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The Hellman

The new Messiah
von

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Der Mann aus der Hölle

Der Tag war so anstrengend gewesen, wie der Tag davor, worüber er sich glücklich schätzte, denn eine weitere Steigerung des Schwierigkeitsgrades hätte er nicht mehr ertragen. Zwar dachte er das täglich, doch irgendwann musste es auch ein Ende geben. Täglich hieß es schwerere Gewichte zu stemmen, täglich längere Routen zu rennen, täglich mehr Blitze abzuwehren, täglich mehr Kampf-Dummies zu töten. Der mathematische Unendlichkeitsbegriff hatte ihn immer überfordert, aber nun glaubte langsam er diese begreifen zu können.

Er warf sich auf sein Wolkenbett, das er mittlerweile als nicht mehr weicher als ein normales Bett empfand.

Allgemein zusammengefasst, konnte man sagen, er habe sich schon an die Wahrnehmung in dieser Sphäre gewöhnt.

Ihm war gar nicht aufgefallen, dass er sich auf ein Kuvert gelegt hatte – nachdem er es gehörig zerknittert hatte, zog er es unter seinem Rücken hervor.

Das Kuvert war schwarz. In goldenen Lettern war dick und verschnörkelt war Wort PRÜFUNGSAUFGABE als Relief zu sehen.

Er grinste vor sich hin. Endlich waren die fünf Jahre um! Und er dachte, dass dieser Zeitraum niemals vergehen würde. Doch alles hat ein Ende. Und in einem Kreislauf befand er sich zum Glück nicht.

Kichernd öffnete er es und zog das ebenfalls schwarze Papier heraus. Auch darauf war die Schrift golden, und geschrieben von (er konnte es nicht fassen) Lilliths Hand, doch der Wortlaut erinnerte eher an Erik dem Roten:
 

Schnell ist die Zeit vergangen und aus dem unbeholfenen Jüngling ohne Kenntnis seiner Kräfte und seines Talents wurde ein fähiger Krieger, der zum Aufstieg in den nächsten Rang des Militärs als würdig zu sehen ist. Nun liegt es aber an dir zu beweisen, dass du würdig bist und das Gelernte auch einsetzen kannst. Und dazu musst einen Auftrag in der Welt der Lebenden meistern.

Die Aufgabenstellung ist im Beilegenden Zettel formuliert.

Wenn du dich bereit siehst, sprich die Worte „Ascendo ad Terram“ und du wirst dich in wenigen Sekunden an dem Ort befinden, wo du einst aus dem Leben geschieden bist.

Wir erwarten von dir ein erfolgreiches Ergebnis und ein baldiges Wiedersehen.

Gezeichnet, Lillith und Erik der Rote
 

Aufgabe: MORD

Opfer: LIAM CHRISTOPHER WARRICK

Klassifizierung: MENSCH

Alter: 24

Aufenthaltsort: USA, KEIN BESTIMMTER WOHNSITZ, KEIN BESTIMMTER AKTIONSBEREICH

Begründung: MENSCH, DER OHNE TALENT ZU PARANORMALEN FÄHIGKEITEN ZUR WELT KAM UND SICH AUCH KEINE UNNATÜRLICH ANEIGNETE– HATTE SCHON IN SEINER KINDHEIT MEHRFACH KOTAKT MIT DÄMONEN, VAMPIREN, ENGELN UND ANDEREN PARANORMALEN WESEN – HOLTE SICH AUS UNBEKANNTEN QUELLEN KENNTNISSE ÜBER DIE EXISTENZ VON HIMMEL UND HIMMEL – MISSINTERPRETATION DER QUELLEN – SIEHT SICH NUN ALS „KÄMPFER GEGEN DIE PARANORMALE ÜBERMACHT“, WIE ER ES SELBST BEZEICHNET – MITTELS PARANORMALER WAFFEN, DIE ER SEINEN OPFERN ABNIMMT, TÖTETE ER OFT UNGERECHTFERTIG MEHRERE UNSERER ART UND HAT VOR DIESER TÄTIGKEIT NOCH LÄNGER NACHZUEGEHN

Mindestzeit: UNBEGRENZT

Höchstzeit: 2 JAHRE

Erlaubte Mittel: KÖRPEREIGENE KRÄFTE, UNBEGRENZT, SOLANGE DIE VORBEHALTE BEACHTET WERDEN – DAS SCHWERT „DISCORDIA“ – DIE 10MM AUTO PISTOLENPATRONE „ERIS“

Gestattet: SOZIALE KONTAKTE, AUCH MIT DER GEGENSEITE – GELEGENHEITSBERUFE – NENNUNG DES WIRKLICHEN NAMENS, DA UNAUFFÄLLIG

Vorbehalte: PARANORMALE FÄHIGKEITEN DÜRFEN NICHT FÜR MENSCHEN ERKENNTLICH SEIN – DIE GEGENSEITE DARF NICHT ERFAHREN, DASS SIE ES MIT DEM MESSIAS ZU TUN HABEN

Unterschrift: JOSHUA NAZARA
 

„Ascedo ad Terram“, sagte er erst drei Tage später. Er wollte nicht, aber irgendwann musste er bereit sein...
 

Manchmal denkt man, man hätte schon alles gesehen, doch dann machen einem die eigenen Träume einen Strich durch die Rechnung.

Der Anblick einer Kreatur hatte ihn noch nie so in Panik versetzt, dabei hatte er in seinem fast 500 Jahre dauernden Leben schon einige Monster aus der Hölle, der Erde und des Himmels gesehen. Doch, hätte diese Kreatur existiert, wäre sie aus keiner der drei Sphären gekommen, dazu war seine Aura zu surreal – es stammte aus einer anderen Welt. Einer unbegreiflichen Welt, die man nicht verstehen konnte, wenn man nicht wahnsinnig war.

Dabei konnte er nicht einmal sagen, was an dieser Kreatur so angsteinflößend war. Er konnte nicht sagen, wie es aussah, sah es irgendwie nicht einmal. Er konnte nicht sagen, was es tat, ob es etwas tat, ob es ihm etwas antun wollte.

Er spürte es nur. Er spürte, wie es ihn anglotzte, er spürte wie es auf ihn näher kam, er spürte wie es nach ihm greifen wollte. Er spürte, wie es etwas sagte, doch diese Stimme, wenn man dieses Dröhnen überhaupt als Stimme bezeichnen konnte, platzte ihm halb den Kopf zum Platzen.

Gegen seinen Willen musste er schreien, als wenn man ihm einen Speer durch die Brust gebohrt hätte.

Jonathan Letherman riss die Augen auf. Schweißgebadet setzte er sich in seinem Bett auf. Sein Atem ging schwer, mit einer Hand hielt er sich die Stirn, mit der anderen, krallte er sich in die Bettdecke.

Seine Frau schlief neben ihm. Wie immer lag sie auf dem Rücken, die Decke bis über die Brust gezogen und die Hände an der Luft beim Bauch verschränkt. Ihr Atmen war fast unbemerkbar.

Er hasste es sie zu wecken, da dies sehr schmerzhaft enden konnte. Dennoch tippte er sie an, die Panik wegen diesem Alptraum saß noch immer so tief in seinen Knochen, dass er nun jemanden zum Reden brauchte.

Nach der kurzen Berührung öffnete Toraria Letherman sofort die Augen und schaute Jonathan direkt in die Augen.

„Tut leid, Tori, aber ich hatte gerade einen Scheiß-Traum.“ Sie blinzelte. „Du auch?“ Es kam oft vor, dass Ehepaare unterschiedlicher paranormaler Art die gleichen Träume hatten. Warum, wusste nicht einmal ihr Boss. Tori aber verzog keine Mine, was ein nein bedeutete.

Jonathan schnaufte. Sein Körper war so von Schweiß bedeckt, dass er sich vor sich selbst ekelte. Selbst wenn er wieder einschlafen wollte, würde er mit diesem klebrigen Körper nicht einschlagen können. „Ich geh kurz duschen“, gab er bescheid und stand auf.

Toraria reagierte, indem sie ihre grünen Augen auf die Decke richtete. Sie beschloss jetzt noch nicht wieder einzuschlafen, sie wollte warten, bis ihr Ehemann zurückkam.

Duschen half gegen viel, nicht nur gegen Schmutz. Jonathan konnte sich auch damit einige Probleme quasi von der Seele spülen.

