Falling
Schritte hallten durch die tiefe Unendlichkeit der Ebene, die bereits von den Schatten verhüllt wurde und das letzte schwache Licht zu ersticken drohte. Ein ständiges Tropfen –dem Ticken einer Uhr gleich kommend- verriet der Brünetten das schnelle Verrinnen der Zeit, die nun doch so dringend von Nöten war. Die Arme um den Oberkörper geschlungen, kniete Roumen dort, mitten auf dem staubigen, ausgezehrten Boden. Er sah der stetig weiter verschwimmenden Silhouette seiner Schwester entgegen, während er mit heiserer Stimme immer wieder ihren Namen rief und –fast wie in Trance geraten, die Augen vor Furcht dennoch weit aufgerissen- nicht komplett die eine Welt sah, die ihn zu dieser Zeit umgab. Sein Blick fixierte einen Punkt in der Luft nach dem anderen; zu sehen war dort jedoch nichts.
„Jira!!“
„Roumen!“ antwortete sie ihm, wie jedes andere Mal auch auf sein Schreien. Sie war den Tränen dabei so nahe, wie zu Lebzeiten nicht mehr. Egal, wie sie sich bemühte, es schien, als hätte man sie in die Luft gehängt, um ihr den festen Halt unter den Füßen zu rauben und so zu verhindern, ihrem Bruder zur Hilfe zu eilen. Ein Spiel der Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit, welches zu akzeptieren ein Ding der Unmöglichkeit für die Brünette gewesen wäre.
„Jira, Schwester! Wo bist du?! Ich kann nichts sehen!“ meinte er von Trauer und Panik gleichermaßen zerfressen und stütze sich mit den Händen am Boden ab. Die Federn seiner Flügel spreizten sich und zerrissen in der Luft, wie Papier.
„Ich- ich bin hier, Roumen! Roumen!!!“ Ihre Augen weiteten sich entsetzt, als sich die Kontur ihres Bruders verzerrte und jener, durch diese plötzliche körperliche Veränderung, erschrocken Luft holte.
Roumens Umrisse, Farben, ja sogar seine Gedanken verschwammen und teilten sich. Er tastete sein Gesicht ab und fasste letztendlich ins Leere, was ihn zurückschrecken ließ. Ein schriller Schrei entrann seiner Kehle, der letzte. Im nächsten Moment war er verschwunden, und mit ihm Jiras letzter Hoffnungsfunken. Der aufkommende Schmerz zeichnete sich in wässrigen Linien auf ihren Wangen ab und ließ sie kraftlos zu bodensinken. „Roumen…“
Other Worlds Sorrow
Laut schabte das Metall der U-Bahn über die eisernen Gleise und kam träge und schwerfällig zum Stehen. Eine kleine Traube stieg aus und begab sich sofort über die Treppen nach oben, zur Oberfläche. Es handelten sich um die letzten Arbeiter, deren Schicht aus sonst welchen Gründen immer länger anhielt, als die der anderen, oder um einsame Seelen, die ziellos durch die Stadt und die Straßen schlichen, um ihren Gedanken nachzugehen. Einer dieser Wanderer war auch Roze. Sie beobachtete aus den Augenwinkeln, wie die anderen Passagiere eilig davon strebten, während sie sich, mit den Händen in den Taschen der spärlich gefütterten Jacke, auf eine der einsamen Betonbänke setzte und mit glasigem Blick ihren warmen Atem verfolgte, der in dieser kalten Nacht so klar zu sehen war. Wahrscheinlich hatten diese Menschen Familie, einen Ehemann oder eine Frau und Kinder, die auf sie warteten. Auf die 17jährige wartete niemand. Kein prasselndes Feuer im Kamin, das sie wärmen würde, wenn sie zurückkehrte, aber wohin eigentlich? Sie konnte nirgends mehr hin, also hatte sie zur Zeit nicht einmal mehr ein Dach über dem Kopf, was sie nun endlich realisierte. Roze saß nun allein hier, irgendwo, wo sie dachte, lieber nie gewesen zu sein. Es herrschte absolute Stille, sodass sie dem leisen Schlagen ihres Herzens lauschen konnte. Ihr wurde nun allmählich klar, dass es kein Zurück mehr gab für sie. Es würde niemand kommen und sie abholen, oder ihr beruhigend zureden, also zog sie langsam die Beine an ihren Körper und umschlang diese. Ihre Fingernägel krallten sich in die zerrissene Jeans, während sie den Kopf auf ihren Knien abstützte, dass einige ihrer langen, dunklen Strähnen Roze über die