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Abendstern

Und du wirst strahlen, heller als die Sonne.
von

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Kapitel 5 - Neue Bekanntschaften

„Lass sie doch schlafen, Kishe.“

Eine heftige Bewegung unter mir ließ mich aufschrecken. Als die Benommenheit aus meinem Körper wich, breitete sich Unbehagen in mir aus. Wo war ich? Soviel ich sagen konnte lag ich, ziemlich unbequem, auf einem sich im Takt von Hufschlägen bewegenden Objekt. Kamele?, fragte ich mich, als mir der starke Geruch dieser Tiere in die Nase stieg. Vorsichtig bewegte ich den Kopf ein klein wenig. Sofort durchzuckte mich jedoch brennender Schmerz und ich stellte jeden weiteren Versuch ein, mich aufzurichten. Das dumpfe Pochen in meinem Hinterkopf rief mir mit ungewollter Heftigkeit meine letzten wachen Minuten in Erinnerung.

Die Scham von Hadim verkauft zu werden, die Bestürzung über Irfans Geständnis meine Eltern gekannt zu haben, und mein Zorn Kaseng gegenüber kamen mir zu Bewusstein. Der Berater des Sultans. . . Unwohlsein stieg in mir auf.

Eine Stimme neben mir ließ mich schmerzhaft zusammenzucken.

„Ich werde sicher nicht Schuld sein, wenn sie sich Frostbeulen holt.“

Aufmerksam geworden lauschte ich in die Dunkelheit und beglückwünschte mich insgeheim zu dem Inpuls, nicht die Augen zu öffnen.

„Was kümmerts dich? Außerdem ist sie eine Magd. Sie dürfte kalte Nachtluft gewohnt sein. Wer weiß, vermutlich schläft sie ohnehin im Freien.“, sagte jemand Zweites.

„Oder einem Stall!“, fügte eine besonders hohe Stimme eifrig hinzu.

„Daher kommt also dieser Geruch!“ meldete sich die zweite Stimme wieder. Sie klang gehässig.

Ich schnaubte leise. Diese Stimme kannte ich. Sie gehörte der Frau, die mich bei dem Fest in die Arme – und die offene Schwertklinge – des Mannes gestoßen hatte. War ich etwa in Gesellschaft der Haremsdamen? Welch Glück,dachte ich sarkastisch.

„Wach bitte auf.“, hörte ich wieder die erste Stimme direkt neben meinem Ohr flüstern. Ich fuhr erschreckt auf, was ein Inferno von Schmerzen in meinem Hinterkopf auslöste. Als die blendende Wirkung des Kopfschmerzes nachließ öffnete ich die Augen. Dunkelheit umgab mich und es dauerte eine Weile ehe ich erkannte wo ich war.

In der Karawane des Beraters, der an der Spitze vor uns ritt, irgendwo auf einer staubigen Straße, mit Tüüchern auf einem Kamelrücken festgezurrt. Neben mir, gegen den zweiten Höcker des Tieres gelehnt, saß eine der Frauen die ich im Alten Kaftan gesehen hatte. Sie hatte aschblondes Haar und erstaunlich helle Augen.

„Wusste ich doch dass du wach bist.“ sagte sie lächelnd. Sie hatte ein sehr einladendes Gesicht, und schmale Lippen. Ich lächelte zurück.

„Wird sie jetzt den ganzen Weg mit uns kommen?“ ertönte eine flüsternde Stimme hinter mir. Ich wandte mich interessiert um - und glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Auf dem Kamel direkt hinter mir saßen ebenfalls zwei Frauen – die sich bis aufs Haar glichen. Ich hatte schon häufig von dieser seltenen Art von Zwillingen gehört, doch war ich noch nie einem Paar begegnet.

