Auf den Klippen
Seto stand an dem großen Panoramafenster und nippte an seinem Drink. Er hatte Joey noch immer nicht erreichen können, bekam keine Reaktion auf die Sms und auch die Nachrichten auf der Mailbox und dem Anrufbeantworter blieben unbeantwortet.
Seufzend fuhr er sich durch sein, mittlerweile ziemlich verstruppeltes Haar. Sein Blick fiel wieder auf den leeren Strand und das weite Meer. Er wusste nicht, was er noch tun sollte.
Leicht frustriert wendet er sich ab um sich einen neuen Drink zu holen. Doch mitten in der Bewegung stockte er. Hatte er sich getäuscht oder war da wirklich einen kleinen Lichtschein auf den Klippen? Doch auch beim genaueren Hinsehen konnte er den kleinen, schwachen Fleck hoch auf der Steilwand erkennen. Ein kleiner Hoffnungsschimmer keimte ihn ihm auf. Schnell war er an Schrank und kramte Mokubas Fernglas hervor. Mit schnellen Schritten war er zurück am Fenster und schaute erneut zu der Steilküste. Was er da sah, ließ im einen Stein vom Herz fallen. Da saß doch tatsächlich der Blondschopf. Sichtlich erleichtert, den Blonden doch endlich gefunden zu haben, legte er das Fernglas zurück. Er würde zu ihm gehen, und das jetzt gleich.
Schnell war Seto an der Garderobe, zog sich warme Stiefel und seinen wintertauglichen Mantel an. Als er die Haustür hinter sich zu ziehen wollte, lächelte er leicht. Er hatte da noch eine Idee. Schnell ging er noch mal zurück ins Haus und kam zehn Minuten später mit einem gepacktem Rucksack zurück.
Seto kannte den kleinen Pfad gut. Wie oft war er selbst hier hochgestiegen um dort oben Ruhe und Zeit zum Nachdenken zu haben. Diesen Ort kannte kaum einer außer ihm. Und doch hatte das Hündchen den Weg dahin gefunden. Nach einigen Minuten hatte er Joey fast erreicht.
Das Häufchen Elend das dort auf dem altem Baumstamm saß, ließ ihn noch mal kurz inne halten. Seto seufzte, es war hart für ihn den Blonden so zusehen, am liebsten würde er ihn fest in die Arme nehmen und nie wieder los gelassen. In solch einem Zustand wollte er Joey nie wieder sehen und doch war es wieder passiert.
Langsam ging er zu den Blonden, blieb neben ihm stehen und folgte Joeys Blick in die Weite der See.
Joey schaute zu Seto auf. Kurz traffen sich ihre Blicke. Verletztheit traf auf Verständnis. Er senkte den Blick wieder und griff nach einem Rucksack. Kurz wühlte er darin herum und drehte sich, mit einem Bier in der Hand, zu Seto und reichte ihm die Flasche. Sie wurde schweigend in Empfang genommen, während der Braunhaarige sich ebenfalls auf dem Baumstamm nieder ließ. Auch der Blondschopf holte sich eine neue Flasche, öffnete sie und stieß mit Seto an.
“Auf das Leben und die Erkenntnisse die es mit sich bringt.” brachte er bitter den Trinkspruch hervor und nahm den ersten Schluck.
Seto nickte nur, trank auch ein paar Schluck und schaute wieder mit Joey hinaus auf die See.
Viel erkennen konnte man nicht mehr, das letzte Licht des Tages hatte den Kampf mit Dunkelheit der Nacht verloren. Das Meer lag nun fast schwarz vor ihnen, der Himmel setzte sich lediglich durch etwas mehr Helligkeit und einigen Sternen ab. Eine kalte Brise wehte von der See herüber und ließ Seto leicht frösteln. Immer hin war es Januar und die Temperaturen waren nicht weit vom Nullpunkt entfernt. Geschneit hatte es diesen Winter noch nicht, nur ein paar Flocken mischten sich gelegentlich unter den Regen. Alles lag im tristen Braun und längst verblassten Grüntönen. Die weiße Decke des Winters, welche den Schmutz bedeckte und eine friedvolle und heile Welt vorgaukelte, hatte sich noch nicht über Domino gelegt.
Joey seufzte tief. “Seto?”
“Hm?” Angesprochener hielt mit seinen Gedanken innen und wendete sich dem Blonden zu.
“Warum kann man mich nicht mögen? … Bin ich so ein schlechter Mensch, dass ich nicht wenigstens das verdient habe?”
Seto wurde das Herz schwer, genau davor hatte er Angst gehabt. Joey war am zerbrechen.
Sanft legte er ihm einen Arm um die Schulter, hoffte ihm somit etwas Halt zu geben. “Warum glaubst du, dass die keiner mag? … Nur weil der Kindergarten zu beschränkt ist um deinen Wert zu erkennen und sich von der Meinung anderer beeinflussen lässt?”
Joey kuschelte sich etwas an Seto’s Schulter. Stumme Tränen liefen ihm über die Wangen und tropften lautlos zu Boden.
Wert? Was sollte er schon für ein Wert haben. Keiner hatte ihn gewollt.
“Nenn mir einen.”
Es war nur ein Flüstern was an Seto’s Ohr dran.
“Noch nicht mal meine Mutter hat mich gewollt. Warum auch immer. Sie hat mich bei dem Alten gelassen, sich meine Schwester geschnappt und ist auf und davon. Ich weiß ja nicht einmal ob die Zwei überhaupt noch leben. Aus den Augen, aus dem Sinn hat sie sich damals bestimmt gedacht und weg war sie.”
Seto drückte ihn leichten an sich.
