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Bomb Run

Eine US-Bomberbesatzung im 2. Weltkrieg
von

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Prolog

„Hier Pilot, an Heckschütze. Irgendwas erwähnenswertes da hinten?“ Davis’ Stimme schallte über die Bordsprechanlage der dunkelgrünen Boeing, genannt die Fliegende Festung.

In der Leitung, die alle Crewmitglieder über Funk miteinander verband, rauschte es, keine Antwort kam vom Heckschützen Sergeant Danny Moore. Nur zu vernehmen war das statische Knistern, das im Äther üblich war. Und zwischendurch gab es ein Klacken, das davon zeugte, dass irgendwo im Flugzeug ein anderes Mikrophon ein- und wieder ausgeschaltet wurde.

„Linker Rumpfschütze an Pilot.“

„Hier Pilot. Was gibt’s?“, fragte Davis und richtete seinen Blick auf die Flying Fortress vor ihm, deren Heck hin und her pendelte. Der blaue Himmel war übersäht mit Flugzeugen, deren Formation noch weit auseinander gezogen war. Sein eigenes Flugzeug schwankte im Propellerstrom der voraus fliegenden Maschine. Der Heckschütze der Fortress winkte ihm zu. Davis erwiderte es nicht, er war zu beschäftigt mit seiner eigenen Maschine und damit, nicht das Heck des vorderen Flugzeugs mit seinem zu besteigen.

Sie flogen einen Trainingseinsatz in einer Testformation, die irgendein Schreibtischflieger erfunden hatte und für geeignet hielt. Die neue Formation war eine flache Formation, in der die Maschinen, nicht wie sonst übereinander gestaffelt, sondern nebeneinander flogen.

„Ich glaube, das Heck ist erfroren. Hat sich vor Angst in die Hose gemacht.“ Es klickte und dann gab es Gelächter in der Leitung.

„Sehr witzig.“ Davis schüttelte den Kopf und schob sich die verrutschte Sauerstoffmaske zurecht. Er warf seinem Copiloten einen schnellen Blick zu. Luke Gunn starrte aus dem Fenster und schien ein wenig abwesend.

„Verflixt noch mal, Pilot an Heckschütze.“

Die Leitung erwachte plötzlich zum Leben und dann erscholl die kleinlaute Stimme von Danny Moore durch die Bordsprechanlage. „Hier Heck. Man, tut mir leid, Lieutenant, ich hab gerade nicht aufgepasst.“

Davis atmete tief ein und war erleichtert. Es konnte alles Mögliche passieren, während eines Fluges. Die Sauerstoffleitungen konnten zufrieren oder einfach unterbrochen sein, oder ein verirrter feindlicher Jagdflieger schlich sich in die Formation. Alles schon passiert. Nur ihnen selbst noch nicht, sie kannten es nur aus der Ausbildung, die in Rapid City begonnen hatte und hier ihr Ende fand. Schon bald waren sie keine Anfänger mehr, bald flogen sie selbst Einsätze und mussten sich nicht von allen die Geschichte, die rund um die Einsätze über dem Deutschen Reich und den besetzten Ländern kreisten, anhören.

Sein Blick flog über die Instrumente. Alle Motoren liefen rund, die Spritnadel war im grünen Bereich. Die Höhe stimmte auch, nur der Abstand zum voraus fliegenden Flugzeug passte ihm nicht. Er war eindeutig zu nahe am Heck der anderen Maschine.

Sie, also er als Pilot und der Rest seiner Besatzung, seine neun Mann, befanden sich im Moment über Schottland, weit im Hochland. Hier war der Luftraum weitgehend frei von Feindjägern, denn die Probeflüge sollten ungestört verlaufen, um die neuen Besatzungen auf die Aufgaben, die sie erwarteten vorzubereiten.

Eine andere Staffel war mit ebendieser Formation in diesen Minuten nach Deutschland unterwegs und wohl mittlerweile über dem Zielraum angekommen. Kiel hieß das Ziel. Die Hafenanlagen sollten bombardiert werden. Von den Mechanikern wusste Davis dies, denn die erfuhren zumeist kurz nach den Besatzungen das Ziel.

Aber am helllichten Tag mit einer bisher ungetesteten Formation nach Deutschland zu fliegen, war Davis nicht geheuer und er war froh, nicht dabei zu sein. Noch konnte er dieser Formation nichts abgewinnen, das mochte sich vielleicht ändern, oder auch nicht. Doch darüber musste er sich erst Gedanken machen, falls sie sich durchsetzte. Es sah nicht danach aus: Die Flugzeuge waren eng zusammengepresst, man konnte die Gesichter der Besatzungen der neben einem fliegenden Fort ohne Probleme sehen. Die Propellerböen der Vorausfliegenden ließen das Steuer seine eigene Maschine rütteln, und sie nahmen sich den Vorteil die die gestaffelte Formation bot. Den Vorteil in jede Richtung ein Bordgeschütz zu haben und sich dadurch auch gegenseitig verteidigen zu können.

„Rechter Rumpf an Heck. Was treibst du eigentlich da hinten, dass du den Skipper nicht hörst?“

„Halt die Klappe, Curtis.“

„Ich meinte ja nur. Vielleicht sollten wir Platz tauschen. Immerhin kannst du auf dem Bauch ’rumliegen, während ich stehen muss.“

„Du kannst meinen Platz haben. Hier vorne gibt’s echt ’ne tolle Aussicht.“ Diese Stimme gehörte zum Bombenschützen Frank Gorsky, der vorne in der mit Plexiglas verkleideten Nase der B-17 hockte und sein Bombenzielgerät vor sich hatte.

„Wie wär’s wenn du mal zu mir hinter kommst und mir das noch mal genau erklärst, “ mischte sich jetzt Danny wieder ein.

„Verflucht. Seid still. Ich kann mich nicht konzentrieren, “ begann Navigator Casey Brandt zu nörgeln. „Ich muss uns aus diesem komischen Schottland wieder ’rausbringen.“

„Schau nach vorne, da siehst du ne ganze Menge Flugzeuge. Und da wo die Führungsmaschine hinfliegt, fliegen auch wir hin.“ Virgil Claiborne, seines Zeichens Kugelturmschütze, gab seinen Senf dazu.

„Du bist ein verdammter Besserwisser, Verge“, gab Chase zurück. „Falls wir irgendwann einmal eine Formation selbst anführen müssen, habe ich niemanden, dem ich hinterher fliegen kann.“

Davis räusperte sich, denn ihm wurde das sinnlose Geschwätz zuviel. Er konnte nicht gleichzeitig fliegen, seinen Vordermann und Nebenmann nicht rammen, und dieses blöde Geschwätz in den Ohren haben. Dazu noch die Instrumente in den Augen behalten, den Kurs halten…

„Ruhe!“, nahm ihm sein Copilot Luke die Aufgabe ab. „Gene muss fliegen, und diese verfluchte Formation ist viel zu eng.“

„Als ob ich das noch nicht gemerkt hätte“, murrte Matt, der linke Rumpfschütze. „Dieser Idiot von der Foxy Popsy zeigt mir schon wieder seinen dicken weißen Hintern. Und leider kann ich ihn nur so gut sehen, weil wir wie die Karnickel in ihrem Loch aufeinander hocken. “

„Vielleicht solltest du ihm eins verpassen. Munition hast du ja genug.“ Bordmechaniker Thompson lachte und machte Kanonengeräusche in die Sprechanlage, die Danny im Heck erschrocken zusammenfahren ließen.

„Ach, schieb dir deine Munition doch in den Hintern.“

„Ruhe, allesamt!“ donnerte Davis durch die Sprechanlage. „Das ist ja nicht auszuhalten.“ Irgendwer murmelte noch etwas leises, doch dann herrschte Ruhe. Kein Mucks mehr, nur das statische Rauschen in der Leitung der Bordsprechanlage, wo es sowieso immer knisterte.
 

Virgil versuchte seinen Körper, der ziemlich eingezwängt war, vergeblich in eine bessere Haltung zu bringen. In Gedanken verfluchte er den Kugelturm, und seinen schmalen Körperbau, der ihn erst dahin gebracht hatte, nur die schmalen Männer wurden Kugelturmschützen, weil die anderen gar nicht erst hineinpassten. Die Männer mit den kräftigen Armen und Körberbau wurden Piloten, weil sie Kraft aufbringen mussten, so einer war Eugene Davis, ehemaliger Footballspieler auf der Highschool, und der zuhause einen Bauernhof hatte. Virgil selbst hatte sich das zusammengereimt, aus den Geschichten, die er hörte. Auch hatte er gehört, dass es Davis zu den Jägern gezogen hatte, aber aus ebendiesen Gründen, die mit dem Körper und der Kraft zusammenhingen, war er bei den Bombern gelandet.

Virgil seufzt. Aber zumindest hatte er freie Sicht nach unten und konnte die zerklüfteten Felsen der Gebirge im Hochland Schottlands erkennen, über die sie gerade hinweg flogen. Ein silber-glänzendes Band durchzog die Landschaft, schlängelte sich hindurch, und ein kleiner blauer Punkt, ein Bergsee wahrscheinlich, tauchte in seinem Blickfeld auf.

Er trat auf die hydraulisch gelenkten Steuer-Pedale und bewegte seine Kugel, schwenkte nach rechts, blickte auf die ferne Küste, wo sich das grün der Felder mit dem milchig-grau des Himmels verband. Den Himmel sah er nicht so ganz, weil die neben ihnen fliegende Fortress ihm die Sicht behinderte.

Die beiden Kaliber .50 Browning Maschinengewehre zeigten nach unten auf die Landschaft, sie wurden noch nicht gebraucht. Virgil wurde immer noch warm, wenn er daran dachte, wie sie auf Übungsziele geschossen hatten. Kaum waren sie nach England gekommen, war ihnen ein Flugzeug zugeteilt worden, und dann war es losgegangen. Immerhin war auch dies hier nur ein Übungsflug, wobei er sich fragte, wieso er dann hier drinnen eingequetscht sitzen musste und sich den Rücken verrenkte. Aber er wusste die Antwort selbst und verbot sich, sich ständig darüber aufzuregen.

„He, Pilot?“

„Das heißt: Kugelturm an Pilot. Und ja, Kugelturm, ich hör’ dich, “ antwortete Davis ärgerlich.

„OK, Pilot. Wie lange fliegen wir noch?“ Virgil starrte nach unten und sah der Landschaft zu, wie die Berge langsam verschwanden und den schottischen Lowlands platz machten. Zu gern hätte er auch in den Himmel gesehen und die Flugzeuge um sich herum beobachtet, und so einen Logenplatz gehabt, wie Gorsky in der Nase einen hatte.

„Wenn wir nach Deutschland fliegen, dann sitzen wir hier bis zu zehn Stunden aufeinander“, sagte Funker Harris Donovan. „Und ich glaube, dann werden wir merken, wie’s hier wirklich zugeht. Das hier ist ein Spazierflug.“

„Maul halten, Don. Du sitzt da vorne schön auf deinem Arsch und ich frier’ mir hier hinten den Arsch ab. Und Verge in seinem verfluchten Kugelturm sitzt eingequetscht wie eine Sardine in der Dose.“ Dannys Laune schien weit unter dem Nullpunkt zu rangieren.

„Fragt doch Chase, wie lang es noch dauert“, sagte Davis. „Wir drehen gerade wieder südwärts. Ich denke in zwei, drei Stunden landen wir daheim.“

„Ja, ja… Daheim. Wie gern wär’ ich jetz’ daheim, “ begann einer zu säuseln, dessen Stimme Davis nicht genau zuordnen konnte. Entweder Matthew Boyd oder Chase Brandt. Oder vielleicht doch Gorsky, denn dem schien es da vorne in seiner Glaskuppel äußerst langweilig zu sein.
 

Matt fluchte unterdrückt und drehte sein MG in die Richtung der Foxy Popsy, die so nah neben ihnen flog, dass er dem nervigen Bordschützen jetzt einen ausgestreckten Mittelfinger entgegenhalten konnte und sich sicher war, er würde ihn auch sehen.

„Verdrisch’ ihn doch einfach heut’ Abend. Ich will mal Action in der Messe,“ sagte Gorsky und spähte ebenfalls zur Foxy Popsy hinüber, dessen Besatzung an den kleinen Fenstern des Rumpfs zu kleben schien und zu ihnen herüberstarrte. Ein Hintern tauchte wieder vor einem der Fenster auf und wackelte hin und her. Gorsky schüttelte verständnislos den Kopf, wie konnte jemand so doof sein und hier auf dieser Höhe und bei dieser Kälte seinen Hintern herausholen. Gut, auf zehntausend Metern war es noch dreimal so kalt wie hier auch viertausend. Aber es ging doch ums Prinzip. Er sah diesen Flug nicht als Spazierflug an. Denn sie machten sich gerade bereit, um zu einer Staffel versetzt zu werden, die sich im Einsatz befand und Missionen gegen deutsche Städte flog. Noch machten sie faxen, witzelten herum und amüsierten sich hier in ihrem Flugzeug. Die Boeing B-17 Flying Fortress, die fliegenden Festung, mit ihren zwölf Maschinengewehren bestückt und von ihrer zehnköpfigen Besatzung geflogen.

Gorsky bekam ein flaues Gefühl im Magen, wenn er daran dachte, dass sie sich selbst bald, beharkt von Flak und feindlichen Jägern, ihren Weg nach Deutschland bahnen würden, um ihre Bombenlast über irgendeiner Stadt auszuklinken, die strategisch wichtig war, oder zu sein schien.

Er blickte wieder nach vorne durch die Plexiglaskuppel. Eigentlich hatte er den besten Platz von allen. Er konnte alles sehen, bekam Sonne ab und hatte auch die anderen Flugzeuge gut im Blick. Und es war nützlich, um feindliche Jäger zu erkennen. Andererseits auch gefährlich, denn dies hier war eine verwundbare Stelle, denn vorne saßen auch die Piloten, die beinahe der wichtigste Teil des Flugzeugs waren. Und wenn die außer Gefecht waren…

Vor ihm zeigten die beiden Läufe der Browning MGs nach unten und neben ihm stand der schwere schwarze Kasten des Norden-Bombenzielgeräts fest am Boden verankert. Er saß am Boden, den Rücken an die hintere Wand gelehnt. Er konnte fast nicht glauben, dass nur ein paar Zentimeter Aluminium ihn von der Luft draußen trennten.

Direkt hinter ihm saß Navigator Casey ‚Chase’ Brandt an seinem niedrigen Tisch und schaute auf seine Landkarten, auf der er alle paar Minuten die aktuelle Position der B-17 eintrug und die Punkte dann mit Strichen verband, um so den Verlauf der geflogenen Strecke dokumentieren zu können. Im Einsatz würde er alle Hände voll zu tun haben.

Chase warf ihm einen genervten Seitenblick zu. „Was starrst du mich so an?“

Gorsky schnitt eine Grimasse in Chase’ Richtung und drehte sich wieder um. Da sah er sich lieber das Heck, der vor ihnen fliegenden Montana Miss an, als sich mit Chase’ Launen anzulegen. Chase war eigentlich ein umgänglicher Mensch, nur das er hin und wieder von akuter Luftkrankheit geplagt wurde. Für den schlimmsten aller Fälle hatte er ein paar Papiertüten unter seinem Tisch liegen. Gorsky hoffte nur, dass es nicht dazu kommen würde, sonst würde er sein Bombenzielgerät aus der Verankerung reißen müssen und sich schleunigst nach hinten verziehen.
 

Funker Don wischte sich über die Stirn, drehte sich um und äugte an der Trennwand zum hinteren Rumpfbereich vorbei, zu den beiden Schützen, die sich eben darum stritten, wer nachher den Kerl von der Foxy Popsy verdreschen durfte. Matt lehnte rücklings an seinem Maschinengewehr und machte Curtis mit Gesten klar, dass er derjenige sein würde. Beide muteten etwas unförmig an, in ihren mit Heizdrähten ausgestatteten Ledermonturen, die sie vor der Kälte, die in den großen Höhen in denen sie flogen herrschte, schützen sollten.

Don widmete sich wieder seinem Funkgerät, das außer den üblichen statischen Geräuschen nicht viel von sich gab. Dann zog er gelangweilt einen von den Groschenromanen, die es zuhauf auf dem Stützpunkt gab, aus seiner Tasche und begann zu lesen. Da träumte er lieber von hübschen Damen, als sich mit gelangweilten Bordschützen abzugeben, die nichts Besseres zu tun hatten als zu streiten. Doch nicht viel Zeit würde verstreichen und sie würden etwas zu tun haben.
 

Hinter den beiden Piloten stand Evan ‚Thomps’ Thompson, Bordmechaniker und gleichzeitig Schütze, in seinem drehbaren Geschützturm und musterte die zwölf Flugzeuge umfassende Trainingsformation der 332. Bomb Squadron, die gerade ihren letzten Trainingsflug absolvierte, und danach in den Einsatz versetzt wurde.

Er drehte langsam den Turm nach links, lugte über das doppelte Browning-MG hinweg zu den anderen Forts. Ihr linker Flügelmann, Su Su, fiel ein wenig zurück, und das schon seit ein paar Minuten. Anscheinend hatte sie Probleme mit dem rechten äußeren Motor, wie die Diskussion der beiden Piloten vermuten ließ. Die Nähe hatte auch etwas gutes, man konnte erkennen, ob die Männer sich drüben vertrugen, oder nicht, dachte Thomps grinsend.

Davis und Gunny hatten ihre Augen am linken Fenster kleben und beobachteten wie Motor 4 von Su Su dicken weißen Qualm zu spucken begann.

Thomps fluchte, als er sah wie Su Su jetzt auch noch begann Höhe zu verlieren. Der Pilot, der hinter ihr fliegenden Fortress, scherte geistesgegenwärtig zur Seite, um nicht mit dem Heck von Su Su nähere Bekanntschaft zu machen, und schoss dabei den eigenen Flügelmann beinahe aus dem Himmel. Beide Piloten erschraken beinahe zu Tode, fingen sich aber wieder und ordneten sich neu ein.

„Ich sag’s doch, diese Formation ist für die Katz’“, hörte Thomps die aufgeregte Stimme Davis’. „Die sollten ganz dringend die alte Formation, die wir in Rapid City geübt haben, zurückholen.“ Davis wandte seinen Blick wieder nach vorn, weil seine eigene Maschine wieder zu nah auf die Montana Miss aufgeflogen war, und die Propellerböen abbekam.

Und als ob der Staffelführer die aufgebrachten Gedanken seiner Piloten gelesen hätte, brach er die befohlene Funkstille und richtete seinen Funkspruch an die gesamte Staffel.

„Männer. Wie ich weiß, mögt ihr diese Formation nicht sonderlich.“ Man hörte, wie irgendein aufgebrachtes Besatzungsmitglied seinen Kommentar dazu ins Mikrophon rief und wie der Staffelführer sich ärgerlich räusperte und dann fortfuhr: „Wir haben eben die Mitteilung bekommen, dass der Einsatz mit dieser Formation nach Kiel schief gegangen ist. Über ein Drittel der Flugzeuge wurde abgeschossen oder beschädigt. Und der Mann, der die Idee zu dem ganzen hatte, mit ihnen.“ Wieder räusperte er sich, ihm schien nicht sehr wohl zu sein. „Männer, wir gehen sofort wieder zur üblichen Formation über.“

Es herrschte Stille im Äther. Keiner der Piloten oder Besatzungen wollte dazu etwas sagen. Über ein Drittel abgeschossen. Was für ein Debakel. Und die vielen Männer erst, die jetzt tot waren oder in Gefangenschaft gerieten. Doch keiner ließ sich zu einer unbedachten Bemerkung hinreißen. Jeder dachte sich seinen Teil. Wenn man seine Gedanken laut aussprach, schien es zu bedeuten, dann wurde das Geschehen auch real. Es war real, aber keiner konnte, oder wollte, seine Gedanken damit beschäftigen.

„Formation bilden“, erschallte dann die auffordernde Stimme des Staffelführers, als keine der Maschinen anstalten machte, sich neu zu formieren.

Su Su hing mittlerweile am Ende der Staffel, hielt aber trotz des kaputten Motors weiter den Anschluss. Ihr Pilot hatte die Luftschraube auf Segelstellung gestellt, damit er keine Geschwindigkeit verlor.

Die Maschinen begannen sich aufzuteilen in ihre normale Formation. Die Grundformation bestand aus drei Flugzeugen in einer V-Formation, die übereinander gestaffelt waren. Die restlichen waren nach hinten, oder zur Seite in ebendieser Form gestaffelt. Diese enge Formation ermöglichte eine sehr konzentrierte Feuerkraft zwischen den Staffeln und den Flugzeugen.

Davis atmete tief durch, als sie schließlich wieder die üblichen braun-grünen Felder Südostenglands unter ihren Rümpfen hatten und bald darauf auf den Flugplatz einschwenkten, um noch mindestens eine halbe Stunde ihre Schleifen zu ziehen, bis sie landen konnten. Su Su musste als erste wegen ihres kaputten Motors herunter. Sie kam sicher herunter, ebenso wie der Rest der Staffel. Obwohl alle ziemlich nervös waren, weil es ihr letzter Testflug war, bevor sie in Einsatz versetzt wurden.

Donthorpe

Sein Name war Jamie Hayes, er war Flugzeug-Mechaniker und als er so abwartend in den Himmel starrte, fragte er sich, wie es wäre, wenn er die vom Einsatz zurückkommenden Flugzeuge dazu bringen konnte schneller heimzukommen. Er schirmte seine Augen gegen die grelle Sonne ab, dann drehte er sich ein wenig nach rechts, wo, ungefähr eine Meile in Richtung Süden mindestens zwölf B-17 auf ihren Parkplätzen standen, aufgereiht wie an einem unsichtbaren Faden, und so gleich abgestellt, als wäre jemand mit dem Maßband zugange gewesen. Sie hatten Einsatzpause an diesem Tag. Nur die Gruppe, die 112., bei der Hayes einer der Mechaniker war, war mit elf der schweren Bomber nach Deutschland gestartet, um dort Tod und Verderben auf das Reich regnen zu lassen.

Er blickte wieder nach unten, auf die Abdeckung des kräftigen Pratt&Whitney-Motors der B-17, auf dem er rittlings saß. Eine Ölleitung war beim letzten Einsatz zerschossen worden, und hatte die halbe Tragfläche mit der schwarzen schmierigen klebrigen Substanz überzogen.

Die Flak und die Jäger hatten das ganze Flugzeug sehr in Mitleidenschaft gezogen, das Heck zeigte ein großes Loch von einer deutschen Flakgranate und der Rumpf war von Löchern überzogen, die von einem Mechaniker, der gerade in der Halle nach neuen Metallstücken suchte, die er auf den Löchern anbringen konnte, geflickt wurden. Die Löcher waren ein Grund wieso das Flugzeug und seine Mannschaft jetzt nicht beim Einsatz auf Kiel dabei waren.

Viel später würde Hayes denken: ‚Gut, dass sie nicht dabei gewesen sind.’

Fünf der Männer, die die Besatzung der B-17 bildeten, die den Namen How ‘Boot That!? trug, fläzten sich im Gras neben der Maschine, sie rauchten, erzählten sich schmutzige Witze oder warfen hin und wieder eine der Frauen, die fürs Rote Kreuz oder die Hilfsluftwaffe arbeiteten und unter anderem für die Versorgung auf dem Stützpunkt zuständig waren, flotte Sprüche hinterher.

Es dauerte eine weitere Viertelstunde, in der Hayes sich die Hände an einer heißen Leitung im Motor verbrannte, und zum allgemeinen Vergnügen der Besatzung der How ‘Boot That!? dabei noch beinahe vor Schreck vom der Tragfläche herunterkrachte, hörten sie endlich das vertraute Brummen, einer noch einige Meilen entfernten Maschine. Die erste.

Über der Platzabgrenzung, eine Reihe dicht belaubter Eichen, kam bald die erste B-17 im Tiefflug heran. Sie schwankte hin und her wie ein Betrunkener, dann klappte langsam das Fahrwerk heraus, und zum entsetzen aller blieb das rechte Fahrwerksbein auf halbem Wege hängen.

Vom Platzrand her flog der Fortress eine rote Leuchtkugel entgegen, als Signal das sie nicht landen konnten. Doch die Maschine kam trotzdem herein, schoss ihrerseits eine rote Leuchtkugel aus dem Seitenfenster, als Zeichen für Verwundete an Bord, und schwebte langsam zum Landekreuz heran. Hayes hielt den Atem an, und wischte sich nervös die Hände an einem schmutzigen Lumpen ab.

Die Maschine setzte mit dem linken intakten Fahrwerksbein auf, noch war ihr Rumpf horizontal in der Luft, doch dann senkte sich der Rumpf nach rechts, und die Tragfläche senkte sich gefährlich nahe zum Boden. Der Pilot kämpfte mit der Steuerung, traktierte die Pedale der Ruder, und die Maschine hob sich, durch scheinbar übernatürliche Kräfte, noch einmal hoch.

Die Männer der Besatzung der How ‘Boot That!? sprangen entsetzt auf die Beine und beobachteten das Ganze. Hayes sog entsetzt den Rauch seiner Zigarette ein, die er sich eben angesteckt hatte, als er von dem Motor heruntergeklettert war.

Es krachte, als die rechte Tragfläche den Boden berührte, sie brach ab und Teile wirbelten durch die Luft. Die riesigen Luftschrauben wühlten sich wie Pflugschaufeln in den weichen Erboden und dicke Brocken Erde flogen herum.

Die verwundeteFortress machte einen Ground Loop, eine Drehung auf dem Boden, und lag dann endlich still auf ihrem Bauch, wie ein gestrandeter Wal. Kleine weiße Rauchschwaden stiegen von den Motoren auf und es zischte.

„Verdammt, raus da!“, brüllte Hayes und machte ein paar Schritte auf die Maschine zu. Es herrschte Totenstille auf dem Stützpunkt, für ungefähr ein paar Sekunden, dann explodierte die gestrandete Maschine mit einem lauten Knall.

Feuer schwappte wie eine Welle aus den Motoren, griff auf die Tanks über und verschluckte den Rumpf der B-17 in einer gelb-roten Feuerwand. Eine riesige Rauchsäule stieg auf und verdunkelten kurz die Sonne. Dann rasten auch schon Feuerwehrfahrzeuge vom Platzrand her, auf die brennende Maschine zu und versuchte ihr bestes. Doch sie waren zu spät, hätten auch ein paar Sekunden früher keine Chance gehabt und sich nur selbst in Gefahr gebracht.

Die Besatzung der How ‘Boot That!? und Hayes wandten sich mit unergründlichem Gesichtsausdruck ab.

Dann durchfuhr Hayes ein Gedanke, der ihn beinahe mehr erschreckte, als die brennenden Teile auf der Landepiste, die einmal ein Flugzeug gewesen waren : Wo blieben die restlichen zehn Maschinen der 112. BS, die zum Einsatz gestartet waren? Wo waren die Maschinen mit ihren jeweils 10 Männern Besatzung? Wo waren die hundert Männer?

Sie warteten. Eine Stunde, dann zwei. Doch keine weiteren Flying Fortresses kamen. Kein Motorengebrumm erfüllte wie sonst die Luft. Nur Stille, gespenstische Stille. Und als es später Abend wurde, da tauchte auch dann keine Maschine mehr auf. Von den zwölf Maschinen der hundertzwölften, war eine übrig, die How ‘Boot That!?. Und eine andere, die mitsamt ihrer Besatzung als verkohlter Schrotthaufen auf dem Flugfeld lag.

Hayes konnte es nicht fassen. Zehn Maschinen, nein eigentlich elf, einfach so verschwunden. Als ob die Erde ihren Schlund aufgetan hätte, oder der brennende Himmel über Deutschland hatte alles und jeden verschluckt…
 

Gunny saß mit einem flauen Gefühl im Bauch auf seinem Platz im Cockpit. Sie waren endlich in Einsatz versetzt worden und damit auf einen neuen Stützpunkt weiter im Süden Englands. Nach Donthorpe in Lincolnshire, weit im Osten. Ungefähr zweihundert Meilen von ihrer letzten Basis Foxhill, die weiter im Norden lag.

Und genau dahin, nach Donthorpe, würden sie jetzt starten. Davis saß nervös neben ihm, auch er konnte noch nicht so recht realisieren, dass sie wirklich bald Einsätze nach Deutschland fliegen sollten.

Gunny starrte auf die Checkliste, die auf seinem dem Schoß lag und die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen, stattdessen sah er die Silhouetten von deutschen Jagdflugzeugen, die wie eine wilde Horde Bienen auf einen Verband Flying Fortress zuschwirrten und dabei Gebrauch von ihren Bordkanonen machten. Die Geschosse strichen wie feurige Zungen in Richtung der gewölbten Rümpfe der B-17. Einige begannen zu brennen. Eine wurde von einer Flakgranate getroffen und explodierte. Eine andere brach in der Mitte durch, wie ein Strohhalm. Eine andere verlor die rechte Tragfläche und trudelte wie ein welkes Blatt zur Erde, wo sie in einem grellen Feuerball zerschellte.

Ihnen war vor ein paar Tagen ein Film gezeigt worden, um sie darauf vorzubereiten wie es in einem Einsatz zugehen würde. Oder nur um ihnen noch mehr Muffensausen zu bereiten, dachte Gunny und sah aus dem Kabinenfenster, wo eben die Montana Miss vorbeirollte und der Pilot ihm zuwinkte. Da spürte er plötzlich eine Hand fest auf seiner Schulter und Davis grinste ihm zu, als er sich zu ihm drehte.

„Wir schaffen das schon“, sagte Davis. „Immerhin müssen wir Lilly erstmal nur nach Donthorpe bringen.“

Erstmal nur nach Donthorpe bringen, war nett gesagt. Denn Liberty Lilly konnte je nach Laune ein ziemliches Biest sein. Mal war sie schwanzlastig, hing also hinten nach unten, oder sie zog ihre Nase ständig nach rechts.

Davis wurde oft gefragt, ob das was mit der Dame, nach der die B-17 benannt worden war, zu tun hatte. Davis beharrte darauf, dass die wirkliche Lilly anders war, auch wenn Matt ihm das nicht glauben wollte und ständig darauf herumritt.

„Mensch, Skip. Sag deiner Lady mal, sie soll sich nicht so anstellen, “ schallte dann Matts säuerliche Stimme über die Bordsprechanlage, wenn Lilly wieder einen ihrer Tage hatte, und wie ein schiefes Scheunentor in der Luft hing.

Liberty Lilly war eine olivgrüne B-17 der F-Version, wie alle anderen der dreihundertzweiunddreißigsten. Ihren Schriftzug trug sie unter dem Cockpit in gelben Buchstaben aufgemalt.

Gunny nickte Davis zu und der begann langsam die Checkliste vorzulesen. „Treibstoffkreuzschalterventile und Regler?“

„Aus.“

„Batteriehauptschalter ein?“

„Hauptschalter ein.“

„Treibstoffdruck?“

„Okay.“

„Intercooler?“

„Kalt.“

„Kurskreisel?“

„Gestellt.“

Zehn Minuten später waren sie bereit, um die Motoren anzuwerfen und Lilly hinter den anderen Maschinen einzureihen.
 

Derweil im Rumpf machten es sich Matt und Curtis neben ihren Brownings bequem. Dieses Mal war es ein Spazierflug nach Lincolnshire. Da mussten sie nicht ihre MGs testen, überprüfen ob die Läufe in Ordnung waren, und schauen ob genug Munition da war. Sie konnten vielleicht sogar Gorsky in der Nase besuchen und die Aussicht genießen.

Matt lehnte sich zurück und steckte sich eine Zigarette an, obwohl rauchen im Flugzeug strengstens verboten war. Aber immerhin waren sie ja noch nicht gestartet. Er hoffte bloß, man würde ihn nie dabei erwischen, denn dann nützte ihm diese Ausrede auch nichts mehr.

Don saß mit verschränkten Armen an seinem Tisch neben dem Funkgerät und wartete auf den Start, ebenso wie Verge, der mal nicht vor seinem Kugelturmgeschütz saß, um hineinzusteigen wenn sie in der Luft waren, sondern neben ihm auf dem Boden, wo er an einem Holzmodell einer Mustang schnitzte.

Chase und Gorsky hockten nebeneinander in ihrer Plexiglaskuppel und starrten auf den Asphalt unter ihnen, der jetzt anfing sich langsam unter ihnen hindurchzubewegen.

„Ich glaub’, wir starten“, sagte Chase leise und klang nicht sonderlich erfreut darüber. Er knetete nervös seine Hände.

Gorsky warf ihm einen Blick zu. „Ich warne dich…“ Er ließ den Satz unvollendet, weil Chase scher wusste, worauf er hinauswollte.

„Ich kann da doch auch nichts dafür.“

„Ist mir egal, aber wenn du kotzen musst, geh nach hinten, oder geh’ gleich zur Pinkelröhre. Oder ich schmeiß’ dich eigenhändig aus diesem gottverdammten Flugzeug.“
 

Sie landeten eine halbe Stunde später in Donthorpe. Die Staffel war komplett angekommen, keiner hatte mit Rauchspuckenden Motoren zu kämpfen gehabt, oder Fahrwerksschäden oder sonst irgendwelche suspekten Probleme.

Davis brachte Lilly sanft herunter, auch wenn Matt, Curtis und der Rest im Rumpf ziemlich durchgeschüttelt wurden, was aber nicht an Davis Flugstil lag, sondern daran, dass keiner sich die Mühe gemacht hatte und sich eine Wand zum anlehnen gesucht hatte.

„Was ist denn das für ein Landungsstil?“ beklagte sich Curtis lautstark.

„Land’ doch selber besser, du Idiot.“

„Spiel hier nicht den Profi, Verge.“

Verge verzog sich grinsend hinter Don, der immer noch mit dem Kopf auf seinen verschränkten Armen auf dem Funkertisch lag und von dem ganzen ziemlich unbeeindruckt schien.

„Und was macht überhaupt Danny hier vorn“, stichelte Curtis weiter. „Solltest du nicht weiter den Tail-end Charlie spielen?“

Danny drehte ihm eine lange Nase.

„Möchte mal wissen, was die beiden in der Plastik-Nase so machen…“ sagte Curtis. „Soll ich mal die Bordsprechanlage einschalten?“

„Untersteh dich bloß!“ entgegnete Danny schnell.

„Lass das bloß sein, keiner will dein blödes Geschwätz hören.“ Verge’s Kommentar dazu.

Curtis lehnte sich pikiert wieder zurück und schlug sich dabei den Kopf an dem weit herunterhängenden MG-Ladeschieber an.

„Das kommt davon.“ Matt grinste in sich hinein.
 

Lilly rollte langsam aus und schwenkte dann nach rechts, von wo sie dem Asphaltweg zu den Hangars folgte.

Davis stellte die Motoren ab und machte dann die Bugluke auf. Er und die anderen drei Männer aus dem vorderen Teil der Maschine schwangen sich hinaus und stellten sich neben ihrer Maschine auf. Die Männer aus dem Rumpf kamen durch ihre eigene Luke. Curtis musste wieder eine Show abziehen und ließ sich auf die Knie fallen, um den Boden zu küssen.

Ein hochgewachsener, dunkelhaariger Mann in einem khakifarbenen Overall kam auf sie zu und schüttelte ihnen allen die Hand.

„Jamie Hayes, ich bin ab jetzt ihr Mechaniker.“ Er sah zu Lilly hinüber. „Schöne Maschine.“ Er streckte die Hand aus und strich ihr über den olivgrünen Rumpf.

„Ich hoffe wir kommen gut aus“, sagte jetzt ein kleiner Blonder und grinste ihn breit an.

Ja, dachte Hayes, wenn ihr’s lange genug macht, kommen wir sicher gut aus.
 

