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Leitartikel

Küss mich bis zur Deadline
von

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Besuch

MICHAEL
 

Die Woche war stressig. Komischerweise war viel los in der Stadt. Etliche Improvisationstheateraufführungen, Freiluftkino, Open Air Konzerte und das jährliche Fest in seinem etwas autonomen Stadtteil, welches zu einer Art Tradition geworden war. Und die neuen Praktikanten mit den Rastazöpfen und seltsamen T-Shirts freuten sich riesig, als Michael ihnen vorschlug diesen Termin zu übernehmen. Und der Blonde wiederum war extrem zufrieden, solch begabte junge Leute als kostenlose Arbeitskräfte zu haben. Wobei er mit Florian längst beschlossen hatte, ihnen nach ihrem Praktikum die Freie Mitarbeit anzubieten.
 

So wie er es mit Anna getan hatte, die sich während ihrer Zeit beim „Fly“ wirklich gesteigert hatte. Michael hatte ihr zum Abschluss sogar ein Empfehlungsschreiben ausgestellt, denn das Mädchen wollte Journalistik studieren und der Chefredakteur konnte dieses Vorhaben natürlich nur unterstützen. Jetzt, als er an Annas letzten Tag hier dachte, musste er etwas dämlich grinsen.
 

Er hatte sie zu einem Kaffee eingeladen. In welchem Lokal er dies getan hatte, musste man erst gar nicht erklären. Natürlich war es niemand anderes als Sebastian, der den beiden ihre Getränke zubereitete and diesem Tag. Er zwinkerte Anna zu und schenkte Michael ein wunderschönes Lächeln. Und als der Blonde mit der Praktikantin am Tisch saß und ihr einige Tipps für die Bewerbung gegeben hatte und sie das koffeinhaltige Getränk auch schon zu gut wie zu Ende getrunken hatten, bemerkte Anna, während sie ihre Augen von dem Schwarzhaarigen am Tresen nicht nehmen konnte: „Ich hab mir vorgenommen den Typen an meinem letzten Tag hier zu fragen, ob er ein Bier mit mir trinken will.“
 

Entschlossen hatte sie den massiven Becher mit dem grünen Logo abgestellt und suchte offensichtlich nach dem begehrten Mut. Michael, dessen Herz in diesem Moment ein wenig schneller zu schlagen angefangen hatte, musste im nächsten Moment bereits wieder grinsen und sagte, zu seiner eigenen Überraschung: „Ich glaube nicht, dass es seinen fester Freund erfreuen würde.“
 

Er würde Annas hochgezogene Augenbrauen und ihre erstarrte Gestalt wohl nie vergessen, als sie ihn ansah und flüsternd fragte: „Der ist schwul?“
 

Sebastian war gerade an dem Tisch neben ihnen angekommen, um die zurückgelassenen Becher wegzuräumen, da trafen sich ihre Blicke. Michael lächelte ihm zu und sagt zu seinem Freund: „Stockschwul, nicht wahr, Sebastian?“ Und der Schwarzhaarige begriff sofort, um was es ging, setzte sich in Bewegung, strich durch das blonde Haar und platzierte einen sanften Kuss auf den Kopf des stattlichen Mannes.
 

„Ja, Hase“, sagte er noch grinsend und schaute Anna in die Augen, wonach er sich umgehend umdrehte und hinter dem Tresen verschwand. „Das hätte ich jetzt nicht gedacht“, war alles, was Anna dazu gesagt hatte.
 

Ja, an diesem Tag hatte Michael sich erneut selbst überrascht. Vielleicht hatte er sich auch einfach ein wenig verändert, was das Zusammensein mit einer neuen Person automatisch mit sich zog. Er schüttelte den Kopf leicht, als er das aufgestellte Foto von sich und Sebastian betrachtete, welches den Platz links neben seinem Bildschirm einnahm. Er hatte es erst vor drei Wochen dort aufgestellt. Und es hatte sich großartig aufgefühlt. Einige Kollegen hatten das Bild einen leicht verdutzten Blick gegeben, ansonsten hatte niemand einen Kommentar gewagt.
 

Als endlich ein leicht ruhiger Moment in der Redaktion auftrat, griff Michael zum Telefon und wählte die Nummer seiner Eltern.
 

„Zannert?“, ertönte die leicht heisere Stimme seines Vaters am anderen Ende des Telefons.
 

„Hier auch“, entgegnete Michael lächelnd.
 