Schultern fielen. Einige Zeit verharrte sie so. Die Stille tat ihr gut und so konnte sie ihre Gedanken ordnen, wodurch sie natürlich immer wieder auf ihr momentan größtes Problem stieß. Roze zog aus ihrer Jackentasche das zusammengefaltete Blatt Papier, welches sie immer wieder, während den letzten Stunden, umfasst hatte, als würde sie sicher gehen, dass es noch da war. Sie warf sich mit einer Kopfbewegung die Haare aus dem Gesicht. Mehr aus Wut, als aus Trauer verzog sich ihre Miene und im nächsten Moment landete das Dokument über die Kündigung ihrer Wohnung im Mülleimer neben der Bank, wo es auch liegen blieb. Zornestränen bahnten sich in ihren meeresblauen Augen an und ihre Hände gruben sich tiefer in den rauen Stoff ihrer Hose. „Gott… oh, Gott, warum ich…? Sag mir, warum immer ich?!…“ Die Wut griff auf sie über, ließ sie sich aufrichten und einige Schritte in den Raum machen. „Na sag schon! Gib mir eins deiner beschissenes Zeichen, Gott, und lass mich wissen, warum du mich so hasst!! Warum hasst du mich so!?!“ Ihre Stimme überschlug sich und endete in einem lauten Schluchzen. Die 17jährige hielt sich die Hände vor die wassernassen Augen und sank wimmernd zu Boden. „Ich scheiß auf dich, Gott…!“Ein Reiß-Geräusch ließ zu zusammenzucken und zur Decke aufschauen. Bewegungs- und reaktionsunfähig sah sie auf den Riss über ihr, der sich an der Decke aufgetan hatte. „W-was…?!“ Stotterte Roze fassungslos und stand zittrig auf. War dies etwa das Zeichen, um welches sie gebeten hatte? Plötzlich fiel ein Körper aus dem Spalt und landete unsanft auf den Bahngleisen. Wieder in die Gegenwart zurückgeholt, sprang sie sofort über den Absatz zu dem Fremden hinab und besah ihn sich genauer, während sie seinen Oberkörper versuchte abzustützen. Roze wusste nicht genau, warum sie das für den seltsamen Rothaarigen tat, doch sie hatte aus irgendeinem Grund das Gefühl, dass sie es müsse. Als sie seinen Rücken entlangfuhr spürte sie etwas Nasses, umso mehr erschrak sie, als sie feststellte, dass es Blut war, das aus zwei großen Wunden in der Nähe seiner Schulterblättern austrat. Der kalte Schweiß stand ihr auf der Stirn. Was sollte sie jetzt nur tun? Der, wie sie schätzte, ebenfalls 17jährige sah aus, als würde er friedlich schlafen. Hastig fasste sie mit Zeige- und Mittelfinger an seinen Hals und atmete erleichtert auf, nachdem sie seinen Puls spürte. Klar war, dass sie ihn von den Gleisen schaffen musste, ansonsten… Das näherkommende Rattern von Rädern unterbrach sie in ihren Gedankengängen und ließ sie herumfahren. Das Licht der Scheinwerfer war bereits so nah, dass es sie blendete und Panik in ihr aufsteigen ließ. Vergangene Bilder rasten vor ihrem inneren Auge Revue und da wusste Roze, dass es zu spät war. Sie hörte sich nur noch schreien, bevor die Lichter ausgingen…
Being on Earth
Plötzlich zersprangen die Glühbirnen in den flackernden Lampen der Station, als sich der Körper in Rozes Armen hob und herumwirbelte. Die Brünette blickte in zwei helle, strahlend graue Iren und alles schien sich in diesem Moment in Zeitlupe zu bewegen; Sie war vollkommen neben der Spur. Als sie an ihrer Taille gepackt wurde und den Boden unter den Füßen verlor, fiel ihr erst der eigentliche Ernst der Lage wieder ein. „Wir werden sterben!!“ rief sie heiser und kniff die Augen zusammen, auf ihr sicheres Ende wartend. Geräuschvoll fuhren die Wagons an ihnen vorbei. Erst, nachdem die Laute in den Tunneln verhallten und nur noch der leise Zugwind von den Aufstiegen herunter blies, traute Roze sich aus einem ihrer meerblauen Augen zu schmulen. „Na, alles in Ordnung?