischen Strähnen seitlich und oberhalb des Ohrs. Es konnte an der Beleuchtung liegen, aber er sah müde aus.
„Kannst du’s dir nicht denken?“
Itachi schüttelte mit zusammengepressten Lippen den Kopf, ohne seine herausfordernde Haltung zu verlieren, und Madaras Hand wanderte in den Nacken, um dort die versteifte Muskulatur zu massieren.
„Wenige Menschen nehmen es dramatischer als du, wenn man ihre Freunde gegen sie aufhetzt. Und so hättest du es ja gesehen, bis ich es irgendwann aus lauter Frust getan hätte.“
Er war so... ruhig. Madara brauste sonst ständig auf, wie überkochende Milch, immer dann, wenn man gerade nicht hingesehen hatte.
„Warum?“, wiederholte Itachi. Madara winkte ihn zu sich und nahm langsam die Hand aus dem Nacken, ließ die Schultern kreisen, um sie an die gelockerten Muskeln zu gewöhnen. Itachi wusste nicht, wie viel Zeit er hier eigentlich zubrachte. Er war immer noch ein Laie, kein Mechaniker. Aus der Nähe wirkte er stiller.
„Darum.“
Madaras Finger hatten keine Ölflecken, nur ein paar Kratzer und gerötete Fingerkuppen. Itachi sah überhaupt nicht, was er tat, es war zu schnell, aber seine Ohrfeige war derart heftig, dass es Itachis Kopf herumriss und flimmernde Sterne vor seinen Augen tanzen ließ, sodass er das Gleichgewicht verlor und auf den Hintern fiel. Seine Wange brannte wie Feuer, als würde die Haut gleich aufplatzen, und seine Sicht verschwamm, als auf mindestens einem Auge Tränen kamen. Schon das zweite Mal heute, doch diesmal tat es einfach nur weh, er hätte schwören können, dass sein Kiefer gebrochen war. Wenn er daran gedacht hätte, was eben an Schaden angerichtet worden war.
Madara ging in die Hocke, trotzdem war er größer und konnte auf Itachi herabsehen. Er ließ die Finger seiner anderen Hand krachen. Die andere war rechts, und er war Rechtshänder.
„Weil es das absolut nicht wert gewesen wäre. So tief zu sinken, nur weil du es dann, wenn es mal drauf angekommen wäre, nicht fertig bringst, dich gegen irgendwen zu richten. Vielleicht gegen einen unbelebten Gegenstand, der sich nicht wehrt, der aber genauso effektiv ist?“
Madara ließ seine Finger einzeln wieder gerade werden, löste seine Faust. Itachi starrte wie hypnotisiert auf den kleinen und den Ringfinger, die sich nicht ganz unabhängig voneinander bewegen ließen.
„Wolltest du unbedingt geschlagen werden?“, krächzte er, seine Stimme klang undeutlich und verwaschen. Er sollte die Wange kühlen, bevor sie anschwoll.
„Musst du das jetzt wirklich noch wissen? Es ist eh zu spät.“
Madara grinste, aber er hätte ebenso gut wie Zähne blecken können. Er lebte alles mit Leidenschaft aus, Ab- und Zuneigungen, und er mochte keine Menschen, die keine Leidenschaft hatten. Das Paradoxon war, warum er je mit Itachi zusammengezogen war, wenn er so viel Teilnahmslosigkeit eigentlich nicht ertrug.
Vorsichtig hob Itachi eine Hand, legte die Fingerspitzen auf seine pochende Wange. An seinen Fingern klebte der Dreck und Staub der Werkstatt, er klebte dort fest.
„Zu spät?“, wiederholte er langsam und fragend.
Madara ließ seine Finger ein weiteres Mal krachen, ein unangenehmes Geräusch.
„Wenn du das tust, sammelt sich Harnflüssigkeit in deinen Gelenken und du kriegst Gicht.“
Madara zwinkerte ihm zu, spreizte den Daumen ab.
„Da ist die Tür.“
But I don’t know how to leave you, and I’ll never let you fall,
and I don’t know how you do it, making love out of nothing at all...