„Mensch, Micha!“, rief der alte Mann. „Anne, der Junge ruft an!“, schrie er in den Raum hinein und der Journalist musste über diesen Enthusiasmus seines Herren fast ein wenig lachen. „Wie geht es dir? Sabine hat mir erzählt, dass ihr euch wieder vertragen habt, du und Sebastian? Wie geht es ihm denn? Alles Roger beim Kaffeekochen? Ihr seid jetzt auch schon ne Weile zusammen, oder nicht?“
 

„Nicht alles auf einmal, Papa“, bemerkte der Blonde grinsend. „Sebastian und ich sind jetzt fast fünf Monate zusammen und es läuft wirklich prima.“ Am anderen Ende der Leitung hörte man ein kurzes Rascheln.
 

„Ich hab dir doch gesagt, dass du schnell jemanden anderen finden wirst!“, rief seine Mutter ins Telefon. Im Hintergrund konnte man die Stimme seines Vaters hören, der ausrief: „Du kannst mit doch nicht einfach das Telefon klauen!“ Doch seine Frau ignorierte diesen Einwand gekonnt und sprach einfach weiter mit ihrem Sohn.
 

„Sag mal, Michael, habt ihr beiden denn nicht Lust am Sonntag zu uns zu kommen? Dein Vater wagt sich nicht zu fragen, deswegen tue ich es“, sagte sie und wieder konnte man die Stimme ihres Mannes leicht gedämpft wahrnehmen, der dieses Mal: „Das stimmt nicht!“, rief. Und ein weiteres Mal ignoriert wurde. „Da ist doch das Schützenfest von Rolfs Verein. Und du warst schon so lang nicht mehr da. Ich dachte, dass es vielleicht eine gute Gelegenheit wäre, Sebastian näher an unsere Familie zu bringen. Was meinst du? Ihr schlaft dann auch einfach hier und trinkt ein wenig mit den Bauern.“
 

Schützenfest. Wann war das letzte Mal, dass er einem solchen Zusammentreffen beigewohnt hatte? Er wusste es nicht mehr. Würde Sebastian „ja“ sagen? Seit dem ersten, katastrophalen Familienbesuch war viel Zeit vergangen und der Schwarzhaarige hatte selbst gesagt, er würde der Zannert-Family noch eine Chance geben. Oder war es noch zu früh?
 

Seinen Eltern sagte er, er würde ihnen bis morgen Bescheid geben. Und dann wählten seine Finger auch schon flink die Nummer seines Freundes. Doch schon vor dem ersten, potenziellen Klingeln, legte er den Hörer energisch auf. Nein, dies war keine Frage, die er mal eben über das Telefon stellen sollte. Er würde bis heute Abend warten. Schließlich waren es nur noch einige Stunden, die sie voneinander trennten.
 

Michael musste wieder einmal lächeln.
 

Sebastian hatte er längst einen Schlüssel zu seiner Wohnung gegeben und wenn er nach Hause kam, fand er seinen Liebling eigentlich immer vor. Es fühlte sich beinahe so an, als würden sie schon seit einer Weile zusammenwohnen. Auch in seinem Schrank hatte Michael Platz gemacht, damit Sebastian sich einigermaßen einrichten konnte und nicht immer mit seiner Reisetasche unterwegs war.
 

Und auch heute, als der Journalist sein Reich betrat, hörte er bereits das Knattern der Tastatur und hörte den Schwarzhaarigen irgendwelche Sachen von sich geben. Wahrscheinlich spielte er wieder irgendein Spiel über das Internet… Als Michael ins das Arbeitszimmer lugte, bestätigte sich sein Verdacht.
 

„Hey, Süßer!“, rief er und schaffte es auf Anhieb die Aufmerksamkeit Sebastians zu bekommen, der umgehend aufsprang, seine Arme um ihn schlang und ihm einen intensiven Kuss aufdrückte.
 

„Nur noch bis zum nächsten Spawnpunkt, OK?“, fragte er hastig und saß auch schon wieder, seine Maus wild klickend, am Rechner.
 

„Äh, ja“, lautete Michaels Antwort. Wahrscheinlich wäre es besser, wenn er jetzt einfach das Essen zubereiten würde. Schnell schlüpfte er ihn Hausklamotten – diese hatten sie letztens zusammen besorgt, denn Sebastian meinte, nur in einer Jogginghose könne man sich so richtig wohl fühlen – und schlenderte in die Küche. Als er den Rotwein im Kühlschrank entdeckte, sagte er einfach nichts und rettete ihn schnell. Sebastian hatte wirklich keine Ahnung von Wein… Aber es reichte schließlich, dass Michael selbst ein wenig davon wusste, oder nicht?
 