Das Haus, in dem die beiden wohnten, war keine Villa, aber größer als ein Einfamilienhaus. Es hatte zwei Stöcke, mit je fünf Zimmern. Als die beiden ihr Heim eingerichtet hatten, wurden die Verantwortung Zimmer gerecht aufgeteilt. Dementsprechend war eine Hälfte, wie es Toris Art war, steril und dunkel eingerichtet, während die andere Hälfte, wie es Jonathans Art eben war, farbenfroh war und vor Schnickschnack überging. Von moderner Einrichtung konnte nicht die Rede sein. Dazu kam noch ein Raum, an dem die paranormalen Utensilien aufbewahrt waren. Von außen wirkte es nicht anders als die anderen Gebäude der suburbanen Gegend, doch die Nachbarn, zu denen Jonathan gelegentlich Kontakt suchte, weil er hoffte, so weniger verdächtig zu wirken, kamen meistens nicht wieder. Lag wohl daran, dass Tori das Vorzimmer zur Einrichtung verantwortet worden war.

Leider befand sich nur im unteren Stockwerk eine Dusche.

Gähnend ging Jonathan die Treppen herunter. Es war dunkel und noch dazu war seine Sicht noch von der Müdigkeit eingeschränkt. So kam es, dass der neben die Treppe trat.

Mit einem Schrei fiel er herunter. Toraria hörte sein Gebrüll ohne Anstrengung. Sie schnaufte. Wieso hatte sie ihn noch einmal geheiratet?

„Nix passiert“, rief er ihr zu. Tori hatte Zweifel daran.

Tatsächlich hatte er Kratzer abbekommen. Wovon, konnte er sich nicht erklären, doch an seiner Brust bluteten zwei Linien, die sich überschnitten.

Jonathan wischte das Blut weg. Die Wunden gingen nicht tief, doch es hörte nicht auf zu bluten. Auch nach dem zweiten Wegwischen fing es wieder an zu rinnen, noch dazu stärker als zuvor.

Woran zum Teufel hatte er sich geschnitten? Es musste etwas Paranormales sein.

Egal, im Badezimmer würde er sicher ein Heilmittel finden.

Er torkelte. Als er endlich das Bad erreicht hatte, lehnte er sich gegen den Türstück. Er tastete nach dem Lichtschalter.

Das Bad war so eingerichtet, dass man, wenn man hineinging, sofort in ein Ganzkörperspiegelbild blickte. Als Jonathan sein Spiegelbild sah, wurde er auf der Stelle hellwach. Aber das hieß noch lange nicht, dass er einen klaren Gedanken fassen konnte.

Die Wunde hatte aufgehört zu bluten. Doch stattdessen glühte sie gelb auf.

Narben glühten nicht, es gab keine paranormale Technik dafür. Doch es gab eine Ausnahme – und zwar im Zusammenhang mit dem Messias.

Jonathan schrie den Namen seiner Gattin.

Toraria verdrehte die Augen. So leicht konnte man ihren Gatten aus der Fassung bringen. Nachdem sie ihn ein wenig hatte schreien lassen, stand sie auf.
 

Es war ein komisches Gefühl den Boden zu berühren. Obwohl seine Schuhsolen fünf Zentimeter dick waren, spürte er jeden Sprung und jede Erhebung des Betonbodens, auch wenn diese nur minimal waren.

Doch das war die einzige Wahrnehmungsveränderung, die er nach seinem Aufstieg von der Hölle in die Sphäre der Lebenden stark bemerkte. Er sah die Nacht, wie er sie vor fünf Jahren gesehen hatte, er sah die Straßenlichter genau so hell, wie damals, er hörte die Geräusche der Großstadt nicht anders und empfand sie genau so nervig wie früher.

Mitten in der Nacht war Joshua dort gelandet, wo sein Leben ein Ende genommen hatte – unter dem Fenster seines ehemaligen Zimmers im elterlichen Apartment. Doch die Gegend war nicht wieder zuerkennen.

War dieses Viertel als Versammlungspunkt der reichen Oberschicht zu seinen Lebzeiten bekannt, deutete nun gar nichts mehr auf ein luxuriöses Leben. Die sauberen Gebäude waren nun heruntergekommen und mit Spraydosen verunstaltet worden, die Fenster bis in den zweiten Stock eingeschlagen. Die Müllabfuhr schien hier keinen Dienst mehr zu haben. Ratten quiekten, und eine streunende Katze suchte in einer Mülltonne nach Futter. Die Autos, wenn überhaupt welche vorbeifuhren, waren keine teuren Modelle, sondern Schrottkisten, die Geräusche von sich gaben, als ob die Karren gleich explodieren würden. Oder es waren Polizeiwagen. Der einzige Mensch, der sich auf der Straße befand, war ein alter Penner, der sitzend gegen eine Mauer gelehnt schlief und den Inhalt einer Whiskeyflasche auf seinen Schritt schüttete (wobei allerdings nichts auszuschließen war, dass Kerl sich angepinkelt hatte).

Joshua fragte sich, wie zum Teufel diese Gegend binnen fünf Jahren so heruntergekommen war. Hatte man ihn beschissen, und es war doch ein längerer Zeitraum gewesen? Eine Zeitung widerlegte die Vermutung.

Egal, diese Welt sollte ihn nicht mehr interessieren, Hauptsache er konnte irgendwann seine Prüfung bestehen.

Doch es interessierte ihn, ob seine Mutter und seine Schwester noch hier lebten. Eigentlich war die Frage absurd, seine Mutter war eine so versnobte Persönlichkeit, dass sie schon beim kleinsten Anzeichen einer Niveausenkung weggezogen sein wird. Aber dennoch konnte er der Versuchung nicht widerstehen, bei den kleinen Namensschildchen neben den Türklingen nachzuschauen.

Er fand den Namen Nazara.

Joshua schluckte. Was zum Teufel konnte seine Mutter gehalten hier gehalten haben? Und ehe er erkannte, was er tat, hatte er schon angeläutet.

Er bereute, was sollte er nun sagen. Hallo Mama, ich bin von den Toten auferstanden. Aber ob die Anlage überhaupt noch funktionierte? Wahrscheinlich nicht.

Doch.

„Ja“, sagte eine müde Stimme. Joshua brauchte sich trotz der miesen Qualität nicht anstrengen und Angelas zu erkennen.

Joshua erstarrte. Verdammt, was sollte er sagen?

„Wer da?“, fragte sie, schon etwas gereizter.

„Mark Furlong“. Der Name vom letzten Liebhaber seiner Mutter. Er verstellte seine Stimme nahe zu lächerlich tief. „Ist Maria zu sprechen?“

„Maria wohnt hier nicht mehr, du Arschloch.“ Also doch, das passte zu seiner Mutter. Und es passte zu ihr, dass sie Angela allein gelassen hatte. „Was machst du überhaupt hier? Hat sie dir vor ’ner Ewigkeit nicht klar gemacht, dass sie dich nie wieder sehen will?“ Angelas Stimme war überraschend klar und gradlinig. Sie war nicht betrunken. Joshua fragte sich, was sie zum Entzug überredet hatte. Sein Tod?

„Halt die Klappe, du Saufnase!“ So hatte Mark immer mit ihr gesprochen, so hatte Mark sie immer genannt. „Dann such ich sie eben alleine!“

Er drehte sich um und stampfte weg, ging weit. Das Bild der Gegend veränderte sich nicht, blieb immer gleich elend.

Gerne hätte er mit Angela gesprochen. Aber wie sollte er ihr erklären, dass er von den Toten auferstanden war? Selbst wenn ihm die Erwähnung seiner wahren Herkunft nicht verboten worden wäre, hätte er Angela nicht damit konfrontieren können. Was sagte man überhaupt, wenn man jemanden sagte, man sei gestorben und nun aus der Hölle als Reinkarnation von Jesus Christus zurück gekommen um einen Mann zu ermorden, der Selbstjustiz ausübte. Und selbst wenn er passende Worte fand, sie würde es nicht glauben, oder einen wesentlichen Schock erleiden. Nein, so sehr er sich wünschte mit seiner Schwester zu reden, er konnte Angela die Wahrheit nicht antun.

Die Luft ermüdete ihn. Auch wenn die Stadt sich nie für ihre reine, unverpestete Luft ausgezeichnete hatte, war sie im Vergleich zur Hölle ein Waldgebiet. Das Einatmen dieses Sauerstoffes war anstrengender, als alles andere. Auch wenn er das Gerücht kannte, dass frische Luft ermüdend war, hatte er nicht damit gerechnet, dass ausgerechnet dies ihm die meiste Kraft rauben würde.

Mit schweren Lidern suchte er sich eine halbwegs reine Gasse aus, wo er sich hinsetzte. Zwischen all den Obdachlosen würde ein Kerl im Kilt, der dort pennte, nicht auffallen.

Die Nacht war kalt. Nicht darauf achtend, ob jemand ihn beobachtete, schnippte er und eine Mülltonne ging in Flammen auf. Einer der ersten Tricks, die ihn Erik der Rote beigebracht hatte. Danach fiel er sofort in einen tiefen, aber traumlosen Schlaf...

...der nur zehn Minuten dauerte.