“ fragte eine warme, melodische Stimme über ihr, die sie zusammenzucken ließ. Langsam hob sie den Kopf, nur um festzustellen, dass sie sich in den Armen des Fremden mit diesen grauen Augen befand. Scharf zog sie die Luft ein und stotterte noch leicht irritiert. „J-ja…alles okay…“ Ihr Blick wandere gleich darauf beschämt zu Boden, was ihr nur einen verwirrten Gesichtsausdruck ihres Gegenübers einbrachte. Ein Schmunzeln stahl sich auf seine Lippen, als er sich von ihr löste und sich vor ihr verneigte. „Gomen-nasai. Ich sollte einer solch wunderschönen Lady wohl nicht so einen Schrecken einjagen, geschweige denn sie durch meine Nähe beschämen.“ Bei diesen Worten errötete die Brünette leicht und fing nur noch mehr zu stottern an. „A-aber… M-Mo-Moment, w-was? Ich- ich ver-versteh nicht, was du…!“ Er erhob sich wieder und streckte den Rücken durch. „Allerdings hättest du echt nicht auf die Gleise springen müssen. Außer natürlich, du wolltest dich absichtlich von mir gutaussehendem Wesen retten lassen, dann versteh ich das natürlich.“ Ihr klappte die Kinnlade nach unten. „Äh, wie meinen?!“ Die Wut, die vorhin von ihrer Panik ersetzt wurde, stieg wieder deutlich auf und verlieh ihrer Stimme einen drohenden Unterton. „Hey, hey, war nur ein Scherz, ok? Wie heißt du eigentlich, Kleine?“ fragte er interessiert und beugte sich –die Hände in den Taschen- zu ihrem Gesicht vor. Roze jedoch verengte die Augen zu Schlitzen. „Weshalb sollte ich dir antworten?“ Ihr Gegenüber seufzte beinahe enttäuscht und entfernte sich von ihr. „Weil du mich berührt hast. Ist das nicht klar?“ „W-was?“ fragte sie mit bebender Stimme und zog eine Augenbraue in die Höhe. „Sag mal, ist das n’Sprachfehler, oder hörst du auch mal wieder auf zu stottern?“ schmiss er in den Raum, während er seine Umgebung musterte und die Brünette nicht sonderlich beachtete. „Ich bin durchaus auch in der Lage normal zu sprechen! Und außerdem, was sollte das heißen, ‚berührt‘?! Sag schon!“ Ihr Kopf nahm mehr und mehr an Farbe zu, nicht nur, weil man diese eine Aussage falsch interpretieren könnte, sondern auch, weil sie zwischendurch kein einziges Mal Luft geholt hatte und nun erst einmal durchatmen musste. „Oh! Nein, nein, so war’s nicht gemeint!“ verteidigte er sich und versuchte sie durch ein Grinsen zu beschwichtigen. „Dann drück dich klarer aus…“ nuschelte sie und verzog das noch leicht rötliche Gesicht. Eine unangenehme Stille brach über die beiden herein, die jedoch schnell wieder gebrochen war. „Also, verrätst du mir jetzt deinen Namen?“ Sie zögerte, sah zur Seite. „…Roze.“ Ein freches Lächeln zog sich breit über den Mund des Rothaarigen. „Na siehst du? Geht doch. Ich heiße Roumen.“ Roze legte die Stirn in Falten. „Deine Eltern müssen dich sehr gehasst haben“, sagte sie beiläufig und ging zum Bahnstieg, um nach dem Riss in der Decke zu suchen, zu ihrer Überraschung war er nicht mehr da. „Hey, meine Eltern haben mich sehr geliebt! Glaub ich zumindest. Hmm… Naja mit 349Jahren lässt das Gedächtnis eben nach, “ überlegte er laut und zuckte dann mit den Achseln. „Oi, pass auf, dass du da nicht runterfliegst!“ Roze war erstarrt und drehte geradezu mechanisch den Kopf zu Roumen herum. „Sagtest du da gerade drei…hundert Jahre?“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Nein, ich sagte 349 nicht 300.“ Sie musterte ihn von oben bis unten eingehend, woraufhin er ihr nur wieder einen merkwürdigen Blick zukommen ließ. „Lass die Scherze, du blamierst dich nur…“ „Hmpf… Ja ja, die Menschen, sie glauben immer nur an das, was sie auch sehen können.“ Er verschränkte die Arme nun hinter seinem Kopf und wandte sich grinsend von ihr ab. Rozes marineblauen Augen weiteten sich, als sie die beiden zerrissenen Stellen im Stoff seines Oberteils ausmachten. Gedanklich stieg ihr der frische Geruch des Bluts in die Nase und ließ sie schaudern. Was die Brünette jedoch erstaunte war, dass weder von den Wunden noch von dem Blut irgendeine Spur geblieben war. Hatte sie es sich nur eingebildet? Aber wenn, woher stammten dann die beiden Löcher in Roumens Kleidung? Hier waren eindeutig Nachforschungen fällig, die sich sich aber eigentlich gern erspart hätte.