„Ich hoffe doch nicht.“, flüsterte die Andere der Ersten ins Ohr, so leise dass ich es kaum hören konnte. „Was wenn sie Flöhe hat?“

Ich drehte mich wieder um. Ich hatte keine Lust mich damit zu beschäftigen. Erstaunt stellte ich fest, dass die Blonde mir einen mitleidigen Blick zuwarf. „Gib nichts auf sie.“ flüsterte sie leise. „Die sind es nicht anders gewöhnt. Ich bin übrigens Kishe.“ fügte sie etwas lauter hinzu, wie um die anderen zu erinnern, dass sie sie hören konnte.

Ein leises Hüsteln links von mir ließ mich abermals wenden. Eine andere Frau, die in teure Seide gehüllt war, sah mich mit großen Augen an. Sie war von sehr dunkler Hautfarbe und ihre Haare waren kurz über den Ohren abgeschnitten. Sie räusperte sich.

„Malika von Kafka. Du wirst vermutlich von mir gehört haben, hoffe ich?“

Ich machte den Versuch wissend zu lächeln, obwohl ich das natürlich nicht hatte. Sie schein befriedigt und folgte meinem Blick als ich die Frau neben ihr in Augenschein nahm. Es war jene die mich bei dem Fest gestoßen hatte. Sie sah mich herausfordernd an und ein seltsam überlegenes Lächeln lag auf ihren Lippen. „Ich bin Jasmin. Die Ehre ist ganz deinerseits, ehemalige Leibeigene.“ Dann drehte sie sich abrupt um und wandte mir den Rücken zu. Es wurde still und ich erkannte dass es nun an mir war mich vorzustellen.

„Mein Name ist Tamima.“ murmelte ich, bemüht etwas Stimmkraft in mein lautloses Flüstern zu bekommen. Vergeblich. Malika schien die Einzige zu sein, die mich gehört hatte, denn mit neuem Interesse drehte sie sich etwas weiter mir zu.

„Was für ein . . .außergewöhnlicher Name. Aus welcher Familie stammst du?“

Ich spürte wie mir die Röte ins Gesicht stieg.

„Ich weiß es nicht.“ flüsterte ich. Ihre Augen weiteten sich, doch sie lehnte sich interessiert weiter zu mir.

„Was hast du gesagt? Du musst lauter sprechen.“

„Ich sagte dass ich es nicht weiß.“ gab ich zurück.

„Wie, du weißt nicht wer deine Familie ist?“, fragte eine der Zwillinge hinter mir. Sie hatten sich beide weit über die Höcker der Kamele nach vorn geneigt um einen besseren Blick auf mich zu haben.

Ich sah sie verwundert an. Es war doch nichts Seltenes seine Eltern, oder deren Namen, nicht zu kennen. Oder doch?

„Bedrängt sie nicht so. Sie ist bestimmt sehr müde.“, warf Kishe ein. Ich schenkte ihr ein dankbares Lächeln. „Das sind übrigens Arwa und Nabila. Die berühmten Zwillinge aus Kerwin.“ Ich zog die Augenbrauen hoch. Kerwin lag sehr weit südlich von hier. Es war das kleinste der Sieben Länder der Sonne, dessen Mitte Mangalin bildete, in dem wir uns gerade aufhielten und in dem auch Shrida, die Hauptstadt und der Sitz des Sultans lag. Kerwin lag mehrere Wochen von hier entfernt. Kamen alle Frauen von soweit her? Neugierig warf ich einen Blick in die Runde. Außer Jasmin beobachteten mich alle, so als wäre ich ein Vieh auf dem Markt. Staunend stellte ich fest, dass offenbar niemand aus diesen Gefilden stammte. Malika kam ganz eindeutig aus Morin, dem nördlichsten der Länder, das für die dunkle Haut und edle Abstammung ihrer Bewohner bekannt war. Kishe mit ihrem hellen Teint war vermutlich aus Rin, das an der Küste gelegen war. Doch von den kühnen Reitern, als die die Rin galten sah man ihr nichts an. Mehr schlecht als Recht hielt sie sich im Sattel und klammerte sich halb an dem Kamelhöcker fest.