„Hey, du.“ Der Mann stocherte mit seinem Gehstock an Joshua herum. „Transe, weg da.“

Joshua geriet nur zaghaft aus seinem Schlaf. Er setzte sich auf. Dabei hatte er gar nicht gemerkt, dass er beim Pennen in eine Liegestellung gefallen war. Mit schlaftrunkenen Augen schaute er den Mann in Lumpen an, der so erzaust und schmutzig war, dass Joshua nicht schätzen konnte, wie alt er war.

„Weg da. Das ist meine Gasse.“

Er rieb sich die Augen. „Verziehung. Ich bin neu.“

„Merkt man. Wie alt bist du denn?“

„Achtze... Dreiundzwanzig.“

„Achtzehndreiundzwanzig?“

„Nein. Dreiundzwanzig.“

„Ah so.“ Der Mann ging näher an ihn heran, damit er Joshuas Gesicht im Flammenlicht besser betrachten konnte. „Schaust aber aus, als ob du schon einigen erlebt hast.“ Daraufhin fuhr sich Joshua über das Gesicht. Er hatte schon längere Zeit sein Gesicht nicht mehr berührt. Wie uneben es war. „Ja, ich mein die Narben“, ergänzte der Typ.

Wahrscheinlich hatte nicht nur sein Gesicht, sondern sein ganzer Körper durch die Übungen von Erik dem Roten mehr abbekommen, als er vermutet hatte. Er zuckte mit den Achseln.

Der Mann starrte ihn an. „Checkst du nicht, was ich will? Ich will wissen woher die sind?“

Joshua verzog das Gesicht. An dem Penner konnte er sein Talent zum Lügen ertesten. „Mein Vater hat mich verprügelt.“ Sorry, Joseph, dachte er. „Wie lautet dein Name?“

„Al.“ Pause. „Nur Al. Kein Nachname.“ Er setzte sich neben ihn. Anscheinend war sein Wunsch Joshua zu vertreiben verflogen. Einsamkeit? Er holte eine Flasche unter seinem Mantel hervor, trank einen Schluck und reichte sie dann Joshua. „Wodka. Willst?“

Joshua schüttelte den Kopf. Er wollte schlafen.

„Weißt was, ich teil mir heute meine Gasse mit dir. Du schaust so fertig aus. Außerdem haste ein schickes Feuer gemacht.“ Joshua nickte. „Pennst du das erste Mal in den Straßen dieser Gegend?“ Joshua nickte. „Weißte, dieses Viertel gilt mittlerweile als eines der gefährlichsten, und schlimmsten der USA. Dabei war es mal das Reichenviertel schlechthin. Doch dann kam es zu einer Vergewaltigung, mehreren Morden, mehreren Diebstählen binnen einer Woche, dazu noch einige Bettler, die hier das große Geld rochen. Deswegen sind die Reichen alle schnell...“

Es war eigentlich recht interessant, was der Typ da erzähle. Doch Joshua war zu müde, um ihm länger zuzuhören. Mitten im Als Satz schlief er ein. Der Mann redete weiter, anscheinend hatte er gar nicht gemerkt, dass ihm gar nicht mehr zugehört wurde.
 

Hatte die Nacht ausgesehen, wie er sie kannte, so war der Tag doch von einigen Veränderungen durchzogen. Jedoch sah er die Welt nicht unmittelbar anders. Er sah nur mehr...

Er war nun selbst ein paranormales Wesen. Deswegen sah er nun die paranormalen Phänomene in der Sphäre der Lebenden, die dem rein menschlichen Auge verborgen bleiben.

Und das waren mehr, als man hätte vermuten können.

Aus dem Fenster des halbwegs reinlich aussehenden Hauses, hing eine sich windende Tentakel die nach Tauben peitschte. Vor der Haustür saß ein Gnom mit roter Zipfelmütze, der sich einen Spaß daraus machte, Passanten ein Bein zu stellen. Die alte Dame auf der anderen Straßenseite führte keinen Hund an der Leine, sondern einen anderthalb Meter großen Leguan, der Flammen aus seinen Nasenlöchern blies, aber dennoch glaubte die Greisin, dass sie sich einen Pudel als Haustier hielt. Es marschierte ein Mädchen durch die Straße, deren Haare brannten. Ein Managertyp mit Federflügeln lachte in sein Handy. Ein Zeitungsverkäufer, der kein Gesicht hatte und dessen Stimme zu einem bizarren Quieken verzerrt war, versuchte seine Ware an den Mann zu bringen. Eine Hausfrau hing kein Leintuch am Fenster zum Trocknen, sondern eine zerrinnende Uhr.

Joshua starrte mit offenem Mund auf dieses Szenario. Er war zwar abstrusere Anblicke aus der Hölle gewohnt, doch diese seltsamen Dinge in einer Welt zu sehen, wo er sie vorher nicht wahrgenommen hatte, war ein Anblick, der ihn doch überwältigte.

„Was schaust den so bescheuert, Freak!“, brüllte ihm eine arrogante Männerstimme zu. Wenigstens hatten sich die Menschen nicht verändert. Menschen? Joshua musste feststellen, dass der Typ, der ihn angepöbelt hatte, einen Löwenschwanz hatte.

Er vertrat sich die Beine, vielleicht würde ein Streifzug durch dieses bizarre Szenario sein Erstaunen mildern.

Besser wurde es nicht. Denn jetzt sah er die Bedrohungen.

Von Weiten sah die Kreatur wie ein riesiger Eber, mindestens drei Meter groß, mit unnatürlich langen Haaren aus, die auf dem Boden schleiften, doch je näher sie kam, umso deutlicher wurden die Unterschiede. Seine weißen Augen hatten keine Iris und keine Pupille, stattdessen krochen Würmer heraus. Mit seinem langen Kuhschwanz peitschte er umher. Eine meterlange Zunge hing aus dem Maul heraus, schleckte den Boden ab, die unteren Zähne reichten bis über die Stirn hinauf, während die oberen Scheidezähne sich wie die Elfenbeinzähne eines Elefanten wanden. Er atmete stinkenden Rauch aus seinen Nasenlöchern aus. Sein Maul bewegte sich und Laute kamen heraus. Er sprach, doch in einer Sprache die Joshua nicht erkannte. Doch auch ohne ihn zu verstehen, wusste Joshua, es handelte sich um Flüche.

In all seiner schrecklichen Pracht marschierte das riesige Vieh auf der befahrenen Straße entlang. Für die Fahrer wie Luft, sie fuhren durch in hindurch. Es war ein seltsamer Anblick, wie die Autos zum einen Ende hinein fuhren, verschwanden und dann unbeschadet am anderen Ende herauskamen.

Doch auch wenn sie es nicht wussten, er beeinflusste sie. Jeder, der in Berührung mit diesem Monster kam, fühlte auf der Stellung eine Wallung von Angst und Unbehagen, bemerkbar an Schüttelfrosten und verängstigten Gesichtsausdrucken.

Fasziniert schaute Joshua auf das Vieh und wusste nicht, ob er es einfach ziehen lassen, oder Kontakt aufnehmen sollte.

Die Frage erübrigte sich von selbst, als der Eber Joshua bemerkte.

Perplex winkte er ihm nur. Die Kreaturen, denen er in der Hölle begegnetet war, waren alle humanoid gewesen. Wie ging er also mit einem rein tierischen Wesen um, das noch dazu nicht in seiner Zunge sprach? „Hallo“, murmelte er. Eine Passantin, die sich angesprochen fühlte, ging in schnellen Schritten weiter.

Die Reaktion des Ebers war ein Schnaufen, das Joshua auf den Boden warf.

„Was zum... hey, ich hab dir nichts getan!“, fauchte er das Vieh an.

Den Eber interessierte sein Einwand nicht. Er holte mit seinem Schwanz aus, versuchte den am Boden liegenden Jungen zu treffen. Joshua konnte noch im letzten Moment ausweichen.

Während Joshua Staub und Steine aufwirbeln, ein Loch im Boden entstehen sah, bemerkten die Passanten nichts. Sie fragten sich nur, warum ein Wirrkopf auf dem Boden herumrollte.

Er wollte eigentlich nicht, doch Joshua musste sich wehren.

Wenn er doch nur wüsste, was für eine Kreatur das hier war, wie stark sie war, was für Fähigkeiten sie besaß. Auf gut Glück sollte er am besten das versuchen, was er am besten konnte... am besten etwas, was er auch beherrschte, wenn dieses Vieh mit dem peitschenden Schwanz ihn davon abhielt sich aufzurichten.

Als hinge sein Leben davon ab, peitschte das Tier mit seinem Schwanz umher, doch da es umso hektischer wurde, je mehr Fehlschläge es fabrizierte, desto ungenauer wurden seine Versuche. Und so schaffte es Joshua schließlich wieder auf die Beine zu kommen.