Nach einer kurzen Weile tauchte auch schon Sebastian auf und half ihm beim Tischdecken, beim Auftischen des Nudelgerichts. Er erzählte ein wenig von seinem „langweiligen Tag“, von den „langweiligen Kunden“ und den „langweiligen Gesprächen“ mit seinen heutigen Kollegen. Und dann fragte er Michael nach seinem Arbeitsverlauf. In dem Moment konnte der Blonde seine Frage nicht mehr zurückhalten.
 

„Meine Eltern haben uns für Sonntag zum Schützenfest meines Vaters eingeladen. Mit Übernachtung und all dem Schnickschnack. Soll ich zusagen? Oder möchtest du lieber mit solch einem Besuch noch warten?“, fragte er.
 

„Schützenfest?“, fragte der Schwarzhaarige mit leicht hochgezogener Augenbraue.
 

„Ja“, bestätigte Michael und grinste ein wenig.
 

„Aber nur, wenn du mit mir Bier aus einer Riesenschale trinkst, auf Ex!“, sagte er dann lachend.
 

„OK.“
 

Sebastian blinzelte. „Was? Du sagst OK?“, hakte er nach.
 

„Die eine Hand wäscht die andere“, bemerkte der Blonde grinsend.
 

„Darf ich dann auch ein Foto von dir machen, wenn du dich mit dem Bier bekleckerst?“
 

„Nein.“
 

„Darf ich ein Video von dir machen, wenn du lallst?“
 

„Nein.“
 

„Darf ich-?
 

„Sebastian.“
 

„OK, OK…“
 

Die beiden grinsten sich an und Michael fühlte sich, als wenn eine ganze Kolonie von Schmetterlingen das Innere seines Bauches verwüsten würde. Oder ihn glatt davontragen würde. Er ergriff Sebastians Hand und streichelte sie.
 

„Danke, Süßer“, sagte er leise und versank in diesen tiefdunklen Augen.
 

„Kein Problem“, kam es ebenso leise zurück.
 

SEBASTIAN/JADE
 

Es war spät und sie lagen bereits im Bett. Michaels gleichmäßiger Atem machte ihn auch langsam müde. Er genoss die Wärme, die ihm der Körper seines Freundes spendete. Er fühlte die Arme des Älteren auf seiner Haut, sein Kopf ruhte auf dessen Schulter. Es war ein angenehmes Gefühl, er fühlte sich geborgen und glücklich. Als hätte er so etwas noch nie in seinem Leben verspürt. Und heute Abend hatte er seinen Freund noch glücklicher machen können. Michaels Augen hatten diesen unbeschreiblichen Glanz, als er diesem Familienbesuch zugestimmt hatte.
 

Und er selbst verspürte keinen einzigen, negativen Funken dabei. Nicht, wie es das letzte Mal gewesen war. Vielleicht freute er sich ja auch? Michaels Eltern schienen ja wirklich in Ordnung zu sein. Und sich auch tatsächlich für ihren Sohn zu freuen. Damit hatte Jade nicht gerechnet. Er grinste leicht.
 

Überhaupt machte ihn sein momentanes Leben mehr als glücklich. Und er wusste, dass das ganz allein an Michael lag, dem Mann seiner Träume. Mittlerweile hatte er sogar den Schlüssel zu seiner Wohnung bekommen. Mann, das fühlte sich so an, als würden sie zusammenwohnen. Und das war ein phänomenales Gefühl. Wenn er jetzt an seine einstige Angst, an sein Entsetzen dachte, als Mark ihn um diesen Schritt gebeten hatte, musste er den Kopf schütteln. Was ihn wohl damals davon abgehalten hatte?
 

Wahrscheinlich die Tatsache, dass Mark einfach nicht der Richtige war…
 

Mit einem letzten, leisen Seufzer entglitt er der Realität und wachte erst beim Klingeln des Weckers auf. Michael drückte ihm schnell einen Kuss auf die Wange, da er dieses Mal früher los musste. Das „Fly“ schien momentan im Stress zu ertrinken… Und auch bei Starbucks ging es heute nicht gerade ruhig zu. Der Kaffeedurst der Menschenmasse schien einfach nicht abzuklingen.
 

Er war mehr als froh, als er gegen 18 Uhr, nach einem Abstecher zu Brummer und Torsten und dem Supermarkt, Michaels Wohnungstür hinter sich zuschlagen hörte. Der Blonde selbst war noch nicht zu Hause. Und das war gut so. Schließlich wollte Jade heute mal den Koch spielen. Auch wenn sein Menü – selbstgemachte Pizza – nicht unbedingt als spektakulär bewertet werden konnte. Der Wille zählte! Und schließlich hatte er vorher noch nie den Teig selbst angerührt. Das war doch schon mal was!
 