Sie saßen zusammen in der Messe und tranken wässriges Bier. Innerhalb des Raumes war linkerhand eine Bar angebracht und davor ein Haufen Tische aufgestellt, die von den vielen Männern, die mit der neuen Staffeln gekommen waren, bevölkert waren.

Davis hatte sich verzogen, wohin wusste nur Gott. Gunny war ebenfalls verschwunden und Matt vermutete, dass er sich ins Dorf verzogen hatte um sich eine Kirche zu suchen und für ihr aller Seelenheil zu beten.

„Was ist denn das für ein mieses Gesöff?“ nörgelte Gorsky und stellte sein Glas lautstark auf dem Tisch ab.

„Das schmeckt wie Pisse“, stimmte ihm Chase zu. „Mir scheint diese Limeys verdünnen es extra für uns.“

„Woher weißt du denn, wie Pisse schmeckt?“ feixte Verge und grinste breit.

Chase zog ein Gesicht in Richtung Verge und knurrte etwas Unverständliches.

Gorsky drehte in seiner Hand einen heruntergebrannten Zigarettenstummel hin und her und fragte sich, was seine Kameraden wohl sagen würden, wenn sie wüssten, was mit ihrer Vorgängerstaffel passiert war. Er hatte Hayes, den Mechaniker gefragt, als die anderen lärmend zur Messe zogen, und der nette Mann hatte es ihm erzählt. Gorsky hatte sich gewundert, wieso nur eine einzige Maschine hier war.

Er warf einen Blick in die Runde, auf die Gesichter seiner Kameraden, auf denen sich gerade keine Sorgen spiegelten und beschloss ihnen nichts zu sagen. Vorerst.

Der erste Einsatz

Dann endlich flogen sie ihren ersten Einsatz. Etwa drei Wochen, nachdem sie in Donthorpe angekommen waren.

Um fünf Uhr in der Früh wurde Davis unsanft von einer Ordonnanz geweckt. „Guten Morgen, Lieutenant, Sie fliegen heute.“

Davis schüttelte die Hand ab, die ihn an der Schulter hartnäckig schüttelte. „Schon gut, ich bin wach. Verflixt noch mal.“

Er schwang die Beine aus dem Bett und stützte seine Hände auf die Knie. Neben ihm schälte sich Gunny aus seinen Decken und gegenüber fiel Don aus dem Bett, und krachte auf den harten Holzboden.

„Himmelnochmal, musst du mich so erschrecken?“ fuhr er die Ordonnanz, einen jungen Private, an, der sich schleunigst zum nächsten Bett verzog, um dessen Bewohner Chase, und danach Gorsky, zu wecken. Man musste den Männern nur aus dem Weg gehen, wusste er, es gab kaum einen, der kein Morgenmuffel war. Es war ihnen auch nicht zu verdenken, bedachte man, was sie erwarten würde.

Don kam auf die Beine und fluchte weiter. „Da kriegt man ja die Krätze. Mann. Mist!“ Er warf einen Blick zu Davis, der eine Grimasse zog. Dann begann er seufzend seine Uniformteile zusammenzusuchen, die er am letzten Abend überall verteilt hat. Er quälte sich in die beheizte Unterwäsche, zog seine Uniform und darüber seinen Schaffellanzug an.
 

Fünfzehn Minuten später stand Davis fertig angezogen vor der Baracke und rauchte, während er auf die anderen wartete. Sein Blick schweifte über den Flugplatz. Es war beinahe noch dunkel, doch langsam begann sich am Horizont ein leuchtender Streifen zu zeigen. Verfärbte Wolken in rosa und orange, vermischten sich mit dem dunklen Blau des Nachthimmels. Langsam wurde es hell.

Die B-17, die gegenüber der Baracken vor den Hangars standen, waren bedeckt von feuchtem Morgentau und die Nebelschwaden der Nacht, die sich ihre Tragflächen und Fahrwerke umgaben, begannen sich langsam zu lichten.

Kleine Gestalten huschten zwischen den Maschinen umher, die Mechaniker, die die Flugzeuge vorbereiteten. Sie mussten wohl schon Stunden auf den Beinen sein, um die Mashcinen zu betankten, mit Bomben zu beladen, die Motoren zu prüfen.

Gerade erwachte ein Motor stotternd zu Leben, nur um kurz darauf wieder zu verstummen. Stille senkte sich wieder über den Platz, dessen Luft in einer, vielleicht eineinhalb Stunden von Motorengebrüll erfüllt sein würde.
 

Nach dem Frühstück, das sehr üppig ausfiel und zu dem Gorsky bemerkte, das es wohl ‚das letzte Abendmahl’ darstellen sollte, gesellten sich alle Männer im Besprechungssaal zusammen und nahmen in eine Reihe platz. Gunny, Davis, Gorksy, Chase und Don nahmen an den Besprechungen teil, da ihre Aufgaben die wichtigsten im Flugzeug waren. Für Chase waren die Wetterberichte, die Sammelpunkte wichtig, Davis und Gunny mussten die Route kennen, Don bekam Funkanweisungen, die Erkennungs- und Rufzeichen, und Gorsky die Zielkoordinaten. Andere Daten die für den Bombenabwurf, wie Boden- und Windgeschwindigkeiten, die wichtig waren, würde er von Chase während des Fluges erfahren.

Es herrschte gedämpftes Gemurmel im Saal, wo sich ungefähr hundert Männer befanden, und warteten dass ihnen das Ziel ihres Fluges bekanntgegeben wurde.

Vorne hing eine große Europa-Karte, die mit einem schwarzen Tuch verdeckt worden war. Hinter dem schwarzen Tuch war mit einem roten Strich die heutige Einsatzroute eingezeichnet.

Davis knetete nervös seine Hände. Nur jetzt nicht vor Nervosität unkonzentriert werden, schoss ihm durch den Kopf. Das hatte schon viele Männer gekostet. Einen Navigator auf der Nachbarbasis hatte es damals erwischt, als er übermüdet in der Besprechung saß, sich den falschen Kurs aufgeschrieben hatte und seine Maschine frontal gegen einen Berg in Südwales gesteuert hatte. 10 Mann tot, ohne Feindeinwirkung.

Wie der Navigator sich so verrechnen konnte, war den Männern die den Unfall untersucht hatten, immer noch schleierhaft.

Aus diesem, und vielen anderen Gründen, schrieb Davis immer alles mit, damit er im Notfall eingreifen konnte. Nicht dass er Chase nicht vertraute, aber man wusste nie. Es konnte ja auch über dem Ziel irgendein unvorhergesehener Zwischenfall passieren.
 

Chase neben ihm auf dem Stuhl war aschfahl. Seine Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst und seine rechte Hand lag auf seinem Magen. Außerdem krümmte er sich regelmäßig nach vorne, als litt er unter Magenkrämpfen.

Vor seinen Augen flimmerte es, er sah schwarze Flecken und die senkten sich über seine Pupillen und engten sein Sichtfeld beträchtlich ein. Und genau in dem Moment wurde der schwarze Vorhang vor der Tafel weggezogen und das Einsatzziel verkündet. Saint-Malo in Frankreich. Ein Bombenangriff auf deutsche U-Boote, die im Hafen lagen. Es gab Aufklärer-Fotos, die an die Wand gepinnt worden waren, und den Hafen von oben zeigten.

Chase krümmte sich wieder nach vorne. Wenn es so weiterging, würde er sein Frühstück über den Boden des Besprechungssaals verteilen. Doch insgeheim war er froh, dass ihr erster Einsatz sie nicht nach Deutschland führen würde.
 

Eine Stunde später saßen die Männer auf ihren Plätzen in der Maschine.

Im Cockpit waren die Startchecks gemacht und dann die Motoren angeworfen worden. Alle vier Motoren brummten gleichmäßig und warteten darauf, dass Davis die Bremsen lösen würde.

Davis’ Finger hatten die Steuersäule im Schraubstockgriff. Seine Fingerknöchel traten weiß hervor und Schweißperlen standen ihm auf der Stirn.

Auch Gunny sah nicht aus, als würde er sich auf den kommenden Einsatz besonders freuen. Freuen konnte man sich sowieso nicht. Sie konnten sich nachher freuen, falls sie den Einsatz unbeschadet überstehen würden.

Gunny warf einen Blick nach rechts durch die Cockpitseitenscheibe. Ihre Maschine, Liberty Lilly, stand noch auf der Wartepiste, währenddessen neben ihnen, auf der Hauptstartbahn schon die ersten Fortresses mit aufheulenden Motoren und züngelnden Flämmchen an den Auspuffrohren, in den sich langsam erhellenden Himmel, starteten.
 

Fünf Minuten später röhrten auch die Motoren von Liberty Lilly auf, und Davis jagte sie über die Startbahn dem Himmel entgegen. Das Rumpeln der Räder über den rauen Asphalt ließ plötzlich nach und Lilly war in der Luft.

„Fahrwerk einziehen.“

Gunny drückte den Schalter und wartete auf das Rumpeln, als die Räder in den Tragflächen verschwanden.

„Fahrwerk drin.“

Davis nickte und wandte sich an Chase. „Welchen Kurs, Navigator?“

Es knisterte im Äther.

„Navigator?“

Vorne in der Kuppel gab Bombenschütze Gorsky Chase einen Stoß in die Rippen, damit dieser sich endlich aus seiner Starre löste, die ihn, seit sich die Räder des Flugzeugs vom Boden gelöst hatten, befallen zu haben schien.

„Sorry, Skipper. Kurs drei-vier-zwo.“

„Danke.“ Davis wunderte sich über Chase, sagte aber nichts. Er stellte den Kurskreisel auf den von Chase vorgegebenen Kurs, und legte sie sanft in eine Rechtskurve, um sie zum Sammelpunkt über Maidstone zu führen.

Über Maidstone kreisten sie eine halbe Stunde, bis alle Flying Fortresses der vielen verschiedenen Verbände die den Einsatz mitflogen, sich in ihre jeweilige gestaffelte Formation begeben hatten.
 

„Navigator, wie weit noch bis zum Ziel?“

„Zielanflug einleiten. Etwa 10 Minuten noch.“ Chase richtete sich von seinen Karten auf, zog mit dem Lineal den letzten Strich und sah dann zu Gorsky hinüber, der über seinem Bombenzielgerät hing.

„Gut“, antwortete Davis und richtete sich an Gorsky. „Bombenschütze, bereit zu übernehmen?“

„Yeah, Skipper. Mehr als bereit.“ Gorsky spähte durch sein Bombenzielgerät, sah unter sich aber nur das bleigraue Wasser des Ärmelkanals vorbeiziehen. Spätestens in drei, vier Minuten hatten sie das Zielgebiet erreicht und dort würde sie höchstwahrscheinlich die Flak erwarten. Wenn nicht sogar ein Haufen deutscher Jäger, die auf Beute aus waren.

Gorsky richtete sich ein Stück auf und sah nach vorne, wo ihnen die weißen Kreidefelsen der normannischen Küste entgegenblitzen. Und dann sah er etwas, was ihm ganz und gar nicht behagte und was er schon die ganze zeit gefürchtet hatte. Kleine schwarze Punkte. Eine ganze Masse davon, schräg rechts oben.

„Du lieber Himmel, Leute. Seht ihr das, was ich sehe?“ Curtis, der über seinem MGs und durch die Luke spähte, klang entsetzt.

„Ich sehe auch welche. Unter mir, sie kommen von der Halbinsel her. Und ich kann es nicht erwarten, ihnen eins zu verpassen.“ Heckschütze Danny zog krachend den Ladeschieber seines MGs zurück und feuerte eine kurze Salve ab, um sein MG zu testen.

Matt und Curtis taten es ihm nach. Ebenso Thomps im oberen Geschützturm und Kugelturmschütze Verge in seiner ‚Mausefalle’.

Davis sah die deutschen Jäger ebenfalls.

Die Punkte wurden schnell zu kleinen silbernen Kreuzchen, deren Tragflächen in der Sonne glitzerten. Sie waren gut tausend Meter höher als der Bomber-Verband und machten sich zum Angriff bereit. Sie teilten sich in Schwärme zu je 4 Flugzeugen, kippten über die Flächen ab und griffen, wie ein wütender Bienenschwarm, den Verband an.

Die Piloten der Bomber konnten nichts tun, außer sitzen zu bleiben und zu beten, dass der Angriff nicht ihre Maschine erwischen würde. Sie saßen da wie Tauben auf der Stange.

Die ersten beiden Messerschmitt-Jäger zischten im negativen Sturzflug vorbei und stürzten sich auf den unteren Verband. Sofort begannen die Bordgeschütze der B-17 zu rattern und bald bedeckten Geschosshülsen den Boden rund um die MGs.

„Bombenklappen auf.“

„Offen.“

Davis blickte auf das grüne Licht, das anzeigte, dass die Klappen offen waren und nickte. „Bombenschütze?“

„Hört.“

„Übergebe die Maschine.“ Davis schaltete den Auto-Piloten ein.

„Alles klar, Skipper. Ich übernehme.“

Davis ließ seine Hände langsam von der Steuersäule gleiten. Die Maschine machte keine Anstalten auszubrechen. Der Auto-Pilot funktionierte also anstandslos. Jetzt konnte er nur dasitzen und warten. Warten darauf, dass Gorsky die Bomben mitten ins Ziel schmiss und dann wieder an ihn übergab.
 

Dannys Blick hing an der Fortress hinter ihm, die auf sechs Uhr unter ihm hing und von deutschen Messerschmitts bis aufs Blut beharkt wurde.

Er linste durchs Visier, ließ seinen Zeigefinger über den Abzug gleiten, spähte noch mal durchs Visier und dann hatte er den Kerl endlich mitten im Visier.

Sein MG begann zu rattern und die ganze Hecksektion der B-17 schien unter den Rückstößen zu beben. Er sah seine Leuchtspurgeschosse weit an dem Rumpf der Messerschmitt vorbeigehen und fluchte unterdrückt. Aber zumindest ließ der Deutsche von seinem Opfer ab und scherte unter der B-17 weg.

Danny verlor ihn aus den Augen.
 

Matt und Curtis standen Rücken an Rücken im Mittelteil der Fortress und feuerten, dass ihre MG-Läufe glühten.

„Kugelturm, da kommt gleich einer von rechts, “ brüllte Curtis über das Knattern des MGs hinweg.

„Ich seh’ ihn. Scheiße, der stürzt sich frontal auf die Hun Jumper.“

„Der Kerl dreht nicht ab. Er feuert und feuert, “ schrie Thomps. Und plötzlich war es still im Äther.

Eine plötzliche Explosion ließ Lilly erbeben und eine schwarze Wolke zog von rechts über sie hinweg. Davis hatte alle Hände voll zu tun, das Flugzeug wieder in seine Gewalt zu bringen, denn es zuckte und bockte wie ein junges Pferd, dem man zum ersten Mal einen Sattel aufgelegt hatte.

Curtis hatte den Kopf eingezogen und linste über seinen MG Lauf hinweg, durch die schmale Luke, durch die er normalerweise seine Geschosse feuerte.

„Verdammt“, murmelte er. „Verdammt, noch mal.“

„Der Kerl hat sie gerammt.“

„Er hat sie nicht gerammt. Er hat sich in einfach in sie hineingeflogen, “ sagte Danny kopfschüttelnd.

Die Männer sahen den Resten nach, die einmal Hun Jumper gewesen waren. Ein Teil der Tragfläche trudelte wie ein Blatt Papier auf die grünen Felder Nordfrankreichs zu. Es war das größte Teil, dass von der Fortress, die normalerweise über 30 Meter Spannweite hatte, übrig geblieben war. Von dem deutschen Jäger war gar nichts mehr da. Nur noch die schmutzig-braune Rauchwolke hing am Himmel und zeugte davon, dass hier vorhin noch zwei Flugzeuge, in denen Männer gesessen hatten, gewesen waren.
 

Die dreihundertzweiunddreißigste hatte zwei Maschinen über dem Zielgebiet von Saint-Malo verloren. Die restlichen zehn Fortresses wurden auf dem Rückweg von einem weiteren Haufen Jägern beharkt, aber sie kamen davon, wenn auch manche mit irreparablen Schäden. Eine Maschine musste kurz vor der englischen Küste eine Notwasserung machen.

Die Männer der Liberty Lilly sahen den Männern der notgewasserten B-17 zu, wie sie über die Tragflächen kletterten und sich ins Wasser stürzten, um nicht vom Sog der untergehenden Maschine unter Wasser gezogen zu werden. Kurz darauf erblickten sie einen kleinen gelben Punkt, das Schlauchboot, und atmeten erleichtert auf.

Auf Donthorpe baute die Tasty Tottie eine Bruchlandung inmitten des Runways und musste erst von einigen Zugmaschinen von der Piste geschleppt werden, bevor die anderen Maschinen landen konnten.
 

Zum Abschluss der ganzen Mission wurden bei der anschließenden Nachbesprechung die Nachrichtenoffiziere aufs wildeste beschimpft, wieso kein Geleitschutz aufgetaucht war. Die Kerle wussten doch, wieviele deutsche Jagdstaffeln in Nordfrankreich stationiert waren.
 

Davis war mit seiner Besatzung zufrieden, besonders mit Danny, der eine andere Maschine vor einem schlimmeren Schicksal bewahrt hatte. Er selbst war nicht stolz auf sich, weil er da oben Todesängste ausgestanden hatte, außerdem zitterten seine Hände wie bei einem alten Mann.

Zum Verwundern aller, hatte Gunny auf dem Rückweg sein Muffensausen soweit in den Griff bekommen, dass er die Maschine sogar sicher und ohne Hopser gelandet hatte.

Verge und Curtis waren nach der Nachbesprechung auf Nimmerwiedersehen verschwunden und würden vor dem Abend sicher nicht mehr auftauchen. Ebenso wie Matt und Thomps, die sich ein Paar Fahrräder von den Mechanikern ausgeliehen hatten und ins Dorf gestartet waren.

Davis legte sich auf die Tragfläche seiner Maschine und wollte seinen Gedanken nachhängen, wollte ergründen was er besser machen konnte. Doch nach kurzer Zeit war er eingeschlafen, und die beklemmenden Gedanken ließen ihn vorerst in Ruhe.

Krisenbewältigung

Thomps und Matt saßen über ihre Biergläser gebeugt im Dorfpub. Sie hatten einen Ecktisch belagert, weil sonst im gesamten Raum nichts mehr frei zu sein schien. Alle Tische waren besetzt, manche davon sicher doppelt und dreifach. Der Pub war mit Menschen nur so vollgestopft. Und um sie herum tobte eine Party, wie sie sie das letzte Mal in den USA gesehen hatten, bevor sie nach Europa in den Krieg gestartet waren.

Sie hatten beide keine Ahnung, was hier eigentlich los war. Aber es schien eine Geburtstagsfeier von irgendeinem Major oder sonst irgendwas höher Gestelltem zu sein. Wer genau das Geburtstagskind war, ließ sich nicht herausfinden. Zum einen, weil viel zu viele Leute da waren. Und zum anderen, weil Matt und Thomps auch gar keine Lust hatten sich damit zu beschäftigen.

Thomps sah auf, als irgendjemand über seinen ausgestreckten Fuß stolperte, zu Boden ging und sich dann laut fluchend wieder hochstemmte.

„Sorry“, murmelte er, machte aber keine weiteren Anstalten, dem Geschädigten zu helfen, oder zumindest aufzublicken und zu schauen, wer da überhaupt über seine Beine geflogen war.

Plötzlich ließ sich neben ihm eine junge Frau nieder und starrte ihm schon beinahe unverschämt offen in die Augen. „Guten Tag, Fremder.“ Dabei lächelte sie ihn strahlend an.

Thomps warf Matt einen schiefen Blick zu. „Das ist ein Traum, oder?“

Matt grinste und nahm einen tiefen Schluck Bier, wobei er vergeblich versuchte das Gesicht nicht zu verziehen. Er ließ das leere Glas stehen und stand auf. „Ich hol’ mir ein neues. Willst du auch eins?“

Thomps gab ihm keine Antwort, sondern starrte das Mädchen an. Matt seufzte. „Oder ich steig’ lieber gleich auf Whiskey um.“ Mit diesen Worten zog er von dannen, um sich durch die Menschenmenge zur Bar durchzukämpfen.

„Und Sie?“ fragte sprach ihn das Mädchen an. „Schmeckt ihnen das Bier nicht?“ Sie lachte plötzlich auf. Es war ein helles wohlklingendes Lachen. „Aber was rede ich, das Bier schmeckt hier keinem.“

Thomps konnte den Blick nicht von ihrem Gesicht mit dem etwas zu breiten Lächeln abwenden. Aber ihm fiel, wie durch einen Schleier auf, dass sie eine taubenblaue Uniform trug, eine von der Sorte wie sie die Royal Air Force Männer trugen, nur dass sie keine Hose sondern einen Rock trug.

„Arbeiten Sie hier irgendwo?“ fragte er und schalt sich selbst einen Idioten, weil ihm kein besseres Thema einfiel, um sich mit einem Mädchen zu unterhalten.

„Ich bin bei der WAAF“, antwortete sie.

„Bei was?“ Thomps hatte noch nie davon gehört.

„Die englische Hilfsluftwaffe. Auch Women’s Auxiliary Air Force genannt.“ Sie deutete auf die Wimpel auf ihrem Oberarm. „Ich bin auch Sergeant. Wie Sie.“

Thomps besann sich wieder und riss sich zusammen. „Darf ich Sie zu einem Drink einladen?“

Sie lächelte und ihm fiel auf, dass sie ein wenig schwankte und sich an der Wand anlehnte. „Lieber nicht. Ich hatte schon einiges davon.“ Sie kicherte.

Matt kam zum Tisch zurück und stellte drei kleine Gläser ab, die mit einer goldfarbenen Flüssigkeit gefüllt waren. Er deutete mit einem Kopfnicken auf die junge Frau. „Für Sie auch.“

Thomps stellte ihr das Glas vor die Nase und kippte seinerseits den Whiskey hinab. Das scharfe Getränk brannte in seiner Kehle und legte wieder den wohligen Schleier um seine Gedanken. Die fremden Stimmen drangen nur noch wie durch einen Wattebausch an seine Ohren. Nur das Mädchen hörte er noch deutlich. Und Matt.

Sie hob ihre Hand und wedelte damit vor seinen Augen herum. „Hey. Sind Sie noch da?“

Erst jetzt nahm er sie wieder völlig wahr. Er griff nach ihrem Glas, welches sie unberührt auf dem Tisch stehen gelassen hatte. „Cheers.“ Und auch dieses verschwand in seinem Rachen. Das Mädchen lachte und legte ihre Hand auf seinen Arm.

Eine Weile später war Matt plötzlich verschwunden. Thomps konnte sich nicht entsinnen, wohin er gegangen war. Und in seinem Arm lag die junge Frau und schmiegte sich an ihn. Doch er hatte ein warmes Gefühl im Bauch, dass er nicht so schnell würde davonziehen lassen.
 

Die Sonne versank als glutroter Ball hinter den flachen Hügeln von Lincolnshire, dem sogenannten Bomber County. Und der Himmel verfärbte sich, von einem tiefen Orange langsam in ein dunkles Blau.

Davis lag noch immer auf der Tragfläche seiner Flying Fortress und schlief. Die Mechaniker, die die Löcher in Rumpf und Tragflächen repariert hatten, hatten ihn nicht zu wecken vermocht. Es war, als schlief er einfach die ganze Anstrengung des vorangegangenen Einsatzes aus.

Doch ihn plagten Alpträume. Er sah sie wieder. Die Hun Jumper, wie sie explodierte und die zerfetzten Körper der Männer ihrer Besatzung wie ein Strom aus Blut zu Boden regneten. Dann sah er eine Focke-Wulf auf sich und sein Cockpit zurasen, er sah die Propellernabe und den silbernen Kreis der Luftschraube, dazu sah er das hinter einer Sauerstoffmaske verborgene Gesicht des Piloten. Er sah die deutsche Maschine auf sich feuern, das Glas der Frontscheibe im Cockpit zersplittern und schrie vor Schreck auf.

Er schreckte von seinem eigenen Schrei hoch und sah sich irritiert um. Es war dunkel.

Und über ihm glitzerte der Sternenhimmel in seiner schönsten Pracht. Weit im Westen ging der Mond auf und tauchte die Landschaft ihn sanftes fahles Licht. Die Tragfläche unter seinen Handflächen war angenehm kühl und ein lauer Wind blies ihm durch die dunklen Haare.

Die Bäume am Platzrand rauschten leise und wenn er nicht in weiter Ferne ein tiefes Dröhnen vernommen hätte, hätte er sich wie daheim in Wyoming auf der Ranch seines Vaters gefühlt.

Da plötzlich überfiel ihn das Heimweh wie ein dunkler Schatten. Er dachte an Lilly Farrell, sein Mädchen, dem er versprochen hatte gesund zurückzukommen und sie zu heiraten. Und er dachte an das friedliche Land Wyomings, wohinter sich die schneebedeckten Spitzen der Rocky Mountains auftürmten.

Davis schüttelt den Kopf um die Gedanken zu vertreiben. Er war schon seit sechse Monaten von zu Hause weg, da würde er jetzt nicht anfangen ihnen nachzuheulen. Aber er vermisste Lilly. Briefeschreiben war noch nie seine Stärke gewesen, aber sie schien sich über das stümperhafte Geschreibsel zu freuen und schrieb ihm seitenlange Briefe zurück. Darin erzählte sie von den Rindern daheim, wie sie vom Pferd gefallen war, als sie mit ihrer Schwester ausgeritten war und wie die Leute im Dorf tratschten. Es war, als hielt er mit diesen Briefen ein Stück daheim in den Händen und er freute sich jedes Mal, wenn die Postsäcke aus Übersee ankamen. Leider war das nicht oft der Fall. Sie kamen unregelmäßig, manchmal wurden sie mitten in der Nacht aus einem LKW geschmissen und versanken erst mal in der angekommenen Fracht, bevor sie an die Männer ausgeteilt wurden.

Davis nahm sich vor so bald wie möglich an Lilly zu schreiben. Sie wusste nicht einmal, dass er die Flying Fortress nach ihr benannt hatte. Er wollte am liebsten ihr Gesicht sehen, wenn sie den Brief las.

Davis blickte in den Himmel, als das ferne Dröhnen von vorhin, zu einem bedrohlichen Grollen anschwoll. Dann erkannte er die Schatten, die über ihm durch den Nachthimmel schwebten und sich gegen den Sternenhimmel deutlich abzeichneten.

Britische Bomber auf ihrem Weg nach Deutschland.
 

Thomps Kopf dröhnte. Er hatte die Augen noch geschlossen und hoffte, die Schmerzen würden sich dadurch von selbst lindern. Doch das war bedauerlicherweise nicht der Fall.

Zudem spürte er jemanden neben sich. Jemand, der warm war und sich an ihn schmiegte. Thomps schlug die Augen auf und so erschrocken die Luft ein, als er das Mädchen, das er gestern im Pub kennengelernt hatte, neben sich liegen fand.

Sein Arm lag um ihre Hüfte und er hatte sie an sich gedrückt.

Zu gern wüsste er, was gestern passiert war. Nur sein dröhnender Kopf ließ ihn darauf schließen, dass Alkohol im Spiel gewesen war.

Die junge Frau neben ihm regte sich, dann schlug sie die Augen auf und sah ihn verdutzt an. „Oh, mein Gott.“

„Evan reicht“, grummelte Thomps.

Sie richtete sich auf, stellte fest, dass sie nackt war und verschwand seufzend wieder unter der Bettdecke. „Ich glaub’ das nicht.“

„Ich auch nicht. Aber scheinbar hatten wir es ziemlich nötig.“

„Wir waren total betrunken.“

„Allerdings.“ Thomps schloss die Augen. „Wenn Sie wollen können Sie sich anziehen. Ich schau’ auch nicht hin.“

Sie lachte. „Evan? Bis heute früh, hab ich deinen Namen noch nicht mal gewusst.“

„Und ich weiß deinen bis jetzt noch nicht“, sagte Thomps.

„Ich bin Sophie.“ Sie lächelte ihn an, als er unter einem halbgeschlossenen Lid herauslinste. Dann stand sie auf und suchte ihre Kleidung zusammen. „Ich wüsste nur gerne, wie ich hierhergekommen bin.“

„Ich weiß nicht mal, wo ich bin.“

„In meinem Zimmer. Ich wurde im Dorf bei einer älteren Dame einquartiert, als die Hütten auf dem Stützpunkt noch nicht fertig waren. Aber jetzt sind sie fertig und ich bin immer noch hier. Die USAAF hat die Hütten nämlich für euch in Beschlag genommen.“ Sie grinste. „Glücklicherweise.“

Auch Thomps lächelte, dann setzte er sich auf und zog sie auf seinen Schoß. „Ich find’s gut, dass wir betrunken waren. Beim Anblick eines hübschen Mädchens, krieg’ ich sonst nämlich kein Wort heraus.“

Sophie gab ihm einen Nasenstüber. „Jetzt machst du aber nicht den Eindruck.“

Er schlang seine Arme um ihre Hüften und legte sie dann rücklings aufs Bett. Und als er sich neben sie legte, lächelte sie ihn an.

Hannover

„Heck an Pilot.“

„Hier Pilot.“

„Da wir ja heute, wie die Deppen, am Schluss dieser Formation fliegen, haben wir ein Problem.“

„Und was für eins?“ mischte sich Matt ein. „Ich hasse Probleme.“

„Ein Haufen Messerschmitts, von sechs Uhr tief!“

„Diese Probleme hasse ich auch!“ schimpfte Danny und begann die feindlichen Flugzeuge anzuvisieren.

Kurz darauf begann das Flugwerk der Liberty Lilly unter den Rückstößen der Rumpf- und Heckgeschütze zu beben.

„Navigator. Welcher Kurs?“

Keine Antwort. Wieder mal.

Davis stampfte wütend mit dem Fuß auf. Ging das schon wieder so, dass Chase ihn ignorierte? Was war da vorne in dieser Kuppel nur ständig los?

„Navigator!?“
 

Chase saß in sich zusammengesunken auf dem Boden der Plexiglaskuppel und übergab sich in eine seiner Papiertüten. Und Gorsky hing zusammengesunken über seinem Bombenzielgerät und richtete sich auf, als er den Ruf nach dem Navigator hörte. Er kam schwankend auf die Beine und gab Chase einen Tritt in die Seite. „Steh’ auf, um Gottes Willen!“

Chase ließ einen letzten Schwall in seine Papiertüte, richtete sich dann auf und wischte sich mit dem Handschuh über den Mund. Er knüllte die Papiertüte zusammen und schmiss sie durch die MG-Luke, durch die Gorskys Geschütz ragte. Dann setzte er sich auf seinen Stuhl vor dem kleinen Tisch, auf dem seine Karten und Tabellen lagen, und machte weiter als sei nichts gewesen und geschehen.

„Kurs sechs-zwo-zwo.“

„Danke, Navigator. Wurde auch Zeit.“

Davis hielt die Steuersäule fest umklammert und versuchte den Propellerböen der vor ihnen fliegenden Maschine auszuweichen. Die vielen Flugzeuge hatten sich, wie verängstigte Glucken, zusammengeschoben, als hofften sie dadurch auf mehr Schutz. Was sich allerdings für die Bordschützen als Nachteil auswirkte, denn sie hatten kein freies Schussfeld, ohne die Maschine neben sich zu erwischen.

Die ganze Formation begab sich jetzt in eine leichte Rechtskurve. Sie befanden sich über den Niederlanden, knapp vor der deutschen Grenze und hielten direkt auf Hannover zu. Doch die Messerschmitts und Focke-Wulfs verfolgten sie. Im Moment feuerte nur vereinzelt die Flak.

Chase blickte auf die Karte, wo der rote Strich sich quer hindurchzog, wie ein Pfad ins Verderben. Auf ihrem Weg würden sie Osnabrück überfliegen. Ob die Flak dort stark sein würde? Ob Jäger da waren?

Über Hannover würde die Flak jedenfalls stark sein, das wussten sie aus der Einsatzbesprechung. Auch lagen in der Nähe deutsche Jägerflugplätze.
 

Einsatz Nummer vier, dachte Verge in seinem Kugelturm Gestern Krefeld, heute Hannover. Die werden uns doch nicht jetzt schon erwischen. Gerade jetzt, als wir uns einigermaßen zusammengerauft haben. Sogar er selbst hatte beinahe kein Magenflattern mehr, obwohl er einen der gefährlichsten Plätze im Flugzeug hatte.

Unter ihm schoss plötzlich ein grau-brauner Blitz vorbei. Eine Focke-Wulf. Er konnte sie, in dem kurzen Moment in dem er sie nur sah, an der charakteristischen gedrungenen Schnauze erkennen. Doch sie war so schnell aus seinem Blickfeld verschwunden, dass er nicht mal den Finger zum Abzug bewegen konnte. Er drückte das Pedal und der Kugelturm bewegte sich mit einem Surren nach links und wieder zurück. Immer wieder. Er durfte nicht unaufmerksam werden.
 

Don hielt sich an den Seiten seines Funkertischs fest und betete, diese Stöße, woher sie auch kamen, würden endlich aufhören. Auf seinem Tisch herrschte Chaos. Alles war durcheinander geflogen. Karten, Funktabellen, Positionsangabenblätter und sein Logbuch, welches sich irgendwo unter den Tisch verabschiedet hatte.

Hinter ihm im Rumpf schrien sich Matt, Curtis und im Heck Danny gegenseitig Positionen von feindlichen Flugzeugen zu. Auch Verge wurde nicht ausgelassen. Die deutschen Jäger stürzten sich, wie wütende Bienenschwärme, aus allen Richtungen auf den amerikanischen Bomberverband.

„Er kommt von unten, Kugelturm. Siehst du ihn?“

„Klar, doch.“ Verge blinzelte und feuerte mit Vorhalt auf die Messerschmitt, die ihm ihre gelbe Nase entgegenstreckte. Seine Garben, jedes dritte Geschoss war ein Leuchtspurgeschoss, gingen weit vorbei. Doch der deutsche Pilot ließ seine Maschine trotzdem abkippen.

Verge sah, dass sie viel weiter unten wieder abgefangen wurde, aber in eine andere Richtung verschwand. Er atmete erstmal auf.
 

„Matt, wie sieht’s bei dir aus?“

„Beschissen sieht’s hier aus. Überall schwirren die Hunnen herum. Und eben haben sie der Montana Miss den Rumpf durchlöchert. Aber ihre beiden Schützen feuern noch.“

„Die Montana Miss, sagst du? Hoffentlich macht sie’s bis heim. Ihr Funker schuldet mir noch Geld vom Pokern.“

„Die schaffen es, keine Sorge. Die bleiben an uns hängen, wie ein schlechter Penny.“

Die Montana Miss war wirklich übel angeschossen wurden. Als Davis die Liberty Lilly näher an sie heranrücken ließ, erkannte er, dass ihr ein Stück der rechten Tragfläche fehlte. Zudem war ein Geschoss von unten eingedrungen und hatte sich den Weg quer durch den Rumpf gebahnt. Der rechte Rumpfschütze hatte ein paar Splitter abbekommen, war aber nur leicht verletzt worden.

Ihre Motoren waren auch in Ordnung. Sie konnte ihren Weg nach Deutschland ungehindert fortsetzen.
 

Osnabrück.

Dieser Ortsname würde Verge noch lange in Erinnerung bleiben, obwohl sie die Stadt nur streiften. Ihr Kurs führte sie etwa drei Kilometer an der Stadt vorbei, aber die Flakgeschütze schienen sich außerhalb um die Stadt zu postiert haben.

Die müssen geschossen haben, dass ihnen die Läufe geglüht haben, dachte Verge und schüttelte sich. Er saß auf dem Rumpfboden, den blutenden Arm an sich gepresst.