Er schnippte dreimal. Drei Fellbüschel an Rücken, Gesicht und Hintern des Ebers gingen Flammen auf. Die Kreatur gab einen Schrei wie ein Adler von sich. Es schüttelte sich, die Flammen gingen aus, doch Joshua hatte genug Zeit sich seine nächsten Schritte zu überlegen.

Dummerweise ärgerte er sich zu lange darüber, dass er das Monster auch im Liegen so hätte attackieren können... aber es war sein erster Kampf gegen jemanden, der kein Kampf-Dummie war, da durfte man noch seine Fehler machen. Erik der Rote war zwar anderer Meinung, aber der würde ihn schon nicht beobachten.

Joshua zog sein Schwert Discordia. Er schwang es einmal, und vertrieb so den Rauch, den der Eber auf ihn blies.

Er schlug mit der Faust in der Luft, der entstandene Windstoß traf den Eber im Gesicht, war so stark gewesen, dass er leicht taumelte. Anscheinend keine sehr starke Kreatur. Zum Glück.

„Wenn du mir nicht auf der Stelle sagst, was du gegen mich hast, kenne ich kein Mitleid mehr!“, brüllte Joshua dem Vieh zu.

Der Eber zeigte sich unbeeindruckt. Doch noch immer etwas damisch von dem Schlag, holte er mit seinem Schwanz aus, wollte Joshua von hinten überraschen, doch dieser hörte die Gefahr und sprang in die Höhe. Der Kuhschwanz zog unter seinen Füßen vorbei. Und als er von vorne kam, raste er in Joshuas Schwert.

Der Schwanz war ab und der Eber schrie. Überraschend viel Blut spritzte aus der Wunde und regnete auf Joshua, der angeekelt das Gesicht verzog.

„Du widerliches...“ Er brach ab, weil er einsah, dass man mit dem Vieh nicht reden konnte. Noch ehe der Eber eine Rauchwolke auf ihn pusten konnte, sprang Joshua in die Höhe. Ein wenig Konzentration genügte und er sprang hoch genug um auf dem Rücken des Ebers zu gelangen. Für die Menschen sah es jedoch aus, als ob er nur einen Meter hoch und weit gesprungen wäre.

Die Kreatur krächzte, als es das unliebe Wesen aus der Hölle auf seinem Rücken spürte. Die einzige Möglichkeit, wie er ihn losgeworden wäre, wäre ihn mit dem Schwanz herunterzuschlagen. Doch der war nun weg. Seine einzige effektive Waffe war weg.

Joshua hob das Schwert. Hoffentlich traf er eine Schlagader. Er stach zu.

Der Eber kreischte wieder. Obwohl er keine lebenswichtige Ader getroffen hatte, glaubte das Vieh nun dem Untergang geweiht zu sein. Er wandte sich, schüttelte sich. Joshua versenkte das Schwert tiefer in das Fleisch des Monsters, umklammerte das Heft, denn das Fell unter seinen Füßen hatte er mittlerweile verloren. Hielt er sich nicht fest, flog er herunter. Und ein Sturz aus drei Metern war schmerzhaft.

Mittlerweile hatte der Eber eingesehen, dass die Nervensäge nur loswurde, wenn er sich umwarf.

Joshua ahnte nicht, was das Tier plante, doch er sah die Menschenmenge die sich um ihn herum versammelt hatte. Was glaubten sie, machte er gerade? Was sahen sie? Er sollte so schnell wie möglich das Spiel beenden.

Konzentration. Erik der Rote hatte ihn immer gerügt, wenn Blitze abschleuderte, denn das Ergebnis war nie zu seiner Zufriedenheit gewesen. Joshua hatte aber nie verstanden warum. Deswegen beschloss er jetzt es einfach zu versuchen und auf ein gutes Ergebnis zu hoffen.

Er spürte seine Hände heiß werden, er sah schon die Blitze um seine Hände herum zucken.

Noch immer hielt er das Heft des Schwertes umklammert. Alles an Discordia bestand aus Metall. Und so leitete er die Blitze in den Körper des Ebers.

Im Fallen schrie der Eber. Doch dieser Klagelaut war nur von kurzer Dauer. Es zerriss das Vieh von Innen.

Zum Glück konnte kein Mensch sehen, wie Blut, zerfetzte Organe, Muskeln und Knochen die Gegend noch mehr verunstalteten und auch die Schaulustigen, die Joshuas vermeidliches Benehmen analysierten, trafen.

Joshua landete mit beiden Füßen auf den Boden, verlor aber fast das Gleichgewicht. Er steckte das Schwert zurück in die Scheide. Er wischte sich Schweiß von der Stirn, seufzte, und fragte sich, warum diese Kreatur ihn ungerechtfertigt attackiert hatte.

Viel Zeit um Antworten zu finden, hatte er nicht. Das Vieh war zwar zerstört, doch leider existierte weiterhin die Blitzkugel, mit der Joshua sie umgebracht hatte. Wie ein Luftballon schwebte sie in der Luft... Deswegen war also Erik der Rote immer unzufrieden gewesen...

Das Monster hatte zwar die Menschen nicht verletzen können, doch die Blitzkugel würde. Noch ehe Joshua überlegen konnte, wie er sie aus dem Weg schaffen konnte, verlor sie ihren Halt in der Luft. Sie stürzte direkt auf eine junge Frau mit roten Zöpfen zu.

„Vorsicht!“, schrie Joshua.

Er raste auf den Rotschopf zu, packte sie an der Hüfte. Mit viel Schwung zerrte er sie von ihrem Stehplatz weg, gerade noch rechtzeitig, denn die Blitzkugel schlug auf. Mehr Schaden, als ein unwesentliches Schlagloch auf dem Bürgersteig, hinterließ sie nicht. War die Rettung unnötig gewesen? Joshua redete sich ein, dass seine Waffen auf Menschen eine verheerendere Wirkung haben könnten, als auf Beton.

Die rothaarige Frau lächelte Joshua an. „Danke“, sagte sie. Er verzog das Gesicht. Hatte sie etwas bemerkt.

Auf einmal fingen die Zuschauer an zu klatschen. Einige Leute unterhielten sich. Joshua glaubte einige Male das Wort „Kunstimprovisation“ oder „Improvisationstanz“ zu hören. Bitte? Was auch immer er gemacht hatte, konnte niemals mit einem Akt der Kunst vergleichbar gewesen sein...

Interessant, wie Menschen paranormale Ereignisse wahrnehmen...

Das Mädchen ließ ihn los. „Danke, dass ich mitwirken durfte. Du hast echt Talent“, sagte sie.

Die Menge löste sich auf und einige Passanten drückten Joshua Münzen oder Geldscheine in die Hand.

„Trittst du wieder auf?“, fragte sie.

Wäre er gerade nicht in so einem perplexen Zustand gewesen, hätte Joshua bejaht, denn das Mädchen hätte ihm sicher gefallen und wahrscheinlich hätte er sich mit dieser Lüge ein weiteres Treffen erhofft. Doch er war zu überwältigt um seiner Begierde freien Lauf zu lassen. „Sorry, war einmalig.“

Das Geld zählend, ließ er das Mädchen einfach stehen. Es waren tatsächlich dreiunddreißig Dollar und neunzehn Cent.
 

Als nächstens duschte er. Paranormales Blut konnte man nur mit paranormalem Wasser von sich und der Kleidung waschen. Paranormales Wasser konnte er nur aus den eigenen Fingerspitzen gewinnen. Auf der Toilette eines Diners, wo er die Hälfte seines „Einkommens“ ausgab, wuscht er sich auf dem WC. Er verursachte eine Überschwemmung, die zum Glück für Menschen nicht sichtbar war.

Das nächste Mal, an dem er seine Fähigkeiten war am Abend, als gerade ein Juwelier am Schließen war. Warum ein teurer Juwelier in dieser Gegend überhaupt noch sesshaft war, war Joshua ein Rätsel. Jedenfalls passierte das, was irgendwann passieren musste.

Der alte Mann wollte gerade absperren, als zwei große Typen, ganz in schwarz gekleidet und mit Motorradhelmen auf den Köpfen, die das Gesicht verdeckten, auf ihn zustürzten. Der eine ergriff ihn von hinten, hielt ihm den Mund zu und drückte ihm seine Faust in den Magen. Die andere Unbekannte bedrohte ihn mit einer Pistole. Man brauchte kein Spezialist sein um zu wissen, was die beiden wollten.

Joshua saß auf dem Dach des gegenüberliegenden Hauses. Warum niemand, außer ihm, etwas sah oder sehen wollte, konnte er nur vermuten. Und selbst diese Vermutungen waren schlecht. Egal, wichtig war eher die Frage, ob er eingreifen, oder einfach nur weiter zusehen sollte.