Voller Eifer machte sich der Barista ans Werk. Als er gerade dabei war mit dem Mixer zu hantieren, hörte er im Hintergrund das Telefon klingeln. Er schreckte auf und verhedderte sich beinahe im Kabel des Mixgerätes. Einige glitschige Tropfen des Teigs bedeckten die Arbeitsfläche und wurden auf dem Boden verschmiert.
 

„Scheiße!“, fluchte Jade und rannte in den Flur, woher das nervende Klingeln kam. Vielleicht war es ja Michael? Doch der Schwarzhaarige schaffte es weder rechtzeitig zum Telefon zu rennen, noch lag er mit seiner Vermutung richtig. Als er zum Stehen kam, schaltete sich der AB an und der junge Mann hatte keine Ahnung, welche Taste er drücken sollte, um jetzt noch ran zu gehen. Der offensichtliche, grüne Knopf war es nicht. Als er eine angenehme Stimme hörte, die aufs Band sprach, erschrak er.
 

„Hallo Michael, ich bin’s, Tim. Ich… wollte einfach fragen, ob du meine Email bekommen hast? Ich, hm, würde gerne noch einmal mit dir sprechen. Naja, meldest du dich bei mir, Großer? Bis dann.“
 

Großer. Großer. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein, Michael noch mit einem Kosenamen anzusprechen?! Was sollte diese Mitleidstour überhaupt?! Worüber wollte er sprechen? Er war doch derjenige, der Michi hatte so beschissen sitzen lassen und jetzt kam er wieder angekrochen, oder was?!
 

Der Schrecken verwandelte sich binnen weniger Sekunden in regelrechte Wut. Jades Verstand verabschiedete sich gänzlich. Noch bevor er seinen eigenen Namen aussprechen hätte können, hatte er auf diesen kleinen, unscheinbaren Knopf gedrückt und es erschien so, als hätte niemals jemand angerufen
 

Und einige Sekunden nach dieser Tat, hätte er sich am liebsten selbst geohrfeigt.
 

Was hatte er sich dabei gedacht?!

Er hatte zuerst die Email gelöscht und jetzt sogar noch die AB-Nachricht!

Und dabei hätte genau diese die Geschichte mit der Email so schön überdecken können – dass Emails ab und an nicht ankamen passierte nun mal.

Aber dass aufs Band gesprochene Nachrichten einfach nicht mehr vorhanden waren…

Das größte Problem stellte nun die Möglichkeit eines Handyanrufes dar…

Wieso sollte Tim seinen Ex nicht aufs Handy anrufen?!

Er war so dumm… So unfassbar dumm… Und er müsste es Michael beichten…
 

Aber würde der Blonde ihn nicht umgehend vor die Tür setzen? Für dieses infantile Verhalten, überhaupt, für das Verschweigen und das Zerstören der Möglichkeit sich mit diesem Ex-Freund-Spasti auszusprechen?! Immerhin waren sie fünf Jahre zusammengewesen, sie hatten hier so lange zu zweit gewohnt und Michael hatte gedacht, er würde den Rest seines Lebens mit diesem Mann zu verbringen… Und dieser Mann war anders. Dieser Mann passte an die Seite Michaels. Dieser Mann war reifer und älter und besaß etwas mit Michael, was Jade nicht tat: eine gemeinsame Vergangenheit.
 

„Scheiße!“, fluchte er, als er sich in die Küche zurückschleppte und versuchte sein Ärger zu verdrängen, den Schweinkram zu beseitigen und die Pizza irgendwie schmackhaft zu gestalten. Auch wenn ihm persönlich der Appetit vergangen war.
 

Sein Herz machte einen unangenehmen Sprung, löste ein schmerzhaftes Stechen in seiner Brust aus, als Michael in seinem dunkel grauen Anzug auf ihn zutrat, ihm dieses bezaubernde Lächeln schenkte und ihm einen warmen und vorsichtigen Kuss auf die Nase hauchte.
 

„Na, mein Süßer, was hast du denn gezaubert?“, fragte er ihn, als er in die Küche starrte und den gedeckten Tisch begutachtete.
 

Nein, er konnte es ihm nicht sagen. Nicht, wenn diese Augen so leuchteten. Nicht, wenn ihm das Essen so gut schmeckte.
 

„Das ist wirklich niedlich von dir“, sagte er, als er das letzte, leicht verbrannte Stück Pizza aufaß und einen Schluck Wasser zu sich nahm. Jade lächelte leicht. Gott, er hasste dieses Gefühl, welches sich in ihm breit machte. Er war ein Arschloch. Ein eifersüchtiges, dummes Arschloch.
 