Es war vor zehn Minuten passiert.

Sie streiften Osnabrück auf ihrem Weg nach Hannover. Der Verband war immer noch dicht zusammengedrängt. Die Piloten hielten krampfhaft die Steuersäulen umklammert. Sie befanden sich eigentlich schon beim direkten Anflug auf das Ziel . Nach Hannover waren es noch knapp 100 Kilometer.

Dann war es passiert. Ein Flakgeschoss war direkt neben Verge’s Kugelturm in den Rumpf eingedrungen. Und explodiert.

Verge hörte den Knall, etwas im Kugelturm klirrte und er stieß gleichzeitig die Hände nach oben, um die Einstiegsklappe zu öffnen. Seine tragbare Sauerstoffflasche kapselte er mit einem automatischen Handgriff von der Leitung. Da merkte er, dass der Kugelturm schwankte. Wie eine Schaukel, hin und her. Sein Magen begann, so fühlte es sich zumindest an, in freien Fall überzugehen. So wie er selbst gleich, dachte er, wenn er nicht bald aus dem schwankenden Turm herauskam.

Mit Mühe öffnete er die Einstiegsklappe und stemmte die Hände auf die Seitenränder. Langsam zog er sich hoch. Da kamen zwei Paar helfende Hände in Sicht und packten ihn an den Oberarmen

„Komm, alter Junge“, ächzte Matt. „So schnell werden sie dich nicht los.“ Er verzog vor Anstrengung das Gesicht. Soviel konnte Verge von dessen Gesicht über der Sauerstoffmaske sehen.

Curtis begann ebenfalls schwer zu schnaufen, als er Verge aus dem Kugelturm hievte. Das letzte Stück schafften sie mit Schwung und die drei Männer landeten auf einem Haufen im Rumpf.

Matt fluchte phantasievoll und befreite sich aus dem Menschenknäuel. Er warf einen Blick auf den Kugelturm und stieß einen verdutzten Pfiff aus.

Curtis und Verge wandten die Köpfe. Da bekam die Lilly wieder einen Schlag ab und bockte. Matt ging neuerlich zu Boden.

In dem Moment löste sich der Kugelturm aus seiner Verankerung. Aus der Verankerung, die durch das Flakgeschoss von vorhin sowieso schon beschädigt war.

Verge steckte den Kopf durch das Loch und schluckte. Das hätte er sein können, der da zu wie ein Stein Boden fiel. Plötzlich packte Curtis ihn am Arm und zog ihn zurück. „Lass sehen!“ Er inspizierte Verge’s Arm. „Den sollten wir verbinden und dann setzt du dich da neben Don und bleibst ruhig.“

Der hört sich an wie ein Sanitäter, dachte Verge und brüllte vor Schmerzen, als Curtis ihm die dicke Schaffelljacke auszog. Da begann das Heckgeschütz zu feuern und das Flugzeug erbebte. Curtis schnaufte und plärrte dann in den Äther. „Don, beweg’ deinen Hintern mal hier rüber!“

Don blickte erstaunt von den Funktabellen auf und um die Rückwand, wo Verge am Boden saß und sich den Arm hielt. Curtis saß neben ihm, er winkte Don zu, stand auf und begab sich wieder an sein MG.

Don griff unter den Funktisch und zog den Erste-Hilfe-Koffer heraus. Er warf noch einen Blick zum Funkgerät und horchte aufmerksam in den Äther. Keine Angaben oder Rufe an ihre Maschine. Dann stand er auf und huschte zu Verge hinüber.

„Übrigens, Skip, “ sagte Curtis durch die Bordsprechanlage, als das Geballer um ihn herum wieder ein wenig ruhiger geworden war. „Unser Kugelturm ist futsch.“

Es war kurz still im Äther. Dann sagte Davis, seine Stimme war heiser, anscheinend war er sichtlich erschrocken. „Und Verge?“

„Hier im Rumpf, dem geht’s gut. Du weißt ja, Skip, Unkraut vergeht nicht.“

Curtis hörte, wie Davis erleichtert aufatmete und Verge ihm einen Blick zuwarf, unter seiner Sauerstoffmaske aber keine Grimassen ziehen konnte.
 

„Chase, wie wär’s, wenn du dem Skipper endlich mal den genauen Kurs zum Zielanflug steckst?“ Gunny grummelte ins Mikrophon.

Chase schreckte aus einem schlechten Tagtraum auf und blinzelte. Sein Atem flog. Er hatte ihn gesehen. Den Deutschen, der das letzte Mal die Hun Jumper aus dem Himmel geschossen hatte. Und er hatte die Männer der Besatzung der Hun Jumper gesehen. Wie sie neben der Lilly her flogen und ihm zuwinkten. Dann waren sie in einem grellen Licht verschwunden. Wenn ein Traum auf der Liste schlechter Träume den ersten Platz hatte, dann dieser.

Er schüttelte noch einmal den Kopf um die Gedanken davonzutreiben, dann blickte er auf seine zitternden behandschuhten Hände und auf den roten Strich, der knapp vor Hannover stand.

„Kurs halten, Pilot. Halten direkt aufs Ziel zu.“

„Zeit?“

„Etwa drei Minuten bis zum Zielanflug.“

„Danke.“

Gorsky begab sich auf diese Unterhaltung nach hinten in den Bombenschacht und machte die Bomben scharf.
 

„Bombenschütze?“

„Aye, Skipper.“

„Alles klar zum Flugzeug übernehmen?“

„Alles klar. Ich übernehme.“

Davis drückte den Knopf und schaltete den Autopiloten ein. Dann ließ er langsam die Steuersäule los. Die Lilly hielt sich sicher.

Gorsky blinzelte und wischte sich über die Augen. Dann blickte er wieder durch das Visier des Norden-Bombenzielgeräts.

Unter ihm befanden sich noch grüne Felder, dunkle Flecken, wahrscheinlich Wald. Nach ein paar Sekunden änderte sich jedoch das Bild.

Hausdächer kamen in Sicht. Breite Straßenzüge. Dann Fabrikdächer, die die sie suchten.

„Etwa eine Minute bis zum Ziel“, sagte Chase.

„Alles klar“, sagte Gorsky. „Skip? Bombenklappen auf.“

„Bombenklappen offen.“

Die Flak begann so urplötzlich zu schießen, dass keiner der Männer in den Flugzeugen darauf gefasst war. Gorsky zuckte zusammen und brachte die Lilly zum schwanken. Doch er hatte sie gleich wieder ruhig in der Luft liegen.

Die Flak schoss, doch die Flying Fortresses flogen so ungerührt weiter, als könne ihnen keiner etwas anhaben.

Gorsky atmete noch mal tief durch und beugte sich tiefer über das Zielgerät. Das Fadenkreuz des Visiers überflog langsam die Fabrikdächer.

Auf der Einsatzbesprechung hatten sie sich die Luftbilder von Hannover angesehen. Von den Fabriken, die sie bombardieren sollten. Es waren langgezogene Dächer, länger als die, die er gerade unter sich hatte.

Dann kamen sie in Sicht. Die richtigen Dächer. Auf einmal waren sie da.

„Achtung!“ sagte Gorsky und ließ den Zeigefinger über dem Auslöseknopf kreisen. Dann drückte er ihn. „Bomben los!“

Rund um sie herum begannen viele kleine schwarze Gebilde aus den Rümpfen der Bomben auf den Boden zu zutorkeln.

Die Liberty Lilly bäumte sich auf, wie ein Lastpferd, das eben von großem Ballast befreit wurde und nun über die Weide davon stürmen wollte.

Davis übernahm sie in diesem Moment wieder und hielt das große Flugzeug auf Kurs. Dann flogen sie die Wendung und waren drauf und dran den Luftraum über Hannover hinter ihnen zu lassen.
 

Verge lehnte an der Rückwand des Rumpfes und starrte gebannt aus dem großen Loch, dass der Kugelturm hinterlassen hatte.

Unten erblickte er die Feuerblitze, die die explodierenden Bomben hinterließen. Es waren ganze Reihen von Explosionen. Danach stiegen Rauchsäulen auf. Die Flak blies ihnen weiter die Geschosse entgegen.

Die Aufklärungsflugzeuge würden nachher ihren Heidenspaß daran haben, Rauch und Nebel zu fotografieren. Mehr würden sie nicht sehen. Außer sie warteten lang genug, bis der Qualm sich legte.

Sein Arm schmerzte, das Blut sickerte langsam durch den Verband. Das Geschoss hatte ihn irgendwo am Oberarm erwischt, und offenbar schlimmer als erwartet. Don hatte die Blutung erstmal stillen können, doch als die Lilly einen Schlag abbekommen hatte, hatte er sich abstützen müssten und wäre beinahe verrückt vor Schmerzen geworden. Und dann hatte die verdammte Wunde wieder zu bluten begonnen.
 

Danny im Heck traute seinen Augen nicht. Weit und breit keine Jäger. Nur Flak. Flak soweit das Auge reichte. Überall kleine schwarze Wölkchen, die, wenn sie nicht schwarz gewesen wären, wie Wattebäusche angemutet hätten.

„Die Kerle ballern auf uns, was sie an Geschossen haben“, sagte er.

„Was du nicht sagst. Ich habe den Verdacht, ich übersehe die Jäger, falls es so weitergeht.“ Matt starrte durch die geschossgeschwängerte Luft und hielt sich, als das Flugzeug bockte, an seinem MG fest.

„Haltet die Augen offen, denn sobald wir aus der Reichweite der Flak heraus sind…“ Davis ließ den Satz unvollendet, denn seine Besatzung wusste was dann kommen würde.
 

Kurz nach der niederländischen Grenze kamen sie dann. In Schwärmen.

Anscheinend waren die Niederlande reich mit deutschen Jägerflugplätzen beschenkt worden.

Die Niederlande, schon 1940 von deutschen Truppen besetzt, waren ein Land, das von Bombern, englische in der Nacht und amerikanische am Tag, also beinahe ständig überflogen wurde.

Außer sie waren auf einer Mission nach Süddeutschland. Dann überflogen sie Belgien oder Luxemburg. Ein Luftraum, der jedoch meistens beim Überfliegen vermieden wurde, war der des Ruhrgebiets. Über dem Ruhrgebiet keinen Flaktreffer abzubekommen galt als Wunder.

Ebenso stark verteidigt waren Bremen, Hamburg und Berlin. Allesamt Ziele, die bei den Einsatzbesprechungen lautes Lamento und Gestöhne auslösten.
 

Die Liberty Lilly bekam Geschosse von allen Seiten zu spüren. Die ersten Angriffe gingen an ihnen vorbei und richteten sich auf die unteren Flugzeuge. Die deutschen Jäger kamen von schräg unten.

Die Lilly flog zwar am Schluss, aber in der mittleren Staffel. Die ersten Angriffe konzentrierten sich also meistens, falls die feindlichen Jäger genug Höhe hatten, auf die oberen hinteren Flugzeuge. Sonst, wie in diesem Fall, wurden die unteren zuerst aus dem Himmel geschossen.

Am Heck jagten die schmalen Rümpfe von Messerschmitts und Focke-Wulfs, wie graue Schatten, vorbei. So schnell, dass Danny sie nicht erwischen konnte. Er fluchte phantasievoll. Schräg unter ihm konnte er den Navigator einer anderen Maschine in der Astrokuppel stehen und hinausschauen sehen. Ihr eigener Navigator Chase saß allerdings meistens wie festgewachsen auf seinem Sitz, außer er musste seine vollen Tüten aus der MG-Luke werfen. Das war das einzige Mal, dass er aufstand.

Danny rieb sich den schmerzenden Rücken mit einer Hand und versuchte dann eine bequemere Position zu bekommen. Was allerdings kläglich scheiterte. Das Heck war zu eng, das MG zu groß und er selbst war auch nicht der kleinste Mensch. Er war zu lang, so sah es aus. Seine langen Beine passten nicht so richtig hier rein. Wieso zum Teufel hatte man ihn bei der Grundausbildung zum Heckschützen gemacht?
 

Matt und Curtis hatten mehr Glück, da die meisten Angriffe von seitlich kamen.

„Hier linker Rumpf. Ich hab hier eine ganze Ladung Krauts von der neun Uhr. Nimm’ sie dir vor, Thomps!“

Thomps, dem noch die Nachwirkungen der durchzechten Nacht, eine von viel zu vielen durchzechten Nächten, nachhingen, rieb sich die Augen und kniff sie dann zusammen um besser sehen zu können.

Der Himmel war dunstig und trüb. Ob es an der Hochwetterlage lag, die die Wetterfrösche für die ganze Woche voraussagte, schien ihm komisch. Normalerweise war der Himmel bei solch einer Wetterlage klar. Oder die Wetterfrösche hatten bei ihrem Bericht gepatzt. Thomps tippte auf letzteres, denn das war meistens der Fall. Einmal hatten sie klare Sicht am Zielort vorausgesagt, als sie dann über dem Ziel hingen und außer riesigen Wolkentürmen nichts sehen konnten, schimpfte sogar der Kommandeur herum.

Wie aus dem nichts schossen plötzlich drei Focke-Wulf 190 an ihm vorbei. Er riss sein Geschütz herum und jagte ihnen eine Ladung Blei hinterher. Der letzten Maschine brachen Teile von der Tragfläche ab, sie flog aber ungerührt weiter. Die Piloten machten einen Abschwung über die linke Fläche, den Thomps neidisch bewundert hätte, wenn er auf einer Vorkriegsluftshow stattgefunden hätte. Doch er biss die Zähne zusammen und behielt den Luftraum über sich im Auge.
 

Gegen halb drei Nachmittags landeten sie sicher in Donthorpe.

Als Davis die Lilly auf der Asphaltbahn aufsetzte atmeten alle hörbar auf.

Dieser Einsatz war wahrlich kein Zuckerschlecken gewesen.

Davis’ Hände zitterten immer noch, als er seinen großen Bomber parkte und die Motoren abstellte. Dann schnallte er sich ab und stieß die Ausstiegsluke auf.

Mit den Füßen zuerst schwang er sich hinaus und sackte beinahe zusammen, so weich waren seine Knie.
 

Eine ganze Weile später, als das De-Briefing mit den Nachrichten-Offizieren vorbei war, ging Luke Gunn hinaus zu den Flugzeugen und um einen kleinen Spaziergang zu machen.

Die anderen hatten sich entweder in ihrer Baracke niedergelassen oder den Pub aufgesucht. Auf keines der beiden Möglichkeiten hatte Gunny Lust. Weder wollte er schlafen, noch sich betrinken. Alkohol war sowieso nicht sein Ding. Und schlafen konnte er nicht, weil seine Gedanken immer noch über Deutschland fest hingen. Und das war zuviel des Guten. So ließ sich kein guter Schlaf finden.

Er schlenderte an den Maschinen vorbei, die zum Teil sehr mitgenommen aussahen. Aber majestätisch standen sie da, im fahlen Abendlicht. Die Sonne stand schon tief und schickte ihre warmen Strahlen über das flache Land von East Anglia.

Gunny erblickte die Montana Miss, deren Rumpf halbwegs wieder geflickt worden war. Überall prangten silberne Flecken, die von Nieten gehalten wurden und an dem Flugzeug aussahen wie Narben. Narben vom Kampf. Flaknarben.

Die Granate, die dich trifft, siehst du nicht. So pflegten die Männer es zu sagen und beließen es dabei. Auch Gunny. Wenn eine Granate oder ein Geschoss für ihn bestimmt war, war es eben so. Und solange nicht, tat er seine Arbeit. Egal ob ihm da oben schlecht vor Angst war, oder nicht.

Er strich über die raue Außenhaut des Rumpfbodens der Maschine, knapp vor dem Kugelturm.

Der Kugelturm ihrer eigenen Maschine fehlte noch. Aber Verge war sicher auf dem Boden und nur leicht verletzt, das war das Wichtigste.

Begegnungen

Einen Schritt nach dem anderen. Ganz langsam, nur keine Aufregung. Curtis schnaufte und stützte sich schwer auf Don’s Schulter. Wieso machte der Weg vor ihm Kurven? Wieso blieb er nicht gerade? Und wieso, zum Teufel, sah er alles verschwommen? Er hatte doch nur fünf oder sechs Gläser Whiskey gekippt.

War er schon soweit, dass er sich nach so einer lächerlichen Menge einliefern lassen konnte?

Don ächzte und schimpfte: „Ich frag’ mich wirklich, wieso ihr Penner euch immer besaufen müsst?“

„Weiß’ nich’, “ murmelte Curtis. „Vielleicht weil das alles sich dann besser ertragen lässt?“

Don gab ihm eine Antwort sondern schleifte ihn weiter den Weg zum Flugplatz entlang. Nach Einsatz Nummer sechs hatten alle ihr Heil in der Flucht gesucht. Sobald die Motoren der Liberty Lilly abgestellt worden waren, stürmten alle aus dem Flugzeug. Der Einsatz war ein Graus gewesen. Das De-Briefing danach zog sich ewig in die Länge, dann endlich konnten sie gehen.

Gunny schien direkt losgewandert zu sein, auf nach nirgendwo. Dahin wo ihn garantiert niemand finden würde. Der Mann schien ein Arsenal an Plätzen zu haben, wo niemals jemand nach ihm suchen, geschweige denn ihn finden würde.

Sogar Davis, der sonst so trockene Eugene Davis, war mit zum Pub gekommen und saß mit dem vierten Glas Bier an der Theke. Den Kopf hatte er in die Hände gestützt. Ansprechbar war er nicht. Nicht mal das nette Mädchen an der Bar vermochte ihn zu wecken. Oder er wollte nicht geweckt werden, zumindest nicht von dem Bar-Mädchen. Wenn es dagegen Lilly Farrell gewesen wäre…

Matt, Don und Curtis waren ebenfalls im Pub zugange gewesen. Zumindest solange bis Curtis stockbesoffen vom Stuhl gekippt war und seinen Mageninhalt über den Boden verteilt hatte. Matt war daraufhin plötzlich weg gewesen. Nur Don war übrig, um Curtis zurück zu den Baracken zu schleifen.

Thomps hatte sich mit seinem Mädchen getroffen, Sophie oder wie sie auch immer, heißen mochte. Schon nach gut einer halben Stunde hatten die beiden sich ebenfalls verabschiedet. Auf ins Bett, dachte Don grimmig.

Gorsky und Danny waren auf dem Flugplatz geblieben. Wohl die einzigen zurechnungsfähigen Menschen der ganzen Besatzung, dachte Don wütend, als Curtis ihm beinahe wieder von der Schulter gekippt und in den Straßengraben gekippt wäre.

Verge hatte sich mit dem Fahrrad abgeseilt. Am Abend noch mit dem Fahrrad in der Landschaft herumzugondeln, Don schüttelte verständnislos den Kopf.

Nach weiteren zehn Minuten, in denen er den halb bewusstlosen Curtis Richtung Heimat herumschleifte, hatte Don genug. Er setzte ihn, der nur müde protestierte, am Straßenrand ab. Dann ließ er sich neben ihm, auf dem weichen Grasboden nieder.

Trotz dem es Abend war, war es noch sehr warm. Frühjahr 1944, dachte Don. Er konnte es beinahe nicht fassen. Sie waren erst vor gut einem Jahr in die United States Army Air Force eingetreten und hatten ihre Grundausbildung absolviert. November ’43 waren sie nach England gekommen. Genauer gesagt, nach Schottland. Und vor drei Monaten dann in den aktiven Einsatz versetzt worden. Don kam es vor wie eine Ewigkeit.

Mittlerweile machten die Alliierten sich zur Invasion auf das europäische Festland bereit. Laut sagen durfte man es nicht, aber natürlich wurde getratscht unter den Mannschaften und Besatzungen. Wieso sonst wurden plötzlich die Bomber verstärkt nach Nordfrankreich geschickt? Als ob Deutschlands Großstädte platt zu bomben noch nicht genug war.

Die 8th Air Force hatte so hohe Verluste wie noch nie.

Don lehnte sich zurück. Alles was er wollte, war, seine fünfundzwanzig Einsätze heil zu überstehen. Danach wollte er nur noch heim. Heim nach Kansas, auf die Farm seiner Eltern. Und zu Frances, die im Nachbarort wohnte.

Allerdings ging mittlerweile das Gerücht um, dass die Air Force- Generäle die Zahl der zu fliegenden Einsätze auf dreißig erhöhen wolle. Don war wütend, die selber mussten ja nicht fliegen. Und sie begründeten es so: Nach fünfundzwanzig Einsätzen befanden sich die Besatzungen auf dem Höhepunkt ihres Könnens, und sie dann abzuziehen wäre Verschwendung. Doch ob dieser Vorschlag durchkam, stand Gott sein Dank noch in den Sternen.
 

Der Abend war noch warm. Sie waren gegen fünf Uhr vom Einsatz nach Essen im Ruhrgebiet zurück gewesen. Ruhrgebiet. Wenn er diesen Namen schon hörte, überzog eine Gänsehaut seine Arme. Die Su Su hatte es erwischt. Die gute alte Su Su. Direkt vor ihnen hatte sie eine Flakgranate erwischt. Sie war aufgeplatzt wie eine überreife Tomate. Geschütze, Fetzen von Uniformen, einfach alles, war umhergeflogen, der Liberty Lilly entgegen.

Und plötzlich war bei Gorsky und Chase vorne in der Nase alles voller Blut gewesen. Die ganze Plexiglasscheibe. Die war voller dunkelrotem Blut gewesen. Es zog im Fahrtwind Schlieren.

Chase hatte es erblickt und war erstarrt, Gorsky hatte es Don so erzählt. Dann hatte er in aller Seelenruhe eine seiner Papiertüten herausgenommen und seinen Magen darin entleert. Gorsky hatte gesagt, so hatte er Chase noch nie gesehen. So als ob in seinem Körper niemand mehr gewesen sei. So als ob er nur noch automatisch funktionierte. Chase hatte sich wieder an seinen Tisch gesetzt und weitergemacht, als sei nichts gewesen.

Vielleicht war das alles zuviel, dachte Don. Vielleicht hatte Chase deshalb, nach dem De-Briefing, die Beine in die Hand genommen und war davongelaufen.

Bisher war er noch nicht zurückgekehrt. Und wohin er gelaufen war, wusste auch keiner.

Erst nach der Landung war der Schock gekommen, hatte Davis vermutet. Und damit musste Chase erstmal allein fertig werden. Sie konnten nichts dagegen tun. Sie konnten nicht zu ihm sagen, ‚Alles wird wieder gut’, denn das wurde es nicht.
 

Chase’ Blick war auf den Feldweg gerichtet. Doch er sah nichts. Vor seinem inneren Auge sah er nur die blutverschmierte Scheibe, dann zog alles wieder wie ein Film, ein schlechter Film, an ihm vorbei.

Zuerst der Bombenzielanflug, überall Flak und kleine Explosionswolken. Das ganze Flugzeug hatte gebebt. Danach die Wende, dann plötzlich überall Jäger, und die Flak war weg. Die Jäger begannen ihr Gemetzel mit der oberen Staffel.

Und dann sah er sie vor sich. So, als ob er von hinten zusehen würde. Er sah sich, und Gorsky, wie er über dem Bombenzielgerät hing. Dann hörte er den Knall und erblickte die Su Su, in dem Moment, in dem sie getroffen wurde. Sie platzte. Sie platzte einfach so. Mitten im Rumpf hatte es sie erwischt, auf Höhe des Funkers. Der Funker musste sofort tot gewesen sein.

Dann sah er das Blut, wie es gegen die Scheibe klatschte, oder was gegen die Scheibe geknallt war, konnte er nicht sagen. Aber es hinterließ einen sternförmigen Fleck, der im Wind Schlieren zog.

Ihm wurde plötzlich schwarz vor Augen und er sank auf die Knie. Er spürte die Steine auf dem Weg, wie sie sich schmerzhaft in seine Knie bohrten. Er hatte den dicken Schaffelanzug irgendwo hinter der Baracke ausgezogen und liegen lassen. Er trug nur noch seine normale Uniform. Ihm war alles egal. Er wollte nichts mehr sehen und hören, nur noch weg vom Flugplatz und allen Leuten dort. Und er wollte die Plexiglaskuppel der Lilly nicht sehen, wie sie vom Blut eines der Männer der Su Su befreit wurde.

Er kam irgendwie wieder auf die Beine und schleppte sich mühsam weiter. Dabei stützte er sich an dem Weidezaun ab, um nicht wieder umzukippen. Denn dann würde er am Boden liegen bleiben.

Er zerrte sich weiter und weiter, einen leicht ansteigenden Hügel hoch und hielt dann inne. Vor ihm lag das flache Lincolnshires. Verdunkelt zwar, aber ein fahler Mondschein hüllte es in blasses Licht.

Bombermond, dachte er unwillkürlich.

Sein Blick richtete sich zum Himmel. Zu dem Himmel, wo sie vor ein paar Stunden noch die härteste Abreibung aller Zeiten abbekommen hatten. Die Staffel hatte von zwölf Flugzeugen vier verloren. Wenn das so weiterging, dann waren die Verluste schon bald nicht mehr ersetzbar. Chase wusste, dass spätestens übermorgen neue Besatzungen mit Flugzeugen eintreffen würden. Sie würden nicht mal so lange dableiben, damit man sich ihre Namen merken konnte.
 

Ihm kam es vor wie eine halbe Ewigkeit.

Verge trat heftig in die Pedale, um sein klappriges Fahrrad über den Hügel zu zwingen. Dann stöhnte er. Der Weg schlängelte sich vor ihm weiter in die Ferne. Er wusste nun genau, dass er sich völlig verfahren hatte. Auf dem Hinweg war er garantiert über keinen Hügel gefahren.

Nach dem Einsatz hatte er nur so schnell wie möglich weggewollt. Genau wie der Rest der Crew.

Er warf einen Blick unter sich. Vor einer Weile hatten er und die anderen zusammengelegt und dieses alte Fahrrad einem Dorfjungen abgekauft und wieder instand gesetzt. Es war eine Heidenarbeit gewesen, aber es hatte sich gelohnt. Jetzt konnte immer derjenige damit fahren, der es sich als erstes packte. Heute war er der glückliche. Normalerweise hatten sie gegen Gunny selten den Hauch einer Chance. Gunny war immer sehr schnell aus dem Flugzeug heraußen, dass die anderen sich nur fragen konnte, wohin er eigentlich so schnell wollte.

Matt vermutete, dass er ein Mädel im Dorf hatte. Davis sagte, der Gute wolle eben auch mal seine Ruhe haben. Woraufhin Matt sich wieder aufregte, dass sie alle doch gar nicht so schlimm seien, dass man gleich seine Ruhe brauchte. Davis schmunzelte dann nur vielsagend.

Verge bremste und stützte sich und das Rad mit einem Bein ab. Es war stockdunkel. Obwohl nicht ganz, der Mond schien ja. Allerdings hatte das Fahrrad keine Lampe und er wollte auch nicht irgendwo blind dagegen scheppern. Deshalb fuhr er langsam, zu langsam wie es ihm vorkam. Zumindest bewegte er sich seiner Meinung nach im Kreis.

Aus den Augenwinkeln erblickte er plötzlich einen Lichtschein, der gleich wieder verschwand. Irgendwo war gerade eine Tür geöffnet und wieder geschlossen worden. Er hielt es für ein Bauernhaus, stieg ab und schob das Fahrrad in diese Richtung.
 

Chase saß ihm kam es schon mindestens eine Stunde vor, neben einem Weidegatter und starrte in den Himmel. Um ihn herum zirpten Grillen ihr letztes Lied, bevor sie ebenfalls zur Nachtruhe verstummten. Er warf einen Blick auf die Uhr. Schon elf. Aber sie würden morgen nicht fliegen, soviel wusste er. Davis hatte es ihm nachgebrüllt, als er nach dem De-Briefing losgezogen war. Sie würden auch am übernächsten Tag nicht fliegen. Die Lilly sah ziemlich mitgenommen aus.

Als Verge’s Kugelturm weggeschossen worden war, hatten die Mechaniker vier Tage gebraucht, um sie wieder fit zu machen. Dann waren sie wieder in der Luft gewesen. Verge’s Armverletzung hatte sich als nicht sehr schlimm herausgestellt. Es hatte nur viel geblutet. Der Sani hatte ihn zusammengeflickt und ihm vier Tage Ruhe verordnet. Genauso lange wie die Lilly außer Gefecht gewesen war.

Und dann war es weitergegangen. Als ob niemals etwas gewesen wäre. Nur dass die Lilly ein wenig mehr im Flugwerk knirschte, als sonst. Zehn Einsätze standen nun auf ihrem Rumpf. Und ein neues Balkenkreuz, für den Jäger den Danny heute erwischt hatte.

Plötzlich hörte er ein Rascheln hinter sich. Er fragte sich, ob ihm seine überreizten Sinne einen Streich gespielt hatten. Doch da war es wieder. Ein leises Rascheln. Wie ein Tier, das durchs Gebüsch kroch. Er drehte sich langsam um.

Da legte sich eine Hand auf seine Schulter und er erschrak beinahe zu Tode. Er machte einen Sprung zur Seite und hörte jemanden kichern.

Nun war er wirklich verrückt geworden. Es konnte gar nicht anders sein. Entweder hier gab es ein Moor und Irrlichter spukten herum, oder er hatte diese Krankheit, die mit den überlasteten Nerven zusammenhing. Vielleicht hätte er doch keine so großen Schlucke aus dem Flachmann nehmen sollen.

Doch dann tauchte die Gestalt vor ihm auf und er erkannte einen Menschen. Und dieser Mensch ging vor ihm in die Hocke. Dann wurde eine Taschenlampe angeknipst und ihm ins Gesicht geleuchtet. Es blendete ihn, er begann zu fluchen und hielt sich die Hand vors Gesicht. „Was soll denn der Mist?“

„Sind Sie einer vom Flugplatz?“ kam es als Gegenfrage.

Er nickte und griff nach der Taschenlampe. Als er sie der Gestalt entgegenleuchtete erkannte er einen jungen Burschen mit einem Schopf kurzer blonder Haare.

Moment, das war kein Bursche. Chase stutzte. „Sie sind ’ne Frau?“

Sein Gegenüber kicherte leise. „Die Frage bekomm’ ich öfters zu hören. Vor allem wenn’s dunkel ist.“

„Was wollen Sie hier?“

Sie nahm ihm wieder die Lampe aus der Hand. Ließ sie aber ausgeschaltet. Dann setzte sie sich neben ihn und lehnte sich ans Weidegatter. Er fragte sich, was hier ablief, da tanzte jemand mitten in der Nacht an und störte ihn.

„Ich kam denselben Weg wie Sie. Ich hab gesehen, als sie in die Knie gingen. Aber Sie kamen ja von selbst wieder hoch.“

Chase nickte nur, egal ob sie ihn sehen konnte, oder nicht. „Und was wollen Sie hier?“

„Ich arbeite auf dem Bauernhof als Landmädchen.“

Chase blickte sich um, er sah keinen Bauernhof.

Sie lachte wieder. „Da unten.“ Sie zeigte geradeaus und Chase konnte vage einen dunkeln Umriss ausmachen. Er sah sie an. Im Dunkeln sah er nur die Silhouette ihres Gesichtes, die sich gegen den Sternenhimmel abhob. Sie hatte eine Stupsnase, volle Lippen und diesen widerspenstigen blonden Haarschopf, der ihm vorhin schon aufgefallen war. „Wie ist Ihr Name?“

„Erica Pomeroy. Und Sie?“

„Casey Brandt. Man nennt mich aber nur Chase.“

Sie sagte nichts, sondern lehnte sich ein Stück vor. Dann streckte sie die Hand aus und zeigte in den Himmel. „Sehen Sie den großen Wagen?“ fragte sie.

„Klar“, sagte er verdutzt. Was wollte sie denn jetzt mit den Sternbildern?

„Bei mir zuhause seh’ ich ihn aus dem gleichen Winkel wie hier jetzt.“

Chase dachte, jetzt müsse er wohl fragen, woher sie kam. Aber er wusste nicht, ob das nicht ein wenig seltsam war. Immerhin hatte sie ihn im Dunkeln erschreckt. Und er kannte sie nicht einmal. Und was sollten solche Gespräche mitten in der Nacht?

„Ich komme aus Schottland“, fuhr sie fort. „Aus Montrose.“ Sie wandte sich zu ihm. „Das kennen Sie bestimmt nicht. Sie sind doch einer vom Flugplatz, oder? Ein Amerikaner?“

Er nickte.

„Wo wohnen Sie?“

Er schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter, der sich immer dann bildete, wenn er an zuhause dachte. „Klamath Falls, Oregon.“

„Wie ist es dort?“

Er merkte, wie sehr ihm das zusetzte. Der Kloß wurde dicker. Er wischte sich hektisch über die Augen. Plötzlich merkte er, wie sie seine Hand nahm. „Tut mir leid“, flüsterte sie. „Tut mir leid, wenn ich zu direkt war. Ich verstehe es. Ich kann auch nicht an zuhause denken, ohne es zu vermissen.“ Er blickte in ihr Gesicht. Im fahlen Mondschein konnte er sie jetzt gut sehen. Ihre Augen glänzten, sie sah ihn verständnisvoll an. Dann plötzlich brach alles aus ihm heraus, wie eine Flut. Tränen schossen ihm in die Augen und er stöhnte gequält auf. Sie legte eine Hand an seine Wange und zog seinen Kopf sanft an ihre Brust. Dann flüsterte sie ihm leise Worte zu. Sie wusste, es würde ihm helfen, wenn er es herausließ. Die Männer, die da oben Schlachten schlugen, durften nicht alles in sich hineinfressen und daran kaputtgehen. Sie mussten weiterkämpfen. Auch gegen sich selbst und ihre Ängste.
 

Verge stand vor der Tür des alten Bauernhauses und klopfte dann leise.

Eine ältere Frau öffnete ihm und spähte misstrauisch hinaus. „Ja, bitte?“

Verge begann zu stammeln. „Ich wollte nur fragen, äh, wo es denn zum Flugplatz geht. Äh, ich hab’ mich nämlich verfahren, wissen Sie.“

Die ältere Dame blickte ihn zuerst an, als habe er nicht mehr alle beisammen, aber dann verzog sich ihr Gesicht zu einem Lächeln. „So spät noch am Weg, Junge?“

Verge nickte beklommen. „Leider.“

„Sie sehen mitgenommen aus, mein Junge. Wieso kommen Sie nicht kurz rein zu uns?“

Ehe er sich versah, stand er in einer großen, gemütlich eingerichteten, Stube. An einem Ende befand sich die Küche, dann wurde das Zimmer etwas breiter und ging in das Wohnzimmer über.

In einem Sessel saß eine, Zeitung lesende, Gestalt, die sich jetzt umdrehte. Der ältere Herr sah Verge prüfend an. Verge zog sich seine Mütze vom Kopf und hielt den Blick gesenkt. Ihm war es unangenehm, mitten in der Nacht hier so hereinzuplatzen.

Die Frau winkte ihn an den Tisch, gegenüber dem Sessel des Mannes, und bedeutete ihm Platz zu nehmen. Zwei Minuten später stellte sie ein dick mit Butter bestrichenes Brot und eine Tasse Tee vor ihm ab.

„Lassen Sie es sich schmecken, Jungchen. Wir haben genug davon. Ich bin übrigens Margaret Winterbotham. Sie können mich Meggie nenne.“

Verge war überwältigt von soviel Freundlichkeit und griff nach dem Brot.