Die beiden brauchten außer der Knarre keine Argumente, um den Alten zu überreden. Er sperrte das Schloss wieder auf.

Joshua tat er leid. Auch wenn er teures Geschäft hatte, sah der Kerl nicht vermögend aus. Außerdem widersprach es seinem Gerechtigkeitssinn, dass zwei durchtrainierte Typen wie diese Verbrecher einen alten, hageren Mann angriffen.

Er seufzte. Sich einzumischen hatte man ihm nicht verboten, man durfte nur nicht merken, dass hier Paranormales geschah. Und wenn er seine Erfahrungen richtig einschätzen konnte, würde die Wahrnehmung der Menschen eh so gedreht werden, als ob sie etwas „Normales“ sähen.

Was Lillith und Erik der Rote davon denken würden, wenn sie erfuhren, dass er denen helfen wollte, die er eines Tages vernichten sollte. Egal, sie würden ihn schon nicht beobachten.

Dank einer Handbewegung war das Schloss nun nicht mehr aufzusperren. Die Verbrecher fragten was los sei und der alte Mann geriet in Erklärungsnotstand. Die Männer unter dem Motorradhelm wurden laut, der mit der Waffe richtete den Lauf auf die Stirn des Opfers. Drücke ab.

Joshua brauchte nicht viel Anstrengung um die Kugel zum Stecken bleiben zu zwingen.

Der vermeintliche Schütze wurde aggressiv. Er schüttelte die Pistole, drückte noch einige Male mehr ab, doch nie kam eine Kugel herausgeschossen. Mit der Sicherung herumzuspielen brachte auch nicht viel.

Wütend warf er sie auf den Boden. In dem Moment löste Joshua den Schuss aus und die Kugel traf das Bein des Verbrechers.

Während sich der eine auf dem Boden wand, ließ der andere vor Überraschung den alten Mann los. Dieser ergriff sofort die Flucht, warnte die beiden, dass er die Polizei holen würde.

Der, der heil geblieben war, entschied sich, seinem Partner nicht zu helfen und rannte weg. Der verletzte schrie ihm obszöne Flüche hinterher, hielt sich das Bein, versuchte vergebens die Blutung zu stillen und schrie den Tränen nahe herum, bis die Polizei kam, und ihn verhaftete.

Joshua grinste selbstzufrieden.
 

Und dieses Grinsen war auch dann noch nicht verschwunden, als Joshua kurz nach Mitternacht in der Gasse wieder erschien, wo er letzte Nacht übernachtet hatte. Al war schon anwesend. Er trank Wodka.

„Da bist du ja wieder. Hab ich dir nicht gesagt, dass das meine Gasse ist.“

Joshua seufzte enttäuscht, denn seine Vermutung war gewesen, dass Al ihn neben sich akzeptieren würde, da er die Einsamkeit scheute, doch er hörte trotzdem nicht zu grinsen auf. So nützlich hatte er sich nämlich schon lange nicht mehr gefühlt, die Abneigung eines Penners würde ihm sicher nicht Laune verderben. „Gut, dann geh ich eben wieder.“

„Wart mal! War nicht böse gemeint.“ Er klapste zweimal mit der Hand neben sich. „Komm her, du findest eh keine freie Gasse mehr.“

Joshua nahm das Angebot gerne an. Also scheute der Mann doch die Einsamkeit.

Irgendwie mochte er diese Gasse. Es mochte blöd klingen, aber hier konnte er sich vorstellen mehrere Tage oder Wochen, bis Liam Warrick getötet und somit die Prüfung bestanden hatte, zu verbringen. Al störte ihn nicht, er war sogar eine Bereicherung. Außerdem wohnte seine Schwester einige Häuserblocks weiter, vielleicht sah er sie einmal.

„Warum grinst du so blöd?“, fragte Al.

„Ich hatte heute einen guten Tag.“

„Wieso das denn?“

„Ich hab dreiunddreißig Dollar erbettelt.“ Zwar unfreiwillig, aber es war wenigstens eine gute Ausrede. „Und davon einen guten Pfannkuchen gegessen.“ Das Essen in der Hölle war nämlich schrecklich. Wäre er Vegetarier gewesen, wäre er verhungert, denn nur rohes Fleisch wurde dort aufgetischt.

„Willst ’nen Schluck, zum Feiern?“ Al reichte ihm die Flasche.

Von Gläsern konnte er hier nur träumen. Wer wusste, was er sich für eine Krankheit er sich einfangen würde, wenn er aus derselben Mündung wie ein alter Penner trank. Er nahm sie trotzdem. Sterben würde er nicht so schnell, er war schließlich schon tot.

Joshua schüttelte sich. Er hatte vergessen, wie ekelhaft purer Wodka schmeckte.

Al lachte.

Daneben erklang noch ein komisches Rascheln. „Hörst du das auch?“

„Was?“

„Das Geräusch.“

„Nur die Autos.“ Al lachte noch einmal laut auf. „Bist du von dem kleinen Schluck schon betrunken.“

Sicher nicht. Doch dieses Rascheln war nicht zu ignorieren. Und er sah schließlich dinge, die normalen Menschen verborgen blieben – mit der Akustik verhielt es sich wahrscheinlich nicht anders. Er blickte zu dem Alten, und sah neben einem Gesicht eine Mischung aus Pflanze und Reptil die Mauer herunterkrabbeln.

Er kannte die Viecher aus der Hölle. Tausende von ihnen hatte er bei seinen Übungen vernichtet. Das markante an diesen kleinen Biestern war, dass sie am liebsten Menschenhirne fraßen.

Das Gesicht sah aus, wie die Blüte einer Dahlie, doch anstelle von Blütenstaub in der Mitte befand sich ein Maul mit tausenden kleinen Reißzähnen. Das Vieh riss gerade sein Maul auf, fauchte, wollte in Als Kopf beißen.

In letzter Sekunde zog Joshua sein Schwert und stach dem Vieh ins Maul. Mit seinen Saugknöpfen an den Füßen haftete sich die Wesen an der Mauer fest. Joshua brauchte gehörig Kraft um es von der Mauer zu zerren.

„Mensch, Josh, ich dachte du wolltest mich gerade umbringen“, keuchte Al und hielt sich die Brust, als erlitte er gerade einen Herzinfarkt.

„Ich hab nur eine Ratte umgebracht“, erklärte er. Das Vieh war hinüber. Er zog den Kadaver vom Schwert herunter, wobei es eine eklige Schleimspur hinterließ. Angewidert warf er es so weit weg wie möglich.

„Das ist keine Ratte, das war eine Taube.“

„Egal, Ungeziefer bleibt Ungeziefer.“

„Wenn du meinst. Aber gute Reflexe hast du. Und ein scharfes Messer.“

„Danke.“ Er säuberte mit seinem Kilt die Klinge. „Würdest du mir einen Gefallen tun, und mich nicht Josh nennen. Ich heiße Joshua. So wie du nur Al heißt.“

„Geht klar.“

Wie gut, dass das Silber glänzende Schwert nur für ein banales Messer gehalten wurde. Und, dass dieses Pflanzenreptil als Taube gesehen worden war.

Er steckte das Schwert zurück in die Scheide. Er lehnte sich zurück und schaute in den Himmel. Die Nacht war klar, die Sterne boten einen friedlichen Anblick, sodass man gar nicht vermuten würde, dass das hier eine verdammt beschissene Gegend war, in der sehr viele beschissene Ungeheuer herumgeisterten.

Er grinste selbstzufrieden.

Hatte er heute wirklich drei gute Taten begangen, oder redete er sich das nur ein?

Er beantwortete sich selbst die Frage einfach mit „Ja“.
 

Jonathan hatte schon ein verdammt schlechtes Gefühl im Bauch gehabt, als er die Nachricht erhalten hatte, dass er und seine Gattin beim Chef geladen waren. Als er das Gebäude betreten hatte, war das schlechte Gefühl zur Übelkeit geworden. Und als er nun Gabriel X. Paradiso gegenübersaß, wollte er am liebsten Kotzen.

Wie konnte Tori nur so gelassen sein? Sie war genau so am Ungehorsam beteiligt wie er, und würde dieselbe Rüge bekommen, wenn das Delikt aufflog.

„Wir haben ein Problem.“ Pause. „Und ich glaube, dass ihr etwas damit zu tun habt.“

Jonathan schluckte und schaute seine Frau an, die regungslos mit verschränkten Armen neben ihm saß. Sie war schon einmal von Gabriel X. Paradiso bestraft worden und selbst sie hatte damals Regungen des Schmerzes nicht unterdrücken können. Hätte sie auch nur den geringsten Verdacht auf eine Bestrafung gehabt, hätte man es ihr angesehen. Wahrscheinlich wusste sie mal wieder etwas, was er nicht einmal erahnte.