Jasmin jedoch kam ganz eindeutig von hier. Die cremefarbene Haut und die dunklen Augen waren Mangalin in ihrer Urform, auch wenn sie eine seltsam vorhängende Unterlippe hatte, die an einen überzüchteten Hund erinnerte. Ob es Inzest in ihrer Familie gegeben hat?, fragte ich mich. Sofort nahm ich mir den Gedanken übel. Ob ich es wollte oder nicht, diese Frauen würden ab jetzt mit mir zusammen um die Gunst des Mannes der vor uns ritt buhlen. Besser ich machte sie mir nicht zu Feinden.

Als ich noch einen Blick durch die Runde warf, stutze ich plötzlich und lehnte mich leicht zu Kishe hinüber.

„Wart ihr nicht zu sechst?“ fragte ich leise, bemüht meine Verwunderung zu verbergen. Sie lächelte, als sie sich zu mir beugte. Offenbar hatte sie vor mir ebenso flüstern zu antworten. „Oh, doch sind wir.“ Sie sah sich suchend um, offensichtlich frustriert. „Velia?“ sie erhob die Stimme leicht, und hinter den Zwillingen trabte plötzlich ein weiteres Kamel aus der Dunkelheit hervor, das überwiegend mit Gepäckstücken beladen war. Darauf saß eine weitere Frau, die, im Gegensatz zu den anderen, die Zügel ihres Reittieres festhielt und es offenbar lenkte. Ich erkannte sie sofort an den hellen, grünen Augen wieder. Es war die Frau, die im Alten Kaftan als Einzige nett zu mir gewesen war. Doch jetzt waren ihre Züge starr und als ich ihren forschenden Blick erwiderte, waren ihre Augen so kalt, dass es mir ein Schaudern über den Rücken jagte.

„Das ist Velia. Sie ist fast von Anbeginn der Reise hier.“ klärt mich Kishe hilfsbereit auf. Ich ignorierte ihre Hilfsbereitschaft, denn etwas im Blick der Frau hinter mir hielt mich fest. Sie starrte mich an, als wolle sie mich mit bloßer Willenskraft durchbohren. Die Haare in meinem Nacken stellten sich alarmiert auf. Erst nach einem weiteren Moment konnte ich mich losreißen.

Arwa und Nabila hinter mir fingen ein Gespräch darüber an wie sehr sie sich auf ihr baldiges Leben im Palast freuten. Bald bemerkte ich, dass sie die nervtötende Art hatten die Sätze der jeweils Anderen zu beenden. Auch Kishe beteiligte sich an der Unterhaltung, und bald schon hatte Malika ihren Stolz überwunden und redete auch mit. Fürs Erste war ich aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit genommen, und dafür war ich dankbar.

Irgendwann passierten wir die Stadtmauern, doch ich verschwendete keine Blicke an die Umgebung. Es war ohnehin alles in Dunkelheit getaucht und die farblosen Fassaden der Häuser reizten mich nicht. Ich legte den Kopf auf den Hals des Kamels.

Nachdem ich einige Zeit zu schlafen vorgegeben hatte, wand ich mich noch einmal vorsichtig um. Kishe, die Zwillinge, Jasmin und Malika waren nun in ein ungezwungenes Gespräch über höfische Etikette versunken. Da die letzte Reiterin als Einzige schwieg erwartete ich halb erneut ihrem kalten Blick zu begegnen, doch Velia lehnte bequem auf ihrem Reittier und schenkte ihrer Umgebung keine Beachtung. Ihre Haltung machte deutlich dass sie eine geübte Reiterin war. Ob sie wohl wie Kishe aus Rin kam?