Die beiden Bauersleute stellten ihm einige Fragen, hauptsächlich aber Meggie, ihr Mann hielt sich zurück und schaute ihn misstrauisch an. Zwischen den Bissen versuchte er sie weitestgehend zu beantworten. Sie fragte nach Amerika und nach seinen Kameraden. Nur, was sie in Deutschland bombardierten, das fragte Meggie nicht. Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und seufzte. „Sie erinnern mich an unseren Sohn.“

Verge schluckte seinen letzten Bissen Brot hinunter. „Ist er auch bei der Armee?“ Doch schon als er sie aussprach, kam ihm die Frage blöd vor. Die beiden Leute waren beide mindestens sechzig oder siebzig. Ihr Sohn würde wohl kaum mehr bei der Armee sein.

Meggies Augen wurden feucht. „Er ist gefallen. 1916 bei Verdun.“

„Das tut mir leid.“ Verge senkte den Blick, doch sie legte ihm eine Hand auf den Arm. „Schon gut. Sie können das ja nicht wissen.“

Der Mann raschelte mit der Zeitung und lugte dann dahinter hervor. „Und jetzt sind wir so alt, dass wir nicht mal mehr allein den Bauernhof bewirtschaften können. Jetzt haben sie uns zwei Landmädchen geschickt.“ Mit ‚die’ meinte er wohl die Regierung, dachte Verge. Und von den Landmädchen sprach er auch abfällig.

Meggie seufzte. „Mein Mann glaubt, dass die Mädchen die Arbeit nicht schaffen. Aber unsere beiden Mädchen, Erica und Anne heißen sie, sind beide sehr gute Arbeiterinnen. Außerdem haben wir ja noch den alten Reg, der ihnen hilft.“

Verge schaute fragend.

„Reg ist unser Farmarbeiter. Schon seit vielen Jahren,“ erklärte sie.

Der Mann schaute ihn wieder an. „Und wer sind Sie? Stellt man sich nicht vor? Ist das in Amerika so üblich?“

Verge wurde rot.

„Lass’ den Jungen in Ruhe, Sam“, schimpfte Meggie. Doch Verge räusperte sich. „Ich bin Private Virgil Claiborne, ich bin Kugelturmschütze.“

Sam’s Gesicht erhellte sich. Anscheinend hatte Verge es doch irgendwie geschafft sein Interesse zu wecken. „Erzählen Sie mehr davon.“

Verge holte Luft, warf einen kurzen Blick zu Meggie, die ihm ermunternd zunickte, und erzählte ihm von seiner Grundausbildung, von seinen Aufgaben und erklärte ihm die Technik. Dann erzählte er von der Liberty Lilly. Zum Schluss fügte er hinzu: „Und Sie können mich Verge nennen.“

Sam lachte auf und Meggie lächelte ebenfalls.

Schließlich machte Verge sich auf den Weg. Sam klopfte ihm auf die Schulter, als er und Meggie ihn zur Tür begleiteten und ihm kurz den Weg erklärten. „Besuch’ und doch bald wieder, “ rief ihm Meggie zum Abschied nach. Verge winkte zurück.
 

Chase wusste nicht, wie lange er so mit Erica dagesessen hatte. Doch es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Sie flüsterte ihm sanfte tröstende Worte zu, solange bis er nicht mehr weinen konnte. Solange, bis alles aus ihm heraus war.

Er richtete sich auf. Sie ließ ihre Arme los.

„Tut mir leid“, murmelte er. „Sie müssen mich für ein absolutes Weichei halten.“

Sie schüttelte den Kopf und sagte nichts. Ihr Gesicht aber sagte ihm alles. Sie hielt ihn nicht für ein Weichei, sie hielt ihn für mutig, dass er seine Gefühle zuließ.

„Ich muss gehen“, sagte er und stand auf.

„Zurück zum Flugplatz?“

Er nickte. „Wir fliegen zwar zwei Tage nicht, aber …“

„Soll ich dir den Weg zeigen, Chase?“ Sie benutzte zögerlich seinen Namen und erhob sich ebenfalls.

Die Grillen waren mittlerweile verstummt. Die Stille im Land war herrlich. Kein Motorengrollen, keine Geschützdonner, keine MG-Salven. Nur Stille. Nicht mal die Natur wagte es noch, Geräusche zu machen. Es war, als warte alles nur darauf, dass ein neuer Tag anbrach.

Sie stand dicht vor ihm und blickte ihn an.

„Zeigst du mir den Weg?“ fragte er leise und nahm ihre Hand.

„Gern.“

Schweinfurt

Davis saß ganz ruhig da. Seine Füße baumelten frei unter ihm und über ihm rauschten die Blätter der alten Eiche, auf die er geklettert war. Verge hatte ihm den Platz empfohlen, er hatte gesagt, hier sei es ruhig und man könne gut nachdenken. Fast war es ruhig, denn seine Hände zitterten wie wild und wollten einfach nicht aufhören. Er ahnte auch wieso. Einsatz Nummer 8. Schweinfurt und die Kugellagerfabriken. Danach die Landung. Alles ein Desaster…
 

Am dem Treffpunkt der Staffeln über Maidstone. Rund um ihn kreisten hunderte Flying Fortresses wie Schwalben am Himmel. Nicht ganz so elegant wie Schwalben, aber doch elegant genug um auf dieser Höhe vornehm und schnittig zu wirken. Am Boden sahen sie dagegen manchmal aus wie gestrandete Walrösser. Vor allem dann, wenn wieder ein Fahrwerksbein abgeknickt war.

Letzte Woche war das gleich dreimal passiert. Nicht ihm, aber genug anderen Piloten beim Landeanflug. Gott sei Dank nicht beim Start, denn die Bombenladungen gingen meist gleich hoch, wie Zunder.

Er konnte noch den heißen Hauch auf seinem Gesicht spüren, als vor einiger Zeit genau das passiert war. Mittlerweile war herausgekommen, dass irgendwer bei der Bomben- und Spritladung geschlampt hatte und die Maschine völlig überladen gewesen war. Ein Fehler kostete zehn Männer das Leben.

Davis blickte aus dem Seitenfenster, links unter ihm hing My Bonnie, eine Maschine die gerade erst aus einer Übungs- Staffel von Schottland hierher versetzt worden war. Genau wie wir vor ein paar Monaten, dachte Davis. Damals hatten wir auch Muffensausen, ich möchte nur wissen, wie es denen da drüben jetzt geht.

Das Gesicht des Co-Piloten von My Bonnie wandte sich ihm zu. Davis winkte ihm und bekam ein halbgares Winken zurück. Ganz klar, die haben Schiss, dachte er. Er blickte wieder nach vorn und stutzte. Ein Rumpf und aus der MG-Luke schaute ihm mit großen Augen ein Schütze entgegen. Gunny sog mit einem seltsamen Geräusch die Luft ein. Davis ließ einen Schrei los, trat die Ruderpedale und drückte die Steuersäule nach unten. Lilly ächzte, wie eine alte Großmutter beim Aufstehen, dann begannen die Motoren aufzuheulen. Der andere Pilot hatte ihn gleichzeitig gesehen und nach oben gezogen. Um ein paar Meter verfehlten sich die beiden Flying Fortresses. Als Davis sie wieder abfing war ihm als fiel ihm ein Stein vom Herzen. Er atmete so schwer, wie nach einem hundert Meter Sprint. Schweiß drang ihm aus allen Poren. Verdammt, war das knapp gewesen. Beinahe hätte er sie alle vom Himmel gefegt, bevor es erst richtig losging. Er wusste, dass das schon öfters passiert war. Vor allem bei den Briten, die ja bei Nacht flogen. Kaum hatte er sie vor einem Crash bewahrt, kam von hinten dafür schon Beschwerdegemurmel.

„Hey, Skip. Was ist denn da vorne los?“

„Wenn ihr rammeln üben wollt, dann landet gefälligst!“

„Auch am Himmel gibt’s Verkehrsregeln.“

„Ja“, erwiderte Davis matt. „Wenn sich alle dran halten, passiert auch meistens nichts.“

„Schon gut, Chef“, sagte Curtis. „Matt hat’s nicht so gemeint.“

„Hab ich wohl. Ich hab mir nämlich meinen Schädel übel angestoßen.“

„Du kannst ihn dir ja noch öfters anstoßen, ist eh nichts drin was kaputtgeht.“

„Sei still, Heck-Fuzzi. Nach deinem Senf dazu fragt keiner.“

Davis atmete erleichtert aus. Alle waren okay, denn solange sie schimpften und fluchten ging es ihnen gut. Und Lilly anscheinend auch. Sein Blick aufs Instrumentenbrett verriet es ihm. Keine Unregelmäßigkeiten, Sprit voll, Tacho auf gedrosselter Geschwindigkeit. Solange sie am Sammelpunkt herumflogen brauchte er nicht auf volle Geschwindigkeit zu gehen, sonst würden sie doch noch als Haufen Schrott am Boden enden.
 

„Skip. Wir sind jetzt über Deutschland. Der Ort unter uns heißt Bonn.“

„Alles, klar. Jungs, Feindgebiet. Alle Augen offen halten.“

„Wir haben ja hoffentlich genug Augen hier oben“, murmelte Curtis.

„Die Flak ist hier aber ganz schon stark“, jammerte Don, als es wieder rumpelte und an der Außenhaut schepperte, als schmeiße jemand Kieselsteine dagegen.

„Liegt wahrscheinlich daran, dass das Ruhgebiet ganz in der Nähe ist“, erklärte Chase. „Wir haben unseren Kurs so gelegt, dass wir außen herum fliegen.“

„Wieso?“

„Frag’ doch nicht so dumm, Matt. Natürlich, weil wir von der Flak nicht zum Sieb geschossen werden wollen. Du warst doch bei Essen dabei.“

„Stimmt, das Essen daheim war gut.“

Chase seufzte vernehmlich.

„Ach, Chase. Ich veräpple dich doch nur. Ich versteh’ schon alles.“

„Schön, dass ihr alles versteht. Dann könnt ihr ja jetzt still sein, “ raunzte Davis.
 

Zwanzig Minuten später tauchten die ersten Jäger auf.

„Was sind denn das für verflixte Dinger?“

„Die haben ja zwei Motoren.“

„Das sind unsere Begleitjäger, P-38 Lightnings“, sagte Don.

„Sei still, Don. Das sind nicht die unseren, die Kerle würden zumindest nicht auf uns schießen. Außerdem siehst du in deiner Funkkabine nicht mal nach draußen.“

Die ersten Geschütze begannen zu feuern. Auch die von My Bonnie, die immer noch neben Lilly hing. Anscheinend suchte sie Schutz, wie ein Lamm beim Mutterschaf. Sie hing aber so nahe dran, dass Davis langsam nervös wurde. Eine falsche Bewegung und sie beide würden in Fetzen zu Boden regnen. Er wies Gunny an, sie auf Abstand zu halten. Gunny machte daraufhin Handbewegungen zu der anderen Maschine, als wolle er eine Fliege verscheuchen. Eine Fliege hätte er damit auch sicher verscheucht, My Bonnie allerdings nicht. Die deuteten es als Winken und winkten wild zurück und grinsten. Gunny und Davis seufzten.
 

„Und was sind das jetzt für zweimotorige Dinger?“ fragte Verge.

„Messerschmitt Me-110“, sagte Chase. „Ich hab’ bloß keine Ahnung, was die hier machen. Die wurden das letzte Mal als Jäger in der Schlacht um England 1940 eingesetzt. Und sie waren alles andere als erfolgreich. Wurden reihenweise von den Spitfires und Hurricanes im Kanal versenkt.“

„Vielleicht gehen den Krauts mal so langsam ihre kleinen wendigen Messerschmitt hundertneuner aus“, frohlockte Gorsky.

„Ich versteh’ das trotzdem nicht“, murmelte Chase.
 

Danny beobachtete entsetzt, wie ein deutscher Jäger frontal auf ihn zukam. Er blickte genau auf die Luftschraube und die Propellernabe. Doch der Pilot drehte nicht ab, es schien als wolle er ihn rammen.

In seinen Ohren drang das Geschrei der anderen Besatzungsmitglieder.

„Herrgott, seht ihr das! Der Kerl hat sich frontal auf den linken Flügelmann der Führungsmaschine gestürzt!“

„Mist! Die Krauts sind lebensmüde geworden.“

„Ich hab ja gehört in Japan seien solche Angriff üblich.“

„Wir sind aber nicht in Japan, verdammt noch mal.“

Danny zählte eins und eins zusammen. Jetzt also versuchten es die Deutschen mit Rammjägern. Und einer davon kam gerade direkt auf ihn zu.

„Skipper, von den Rammjägern kommt einer direkt auf mich zu.“

„Rammjäger?“ wiederholte Davis verdutzt. Was für ein Wort benutzte sein verrückter Heckschütze da?

Er blickte reflexartig nach hinten, sah aber nur Thomps’ Füße, die aus dem Geschützturm herausragten.

„Was?“

„Ich sagte: Abdrehen!“

Davis legte Lilly abrupt in eine scharfe Rechtskurve und der Jäger schoss knapp an ihnen vorbei. Danny atmete auf und Davis war fuchsteufelswild. „Verdammte Spinner!“
 

Don schrieb wie wild in sein Logbuch: Rammjäger, lebensmüde Einsätze der Deutschen, Schäden, Maschinen, die vom Himmel fielen. Und was das schlimmste war, die Begleitjäger, die über dem Ziel hätten auftauchen sollen, kamen einfach nicht. Sie befanden sich bereits im direkten Bombenanflug, aber kein Begleitjäger tauchte auf. Weder eine Mustang, noch eine Thunderbolt. Niemand.

Die Flak schoss wie wild und die verteidigenden Jäger hatten sich verzogen. Aber sie würden wiederkommen, sobald der Verband aus der Reichweite der Flak heraus war. Und das waren sie gleich. Sie hatten ihr Bomben auf die Kugellagerfabrik in Schweinfurt geworfen und die Kehre geflogen.

Im August und Oktober 1943 gab es die ersten großen Einsätze der US-Luftwaffe auf Schweinfurt. Damals hielt die britische Royal Air Force Tagangriffe noch für schier unmöglich. Doch die 8th Air Force wollte ihnen mit dieser neuen Taktik das Gegenteil beweisen. Es war der Anfang des Präzisionsbombardements. Damals flogen die B-17 ohne Geleitschutz. Sie richteten große Zerstörungen in militärisch wichtigen Betrieben an. Doch die Verluste waren hoch. Die der Luftwaffe nicht hoch genug. Aber ab da wurde angefangen Deutschland rund um die Uhr zu bombardieren.

Don hob den Kopf und sah aus dem kleinen Fenster neben seinem Funktisch. Eine B-17 hing ziemlich nah neben ihnen. Ihr rechter Motor war aus, rußige Spuren zogen sich über die Tragfläche. Außerdem hing das MG, der ihm zugewandten linken Seite nach unten. Anscheinend war der Rumpfschütze verwundet oder sonst irgendwie nicht einsatzbereit. Und als er aus dem Fenster sah und die Messerschmitt auf Lilly zukommen sah, dachte er, dass sie selbst auch bald nicht mehr einsatzbereit sein würden.
 

Es gab ein lautes Krachen und Lilly begann zu schlingern und zu bocken. Wenn sie so zugerichtet wurde, wie gerade eben, konnte sie nicht anders. Sie bockte wie ein verwundetes Tier.

„Sind wir getroffen?“ brüllte Davis.

„Ich seh’ nichts“, sagte Danny. „Das Heck ist jedenfalls noch dran.“

„Mikrophoncheck, alle melden,“ presste Davis hervor.

”Heck da.”

”Rumpf links hier.”

„Navigator und Bombenschütze hier…“ Alle meldeten sich, nur Thomps nicht.
 

Thomps im Turmgeschütz war sprachlos und schockiert. Fetzen vom halb weggeflogenen Höhenleitwerk segelten ihm noch entgegen und prallten gegen das Plexiglas seines Geschützturms. Das Höhenleitwerk war ungefähr einen Meter kürzer. Es wunderte ihn, dass sie überhaupt noch flogen, er kannte sich zwar nicht aus, aber ein Seitenleitwerk, das nicht mehr da war, schien ihm besorgniserregend. Aber sonst schien an der Maschine nichts beschädigt zu sein.

„Thomps. Bist du da?“

„Ja“, sagte Thomps leise und Davis atmete erleichtert auf. „Die Seitenruder reagieren nicht mehr. Was ist denn da los?“

„Skip“, sagte Thomps heiser. „Das Seitenruder ist nicht mehr da.“

„Was redest du da?!“
 

„Übernimm’ mal kurz, “ sagte Davis und übergab das Steuer an den bleichen Gunny. Lilly hielt sich immer noch stabil. „Ich glaube, Thomps hat ein Problem mit dem Sauerstoff.“ Er klomm vom Sitz und schritt langsam nach hinten. Wenn Probleme mit dem Sauerstoff auf dieser Höhe entstanden, dann waren die ersten Anzeichen, dass die Männer sich seltsam benahmen.

Er zupfte Thomps am Hosenbein und der kam verdutzt aus dem Turmgeschütz. Er sah Okay aus, fand Davis. Er überprüfte die Verbindung der Sauerstoffflasche mit dem Mundstück, da sah Thomps ihn an. „Was ist denn los?“

„Du redest irgendwelchen Mist, von einem kaputten Leitwerk“, sagte Davis.

„Das ist kein Mist.“ Thomps klang sehr ernst. Davis stieg die Leiter hoch und blickte hinaus. Ihm stockte der Atem. So schnell, wie er aus dem Geschützturm heraus war und wieder im Cockpit, war er noch nie gewesen. Er übernahm sofort wieder die Kontrolle, denn das Flugzeug konnte jeden Moment zu schlingern beginnen. Er wusste, wenn er nachher landen würde, musste er direkt auf die Landepiste kommen, er konnte nicht korrigieren. Ein Fehler, dachte er, und sie waren alle tot.
 

„Kurs?“

„Auf nach Hause, “ knurrte Danny. „Und von da an, direkt in den Pub.“

„Wir sind über der Nordsee, Kurs halten, Skip. Wir fliegen direkt auf Manston zu. Die Landebahn müsste genau auf Kurs sein.“

„Alles klar, Danke.“

Die Maschine lag sicher in der Luft, als mache ihr das Leitwerk einen feuchten Dreck aus. Er konnte sie mit den Höhenrudern einigermaßen in Kontrolle halten, und sie ein wenig seitlich legen, um zu steuern. Er hatte Gunny nochmals einen genauen Blick auf Seitenleitwerk werfen lassen und festgestellt, dass nur der obere Teil fehlte. Ein Stück, mitsamt Seitenrudertrimmklappe, war noch da und ließ sich bewegen. Er hatte zwar nicht den vollen Nutzen, aber immerhin konnte er etwas steuern. Zudem war das Antennenseil gerissen und sie konnten keinen Funkspruch nach Manston senden, geschweige denn irgendwelchen Funkkontakt mit irgendwem herstellen. Deshalb musste die gute alte Taschenlampe herhalten.

Don blinkte gerade Morsezeichen an ihren linken Flügelmann, My Bonnie, damit deren Funker es für sie erledigte. Kurz darauf kam die Bestätigung, dass das Notsignal gesendet war. Davis hätte es vom Treibstoff in den Tanks locker nach Donthorpe schaffen können, wollte aber nicht riskieren, über dem Flugplatz Schleifen zu ziehen und die Maschine damit völlig aus dem Gleichgewicht zu bringen.
 

Kurz darauf erreichten sie die englische Küste, und Manston. Vor ihnen, aus dem grauen englischen Dunst, tauchte der helle Streifen der Asphaltlandebahn auf. Gunny und Davis’ Augen klebten auf der Piste, um frühzeitig zu erkennen, ob etwas im Weg war. Es schien nicht so und Davis leitete die Landung ein.

Seine Schützen, sowie Bombenschütze und Navigator saßen zusammengekauert hinter Don’s ‚Funkhäuschen’, bereit für eine Notlandung.

Davis schwitzte. Seine Hände lagen im Schraubzwingengriff um die Steuersäule. Er testete noch einmal die Seitenruder, sie reagierten leicht, doch nicht genug, falls es starke Seitenwinde gäbe.

Sie kamen langsam hereingeschwebt. Vom Boden sah die riesige Boeing majestätisch aus, wie ein großer Adler. Bereit standen schon die Feuerwehrfahrzeuge und Sanitäter. Manston war schon immer ein Platz für Notlandungen gewesen, weil er am nahesten an der Küste lag. Angeschlagene Flugzeuge kamen immer hier herein, weil sie nicht riskieren wollten, noch weiter in ihrem Zustand über Land zu fliegen und womöglich über einer Ortschaft abzustürzen und Menschen zu gefährden.

Langsam schwebten sie herein. Matt spähte neugierig aus dem Fenster und pfiff durch die Zähne. Chase warf ihm einen Blick zu, der ihn verstummen ließ.

Davis und Gunny hatten alle Hände voll zu tun. Die Maschine war nun sehr instabil. Gerade hatten sie das Fahrwerk ausgefahren.

Sie kamen der Landepiste näher und näher. Plötzlich fuhr ein starker Windstoß Lilly unter die Flächen und brachte sie ins Schleudern. Davis keuchte erschrocken und Gunny wurde weiß im Gesicht. Die Reifen, die schon aufgesetzte hatten, wurden wieder hochgehoben und die ganze Maschine geriet in Schräglage. Die Tragflächenspitze streifte den Boden und Funken stoben auf.

Davis brachte die Maschine mit einem Ruck wieder gerade, doch das rechte Fahrwerksbein rumste zu hart auf den Boden. Es knirschte und brach ab. Die Maschine neigte sich wieder und das linke Fahrwerksbein hielt das Gewicht nicht aus und brach ebenfalls. Lilly landete hart auf dem Bauch und schlitterte weiter. Plötzlich war die Landepiste zu Ende und die verbogenen Luftschrauben wühlten sich in die weiche Erde. Dann lagen sie still.

Plötzlich knackste es in den Ohren der im Rumpf sitzenden. Davis.

„Raus hier. Sofort!“

Sie rappelten sich auf, stießen die Einstiegsluke auf und schauten, dass sie aus der Maschine herauskamen. Dann brachten sie sich soweit es ging aus der Nähe des bauchgelandeten Flugzeugs heraus. In sicherem Abstand blieben sie stehen.

Kurz darauf kamen Davis und Gunny nach. Gunny hatte eine dicke Beule auf der Stirn, und Davis war anscheinend mit der Wange auf das Steuerrad geknallt, denn er blutete. Sie staksten, noch etwas unsicher auf den Beinen, zu ihrer Besatzung und blieben, den Blick auf die Maschine gerichtet, stehen.

„Verdammt, noch mal“, sagte Davis atemlos. Das brachte diese ganze Mission auf den Punkt.

An Lilly

First Lieutenant Eugene W. Davis

322nd BS, 112th BG; Lincolnshire, England
 

12. Juni 1944
 

Liebste Lilly,

wie geht es dir? Ich vermisse dich furchtbar. Sehr habe ich mich sehr über deinen Brief gefreut, auch über das Foto von dir und meiner Schwester. Du siehst sehr hübsch darauf aus.

Wir waren vor einer Woche im Einsatz nach Schweinfurt, wo uns das Höhenleitwerk weggeschossen wurde und wir eine Bruchlandung in Manston gebaut haben. Das Flugzeug hat am Bauch ziemlich Schaden genommen und wir konnten sechs Tage nicht fliegen. Der arme Gunny hatte danach eine Beule auf der Stirn, die wie ein dickes Ei aussah.

Dann allerdings haben sie es uns so richtig gegeben. Zuerst nach Mannheim, dann flogen wir unseren zehnten Einsatz nach Nürnberg, schon wieder so viele verdammte Meilen über Feindterritorium. Dort sollten wir Industrieziele bombardieren. Mir kommt aber nach und nach der Verdacht, dass wir nicht nur solche Ziele bombardieren. Was, wenn wir ein Krankenhaus oder eine Schule erwischen?

Über dem Ziel gab es wie immer Flak. Flak, Flak. Und Jäger. Ich möchte wissen, wie viel Jägerflugplätze es in Süddeutschland gibt. Es müssen Massen sein, nach den Messerschmitts und Focke-Wulfs zu urteilen, die sich auf uns gestürzt haben, wie hungrige Wölfe. Die Deutschen sind sehr gute Piloten, und das macht sie so gefährlich. Sie stürzen sich nicht blind auf einen, sondern überlegen sich ihre Züge gut.

Viele der alten Jungs, mit denen wir gestartet sind, sind nicht mehr da. Clarence Malkin hat es letzte Woche über Frankreich erwischt. Noch vor dem großen Einsatz nach Schweinfurt. Mit dem waren wir öfters einen Trinken, das habe ich dir schon geschrieben. Eine Focke-Wulf hat zwei seiner Motoren zerschossen. Wir waren irgendwo über Le Havre auf dem Zielanflug. Er hat seine Motoren auf Segelstellung gesetzt und alle Bomben abgeschmissen. Er wusste, er konnte nichts machen, als die Flak auch noch seinen dritten Motor lahmlegte. Dann hat er seine Besatzung abspringen lassen und ist ihnen selbst gefolgt. Das verrückte war, er hat sich zu uns auf den Funk geschaltet und uns alles erklärt. Einfach so, als plaudere er über Kaffeeklatsch. Die ganze Maschine hat ihm gebannt zugehört. Wir konnten es beinahe nicht fassen. Don und Gorsky haben ihm noch ihren Respekt ausgesprochen. Hoffentlich haben es die Jungs alle heil geschafft.

Lilly, jedes Mal wenn ich an dich denke, sitzt mir ein Kloß im Hals. Gerade als wir dabei waren Pläne zu schmieden, mussten sie uns trennen. Gerade als wir heiraten wollten. Ich sitze hier in England und denke, jedes Mal wenn wir starten, könnte es das letzte Mal sein.

Ich will dich nicht mit meinen Gedanken belasten. Deshalb frage ich dich etwas anderes. Wie geht es Mum und Dad? Wie läuft es auf der Farm? Hat die Braune, du weißt, deine Lieblingskuh, schon ihr Kalb?

Läuft der alte Ford-Trecker noch, oder hat Dad ihn mittlerweile ausrangiert? Erzähl mir in deinem Brief doch ein bisschen was von zuhause.

Wir haben nach unserem sechsten Einsatz vier Tage frei bekommen, weil die Maschine so kaputt war. Und nach den nächsten, dem dreizehnten oder vierzehnten, bekommen wir wieder drei Tage Urlaub, hoffen wir. Die Jungs fahren vielleicht nach London. Ich denke, dieses Mal fahre ich mit ihnen zusammen dahin.

Ich hoffe du wartest weiterhin auf meine Briefe, auch wenn ich manchmal sehr lange zu schreiben brauche.
 

Ich liebe dich, pass’ auf dich auf,

dein Eugene

D-Day

Am 6. Juni 1944 um 6. 30 Uhr landeten die alliierten Streitkräfte an der Küste der Normandie. Nach dem Absetzen von Fallschirmspringern in der Nacht, sind nun Truppen auf dem Weg sich ins Landesinnere vorzukämpfen. Im Moment toben heftige Kämpfe an fast allen Strandabschnitten.

Gunny schob den Regler des Radios ein Stück zurück, um die Lautstärke des euphorischen Sprechers zu dämpfen. Er blickte die Männer an, die rund um das Radio herum in der Bar saßen und gebannt gelauscht hatten.

„Also hat es doch gestimmt. Wir haben unseren Truppen den Weg frei bomben sollen.“

„Deshalb die vielen Einsätze nach Nordfrankreich. Sie wollten, dass die Deutschen sich von da zurückziehen, und unsere Jungs ungestört ihre Sache machen können.“

Davis grübelte schweigsam vor sich hin. Vor einiger Zeit ihr erster Einsatz nach Saint-Malo, U-Boot Bunker. Eine Weile später Le Havre. Und gestern war es Caen gewesen. Und dann die vielen Gerüchte über eine mögliche Invasion. Fast ganz Südengland war abgeriegelt worden. Sie hätten ahnen können, dass etwas im Busch war.
 

Die junge Frau erblickte die Flugzeuge am Nachmittag des 5. Juni. Sie muteten im warmen Sonnenlicht am Himmel wie kleine silberne Fische an, wären nicht ihre weit ausladenden Tragflächen und die breiten Kondensstreifen gewesen.

Die Frau versteckte sich. Neben sich ein Gewehr, in ihrem Rücken die breite normannische Hecke, eine von denen die hier beinahe das ganze Land durchzogen.

Auf der anderen Seite hörte sie Stimmengemurmel. Deutsche Stimmen. Wenn sie der Sprache mächtig gewesen wäre, hätte sie mithören und lauschen können. Doch sie konnte kein Deutsch und wollte es auch nicht. Sie war Französin, bereit ihr Land mit ihrem Leben zu schützen.

Die Resistance beherrschte diese Gegend mittlerweile beinahe. Doch rund um Caen hielten immer noch viele deutsche Divisionen die Stellung und wollten die Stadt keinesfalls aufgeben.

Caen war ihre Heimatstadt. Doch seitdem die Deutschen hier waren, hatte sie nie mehr den Boden dort betreten. Zu gefährlich.

Nun lag sie flach am Boden, lauschte deutschen Stimmen, und hörte das dumpfe Gedröhn der mächtigen Bomber am Himmel. Der Strom der Bomber mutete beinahe unaufhörlich an und bahnte sich seinen Weg tief nach Frankreich. Nun, Caen lag nicht gerade weit abseits der Küste, doch was, wenn sie es bombardieren wollten? Die Frau durchzuckte ein jäher Schreck. Dch dann nahm sie sich zusammen. Sie sollten die Deutschen ruhig aus der Stadt herausbomben, dann konnten sie und ihre Kameraden endlich wieder dorthin gehen. Doch ihre Familien lebten dort, ihre Geschwister und Verwandten.

Sie wandte den Blick zum Himmel und versuchte die Richtung abzuschätzen. Richtig, Caen lag dort. Etwa vierzig Kilometer entfernt. Doch die Bomber waren von Westen gekommen, mussten also ihre Flugroute nicht entlang der stark verteidigten Küstenlinie gewählt haben, mussten sie umflogen haben.

Nach weiteren fünf Minuten gebannten Wartens hielt sie inne. Dumpfes Donnergrollen drang an ihre Ohren. Dann stiegen Rauchsäulen auf.

Sie schloss die Augen, Schmerz durchwühlte ihr Inneres. Doch sie dachte an den amerikanischern Flieger, den sie nicht vor ganz so langer Zeit zur Flucht nach England verholfen hatten. Vielleicht saß er jetzt dort oben in seinem Flugzeug und dachte an sie. Sie wünschte es sich. Und sie wünschte, dass bald Schluss mit diesem ganzen Irrsinn war.

Sie griff nach dem Gewehr und blickte über die Schulter zurück zum Waldrand, wo ihre Kameraden warteten. Ein dunkel bemaltes Gesicht hob sich ein wenig ab, sie erkannte ihn. Er nickte ihr zu.

Sie nahm ihr Gewehr und lehnte sich nach rechts, wo die Hecke aufhörte. Sie konnte die Deutschen jetzt sehen. Sie saßen in einem Schützenloch und unterhielten sich, und rauchten.

Sie visierte den ersten an. Erblickte sein jungenhaftes Gesicht, seine hellen Augen, er lachte über etwas, das sein Kamerad gesagt hatte. Sie konnte den Anblick beinahe nicht ertragen und schloss die Augen. Hoffentlich hatte alles bald ein Ende. Da hob der junge Soldat seinen Kopf und sah sie an.

München

Davis schmiss seine mit Schaffell gefütterte Mütze wütend auf den Boden und fluchte laut. Dabei warf er solch böse Blicke um sich, dass seinen Männern angst und bange wurde. Lieber eine Ladung Krauts, auf die sie schießen konnte, als ein wütender Skipper.

Gorsky warf Davis einen schiefen Blick zu. Es war nie ein gutes Zeichen, wenn er wütend war. Denn Davis war selten wütend, aber wenn er es mal war, dann ging es meistens rund. Oder er baute mit Lilly solch eine Landung, dass einem schlecht werden konnte.

Gunny, Chase und Don standen neben den beiden. Chase rauchte und Gunny hatte sich eine Pfeife angesteckt. Sie warteten auf den Rest ihrer Mannschaft, denn bei den Besprechungen wurden die Bordschützen nicht gebraucht. Nur die ‚wichtigen’ Leute, die für die Bomben, den Funk, das Flugzeug und die Navigation zuständig waren.

„Das ist absolut lebensmüde“, schimpfte Davis, hob seine Mütze wieder auf und setzte sie sich auf sein dunkles Haar. Dann starrte er Gorsky an. „Oder?!“

„Was soll ich denn dazu sagen? Ich bin nur der Bombenschütze.“ Gorsky hob abwehrend die Hände. „Ich muss tun, was man mir sagt, “ fügte er spöttisch hinzu.

„Sag’ dass es Mist ist!“

„Klar, ist es Mist. Das ist es eh meistens. Aber immerhin reicht der Geleitschutz bis hin und zurück. Und wenn die’s schaffen, schaffen wir’s auch.“

Davis grummelte.

Danny, Curtis und Matt schlenderten auf die beiden zu. Alle drei hielten Kippen in den Fingern oder zwischen den Lippen. Davis grummelte noch einmal, dann drehte er sich um und hielt nach dem LKW Ausschau, der sie zu ihrem Flugzeug bringen sollte.
 

„Was hat denn der Skip?“ fragte Matt, als Davis in Richtung Frühstückssaal, für seinen letzen Kaffee vor dem Flug, verschwand. „Hat er einen Lieber-John-Brief von seiner Lilly gekriegt?“

Gorsky warf ihm einen Blick zu, der alles sagte.

„Was hat er dann?“

Gorsky zuckte die Schultern und sah woanders hin. Er hasste Matts dummes Gefrage. Der Kerl war einfach zu neugierig.

„Sag’. Dem alten Matt kannst du’s doch sagen.“ Matt legte einen Arm um Gorskys Schulter. Gorsky schüttelte ihn unwillig ab, dann blickte er die drei Schützen vor sich an. „Wir fliegen nach München.“

„München?!“ stieß Danny entsetzt hervor.

„Oh, man, “ stöhnte Matt. „Da sind wir geliefert, Leute. Schreibt euer Testament.“

Gorsky ignorierte ihn: „Der Skip meint, dass es ein viel zu weiter Flug über Feindesland ist.“

„Ist das nicht jeder Flug?“ knurrte Chase.

„Und viel zu weit ist es auch. Die spinnen doch alle. Sollen es die Kerle machen, die in Italien stationiert sind. Nicht wir.“

„München ist in Süddeutschland, oder?“ fragte Curtis.

Gorsky nickte.

„Das ist ein verdammter Haufen Meilen zu fliegen…“
 

Verge rannte auf die Gruppe zu. Er schien ziemlich gehetzt, und Thomps, auf den alle warteten, war auch nicht bei ihm.

„Hat jemand von euch Thompsy-Boy gesehen?“ rief er schon von weitem.

Danny und Curtis sahen sich an. „Haben wir?“

Danny schüttelte den Kopf. „Seit gestern Abend nicht mehr.“

Verge kam schlitternd zum Stehen und verschnaufte erstmal. Dann blickte er Gunny an. „Thomps war gestern mit dir unterwegs, oder?“

Gunny nickte. „Wir waren im Dorf. Aber danach hat er sich zu seiner Freundin verabschiedet.“

„Die mit dem schönen Hinterteil?“

„Och, Matt. Fällt dir immer das bei Frauen zuerst auf?“

„Das und die Brüste.“ Matt grinste.

„Das ist wohl der Grund, wieso wir eine halbnackte Frau auf unser Flugzeug gemalt bekommen haben“, sagte Gorsky und seufzte.

