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Code Geass: Messing with Time

Und weil es so schön war, gleich noch mal...
von

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Der schauspielernde Prinz

Benommen kam Lelouch auf die Beine, die linke Hand an die Schläfe gepresst und mit Kopfschmerzen, wie er sie nur selten zuvor gehabt hatte.

Für einen kurzen schrecklichen Moment lang fragte er sich, ob er seine Unterhaltung mit C.C. nicht vielleicht nur geträumt oder ihre Worte falsch gedeutet hatte, aber dann fiel sein Blick auf das leblose Mädchen, das direkt zu seinen Füßen in einer Blutlache lag, und er wusste, dass er sich weder geirrt noch halluziniert hatte. Er sah auf und war nicht überrascht festzustellen, dass er von einem halben Dutzend uniformierter Männern umgeben war, die mit Ausnahme ihres Anführers allesamt ihre Waffen auf ihn gerichtet hatten und den Eindruck machten, sich ihrer Sache vollkommen sicher zu sein.

Um ein Haar hätte ihr Anblick Lelouch ein Lächeln entlockt - in letzter Sekunde hielt er es jedoch zurück und bemühte sich, nicht allzu vergnügt auszusehen. Es schadete nie, seine Gegner ein wenig zu verwirren, aber sie aus heiterem Himmel vollkommen zu verunsichern, indem man im scheinbaren Angesicht des Todes grinste wie ein Wahnsinniger, war in der Regel keine sonderlich gute Idee. Selbst bei einem so selbstsicheren Haufen wie diesem hier könnte ein solches Verhalten leicht zu Panik und entsprechenden Reaktionen führen.

Lelouch war nicht in der Zeit zurückgereist, um nach nicht einmal einer halbe Minute in der Vergangenheit von einer Horde selbstgerechter Dummköpfe in einen Schweizer Käse verwandelt zu werden.

„Sagt mir“, setzte er also an, bevor die Männer Gelegenheit hatten, sich zu überlegen, ob sie lieber sofort schießen wollten oder erst in ein paar Sekunden, „gibt es so etwas wie Schicksal?“ Natürlich würde eine solche Frage ohne jedweden erkennbaren logischen Zusammenhang ihn auch nicht unbedingt wie die Verkörperung der geistigen Gesundheit wirken lassen, aber zumindest war es unwahrscheinlich, dass sie die Umstehenden übermäßig beunruhigen würde. Menschen neigten nun einmal dazu, recht schnell den Verstand zu verlieren, wenn sie sich mit dem eigenen Tod konfrontiert sahen.

Zwar richtete nun auch der offenkundig ranghöchste der Soldaten seine Waffe auf Lelouch, aber wie erwartet machte er wesentlich eher einen belustigten als verunsicherten Eindruck. „Bist du etwa ein Philosoph?“

Lelouch würdigte diese geringschätzigen Bemerkung keiner Antwort, und als das vollständige Ausbleiben einer Reaktion den Mann sichtlich verblüffte, wusste er, dass das der richtige Zeitpunkt war. „Was ist?“, höhnte er. „Wolltest du nicht schießen?“ Seine Stimme hätte kaum herablassender klingen können, aber in Wahrheit fühlte jedes einzelne Wort sich seltsam auf seiner Zunge an – surreal, so als würde er einen einstudierten Vers aus einem schlechten Theaterstück aufsagen, in dem er vor langer Zeit einmal mitgespielt hatte. „Oder hast du es begriffen?“ Langsam senkte er die Hand, die bis dahin sowohl seine schmerzende Schläfe als auch sein linkes Auge bedeckt hatte. „Dass es nur denjenigen erlaubt ist zu schießen, die auch bereit sind, selbst erschossen zu werden.“

Sein Gegenüber starrte ihn an, nacktes Entsetzen auf den Zügen. „W-was ist das?“, wollte der Mann wissen, und Lelouch brauchte gar nicht erst zu überlegen, wovon er sprach.

Geass.

Er hatte fast vergessen, wie es sich anfühlte, diese Macht zu besitzen. Sie zu nutzen, anstatt so zu tun, als hätte er sie im Augenblick seines vermeintlichen Todes verloren.

Es fühlte sich erschreckend gut an.