Ich betrachtete sie eingehender. Ihre Haut war sehr hell, wie Alabaster und ihre Augen von einem so intensiven Grün, dass es an reine Smaragde erinnerte. Die feuerroten Haare verliehen ihr ein sehr eigenwilliges, wildes Aussehen dass sie auf eine seltsame Art sehr schön und dennoch ausergewöhnlich machte. Doch ich hatte noch nie von einem Ort in den Ländern der Sonne gehört, der eine so seltsame Konstellation hervorbrachte.

Ich entschied, es vorerst zu vergessen und dem Gespräch meiner redseligeren Begleiterinnen zu lauschen. Schließlich würde ich einige Informationen brauchen können.

„Habt ihr Jakib denn schon einmal gesehen?“ fragten die Zwillinge Arwa und Nabila gleichzeitig.

Kishe schüttelte bedauernd den Kopf.

„Aber er soll sehr gutaussehend sein.“, warf Malika ein.

„Wir werden es bald herausfinden“, sagte Nabila, was Arwa ein schrilles Lachen entlockte.

„Könnt ihr euch vorstellen wie er so . . . ist?“ fragte sie weiter. Malika lehnte sich missbilligend ein Stück zurück, doch Jasmin fing den Faden gekonnt auf.

„Eine gute Frage. Fast zu gut um durch jemand anderen als ihn selbst beantwortet zu werden.“ Ein verschwörerisches Blitzen trat in ihre Augen, doch verschwand es so schnell wieder wie es gekommen war. Das Gespräch ging in diesem Stil weiter und schnell verlor ich jegliches Interesse daran. Diese Frauen waren auch nicht anders als die Mägde des Alten Kaftans – nur in edle Gewänder gehüllt.

Die Erinnerung an das alte Gasthaus, das ich noch wenige Stunden zuvor mein Heim nannte, ließ mich wehmütig den Kopf auf die Arme legen. Würde ich es jemals wiedersehen? Ich dachte an meine Eltern und die Dinge, die ich in der letzten Stunde erst über sie erfahren hatte. Seltsamerweise streiften meine Gedanken zu Irfan, und der seltsamen Bemerkung die er zum Schluss gemacht hatte. Er würde mich kaufen wenn er könnte? Was meinte er damit? Und . . . warum hatte er versucht mich zu küssen? Eine Welle des Unbehagens durchfuhr mich als ich daran zurückdachte. Irfan war mein engster Vertrauter gewesen seit ich denken konnte. Was wenn er tatsächlich ein romantisches Interesse an mir hegte?

Und warum widerstrebte mir der Gedanke so? Es hätte mich immerhin vor dem Berater errettet, wenn er mich zur Frau genommen hätte.

Jetzt ist es einerlei, dachte ich bekümmert. Ich werde ihn nie wiedersehen. Unwillkürlich seufzte ich. Sofort war Kishes Aufmerksamkeit an mir wieder geweckt.

„Und was ist mit dir, Tamima?“

Ich sah sie verständnislos an. Worüber hatten die Anderen denn gerade gesprochen? Ich ließ den Teil der Unterhaltung, den ich noch mitverfolgt hatte Revue passieren. Dann sagte ich das Einzige was mir in den Sinn kam.

„. . .wer ist Jakib?“

Stille folgte meinen Worten. Schon dachte ich, sie hätten mich nicht gehört, als Malika sich etwas zu mir beugte.

„Meinst du das im Ernst?“, fragte sie leise. Andere nickten. Der Hohn war plötzlich aus ihren Worten verschwunden und hatte maßlosem Erstaunen platz gemacht. Ich nickte langsam. Vermutlich war das ein Fehler, schoss es mir durch den Kopf. Doch jetzt konnte ich es nicht mehr ändern.

„Jakib ist der Sultan, Magd.“ zischte Jasmin, deren Augen mich fixierten, mir zu. „Für wen hast du denn gedacht dass du hier bist?“ Die unverhohlene Abscheu in ihren Worten überraschte mich zutiefst. Doch noch mehr taten es ihre Worte.