Dennoch konnte er seine Nervosität nicht unterdrücken.

„Heute, um die Mittagszeit herum, wurde ein Klagegeist vernichtet.“

Jonathan seufzte erleichtert auf.

„Ist was, Mr. Letherman?“

Fehler. „Nein, nein, gar nichts. Alles okay, reden Sie weiter.“ Als ob das den Verdacht vernichten würde...

Gabriel X. Paradiso sah ihn durchdringend an, kam wieder zu seinem alten Thema zurück, würde ihn aber sicher wieder darauf ansprechen. „Erstens, man kennt eure Abneigung gegenüber Klagegeistern. Zweitens, in dem Gebiet hattet ihr um diese Uhrzeit Einsatz. Drittens, wurden Frequenzen aus der Hölle wahrgenommen.“ Pause. „Ihr könnt mir also nicht erklären, dass ihr nichts damit zu tun habt, und erst recht, dass ihr nichts bemerkt habt.“

Jonathan richtete seine Augen auf seine Gattin. Wie sehr er sich wünschte, dass sie zumindest manchmal das Wort ergreifen würde. Er würde sich nun sicher versprechen. „Wir hassen Klagegeister.“

Der Chef strich sich durchs graue Haar. „Deswegen dürft ihr sie aber noch lange nicht umbringen.“

„Haben wir auch nicht.“

„Aber zugelassen, dass er umgebracht wird.“

„Wir haben nichts mitbekommen.“

„Halten Sie die Schnauze, Letherman. Mit solchen Aussagen werden Sie die Klage nicht von sich abweisen können.“ Pause. „Noch einmal, Kreaturen aus der Hölle waren am Werk. Wesentlich schwächere Wesen als ihr haben aus weiterer Entfernung diese Aktivität bemerkt. Warum ihr nicht? Und selbst wenn, warum habt ihr nicht eingegriffen?“

Jonathan wusste, dass Schlagfertigkeit gegenüber Gabriel X. Paradiso keine schönen Folgen hatte. Er wusste aber nicht, was er sonst sagen sollte: „Haben Sie es gespürt?“

Der Chef verdrehte die Augen. „Ich spüre selbst die Hölle von hier, ja, aber ich hab es nicht erkennen können, weil es mir schwer fällt die Sphären zu unterscheiden.“ Es war schwer zu erkennen, ob dies eine schlechte Ausrede war, oder ernst gemeint.

„Tja, hm, wir haben aber trotzdem nichts gemerkt. Vielleicht war’s dieser, äh, „Kämpfer gegen die paranormale Übermacht“, oder wie der sich nennt, der benutzt ja oft Waffen aus der Hölle.“

„Der war’s nicht. Der agiert nur nachts.“ Pause. „Noch einmal, warum habt ihr nicht eingegriffen?“

Am besten war es standhaft zu bleiben. „Wir haben’s nicht gemerkt.“

„Lügner.“

„Wir haben nichts gemerkt.“

Danach herrschte kurz Stille. Gabriel X. Paradiso und Jonathan starrten Toraria mit heruntergeklapptem Unterkiefer an. Hatte sie gerade wirklich gesprochen?

„Wiederholen Sie das bitte.“

Keine Antwort. Gabriel X. Paradiso hätte dies von Anfang an vermuten können, aber er brauchte keine Wiederholung der Aussage, einmal reichte. Und dass sie gesprochen hatte, hatte die Situation geändert, er wusste nur nicht in welche Richtung. Sie sprach nur, wenn es unausweichbar war. Doch der Zweck hinter der Aussage war fragwürdig, wollte sie ihre Unschuld betonen, oder ihn ablenken.

Leider war er unfähig in ihren Augen zu lesen, was sie wollte. Er hasste das an diesem Weib – man wusste nie, was sie dachte, was sie wollte, was sie empfand.

Gabriel X. Paradiso schnaufte. „Okay, selbst wenn ihr nichts mitbekommen habt, so glaube ich nicht, dass ihr absolut ahnungslos gewesen seid. Was habt ihr zu verbergen?“ Jonathan schluckte. „Ach, was soll’s ihr habt recht, wie unwichtig ist schon die Aktivität der Sphäre die vor hat die Sphäre der Lebenden zu zerstören, den Himmel zu besetzen und die restlichen Überlebenden einer Diktatur zu unterwerfen. Was wir hier machen, ist nur Zeitverschwendung.“

„Genau!“, platze Jonathan heraus. Er packte seine Gattin am Oberarm. „Komm, Tori, der Chef hat uns entlassen.“ Sie ließ sich vom Sessel zerren. So schnell er konnte schleppte er sie zur Tür hinaus, und nach einer kurzen Verabschiedung knallte er die Tür hinter sich zu. Das Procedere hatte kaum zehn Sekunden gedauert.

Gabriel X. Paradiso starrte mit großen Augen auf die fliehenden Gestalten. Seine umgekehrte Psychologie war ein Schuss in den Ofen gewesen.
 

„Toriiii“, jammerte Jonathan als sie an dem einzigen Ort angekommen waren, an dem der Chef sie nicht ausspionieren konnte – ihr Heim. „Ich halte den Druck nicht mehr aus.“

Sie zeigte sich erwartungsgemäß unbeeindruckt.

„Wir müssen es ihm sagen. Wir müssen es Gabriel sagen!“ Jonathan ließ sich auf das Sofa fallen und bedeckte die Augen mit den Händen. „Meine Narbe tut mir weh, ich vergehe vor schlechtem Gewissen, ich hab Schiss davor, was Gabriel macht, wenn er erfährt, dass der Messias wieder auf Erden wandelt und wir davon wussten. Wir müssen es ihm sagen.“

Toraria schüttelte den Kopf.

„Was soll das heißen! Versetz dich mal in meine Position! Ich bin von Natur aus nervös, sensibel, ängstlich und wehleidig, und ich hab“, er zog den weit dehnbaren Kragen seines Hemdes bis zum Baunabel, „das da!“

Jonathan deutete auf das Kreuz auf seiner Brust, achtsam die sensible Wunde nicht zu berühren.

Entweder blutete die Narbe, oder sie glühte. Gerade vergrößerte sich ein Blutkreuz auf dem Verband, den Jonathan sicherheitshalber um die Brust gebunden hatte, falls die Wunde unerwartet zu bluten anfangen sollte. Wie eben.

Toraria warf ihrem Gatten einen Blick zu, der aussagte: „Das wirst du schon aushalten.“

Jonathan fauchte darauf. „Und das steh ich nur durch, weil du meinst, man könnte den Messias doch noch auf unsere Seite ziehen, was aber nicht mehr möglich ist, sobald Gabriel weiß, dass man zu ihm Kontakt haben kann, der ihn darauf umzubringen versuchen wird.“ Pause. „Woher willst du Gabriels Reaktion voraussehen können. Er mag zwar ein von Solipsismus und Egomanie getriebener Sturkopf sein, aber Mann, mit der Messias-Problematik war er noch nie so stark konfrontiert, wie jetzt. Vielleicht reagiert und agiert er ganz anders.“

Sie zeigte sich unbeeindruckt.

Er setzte sich auf. „Ich geh in mein Bett. Ich muss schlafen. Ich will nur mehr schlafen und nie wieder aufwachen.“ Er raufte sich die Haare, als er die Treppen hoch stieg.

Toraria aß gemütlich ihre Pizza fertig. Aber trotzdem erschlich ein Gefühl der Besorgnis ihren Kopf. Irgendetwas musste sie unternehmen.
 

Er nannte sich „The Hellman“.

Sein Verhalten resultierte aus der Tatsache, dass es ihn schockierte, dass viel mehr paranormale Gestalten in der Sphäre der Lebenden herumgeisterten, als er sich je hätte vorstellen konnte. Da er die Erde in seiner Ausbildungszeit nicht mit den Augen eines Paranormalen hatte sehen dürfen, stellte er sie sich immer im Großen und Ganzen unberührt von paranormalen Ereignissen vor – doch nun erkannte er, dass genau das Gegenteil der Fall war.

Joshua wollte das nicht. Er wünschte sich eine Sphäre, die vollkommen verschont von diesem Wahnsinn verschont blieb. Oder: dass die den Paranormalen unterlegenen Menschen von diesen Wahnsinnigen geschützt werden.

Und deswegen sah er sich, solange er Liam Warrick noch nicht gefunden hatte, dazu berufen die Hilflosen vor diesem Wahnsinn zu beschützen. Als maskierter Held. Als unbekannter Helfer, der keinen Namen, nur ein Cognomen hatte. Wie einer der Superhelden, die er bis zu seinem Tod irgendwie verehrt hatte.