Lelouch war sich im Klaren darüber, dass man die Geschichte in erster Linie deshalb kennen sollte, um zu verhindern, dass sie sich wiederholt. Aber manchmal, das beschloss er in diesem Augenblick, in dem die Macht des Geass ihn so sehr berauschte, als hätte er tatsächlich noch nie zuvor Gebrauch von ihr gemacht, ist es nichtsdestotrotz besser, ihr einfach ihren Lauf zu lassen.

Er fixierte die Soldaten, die sich vermutlich nicht einmal vom Anblick seines rotglühenden Auges hätten losreißen können, wenn sie gewusst hätten, mit was sie es da zu tun hatten, und hob gebieterisch den Arm.

„Ich, Lelouch vi Britannia, befehle euch…“ Er sah jedem der Männer einzeln in die Augen, und für einen flüchtigen Moment fragte er sich, ob sie wohl Familie und Freunde hatten, die ihren Tod betrauern würden. Aber dann war der Augenblick vorüber und alle Zweifel, die er bis dahin noch gehabt haben mochte, lösten sich in Luft auf. „Sterbt!“

Die Reaktion erfolgte unmittelbar, nachdem er geendet und das überwältigende Gefühl der Macht ihn verlassen hatte.

Irres Gekicher, das überall um ihn herum ertönte.

Das Klicken von Waffen, die entsichert und an Halsschlagadern gesetzt wurden.

Und dann, schließlich, ein euphorischer Chor von Stimmen: „Yes, your Highness!“

Lelouch hörte, wie ein Dutzend Schüsse nahezu synchron abgefeuert wurden, und sah das Blut, das ihm entgegenspritzte, aber er achtete kaum darauf - selbst dann nicht, als er ein paar Tropfen der warmen Flüssigkeit an seiner Wange spürte.

Die Zeit lief ihm davon, und auch wenn er bereits eine ungefähre Ahnung von dem hatte, was er als nächstes tun würde, konnte sein Vorhaben unmöglich gelingen, wenn er nicht erst gewisse Vorkehrungen traf.

„C.C.?“ Er ging neben der grünhaarigen Frau in die Hocke und nahm vorsichtig ihre Hand in die seine – manchmal fiel es ihm schwer, nicht zu vergessen, dass er es mit einer Unsterblichen zu tun hatte, die selbst in ihrem gegenwärtigen Zustand wohl kaum zerbrechen würde, wenn er sie berührte. Lelouch lächelte über seine eigene Torheit und sah auf das unbewegte Gesicht seiner Komplizin hinab. „Könntest du etwas für mich tun?“

Er war sich beinahe sicher, dass die Graue Hexe ihn trotz äußeren Anscheins hören konnte und dass ihre Wunden längst wieder zu heilen begonnen hatten, aber er hätte sich trotzdem besser gefühlt, wenn sie ihm irgendein Zeichen dafür gegeben hätte, dass er nicht im Begriff war, eine Bewusstlose um einen Gefallen zu bitten, von dem der ganze Erfolg seines ohnehin noch nicht ganz ausgereiften Plans abhing. Als er nach mehr als zwanzig Sekunden jedoch noch immer kein Lebenszeichen von C.C. erhalten hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als das Risiko einzugehen.

In wenigen Worten erklärte Lelouch der Unsterblichen, was sie zu tun hatte, und kam sich dabei den Umständen entsprechend merkwürdig, um nicht zu sagen albern vor.

Und er war noch nicht ganz fertig mit seiner knappen Erläuterung, als das Geräusch einer Explosion in seiner unmittelbaren Nähe ihn den Kopf heben ließ. Rasch beendete er noch den angefangenen Satz, dann sprang er auf die Beine und fixierte den Knightmare, der mitten durch die zertrümmerte Wand hindurch auf ihn zukam.

Das, was als nächstes kam, war der einfachere Teil seines Vorhabens.