„Der Sultan ist es? Ich dachte. . . der Berater. . .“ ich verstummte, als mir klar wurde dass ich einem Denkfehler unterlegen war. Einer der Zwillinge lachte wiehernd auf.

„Kaseng?“ heulte sie schrill. „Du dachtest wir wären für ihn bestimmt?“ Allgemeines Gelächter erhob sich.

„Sie kann es doch nicht wissen, Nabila. Sie hat nicht seit Monaten darauf gehofft ausgewählt zu werden, so wie du.“ schnappte Kishe zurück. Ich warf einen überraschten Seitenblick auf die Blonde. Warum verteidigte sie mich?

Nabila schwieg gekränkt. Arwa übernahm das Wort.

„Aber warum bist du dann überhaupt mitgekommen, wenn du dachtest . . .?“

„Wer weiß, vielleicht hat sie eine Schwäche für alte Männer.“ zischte Jasmin. „Was glaubst du was sie dort den ganzen Tag getan hat? Etwa in der Küche gestanden? So dünn wie sie ist?“

Malika richtete sich kerzengerade auf und lehnte sich so weit von mir weg wie es ihr möglich war ohne zu fallen. Ihr Gesicht zeigte eine Mischung aus Ekel und Misstrauen.

„Hat man sie denn nicht . . .überprüft?“ fragte sie schließlich. Sofort wanderten alle Blicke zu meinen Beinen. Als ich merkte worauf sie anspielten stieg mir die Hitze ins Gesicht, krampfhaft versuchte ich den staubigen, mit Spinnweben überzogenen Kaftan über meine Knie zu ziehen. Sie halten mich für eine Hure, wurde mir schmerzhaft klar.

„Sie wollte doch nicht einmal freiwillig mit!“ rief Arwa aus. Nabila nickte heftig. „Hassim hat erzählt sie hätte versucht Kaseng zu beißen.“ Sie spuckte das Wort förmlich aus, als sei sie froh es nicht in ihrem Mund tragen zu müssen. Malika fixierte mich. „Wirklich?“ fragte sie.

Ich nickte langsam. Welchen Sinn hätte es gehabt es zu leugnen? Früher oder später würden sie es ohnehin erfahren.

Malika sog scharf die Luft ein. Entrüstet drehte sie sich weg. Offenbar war die Unterhaltung für sie nun beendet.

Ich seufzte auf.

Einen Moment war alles still und ich hoffte nun aus dem Kreuzverhör genommen zu sein. Eine neue Stimme ließ mich jedoch aufhorchen. Als ich mich zu ihr umdrehte sah ich Velia, die ihr Kamel weiter nach vorne zu meinem geführt hatte. Aus ihren grünen Augen blitze eine Mischung aus Misstrauen und versteckter Neugierde. „Du wolltest nicht mitkommen? Hat man. . .“ sie verstummte, scheinbar unschlüssig was sie sagen sollte. „. . . hat man dich gezwungen?“

Ich dachte über ihre Frage nach. Wenn ich ja sagte würde es den Anschein erwecken als wollte ich gar nicht hier sein – was auch stimmte. Doch das wäre mit Sicherheit kein gutes Eingeständnis. Nein zu sagen wäre jedoch eine glatte Lüge.

„Ja und nein.“ gab ich nach einer kurzen Pause zurück. „Ich . . . .ich wusste nicht dass ich mit euch kommen sollte. Der Berater des Sultans hat meinem Ziehvater Geld gegeben um mich mitzunehmen.“

Eine tiefe Falte grub sich zwischen ihre Brauen. „Ohne dein Einverständnis? Warum hat er das getan?“

Ich zuckte die Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich dachte er wollte eine neue Haremsdame . . .“

„Nicht das.“, sie winkte ab. „Dein Ziehvater. Warum hat er dich verkauft?“

„Weil er sie nicht mehr wollte, natürlich!“ zischte Jasmin gerade leise genug zu Malika, dass nur ich es hören konnte. Sie begann daraufhin leise zu kichern. Mir stieg die Schamesröte ins Gesicht. Velias Blick verdüsterte sich.