„Das ist ein stinknormales Pin-Up Girl“, verteidigte sich Matt. „So was hat jeder.“

„Schon, aber der Skipper war trotzdem sauer, weil das Flugzeug nach seiner Freundin benannt ist und die will er, verständlicherweise, nicht nackt auf seinem Bomber haben.“

„Der Skip soll sich mal nicht so haben“, sagte Matt leise.
 

„Verdammt“, rief Thomps, als sein Blick auf seine Armbanduhr fiel. Viertel nach sieben. Sie flogen heute um acht. Nur gut, dass er nicht zu den Besprechungen erscheinen musste, denn sonst wäre er geliefert gewesen.

Er schlug die Bettdecke zurück und sprang aus dem Bett. Sophie regte sich leise, wachte aber nicht auf. Er zog schnell seine Kleidung an, drehte sich dann noch mal zu ihr und strich ihr sanft über die Wange. Auf dem Nachttisch lag ein Bleistift, aus seiner Tasche nahm er einen Fetzen Papier, der schon einige Waschgänge darin mitgemacht zu haben schien. Er kritzelte ihr hastig eine Nachricht auf den Zettel und legte ihn zu ihr auf den Matratzenrand, dann war er zur Tür hinaus.

Während er zum Flugplatz lief, versuchte er sein Erscheinungsbild, die Uniformjacke und den Kragen, soweit zu richten, dass er angemessen aussah. Obwohl es über Feindesland niemanden scherte, wie seine Krawatte gebunden war.

Gestern Nachmittag war er mit Gunny im Dorf spazieren gegangen und sie hatten einige Pubs besucht. Dabei war er Sophie über den Weg gelaufen, die gerade Dienstschluss gehabt hatte, und er hatte Gunny klar gemacht, dass er jetzt ohne ihn auskommen müsse. Sie flögen morgen um acht Uhr, hatte Gunny ihm noch nachgerufen.

Dann hatte Sophie ihn mit zu ihrer Wohnung genommen. Ihre Vermieterin war auch dagewesen, aber sie kannte Thomps mittlerweile von dessen regelmäßigen Besuchen. Sie hatte den beiden Tee angeboten, danach Abendessen. Dann waren beide in Sophies Zimmer verschwunden.
 

Der große Bomberverband brummte langsam nach Süden. Über sanften Wolkenfeldern und unter einem stahlblauen Himmel. Das Grollen der Motoren war weithin hörbar und dicke weiße Streifen zogen sich von den Motoren weg in den Himmel. Kondensstreifen. Sie befanden sich auf knapp neuntausend Metern.

Gorsky blickte nach links und rechts und konnte das Ende des weitgestreckten Verbandes nicht ausmachen. Vor ihm zogen zwei P-51 Mustangs vorbei, die Piloten winkten ihm zu. Er winkte zurück und grinste. Wenigstens waren sie nicht ganz schutzlos, wie das letzte Mal in Schweinfurt, als es ein Verständigungsproblem mit den Begleitjägerstaffeln gegeben hatte. Die beiden Mustangs hatten rot bemalte Schnauzen und Hecks. Dazu hatte die eine einen gelben Schriftzug, ‚Proud Princess’, auf der Cowling. Die beiden flogen so nahe vorbei, dass Gorsky all diese Details sehen konnte. Auch die Gesichter der Piloten hinter den Sauerstoffmasken. Die beiden Maschinen, die von je einem starken Rolls-Royce-Merlin Motor angetrieben wurden, machten eine scharfe Kurve zur Seite und verschwanden. Dafür tauchte jetzt links neben ihm die Hecksektion eines anderen Bombers auf. Viel zu nahe.

„Skipper!“

„Schon gesehen, Frank.“

Lilly wurde sanft nach rechts gezogen und die fremde Hecksektion nahm wieder einen gebührenden Abstand ein.

„Das ist Thunderbird“, sagte Curtis. „Grünschnäbel. Ihr zweiter Einsatz.“

„Nur gut, dass wir schon zwölf haben.“

„Zwölf, wenn wir diesen hier packen. “

„Mensch! Sei nicht so pessimistisch, Chase. Das steht dir nicht.“

„Was ihm so steht, musst du schon seine Papiertüten fragen...“

„Klappe, Danny! Kümmer’ dich lieber um die Jäger.“

„Keine da. Ich seh’ nur den Bombenschützen von Twist’n Turn, der mir zuwinkt.“ Danny kniff die Augen zusammen. Der Himmel war klar, aber es war verdammt kalt. Er musste immer wieder seine Sauerstoffmaske zurecht schieben, die durch den Schweiß an seinem Gesicht festzukleben schien.

„Schaut mal nach rechts, Jungs“, sagte Thomps plötzlich. „Verflixte Krauts in rauen Mengen.“

„Und was hattest du denn gestern in rauen Mengen?“ feixte Matt.

„Halt die Klappe“, schimpfte Thomps. „Du bist doch selber auch nicht besser.“

„Ruhe!“ donnerte Davis durch die Bordsprechanlage und Thomps und Matt hielten die Luft an.

„Mensch, Skip“, sagte Verge nach einer Weile. „Das hat in meinen Ohren grad so gescheppert, dass ich gedacht habe, Matt hat einen fahren lassen…“
 

Sie waren irgendwo im Luftraum über der schwäbischen Alb, als die ersten Jäger kamen. Es waren nicht die ersten des Einsatzes, nur die ersten, die es geschafft hatten so weit in den Verband einzudringen. Die Mustangs und P-47 Thunderbolts warfen ihre Zusatztanks ab und stürzten sich wie wütende Hornissen auf die deutschen Messerschmitts und Focke-Wulfs.

„Diese schnittigen Jäger“, seufzte Thomps. „Was würde ich dafür geben, einmal einen zu fliegen.“

„Du kannst eh nicht fliegen, lass da lieber den Skipper ran.“

„Habt ihr diese Explosion gesehen?“ stieß Danny erregt hervor. „Da sind gerade zwei zusammengeknallt.“

Auf vier Uhr baute sich eine turmhohe Rauchsäule auf und verkohlte Teile regneten vom Himmel. Von den Flugzeugen und deren Männern war nichts mehr übrig geblieben außer Rauch und Staub.

„Eine Messerschmitt ist in eine B-17 aus dem unteren Verband reingeflogen“, sagte Danny. „Direkt von oben in die rechte Tragfläche. Daher die Explosion.“

„Soll ich’s ins Logbuch eintragen, Skip?“ fragte Don.

„Kann nie schaden“, antwortete Davis. „Ich vermute, keine Fallschirme?“

„Nichts.“
 

„Zehn Minuten zum Ziel.“

Dann: „Zwei Minuten zum Ziel. Skip, soll’ der Bombenschütze übernehmen?“

„Ich übernehme“, tönte Gorsky und hing über dem Zielgerät, den Finger am Abwurfknopf. Einen Flugplatz, sie sollten Flugplatz nördlich von München bombardieren. Oberschleißheim hieß er. Angeblich lagen dort mehrere deutsche Nachtjagdstaffeln. Gorsky war seinerseits froh, dass sie nicht nachts fliegen mussten. Das machten die Briten. Es war jetzt im Prinzip ein Bomben auf Deutschland rund um die Uhr geworden.

Die deutschen Nachtjagdstaffeln besaßen zudem ein neues Radar in ihren Nachtjägern, das die Bomber schnell erfasste und den Piloten dann direkt unter das Flugzeug führte. Und sie hatten in ihren Messerschmitt Me-110 Nachtjägern Bordkanonen, die schräg nach oben feuerten. Sie nannten es ‚Schräge Musik’. Deshalb lotste das Radar sie unter das Flugzeug. Wenn der Pilot dann noch direkt den Bombenschacht traf, war der Bomber in wenigen Sekunden ein riesiger flackernder Feuerball. Die Männer hatten meist keine Chance.

Gorsky seufzte noch einmal. Gut, dass sie nicht nachts flogen. Tagsüber sah man wenigstens, wenn die Jäger kamen. Gegen die Flak konnte man nichts tun, aber gegen die Jäger. Da konnte man wenigstens zurückschießen.

Kurz darauf zog unter seinem Visier die breite Graspiste des Flugplatzes vorbei, dann die grauen Dächer der Hangars und Gebäude.

Gorsky drückte den Knopf. „Bomben los!“
 

Plötzlich erbebte das Flugzeug unter Geschützrückstößen. Matt und Thomps feuerten auf eine Messerschmitt, die von neun Uhr direkt auf sie zuflog. Matt konnte den Piloten hinter der schmalen Frontscheibe sehen. Er trug auch eine Sauerstoffmaske, Matt konnte sogar die hinter dem Visier zusammengekniffenen Augen erkennen.

„Jäger von neun Uhr!“ schrie er, dann krachte es ohrenbetäubend. Er spürte etwas Heißes an seiner Wange entlangschrammen und die Sauerstoffmaske fiel an einer Seite herab. Dann durchschlug etwas vor ihm den Boden, er erkannte im Bruchteil einer Sekunde den Himmel und ein paar weiße Wolken, und er wurde zurückgeschleudert.

„Scheiße! Treffer im Rumpf!“ hörte er Curtis noch schreien, dann wurde es dunkel um ihn herum.
 

Schwarz, alles schwarz. Er konnte nichts sehen. Nichts hören. Aber in seinen Ohren schepperte und lärmte es. Wo kam der Lärm her? Wo war er? Dann riss er panisch die Augen auf und holte tief Luft. Doch er bekam keine. Ihm fiel es wieder ein, er war in diesem verdammten Bomber. Auf neuntausend Metern. Kein Sauerstoff über fünftausend Metern. Er wurde panisch. Die Angst schob sich in seine Kehle und ließ ihn losbrüllen. Plötzlich schob ihm eine Hand die Sauerstoffmaske über den Mund und er zog dankbar die trockene Luft aus der Sauerstoffflasche in seine Lungen. Zwei Paar Hände packten ihn und stellten ihn wieder auf die Beine. Seine Knie zitterten, so stark, dass er es sogar durch den dicken Schaffellanzug erkennen konnte.

Er roch Verbranntes und drehte sich zu seinem MG um. Er stutze. Sein MG war nicht mehr da. Stattdessen prangte ein Loch im Rumpf. Ein großes, schwarz gerändertes, Loch.

„W-was ist passiert?“ stotterte er und blickte zu Curtis.

„Jäger“, sagte Don nur und ging zurück zur Funkkabine. Curtis haute ihm auf die Schulter. „Wir sind schon auf dem Heimweg, Alter.“

„War ich bewusstlos?“ fragte Matt verwundert.

„Mindestens fünf Minuten. Ich konnte nicht von meinem Geschütz weg, Don hatte auch zu tun. Erst jetzt konnten wir nachsehen.“ Er blickte Matt prüfend an. „Alles klar? Keine Schrammen?“

Matt sah an sich herunter. „Ich kann nichts sehen. Nur meine Knie zittern.“

„Kein Wunder“, sagte Curtis, stellte sich wieder an sein MG und behielt den Himmel im Auge.
 

„Die Maschine ist instabil“, murmelte Gunny und behielt besorgt das Instrumentenbrett im Auge. Sie zeigten jedoch noch keine Anzeichen, dass die Maschine stark beschädigt war. Aber das Flugwerk der Maschine zitterte. Einen Sturzflug abzufangen würde sie nicht überleben, sie würde auseinanderbrechen.

„Keine Sorge“, sagte Davis, doch er fand sich selbst nicht sehr überzeugend. „Die kriegen wir schon nach Hause. Ist ja nicht das erste Mal, dass wir Treffer abbekommen haben.“

„Schon, aber dieses Mal haben wir ein dickes Lock im Rumpf.“

Davis starrte ihn an. „Wir schaffen es nach Hause. Keine Widerrede.“

Gunny wandte seinen Blick nach vorne und sah Gorsky in der Astrokuppel stehen. Er blickte nach rechts, wo Twist’n Turn schief wie ein Scheunentor am Himmel hing. Ihr linker äußerer Motor spuckte dicke schwarze Rauchschwaden und sie verlor stetig an Höhe. Gunny erkannte mit einem Blick, dass die Luftschraube noch nicht auf Segelstellung stand.

Davis blickte ebenfalls hinüber und erkannte dasselbe. „Don, lass mich über Intercom sprechen.“

Don blickte fassungslos auf seinen Funktisch. Über Intercom hieß, Davis brach die Funkstille. Und das mitten über Feindterritorium. Das feindliche Radar würde sie orten können und ihnen die Jäger auf den Hals hetzen, die würden sie dann vom Himmel schießen. Er sah hinüber zu Twist’n Turn, dann wieder auf seine Funktabellen.

„Don?!“

„Können wir ihnen nicht Morsesignale schicken?“

Davis dachte nach. „Versuch’s.“

Don griff unter seinen Tisch und beförderte seine Tasche zutage. Dann holte er die Morsetaschenlampe heraus. Er ging zur Luke, die zu Twist’n Turn hinüberschaute und hob die Lampe hoch. Dann funkte er langsam Davis’ Anweisungen. Er konnte es selbst nicht glauben, als von drüben die Bestätigung kam.

Doch die Maschine verlor weiter an Höhe. Nach ein paar Minuten begann der linke Innenbordmotor erst weißen Dampf zu spucken, der immer grauer wurde, dann züngelten Flämmchen aus der Verkleidung. Der Pilot drückte den Feuerlöschknopf und hatte damit sogar Erfolg. Doch nun flog die Maschine mit nur noch zwei Motoren und hatte mindestens die Hälfte ihrer Geschwindigkeit eingebüßt.

Davis stöpselte sein Mikrophon aus und bedeutete Gunny das gleiche zu tun. Dann griff er nach dem Motorenregler. „Wir bleiben bei ihnen. Allein sind sie schutzlos.“

Gunny sah ihn an, als habe er nicht mehr alle Tassen im Schrank. „Zu zweit sind wir genauso schutzlos. Das ist komplett verrückt.“

Davis grinste, Gunny erkannte es an den Falten, die die Sauerstoffmaske warf. „Aber sie sind nicht allein.“

„Die Jäger werden sich wie Bluthunde auf uns stürzen.“

Davis kniff die Augen zusammen und zog den Regler zurück. Lilly wurde langsamer, sie bockte widerstrebend, als ahne sie, was ihr Skipper da oben im Cockpit machen wollte. Dann drückte Davis die Steuersäule nach vorn, um so weit zu sinken, dass sie neben Twist’n Turn lagen.

Gunny legte seine Hand auf Davis’ Hand, die noch auf dem auf dem Regler lag. „Du bringst uns alle in Lebensgefahr.“

„Die anderen sind mehr in Gefahr als wir. Das ist erst ihr zweiter Einsatz.“

„Wir können nichts dagegen tun. Uns können wir retten.“

„Und ob!“ fauchte Davis. „Wenn wir sie allein lassen…“

Gunny schnitt ihm das Wort ab. „Wir sind ebenfalls beschädigt, was wenn die Maschine über der Nordsee wieder instabil wird. Oder der Rumpf bricht?“

Davis schnaufte. Er wusste, dass das was er vorhatte verrückt war. Aber er konnte diese zehn Männer, die erst vor knapp drei Wochen nach Europa gekommen waren, nicht einfach schutzlos über Belgien hängen lassen. Schon jetzt war ihnen der große Verband über fünf Kilometer voraus. Immer wieder blickte der Pilot von Twist’n Turn zu ihnen hinüber. So als könne er es nicht fassen, dass sie als einzige dageblieben waren.

„Wenn wir jetzt normal weiterfliegen, können wir wieder zum Verband aufschließen“, hörte er Gunny sagen.

Doch für Davis war es bereits entschieden. Sie würden bleiben. Er stöpselte sein Mikrophon wieder ein. „Hier Pilot. Wir bleiben bei Twist’n Turn. Haltet Ausschau nach Jägern.“

Gunny stöhnte und blickte zur Seite.

Matt und Curtis sahen sich ebenfalls entsetzt an. Chase holte eine Papiertüte unter dem Tisch hervor und beugte sich darüber und Gorsky zeigte Davis in der Astrokuppel den Vogel. Verge seufzte und lud sein Geschütz wieder durch. Ebenso wie Thomps im oberen Geschützturm, der das Gespräch zwischen Gunny und Davis alles andere als begeistert mitverfolgt hatte. Don legte seinen Kopf auf den Funktisch und betete zu Gott, er möge sie über die verdammte Nordsee kommen lassen.

Doch sie waren erst über dem besetzten Belgien. Unter ihnen schlängelte sich die Maas hindurch. Bald darauf lag rechts von ihnen Brüssel, wo sie sehen konnte, wie der große Bomberverband von der Flak beschossen wurde.

„Wie weit zur Nordsee?“

„Ein paar Minuten noch. Wir können Brüssel umgehen und dann direkt auf die Nordsee zuhalten.“

„Gut, gib’ mir den Kurs.“

Twist’n Turn hing wie ein Schützling, der seine Mutter brauchte, an ihnen und folgte jeder ihrer Bewegungen. Dem Kurswechsel auch. Gorsky, der sich auf den Bauch gelegt hatte und durch die Plexiglasscheibe spähte, beobachtete unter sich die Landschaft und meldete: „Wir sind über der Nordsee. Nicht mehr lang, Jungs.“

„Na, hoffentlich. Ich hab Hummeln im Hintern. Dieses Gegurke geht mir auf den Sack, “ maulte Matt. „Nicht mal ein Schießeisen hab’ ich mehr.“

„Seht ihr Jäger?“ fragte Verge.

„Keine. Als ob sie wegen zweier Flugzeuge kein Aufhebens mehr machen wollen.“

„Die werden uns auch kaum über die Nordsee folgen...“
 

Twist’n Turn verliert wieder an Höhe,” hörte Davis Thomps sagen. Er seufzte. Der rechte innere Motor hatte gerade eben sein letztes Husten ausgespuckt. Jetzt flogen die armen Teufel auf einem Motor, der jeden Moment ebenfalls seine letzten Atemzüge tun konnte.

Davis hatte genug und bat Don auf Intercom umzuschalten.

Liberty Lilly an Twist’n Turn.”

“Wir hören.”

“Wir werden euch nach Manston lotsen. Da gibt’s eine Landebahn. Es sind…“

„…circa zehn Minuten, “ vervollständigte Chase den Satz.

„Ihr habt es gehört. Zehn Minuten und ihr habt’s geschafft. Nicht aufgeben, Jungs,“ sagte Danny ermunternd.
 

Twist’n Turn legte eine saubere Landung in Manston hin. Kurz vor dem Platz begann der letzte Motor noch Rauch zu spucken. Doch der Pilot, er hieß Brendan Moore, ignorierte ihn, denn er war so gut wie am Boden. Sein Fahrwerk ließ sich widerstandslos ausfahren und als die Reifen quietschen, als sie den Boden berührten, hätte er beinahe erleichtert aufgeheult.

Davis behielt seine Anzeigen scharf im Auge, sie zeigten weiter keine Regungen, deshalb flog er das letzte Stück nach Donthorpe und machte keine Landung in Manston. Dort hätten sie nur wieder ewig warten müssen, auf ihre Reparatur und darauf, dass man sie endlich nach Hause brachte.

Landmädchenarbeiten

„Soll der Skip wirklich diesen Orden bekommen?“

„Hat er schon. Dafür, dass er die Grünschnäbel nach Hause gebracht hat. Und die Mühlen der Kommandantur haben dieses Mal sogar erstaunlich schnell gemahlen.“

„Man, man. Ich hab mir fast in die Hose gemacht, als er gesagt hat, wir wollen bei denen bleiben. Ich dachte, er hatte einen Totalausfall.“

„Nich’ nur du dachtest das.“

Verge und Chase lagen auf dem Rücken auf einem Weizenfeld, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Aus den Augenwinkeln beobachteten sie Anne und Erica, die Landmädchen vom Bauernhof. Sie hatten sich mit ihnen angefreundet und die beiden Mädchen luden die Jungs gern zu sich ein. Arbeiten in Gesellschaft war viel netter, als alleine. Nicht, dass sie allein gewesen wären. Meggie und Sam waren ja da. Aber Verge und Chase waren ihnen lieber, als der alte Landarbeiter Reg, der sie sowieso meistens nur kritisierte und bemängelte.

Außerdem waren die Jungs sehr nützlich, falls mal so richtig schwere Arbeit anfiel. Kühe fangen, zum Beispiel.
 

„Treib’ sie doch hier rüber, du Idiot. Was soll ich da drüben mit den Viechern?“

Verge warf Chase einen Stock zu. „Nimm’ den!“

Chase hechtete nach dem Stock, stolperte über seine Füße und landete im Mist. „Verdammt!“

„Das kannst du laut sagen.“ Verge krempelte sich die Ärmel hoch und grinste dann.

„Sollen wir es mit dem braunen Vieh da drüben versuchen?“ Verge zeigte auf ein kleines Kalb, das neben dem Zaun stand und sich so fest daran scheuerte, dass die ganze Konstruktion verdächtig wackelte und zusammenzubrechen drohte.

„Nein. Nehmen wir das Schwarze. Das wo so lieb zu dir rüberguckt.“ Chase lachte, als Verge ihm mit einem weiteren Stock drohte.

Nach einer weiteren Viertelstunde Kälberjagd hatte Chase genug. Ihm war warm. Es war Mitte Juli und die Sonne brannte erbarmungslos auf die Arbeiter auf dem Bauernhof herab. Vor vier Tagen hatten sie ihren dreizehnten Einsatz nach Bremerhaven hinter sich gebracht und waren nun für sechs Tage freigestellt worden. Meggie Winterbotham und ihr Mann Sam hatten sie eingeladen, die freien Tage auf dem Bauernhof zu verbringen. Die Mädchen hatten dabei ihre Hände im Spiel gehabt, das wusste Chase. Aber Verge war sowieso seit neuestem das halbe ‚Adoptivkind’ von Meggie, die aus Höflichkeit auch ihre Einladung an die anderen Besatzungsmitglieder ausgesprochen hatte. Doch die anderen schienen etwas Besseres zu tun haben, worüber Chase nicht ganz unglücklich war.

Er fluchte unterdrückt, als er die restlichen zehn Kälber, die noch gefangen werden wollten, munter auf der Weide herumspringen sah. Sein letztes sauberes Uniformhemd war gerade in einem Haufen Kuhdung baden gegangen und sah dementsprechend aus. Er seufzte und zog sich das Hemd über den Kopf.

Die Mädchen lehnten am Weidezaun und blinzelten unter ihren breiten Strohhüten hervor, die sie zum Heumachen trugen. Erica pfiff durch die Zähne, Chase grinste, drehte sich schwungvoll um, rannte auf sie zu und tat, als werfe er das dreckige Hemd nach ihr. Sie lief laut lachend davon.

Der alte Farmarbeiter Reg beobachtete das ganze, solange bis es ihm zu bunt wurde. Mit erhobenem Zeigefinger kam er auf die vier zu.

Drohend wie mein Lehrer der ersten Klasse, wenn ich wieder die Matheaufgaben verbockt habe, dachte Verge unwillkürlich.

„Was glaubt ihr eigentlich, wer ihr seid?“ begann er auf die Mädchen einzuschimpfen. „Erst diese Männer hierher einladen und dann nur Unfug treiben? Die Kälber müssen markiert werden. Fangt gefälligst diese verdammten Kälber ein.“ Die Mädchen trollten sich in die Richtung der widerspenstigen Kälber. Reg wandte sich an Verge und Chase. „Und ihr Amerikaner wisst auch nicht, wie ihr euch zu benehmen habt! Immer am Späße treiben und den Mädchen nachstellen. Und dann bietet ihr ihnen ständig irgendetwas an. Nylonstrümpfe, Süßigkeiten, Schokolade.“

Verge glotzte Chase an, als hoffe er inständig, der würde das kleine Problem auf seine Art lösen.

„Ich bin selbst auf ’ner Farm groß geworden, Mister, “ sagte Chase bestimmt. „Ich weiß, wie man mit den Tieren umgeht. Außerdem macht die Arbeit mehr Spaß, wenn es ein wenig lustig ist.“

Reg wollte zu einer scharfen Antwort ansetzen, doch da rief Meggie nach ihm. Er hob noch einmal drohend den Finger und setzte sich dann widerstrebend in Bewegung, nicht ohne ihnen noch ein paar drohende Blicke zuzuwerfen.

Chase und Verge gesellten sich wieder zu den Mädchen, die sich mit einem weißen Kalb abmühten, das nicht gern zu den anderen getrieben werden wollte.

„Und jetzt?“

„Weiterfangen“, sagte Anne und blinzelte Verge schüchtern an. Verge lachte sie breit an. Chase sah zuerst Anne an, dann Verge, dann seufzte er und drehte sich zu Erica. „Diese blöden Kälber.“

Erica prustete los vor Lachen und zog ihm an den Ohren. „Du alter Schelm.“

Chase wusste gar nicht, was er denn Falsches gesagt hatte. Anscheinend hatte sie den Satz auf Verge und Anne bezogen. Chase seufzte ergeben und klomm geschickt über den Weidezaun. Er warf über die Schulter einen Blick zu den anderen dreien, die es ihm jetzt auch nachtaten.

Nach einer Stunde hatten sie alle Kälber eingefangen, markiert und wieder zu ihren Müttern gelassen, wo die Kleinen einen tröstenden Schluck Milch nahmen und kritisch zu ihren Menschen hinüberlinsten.

„Was haltete ihr davon, wenn wir das kleine braune Kalb ‚Casey’ nennen?“ fragte Erica in die Runde und zeigte auf ein Kalb, das ihnen am nahesten stand. Es legte den Kopf schief, als wolle es verstehen, was da über ihn getratscht wurde. Chase zog eine Schnute, doch Anne und Verge stimmten lautstark zu. So wurde das Kalb Casey noch einmal herausgeholt und mit einer ordentlichen Ladung Wasser getauft.

„Ein Maskottchen“, sagte Verge lächelnd.

„Geht nur leider nicht ins Flugzeug ’rein.“

„Vielleicht muss es abspecken, so wie du.“

„Ich geb’ dir gleich“, rief Chase und stürzte sich spaßeshalber auf Verge.
 

Später tranken die vier zusammen mit Meggie, Sam und Reg Tee, dazu gab es Kuchen. Meggie hatte extra diesen Kuchen gebacken, den sie nun mit Stolz anschnitt und jedem ein dickes Stück auf den Teller legte. Reg schimpfte auf ‚die Amerikaner’ und beschwerte sich, dass auf der Farm seitdem nichts Richtiges mehr voranging. Irgendwann hatte Sam dann doch genug und bat ihn, endlich still zu sein. Reg verschränkte schmollend die Arme.

Nach dem Tee machten sie sich daran, das getrocknete Heu zusammenzurechen und dann in den Heuschober zu bringen. Verge, der aus der Großstadt Chicago kam, hatte so etwas noch nie gemacht und ihm taten bald alle Knochen weh. Dazu jammerte er über einen Sonnenbrand und Blasen an den Händen.

„Du Armer“, sagte Anne. „Sollen wir Sonneschutzcreme holen?“

Verge nickte verdutzt, als Anne ihn packte und ins Haus zog.

Erica und Chase blieben zurück, mit den Heugabeln in der Hand und einem Lachen auf den Lippen. „Die beiden verstehen sich gut“, sagte sie.

Chase nickte nur. Dann sagte er: „Allerdings ist Verge ein wenig eigen mit Mädchen. Mir hat er gesagt, Anne erinnere ihn an seine Schwester. Ob da eine Chance auf eine Liebelei besteht…?“ Erica lachte. „Wer weiß, wer weiß.“ Dann sah sie ihm direkt in die Augen und lächelte. „Und wir? Verstehen wir uns auch gut?“

„Ich würde es so ausdrücken“, sagte Chase und lachte breit.
 

„Und du hast noch niemals auf einem Bauernhof gearbeitet?“ fragte Anne, als sie Verge’s Schultern und Rücken mit einer dicken Schicht Schutzcreme einrieb.

„Noch nie. Ich hab’ in der Stadt gelebt und da studiert. Hatte keine Gelegenheit auf einen Bauernhof zu gehen.“

„Was hast du denn studiert?“

„Mathematik.“

„Dann wirst du mal ein Lehrer?“ fragte Anne lächelnd. „Das kann ich mir bei dir gar nicht vorstellen. Viel mehr könnte ich mir bei dir Schriftsteller vorstellen. Du machst so den Eindruck. Irgendwie.“ Sie lächelte unbeholfen.

„Ich kann auch schreiben“, sagte Verge leise und fühlte sich durchschaut. Woher wollte Anne denn das wissen? War sein Gesicht wirklich wie ein offenes Buch, wie es ihm seine Mutter immer gesagt hatte?

Annes Augen wurden groß. „Was denn? Gedichte? Kurzgeschichten?“

„Ein paar Gedichte.“ Verge wurde rot. Keiner sonst wusste von seinem heimlichen Hobby, wenn er von den Einsätzen nach Hause kam, nahm er meistens seinen Notizblock und verzog sich nach draußen, da konnte er am besten nachdenken.

„Trägst du mir eins vor?“ fragt Anne, ließ sich auf der Eckbank nieder und stützte ihr Gesicht in ihre Arme. Verge sah zu Boden.

„Du musst nicht, wenn du nicht willst…“

„Doch“, sagte er. „Ich werde dir eins vorlesen.“ Er griff in seine Hosentasche und beförderte einen zerschlissenen Block zutage und schlug ihn auf. Dann sah er Anne an.
 

In Bombern, benannt nach jungen Frauen,

verbrannten wir Städte, über die wir in der Schule gelernt hatten.

Bis unsere Leben verrannen, und unsere Körper mit denen lagen,

die wir getötet und doch nie gesehen haben.

Wenn wir lange genug blieben, gaben sie uns Orden,

Wenn wir starben, sagten sie: Unsere Verluste waren niedrig. *)
 

Er blickte auf und sah Anne wieder an. Sie blickte betreten zu Boden und Verge wurde auf einmal heiß. Er setzte sich zu ihr und legte ihr seine Hand auf die ihre. „Es tut mir leid. Vielleicht war es nicht das richtige.“

Sie blickte auf. „Es braucht dir nicht leid zu tun. Was du sagst, ist die Wahrheit. Und gerade deshalb ist es wohl so…“ Sie hielt inne und vervollständigte den Satz nach ein paar Sekunden „…schockierend.“

Verge schob das Notizbuch zurück in seine Hosentasche. Dort sollte es bleiben, solange bis das hier vorüber war. Er wollte Anne, oder auch niemanden anderen, damit belasten. Er würde seine Gedanken weiterhin aufschreiben. Solange bis sie heimkamen, und nicht dablieben, wie so viele andere.
 


 

*) Der Originaltext des Gedichtes (von Randall Jarrell)
 

In bombers named for girls, we burned

The cities we had learned about in school —

Till our lives wore out; our bodies lay among

The people we had killed and never seen.

When we lasted long enough they gave us medals;

When we died they said , 'Our casualties were low.'

Und das Heck blieb in Bremen

Davis stand neben seinem Flugzeug, Liberty Lilly, und sah nachdenklich zu den verglasten Scheiben des Cockpits hinauf. Er blickte auf die fünfzehn Striche, die ihre bisher geflogenen Einsätze markierten. Und auf die vier Balkenkreuze, die für die abgeschossenen Jäger standen. Beim letzten Einsatz, der sie nach Saint-Malo wie bei ihrem ersten Einsatz führte, war es wieder einer mehr geworden. Eine Focke-Wulf, die sich zu nahe an die Maschine herangewagt hatte.

Der letzte Einsatz, Bremen, hatte Lilly übel mitgenommen, und nicht nur Lilly, auch ihre Besatzung, die sich im Moment in alle Himmelsrichtungen verstreut hatte um ja nicht auf dem Flugplatz irgendjemandem zu begegnen.

Davis legte eine Hand auf den kühlen Rumpf, an dem sich überall silberne Flecken, die hingenietet wurden um die Flaklöcher zu verdecken, befanden. Sie sieht mitgenommen aus, dachte Davis. Wie ein altes treues Schlachtross.

Sein Blick wanderte nach hinten zu der wieder reparierten Hecksektion. Reparieren war vielleicht das falsche Wort dafür, komplett erneuern würde besser passen. Denn immerhin war ihnen über Bremen der gesamte Heckstand weggeschossen worden. Danny hatte dabei verdammtes Glück gehabt…
 

Die Flak über Bremen war legendär. Nun konnten sie es selbst bezeugen und mussten nicht immer nur ahnungslos lächeln, wenn ein anderer Pilot es ihnen in lebhaften Farben ausmalte. Jetzt konnten sie sagen, ja, es stimmt, Bremen war furchtbar.

Es war ihr fünfzehnter Einsatz über Deutschland und es wäre beinahe auch ihr letzter gewesen. Wenn Davis daran dachte, überkam es ihn immer noch eiskalt, obwohl es schon drei Tage her war. Doch die Einsätze, die schlimmen, die Bilder die sich da in sein Hirn brannten, würde er wohl nie mehr vergessen. Er würde sie mit nach Hause nehmen, wie ein makabres Souvenir. Sofern er denn nach Hause kam.

Bremen. Er sah den Himmel über dem Ziel noch immer vor sich. Die weite blaue Fläche, die sanft wiegenden weißen Quellwolken. Doch zwischen den weißen Wolken hingen schwarze Flecken.

Es war, als wäre um sie herum plötzlich der Himmel explodiert. Von einer Minute auf die andere waren sie umgeben gewesen von den schwarzen Wölkchen der berstenden Flakgranaten, von hunderten Jägern, die aus dem Nichts auftauchen zu schienen. Es war während der bangen Minuten des Bombenzielanflugs geschehen, während sie mit offenen Bombenschächten und so verdammt langsam über dem Ziel hingen, dass es Davis schien, sie würden nie mehr lebend daraus hervorkommen.

Und als die Flakhölle endlich hinter ihnen lag, als das schlimmste Martyrium endlich vorbei zu sein schien, stürzten sich ein paar Meilen nördlich von Bremen, schon nahe der Nordsee, eine weitere Staffel deutsche Jäger auf den Verband. Kaum hatten die anderen abgedreht ging es pausenlos weiter.

Davis sah plötzlich wieder die Focke-Wulf vor sich, die frontal auf das Cockpit zukam. Ihre weiß-schwarze Propellernabe und den silbernen Kreis der Luftschraube. Und dann die kleinen Blitze vor ihren Bordkanonen, als sie feuerte. Es krachte ohrenbetäubend und das Instrumentenbrett splitterte. Es regnete Glas und Metallsplitter, er und Gunny bekamen einige davon ab, sie duckten sich. Und als sie wieder auftauchten war die Cockpitscheibe nicht mehr da und der Wind rauschte ihnen erbarmungslos ins Gesicht, riss an ihrer Kleidung, an ihren Mützen und an den Sauerstoffmasken. Und plötzlich war da überall Blut. In seinem Gesicht und auf dem Boden. Er konnte plötzlich nichts mehr sehen, wischte sich über die Augen und sah dann Gunny bewusstlos über der Steuersäule hängen.

Lilly neigte sich nach vorne in den Sturzflug. Hinter ihm brüllte Thomps gegen das Pfeifen des Luftstroms an.

„Skipper. Alles OK?“

Und in seinen Ohrhörern hörte er das Geschrei seiner anderen Besatzungsmitglieder.

„Skip? Die Maschine liegt schief. Vor uns ist eine andere B-17!“

„Alles in Ordnung da vorne? Jungs, meldet euch!“

Davis konnte Thomps und auch den anderen nichts antworten. Er war wie erstarrt. Lilly hatte sich um ungefähr 30 Grad nach unten geneigt und lag außerdem sehr schräg, die Linke Fläche hing nach unten. Sie begannen langsam zu trudeln. Und eine schwere B-17 Fortress aus dem Trudeln wieder herauszumanövrieren, war ein Ding der Unmöglichkeit. Und dann war da plötzlich das Heck einer anderen Fortress in seinem Blickfeld.