„Was ist hier passiert?“, dröhnte Viletta-senseis Stimme aus der riesigen Maschine. Obwohl er sich schon vor langer Zeit von dem Geass seines Vaters befreit und wenig später die wahre Identität der Frau in Erfahrung gebracht hatte, fiel es Lelouch noch immer erstaunlich schwer, in der hochrangigen Soldatin etwas anderes zu sehen als seine überaus obstinate, aber im Grunde harmlose Sportlehrerin. „Was macht ein britischer Schüler an solch einem Ort?“

Dieses Mal hob Lelouch sofort die Hände als Zeichen dafür, dass er keine feindseligen Absichten hegte, und begann zu sprechen, noch bevor die Puristin ihre Warnschüsse abfeuern konnte. In Gedanken jedoch befand er sich längst bei anderen unerlässlichen Komponenten seines Plans.

Nachdem er sich spontan ein Alias ausgedacht und schließlich Schutz von Viletta erbeten hatte, stieg die Frau mit gezückter Waffe aus ihrem Knightmare.

Lelouch lächelte und fragte sich, ob sie ihm wohl sagen könnte, wo man hier in der Nähe am besten an Sprengstoff kam.
 

Für eine gute halbe Stunde verlief alles nach Plan.

Lelouch schaffte es zwar nicht mehr, sich den Sprengstoff anzusteigen, bevor er Kallen aus ihrer misslichen Lage befreite, aber das hatte er auch nicht erwartet. Es genügte ihm, dass er gerade noch rechtzeitig auf dem Schlachtfeld erschienen war und es abermals geschafft hatte, dem zukünftigen Orden der Schwarzen Ritter zum Sieg und überdies auch noch zu einem ganzen Zug voller Ausrüstung zu verhelfen. Es war ihm sogar gelungen, zuvor noch ein kurzes Telefonat zu führen, das sein weiteres Vorgehen enorm erleichtern würde.

Allerdings hätte er wissen sollen, dass es niemals ein gutes Zeichen war, wenn die Dinge zu reibungslos verliefen. Und dieses Mal konnte Lelouch es nicht einmal einem so praktischen Sündenbock wie dem Zufall oder dem Schicksal zuschreiben, dass seine Glückssträhne nach gerade einmal zweiunddreißig Minuten und siebenundvierzig Sekunden ein jähes Ende genommen hatte.

Irgendwie nämlich war er auf die für ihn uncharakteristisch dämliche Idee gekommen, sich dem Lancelot im Kampf zu stellen – so, wie er es schon einmal getan hatte, und nur um sicherzugehen, dass er in diesem frühen Stadium noch nicht zu viel veränderte.

Im Nachhinein schrieb er diesen kurzen Moment der Unzurechnungsfähigkeit der Tatsache zu, dass diese ganze Sache viel zu kurzfristig und improvisiert war, und dass er wie die meisten fähigen Strategen eine natürliche Abneigung dagegen hatte, einen entscheidenden Vorteil aufzugeben, den er gegenüber seinen Feinden hatte – in diesem Fall das ausgesprochen nützliche Wissen darum, wie genau die Welt sich ohne sein Eingreifen in den nächsten paar Jahren entwickeln würde.

Lelouch manövrierte den Knightmare, den er sich auch dieses Mal wieder von seiner zukünftigen Sportlehrerin ausgeliehen hatte, durch die Häuserblocks von Shinjuku und klammerte sich an die morbide Hoffnung, dass sein Verfolger jeden Moment abgelenkt würde und dass die Frau damals nicht durch Lelouchs eigenes Verschulden aus einem der Fenster gestürzt war – ein Szenario, das er unmöglich erneut herbeiführen könnte, ohne das Risiko einzugehen, jetzt schon wieder unschuldiges Blut zu vergießen, und erst recht nicht ohne zu wissen, wo genau die betreffende Person sich gerade befand.

Andererseits blieb ihm vielleicht gar keine andere Wahl, als es einfach darauf ankommen zu lassen.

Suzaku, das wusste Lelouch besser als jeder andere, war nicht nur ein unersetzlicher Verbündeter, sondern auch ein schrecklicher Widersacher. Selbst damals – nein, selbst jetzt -, wo er nur kämpfte, um Tode zu verhindern, und es entschieden vermied, selbst zu töten, hätte Lelouch sich kaum einen furchteinflößenderen Gegner vorstellen können.

Er fluchte leise, als er mit seinem Knightmare bei einem besonders brisanten Ausweichmanöver beinahe in eine Betonwand krachte. Lange würde er das hier nicht mehr durchhalten.