Itachi richtete sich langsam auf und klopfte mechanisch seinen Hosenboden ab. Der Sturz hatte wehgetan, doch das Brennen in seiner Wange war schlimmer. Er meinte sogar, die einzelnen Druckstellen der Finger zu spüren, glühende Kanäle in seiner Haut. Madara hatte so schöne, lange Finger.
Kurz blickte Itachi zur Tür, über der eine grüne Lampe angebracht war, mit dem multifunktionellen Zeichen für den Fluchtausgang. Ein Schlüssel steckte in der schweren Brandschutztür, vermutlich war sie offen.
Madara stand ebenfalls auf und rieb sich abwesend das Knie, anscheinend hatte er dort Schmerzen. Itachi wusste, dass er sich in seiner Mittelschulzeit mal die Kniescheibe herausgesprengt hatte, und seit dem Zurechtrücken war er dort ein wenig wetterfühlig. Nur zeigte er das für gewöhnlich nicht, weil Itachi ihm dann irgendwann eine Kompresse aufnötigte. Knieverletzungen wurden öfters chronisch.
Wie um es zu verbergen, verlagerte Madara das Gewicht auf sein gesundes Bein und lehnte sich gegen den Werktisch. Dort lagen neben den Werkzeugen mehrere Zeitschriften und Internetausdrucke verteilt, Zeugen davon, wie schwierig es war, sich ohne Mechatronikerausbildung in ein Motorrad einzudenken.
„Warum lässt du es nicht reparieren?“, hörte Itachi sich fragen. Professionelle Reparatur war teuer, sicher, aber vermutlich hatte Hidan wenigstens mehr Ahnung vom Innenleben eines Motorrads als Madara, und er schien sich auf seinem Posten ohnehin zu langweilen. Wenn man auf der Arbeit die Füße hochlegen und ohrenbetäubende Musik hören konnte, war es wahrscheinlich nur ein Qualitätsbeweis, wenn man nebenbei etwas reparierte.
„Weil ich mir nicht jeden Dreck von anderen erledigen lasse. Kannst du jetzt gehen?“
In Madaras Ton schwang eine Abweisung mit, die endgültig war. Itachi wusste, dass er die Beschädigung der Hornisse nicht leicht nahm, dass er sie als persönliche Feigheit betrachtete und es nicht anders behandelte, als hätte man einen Menschen ‚beschädigt’.
Und neben allem hatte er noch Platz, einen Seitenhieb auf Itachi unterzubringen.
Das Gefühl von Kalk kam wieder, Itachi ignorierte das Kratzen eines verkalkten Rohr in seinem Hals.
„So, wie du Hidan das erledigen lassen hast?“
„Ernsthaft, verpiss dich.“
„Du wusstest, dass er uns sehen würde, er wird dafür bezahlt, dass er hier ist.“
„Komm schon, hau ab.“
„Es musste unbedingt er sein, weil er den Mund nicht halten könnte.“
„Küchenpsychologie? Geh endlich.“
„Warum ist er eigentlich zu mir gekommen? Das hätte er von sich aus nicht getan, jemand muss ihn dazu angestiftet haben. Ihm gesagt haben, wo ich bin, was los ist.“
„Raus.“
„Warum ist er jetzt beschäftigt, und warum hilft er dir nicht, wenn er sich so langweilt?“
„Raus!“
Madaras Augen glommen zornig auf, wie zwei schwarze Kerzen. Itachi glaubte nicht, dass das noch mehr brennen konnte als seine Wange, folglich hatte er auch keine Angst. Er wandte sich ab, langsam, und ein Teil von ihm rechnete jeden Moment damit, dass ein Schraubenschlüssel ihn im Kreuz traf.
„Madara?“
Keine Antwort diesmal. Kalte Aprilluft fegte herein, als Itachi die Tür öffnete, und kühlte wohltuend sein glühendes Gesicht.
„Schon okay. Ich kann nicht mehr.“
But I’m never gonna make it without you, do you really want to see me crawl?
And I’m never gonna make it like you do, making love out of nothing at all
(Making love) out of nothing at all…
fin