„Ich weiß es nicht.“ gab ich zögernd zu. „Ich bin ja nicht seine richtige Tochter. Ich schätze. . .“ ich verstummte und schüttelte den Kopf. Diese Geschichte sollte hier nicht erzählt werden. Und je weniger die anderen über mich wussten, desto besser. Da Velia auch keine Antwort zu erwarten schien, ritt sie einfach stumm neben mir her. Ich lehnte mich zurück.

„Mach dir keine Sorgen. Spätestens wenn du es in den Harem geschafft hast wird ihnen das Reden vergehen.“ flüsterte Kishe neben mir so leise dass nur ich es hören konnte. Ich lächelte sie dankbar an. Sie neigte den Kopf, offenbar erwartete sie nicht dass ich ihr die Geschichte erzählte. Sie fing an, mir sympathisch zu werden.

„Warum sprichst du eigentlich nicht?“ fragte plötzlich Arwa hinter mir. Auch das noch, dachte ich. Ich machte mir nicht einmal die Mühe mich zu Arwa umzudrehen.

„Ich kann es nicht.“

Anscheinend hatten die Zwillinge meine Antwort nicht gehört, doch Malika erwies sich als sofortige Übersetzerin, da sie sich erneut fast bis zu meienr Schulter über den Rücken des Kamels gelehnt hatte.

„Sie sagt sie kann es nicht.“

Die Beiden murmelten etwas, das ich nicht hören konnte. Dann meldeten sie sich gleichzeitig.

„Warum nicht?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Ich kann es einfach nicht. Seid ich ein Kind war.“ Malika gab die Nachricht weiter. Offenkundig genoss sie die wichtige Rolle, die sie in dem Gespräch innehatte.

„Jeder kann sprechen!“ warf Nabila irritiert ein. Ich schüttelte nur resigniert den Kopf. Wie sollte ich ihnen etwas erklären, das ich selbst nie verstanden hatte? Während Arwa ihrer Schwester etwas zuflüsterte, das ich nicht hören konnte, fiel mir mein letztes Gespräch mit Irfan wieder ein. Er sagte ich hätte gesungen anstatt wie normale Säuglinge zu schreien. Doch zu sprechen hatte ich nie begonnen. Sollte ich ihnen davon erzählen? Nein, dachte ich. Sie würden mich für verrückt halten.

Also ignorierte ich das leise Murmeln hinter mir, und konzentrierte mich ganz auf das Steinpflaster unter den Hufen des Kamels. War es noch weit bis zum Palast?

Als in der Nähe ein Gong ertönte verstummten die Gespräche der Anderen. Verwundert blickte ich in die Richtung aus der das Geräusch gekommen war, doch die Dunkelheit versperrte mir die Sicht.

„Wir sind gleich beim Palast.“ flüsterte Kishe mir hilfsbereit ins Ohr.

Da flammten vor mir eine Reihe von Laternen auf und im nächsten Augenblick sah ich das gewaltige Gebäude auch schon. Von einer hohen Steinmauer eingeschlossen, stand der Palast in einem großen Park, der von akribisch gepflegten Gärten und Wäldern gesäumt wurde. Das große Hauptgebäude war eine hohe Kuppel, die aussah als habe man eine riesige, weiße Kugel in der Erde versenkt. Jeweils an den Enden der Kuppel standen 4 hohe Türme, die oben spitz zuliefen. Sie waren durch ein gewundenes System von Gängen mit der Kuppel verbunden und schienen zusammen das Hauptgebäude darzustellen. Rechts und links davon schlossen zwei rechteckige Flügel an, die seitlich versetzt gebaut waren, so dass es den Anschein hatte als würde das Gebäude ankommende Gäste umarmen. Die goldenen Dächer glitzerten im Mondlicht, und die weißen Wände leuchteten.