Gerade wollte er einen letzten verzweifelten Versuch unternehmen zu verhindern, dass sein Kontrahent zu ihm aufschloss, als er bemerkte, dass dieser abrupt innegehalten hatte und sich nun in die entgegengesetzte Richtung bewegte. Trümmer und Staub verhinderten, dass Lelouch sehen konnte, was genau ihn zu diesem plötzlichen Sinneswandel getrieben hatte, aber er konnte es sich denken.

Lelouch lächelte – Suzaku war nun einmal immer noch Suzaku – und dankte den höheren Mächten, an die er nur bedingt glaubte, für diese glückliche Fügung; dann setzte er seinen Weg fort, ohne noch mehr Zeit zu verlieren.

Der Pilot des Lancelot war sicherlich Teil der Probleme, mit denen er sich frühzeitig würde befassen müssen, wenn er die Welt auf einen anderen Kurs setzen wollte als den, der ihr im Augenblick noch vorherbestimmt war, aber zuvor gab es noch etwas anderes, das er tun musste.

Auch wenn das bedeutete, dass man seinen bester Freund als Mörder anklagen würde.
 

~
 

„An alle Truppen: Sofort das Feuer einstellen!“ Obwohl eine Waffe auf ihn gerichtet und weit und breit keine Wache mehr in Sicht war, gab Clovis la Britannia das Kommando mit fester und eindringlicher Stimme. Lelouch glaubte sich zu erinnern, dass es beim letzten Mal nicht anders gewesen war, musste aber einsehen, dass er damals viel zu sehr von dem Gedanken besessen gewesen war, den Tod seiner Mutter zu rächen und die Welt zu verändern, als dass er etwas im Vergleich dazu so Trivialem wie dem Auftreten seines Feindes genügend Aufmerksamkeit geschenkt hätte, um das im Nachhinein noch mit Sicherheit sagen zu können. Alles, woran er sich noch lebhaft erinnern konnte, wenn er an jenen Tag zurückdachte, waren Clovis’ vor Furcht geweitete Augen; das Geräusch der Waffe, als er den Abzug drückte, und das viele Blut, an das er noch viele Wochen später nur zu denken brauchte, damit sein Magen kurzerhand beschloss, dass er doch lieber auf seinen Inhalt verzichten würde.

Es war sein erster bewusster Mord gewesen, einkalkuliert und kaltblütig und doch überstürzt, und allein schon diese Tatsache genügte, damit Lelouch sich im Nachhinein an keine Details außer denen mehr erinnern konnte, die sich für immer in sein Gedächtnis eingebrannt hatten. Dass derjenige, den er getötet hatte, kein Fremder gewesen war, sondern sein älterer Halbbruder, machte es keineswegs besser – ganz gleich, wie viele Menschen Clovis auch auf dem Gewissen haben mochte.

Sein Bruder war ein erwachsener Mann und trug ohne jeden Zweifel die volle Verantwortung für seine Taten, aber letzten Endes konnte er genauso wenig wie Lelouch etwas dafür, dass er als Sohn seines Vaters geboren worden war. Lelouch erinnerte sich an den Jungen, der ihn als Rivalen gesehen und sich über jede verlorene Partie geärgert, aber sich trotzdem lieber auf sein Zimmer zurückgezogen und gemalt hatte, als selbst an seinen schlechtesten Tagen bei einer ihrer Streitereien laut zu werden – selbst dann, wenn Lelouch gerade einen besonders bösartigen Moment gehabt und ihm seine Niederlage subtil unter die Nase gerieben hatte -, und fragte sich, was wohl aus ihm selbst geworden wäre, wäre Nanali nicht gewesen und hätte V.V. damals nicht beschlossen, dass Marianne vi Britannia ein unhaltbarer Störfaktor war, der beseitigt werden musste.