Auch als sie auf dem Sofa saßen und Michaels Küsse immer fordernder wurden, wollte sich dieses unangenehme Gefühl der Schuld und Last nicht verabschieden. Verdammt, und Michael war grad so unheimlich heiß…!
 

„Ist was, Süßer?“, flüsterte der Ältere und hielt mit seinen Bewegungen inne. Jade konnte ihn nicht ansehen, starrte auf den Bildschirm, während er Michaels Gewicht deutlich auf seinem Körper ruhend spüren konnte. Er seufzte.
 

„Ich bin irgendwie wohl zu müde für so was grad…“, murmelte er. Michael gab ihm einen leichten Kuss auf die Stirn und setzte sich auf.
 

„Das macht nichts. Wir sollten eh bald ins Bett gehen“, sagte er sanft.
 

Doch Jade war gar nicht müde. Und er lag noch stundenlang wach neben seinem Freund. Mit einem schlechten Gewissen. Welches die kommenden Tage auch nicht verschwand. Es schwächte vielleicht leicht ab, wurde in den Hintergrund gedrängt, denn schließlich durfte er den Besuch bei Michis Eltern nicht versauen…
 

MICHAEL
 

Es war immer wieder ein schönes Gefühl ins Elternhaus einzukehren und den Duft einzusaugen, der ihn an seine Kindheit erinnerte, durch das Gebäude zu streifen, welches abseits der Stadt lag. Fast zwei Stunden waren sie unterwegs gewesen. Doch es war eine angenehme Fahrt gewesen, die sie ins Grüne gebracht hatte. Und nun roch es nach Blumen und Heu und von Verkehr war nichts zu hören. Ja, es war eine gemütlich Stille, die sie umgab als sie auf der großen Terrasse des umgebauten Bauernhauses Kaffee tranken und etliche Sorten Kuchen probierten.
 

Sebastian sah fantastisch aus. Er trug eine etwas weitere, pechschwarze Hose in der sein knackiger Hintern dennoch zur Geltung kam und dazu ein enganliegendes, weißes T-Shirt. Er hatte neue, schwarz-weiße Sneaker an und seine Haare zu einem losen Zopf gebunden. Am liebsten hätte Michael sich sofort auf ihn gestürzt… Ja, der Junge schaffte es immer noch in völlig aus dem Konzept zu bringen!
 

„Oh Gott, ich liebe diesen Kuchen!“, sagte der Schwarzhaarige, nachdem er das wohl fünfte Stück davon verputzt hatte.
 

„Das freut mich, ist mein eigenes Käsekuchenrezept! Micha kann den mittlerweile auch ganz gut backen“, entgegnete seine Mutter strahlend.
 

„Das werde ich mir merken und sicherlich schamlos auszunutzen“, entgegnete Sebastian grinsend. Die beiden schienen sich wirklich gut zu verstehen. Sie redeten über Kaffeesorten und Kekse und Sebastian erzählte von den witzigsten Kombinationen, die seine Kunden bestellten.
 

Michaels Vater gesellte sich kurz dazu, präsentierte sich in seinem grünen Schützenaufzug und salutierte ihnen zum Abschied.
 

„Ich warte dann auf euch im Zelt, nech!“, sagte er frech und schon war er weg.
 

Und eine Stunde später war das gut besuchte Fest schon richtig gut im Gange. Der Aufzug dauerte nicht lang, jedenfalls kam es Michael nicht lang vor. Die Sonne strahlte, um ihn herum klatschen Menschen, Jung und Alt, und er hatte seinen rechten Arm um Sebastian gelegt, den linken um seine Mutter. Ab und an wurden sie mit etlichen, bunten Bon-Bons von den vorbeiziehen Wagen aus beworfen, aber das war auszuhalten und sogar ziemlich witzig.
 

„Gott, ich muss ich echt was saufen, sonst halte ich das nicht aus“, bemerkte Sebastian lachend als sie sich im gefüllten Zelt umsahen, in dem bereits eines der zahlreichen Blasorchester die Standardlieder spielte, zu denen Senioren und viele kleine Kinder tanzten. Es war stickig, laut und eigentlich kaum auszuhalten, wäre Michael nicht so unheimlich glücklich.
 

„Ich hole uns eine Runde Bier, Süßer! Und für dich ein Wasser, Mama?“, fragte er, als sie auf den von Rolf freigehaltenen Stühlen an dem langen Tisch Platz nahmen.
 

„Ich trinke auch ein Bier, sag mal, was denkst du denn bitte?!“, keifte sie ihn gespielt an und Sebastian musste die ganze Zeit über grinsen.
 