Alle Wege der Palastanlage waren aus hellem Stein geschlagen und ein marmorner Vorplatz war für Kutschen oder Ähnliches angelegt worden. In dessen Mitte, an der Frontseite des Hauptgebäudes lag ein großes Becken, das mit Wasser gefüllt war und auf dessen Oberfläche Seerosen wuchsen. Obwohl es Nacht war, konnte man den Prunk und Luxus, den der Palast ausstrahlte, förmlich spüren.
 

Die Karawane folgte einem kleinen Seitenweg zur linken Seite des Palastes, und wenig später kamen wir bei den Ställen an. Der Berater und seine Garde, die in einiger Entfernung vorausgeritten war, ritten zu getrennten Einrichtungen für ihre Pferde. Wir wurden aufgefordert gleich hier abzusitzen.

Das Absitzen stellte sich als unerwartet schwer heraus, denn obwohl Jasmin und Kishe verzweifelt versuchten die Kamele dazu zu bringen sich hinzulegen, um das Absteigen zu erleichtern, rührten sich die gutmütigen Tiere keine Handbreit. Nur Velia gelang es mit einem gezielten Sprung von ihrem Tier herunterzukommen und führte es, ohne sich um uns zu kümmern zu einer der Boxen. Wir Übrigen warteten auf die Stallburschen, die, nachdem sie die Pferde der Männer versorgt hatten, herbeigeeilt kamen.

Meine Beine waren von dem harten Sattel wundgescheuert, und mein Rücken schmerzte als es mir endlich gelang von meinem Tier abzusteigen. Malika, die neben mir stand, machte eine abfällige Bemerkung über zu wenige Sitzpolster und mehr schlecht als recht humpelte sie mit uns zu einem Eingang der Ställe, an dem Velia und einer der Stallburschen bereits warteten. Einige missgünstige Seitenblicke Malikas zeigten mir, dass sie keinerlei Blessuren davongetragen hatte, aber es mir übel nahm, dass ich nicht wie sie humpelte.

Der Junge neben ihr winkte uns zu, ihm zu folgen. Obwohl meine Beine es mir am nächsten Tag bestimmt vergelten würden, folgte ich dem zügig voranschreitenden Mann so schnell ich konnte. Die Anderen waren gehörig langsamer.

Wir gingen parallel zur Außenmauer des Palastes, bis wir einen schwach erleuchteten Dienstboteneingang erreichten. Dort blieb unser Führer stehen und gebot uns zu warten. Dann ging er den selben Weg wieder zurück, doch nicht ohne sich mehrmals nach uns umzudrehen.

Vermutlich hat er noch nie so schöne Frauen gesehen, schoss es mir durch den Kopf.

Vor mir ertönte ein Räuspern. Nabila und Arwa, die sich vor mich gestellt hatten traten hastig einen Schritt zurück. In einem Rahmen aus hellem Licht stand ein in eine weite Robe gehüllter Mann und hielt eine Fackel. Er sah aus wie ein Mönch, nur dass er kaum mehr als 20 sein konnte und beträchtlich längeres Haar hatte. Seine Stimme war ungewöhnlich klar als er zu sprechen begann.

„Willkommen im Palast, Anwärterinnen. Ich werde euch eure Quartiere zeigen, bis ihr in den eigentlichen Haremsflügel wechselt. Bitte folgt mir so leise wie möglich, die Anderen schlafen bereits.“

Dann, ohne ein weiteres Wort, drehte er sich auf dem Absatz um und ging den marmornen Flur entlang. Erstaunt stellte ich fest, dass er keine Schuhe trug. Als ich hinter den Zwillingen den Gang betrat wurde mir klar warum – der Boden war wie von einem unterirdischen Feuer gewärmt. Anscheinend hatten sie hier im Palast eine Möglichkeit gefunden Fußböden zu heizen. Die wohlige Wärme im Inneren war eine wohltuende Abwechslung zu der kalten Nachtluft draußen.