Der Schluss, zu dem er kam, gefiel ihm nicht, und er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Clovis, dessen betont gelangweilter Gesichtsausdruck in keiner Weise zu dem nachdrücklichen Befehlston passte, in dem er nun fortfuhr: „Als Gouverneur von Gebiet Elf und im Namen des Dritten Prinzen, Clovis la Britannia, befehle ich, dass alle zerstörerischen Handlungen unverzüglich einzustellen sind.“ Nein, niemand würde darauf kommen, dass der Mann, von dem diese Worte stammten, sich gerade einem bewaffneten Feind gegenübersah. Lelouch fragte sich, ob Clovis seine Rolle so gut spielte, weil er wusste, dass der Gegner, mit dem er es zu tun hatte, ihn ohne zu zögern erschießen würde, sollte jemand versuchen, ihm zur Hilfe zu kommen, oder ob sein Bruder zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch keine Angst hatte. Glaubte er, dass jeden Moment jemand den Eindringling überwältigen würde, oder war er wirklich ein solch guter Schauspieler? „Helft den Verwundeten ungeachtet dessen, ob sie britische Bürger oder Elfer sind“, setzte Clovis seine Ansprache fort und wiederholte dann noch einmal: „Im Namen von Clovis la Britannia! Sofort das Feuer einstellen!“ Lelouch fand, dass das schon gereicht hätte, aber sein Bruder ließ es sich nicht nehmen, seine Sache perfekt zu machen – ganz so, als wollte er Lelouch beweisen, dass es ihm nicht das Geringste ausmachte, diesen Befehl zu geben. „Ich werde keinen weiteren Konflikt mehr dulden!“, schloss er seine Rede mit nachdrücklicher Bestimmtheit. Erst dann schaltete er die Lautsprechanlage aus.

„War das alles?“, verlangte er zu wissen, und Lelouch kam zu dem Schluss, dass er selbst die Kunst der Verstellung mittlerweile zwar meisterhaft beherrschte, aber dass es immer noch mindestens eine Person gab, die ihn auf diesem Gebiet ohne weiteres übertraf.

„Ja“, erwiderte er. „Das war perfekt.“

Und das war es.

Clovis schien sich dessen bewusst zu sein, denn er ignorierte das Kompliment und nahm eine noch entspanntere Sitzposition ein als ohnehin schon. „Was kommt als nächstes?“, fragte er, das Kinn auf die behandschuhte Hand gestützt. „Soll ich dir ein Lied vorsingen? Oder vielleicht eine Partie Schach gegen dich spielen?“ Der gleichmütige Tonfall, in dem der Dritte Prinz sprach, hatte denselben Effekt wie seine Körperhaltung. Seine gesamte Mimik und Gestik vermittelte den Eindruck eines Mannes, der den Forderungen seines Feindes lediglich aus einer simplen Laune heraus nachkam – und nicht etwa aus Angst um sein Leben.

Lelouch lächelte. „Das weckt Erinnerungen“, sagte er, indem er ein paar Schritte näher an den Thron herantrat. Dabei entging ihm nicht, wie Clovis’ gelangweilte Miene sich im schwachen Licht der wenigen noch aktiven elektronischen Geräte kaum merklich veränderte. Er hatte wohl mit vielem gerechnet, aber nicht mit einer solch hintergründigen Bemerkung.

„Hast du mich etwa vergessen?“, fragte Lelouch, obschon er die Antwort bereits kannte, und nahm den Helm ab, der bis dahin sein Gesicht verborgen hatte. „Wir haben oft gemeinsam Schach gespielt…“ Er schmunzelte. „Obwohl ich jedes Mal gewonnen habe.“

„Was?“

„Erinnerst du dich?“ Lelouch hielt kurz inne, dann fügte er hinzu: „In Aries’ kaiserlicher Villa.“

Die milde Verwunderung, die sich bis dahin auf Clovis’ Zügen gezeigt hatte, verwandelte sich schlagartig in eine unverkennbare Irritiertheit, die an Wut grenzte. „Du…“, sagte er; nicht besonders laut, aber in einem Tonfall, der das Wort mehr wie eine Beleidigung als nach einem Personalpronomen klingen ließ. „Wer bist du?“

Lelouch lächelte unmerklich und trat aus den Schatten. „Es ist lange her…, Nii-san.”

Er hatte kaum zu Ende gesprochen, da war Clovis auch schon von seinem Thron aufgesprungen und starrte ihn aus Augen an, die in kürzester Zeit so groß wie Untertassen geworden waren.