Davis riss sich zusammen, bekam irgendwie das Blut aus seinen Augen und griff nach der Steuersäule. Neben ihm hatte Thomps Gunny vom Sitz gezerrt und ebenfalls nach der Steuersäule gegriffen. Zusammen schafften sie es, Lilly an der anderen B-17 vorbeizulenken und dann wieder in eine horizontale Fluglage zu bringen.

Die Männer brüllten immer noch wild durcheinander. Thomps hatte sich dem am Boden liegenden Gunny zugewandt und versuchte das Loch in dessen Schulter zu verbinden, das das ganze Blut verursacht hatte. Gunny war bei Bewusstsein und fluchte, wie er es noch nie in seinem Leben getan hatte.

„Verdammte Kerle!“ Er versuchte Thomps von sich zu schieben, doch der drückte ihn zurück auf den Rumpfboden. „Ganz ruhig, Gun. Du hast einen Schock.“

„Ich hab’ keinen Schock, du spinnst doch!“

Thomps ignorierte den zeternden und fluchenden Co-Piloten und suchte in dem Durcheinander seines Erste-Hilfe-Kastens nach einer Mullbinde. Er legte die Schulter frei und sah sich das Loch an. Die Kugel hatte ihn gestreift und einen Riss hinterlassen, aus dem das Blut nur so strömte, aber sehr tief schien sie glücklicherweise nicht zu sein, nur musste sie schnell verbunden werden. Thomps zog seine Handschuhe von den Händen, legte eine Kompresse auf und wickelte den Verband darum. Dann verpasste er Gunny eine Morphiumspritze.

„Was machst du da?“ fragte Gunny kritisch.

„Ich gebe dir Morphium.“

„Kein Morphium!“ stöhnte er. „Ich muss Eugene beim Fliegen helfen!“

Davis wandte sich von seinem Platz zu ihm. „Ich schaff’ das schon. Lass’ Evan seine Pflicht tun und bleib dann ruhig liegen.“

Das Morphium begann zu wirken und Gunny sank mit einem Ächzen zurück.
 

„Skip, Motor drei brennt.“

Davis blickte erschrocken nach rechts und sah wie dicke graue Qualmwolken aus dem inneren Steuerbordmotor quollen und die ersten Flämmchen über die Tragfläche züngelten. Vor ihm war gerade wieder die Focke-Wulf vorbeigeschwebt, wie ein Traumbild.

Er war nervös, suchte auf seinem zerschossenen Instrumentenbrett nach dem Feuerlöschknopf für Motor drei. Fand ihn und drückte ihn. Doch es tat sich nichts.

Davis schlug mit der Hand wütend gegen die Instrumente und fluchte wild. Für einen Sturzflug, um das Feuer zu löschen, war die Maschine viel zu tief.

Dann plötzlich färbte sich der schwarze Rauch weiß und die Flämmchen verschwanden. Davis betrachtete die Tragfläche, ein schwarzes rauchgeschwärztes Band zierte sie jetzt. Zog sich vom Motor bis nach hinten zu den Landeklappen.

„Elektrik war anscheinend ausgefallen“, erklang plötzlich Matts Stimme. „Da hast du noch mal Glück gehabt, Skip.“

„Navigator! “ brüllte Thomps in den Äther. „Schau mal einer nach Gunny. Nicht das der mir völlig wegkippt.“

Zwei Minuten später tauchte Chase auf, übernahm den halb weggetretenen Gunny. Thomps begab sich wieder in seinen Geschützturm.
 

„Aufpassen, Heck. Jäger von sechs Uhr hoch.“

„Ich seh’ sie. Diese verfluchten Knalltüten. Denen werden wir einen schönen Empfang bereiten, dafür dass sie uns den Skip da vorne erschreckt haben und den Co-Piloten außer Gefecht gesetzt haben.“

Dann erbebte das Lillys Flugwerk von den Rückstößen der Maschinengewehre des Heck- und oberen Turmschützen. Der Jäger scherte zur Seite und zog knapp an der linken Tragfläche vorbei in die Tiefe. Er zog einen schwarzen Rauchstreifen hinter sich her.

Matt sah, wie der Pilot die Haube abwarf und sich dann aus dem Cockpit der Maschine herausrollte. Kurz darauf erblühte der weiße Pilz des Fallschirms.

„Ich fass’ es nicht“, erklang Dannys Stimme. „Hab ich den Kerl erwischt?“

„Hast du“, gab Matt zurück. „Und wie.“

Danny schwieg. Sein MG zeigte ein Stück nach oben. Die nächsten schwarzen Pünktchen tauchten plötzlich in seinem Visier auf. Direkt vor ihm befand sich die Schnauze einer B-17, die viel zu nah aufflog.

„Sagt jemand diesen Kerlen hinter uns mal, dass sie meinen Heckstand in Ruhe lassen sollen?“ moserte Danny.

„Tut mir leid, absolute Funkstille.“

„Scheiß auf die Funkstille. Hier sind eh schon überall Jäger, “ rief Danny wütend. „Ich krieg’ diese Hunnen so nicht in mein Visier.“

Er blickte nach oben. Eine Focke-Wulf rollte sich über ihre Tragfläche ab und schoss wie eine Raubvogel auf ihn zu.

„Scheiße“, schrie Danny erschrocken. Der Pilot der Focke-Wulf drehte plötzlich ab, offenbar hatte er gemerkt, dass er nicht unbeschadet zwischen den Flugzeugen hindurchtauchen konnte, doch es war zu spät. In dem Moment als er seine Richtung änderte, erwischte der deutsche Jäger frontal die B-17 hinter Liberty Lilly.

Danny sah, wie die Luftschraube der Focke-Wulf sich mitten durch das Cockpit fräste. Dann wandte er das Gesicht ab. Er wollte es nicht sehen. Er konnte es nicht. Nicht wie seine Kameraden in Stücke gerissen wurden.

Als er die Augen wieder öffnete war die B-17 verschwunden. Ebenso der deutsche Jäger. Danny blickte nach unten. Da trudelte die todgeweihte B-17 wie ein welkes Blatt, ihre Tragfläche, glatt an der Wurzel abgerissen, schien neben ihr zu schweben. Es kam ihm vor als ob jemand die Zeit angehalten hätte.

Dann krachte es plötzlich ohrenbetäubend. Er schrie auf und duckte sich. Um ihn herum schlugen Geschosse ins Heck. Trümmer und Splitter flogen wie messerscharfe Pfeile durch die Gegend. Dann sah er plötzlich durch ein Loch, groß wie ein Blatt Papier, den Himmel über sich.

„Heck? Alles OK?“

Nichts wahr mehr OK. Nicht jetzt. Und es würde auch nie mehr gut sein. Seine Gedanken rasten. Er kroch rückwärts in Richtung Rumpf, nur weg von diesen Verrückten, nur weg von herumfliegenden Teilen, die nur darauf warteten sich tief in seinen Körper zu bohren. Er packte seine tragbare Sauerstoffflasche und presste sie an seine Brust, während er rückwärts kroch. Sein MG baumelte lose über dem Abgrund. Zerschossen und kaputt, wie der Rest des Hecks.

Da gab es einen neuerlichen Schlag und Lilly bäumte sich auf. Danny sah entsetzt zu, wie ein halber Meter der Hecksektion einfach so im Nichts verschwand, mitsamt seinem MG. Er sah den blauen Himmel, helle Wolken, Flugzeuge und darunter in der ferne die gefleckten Wiesen der Niederlande, die sie gerade überflogen hatten. Und er sah die Nordsee.

Er kämpfte sich endlich aus dem schmalen Endstück der B-17 heraus und fiel erschöpft nach hinten um, als er endlich die zwei Rumpfschützen erreichte.

Matt und Curtis standen knöchelhoch in ausgeworfenen Patronenhülsen, Korditgestank schwängerte die Luft. Beide hingen gebeugt über ihren MGs und starrten angestrengt durch die Luken nach draußen.

Matt drehte sich plötzlich um und erblickte Danny. „Was machst’n du hier?“

Danny keuchte. „Das Heck… ist kaputt… alles. Die Fortress hinter uns… ist weg. Einfach weg.“

„Wie weg?“

„Weg eben. Mitten durchgesägt von so einem verflixten Hunnen.“ Danny riss sich wieder zusammen und fuchtelte wild mit den Händen. „Er hat sie mitten im Cockpit erwischt. Die armen Schweine hatten keine Chance.“

„Hinter uns war Chirpy Mary“, sagte Curtis leise. „Die Jungs aus unserer Hütte.“

Danny sah ihn mit einem entsetzten Gesichtsaudruck an. Er versuchte vergeblich nicht daran zu denken, wie knapp er selbst gerade dem Tod entronnen war. Was, wenn er nicht reflexartig rückwärts gekrochen wäre?

„Wenn ich übernehmen soll, sag’s einfach.“ Er schob die Gedanken an das, was gerade eben geschehen war, weit von sich.

Curtis nickte ihm zu, machte aber keine Anstalten ihn an sein Bordgeschütz zu lassen. Trotz dem seine Hände beinahe taub waren und er nur noch verschwommen sah, von den beißenden Korditdämpfen der Maschinengewehre.

Kurz darauf war der Himmel wie leergefegt. Sie befanden sich endgültig über der Nordsee. Auf dem Heimweg. Nicht mehr über den besetzten Niederlanden, wo noch einzelne deutsche Flakschützen versuchte hatten erbarmungslose Ernte zu halten. Aber keine deutschen Maschinen schwirrten mehr herum. Und der Verband B-17, oder das was davon noch übrig war, zog zerschossen und seine Wunden leckend der Heimat entgegen.
 

Davis schreckte auf, als sich eine Hand auf seine Schulter legte.

„Alles in Ordnung?“ fragte Danny.

„Das Gleiche könnte ich dich fragen. Du hättest es wohl nötiger,“ erwiderte Davis.

„Mir geht’s gut.“ Danny war zwar ein wenig bleich um die Nase, sah aber um einiges besser aus, als direkt nach dem aussteigen. Er griff in seine Hosentasche, fand eine Zigarette und zündete sie sich an. Sein Blick wanderte von Liberty Lilly über das Flugfeld, bis hin zu ihrer Baracke, wo sein gedankenverlorener Blick hängen blieb.

„Es ist jetzt ganz schön leer da drinnen…“

„Es wird nicht lange so bleiben“, sagte Davis leise. „Dafür sorgen die Kommandeure schon. Spätestens morgen ist es wieder voll.“

Danny gab ein verächtliches Grunzen von sich und sah Davis mit vor Wut blitzenden Augen an. „Wie können sie nur ewig so tun, als wären wir unverwundbar? Als hätten wir tausende Flugzeuge zur Verfügung? Als wären wir einfach ersetzbar?“

„Einfach, weil wir ersetzbar sind“, sagte Davis leise und blickte in den grauen Himmel.

Italienisches Intermezzo

Der Blick des jungen Nachrichtenoffiziers Nick Brandon war auf die zehn Männer vor ihm gerichtet. Der Pilot starrte ihn an, sein Blick direkt in seine Augen. Brandon senkte seinen Augen auf das Papier in seiner Hand, er schnaufte nervös. Das hier war erst sein drittes De-Briefing. Und die zehn Männer vor ihm machten den Eindruck, dass er ihnen mit seinem Gefrage gehörig auf die Nerven ging.

Wer konnte es ihnen verdenken? Da schickte sie man ihn England los, auf einen Flug der eine verdammt lange Zeit dauerte, man ließ sie eine Stadt bombardieren, sich von der Flak beschießen, und sie während des Fluges auch noch von feindlichen Jägern traktieren zu lassen. Und danach setzte man sie, so wie sie aus ihrem Flugzeug kamen, verschwitzt und aufgerieben von den Erfahrungen, zitterig von den Nachwirkungen eines eventuellen Schocks, da ließ man sie in einem Raum Platznehmen und von einem Offizier ausfragen.

Es war auf allen Flugplätzen dasselbe, auch, dass die Besatzungen sich nur zu gern davor drücken würden.

Brandon sah den Pilot an. Dessen dunkelbraunes Haar klebte am Kopf, um seine Augen waren tiefe Falten eingegraben, die ihn älter wirken ließen, als er war. Aber das am meisten beängstigende waren seine Augen. Es waren die Augen eines alten Mannes, in einem Gesicht, das kaum älter als fünfundzwanzig war. Es waren Augen, die schon viel gesehen hatten. Zuviel. Und Dinge, die eigentlich niemand sehen wollte. Er hatte seine Kameraden, die Männer, mit denen er vielleicht in einer Baracke oder beim Briefing noch gesprochen und gescherzt hatte, sterben sehen. Er hatte Flugzeuge gesehen, die als brennende Feuerbälle von einem wolkenlosen Himmel fielen. Es passte nicht zusammen, seine Augen und sein Gesicht.

Der Pilot knetete seine Mütze gedankenverloren in den Händen, während er Brandons forschenden Blick nun an sich abprallen ließ.

Brandon senkte wiederum seinen Blick auf das Papier. Seine feuchten Finger ließen das Papier an den Rändern wellig werden. Der Einsatzbericht.

Er nahm sich zusammen und setzte seine Befragung fort.

„Lieutenant Davis“, begann er und sah den dunkelhaarigen Piloten an. „Erzählen Sie mir von dem Bombardement.“

Davis grummelte irgendetwas vor sich hin, dann räusperte er sich. „Was soll es da zu erzählen geben? Wir werfen die Bomben ab, fliegen eine Wende und dann fliegen wir heim. Meistens jedenfalls. Heute sind wir in Italien gelandet.“

Brandon brach der Schweiß aus, wieso nur mussten sie ihn immer hinstellen, als wäre er ein kompletter Idiot? Konnten sie nicht einfach reden? Ihre Berichte abgeben? Dann würde er sie ja in Ruhe lassen. Glaubten diese Männer, er machte diesen Job aus Jux?

„Ich meine, die Situation über dem Ziel? Gab es viel Flak, oder Jäger?“

„Flak gab es nicht so viel“, meldete sich ein junger hochgewachsener Mann leise zu Wort, Brandon erkannte an dessen Ärmelabzeichen, dass er der Navigator war. Ein Sergeant. Er konnte nicht älter als einundzwanzig sein.

„Aber Jäger waren da“, fuhr dieser fort. „Allerdings erst, als wir circa hundertfünfzig Meilen vom Ziel entfernt waren.“ Er warf dem Piloten einen Blick zu, der wohl heißen sollte, umso schneller wir antworten, umso schneller haben wir es hinter uns.

Brandon gab dem Schreiber neben sich am Schreibtisch ein Nicken und der begann mit der Schreibmaschine zu klappern. Brandon sah wieder den Navigator an, der sich als ein wenig umgänglicher herauszustellen schien. „Wo begannen die Jägerangriffe?“

Der Navigator dachte kurz nach. „Sie kennen unseren Kurs?“ Brandon nickte.

„Die markierten Kursangaben über Klagenfurt, Triest und Ancona?“

Brandon nickte wiederum.

„Gut. Über Triest kamen mindestens fünfzig von den Kerlen auf uns zu. Über der Adria konnten wir sie abschütteln. Die nächsten kamen über Ancona und von da an im Minutentakt. Solange bis wir die Gustav-Linie bei Monte Cassino überflogen haben.“ Er nahm einen nervösen Zug an seiner Zigarette. „Dann kamen die Mustangs und Thunderbolts hier aus der Gegend und haben sie uns vom Leib gehalten. Weitestgehend. Es sind trotzdem noch zwei Maschinen abgeschossen worden.“

„Eine davon ist weiter nördlich notgelandet. Die andere im Meer gelandet. Alle Besatzungsmitglieder sind sicher, “ sagte Brandon. Der Navigator nickte. „Sehr gut.“

„Wie war die Wetterlage? Beim Anflug und über dem Ziel?“

Der Rest der Besatzung schien sich mittlerweile in einen Dämmerschlaf versetzt zu haben und ließ ihren Navigator reden. Der Pilot starrte ins Leere, zwei andere lehnten mit verschlossenem Gesichtsausdruck an der hinteren Wand. Einer hielt mit zitternden Fingern eine Tasse Tee in der Hand. Und der Mann neben dem Navigator starrte aus dem Fenster, wo eben zwei Mustangs zur Landung ansetzten. Es gab einen Höllenlärm, als die Maschinen direkt an der Hütte des Nachrichtendienstes vorbeizischten. Als der Lärm in der Ferne verklang, als die Maschinen sich in Richtung Hangar bewegten, fragte Brandon weiter.

Nach gut zehn Minuten hatte er einige brauchbare Informationen aus ihnen herausbekommen und entließ die Männer, die es mit einem erleichterten Schnauben zur Kenntnis nahmen.

Die Tür schloss sich mit einem leisen Klicken hinter ihnen.

Er lehnte sich zurück und gab dem Schreiber seinen Notizzettel, auf dem er sich noch weitere Sachen notiert hatte. Dann nahm er seine Mütze vom Kopf und fuhr sich durch sein dichtes Haar. Er schwitzte. Italien war ihm mit Abstand zu warm und schwül. Dazu kam noch, dass über dem ganzen Flugplatz etwa vierzig Meilen östliche von Foggia eine dicke Staubwolke hing, weil ständig Flugzeuge starteten und landeten und dabei den feinen Sand und einen Haufen Staub aufwirbelten. Die Luft schien den ganzen Tag nur trüb zu sein. Und manchmal passte diese trübe Luft auch zu seiner Stimmung.
 

Liberty Lillys Besatzung war frei. Vorerst.

Den Rest des Tages hatten sie zur freien Verfügung und nachdem sie sich einen Snack in der Kantine geholt hatten, ihre Schlafbaracke besichtigt hatten, und ihr Gepäck abgeladen hatten, machten sie sich auf den Weg.

Davis und Gunny fuhren auf einem Motorrad mit Seitenwagen ins Landesinnere. Beide wollten ein Stück italienische Landschaft sehen. Wenn sich schon mal eine Gelegenheit bot, meinte Gunny.

Matt, Curtis und Verge wollten an den Strand. Zusammen mit eine zwei anderen Männern einer Besatzung besetzten sie einen Transporte und fuhren los.

„Ihr Jungs wisst schon, dass beinahe noch der ganze Strand abgesperrt ist, oder?“ fragte einer aus der anderen Besatzung, Joe Murray war sein Name.

Matt machte ein enttäuschtes Gesicht. „Wirklich?“

„Nun ja, “ sagte Murray und grinste. „Beinahe der ganze Strand. Wir kennen da eine Ecke, die nicht voller Stacheldraht ist.“

„Welches ist euer Flugzeug?“ fragte Curtis, als sie an den langen Reihen B-17 vorbeifuhren.

„Eine B-17 G, eine neue Maschine mit einem vorderen Geschützturm. Sie heißt Heavens Above.“

„Wie viele Einsätze habt ihr denn schon?“

„Fünfzehn.“

„Hah“, sagte Matt. „Wir haben sechzehn.“

Murray grinste und zeigte dann aus dem Fenster. „Schaut mal.“

Drei Gesichter wandten sich um und blickten gespannt nach draußen. Durch trübe Luft, immer noch staubgeschwängert, blitzte in der Ferne das azurblaue Meer der Adria. Die Sonne flimmerte am Horizont und Matt glaubte einen Schatten gesehen zu haben. Knapp über dem Boden.

„Achtung!“ rief plötzlich von vorne der Fahrer und stoppte abrupt das Fahrzeug. Hinten fielen alle durcheinander. Murray landete kopfüber auf der anderen Sitzbank, Matt rücklings am Boden.

Über ihnen schien die Hölle loszubrechen, es donnerte und heulte, die Abdeckung riss durch den heftigen Pressdruck auf und gab den Blick auf den Himmel frei, wo ein paar einzelne Wolkenschiffchen einsam am Himmel hingen. Zwei dunkle Schatten huschten über das Loch hinweg.

„Himmel!“ schimpfte Murray, als er sich wieder aufrappelte und den Staub des Lagerraums des Transporters aus seinen Haaren schüttelte. „Diese verdammten Kerle.“

Curtis hing über der Rückwand und starrte den vier Mustangs nach, die in den Himmel schossen. Eine zog eine Siegesrolle und Murray konnte die Kennzeichen sehen.

„Andauernd machen die so was. Der Typ mit der Rolle ist MacNeil, ein Kanadier,“ erklärte Murray. „Er ist ein Ass.“

„So fliegt er auch“, sagte Verge.

„Wie viele Abschüsse hat er?“

„Neunzehn.“

Die drei Männer von Liberty Lilly sahen sich an.

„Und er hat einen ganzen Haufen Panzer in der Normandie erledigt, “ fügte Murray hinzu.

„Wieso haben die ihn dann hier nach Italien versetzt?“

Murray grinste. „Er ist dafür bekannt, dass selten Flugzeuge, die ihn als Geleitschutz haben, abgeschossen werden. Klar, er kann nicht immer Glück haben. Aber seine Quote ist höher als bei anderen.“

„Scheint ein schwer beschäftigter Mann zu sein.“

„Vielleicht sollten wir ihn mal fragen, ob er uns in England besuchen kommt“, meinte Verge.
 

Mit einer Handbewegung wies Murray auf den Strand. „Und? Hab ich zuviel versprochen.“

„Nein, hast du nicht. Stacheldraht ist wirklich genug da.“

Murray drehte sich grinsend um. Er bahnte sich seinen Weg durch das dicht bewachsene Stück Wiese, das den Strand von dem Trampelpfad, der sich dahinter verbarg, trennte. Die anderen vier stapften ihm nach. Murray führte sie durch eine Lücke im Stacheldraht, und zeigte ihnen, dass der Strand garantiert nicht vermint war. „Wir sind alles mit einem Minensucher abgegangen.“

Dann endlich spürten sie den ersten Sand unter ihren Schuhsolen. Sie krempelten die Hosenbeine nach oben und zogen die Schuhe aus. Matt konnte sich nicht halten. Noch auf dem Weg zum Wasser schmiss er sein khakifarbenes Hemd davon, dann das weiße Unterhemd. Mit einem Platschen landete er im Wasser. Das Sonnenlicht glitzerte in den aufspritzenden Tropfen.
 

Davis’ und Gunnys Motorrad rollte langsam die serpentinenartige Straße herunter. Sie fuhren nicht schnell, dafür gefiel ihnen die Landschaft zu gut. Sie wollten soviel wie möglich davon einfangen. Die Gegend hier gefiel Davis mit Abstand besser, als die zerschossene Landschaft rund um Pescara, die sie noch ein paar Stunden zuvor sehr tief überflogen hatten. Die Gegend war in heftige Abwehrkämpfe verwickelt gewesen. Nicht so wie hier.

Langsam gab Davis wieder Gas und das Motorrad wurde schneller, Gunny im Seitenwagen ließ sich den Wind um die Ohren wehen. Den warmen Wind Süditaliens. Es war Mitte Juli und sehr heiß. Sie fuhren nur in ihren Hemden, ohne Helme.

Irgendwann, auf der Kuppe eines Hügels wo die Aussicht am schönsten war, hielten sie an und ließen sich ins weiche Gras sinken. Sie hingen ihren Gedanken nach. Ließen sich treiben, oder dachten an nichts.

Die Landschaft hier war wild und einsam, nur schmale staubige Wege durchzog sie.

In der Ferne an einem Hang konnten sie ein Haus sehen, von dort aus wohl man das ganze Tal überblicken konnte.

In der Ferne türmte sich ein hoher Berg auf, an seiner Spitze hingen ein paar Wölkchen fest, wie weiche flauschige Küken, die sich an eine Glucke drängten.

Auf ihrer Seite des Hügels fiel das Tal steil ab, der schmale Weg wand sich nach unten, von dort aus konnten sie sehen, durchzog er das Tal parallel zu den Hängen.

Die Sonne sank tiefer, warf ihre letzten warmen Strahlen in das Tal. Die Wände des Hauses nahmen nun einen gelben Schimmer an. Das dünne Rinnsal eines Baches schien plötzlich silbern anzumuten und blitzte in der untergehenden Sonne.

Davis setzte sich langsam auf. Die Sonne sank weiter tiefer, das Haus wurde nun dunkler, beinahe rötlich. Die Hänge überfielen dunkle Schatten. Nur der Hügel, auf dem sie saßen und in die Ferne blickten, schien im roten Abendlicht zu brennen.

„Was würde ich dafür geben, ewig hierzubleiben“, flüsterte Gunny.
 

Dumpfes Grollen schreckte ihn auf. Gorsky drehte sich um und drückte ein Kissen auf sein Gesicht. Das Grollen wurde lauter.

„Herrschaft!“ schimpfte er und drehte sich wieder auf die andere Seite. Doch irgendetwas stimmte nicht ganz, da lag eine Hand auf seinem Bauch. Nicht seine Hand. Und das, was er da gerade auf sein Ohr gedrückt hatte, war auch kein Kissen. Es war ein Kleidungsstück.

Dann traf ihn die Erinnerung wieder und er setzte sich auf. Hannah Molesworth, Rotkreuzschwester, stationiert östlich von Foggia auf dem Flugplatz, neben ihm regte sich, öffnete ihre Augen und blickte ihn verschlafen an.

„Wie spät ist es?“

Gorsky sah auf sein Handgelenk, aber die Uhr war nicht da, wo sie sein sollte. Er blickte in den Himmel, aber auch da fand er keine Antwort. Es war dunkel. Nur in der ferne am Horizont fand sich noch ein schmaler heller Streifen, der kund tat, dass da vorhin die Sonne versunken war.

„Keine Ahnung.“

„Sollen wir da weitermachen, wo wir aufgehört haben?“ fragte sie unschuldig.

Gorskys helle Zähne blitzen im Dunkeln auf. „Wo waren wir denn?“

Ihre Lippen fanden seine, seine Hände umschlangen ihre Arme und er zog sie an sich. „Da waren wir“, sagte sie leise.
 

Später lagen sie nebeneinander im warmen Gras. Ein lauwarmer Wind blies vom Meer her und zerzauste ihre Haare.

Sie schmiegte sich an ihn.

„Du weißt, dass das hier einmalig ist…“ Es war keine Frage, es war eine Feststellung.

Er nickte.

„Und du weißt auch, dass wir uns wahrscheinlich nie wieder sehen werden.“

Wieder nickte er und drückte ihren warmen Körper an sich.

Dann sprach er leise: „Wir müssen nehmen, was wir kriegen können. Soviel Nähe wie es geht. Wir könnten morgen vielleicht schon nicht mehr die Chance dazu haben. Morgen könnten wir schon tot sein. Jetzt ist jetzt, und wir leben nicht für morgen. Wir leben heute.“ Er seufzte. „Tut mir leid.“

„Es muss dir nicht leid tun.“ Sie lehnte sich auf ihre Ellbogen und strich ihm ein paar widerspenstige hellbraune Locken aus der Stirn. „Ich weiß wie es ist. Meine beste Freundin hat es erlebt. Sie wollte heiraten, doch da kam er nicht mehr zurück. Auch ein Bomberpilot war er, weißt du. Sie flogen nach Deutschland. Einen Tag zuvor hatten sie sich noch geliebt. Am nächsten war er weg. Einfach gegangen. Alles was übrig war, war eine Kiste mit seinen Sachen. Sie haben sie ihr geschickt.“

„Seit ich und meine Besatzung in England angekommen sind“, sagte Gorsky leise. „ Da haben wir haben gemerkt, dass es uns morgen vielleicht nicht mehr gibt. Deshalb leben wir jetzt.“ Er blickte sie an. „Aber ich darf es trotzdem sagen, oder?“

„Was du willst.“

„Ich würde gern wieder zu Hause sein.“

Sie strich ihm über die Wange und küsste ihn sanft. „Heute bist du bei mir zuhause.“
 

Am nächsten Tag war sie weg und Gorsky lag alleine auf dem kleinen Fleckchen Wiese, seine Hand umklammerte die Krawatte ihrer Uniform, die sie bei ihm vergessen hatte. Oder dagelassen hatte.

Er würde nicht verletzt oder gar gekränkt sein, wenn sie einfach verschwand, er hatte es ihr schon vorher gesagt. Sonst, wenn sie noch dagewesen wäre, hätte er womöglich nicht loslassen können. Aber wie sie, und er, gesagt hatten, sie lebten heute. Und heute war ein neuer Tag, egal was er bringen mochte.

Memmingen

Der Betrieb auf dem Memminger Flugplatz hat zugenommen. Man erkennt auf den Luftaufklärungsfotos 50 bis 70 Me-110 und Me-410, die nicht sehr weit auseinander stehen und mit modernem Tarnanstrich versehen sind. Dazu mehrere Lastwagen voller Metallteile, die, wie von mehreren Aufklärern bestätigt, Ersatzteile beherbergen. Diese werden zur Reparatur und Zusammenbau von ebendiesen Flugzeugen benutzt.

„Diese Erkenntnis macht den Flugplatz zu einem der wichtigsten Ziele unserer Bomberverbände“, setzte der Lieutenant vom Nachrichtendienst den Bericht über die Aufklärungsfotos, fort. Mit weitläufigen Gesten zeigte er die Karten und sehr detaillierte Aufklärungsfotos, die hinter ihm an der großen Wand pinnten.

Ein dicker roter Strich auf der Landkarte zeigte zudem den Kurs auf das Ziel an.
 

Das Flugzeug bebte. Und die Tragflächen wurden mit Kies überschüttet. Zumindest für Don hörte es sich so an. In Wahrheit waren es Flak- und Granatsplitter, die auf den metallenen Rumpf und die Flächen prasselten.

„Wo sind wir, Leute?“ Matt klang angespannt.

Chase warf einen Blick auf seine Karten, dann aus dem Fenster. „Über Norditalien. Irgendwelche Deutschen scheinen noch irgendwelche Flakbatterien da übrig zu haben.“

„Ich dachte, die wären längt auf dem Rückzug in die Alpen?“

„Das heißt noch lange nicht, dass sie nicht trotzdem auf uns schießen…“
 

Die Alpen lagen jetzt unter ihnen und das heftige Flakfeuer über den norditalienischen Städten, wie Bozen oder Trient, hatte nachgelassen. Die weißen, schneebedeckten Spitzen der hohen Berge der österreichischen Alpen schimmerten unter ihnen. Gletscherzungen und breite Sand- und Geröllreißen von den Bergen sahen sie ebenfalls. Dazwischen immer wieder grün oder blau blitzende Bergseen, die wie Augen anmuteten. Eine Bahnlinie half Navigator Chase bei seiner Aufgabe, sie nach Deutschland zu führen.

„Skipper. Kurswechsel auf eins-null-eins. Wir versuchen die Flaknester zu umfliegen.“

„Alles klar. Kurswechsel.“

Lillys linke Tragflächenspitze zeigte jetzt auf eine schneebedeckte Bergspitze, sie flogen etwa in der Mitte des auseinandergerissenen Geschwaders. Über der Adria war es wegen schlechten Wetters zu Funkproblemen gekommen. Der Geleitschutz war nicht aufgetaucht. Und den Rest des Geschwaders hatten sie in einer Schlechtwetterfront über dem Treffpunkt nicht angetroffen. Etwa sechsundzwanzig Maschinen waren jetzt auf dem Weg nach Memmingen, um dort einen Flugplatz zu bombardieren. Eine davon Lilly.

„Skipper? Glaubst du, dass die anderen noch kommen?“

Davis glaubte es nicht, dazu war das Wetter zu schlecht.

„Abwarten“, sagte er nur.

Doch obwohl der Verband wacker Ausschau hielt, der Kommandeur ihre Basis anrief, und sie weiter hofften, weder der Geleitschutz, noch die anderen Staffeln kamen.
 

Der kleine Verband flogen Memmingen von Süden her an.

Sie begannen schon zu denken, dass hier keine Jäger in der Nähe seien. Denn bisher waren, außer über Österreich ein verirrter Schwarm von vier Flugzeugen, keine aufgetaucht.

Matt stierte über sein MG hinweg in den Himmel. Neben ihnen flog eine Maschine, mit dem Namen Blowin’ Breeze und einem großen Bild von einem dunkelhaarigen Mädchen auf ihrem Rumpf. Ihr rechter Rumpfschütze blickte ebenfalls wachsam nach draußen, sein Blick hing kurz an Lilly. Matt winkte ihm zu und bekam Antwort.

Plötzlich knisterte es im Mikrofon. „Hey, da kommen Indianer von neun Uhr.“ Verge klang aufgeregt. „Matt, siehst du sie?“

„Sicher.“

Wie ein Bienenschwarm tauchten sie hinter ihrem linken Flügelmann auf, viele kleine schwarze Punkte, die mal dahin, mal hierhin huschten. Dann formierten sie sich plötzlich in Zweiergruppen, die bewährte Angriffsformation der Deutschen, und tauchten auf den amerikanischen Verband herab.

„Kugelturm, da kommen auch noch welche von sechs Uhr tief!“ Danny zog den Ladeschieber zurück und visierte die Jäger an.

Verge drehte den Turm und sein Zielkreuz wanderte zu den drei kleinen Punkten, die auf die B-17 Nightwalkers, die unter ihnen gestaffelt war, zuschossen. Innerlich zählte er bis fünf, dann waren sie nahe genug heran. Er feuerte. Die Rückstöße des MGs schmerzten an seiner Schulter, die Leuchtspurgeschosse zischten den Maschinen entgegen. Und wie von einer höheren Macht, zogen sie fächerförmig auseinander, brachen ihren Angriff auf Nightwalkers ab.

„Sie sind weg“, keuchte Verge. „Sie drehen nach drei Uhr. Curtis!“

„Ich seh’ sie schon. Waren es bei dir auch schon vier?“

„Drei.“

„Ach, verdammt.“

Dann hörte Verge nur noch das Donnern der Geschütze und spürte jedes kleinste Beben des Flugzeugs bis ins Mark.

„Da kommt einer direkt von vorne!“

Davis gab einen wütenden Schrei von sich.

„Thomps! Siehst du ihn?“ rief Gorsky. Dann: „Oh, Scheiße!“

Eine deutsche Focke-Wulf kippte zur Seite, eben noch war sie auf direktem Kurs in Richtung Cockpit zugesteuert.

„Ich hab ihn!“

Thomps atmete tief durch. Die Läufe seines Doppel-MGs rauchten ein wenig. Er hatte einen ersten Jäger heruntergeholt.
 

Als ich ihn anvisierte, als ich ihm beinahe in die Augen blickte, da war mir, als würde ich ihn ermorden. Einfach erschießen. Ich erkannte die Form seines Kopfes, seine Sauerstoffmaske, und die Sonnenschutzgläser, hinter denen sich seine Augen verbargen. Welche Farbe wohl seine Augen hatten? Ich durfte nicht daran denken, denn sonst würde ich mir jetzt mein Gewissen mit Fragen durchlöchern.

War es richtig, was wir hier taten?

Hatte das alles wirklich einen Sinn?

Jemanden zu töten, oder getötet zu werden?

Hinter mir saßen Eugene und Luke und steuerten wie immer dieses riesige Flugzeug mit über dreißig Metern Tragflächenspannweite. Es musste eine gehörige Anstrengung sein. Ich hatte letztes Jahr in Schottland einen Trainingsflug als Eugenes Copilot absolviert. Er wollte, dass, falls ihm oder Luke etwas passierte, jemand das Flugzeug steuern konnte. Steuern vielleicht, aber landen?

Damals über Schottland, als wir weiße Bergspitzen und silbrig schimmernde Seen überquerten, da war es so friedlich. Keine Flak, kein Geschützdonner und keine Blitze an den MG-Mündungen feindlicher Jäger, die wie Bienenschwärme auf uns zurasten.

Ich hatte meine Augen stur über das Visier gerichtet und beobachtete gespannt den Himmel. Wir waren auf dreißigtausend Fuß, irgendwo über Süddeutschland. Rechts von mir schaukelte eine B-17, wie ein riesiges Boot auf den Wellen, hin und her. Dann wieder auf und ab.