Und so sinnvoll hatte sich seine Existenz noch nie angefühlt, auch nicht, als er seine tragende Rolle erfahren hatte.

Und im Grunde war dies der größte Faktor, warum er den Unterlegenen haft – die Selbstzufriedenheit, die man verspürte, wenn man sich einredete, Gutes getan zu haben. Es mag nämlich widersprüchlich erscheinen, dass derjenige, der die Menschheit vernichten und/oder unterwerfen sollte, plötzlich zu deren Helfer und Retter wird. Jedoch erscheint dies nur, solange man glaubt, dass diese Samaritertätigkeit wirklich des guten Willens wegen gemacht werden, und nicht des Egoismus' wegen. Letzteres war bei Joshua der Fall. Er handelte, weil er sich gut, groß und mächtig fühlen wollte. Im Prinzip war ihm egal, wen er vor wem rettete, solange man ihm ein Danke schenkte.

So gesehen handelte er sicher nicht gut.

Hellman...

Irgendwie fand er den Namen bescheuert, aber ihm war nichts Besseres eingefallen. Außerdem, welcher Superheld hatte keinen bescheuerten Namen? Er konnte wenigstens auf einen gut klingenden Vor- und Nachnamen stolz sein. Außerdem fragte eh so gut wie niemand, wer ihm da gerade aus der Patsche geholfen hatte.

Eine Woche befand er sich schon auf seinen Zug durch die Straßen, half, wo er konnte, wie er am besten konnte. Und es machte ihm Spaß. So viel Spaß, dass er Liam Warrick irgendwie verdrängte, obwohl er schon kurz vor seine Abreise mehrere Pläne entworfen hatte, wie man eine Person fand, deren Aufenthaltsort ständig variierte und nicht einmal einen festen Wohnsitz hatte. Alle waren vergessen, seine Prüfung aus dem Gedächtnis verdrängt und er würde die in den nächsten zwei Jahren, die ihm zum Bestehen zur Verfügung gestellt worden waren, eher der Heldentätigkeit nachgehen, als an seine Ausbildung zu denken...
 

... wäre ihm Liam Warrick nicht über den Weg gelaufen.
 

Jede Nacht sah nicht nur gleich aus, sie gestaltete sich auch gleich. Er streifte umher, suchte nach Unterdrückten, rettete sie und kam zwischen ein und fünf Uhr in seine Gasse zurück, wo Al sich entweder alkoholisierte oder schon schlief.

Seine Schwester hatte er bisher noch nicht getroffen. Einerseits hoffte er, dass er ihr eines Tages aus der Patsche helfen konnte, andererseits fürchtete er sich vor diesem Ereignis, weil sie ihn wohl oder übel erkennen würde, und er dann in Erklärungsnotstand geraten würde.

Joshua saß auf dem Balkon einer unbewohnten Wohnung, stützte sich auf das Gitter. An diesem Ort bekam er am besten mit, was sich in der Gegend abspielte. Er stützte sich auf das Gelände, starrte auf den Sternenhimmel, der ausgerechnet hier fast permanent klar war, und konzentrierte sich auf die Geräusche, welche die Umgebung absonderte, ohne einen Gedanken zu verschwenden.

Er befand sich einer Art Meditationszustand, den Erik der Rote ihm beigebracht hatte, damit er seine Sinneswahrnehmung verstärken konnte. In dieser Sphäre funktionierte der Trick irgendwie leichter.

In Wahrheit stand er siebenundvierzig Minuten und wartete auf einen Hilferuf, doch kam es ihm dank dieser Meditation wie nur ein paar kurze Sekunden vor.

Es war der Schrei einer jungen Frau. Kaum hundert Meter war sie von hier entfernt.

Joshua riss sich aus dem Trancezustand. Er stieß sich vom Boden ab, sprang von Dach zu Dach, hin und her, (denn er konnte nie die Richtungen bestimmen, aus denen der Schall kam und hatte einen schlechten Orientierungssinn) bis er endlich ankam.

Es war wie immer eine Seitengasse, auch wenn die Nacht noch so dunkel und verlassen war, suchten sich die Schurken immer einen noch dunkleren Schlupfwinkel aus.

Einen Vampir hatte er noch nie gesehen. Er wusste nur wenig von ihnen. Erik der Rote hatte einst gesagt, dass er, egal wo und wann er auch immer er sich befand, einen Vampir töten müsste, wenn er ihm über den Weg lief. Als er gefragt hatte, warum, hatte sein Ausbilder bloß gesagt: „Weil wir nicht wissen, was sie sind.“

Etwas in ihm weigerte sich, diesen Befehl zu gehorchen, bis er hier und jetzt sah, wie ein Vampir seine Beute fing.

Die Frau war wunderschön und das wusste die Kreatur. Er drückte er die krallenhafte Hand auf den Mund, so fest, dass sie nicht mehr schreien konnte. Der Weg der Luft zu den Nasenlöchern war behindert und wegen Sauerstoffmangel verlor sie langsam das Bewusstsein. Deswegen konnte sie sich nicht wehren. Das leichte Strampeln war kein Hindernis, der Vampir riss ihr die Bluse vom Körper und packte ihre Brüste.

Er riss sein Maul zu grotesker Größe auf, die Zähne wuchsen und kurz bevor er zubeißen konnte, rammte Joshua ihm das Schwert in den Rücken.

Die Kreatur schrie auf, ließ die Frau fallen, die daraufhin in Ohnmacht fiel.

Eigentlich hätte ihn das umbringen müssen, doch der Vampir krümmte sich nur leidend.

„Wer war das?“, fauchte er.

Joshua hielt noch immer das Heft umklammert, er konnte nicht fassen, dass diese Kreatur den Stich überlebt hatte. Der Vampir griff nach hinten, packte Joshuas Handgelenk und schmiss ihn über ihre Schultern. Dabei riss er das Schwert aus seinem Rücken.

Er stieß einen Schmerzensschrei aus, als er hart auf dem Boden aufprallte. Der Vampir hatte sein Handgelenk noch nicht losgelassen, zerrte ihn auf die Beine und starrte ihn an.

„Was bist du denn?“, knurrte er.

Joshua sah nun den Vampir das erste Mal von vorne und erkannte, dass das Wesen eine Frau war... ihr Körperbau war nur wenig feminin und dazu trug sie Männerkleidung. Doch das Gesicht war eindeutig weiblich.

Nachdem er sich von dem Anblick erholt hatte, stach er wieder zu, tief in den Bauch. Wieder schrie der Vampir, krümmte sich, doch sterben tat er noch immer nicht.

Es wäre schön gewesen, wenn Erik der Rote ihm erklärt hätte, wie man Vampire tötet, oder zumindest angedeutet hätte, dass die Sagen, die sich um die Kreaturen der Nacht rankten, wahr waren.

Obwohl sie ein schmächtiges Monster war, war Tritt von so großer Kraft, dass ihm schwarz vor Augen wurde.

Warf ihn auf den Boden, trat ihn und zog dabei Discordia aus ihrem Bauch. Die ständigen Tritte ließen ihm keine Möglichkeit sich aufzurichten oder zu wehren.

„Höllenbewohner“, murmelte sie, sagte sie schließlich und stützte einen Fuß auf seinem Bauch auf, presste ihn herunter, sodass Joshua fast keine Luft mehr bekam. „Seit wann schickt die Hölle solche Schwächlinge auf die Jagd nach den unsrigen?“ Sie verlagerte ihr Gewicht auf das Bein, mit dem sie Joshua zu Boden gedrückt hielt. „Essen kann ich dich trotzdem nicht. Aber mal sehen, ob deine eigene Waffe deine Existenz auslöschen kann.“

„Nein“, wollte er sagen, er wusste, dass die Waffe so geschmiedet worden war, dass sie ihn nie ernstlich verletzen würde. Doch erstens konnte er gar nicht sprechen, und zweitens wollte er wissen, was passiert.

Während sie die Klinge hob, die ihr eindeutig zu schwer war, griff Joshua nach seiner Knarre Eris, die in einer Tasche aufbewahrte, die er unter seinem Pulli versteckt hielt. Die Waffe würde sicher helfen. Diese Kugeln konnten jede Existenz auslöschen. Zum Glück achtete die Göre nicht, wohin seine Hand wanderte.

Er würde nicht mehr mitbekommen, was das Schwert tat, wenn es auf ihn gerichtet wurde. Noch bevor sie ansatzweise zustechen konnte, ertönte ein Schuss und die Kugel landete direkt in Herzen, das sie der Haltung dank wie eine Zielscheibe präsentierte.

Die Vampirin hatte keine Zeit mehr zu schreien, nur mehr verdutzt das Gesicht zu verziehen. Dann zerfiel sie zu Staub.