Zum ersten Mal fiel Lelouch auf, wie seltsam es war, dass allein diese Offenbarung den blonden Prinzen so sehr aus dem Konzept brachte. Natürlich war es überraschend, seinen totgeglaubten jüngeren Bruder plötzlich vor sich stehen zu sehen - erst recht unter solchen Umständen -, aber das allein erklärte noch nicht, weshalb Clovis’ schauspielerische Fähigkeiten von diesem Augenblick an so gründlich versagten, dass es schon beinahe traurig war.

Sich jedoch weiter Gedanken darüber zu machen, wäre zu diesem Zeitpunkt vollkommen sinnlos. Lelouch hatte Clovis einmal gut gekannt, ja, aber das war selbst ohne die dreieinhalb Jahre, die er in der Zeit zurückgereist war, lange her. Zu lange, als dass er noch irgendetwas über seinen Bruder mit Sicherheit hätte sagen können, außer, dass er ein Mörder war und dass sowohl Euphemia als auch Cornelia Himmel und Hölle für ihn in Bewegung setzen würden.

Und dass er schon einmal durch seine eigenenen Hände gestorben war.

„Der älteste Sohn der verstorbenen Kaiserin Marianne“, sagte Lelouch sachlich und beendete damit abrupt seine vollkommen unnötigen Grübeleien. Dann zögerte er kurz, achtete allerdings darauf, sich nichts anmerken zu lassen. Nach kurzem Erwägen beschloss er, dass ein bisschen Theatralik unmöglich schaden könnte, und fiel genau wie damals auf ein Knie, die rechte Hand hinter dem Rücken und die linke am Herzen, als wäre er ein Ritter, der seinem König Respekt zollt. „Ich bin der siebzehnte Erbe des Throns, Lelouch vi Britannia“, endete er, ohne den Blick dabei auch nur für den Bruchteil einer Sekunde von seinem Bruder abzuwenden.

„Lelouch?“ Der Unglaube in Clovis' Stimme war unüberhörbar. „Aber du bist-“

„-tot?“, vervollständigte Lelouch den Satz für den blonden Gouverneur, der mit der Situation auf einmal vollkommen überfordert zu sein schien und ihn nun sogar noch entgeisterter anstarrte als zuvor. „Nein.“ Er sah seinen Halbbruder eindringlich an. „Ich bin zurückgekehrt, Euer Hoheit“, verkündete er. „Mit der Absicht, alles zu verändern.“

Und er erkannte, dass diese Aussage niemals treffender gewesen war.
 

Lelouch wartete noch einen Augenblick, dann erhob er sich, zog abermals seine Waffe hervor und ging so lange auf Clovis zu, bis er direkt vor ihm stand.

Dann beobachtete er teilnahmslos, wie sein Bruder - der sich inzwischen wieder gesetzt hatte -, mit mäßigem Erfolg darum kämpfte, seine Gesichtszüge zurück unter Kontrolle zu bringen.

„Lelouch!“, rief er schließlich aus. „Ich bin so froh, dich zu sehen.“ Aber Clovis' zuvor so perfekte Fassade wies nun zahlreiche Löcher auf, die jedes seiner Worte unaufrichtig klingen ließen. „Es hieß, du seiest während der Japan-Invasion umgekommen. Gott sei Dank bist du am Leben!“ Nun hörte er sich schon wieder ein klein wenig zuversichtlicher an. „Wie sieht es aus? Möchtest du in dein Heimatland zurückkehren?“

„Damit man mich wieder als diplomatisches Hilfsmittel benutzen kann?“, konterte Lelouch unbewegt. „Scheinbar hast du vergessen, wie oft wir schon als politische Werkzeuge missbraucht worden sind.“ Die Tatsache, dass Clovis daraufhin hörbar nach Luft schnappte, verriet ihm, dass sein Bruder durchaus wusste, wovon er sprach. „Ja, damals… als Mutter getötet wurde.“ In Wahrheit löste der Gedanke an Marianne vi Britannia längst nichts anderes mehr als eine dumpfe Leere in ihm aus, und das auch nur für wenige Augenblicke. Dennoch – und obwohl er mittlerweile wusste, dass der scheinbare Tod seiner Mutter damals einzig und allein auf das Konto eines eifersüchtigen Unsterblichen ging - war es wichtig, dass Clovis diese Worte hörte. „Mutter war eine Adlige, aber sie war von bürgerlicher Geburt“, rief Lelouch ihm in Erinnerung. „In den Augen der meisten anderen Kaiserlichen Gemahlinnen war ihre Existenz ein Schandfleck.“ Trotz allem vermied er es an dieser Stelle bewusst, sich zu Verallgemeinerungen hinreißen zu lassen. „Aber natürlich hat man es wie einen terroristischen Anschlag aussehen lassen.“ Er sah Clovis direkt in die Augen. Seinem Bruder schien es die Sprache verschlagen zu haben - er beschränkte sich darauf, Lelouch mit offenem Mund anzustarren, als wäre er eine Geistererscheinung aus einem Alptraum.