Wie hieß noch gleich dieser Ort mit dem Flugplatz, den wir bombardieren sollten? Memmingen.

Wir hatten dir Luftbilder zu Gesicht bekommen, die die Aufklärungsflugzeuge ein paar Tage vorher gemacht hatten. Dort standen Reihe an Reihe Flugzeuge. Mehrere Messerschmitt 110, zweimotorige Jäger, die schon neunzehnhundertvierzig in der Luftschlacht um England zum Einsatz kamen, sich aber nicht bewährt hatten, wie die Nachrichtenoffiziere uns erzählten. Seitdem wurden sie als Nachtjäger eingesetzte und waren mit Radarantennen ausgestattet worden. Sie hatten gefährliche Bordkanonen, zwei schräg nach oben feuernde MGs, die, wenn die Me-110 unter einem Bomber flog, direkt in den Bombenschacht feuern konnte und ihn dadurch zum explodieren bringen konnte. Die galt es also zu zerstören. Denn wenn sie demnächst zur Nachtjagd abheben würden, wären es die Briten, die ihre Wut zu spüren bekämen.

„Sie kommen von zwölf Uhr direkt aufs Cockpit zu“, hatte ich eine erregte Stimme durch die Brodsprechanlage gehört. Gorskys Stimme aus der Plexiglaskuppel.

„Was soll ich da machen? Sie anspucken?“ hatte Eugene wütend zurückgerufen.

Ich hatte meinen Turm nach vorne gedreht und einen kleinen schwarzen Punkt erblickt, der wie ein wütendes Insekt auf uns zugeschossen kam.

„Thomps! Siehst du ihn?“

„Ja“, sagte ich. „Ich sehe ihn.“ Noch zwei drei Sekunden warten. Kurz das Visier korrigieren. Ich legte meinen Finger an den Abzug. Dann kam der Moment in dem ich beinahe gezögert hätte. Doch dann machte mein Finger das, was er auch tun sollte. Er zog den Abzug und die Maschinengewehre hämmerten los.

Ich machte einen tiefen Atemzug. Zog tief den Sauerstoff in meine Lungen, um nicht ständig diese Bilder vor Augen zu haben. Dann konzentrierte ich mich wieder auf meine Aufgabe.
 

„Navigator an Pilot. Fünf Minuten zum Ziel.“

„Roger, Navigator. Kurs?“

„Kurs halten. In drei Minuten eine leichte Kursänderung, dann kommen wir direkt hin.“

„Gut.“

Hinter Lilly formierten sich die ersten Flugzeuge. Lilly war die Führungsmaschine auf dieser Mission. Nachdem der Kommandeur irgendwo über der Adria nicht mehr aufgetaucht war, hatte Davis übernehmen müssen.

Chase, der Navigator, schwitzte sich derweil die Seele aus dem Leib. Erst einmal zuvor hatte er mehr als dreißig Maschinen zum Ziel führen müssen. Er war nicht der Mensch, um ständig der Navigator der Führungsmaschine zu sein. Die ständigen Kursberechnungen, Kursabweichungen und Wendungen machten ihn halb wahnsinnig.

Don half ihm so gut es ging und gab Positionsangaben durch, Geschwindigkeiten, Wetterangaben. Ständig, um Chase die Arbeit zu erleichtern. Es war mindestens so anstrengend für ihn, wie für Chase.

Dann formierten sich die Flugzeuge in Zielanflugsformation. Die höher gestaffelte Gruppe schwenkte leicht nach steuerbord, die andere blieb auf gleicher Position.

Die großen Bomber schwebten langsam auf das Ziel zu.

„Ich kann noch die Alpen sehen“, sagte Danny aus dem Heck. „Wir sind gar nicht weit weg. Schön sehen sie aus.“

Gorsky erhaschte einen Blick auf das Ziel, keine Wolken weit und breit. Die Jäger beharkten sie immer noch. Vier Maschinen hatten sie schon niedergehen sehen. Ungefähr fünfundzwanzig Fallschirme, die wie weiße Blüten am Himmel hingen, gezählt. Doch fünfundzwanzig waren weit zu wenig. Wo waren die restlichen geblieben?

„Kurskorrektur“, sagte Chase. „Zwanzig Grad nach steuerbord.“

Davis lenkte das große Flugzeug in eine sanfte Rechtskurve, und Gorsky hatte das Ziel jetzt direkt voraus.

„Hier Bombenschütze. Ziel in Sicht.“

„Danke. Navigator?“

„Noch etwa Minute.“

Gorsky hob seine Hand und formte mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis. Sein Gesicht hing über dem Norden-Bombenzielgerät. Unter ihm grüne Grasflächen, einzelne Gebäude, deren Dächer rot schimmerten, wohl Bauernhöfe. Er erkannte das Vieh auf den Weiden.

Ein Blick auf Chase und er bekam ein Nicken.

„Bombenschütze, das Flugzeug gehört dir.“ Davis ließ seine Hände locker auf der Steuersäule ruhen.

„Alles klar, Skipper.“ Gorsky merkte wie das Flugzeug leicht ruckelte. „Immer geradeaus. Bombenklappen auf!“

Mit einem Surren öffneten sich die Bombenklappen. Er merkte, wie das Flugzeug sofort an Geschwindigkeit verlor. Hinter ihnen taten es ihnen fünfundzwanzig Maschinen nach. Die gesamte Formation mutete im Zielanflug beinahe bewegungslos an. Da begann die Flak zu schießen.

Gorsky erkannte die ersten Gebäude des Flugplatzes, darunter ein Hangar.

„Direkter Bombenzielanflug. Halt’ die Maschine ruhig. Langsam, langsam.“ Er hatte sie direkt unter sich. Die Reihe Flugzeuge von den Luftbildaufnahmen.

„Bomben los!“

Kleine, schwarze Punkte purzelten aus den Rümpfen der Flying Fortresses und torkelten der Erde entgegen. Die Maschine machte einen Satz, von einer großen Last befreit.

„Bombenklappen zu.“ Wieder das metallische Surren, dann ein Klonk, und die Klappen waren geschlossen. Sofort nahm das Flugzeug wieder Fahrt auf.

„Navigator. Kursangaben?“

„Drei-eins-null. Wir nehmen Kurs nach Hause.“

Kurs auf Foggia, ihr vorläufiges Zuhause..
 

Die Männer der Besatzungen atmeten erleichtert auf, als sie eine große Wende flogen. Weitere Flugzeuge wurden angeschossen, weitere abgeschossen.

Lilly verlor ihren linken Flügelmann Blowin’ Breeze. Sie verschwand plötzlich nach unten, trudelnd.

„Sieht jemand Fallschirme?“ fragte Matt.

„Komm schon“, hörten die restlichen neun Männer der Besatzung Danny murmeln. „Steigt aus. Da! Ich sehe vier.“

„Vier?“

„Jetzt fünf.“

„Ich sehe einen sechsten“, rief Verge. „Und Nummer sieben.“

Am Schluss waren alle ausgestiegen. Alle zehn Männer von Blowin’ Breeze schafften es aus dem waidwunden Flugzeug. Das Flugzeug schlug auf einem Feld auf und ein Rauchturm baute sich darüber auf.

„Bin gespannt, ob es die Kerle in die Schweiz schaffen“, sagte Curtis. „Die ist ja nicht weit weg.“

„Ungefähr achtzig Meilen“, sagte Chase. „Vielleicht haben sie Glück.“
 

Liberty Lilly hatte Glück und schaffte es zurück. Sie landete gegen sechzehn Uhr zurück in Foggia.

Brandon wartete schon im De-Briefing Raum. Dieses Mal war es nicht ganz so schwer, mit den Männern zu reden. Meistens war es nur beim allerersten Mal so.

Und dieses Mal sprach sogar der Pilot mit ihm, freute sich Brandon. Wenn das nichts heißen mochte.
 

Der Angriff des 18. Juli 1944 wurde zu einem Desaster. Zwar wurde der Flugplatz stark beschädigt, doch schon beim Anflug begannen die Probleme.

Ungefähr hundertsiebzig Flugzeuge waren in Foggia gestartet, die insgesamt sechs Groups bildeten. Doch über der Adria war die Wetterlage schlecht, und durch mehrere Funkmissverständnisse, wurde der Verband auseinandergerissen.

Sechsundzwanzig Bomber entschieden sich für Memmingen und setzten ihren Flug ganz ohne Begleitjäger über Norditalien und Österreich fort. Bis ins Zielgebiet.

Im Großraum Allgäu wurden diese, noch vor dem Angriff auf den Flugplatz, von Jägern angegriffen. Vierzehn Bomber kehrten von diesem Einsatz nicht zurück.
 

Am 19. Juli erreichte die Besatzungen ein Brief vom Hauptquartier, der wie folgt lautet:
 

An alle Besatzungen,
 

gestern war dieses Geschwader in eine Luftschlacht mit der deutschen Luftwaffe verwickelt und erlitt schwere Verluste. Normalerweise werden wir bei Kämpfen dieser Art von einigen andern Geschwadern oder Jagdflugzeugen begleitet. Dieses Mal befanden wir uns alleine in der Luft. Nach unserem Ermessen schossen wir sehr häufig auf feindliche Jagdbomber, konnten ihnen wieder entkommen und zerstörten das vorgegeben Ziel. Wir nahem unsere Verluste, die schwer waren, hin, aber wir kämpften und schlugen entschlossen eine große Zahl, etwa ein Drittel der Spitze der deutschen Flugkräfte in Europa.

Diese Schlacht ist ein tapferes Kapitel der Luftstreitkräfte der Vereinigten Staaten. Ich bin stolz auf Euch und Ihr habt jeden Grund auf Euch selbst stolz zu sein.

Gestern haben wir eine Kampfführungstradition aufgestellt, die wir weiterführen müssen. Den Luftkampf nicht in dieser Art fortzusetzen werde einen Verrat an die Erinnerung jener tapferen und unerschrockenen Männer bedeuten, die nicht mehr zurückgekommen sind.

Ich weiß, dass Ihr nicht versagt, sondern fortfahren werdet, immer mehr erfolgreiche Angriffe gegen den deutschen Feind zu führen bis der Krieg siegreich beendet ist.
 

Paul L. Bartin

Colonel, Air Corps

Commanding
 

A/N.: Der Angriff auf Memmingen und die nahe Umgebung, wie Kempten, Friedrichshafen, beruht auf wahren Tatsachen. Der Schauplatz liegt nicht weit weg, von wo ich wohne.

Der Brief stammt aus einem Geschichtsheft, das an die ‚Luftschlacht über Buchenberg’ und an die dort Gefallenen, Deutsche wie Amerikaner, erinnert.

Der Mann, der zum Frühstück kam

Es gab einen Mann in der 95th Bomber Group in Horham, der in der sehr kurzen Zeit, die er dort war, so etwas wie eine Flugplatzlegende wurde. Nicht, weil er unglaublich viele Einsätze geleistet hätte, oder viele Feindmaschinen abschoss. Diejenigen die ihn kannten oder kurz gesehen hatten und beinahe jedes Besatzungsmitglied das davon hörte erzählte seine Geschichte weiter. Er war bekannt unter dem Namen ‚Der Mann, der zum Frühstück’ kam.

Seine Geschichte ist ein Sinnbild, was der Krieg anrichtet und wie grausam er ist.

Es gab mehrere solche Männer, und ganze Besatzungen, denen solch ein Schicksal zuteil wurde.
 

Eugene Davis hörte von ihm, als er und seine Männer während einer Notlandung aus Spritmangel auf dem Flugfeld der 95th Bomber Group in Horham landeten.

Liberty Lilly kam aus Italien zurück und die dreihundertzweiunddreißigste Staffel aus Donthorpe hatte auf dem Rückweg nach England Stuttgart bombardiert. Mit den letzten Spritreserven schwebten sie auf die Landebahn in Horham ein. Die Maschine trug viele Flaklöcher, ein zerschossenes Höhenleitwerk und einen qualmenden rechten äußeren Motor davon, und die Mechaniker wollten sie über Nacht dabehalten.

Später im Offizierskasino traf Davis auf William Charles, einen Navigator der 336th Bomber Squadron.

Er erzählte:
 

Es war in einer Nacht Mitte Februar des Jahres 1944.

Ich und meine Männer waren drauf und dran ins Bett zu gehen. Ein paar hatten es sich schon auf ihren Pritschen bequem gemacht. Einer las, der andere hatte sein Radio leise aufgedreht und gedämpfte Tanzmusik erfüllte den Raum.

Gerade als wir das Licht ausschalteten, ging die Tür zur Baracke plötzlich auf und eine Ordonnanz streckte ihren Kopf herein. In der Hand eine Taschenlampe, die große Kreise auf den Boden und die Wände warf.

„Ist hier noch eine freie Pritsche? Wir haben einen Neuankömmling und er braucht einen Platz zum schlafen.“

Ich sagte ihm, das Bett neben mir sei noch frei. Die Ordonnanz machte eine Handbewegung nach draußen und der Neue trat ein. Ich bot ihm an, ihm beim auspacken zu helfen, doch er lehnte ab.

„Nein, danke. Ich mach’ das morgen. Ich bin ziemlich müde.“ Er lächelte. „Ich glaube, ich hau’ mich aufs Ohr.“

Ich bekam nicht einmal sein Gesicht richtig zu sehen, das Licht war zu fahl. Er nahm die Pritsche neben mir, erklärte kurz, dass er ein Ersatz-Navigator war und dass seine Name Spencer war. Er legte sich hin, und auch der Rest meiner Besatzung ließ sich wieder nieder.

Ungefähr zwei Uhr früh am nächsten Morgen: Wir wurden von derselben Ordonnanz geweckte, die am Abend den Ersatz-Navigator hereingebracht hatte.

„Lieutenant Spencer,“ sagte er. „Sie kommen mit mir. Wir brauchen einen Navigator für den heutigen Einsatz und Sie sind auf der Liste um zu fliegen.“

Lieutenant Spencer zog sich an und verließ die Baracke, um zum Frühstück und dann zum Briefing zu gehen.

Als ich und meine Besatzung dann aufstanden, bemerkte ich Spencers brandneue A-2 Leder-Fliegerjacke die auf dem Bett lag. Sie hatte seine Initialen und die letzten vier Nummern seiner Seriennummer, die jeder Mann mit der Grundmusterung bekam, eingestempelt.

Später am Tag. Die meisten Besatzungsmitglieder, die nicht in der früh für die Tagesmission geweckt worden waren, fanden sich an der Flightline ein, um den zurückkehrenden B-17 zuzusehen.

Wir merkten schnell, dass die Mission eine harte gewesen sein musste. Vier oder fünf Maschinen waren vermisst, mehrere andere landeten mit zerschossenen Motoren und ihren Propellern auf Segelstellung.

Wir hörten später, dass Lieutenant Spencers B-17 eine der vermissten war. Sie wurde über dem Ziel von der Flak getroffen und schmierte ab.

Der arme Kerl hatte nur eine einzige Nacht als Mitglied der 95th Bomber Group in Horham verbracht, und von diesem Tag an war er als ‚Der Mann, der zum Frühstück kam’ über die Grenzen der 95th bekannt.
 

William Charles hat, als die Flugplatzkommandantur Spencers persönlichen Sachen abgeholt hat, um sie seiner Familie heimzuschicken, dessen A-2 Lederjacke heimlich zurückbehalten. Sie wird heute im Memorial Air Museum in Framlingham, dem ersten Flugfeld der 95th in Suffolk, England, ausgestellt.

Zurück

„Noch ein Stück Kuchen, Junge?“ Meggie Winterbotham stellte einen Teller mit einem großen Stück Sandkuchen vor Verge auf den Tisch und lächelte ihn an. Sam raschelte unwillig mit der Zeitung und linste über die Blätter hinweg. „Willst du mir keins geben, Frau?“

Meggie grinste. „Warte ab, erst darf der Junge sich sattessen.“

Verge zwinkerte Sam zu und nahm gleich das ganze Stück in die Hand. Die englische Sitte, mit winzig kleinen Kuchengabeln auf Kuchenstücke einzudreschen, wobei einem doch immer die Hälfte wieder auf den Teller zurückfiel, konnte ihm gestohlen bleiben. Aber den Tee trank er. Sogar mit Milch.

Vor drei Tagen waren sie aus Italien zurückgekehrt, in Horham gelandet, weil ihnen der rechte äußere Motor zerschossen worden war und sie Benzin verloren hatten, und am nächsten Tag wurden sie mit einem Laster nach Donthorpe zurückkutschiert. Ohne Flugzeug. Als Verge an den nächsten Einsatz dachte, lief ihm kalt den Rücken hinunter, denn sie sollten eine Ersatzmaschine fliegen. Wie alle Flieger war er unglaublich abergläubig. Und diese Ersatzmaschine hatte einen schlechten Ruf, falls man bei einem Flugzeug davon sprechen konnte. Die letzten beiden Kugelturmschützen waren entweder verletzt, oder getötet worden. Verge wurde flau im Magen, wenn er daran dachte, in einem Kugelturm zu sitzen, an dessen selber Stelle kurz zuvor jemand in Stücke geschossen worden war. Er warf einen Blick auf den Kuchen in seiner Hand, dann auf Meggies forschenden Blick und er wusste, dass er sich seinen Gedanken hingegeben und abwesend gewesen war. Er nahm schnell einen Bissen Kuchen.

Sam blickte Meggie fragend an, doch die schüttelte nur den Kopf. Lass den Jungen in Frieden, sollte das heißen.

Verge bemerkte nichts von dem Blickwechsel der beiden älteren Leute und aß seinen Kuchen. Seine Gedanken schweiften wieder ab. Dieses Mal fragte er sich, was Chase und Erica gerade trieben.
 

Beide lagen auf dem Rücken im Gras. An einem kleinen See am Rande des Wäldchens hinter der Winterbotham-Farm. Ihre Hände berührten sich sacht, ihre Finger spielten miteinander. Die Sonne brannte auf sie herab, die Luft war warm und über dem See zogen ein paar Libellen ihre Runden. Hin und wieder tauchte die Rückenflosse eines Fischs an der Wasseroberfläche auf, deren Besitzer jedoch kein Glück beim Libellenfang hatte. Chase hatte eine Angel im Dorf ergattern können. Diese hatte er am Rand des Sees in einer Art Halterung befestigt und hoffte, dass etwas anbiss, doch er widmete ihr keine Aufmerksamkeit. Es gab im Moment Wichtigeres als angeln.
 

Sophie öffnete die Tür einen Spalt und linste hinaus. Sie sah ihn da stehen, im grellen Sonnenlicht, in seiner olivfarbenen Uniform, die Mütze auf dem Kopf. Zuerst glaubte sie an eine Erscheinung, dass ihre Augen ihr einen Streich spielten. Doch dann sagte er leise Hallo. Er, mit seiner tiefen Stimme. Und sofort sah sie sein Gesicht wieder vor sich, obwohl er gegen die Sonne stand und sie es nicht erkennen konnte. Sein braungebranntes Gesicht, mit den vielen Lachfältchen um die Augen und dem etwas zu breiten Mund.

Mit einem Aufschrei stürzte sie ihm entgegen, die Tür rumste gegen die hintere Wand. Mit einem Lächeln stand Miss VanOlden, der das Haus in dem Sophie ihr Zimmer hatte gehörte, hinter der Gardine und beobachtete das Wiedersehen der beiden.

Sophie nahm ihr Gesicht aus seiner Uniformjacke und sah ihn an. Mit großen Augen, die das vergebliche Warten der letzten Tage noch zeigten. „Ich hab gedacht, du bist tot“, flüsterte sie und ihre Stimme klang erstickt. Er sagte nichts, nahm sie nur fester in den Arm, dann hob er ihr Gesicht und küsste sie.
 

In einem ausgeliehenen Jeep bretterten sie über die Landstraße in Richtung des Dörfchens Donthorpe Abbotts, das etwa drei Kilometer vom Flugplatz entfernt lag. Laut pfeifend saß Curtis am Steuer und hielt das Lenkrad mit einer Hand fest. Neben ihm fläzte Matt auf dem Beifahrersitz und rauchte. Sie hätten noch Platz für zwei weitere Mitfahrer gehabt, aber als Curtis als Fahrer erwähnt wurde, war die Nachfrage plötzlich stark zurückgegangen. Mochte aber auch daran liegen, dass auf dem Flugplatz reger Betrieb herrschte, weil neue Maschinen eingetroffen waren. Lilly war noch nicht zurück, sie stand immer noch in Horham und bekam einen neuen Motor eingebaut. Falls sie vor morgen oder übermorgen fertig wurde, würde Davis in einer zweisitzigen Maschine hinübergeflogen werden und sie abholen. Falls sie nicht fertig wurde, würden sie in einer Ersatzmaschine ihren nächsten Einsatz fliegen. Auch Matt grauste es davor. Ersatzmaschinen waren verhasst und verflucht, vor allem die, die ihnen zugeteilt worden war.

Als sie ins Dorf rumpelten und vor dem ‚Black Bull’ Pub hielten, stand eine Gruppe kleiner Kinder plötzlich vor ihrem Jeep und schaute sie mit großen, bittenden Augen an. „Mensch, wo kommen die denn her?“ Matt warf Curtis einen Blick zu, der jedoch nur die Schultern zuckte und ein Kaugummipäckchen aus der Tasche holte. Er warf es den Kleinen zu, die begeistert nach mehr fragten. Auch Matt leerte seine Taschen und entledigte sich seiner zahlreichen Schokoriegel und Kaugummipacken. Anscheinend waren sie damit zufriedengestellt, denn die kleine Gruppe zerstreute sich so schnell, wie sie gekommen war.

Matt und Curtis traten über die Schwelle des Pubs und nahmen sich einen Tisch vor dem Tresen. Die Stimmung war gut, nicht so wie zur Anfangszeit der US Army Air Force in England. Damals als die ersten Truppen über den großen Teich geschickt wurden und in England ankamen, wurden sie nicht sehr freundlich empfangen. Die Briten waren der Meinung, die Amerikaner wären nur in den Krieg eingetreten, weil die Japaner sie so hinterrücks in Pearl Harbor überfallen hatten, und dass sie sie sonst allein gelassen hätten.

Schon im ersten Krieg zu spät gekommen und in diesem schon wieder, war eine häufige Meinung der älteren Generation Briten, die schon den Ersten Weltkrieg miterlebt hatten.

Die Kinder waren dagegen begeistert, hatten die ‚Amis’ doch immer Schokoladen oder sonstige Süßigkeiten für sie dabei.

Viele Leute in kleineren Dörfern, insbesondere Familienväter, sorgten sich um ihre Töchter, denn die Amis waren als Schürzenjäger, die mit Geld nur so um sich schmisse, verschrien.

Aber die Meinungen hatten sich geändert, spätestens seit der Invasion in Frankreich, und die Leute mussten erkennen und eingestehen, dass die Amerikaner keine Leute waren, denen man misstrauisch begegnen oder sie gar meiden musste. Und auch Matt und Curtis waren nach der kurzen Zeit in Italien froh wieder in England zu sein.

„Auch wenn das Bier lauwarm ist und wie Pferdepisse schmeckt“, murmelte Curtis und nahm einen tiefen Schluck.

Abgeschossen

Gebeugt hing er über dem Norden-Bombenzielgerät. Unter ihm rasten die hellgrünen Felder Nordfrankreichs dahin, und wechselten sich ab mit braunen und dunkelgrünen Flecken, die Wälder sein mochten. Dann kam ein Bauernhof in Sicht, und kleine dunkle Flecken auf den hellen Feldern, es konnten Rindviecher sein. Er fühlte sich an zuhause erinnert, denn da standen auch die Kühe vor der Farm auf den Feldern und käuten so seelenruhig wieder, als gäbe es sonst nichts zu tun.

Gorksy rückte seine Sauerstoffmaske zurecht, wischte sich über die Stirn. Sie waren auf achttausend Metern Höhe und er schwitzte, wie immer wenn es auf den Bombenzielanflug zuging. Seine Hände in den Handschuhen waren feucht, die Handschuhe wurden klamm. Außen kalt, innen warm. Es passte nicht so recht zusammen. Er warf einen Blick auf Chase am Kartentisch, der ebenso wie er selbst mehr zu tun bekam, wenn es aufs Ziel zuging. Er fragte immer wieder Don am Funkgerät nach Angaben und zeichnete sie auf seine Karten ein, dann rechnete er Ankunftszeit aus, die Höhe, Windgeschwindigkeiten, schrieb Positionen auf. Er war so beschäftigt, dass er seine Spucktüten völlig vergaß. Gorksy dankte Gott im Stillen, denn hin und wieder war der Gestank hier vorne so schlimm, dass er sich in Richtung Rumpf verdrücken musste. Natürlich erst, wenn der Zielanflug vorbei war.

Bisweilen nahm Chase dann seine vollen Tüten, wanderte nach hinten und schmiss sie aus dem Bombenschacht. Seine wage Hoffung war, dass vielleicht irgendwann einmal ein deutscher Flakschütze das Ding auf den Kopf bekommen könnte.

Ihr heutiges Ziel kannten sie nicht mit Namen. Bei der Besprechung waren nur die Koordinaten und die Route angegeben worden. Liberty Lilly, deren Crewmitglieder schon als alte Hasen galten, war heute Führungsflugzeug und Chase somit Lead-Navigator. Das war ihm schon von Beginn an auf den Magen geschlagen und noch bevor sie über Splasher Six, dem Funkfeuer, welches für Donthorpe zuständig war, und am Sammelpunkt mit den Maschinen der anderen Staffeln zusammentrafen, waren die ersten beiden Tüten voll und wurden aus der vorderen MG-Luke entsorgt.

Chase holte sich die Positionsangaben zu Beginn der Mission alle paar Minuten, er war erst zum zweiten Mal der Navigator der Führungsmaschine und damit für alles verantwortlich. Danach etwa alle zwanzig Minuten und er konnte sich ein bisschen entspannen. Der Schweiß rann ihm trotzdem in Strömen den Rücken hinunter.
 

„Navigator an Pilot. Überfliegen Küste bei Le Havre. Kurs fünfundvierzig Grad nach links schwenken.“

„Alles klar, Navigator. Kurs fünfundvierzig Grad links.“

Sanft hob sich die rechte Tragfläche der B-17 und die ganze Formation begann sich leicht nach links zu verschieben. Sie kreuzten die französische Küste ein paar Meilen westlich von Le Havre, das erst vor kurzem von amerikanischen Truppen eingenommen worden war. Noch Anfang September wurde die Stadt bombardiert und nahezu zerstört. Sie überflogen die zerbombte Stadt weiter nach Süden, als sie die ersten Flaknester erwischten, deren deutsche Schützen wohl auch bald den Rückzug ins ‚Vaterland’ antreten mochten. Der ganze Himmel war plötzlich von den schwarzen verpuffenden Wölkchen erfüllt.

„Heck an Pilot. In der oberen Staffel scheint’s Probleme zu geben.“

Zustimmendes Gemurmel von allen Seiten, die freie Sicht auf die obere Staffel hatten. Thomps räusperte sich, war sich zuerst nicht sicher, doch dann erkannte er die Ursache. „Feindjäger auf sechs Uhr hoch. Sie beharken die oberen Forts.“

Eine B-17 torkelte plötzlich vorbei, drehte sich in immer schneller werdenden Spiralen wie ein Kreisel um sich selbst,

„Aussteigen, los Jungs…“ hörten sie jemanden murmeln, wieder und wieder, wie eine Beschwörungsformel. Doch die G-Kräfte waren zu stark um aus der Maschine herauszukommen. Plötzlich entfaltete sich doch einer, dann noch ein zweiter und dritter Fallschirm. Wie die drei Männer es aus der Fortress geschafft haben würde ein Rätsel bleiben. Die Maschine schlug auf einem Feld auf. Ein Feuerball.

„Drei Fallschirme, Aufschlagort, etwa fünfzig Meilen südlich von Le Havre“, gab Chase an Don durch, der es in sein Logbuch eintrug.

Plötzlich begannen die MGs im Heck zu hämmern, Matt und Curtis drehten gleichzeitig ihre Geschütze heckwärts.

„Sie kommen links vorbei. Matt!“

„Ich seh’ sie.“
 

Seine Stimme ist ganz klar, ebenso wie alle seine Sinne wach sind. Mit beiden Händen am Maschinengewehr, und mit seinen Augen, die am Himmel kleben, steht er im Rumpf und beobachtet, wie zwei kleinen Silhouetten langsam auf ihn zukommen. Sein Blick klebt knapp über dem Lauf des MGs und er meint, seine Augen seien sein Visier.

Er sieht die schmalen Rümpfe der Focke-Wulfs mit ihren bulligen Schnauzen. Sie sind hell- und dunkelgrau-gescheckt lackiert und ihre Kabinenhauben blitzen in der Sonne, werfen dem dunkelgrünen amerikanischen Bomber kleine Lichtreflexe entgegen. Auf achttausend Meter hängen keine Wolken, die die Sicht behindern könnten.

Er zieht die Augenbrauen zusammen, als die Maschinen einen leichten Schwenker vollführen und nun schräg anfliegen. Ihre Tragflächen stehen beinahe vertikal und plötzlich feuern deren MGs los. Im gleichen Moment zieht auch er den Abzug. Das Geschütz schlägt aus, lässt seinen ganzen Körper erbeben. Die roten Leuchtspurgeschosse greifen wie die gierigen Finger einer Hand nach den kleinen Focke-Wulf. Und aus deren Tragflächen schießt ihm das gleiche heiße Blei entgegen.

Es kracht, als die Geschosse in die Außenhaut der Maschine einschlagen und das Aluminium aufreißen. Er äugt kurz in die Richtung der einschlagenden Geschosse und seufzt. Dann wendet er seinen Blick wieder nach draußen. Wieder krümmt sich sein Zeigefinger um den Abzug, visiert den Rottenflieger der ersten Focke-Wulf an. Die Geschosse treffen das Flugzeug, Teile fliegen davon. Doch wieder lässt ein Geschosshagel die B-17 erbeben, dieses Mal scheint es von der anderen Seite zu kommen.

Aber da sieht er plötzlich wie Motor Nummer 1 Rauch zu spucken beginnt.
 

„Verdammt“, schimpfte Davis, als er die Einschläge von hinten hört. Zuerst hörte es sich nur so an, als würde jemand Steine gegen die Außenhaut werfen. Aber das vielstimmige Geschrei und Gefluche in der Bordsprechanlage teilte ihm etwas anderes mit.

Dann meldete Thomps plötzlich den rauchenden ersten Motor. Davis riss seinen Kopf nach links und erstarrte, den er erkannte eine weitere Rotte deutscher Jäger, die auf sein Flugzeug ansetzte. ‚Die wittern Blut,’ schoss ihm unwillkürlich durch den Kopf. Noch keine Flammen zeigten sich, doch Davis war schlau genug, nicht darauf zu warten und drückt den Feuerlöschknopf. Anscheinend musste es im inneren des Motors zu schmoren begonnnen zu haben, denn plötzlich entwich eine dicke Wolke weißer Rauch. Davis stellte den Motor auf Segelstellung.

„Wie schaut es mit dem Sprit aus?“ fragte er Gunny.

„Reicht locker für den Heimflug“, meinte dieser.

Fünf Minuten später seufzt er. „Wir haben ein Loch im Tank. Die Nadel fällt.“

„Die Selbstdichtungstanks?“

„Anscheinend versagt.“

Davis schlug wütend gegen die Steuersäule und fluchte.
 

Der nächste Angriff ließ nicht lange auf sich warten. Eine neuerliche Attacke erfolgte von oben und erwischte Motor 4, den rechten äußeren. Es schien Davis noch kein Grund zu großer Sorge, waren doch schon viele Maschinen so wieder heimgekehrt, ein paar wenige sogar auf dem letzten Motor, doch sie befanden sich gerade einmal im Bombenzielanflug. Wäre es der Heimflug gewesen, wäre ihm nicht der Magen in die Kniekehlen gerutscht.

Und mit zwei Motoren fiel er jetzt auch deutlich zurück und musste seine Position als Führungsmaschine abgeben.

„Hier spricht Liberty Lilly, wir sind getroffen. Mount ’N Ride ihr seid die Führungsmaschine, sobald wir das Ziel bombardiert haben.“

Er konnte das entsetzte aufstöhnen der Besatzungen der anderen Maschinen beinahe hören. Sie konnten nicht glauben, dass es die Maschine, die die grässlichsten Einsätze überlebt hatte, bei solch einem Einsatz verloren gehen sollte.

Der Pilot von Mount ’N Ride bestätigte und seine Stimme klang angespannt. Er wünschte ihnen viel Glück.
 

„Navigator? Position?“

„Ziel in zwei Minuten. Bereit an den Bombenschützen zu übergeben?“

Davis bestätigte.
 

Über dem Ziel hagelte es Flakgeschosse. Der Himmel schien zu brennen. Es gab keine Wolken, zumindest keine, die natürlicher Herkunft waren. Eine dicke schwarze Wolke hing im Weg, denn gerade war eine Maschine explodiert und hatte nichts hinterlassen, als ein paar Trümmerteile und zerfetztes Material, das so klein war, das es nun wie Schnee zu Boden glitt.

Davis schwitzte unter seiner dicken Lederjacke. Er fragte sich wohin der Schweiß noch wollte, denn es kam ihm so vor, als schwitze er schon seit dieser verdammte Einsatz begonnen hatte. Er mochte nicht wissen, wie seine Crew dran war. Vor allem die Rumpfschützen bekamen es heute von allen Seiten ab.

Die Motoren zwei und drei liefen regelmäßig, die Nadeln standen im grünen Bereich und es gab keinerlei Anzeichen einer Überhitzung. Die beiden anderen Luftschrauben standen auf Segelstellung, um keine wichtige Geschwindigkeit wegzunehmen.

Sie warfen die Bomben, flogen die Wende und machten, dass wie wegkamen, denn die nächsten Jäger lauerten sicher irgendwo. Die Hauptformation setzte sich ab, ließ Liberty Lilly zurück.
 

Ein paar Meilen bevor sie die normannische Küste kreuzten und die Heimat schon so nahe lag, da begann der rechte innere Motor zu husten. Davis schaltete ihn ab, er konnte nichts tun, denn der rechte Flügeltank war bis auf den letzten Tropfen leer. Durchlöchert von deutschen Maschinengewehrgeschossen, und die lebenswichtige Substanz über dem feindlichen Himmel war so schnell verronnen, wie das Regenwasser im sommerlichen trockenen Boden versickerte.

Davis atmete tief durch und dachte darüber nach, wie er seine Besatzung auf das Kommende vorbereiten sollte.

Er verlor keine Worte, und sagte es ihnen direkt. Sie sollten sich bereitmachen, auf dem Kanal notzulanden. Doch vorher ließ er alles Überflüssige hinauswerfen. Munition, MGs, sogar das Norden-Bombenzielgerät wurde durch die Luke gekippt und verschwand auf Nimmerwiedersehen im schimmernden Wasser des Kanals. Das große Schlauchboot wurde vorbereitet, lag zusammengefaltet im Rumpf.
 

Langsam, wie in Zeitlupe, schienen sie auf die Wasseroberfläche zuzuschweben. Davis hielt die Steuersäule umklammert und Gunny traf die nötigen Vorbereitungen, wie, die Landeklappen auszufahren und die Motoren zu drosseln, um so langsam wie möglich aufzusetzen. Es gab keine andere Möglichkeit mit drei zerschossenen Motoren, und einem vierten, der gerade begann immer wieder kleine Aussetzer zu haben. Es hätte vielleicht eine Möglichkeit gegeben, wäre da nicht der leere Tank gewesen.