Wie viel Bier sie im Nachhinein tatsächlich getrunken hatte, wusste er nicht. Das Versprechen mit der Bierschale hatte er gehalten und sich dabei ziemlich eingesaut. Und hätte ihn das wahrscheinlich in der Vergangenheit gestört, so konnte er nun nur darüber lachen. Sie machten bei der Polonaise mit, sie aßen Zuckerwatte, sie hörten sich Geschichten über alte Zeiten an und Michael hätte schwören können, dass Sebastian diesen Tag genoss.
 

Als sie am Abend mit dem Taxi im Haus ankamen, musste er den Schwarzhaarigen, der wahrscheinlich noch mehr getrunken hatte als er selbst, unter die Dusche schleppen. Sebastian kicherte die ganze Zeit, während Michael ihn auszog.
 

„Willst du nicht mit, Hase?“, neckte er und rieb seinen entblößten Körper an dem des Älteren. „Hm?“ Der Alkohol erfüllte scheinbar seine Aufgabe, denn der Blonde konnte eigentlich nur dümmlich vor sich hingrinsen, als die Finger seines Freundes sich daran machten, die störende Kleidung aus dem Weg zu schaffen.
 

„Süßer… Wir können nicht… Unter der Dusche… Wir sind… Bei meinen Eltern…“, presste er zwischendurch heraus, in den Momenten, in denen Sebastians Lippen nicht auf den seinigen lagen und seine Zunge in ein wildes Spiel verwickelten.
 

„Oh doch…“, brachte der Schwarzhaarige kichernd heraus. „Wir können…“
 

Und sie konnten, wollten und taten es auch.
 

Und am nächsten Morgen beim gemeinsamen Frühstück, bei dem Sebastian und Rolf eigentlich nur Aspirin zu sich nahmen, meinte Michael ganz rot im Gesicht zu sein, denn er fragte sich, ob seine Eltern die Schreie seines Freundes wohl mitbekommen hatten… Doch sie sagten nichts. Lächelten nur und ermahnten die beiden sie schon bald wieder zu besuchen.
 

Als die beiden Männer im Auto saßen fragte Michael: „Hat es dir gefallen?“
 

Und Sebastian sah ihn lächelnd an und nickte.
 

SEBASTIAN/JADE
 

Es war wirklich die richtige Entscheidung gewesen auf dieses dämliche Schützenfest zu gehen und sich unter die besoffenen Senioren zu mischen. Michis Eltern waren perfekt! Sie waren witzig und offen und überaus sympathisch. So wie Michael sie auch beschrieben hatte. Er lächelte immer noch, als sie schon eine Stunde unterwegs waren. Gott sei Dank hatte er heute seinen freien Tag. Mit diesem dröhnenden Schädel hätte er wirklich nichts auf die Reihe bekommen!
 

Endlich waren sie da. Er brauchte dringend mehr Schlaf. Und etwas Warmes zu Essen.
 

„Kochst du uns gleich etwas, Hase?“, fragte er, während der Fahrstuhl sie nach oben beförderte.
 

„Klar. Wenn du mir assistierst“, antwortete Michael grinsend.
 

„Ich werd’s versuchen.“
 

Als sie sich der Haustür näherten, erkannten sie, dass dort jemand bereits auf sie wartete. Ein hochgewachsener Mann in einem hellen Anzug stand dort. Als er sie wahrnahm, drehte er sich um. Seine Augen blieben kurz an Jade haften. Und dann starrte er Michael an, mit einem nicht zu deutenden Gesichtsausdruck. Freude, Verwunderung, Angst, Überraschung, Trauer?
 

Michael blieb wie angewurzelt stehen. „Tim!“, brachte er heraus.
 

Oh, Scheiße!
 

„Was machst du denn hier?“, fragte der Blonde seinen Ex-Freund und ging ein wenig auf ihn zu. Nun war es Jade, der wie versteinert stehenblieb und die Szene aus dieser möglichen Distanz betrachtete. Er konnte alles genau hören.
 

„Hast du… Meine Email gar nicht bekommen? Ich hab dir vor einigen Tagen auch auf den AB gesprochen und versucht dich gestern über dein Handy zu erreichen“, sagte Tim und lächelte gequält. Michael blinzelte.
 

„Email? AB?“, wiederholte er leicht ungläubig.
 

„Ja… Hast du… Ich wollte mit dir reden und nicht… unbedingt unangemeldet auftauchen. Dafür ist es jetzt wohl zu spät.“
 

Stille trat ein und die beiden älteren Männer musterten sich eine Weile lang. Und dann drehte sich Michael ganz langsam herum und seine Augen, dieser kalte Blick legte sich auf Jade.
 