Lelouch fand, dass das gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt war. Nur, dass nicht er die Geistererscheinung war, sondern alle anderen Menschen, denen er in den nächsten paar Tagen begegnen würde.

„Ursprünglich“, erklärte er schließlich, „kam ich hierher, weil ich sie rächen wollte. Weil ich glaubte, du seiest ihr Mörder.“

Das riss Clovis aus seiner Starre.

„Ich war es nicht!“, verteidigte er sich hastig. Seine Miene spiegelte blankes Entsetzen wider. „Ich war es nicht!“ Als Lelouch nichts dazu sagte, sondern nur fortfuhr, ihn eindringlichen Blickes zu fixieren, die Waffe unverwandt auf seine Stirn gerichtet, hob Clovis abwehrend die Hände. „Bitte, Lelouch! Ich würde niemals-“

„Ich weiß.“ Lelouch senkte die Waffe, und Clovis nahm die Arme wieder herunter. Doch noch bevor er Zeit zum Aufatmen hatte, hob Lelouch die Pistole erneut. „Und dennoch…“

Nun war Clovis’ verzweifeltes Entsetzen beinahe greifbar. „H-hör auf damit!“, rief er und riss abermals die Arme in die Höhe, als könnte er so die Kugel abwehren, die drohte, sich jeden Moment durch seine Schädeldecke zu graben. „Auch wenn ich nur dein Halbbruder bin, bin ich immer noch dein Bruder!“ Er hielt kurz inne, suchte offenbar nach den richtigen Worten. Allerdings ohne erkennbaren Erfolg, denn er endete mit einem kläglichen: „Du kannst mich nicht erschießen!“

Lelouch lächelte kühl. „Ich kann“, widersprach er ungerührt. Doch dann trat er einen Schritt zurück und senkte erneut den Lauf der Pistole. „Aber wenn du tust, was ich sage, werde ich es nicht tun.“

Clovis starrte ihn an. Für die Dauer mehrerer Atemzüge rührte er sich nicht – selbst der angsterfüllte Ausdruck auf seinem Gesicht und die Furcht in seinen Augen blieben unverändert. Dann, ganz langsam, nahm er die Arme herunter. Er schluckte hörbar, aber obwohl seine Augen noch immer merklich geweitet waren und seine Stimme zitterte, als er schließlich sprach, schien er seine Panik vorerst in den Griff bekommen zu haben. „Was willst du?“, fragte er.

Lelouch sagte es ihm.
 

~
 

Als keine fünfzehn Minuten später die ersten Truppen dort eintrafen, wo sich noch kurz zuvor die Kommandozentrale des Dritten Prinzen des Heiligen Britischen Reiches befunden hatte, fanden sie nichts mehr weiter vor als einen überdimensionalen Trümmerhaufen. Wie es bei einer Explosion von solchem Ausmaß zu erwarten gewesen war, waren von den einstmals so prunkvollen Gemächern nur Metallreste und jede Menge Asche übriggeblieben.

Jeremiah Gottwald, der gegen besseres Wissen gehofft hatte, dass es Prinz Clovis irgendwie gelungen war, das Attentat zu überleben, musste feststellen, dass es nicht einmal eine Leiche gab, die geborgen werden konnte – nur ein paar verkokelte Stofffetzen.

Er verfluchte sich dafür, abermals versagt zu haben, und schwor noch mit demselben Atemzug, zumindest einen Teil seiner Schuld wieder gutzumachen, indem er dafür sorgte, dass der Mörder seines Prinzen seine gerechte Strafe erhielt.
 