An Angel...?
Schwer ließ Roumen sich auf die Betonbank an der Wand fallen und fasste sich an die Schulter. „Mann, hab ich einen Kater!“ stöhnte er und lockerte sein Gelenk durch einige Drehbewegungen. Roze beobachtete ihn eine Weile still, wie er sich -als ob er sowas noch nie gesehen hätte- gründlich die U-Bahnstation besah. „Hey? Wo bin ich hier eigentlich gelandet?“ kam dann auch schon die Frage, die Roze eine Augenbraue in die Höhe schieben ließ. Sie schnaubte, was einige kleine Dunstwölken in der kristallklaren Luft entstehen ließ. „Zuerst möchte ich von dir wissen, wie du überhaupt hierher gekommen bist, sonst sag ich dir nämlich gar nichts.“ Meinte sie und verschränkte abwartend die Arme.
„Ach, das ist eine lange Geschichte, die willst du sicher nicht hören.“ „Also, ich hab Zeit, massig sogar.“ Sie bemerkte, dass er versuchte vom Thema abzulenken, ließ sich aber bestimmt nicht davon abbringen herauszufinden, wer der komische Kerl eigentlich war, und konterte sogleich. Außerdem hatte sie wirklich viel Zeit, in der sie sowieso nicht wusste, was sie mit sich anfangen sollte. „Du wirkst mir ehrlich gesagt etwas zu entschlossen für deine missliche Lage.“ Bemerkte Roumen und rief bei seinem Gegenüber leichtes Entsetzen hervor, dies zeichnete sich auch deutlich in den Zügen der Brünette ab. „Stopp, w- woher weißt du über meine Lage bescheid? Du kennst mich doch gar nicht!“ „Ops.“ Die Stimmung kühlte mit einem Mal bis unter den Gefrierpunkt ab und ließ ein unwohles Gefühl in Roumen aufkommen, sodass er sich um ein Haar versehentlich zu erkennen gegeben hatte. Roze verengte ihre Augen zu schmalen Linien und fragte ihn noch einmal ruhig, aber mit deutlichem Nachdruck: „Woher?“ „Mal ehrlich, bei deinem Aussehen ist das auch nicht schwer zu erraten.“ Eine Spur Wahrheit war da nicht zu leugnen, aber so, wie er es sagte, war es nicht sein erster Gedanke gewesen. Jetzt dolchte die junge Frau ihn geradezu mit ihrem Blick auf, was ihn sichtlich nervös machte, noch mehr, als er es nun sowieso schon war, also gab er nach, ehe er es bereute. „Ja ja, hab schon verstanden. Ich müsste es dir so oder so erzählen.“ „Was soll denn das jetzt wieder heißen? Sprich nicht auch noch in Rätseln.“ Sie bekam von der ganzen Situation langsam Kopfschmerzen. Dass sie sich überhaupt mit so etwas befasste! Ungeheuerlich! Vor einem Jahr wäre sie in derselben Situation schon längst mit wehenden Fahnen geflohen, doch jetzt? Die Zeiten hatten sich geändert, sie verspürte nicht mehr das Verlangen immer auf Nummer sicher zu gehen, da sie an sich nichts mehr zu verlieren hatte. Sie schüttelte die Gedankengänge, die sie langsam zu verschlucken schienen, ab, setzte sich auf die kalte Betonbank neben den Rothaarigen und zog ihre Beine an, da es mit dem Einbruch der Nacht wirklich verdammt kalt geworden war. Es ging bereits auf Mitternacht zu.