„Sebastian?“, fragte er. „Hast du… vielleicht…?“ Wow, Michael konnte einen wirklich wie ein strenger Lehrer anvisieren. Ein Lehrer, der alles wusste. Der ihn wie ein offenes Buch lesen konnte. Der Blonde lies die Schultern leicht sacken und trat einen Schritt auf seinen Freund zu. „Sebastian… Was bedeutet diese Stille?“, brachte er leicht bissig heraus.
 

„Es tut mir Leid! Das war dumm! Ich… Ich hab die Nachrichten gelöscht. Die Email aus Versehen und dann, naja, diese AB-Nachricht, ach, keine Ahnung. Ich hatte Angst oder so. Ich wollte es dir auch noch sagen, aber…“
 

Michael schüttelte den Kopf wie in Zeitlupe. „Ich fasse es nicht…“, murmelte er. „Ich fasse es nicht!“ Seine Stimme wurde lauter.
 

Jade konnte das Zittern, welches sich durch seinen gesamten Körper überkam, nicht mehr zurückhalten. Auch dieses fiese Stechen in seinem Herzen war nicht abzustellen.
 

„Michi, ich-“, setzte er an, doch der Blonde fiel ihm ins Wort.
 

„Wieso hast du die Nachrichten gelöscht, wie blöd kann man denn sein?!“, herrschte er ihn an. Jade hatte seinen Freund schon lange nicht mehr so wütend erlebt. Momentan erinnerte ihn die Situation an den Ausraster Michaels im Starbucks damals. Oder als er nach ihrer ersten Nacht aufgewacht war… Der Schwarzhaarige schluckte.
 

„Wie wäre es, wenn wir einfach reingehen und das alles ausdiskutieren?“, mischte Tim sich vorsichtig, mit sanfter Stimme ein und versuchte zu lächelnd. Doch Michael schnaubte nur, schien diese Bemerkung gar nicht wahrzunehmen.
 

„Hast du dir tatsächlich meine Emails durchgelesen?“, fuhr er Jade wieder an. „Sag mal, ich hab dir vertraut! Und dann mischst du dich so in meine Privatsphäre ein und dann sagst du es mir noch nicht einmal! Mein Gott! Sebastian!“
 

Jade war sich sicher, so laut hatte Michael noch nie gebrüllt. Und sie standen mitten im Treppenhaus.
 

„Micha, komm“, ertönte die ruhige Stimme Tims und er bedeutet seinem Ex-Freund die Haustür aufzuschließen. Das Herz des Baristas blieb beinahe stehen, als Michael ihm diesem vernichtenden, kalten und bösartigen Blick zuwarf und ihm dann den Rücken zukehrte, zu Tim marschierte…
 

Noch bevor der Blonde die Tür aufschließen konnte, rannte Jade bereits die Treppen herunter. So hastig, dass er gar nicht wahrnahm, dass er bereits in seinem weißen Golf saß und sich unfallfrei nach Hause kutschierte. Torsten war Gott sei Dank nicht anwesend und Brummer döste vor sich hin.
 

Mein Gott, er war so ein IDIOT!

Fuck!
 

Frustriert warf er sich auf sein Bett.

Er hatte versagt.

Durch eine dämliche Kleinigkeit.

Aber der Blick Michaels eben hatte alles gesagt, was es noch zu sagen gab.

Scher dich aus meinem Leben.

Ja, das hatte dieser Blick gesagt.
 

Der junge Mann vergrub sein Gesicht in dem Kissen und schluckte seine Tränen herunter.
 

Wieso hatte er nicht einfach direkt nach der Email den Mund aufgemacht und über seine Ängste gesprochen?! Micheal hatte doch selbst gesagt, dass sie über alles reden sollen. Alles! Und was machte er? Nur Bullshit. Er seufzte. Um die Tränen zurückzuhalten, war es jetzt eh zu spät, also ließ er sie einfach laufen und starrte sinnlos die Decke an.
 

Auch eine Stunde später verharrte er immer noch in dieser Position, als er die Wohnungstür hörte. Torsten war wieder da und Jades Tränen bereits vertrocknet. Nur noch seine geröteten Augen zeugten von seinem Weinen. Er erschrak leicht, als es plötzlich an seiner Tür klopfte.
 

„Nicht jetzt!“, presste er heraus und schloss die Augen. Doch natürlich wurde seine Zimmertür geöffnet. Er seufzte genervt und sprang auf.
 