Niemandem außer einem exzentrischen Wissenschaftler, dem es kaum gleichgültiger hätte sein können, fiel auf, dass trotz der scheinbar plumpen Natur des Mordanschlags nur der Verlust einer einzigen Person zu beklagen war.
 


 


 


 

______________

Puh, überarbeiten ist anstrengend. o.o

Und ich bin immer noch nicht ganz zufrieden, also immer her mit den Verbesserungsvorschlägen!

Irgendwie ist Lelouch schwer zu schreiben... Ich meine, er steckt alles immer scheinbar problemlos weg, aber irgendwann beißt es ihn dann doch noch in den Hintern - vorzugsweise genau dann, wenn er gerade gar nicht damit rechnet.

Na ja, im nächsten Kapi bekommt er schon mal ein bisschen Zeit zur Reflexion. *nickt vor sich hin*

Clovis ist auch so eine Sache... wo man auch hinsieht, wird er als "timid" beschrieben; aber ich finde, bis zu einem bestimmten Punkt hat er sich erstaunlich gut gehalten.

Wie dem auch sei, ich hoffe, es hat gefallen, und freue mich jetzt schon auf Rückmeldungen. ^^



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Atsusa
2012-07-22T11:27:13+00:00 22.07.2012 13:27
Ich suche im Moment auf allerhand Seiten nach guten Code Geass Fanfictions und es freut mich, dass ich diese Geschichte jetzt hier auf Animexx kommentieren und nicht nur als stummer Beobachter auf fanfiktion.de verfolgen kann!

Wow... Der Prolog und dieses Kapitel sind echt wundervoll geworden! Du hast einen sehr angenehmen Schreibstil und alles klingt so plausibel. Die Charaktere wirken bisher weder überzogen noch verzerrt, sondern genau so, wie sie sein sollen.
Der kleine Unterschied zur Serie verändert wirklich viel! Ich habe in letzter Zeit die Serie mal wieder angeschaut und im Ganzen betrachtet endlich mal den höheren Sinn verstanden, der ab der ersten Folge hinter Charles Aktionen steht.
Schade ist, dass Clovis trotzdem sterben musste, gut ist aber, dass es keine Leiche gab. Aber ob das jetzt reicht, damit Charles ihn nicht mehr befragen kann?! (Oder wolltest du damit darauf hinaus, dass Suzaku so nicht mehr als Attentäter durchgehen kann. Also das... werde ich wissen, sobald ich das nächste Kapitel angefangen habe^^)

Wahrscheinlich ist es widersinnig, dir auf eine vier Jahre alte Fanfiction noch Kommentare zu schreiben und sicher wirst du auch nach den 13 Kapiteln, die bis 2009 online waren, jetzt keine Fortsetzung mehr schreiben, weil sich deine Präferenzen bis heute geändert haben dürften. Dennoch ermutige ich dich dazu, ein derartiges Konzept nicht einfach brach liegen zu lassen^^
Von: Maryhase
2011-04-27T20:35:42+00:00 27.04.2011 22:35
das war klasse!! gleich das nächste!!

Von: abgemeldet
2010-05-07T22:32:33+00:00 08.05.2010 00:32
Ohha...
das war anders.
sehr gut anders, aber dennoch anders =)
Ich bin jetzt schon gespannt, wie es weiter geht und welche Unterschiede es noch gibt ^^

Lg
Aki ;)
Von: abgemeldet
2009-04-07T11:29:22+00:00 07.04.2009 13:29
toll
JLP
Von:  lavados
2008-10-16T18:45:22+00:00 16.10.2008 20:45
Versuch öfters Absätze zu machen, läßt sich besser lesen und sieht besser aus als große Blöcke.
zur story, typsiches erstes kapitel, besonders bei einer (quasi-)Zeitreise-FF. Gut geschrieben, aber das Sahnehäubchen war der Unterschied zum orginal am ende. Timing, Ausführung, einfach Perfekt.
ein sehr gutes Kapitel.

versuch vielleicht etwas Comedy oder Omakes reinzubringen, das lockert die stimmung(ich sag nur Milly/C.C.)


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