„Ich werde kein Blatt vor den Mund nehmen, also kommen wir gleich zum Punkt.“ Roze nickte und ließ ihn fortfahren. „Ich bin kein Mensch, also, naja, ich bin ein Engel.“ Eine kurze Pause erfüllte die Luft. „Du erwartest jetzt aber nicht, dass ich das glaube, oder?“ „Ähm, nein, stimmt nämlich eigentlich gar nicht…“ Innerlich seufzte die Brünette auf und war erleichtert darüber, keinem Psychopaten in die Arme gelaufen zu sein. „Ich bin ehrlich gesagt ein gefallener Engel.“ Meinte Roumen dann. Erst einige Sekunden später bekam er den versteinerten Ausdruck der jungen Frau an seiner Seite mit. //Also doch ein Geistesgestörter…// schoss es ihr durch den Kopf, doch sie verdrängte den Gedanken schnell und versuchte sich wieder zu konzentrieren. „Mit der Geschichte wirst du kein jemals dagewesenes, halbwegs vernünftiges Lebewesen überzeugen können.“ Gab sie ihm nüchtern zurück, sah aber verwundert und gleichermaßen verwirrt auf, als Roumen plötzlich zu lachen anfing. „Menschen! Ich seid immer wieder ergötzlich für die Seele eines jeden unserer Art!“ feixte er und erreichte damit nur, dass Roze empört nach Luft schnappte und sich knurrend von ihm abwandte. „Hm, ich denke, du wirst noch früh genug bemerken, dass ich die Wahrheit spreche.“ Verteidigte er sich amüsiert und verdrückte noch einige Male ein Kichern, das ihn zu vereinnahmen schien, bevor auch er zur Ruhe kam und erneute Stille über sie hereinbrach.
Sweet Night
Die Zeit zog sich nur schleppend und leise dahin. Die Kälte der hereingebrochenen Dunkelheit drang nun auch durch Rozes zerschlissene Jacke und machte ebenso wenig Halt vor der alten Jeans, die sie trug. Sie wünschte sich momentan, mehr als je zuvor, ihre kleine heruntergekommene Wohnung im 4.Stock des Klayton Wohnhauses zurück. Die Brünette hätte nie gedacht, dass sie die alte, zugige Bruchbude im schlimmsten Viertel der Stadt jemals vermissen würde, vielmehr hatte sie sich auf den Tag gefreut, an dem sie sie endlich verlassen würde. Wie man sich doch irren konnte. Sie fiel in das Meer ihrer Gedanken und Erinnerungen, das sie so lange versucht hatte zu verdrängen, und tauchte darin ein. Langsam übermannte sie die Erschöpfung, die Müdigkeit, die die junge Frau schon seit Stunden plagte. Sie bemerkte nicht, dass ihr Kopf zur Seite sackte, oder die Wärme, die sie nach einiger Zeit wie eine Decke umhüllte. Sie schlief einfach ein.