„Torsten, du Wichser, du-“, rief er aus und kam nicht weiter, denn vor ihm stand gar nicht sein Mitbewohner, sondern sein Freund. „Michael, wie bist du denn… reingekommen?“, brachte er heraus und ließ sich kraftlos auf sein Bett nieder. Der Blonde nahm seine Augen nicht von ihm und schloss leise die Tür zu. Immer noch strafte er Jade mit diesem kalten Blick und der Schwarzhaarige hatte eine leise Vermutung, was gleich kommen würde…
 

„Torsten hat mich reingelassen“, erklärte Michael kalt und dann starrten sie sich fast eine ganze Minute wortlos an. Der Journalist seufzte. „Weißt du“, setzte er an. „Am liebsten würde ich dir so richtig eine Scheuern.“
 

War es die Verzweiflung, die Wut oder die Hilflosigkeit, die Jade wie eine Katze aufspringen ließ?
 

„Dann tu es doch!“, brüllte er und ignorierte die einzelnen Tränen, die über seine Wangen herunter liefen. „Verpass mir eine und dann sag mir einfach, dass ich mich aus deinem Leben verpissen soll. Na los!“
 

Michael starte ihn fassungslos an. Die Kälte seines Blickes hatte sich gänzlich verabschiedet, als wäre das Eis geschmolzen, als wäre nur noch eine kleine Pfütze übrig. Entschlossen ging er dann einen Schritt auf den Schwarzhaarigen zu, der instinktiv die Augen schloss und seinen Schlag ins Gesicht erwartete. Doch er kam nicht. An seiner Stelle schlangen sich zwei feste Arme um seinen Körper und drückten ihn an Michael. Die Hand des Blonden strich behutsam durch die schwarze Mähne und sein Mund war ganz nah an Jades Ohr.
 

„Du kleiner Idiot“, flüsterte der Ältere mit sanfter Stimme. „Verstehst du denn nicht, dass ich dich liebe?“
 

Jade erstarrte.

Was?

Michael ließ ihn nicht los.
 

„Du hattest Angst, dass ich zurück zu Tim gehe, das weiß ich. Aber Tim wollte die Sache nur bereinigen, sich entschuldigen. Mehr nicht. Er will nicht mit mir zusammen sein und ich nicht mit ihm. Weil ich dich liebe, Sebastian“, sagte er.
 

Sie verharrten in ihrer Umarmung.

Verschmolzen in einem intensiven Kuss.
 

„Ich dich auch.“
 


 

----------------------------------------> "WARNUNG": Morgen kommt der Epilog! Oder heute Abend! Oder Samstag xD Je nachdem, wie schnell ich ihn fertigbekomme. Muss noch für die letzte Klausur büffeln :C

Vielen Dank für alle Reviews bisher :) :) :) Und für all die Favos ^^ Und überhaupt fürs Lesen!



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  jyorie
2014-05-19T04:43:16+00:00 19.05.2014 06:43
Hey (ノ´ヮ´)ノ*:・゚✧

*schmunzelt* das war lustig, wie der Praktikantin
am letzten Tag die Kinnlade runter gefallen ist, weil
sie Sebastion wohl nicht auf ein Bier einladen kann,
weil sein Fester Freund etwas dagegen haben könnte.
*ggg*

Ein schönes Beispiel dafür, das Michael sich auch
verändert hat, aber ich denke das Jade einfach auch
so einnehmend ist, das er das bewirken kann und mit
seiner großen Klappte und dem jugendlichen Leichtsinn
er trotzig genug ist, auf etwas zu behaaren – eben anders
als Tim, der den Schwanz eingezogen hat und sie beide
aufgegeben.

Der Besuch bei den Eltern war auch schön, schade das
nach so einem gutgelaufenen Tag dann da ein Überraschungs-
gast vor der Tür hockt. War eigentlich klar, das Michael sich
verraten und verletzt fühl, wenn er hört, das Jade die Nachrichten
gelöscht hat und er hat es ja noch nicht mal erklärt, wie es passiert
ist und das es ausversehen war.

Aber durch die Art wie ihm Jade begegnet ist und das er durch die
Wut auf sich seine eigentliche Angst herausgebrüllt hat, als Michael
zu ihm heim kam, hat er wohl das ganze Ausmaß überblickt und der
Kleine ihm einfach nur noch leid getan. Schön das sie sich so schnell
wieder vertragen haben und du kein Chliffhänger aus der Szene ge-
macht hast.

CuCu Jyorie

Von:  Tali
2009-07-24T08:36:33+00:00 24.07.2009 10:36
Sööööööön~!
Mich hat ihm seine Libe gestanden.... ^////^
hach.. ist das toll!
Von:  saspi
2009-07-23T19:41:12+00:00 23.07.2009 21:41
Hey!!!
Super kappi!!! Bitte schreib schnell weiter!
Bin schon neugierig wie 's weitergeht!!!
nun ist es passiert. aber das er dann auch noch die Ab löscht. tztztz
Freu mich aufs nächste kappi.
Bye



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