Joshua war diese Szenenabfolge irgendwie zu schnell vergangen, um auf der Stelle jedes Detail zu verstehen. Er setzte sich auf und stocherte in der Asche herum, ehe eine Stimme hinter ihm schrie: „Alle okay mit dir?“ Der Typ konnte kaum ein Jahr älter als er sein. Joshua drehte sich um und starrte auf einen großen, muskulösen Kerl, der keine Haare hatte, aber dafür in jeder Hand eine riesige Maschinenpistole, welche Formen hatten, die er aus der Hölle kannte.

Waffen aus der Hölle... Dabei spürte er, dass er gar nichts Paranormales an sich hatte.

Da er nicht wusste, was er sagen sollte, war es besser gar nichts zu sagen – in diesem Falle bewahrheitete sich diese allgemeingültige Taktik nicht. Hätte er von Anfang an irgendetwas dahergestammelt, egal was, solange es beruhigend war, noch bevor eine Art Radar in der Hosentasche des Typen zu piepsen angefangen hätte, hätte er nicht den dämlichen Satz: „Hey, bist du nicht Liam Warrick?“ gesagt.

Sofort richtete der junge Mann den Lauf der bizarren Waffe auf Joshua. „Woher kennst du meinen Namen, Höllenbewohner?“

Joshua hob die Hände. Schweigen oder Lügen, die Wahrheit durfte er jetzt auf keinen Fall sagen. Das einzige, was ihm aber einfiel war: „Ich komme nicht aus der Hölle.“

„Schnauze! Solche hässliche Fratzen gibt es nur bei Monstern aus der Unterwelt.“ Hässlich? Da fiel ihm ein, dass er sich noch nie bewusst im Spiegel betrachtet hatte, seit er die Erdoberfläche betreten hatte. „Und selbst wenn du eine Ausgeburt des Himmels wärst – ich lasse keine paranormalen Kreaturen in meiner Sphäre zu.“ Pause. „Was planst du, warum bist du hier? Warum hast du es auf den Vampir abgesehen gehabt?“

Joshua verzog das Gesicht. Diese Fragen empfand er als absolut dämlich und er stellte die absichtlich dämliche Frage: „Warum hast du sie umgebracht?“

Leider hielt Liam Warrick das für eine ernste Frage. „Weil ich dir helfen wollte, bevor ich wusste, dass du auch nicht mehr als ein Dämon bist.“

„Ja, und ich wollte der Dame da helfen“, rechtfertigte sich Joshua und zeigte auf die Frau, die hätte gebissen werden sollen und noch immer bewusstlos auf dem Boden lag. „Und woher weißt du, dass ich aus der Hölle bin?“

„Lügner!“

„Ich hab dich das gefragt.“ Joshua verdrehte die Augen. Schon nach diesen paar Worten, die er mit seiner Prüfungsaufgabe gesprochen hatte, wusste er, dass es um den Typen nicht schade war, wenn er ihn über den Jordan schickte. Er senkte die Hände wieder.

Liam Warrick hielt den komischen Radar hoch. „Damit Arschloch. Und nun Hände wieder hoch, verdammt noch mal! Wenn du kooperierst, werde ich dich eventuell am Leben lassen!“

Ja, um den war es wirklich nicht schade...

Er wollte eigentlich so viel Zeit wie möglich auf der Erde verbringen, den Leuten helfen, Liam Warrick nicht auf der Stelle töten, doch als er diesem Schleimscheißer gegenüberstand, verspürte er den Drang den Kerl hier und jetzt zu vernichten. Die Erde musste von etwas derartig unsympathischen gerettet werden. Discordia sprang regelrecht in seine Hand.

„Was machst...“ Weiter kam Liam Warrick nicht, dann musste er das Schwert abwehren, das so schnell auf ihn zuraste, sodass er es kaum sah. Und so tat er das, was er immer machte, wenn er die Handlung eines paranormalen Wesens nicht vorhersehen konnte – er improvisierte und schoss blindlings in die Luft.

Und dabei zeigte sich sein fast schon permanentes Glück.

Das Geschoss traf das Schwert. Zerstört wurde es nicht, doch es änderte sich die Flugrichtung, es raste nun auf seinen Herren zu.

Joshua duckte sich reflexartig. Das Schwert hätte ihm zwar nichts angetan, doch die Angst wurde dadurch nicht eliminiert, sodass es doch zur ausweichenden Handlung kam.

Als das Schwert sich plötzlich wieder in seiner Hand befand, konnte er gar nicht mit einem Angriff reagieren, denn schon schoss Liam Warrick mehrere Salven auf ihn. Joshua sprang in die Höhe und die Kugeln folgten ihm. Er landete am Sims eines Fensterbrettes und sah die kleinen Geschosse auf ihn zukommen.

Eriks Ausbildung war anscheinend doch nicht so gut gewesen, oder er konnte den Trick doch nicht so gut, wie er vermutet hatte, oder die Waffen waren von einer Sorte, die er noch nicht kannte. Jedenfalls, die Schutzmauer aus Luft, die er auf die Schnelle errichtete, konnte nicht alle Geschosse abhalten. Zwei trafen ihn, einmal am Arm, einmal an der Hüfte.

Joshua schrie, verlor das Gleichgewicht und stürzte ab.

Unterhalb seines Beines explodierte etwas. Er dachte, sein Bein sei abgerissen. Dabei war es nur gebrochen.

„Niedere Kreatur, stirb“, fauchte Liam Warrick und richtete die Mündung eines der bizarren Maschinengewehre auf seine Stirn. „Sag dein letztes Wort.“

Joshua war zwar verletzt, aber er hatte noch immer sein Schwert und seine Pistole bei sich. Er hatte keine Angst, so leicht würde man den Messias nicht endgültig vernichten können.

Er schlug die Klinge gegen den Lauf des Maschinengewehrs. Das Ding bekam zwar nicht einmal einen Kratzer, doch Warrick war überrascht. Joshua schnappte sich die Waffe und schoss. Die Kugel landete in seiner Stirn.

Zwanghaft musste er bei dem Anblick an seinen Vater denken – doch leider starb Liam Warrick durch diese Wunde nicht.

Er war nur verwirrt. Er taumelte, hielt sich die Stirn, stieß Schmerzensschreie aus.

Joshua starrte mit großen Augen auf den Verletzten, der aggressiv gegen Mauern und Mülltonnen trat.

Mensch? Auf dem Zettel stand Mensch.

Wieso zum Teufel lebte dieser Mensch dann noch, nach einem Schuss in die Stirn?

Als Joshua sich endlich fasste, war Warrick schon wieder bereit auf ihn zu schießen. Noch im letzten Moment stieß sich Joshua in die Höhe, landete auf dem Dach. Es war ihm zwar mehr als peinlich, aber die einzige Möglichkeit heute Nacht keine Wunden mehr zu bekommen, war zu fliehen. Über die Dächer. So würde ihn Liam Warrick nicht so schnell finden.

Den Typen zu töten würde wohl schwerer werden, als er...
 

„... vermutet hätte“, sagte Lillith, die zusammen mit Erik dem Roten das traurige Spektakel beobachtet hatte. Sie schüttelte den Kopf. Danach sah sie Erik der Rote wütend an. „Sein Versagen ist nicht deine Schuld, oder?

„Wie meint Ihr das, Eure Majestät? Glaubt Ihr mein Bemühen den Messias zu schulen war geringer, als gegenüber meinen Schützlingen davor?“

Lillith verdrehte die Augen. Als Joshua neben dem Penner Al eingeschlafen war, zerbrach sie den Spiegel, durch den die beiden das Treiben des Messias beobachtet hatten. Die Scherben verwandelten sich in Wasser.

„Trotz paranormaler Waffen, sollte es nicht schwer sein einen Menschen zu töten. Irgendwie ist er unfähig... “

„Oder kein wahrer Söldner“, sprach Erik der Rote. „Bedenkt, er kam wegen seines Suizides zu uns, nicht wegen seiner Sünden. Diese Menschen sind oft schwerer für unsere Ziele zu begeistern als Meuchelmörder und ähnliche Subjekte. Ich kenne ihn, er tötet gerne schnell und schmerzlos, keinen Weg fand ich ihn umzustimmen. Habt Ihr nicht auch gesehen, was er tut, während er auf die Gelegenheit des Mordes wartet – er hilft den Menschen.“

Lillith seufzte. „Stimmt. Mit dieser Einstellung konnte er bei der ersten Begegnung nur verlieren.“ Sie strich sich durchs Haar. „Mir gefällt diese Caritas nicht, die er treibt.“

„Keiner von uns sieht so etwas gerne.“

„Danke. Aber beobachten wir ihn erst noch eine zeitlang, vielleicht wird ihm sein eigenes Spiel zu langweilig. Erst dann üben wir Druck aus.“



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