Roumen fröstelte leicht. Nicht der Kälte wegen –als einer, der der himmlischen Rasse entsprang, waren Temperaturstürze bis zu 30°C unter null kein Hindernis für ihn- vielmehr war es wegen der jungen Sterblichen, deren Kopf auf seiner Schulter ruhte. Seine Jacke lag ihr über den Schultern und sollte sie mehr wärmen, als die zerlumpten, alten Klamotten, die sie trug. Roumen seufzte tief und legte den Kopf in den Nacken. Nachdenklich musterte er die graue Decke über ihm, die von den übrigen Neonröhren beleuchtet wurde. Der Rothaarige gab es nur äußerst ungern zu, doch er besaß nur geringes Wissen über die Welt der Sterblichen. Irgendwie hatte er sich Askai ja anders vorgestellt, doch wenn es überall so aussah wie in diesen zugigen, grauen Hallen konnte er auch gut auf seinen unfreiwilligen Aufenthalt hier verzichten. Mit der Linken fuhr Roumen sich durch sein flammendes Haar, als er etwas weiter entfernt ein metallisches Schaben wahrnahm. Zwei reflektierende Augen stachen aus einer dunklen Ecke hervor und erforschten ihre Umgebung. Es war ein kleiner Marder, der im Schutz der Nacht einige Mülltonnen nach frischen Abfällen durchstöberte. Das Tier fühlte sich durch ihn und Roze anscheinend nicht gestört und fuhr fort den Mülleimer zu plündern. Rumen sah zu einem der verbliebenen Neonlichter, vor dem mehrere Insekten auf und ab flogen und dabei immer wieder gegen die Lampen stießen. Es gab so viel Leben an einem Platz wie diesem, dabei war dieser Ort doch so lebensfeindlich. Es wunderte ihn auch, dass die Brünette hierher gekommen war. Suchte sie die Einsamkeit? Verband sie etwas mit diesem Ort? Wollte sie hier etwas erledigen? Warum war er gerade ihr begegnet? Weshalb beschäftigte ihn die Sache eigentlich so sehr?
Sein Kopf fing bei diesen vielen Fragen an zu schmerzen, sodass er mit der Zeit keinen Gefallen mehr daran fand weiterzudenken. Es lohnte sich nicht über etwas zu grübeln, worauf es jetzt noch keine Antwort gab.
Ein Luftstoß fegt durch die Station und riss das Papier mit sich, das der junge Marder zuvor achtlos aus dem Behälter geschmissen hatte. Ein Zeitungsblatt fand seinen Platz direkt in dem Gesicht des Rothaarigen und ließ ihn verwirrt mit seinen Händen vor seinem Gesicht herumfuchteln. Aufgebracht zog er sich die Zeitung aus der Sicht und musterte sie zuerst noch etwas orientierungslos, ehe ihm ein markanter Schriftzug ins Auge sprang. „Pandajunges Akio gestorben?“ er überlegte kurz, das kam ihm irgendwie vertraut vor. „Das war doch dieses komische Vieh, um das sie letztens so einen Rummel gemacht haben!“ Sofort zuckte er in sich zusammen, als er bemerkte wie laut er gesprochen hatte. Roze murmelte nur etwas Unverständliches und kuschelte sich näher an ihn. Roumen runzelte die Stirn und überlegte weiter. Seine Schwester war dafür zuständig gewesen den merkwürdig beliebten Bären zu richten. Er verstand noch immer nicht, was an diesem einen Tier so viel mehr dran war, als an einem anderen auch.
Jetzt erinnerte er sich auch wieder schmerzlich an seine Verbannung, seinen Fall. Jira, seine Schwester, sie wollte ihn noch vor dem Unvermeidlichen bewahren und er war sich sicher, dass sie versuchen würde zu ihm zu gelangen. Abermals seufzte der Gefallene und las, um sich abzulenken einen anderen, diesmal kleineren Artikel in dem alten Zeitungsstück. Als er dann bereits die Hälfte gelesen hatte, kam eine kleine Anzeige, die ein breites Grinsen auf seine Mundwinkel zauberte. Roumen faltete das dünne Papier zusammen und steckte es weg. Behutsam erhob er sich und nahm Roze auf seine Arme. Vorsichtig, sodass sie nicht erwachte, was nicht nur für sie sondern besonders für ihn eine äußerst peinliche Situation hervorgerufen hätte. Wahrscheinlich wäre ihm dann der Ruf eines „perversen Psychopaten“ auf ewig hinterher gehangen. Ihre Nähe ließ ihn leicht erröten. „Und ich dachte, so etwas hätte ich hinter mich, als ich starb.“ Flüsterte er leise und machte sich ruhigen Schrittes an den Treppenaufstieg nach oben, wo ihn sogleich, trotz des fehlenden Straßenlärms, die Lichter und der Glanz der nächtlichen Innenstadt begrüßten und blendeten.
Es bescherte ihm eine neue Sicht der Dinge und er würde es sich sicher nicht nehmen lassen hier noch den einen oder anderen Laden unsicher zu machen.
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kleines Nachwort:
Töhöhö das mit dem Pandajungen nicht zu hoch bewerten, ja >,> mir is nix anderes eingefallen, und das Kapitel musste noch etwas länger werden xD"
lg BBlue