Der Flur war zu beiden Seiten in regelmäßigen Abständen von schmalen Holztüren durchzogen, die allesamt geschlossen waren. Als wir sie jedoch passierten öffneten sich einige davon und ich erhaschte kurze Blicke auf neugierige Augenpaare die uns musterten. Als unser Führer den Kopf zu ihnen wand schlossen sich die Türen sofort wieder.

Entlang des Weges blieb er immer wieder kurz stehen, um auf eine der Türen zu deuten. Dies waren die Räume die für eine von uns vorbereitet worden war. Zuerst wurden Malika, Jasmin und dann den Zwillingen ihre Räume gezeigt. Letztere schienen den Tränen nahe da sie nicht zusammen in einem Zimmer bleiben konnten. Unser Führer verzog keine Miene, während wir eine lange Wendeltreppe hochstiegen. Auch im nächsten Stockwerk waren der Boden beheizt und die Wände mit Lampen erleuchtet. Nach einer Weile blieb er erneut vor einer Tür stehen. Diesmal zeigte er auf mich.

„Dein Quartier. Ich empfehle dir wärmstens darin zu bleiben bis die Diener dich morgen Früh wecken. Solltest du etwas brauchen, so läute an der Glocke. Jemand wird zu dir kommen.“ Damit ging er weiter, Kishe und Velia im Schlepptau. Obwohl die Blonde kurz zögerte drehte sie sich zum Abschied nicht zu mir um, und ich war seltsam enttäuscht darüber. Ob ich bald die Gelegenheit haben würde sie wiederzusehen?

Ich betrat mein neues Zimmer, das für einen Palast erstaunlich einfach, aber komfortabel eingerichtet war.

Jetzt war ich also angekommen.

Doch sollte ich darüber nun froh sein, oder nicht?



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2009-09-18T15:26:52+00:00 18.09.2009 17:26
Bis jz hat mir die Story ja nicht soooo gut gefallen, aber ich hab mich bei diesem Kapi toll in Tamima hineinversetzen können. Hat mich sehr mitgerissen!
Tolle Geschichte bis jz1 *schongespanntaufnächsteskapisei*

Lg
Von:  blacksun2
2009-09-01T17:27:48+00:00 01.09.2009 19:27
Hi

Oh je ich befürchte ihr kleines ähm Sprachproblem wird ihr noch einige Schwierigkeiten bringen, wobei Jakib sie ja nicht unbedingt zum reden will *hüstel*,

klingt so, als wäre der Sultan kein alter Mann wie Kaseng, vielleicht sieht er sogar ganz gut aus *schon gespannt auf ihn bin*
aber es wird sicher noch eine Weile dauern bis sie ihn kennenlernt und bis dahin wird es bestimmt keine leichte Zeit für sie, denn ganz intrigenfrei wird es da sicher nicht zu gehen

„jedoch kam ganz eindeutig von hier.“ Da hast du den Namen vergessen, auch wenn natürlich auch so klar ist, wen du meinst

alles in allem war alles perfekt, ich müsste einen Kritikpunkt erfinden um was Schlechtes schreiben zu können, ich mag deinen Schreibstil sehr, er zieht einen praktish in die Geschichte hinein und ich liebe es, wie realistisch du alles rüberbringt, sei es die einzelnen Charaktere oder die Dialoge, das begeistert mich einfach

glg

Von:  P-Chi
2009-08-07T10:55:09+00:00 07.08.2009 12:55
Das hat mir mal wieder seeehr gefallen! :D
Ich finde die unterschiedlichen Reaktionen der Frauen wirklich gut und worüber sie gesprochen hatten...aber es wäre schöner gewesen wenn sie etwas mehr über den Sultan gesprochen hätten. *schulterzuck*
Naja, was solls.^^
Auf zum nächsten Kapi! Yay~

lg Angels


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