“Und zu meinem liebevollen Vater muss ich ja wohl nichts sagen, oder? Ach ja, dann sind da ja noch die besten Freunde der Welt!” Die Ironie in seine Worten war überdeutlich raus zuhören. “Ich hab diese ganzen Heuchler satt! Wenn sie was von mir wollten oder sie Hilfe brauchten, war ich gut genug … War es denn zu viel verlang mit mir zu feiern? Ich hab doch alles so schön vorbereitet. Das Wohnzimmer ist geschmückt und zu trinken ist reichlich da. An dem Essen fürs Buffet hab ich seit Gestern gearbeitet und reichen würde es wahrscheinlich für zehn. Weißt du eigentlich wie viele Autos ich schruppen musste um das alles zu bezahlen?” Mit diesen Worten richtete sich der Blondschopf wieder etwas auf und nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Flasche. “Ich hab’s satt …ich kann das alles nicht mehr… ich will nicht mehr.”
Seto blieb das Herz stehen. Schnell zog er Joey zurück in seinen Arm und hielt ihn fest.
“Sag so etwas nie wieder, verstanden!” Dafür könnte er den Kindergarten umbringen. Was hatten sie nur aus Joey bemacht. “Hast du auch mal an Duke oder Mokuba gedacht? Oder vielleicht auch mal mich? Wir würden dich vermissen … und ich glaube Bakura wollte wirklich zu dir kommen. Wahrscheinlich war er der einzige wirkliche Freund in dieser Bande.”
“Du … du würdest mich vermissen? … Wirklich?” Ungläubig blickten er Seto an.
Dieser lächelte ihn an. “Ja, ich würde dich wirklich vermissen. Sehr sogar.”
Joey brachte auch ein kleines Lächeln zustande und kuschelte sich wieder an Seto. Beide saßen nun wieder stumm nebeneinander und blickten erneut in die Finsternis vor ihnen.
Eine weiße Flocke tänzelte, vor dem schwarzen Hintergrund an Joeys Augen vorbei. Es war nicht so eine kleinen, die sich unter den Regen geschummelt hatten. Nein. Diese hier war groß und flauschig, als sei sie einem Bilderbuch entkommen und machte sich auf eine Reise durch die Nacht um der Welt den Winter zu bringen.
Der blonde Schopf fuhr schnell in die Höhe und braune Augen schauten suchend in den nachtschwarzen Himmel über ihnen. Und tatsächlich dort oben kamen noch mehr. Flocke für Flocke schwebte von den Wolken herab. Erst wenige, doch mit der Zeit war es schon ein ansehnliches Schneegestöber geworden. Joey lächelte, schloss die Augen und lies die Flocken über sein Gesicht tänzeln. So lange hatte er darauf warten müsse und jetzt, an so einem Tag, kam endlich der lang ersehnte Schnee. Er konnte es nicht richtig erklären, aber er war vernarrt in dieses weiße, fluffige Zeug. Schon als kleines Kind konnte man ihn kaum aus dem Schnee bekommen.
Froh über die nun doch etwas bessere Stimmung des Blondschopfes betrachtete sich Seto das Schauspiel. Joey und der Schnee, ein ewiges Mysterium.
Nur leider bestand Schnee nun mal aus Wasser, welches sich zunehmend den Weg durch ihre Kleidung suchte. Wenn sie hier noch lange saßen, sollten sie sich über eine Erkältung nicht wundern. Ihm selbst war schon mächtig kalt und Joey war nun doch schon etwas länger draußen unterwegs gewesen als er.
Langsam erhob er sich und reichte Joey die Hand. Jener blickte in leicht verwirrt an, um dann den Kopf fragend zur Seite zu legen.
“Komm ich möchte dir was zeigen” War die Antwort auf sein ratloses Gesicht. Er zögerte kurz, stand dann doch auf, schnappe sich seinen Rucksack und ergriff Seto’s Hand. Jener nahm noch die kleine Laterne mit und führe Joey den Pfad wieder ein Stück hinab. Es war höchste Zeit das Joey aus der Kälte herauskam, wie ihm die eisige Hand des Blondschopfes in seiner bewies.
Bei dem kleinem Fels am Weg bog er ab und schlängelte sich mit Joey durch das Gestrüpp. Er gab die Laternen seinem Hintermann, damit er nicht stürzte und führende ihn weiter zu einer Felswand. Sie war nicht ganz so hoch, nur etwa acht Meter, doch es war nicht die Höhe die Joey Aufmerksamkeit auf sich zog. Dort mitten im Fels konnte er, im schwachen Licht der Laterne eine kleine Eisentür erkennen und Seto steuerte genau darauf zu. Neugierig besah sich der Blondschopf die kleine Pforte, währen Seto in seinen Taschen kramte um schließlich einen kleinen Schlüsselbund hervor zu ziehen.
Joey hielt ihm die Laterne hin, je schneller Seto fündig wurde desto schneller konnte er seine Neugierde befriedigen.
Seto musste leicht schmunzeln, als er sah wie zappelig das Hündchen nun wieder war.
Endlich hatte er denn richtigen Schlüssel gefunden und schloss aus. Ließ den Bund wieder zurück in seine Tasche gleiten und zog die etwas widerspenstige Tür auf.
Joey stellte sich auf die Zehenspitzen um ihm über die Schulter zu schauen. Doch was er sah war nun wirklich nicht viel. Dunkelheit. Seto trat einen Schritt zu Seite und ließ ihn sich alles genauestens anschauen. Skeptisch blickte Joey von Seto zu der Öffnung und wieder zurück. Doch dann musste er grinsen.
“Verschleppt der böse Drache das arme Hündchen jetzt in seine Höhle?”
Seto konnte sich ein Lachen nicht mehr verkneifen. Fies grinste er ihn an.
“Lieber verschleppt als gefressen, oder?” mit diesen Worten zog er den Blondschopf in die Dunkelheit.