„Motor vier stirbt ab“, sagte Gunny und richtete seinen Blick aus dem Fenster.

„Auf Segelstellung“, sagte Davis.

Sie wurden noch langsamer und es wurde gespenstisch still. Nur das Heulen des Fahrtwindes war noch zu hören. Seine Mannschaft saß bereits zusammengekauert neben Thomps’ Geschützstand, um nach der Notwasserung gleich durch die Ausstiegstüren nach draußen zu verschwinden.

„Haltet das Schlauchboot bereit“, sagte Davis.

„Das war jetzt das dritte Mal, Skipper. Wir haben das blöde Ding schon lange in der Hand, und die Flaschen zum aufblasen dazu, “ murmelte Danny unwillig und schob Matt, der auf seinem Fuß saß, ein Stück beiseite. Davis nickte langsam, dann schickte er Gunny zu der Crew nach hinten.
 

Das Flugzeug schaukelte hin und her. Es fühlte sich an wie ein langsames schweben mit dem Floß zuhause auf dem Rain River. Die Nase senkte sich nach unten und die Maschine wurde schwer in meinen Armen. In dem Moment, als sich das Flugzeug nach unten senkte, da versuchte ich Motor vier wieder zu starten, denn wenn der Sprit nach vorne lief, könnte sich noch etwas in der Ansauganlage ansammeln. Es klappte, doch für höchstens zehn Sekunden. Das Flugzeug hob sich noch einmal an, die Nase zeigte ein Stück gen Himmel, wo breite Kondensstreifen verliefen und die Richtung in die Heimat anzeigten. Unsere Kameraden waren wohl schon längt über englischem Boden, während wir auf dem Kanal bleiben würden. Hinten mochte sich durch den wiedererwachten Motor kurz Hoffnung breit gemacht haben, die nun jedoch wieder erlosch.

Ich bat Don, der noch auf seinem Sitz saß, eine Positionsangabe an die Seenotrettung durchzugeben. Er bestätigte sie mir.

Dann machte ich mich bereit notzuwassern und informierte die Crew.

Das Flugzeug war jetzt so langsam, das es beinahe unmöglich schien, dass wir noch in der Luft waren. Es brachen die letzten Sekunden für Liberty Lilly an und ich zog ihre Nase ein Stück nach oben.

Mit einem Klatschen landete das Heck auf dem Wasser und bremste die ganze Maschine so abrupt ab, dass ich vorne auf der Steuersäule aufschlug. Hinten rumpelte es und alles mochte durcheinander fliegen. Doch der Rumpf war noch in der Luft und senkte sich nun majestätisch langsam, wie ein Wal, der sich aufbäumte, aufs Wasser. Es klatschte und wir lagen still. Wellen schlugen gegen die Außenhaut und ließen die Illusion einen Schiffsinneren entstehen.

Mir war schwindelig und ich konnte nichts sehen, weil mir Blut von meiner aufgeschlagenen Stirn in die Augen lief. Hinten wurden Stimmen laut. Meiner Crew ging es also gut. Irgendwer brüllte meinen Namen, und ich antwortete. Ich lehnte mich zurück und schloss die Augen, um kurz zu verschnaufen.

Leuchtspuren

Das Wasser war so verdammt kalt. Wie tausend Spitzen bohrte es sich in seinen Körper. Gunny ächzte, als er Davis schweren Körper aus dem Rumpf der B-17 zog, die wie ein riesiger Vogel mit ausgebreiteten Flügeln, bewegungslos auf dem Wasser lag. Die Wellen schwappten mit einem leisen Glucksen gegen den dunkelgrünen Rumpf.

Das große Schlauchboot lag aufgeblasen auf dem Wasser und dümpelte vor sich hin. Die Männer saßen mit angewinkelten Beinen darin, Verge hielt sich und damit das ganze Schlauchboot noch am Rumpf fest, damit Gunny Davis mit viel mühe aus der Luke ziehen konnte. Er war noch immer bewusstlos, sein Kopf hing ihm auf der Brust. Verge griff nach Gunnys Uniformjacke, als er Davis über die Tragfläche ins Schlauchboot hieven wollte und ins Wasser zu fallen drohte. Gemeinsam zerrten sie ihren Skipper ins Boot. Chase und Curtis, die sich zuvor jeweils ein Stück losgeschossenes Aluminium von der Außenhaut weggerissen hatten, begannen langsam von ihrem treuen Flugzeug wegzurudern. Die Tragflächen begannen zu sinken, und der Rumpf lief voll Wasser. Es gluckerte rund um das Flugzeug, als die Luftblasen von innen herausgedrückt wurden.

„Sie hält sich lange“, sagte Danny plötzlich. „Als würde sie nicht aufgeben wollen.“

„90 Sekunden, sagt man, hält sich ein Flugzeug auf dem Wasser“, murmelte Gorsky.

Sie ruderten langsam weiter, immer Richtung Norden. Nur nicht nach Süden, um womöglich in eine Strömung zu geraten und in Richtung der norddeutschen Inseln zu geraten.

Davis rührte sich plötzlich, er wischte sich mit seiner Hand übers Gesicht. Doch Das Blut hatte Gunny schon weggewischt und den Riss mit einer Binde verbunden.

Er richtete sich halb auf, blickte über den Rand des Schlauchbootes hinweg zu Liberty Lilly. Er fühlte, wie seine Augen nass wurden und er um sein verlorenes Flugzeug trauerte. Er wusste auch, dass es gut so war, wie es abgelaufen war. Dass alle seine Männer gesund waren, und nur das Flugzeug verloren war. Doch sie war immer bei ihnen gewesen, hatte sie durch achtzehn Einsätze getragen, und beim neunzehnten hatte sie ihr Glück verlassen.

Er warf einen Blick auf die Männer seiner Besatzung, und erkannte, dass sie wahrscheinlich das gleiche dachten. Leise stimmte er einen alten Schlager an, krächzte die Töne beinahe, doch seine Mannschaft hielt auch dieses Mal zu ihm.

„Pack up all my cares and woes, here I go, singing low, bye-bye blackbird. Where somebody waits for me, sugar’s sweet, so is she…” Sein Blick wanderte über seine Männer.

“Bye-bye, blackbird…,” stimmten sie ein.
 

Jamie Hayes wartete auf sein Flugzeug, so wie alle anderen Mechaniker, die am Platzrand standen, oder im Gras lagen. Mit verschränkten Armen stand er bei George Pattinson, dem Chefmechaniker von Mount ’N Ride. Beide Männer hielten halb herunter gerauchte Zigaretten zwischen den Fingern und sogen daran, während sie die Ohren spitzten, um das kleinste Geräusch aufzunehmen. Das Dröhnen der Bombermotoren, das schon weithin hörbar war, auch wenn die Maschinen noch nicht in Sicht waren.

Zu Jamies Füßen lag der schwarze Labradorwelpe, den Verge von einem seiner Besuche auf dem Bauernhof der Winterbothams mitgebracht hatte. Er hörte mittlerweile auf den Namen Henry und war genau auf die ankommenden Bomber ausgerichtet. Ganz besonders auf Liberty Lilly, die Maschine seines Herrchens. Instinktiv wusste das kluge Tier, wann sie kam. Dann sprang er auf und stellte sich neben Jamie und kläffte begeistert.

Im Moment lag Henry seitlich im weichen Gras und schnarchte vor sich hin. Irgendwann begannen seine Ohren zu zucken und seine schönen dunklen Augen öffneten sich. Mit einem Satz war er auf den Beinen und stand mit wachsam aufgestellten Ohren neben Jamie, der amüsiert auf ihn hinunterblickte.

„Sie kommen zurück“, sagte er zu George gewandt.
 

Die Maschinen begannen den Landeanflug, eine nach der anderen. Jamie zählte gespannt die herankommenden B-17, doch schon als Henry, nicht wie sonst aufgeregt um seine Beine herumsprang, sondern still neben ihm stehen blieb und die landenden Flugzeuge beäugte, begann sich ein flaues Gefühl in ihm auszubreiten.

Mount ’N Ride landete als eine der ersten Maschinen, nach drei anderen, die Verwundete an Bord hatten und denen deswegen Vorrang gewährt wurde, und taxierte ihren Parkplatz an. George war sofort bei seiner Maschine und wies den Piloten ein, dann drosselte der Pilot die Motoren, die schließlich verstummten. Unter dem Cockpit ging die Klappe auf und der erste Mann erschien. Es war der Pilot. Er sprach ein paar Worte mit George und schritt dann auf Jamie zu. Schon nach einem Blick in dessen Gesicht, erkannte Jamie, was geschehen war. Henry blieb stocksteif neben ihm stehen, denn die letzte Maschine war soeben gelandet, mit schweren Beschussschäden. Jamie hätte laut aufschreien können, als er in die braunen Augen des Hundes blickte, die ihn scheinbar vorwurfsvoll anblickten.

„Wie ist es passiert?“ fragte Jamie. „Habt ihr ihn runtergehen sehen?“

Der Pilot von Mount ’N Ride blickte ihn an, um seine Augen zeichneten sich viele kleine Fältchen ab, er wischte sich über die Stirn. „Über dem Ziel wurde die Maschine schwer getroffen. Lieutenant Davis gab seine Führungsposition an meine Maschine ab, doch er flog den Bombenzielanflug mit und sein Bombenschütze warf die Dinger mittenrein. Danach flog die Formation die Wende. Davis hatte zwei zerschossene Motoren, und wir wurden weiter von Jägern beharkt.“ Er zog sich seine Mütze vom Kopf und fuhr sich durch die Haare. „Ich habe keine Ahnung, ob oder wie weit, sie es geschafft haben.“

Jamie nickte, dann schritt er zurück zum Hangar, um sich dort Arbeit zu suchen und den anderen Männern zu helfen. Henry gab einen lauten Kläffer von sich und lief Jamie nach.
 

Das Schlauchboot glitt auf den Wellen dahin. Kleine Wellen klatschten gegen die Wand, und spritzten hie und da leicht ins Innere. Matt schimpfte über seine nassen Füße, und redete auf Curtis ein, dass der ihm doch seine trockenen Socken geben mochte.

„Selbst schuld“, murmelte Curtis gereizt und zündete sich eine Zigarette an.

Davis lag auf dem Rücken, und sein Kopf schmerzte, trotz der Morphiuminjektion, die Gunny ihm in den Arm geschossen hatte. Das ständige Auf und Ab tat seinem Magen im Moment gar nicht gut und er war mehrmals drauf und dran gewesen, sich über die Außenhaut des Bootes zu beugen. Verge hatte sein Schnitzmesser in der Hand und hielt einen kleinen Holzblock in der Hand, an dem er herumschnitzte.

„Ich frage mich, wie du noch Platz findest, Holz in deine Taschen zu stecken“, stichelte Matt.

Verge zuckte die Schultern.

„Gib’ mal her, “ sagte Matt. „Schwimmt sicher gut. Kleben wir noch eine Nachricht dran, damit uns vielleicht doch noch jemand findet.“

Verge hielt das Stück Holz schnell außer Reichweite, doch Davis kam ihm zuvor und blaffte Matt von unten her wütend an. Matt gab schließlich klein bei und ließ Verge weiterschnitzen. Die Stimmung war eisig, und das nicht nur wegen des kühlen Windes, der über den Kanal pfiff. Die Männer zogen ihre Jacken enger.

„Englisches Mistwetter“, murmelte Matt.

Don und Gorsky sahen sich an und verdrehten die Augen. Der Rest ließ sich zu keiner Antwort oder Entgegnung herab.

„Was erzählen wir Jamie Hayes, was mit seinem Flugzeug passiert ist, wenn wir wieder zurückkommen?“ fragte Thomps, versuchte zu grinsen, doch es wurde nur eine Grimasse.

„Wir sagen, dass wir schon immer lieber zur Navy gegangen wären“, grummelte Danny und blickte auf die grauen Wellen, unter denen ihre treue Maschine schon vor mehr als zwei Stunden verschwunden war.
 

Jamie konnte nicht glauben, dass Liberty Lilly mit seiner Besatzung einfach so verschwunden sein sollte. Auch von den Seenotstellen war bisher keine Nachricht eingetroffen, falls die Maschine notgewassert war. Weder von dort, noch von irgendeiner anderen Basis kam Nachricht. Er konnte nichts tun, außer zu warten.

Der Welpe Henry lag neben ihm auf dem Hallenboden, den Kopf auf den Vorderpfoten, und schaute aus dem Hallentor zu den geparkten B-17.

Es war bereits später Nachmittag, die Maschinen waren gewartet, aufmunitioniert und geflickt worden und warteten auf ihren nächsten Einsatz. Nicht so wie Lilly.

Jamie warf den Schraubenzieher wütend auf den Boden und fluchte. Er wusste, er sollte es sich selbst verbieten einer Maschine und seiner Besatzung so hinterher zu trauern, denn es passierte tagtäglich das gleiche, auf jedem Flugplatz in England. Davis und seine Männer hätten doch nur noch sechs Einsätze zu fliegen gehabt. Hätten, würden, könnten… Jamie warf einen Blick nach draußen und legte sein restliches Werkzeug zur Seite. Er pfiff Henry hinter sich her und schlenderte langsam zur Kantine.
 

Dannys gleichmäßiges Schnarchen drang an seine Ohren. Davis öffnete seine Augen, rieb sich kurz übers Gesicht und beugte sich dann über die Außenhaut des Schlauchbootes. Die Sonne stand bereits tief, bis sie ganz unterging würde es höchstens noch eine Stunde dauern.

Thomps hatte die ganze Zeit in der sie im Boot saßen noch kein Wort gesagt, doch plötzlich straffte sich sein Körper, der bisher noch zusammengesunken dagesessen hatte.

„Eugene, äh“, sagte er und verstummte wieder.

Davis nickte ihm zu.

„Land“, sagte Thomps und deutete nach Norden.

Im Schlauchboot brach plötzlich rege Geschäftigkeit aus, und es begann bedrohlich zu schwanken.

„Herrgott!“ schimpfte Matt, als Curtis gegen ihn prallte, dann schrie er auf, als das Boot plötzlich kippte. Mit einem lauten Platschen landete er im Wasser.

Danny wurde unsanft aus dem Schlaf gerissen und schaute verständnislos auf seine Besatzungsmitglieder, die sich gegenseitig herumschubsten.

„Ist hier eine Meuterei ausgebrochen?“ fragte er.

„An dir ist wirklich ein Matrose verloren gegangen“, grummelte Verge.

„Was ist mit der Leuchtpistole? Die mit den Erkennungsfarben für die Sammelpunkte?“ fragte Davis. Chase griff in die aufgesetzte Tasche seitlich an seiner Wade, dann erhellte sich sein Gesicht. Er hielt Davis die Leuchtpistole entgegen.

„Wie weit entfernt, schätzt du?“ fragte dieser.

Chase kniff die Augen zusammen. „Höchstens sechs Meilen.“

„Was ist mit den Rudern? Können wir nicht näher ran?“

„Aluminium ist auch nicht das, was es mal war. Die Dinger sind vorhin abgebrochen, “ sagte Curtis. Davis seufzte, dann lud er die Pistole mit einer roten Signalkugel. „Ohren zu!“ sagte er und feuerte. Die rote Kugel stieg hoch in die Luft und zog eine dünne Rauchspur hinter sich her. Am höchsten Punkt blitzte sie grellrot auf und blieb etwa fünf Sekunden so, bevor sie wieder hinab sank.

„Wie viele Kugeln haben wir?“

Chase beförderte den Inhalt seiner Tasche ans Tageslicht und zählte durch. „Vier gelbe, drei rote, eine grüne.“

„Wir schießen alle zehn Minuten eine rote, dann machen wir mit den anderen Farben weiter“, sagte Davis. „Und ab jetzt hoffen und beten wir, dass uns jemand sieht…“

Brandy und Zigaretten

Die erste rote Kugel schien ihr einfach wie Einbildung, so wie einem ab und zu ein Schleier über die Augen huschte. Ein paar Minuten später jedoch, erblickte sie die nächste rote Kugel.

Sie schirmte die Augen gegen die letzten paar Strahlen der untergehenden Sonne ab, um zu erkennen, ob es sich einfach doch nur um einen Lichtreflex handelte.

Sie stand auf, ließ ihre Angel in ihrer Halterung liegen und machte ein paar Schritte zum Wasser hin. Kleine Wellen brachen sich auf dem schmalen Stück Sandstrand, das sanfte Geräusch war ihr so vertraut. Aber irgendetwas war dort draußen. Sie wartete ab, bevor sie irgendetwas Unbedachtes tun konnte und womöglich falschen Alarm auslöste. Doch wer schoss mit roten Signalkugel, sofern es welche waren, wenn er nicht in Not war.

Da! Die nächste Kugel zischte in den dunkler werdenden Nachthimmel und verblasste wieder. In dem Moment wusste sie, dass dort draußen irgendwer war.

Sie ließ ihre Angel einfach liegen und lief zu dem kleinen Cottage, das vielleicht hundert Meter vom Strand weg an einem flachen Hügel lag.

„Vater!“ rief sie schon, als sie die Eingangstür öffnete. „Mach’ das Boot los.“

Niemand antwortete ihr und sie wandte sich zur offen stehenden Wohnzimmertür. Über einer Stuhllehne hängend erblickte sie ihre frisch gebügelte WRNS-Uniform, die ihr ihre Mutter dahingehängt hatte. Doch im Moment wollte sie nur ihren Vater finden, der das kleine Angelboot klarmachen sollte. Sie fand ihn schließlich schlafend im Sessel vor dem Kamin. Die offene Zeitung lag auf seinem Schoß.

„Vater“, sagte sie und rüttelte an seiner Schulter. „Du musst mir helfen. Irgendjemand ist auf dem Kanal und schießt mit roten Leuchtkugeln.“

Ihr Vater schrak hoch, die Zeitung rutschte zu Boden. „Isabel?“

„Komm!“ Sie stand schon im Türrahmen. „Du musst mir mit dem Boot helfen.“

Ihr Vater schaute verständnislos drein, stand aber auf und zog sich einen Pullover über. Dann folgte er seiner Tochter.
 

Das Boot war eigentlich nur zum angeln gedacht, und besaß nur einen kleinen nicht sehr starken Motor. Wenn man eng zusammenrückte, bot es vielleicht acht Personen auf dem Boden sitzend platz. Eine kleine Überdachung, war auf dem vorderen Teil des Decks angebracht.

Isabel saß vorne am Bug und blickte über das dunkle Wasser hinweg, als auf dem Kanal plötzlich eine gelbe Kugel aufflammte. Sie deutete nach vorn. „Dahin Vater!“

„Möchte bloß wissen, was das soll?“ knurrte Jack Webster, als er das Motorchen aufheulen ließ und auf die gelbe Kugel zuhielt, die eben wieder verschwand.

Es wurde schnell dunkel, die letzten Strahlen der Sonne waren längst verschwunden, und nur noch ein minimales helles Feld ließ erkennen, wo sie den Horizont hinabgesunken war. Schnell entfalteten sich unzählige Sterne auf dem dunklen Himmel. Ein dünner Sichelmond hing weit im Westen.
 

„Hört ihr das?“ fragte Don in die Stille hinein, die sich im Schlauchboot ausgebreitet hatte, als die Dämmerung herabsank und sie einhüllte.

„Motorengeräusch“, sagte Matt. „Wahrscheinlich die Briten in ihren Lancasters.“

„Hört sich aber nicht nach mehreren Motoren an,“ entgegnete Don.

Plötzlich flammte eine Lampe auf und beleuchtete das Wasser um das Schlauchboot. Alle zuckten zusammen, und Curtis, der in die richtige Richtung gewandt saß, erkannte in dem kurzen Moment die Silhouette eines Bootes, von dem der Lichtstrahl kam. Er sagte es Davis und der dankte Gott, dass er ein einsehen hatte. Danny hatte nämlich begonnen, sich im Viertelstundentakt über die Außenwand zu übergeben.

„Von wegen Navy und solcher Mist“, knurrte Danny, wenn er seinen Kopf wieder hob.
 

„Ich seh’ sie!“ rief Isabel über das Motorengedröhn hinweg.

„Wer ist ‚sie’? Und mach um Gottes Willen die Taschenlampe wieder aus, “ bekam sie zur Antwort. „Ich will keinen verflixten Seenotdienst am Hals haben.“

„Es ist ein Schlauchboot. Und mehrere Männer sind darin.“

Jack Webster erkannte das gelbe Schlauchboot in dem nächsten Taschenlampenstrahl, den seine Tochter über das Wasser schickte auch. Er wendete sein Boot dem anderen zu. Isabel reichte schon eine Hand über die Reling hinweg nach unten. Einer der Männer hielt sie fest. Ein anderer rief: „Gott sei Dank. Mein Magen ist nämlich schon ziemlich lange ziemlich leer.“

Jack Webster grinste vor sich hin und stellte den Motor ab. Die beiden Boote lagen jetzt Seite an Seite auf dem dunklen Wasser. Isabel riet dem Mann, sich an der Reling festzuhalten. Dann bat sie ihren Vater um ein Seil um das Schlauchboot festzubinden, damit es nicht abtrieb.

„Ihr seid Amerikaner?“ fragte Isabel, als ihr Vater ihr eine Öllampe reichte, deren Licht nicht ganz so grell war und so unnötige Aufmerksamkeit vermied.

„Ja“, antwortet einer der Männer. „Nur leider ist unsere Maschine abgesoffen.“

„Wie lange seid ihr schon hier draußen?“

Der Mann wandte sich seinen Kameraden zu, ein paar zuckten die Schultern.

Einer sagte: „Mindestens fünf Stunden. Uns ist saukalt.“

Isabel erkannte, das der Mann in mehrere Jacken gewickelt worden war und vermutete, dass er beim aussteigen aus dem notgewasserten Flugzeug ins Wasser gestürzt war.

„Ich bin Isabel“, erklärte sie dann. „Und das ist mein Vater. Wir versuchen jetzt am besten, euch hier ins Boot zu quetschen. Es wird ein bisschen eng werden.“

„Egal“, grummelte einer. „Hauptsache wir sind bald wieder an Land.“

Jack Webster ging nach vorne, um seiner Tochter zu helfen. Er packte den ersten und zog ihn mit solch einer Kraft ins Boot, dass er beinahe auf der anderen Seite wieder hinausgeflogen wäre.

„Ich bin übrigens Chase“, sagte der junge Mann grimmig, als er seinen Retter erblickte. „Danke!“

„Gern geschehen“, antwortete Jack Webster und zog den nächsten hoch. Es war der, der nass geworden war. Isabel brachte ihm eine Decke und wickelte ihn darin ein.

„Mann“, sagte er und grinste sie schelmisch an. „Wenn ich von so jemandem wie Ihnen wieder gerettet werde, dann setzte ich mich noch mal in so ein schaukelndes Ding hinein.“

Isabel konnte nicht anders als zu lachen.

„Halt die Klappe, Matt! Hilf mir lieber hier rauf, dass ich die Lady auch mal sehen kann, “ kam eine vorwurfsvolle Stimme vom Schlauchboot. Jack Webster packte denjenigen und beförderte ihn an Deck. Der junge Mann war sichtlich blass.

„Sie sind wohl der mit dem leeren Magen“, schätzte Isabel.

Er nickte, und ließ sich neben Matt nieder.

Endlich waren alle an Deck. Das kleine Boot war jetzt sichtlich schwerer beladen als noch zuvor, und auf dem Deck war es sehr eng geworden. Isabel hockte neben ihrem Vater am Motor und hielt sich an der Außenwand fest. Der Wasserspiegel hielt sich vielleicht noch zwanzig Zentimeter unter dem Rand der Reling. Jack Webster warf den Motor an und warf einen Blick auf den Kompass. Er hatte keine Ahnung wie weit sie abgetrieben waren, doch es konnte nicht weit gewesen sein, denn es herrschte fast kein Wellengang. Er drehte auf Kurs und gab Gas.

„Haben Sie mal ’ne Zigarette, Lady?“ fragte einer, und erntete zustimmendes Gemurmel. „Uns sind die Dinger im Schlauchboot ausgegangen.“

Isabel gab ihm ihr Päckchen Navy Cuts und beschied ihm, sie zu behalten.

Es dauerte um einiges länger zum Strand zurück. Doch als sie an dem kleinen Steg anlegten und festmachten, sprangen die Männer wie junge Ziegen aus dem Boot. Einer küsste den Boden, ein anderer wünschte den Kanal lautstark zum Teufel.

Isabel erkannte, dass sie doch recht ausgefroren waren. Mit einer einladenden Geste deutete sie zu dem kleinen Hügel, wo sie in Friedenszeiten ein Lichtschimmer vom Cottage willkommen geheißen hätte, doch jetzt nur Dunkelheit herrschte.

„Kommt mit ins Haus.“

Die Männer sahen sich an, dann nickten sie und folgten ihr. Jack Webster vertäute das Boot, warf einen Blick zum sternklaren Himmel und fragte sich, was wohl noch alles folgen sollte. Er hatte schon mehr als einmal einen Piloten aus dem Wasser geholt, doch das war zur Zeit der großen Luftschlacht im Jahre 1940 gewesen, als die Flugzeuge reihenweise vom Himmel fielen. Auch der ein oder andere deutsche Flieger war darunter gewesen, sogar einmal fünf auf einen Streich aus einer Heinkel 111. Doch es waren noch nie zehn gewesen, und schon gar keine Amerikaner.

Seine Frau würde schön aus der Wäsche gucken, wenn die in ihr Haus einmarschierten, dachte Jack und schlenderte langsam zum Cottage zurück.
 

Isabel stand mit ihrer Mutter in der Küche und kochte Tee. Mary Webster hatte wirklich ein wenig erschrocken ausgesehen, als die zehn jungen Männer es sich im Wohnzimmer bequem machten. Doch sie wusste gleich, was passiert war, als sie den durchnässten Mann und die Uniformen erblickte. Sie lief nach oben und holte aus dem Schlafzimmer ihres Sohnes, der sich zurzeit irgendwo in Schottland auf einer Marinebasis befand, frische Unterwäsche, einen Pullover, Hosen und Socken. Er bedankte sich recht herzlich bei ihr dafür, und zog sich gleich um, vor aller Augen. Doch Isabel und ihre Mutter waren schlimmeres gewöhnt und zogen sich in die Küche zurück.

Als Jack Webster eintrat, meinte er zuerst gar in einer Kneipe gelandet zu sein. Drei der Männer unterhielten sich lautstark und achteten gar nicht auf ihre Umgebung. Ein anderer, der nicht älter als siebzehn wirkte, saß vor einem Glas, das mit einer goldbraunen Flüssigkeit gefüllt war. Die Flasche war nicht weit.

Jack schnappte sich die Flasche und blaffte den Jungen an. „Das ist mein Brandy. Wir haben hier eine Rationierung!“

Er hatte an sich nichts gegen Abwechslung und Besuch, doch wenn der Besuch sich an seinem wohlbehüteten Alkoholschatz vergriff, dann hörte der Spaß auf.

„Sorry, Mann“, sagte der Dunkelhaarige. „Aber ’nen guten Geschmack haben Sie, Sir.“

Jack ließ sich besänftigen und setzte sich zu dem Jungen. Er nahm sich eins der Gläser, die wohl Mary hier hingestellt hatte und schenkte sich ein. Dann schenkte er dem Jungen nach.

„Cheers, Sir“, sagte dieser und ließ sich die Flüssigkeit in die Kehle rinnen.
 

Isabel brachte ein Tablett mit mehreren dampfenden Tassen. Sie blickte ein wenig verzagt auf ihren Vater, der seinen Brandy-Schatz mit einem der Männer teilte. Sonst war er nicht so.

Sie stellte das Tablett vor dem Mann ab, der die Rangabzeichen eines First Lieutenants trug. Seine dunklen Haare waren von einem dicken Verband beinahe ganz verhüllt, und auf seiner Wange waren noch Spuren von Blut, doch als sie schon vorhin im Boot danach gefragt hatte, beharrte er darauf, dass es ihm gut ging. Sie warf ihm noch mal einen fragenden Blick zu, doch er lächelte und schüttelte den Kopf. Dann verteilte sie die Tassen, die die Männer dankend entgegen nahmen. Ihre Mutter kam mit ein paar Sandwiches aus der Küche und stellte sie ebenfalls auf dem Tisch ab. Sofort griffen mehrere Hände danach und kurz darauf war die Platte leer. Mary lächelte und ging zurück in die Küche, um Nachschub zu holen.
 

Eine gute halbe Stunde später, war die Hälfte der Männer nach übermäßigem Alkoholkonsum weitestgehend außer Gefecht. Sie hatten sicher seit mehreren Stunden nichts gegessen, und dass ihr Vater jetzt seinen Brandy an alle verteilte, machte es nicht besser. Alkohol auf nüchternen Magen hatte eine verheerende Wirkung. Isabel räumte die leeren Teetassen vom Tisch, und fand einen der Männer plötzlich in der Küche, als sie dorthin zurückging. Er saß auf einem Stuhl am Küchentisch und hatte das Gesicht in den Händen vergraben. Es war der mit dem Verband, der Pilot, wie sie mittlerweile herausgefunden hatte.

Isabel stellte das Tablett an der Spüle ab und nahm ihm gegenüber platz. Er spürte ihre Anwesenheit und blickte sie an.

„Geht es Ihnen gut?“ fragte Isabel besorgt. „Soll ich nicht doch einen Arzt rufen?“

Er schüttelte den Kopf, seine Augen schienen durch sie hindurch zu sehen, doch dann plötzlich wurde sein Blick klar. Er fasste nach Isabels Hand, die auf dem Tisch lag.

„Lassen Sie mich kurz verschnaufen“, murmelte er. „Mir geht’s gleich wieder gut. Halten Sie mich nur ganz kurz fest.“

Isabel griff mit ihrer anderen Hand die des Piloten und hielt sie fest. Er saß mit gesenktem Kopf da, seine Augen waren geschlossen. Sie fragte sich schon, ob er eingeschlafen war, als er sie plötzlich wieder anblickte.

„Danke“, sagte er und ein kurzes Lächeln erhellte sein Gesicht und ließ ihn plötzlich viel jünger aussehen. Isabel fragte sich unwillkürlich, wie alt er sein mochte.

„Sie haben unsere Leuchtkugeln gesehen?“ fragte er plötzlich. Doch es klang nicht wie eine Frage, eher wie eine Feststellung.

Sie nickte. „Erst dachte ich, es wären irgendwelche Sonnenreflexionen. Aber dann kamen die Kugeln regelmäßig.“

Er nickte langsam.

„Ich war angeln, wissen Sie. Und da hab ich die Fische einfach Fische sein lassen und habe meinen Vater geholt, damit er das Boot losmacht.“

Wieder nickte er. Sie merkte, wie müde er war und stand auf. Seine Hand lag noch immer in der ihren. Langsam zog sie ihn vom Stuhl hoch. „Legen Sie sich hin. Was ich von Ihren Männern gehört habe, war Ihre Mission heute kein Zuckerschlecken.“

Er ließ sich widerstandslos auf ein Sofa betten und nahm dankend eine Decke entgegen. Dann fiel sein Kopf zur Seite und er begann gleichmäßig zu atmen. Isabel deckte ihn zu und setzte sich zu dem Navigator an den Tisch, der als einziger noch wach war.

„Brandy“, sagte er leise. „Brandy und Zigaretten. Das ist alles was wir jetzt gebraucht haben.“ Als seine Augen die ihren trafen erkannte sie darin, wie viel diese Männer schon gesehen haben mochten. Zuviel wahrscheinlich als gut für sie war.

„Ja“, sagte er leise, und als könne er ihre Gedanken lesen: „Doch das meiste würde ich so gern wieder vergessen.“

Sie griff nach seiner Hand, die lose um das Brandy-Glas geschlungen war, und hielt sie einfach fest. Er atmete ein paar Mal tief durch, dann nahm er noch einen Schluck Brandy.

„Ich bin Eugene“, sagte er dann.

„Isabel“, sagte sie.
 

„Ich glaube, irgendwer sollte die Basis anrufen“, sagte er, eine Weile später.

„Wo sind Sie stationiert?“ fragte Isabel.

„Donthorpe, östlich von Bury St. Edmunds“, er grinste. „Ein gutes Stück Strecke von hier.“

Er wies mit einem Nicken auf die Uniform, die immer noch frisch gebügelt über der Stuhllehne hing. „Und Sie? Die Frauen-Navy ist das, oder?“

Isabel nickte. „Ich bin in Portsmouth stationiert.“

„Hat ziemlich üble Bombardements abgekriegt, hab ich gehört.“

Wieder nickte sie. „Die Stadt sieht ziemlich mitgenommen aus. Die Deutschen haben ziemlich oft den Hafen bombardiert. Rund herum sind die Straßenzüge weitestgehend in Schutt und Asche.“

Er nickte, schenkte sich Brandy nach. Dann stand er auf und streckte sich. „Haben Sie hier ein Telefon?“

Sie wies mit ausgestrecktem Arm Richtung Flur. „Auf dem kleinen Tischchen, kurz vor der Wohnungstür.“

"Hauptsache, die Jungs sind heil..."

Jamie kaute ohne Appetit auf einem besonders zähen Stück Fleisch aus seiner Gulaschsuppe herum und nahm dann einen Bissen Brot dazu. Henry, der unter dem Tisch lag, winselte und kratzte an Jamies und dessen Kameraden Hosenbeinen.

„Wem gehört der Hund?“ fragte einer der Mechaniker, seine Augenbraue zuckte etwas genervt.

Jamie straffte sich. „Verge Claiborne“, sagte er. „Kugelturmschütze von Liberty Lilly.“

Der andere Mechaniker schluckte trocken an seinem Brot und widmete sich wieder seinem Gulasch. Henry bekam ein Stück Fleisch von ihm unter den Tisch geworfen und war erstmal zufrieden.

Es war spät geworden, kurz vor Mitternacht. Er und ein paar andere Mechaniker waren noch einmal nach draußen gerufen worden, als eine übel zugerichtete Blenheim mit zerschossenem Motor ihre Notlandung auf dem Platz machte.

Sie wurde in weniger als einer Stunde wieder fit gemacht, und zum Glück für die amerikanischen Mechaniker, fand sich im Nachbardorf eine Waaf-Flugmechanikerin, die dort ihren 48-Stunden Urlaub verbrachte und sich gut mit den britischen Motoren auskannte. Mit viel Geschick flickte sie die zerschossene Hydraulikleitung und die Maschine konnte weiterfliegen. Es war eine der Aufklärer, die mit einem großen Lancaster-Bomberstrom mitgeflogen war und Fotos vom Ziel geschossen hatte, die nun schnell ausgewertet werden mussten.
 

Jamie war gerade eingeschlafen, als irgendjemand hektisch an die Tür klopfte. Nein, derjenige hämmerte eigentlich mehr, wenn man genau sein wollte.

„Sergeant Hayes? Wichtige Nachrichten, Sir!“

Jamie dachte an Lilly und ihre Besatzung und sprang aus dem Bett, hinein in seine Hose und warf sich schnell einen Pullover über den Kopf, dann folgte er dem jungen Corporal in den Gefechtstand. Eine der Frauen, die an der Schalttafel für die Telefonate arbeitete schaute auf, als der Corporal ihr auf die Schulter tippte. Dann erblickte sie Jamie Hayes in seiner schmutzigen Mechanikerhose und seinem vom Schlaf zerknitterten Gesicht und lächelte. „Gute Nachrichte von der Besatzung Ihrer Maschine, Sir.“

Jamie war als fiele ihm ein zentnerschwerer Stein vom Herzen, der den Boden des Gefechtsstands durchschlug. Er atmete kurz tief durch. Sie waren in Sicherheit, seine Besatzung.

„Was ist passiert?“ fragte er die Telefondame.

„Ihr Pilot, First Lieutenant Davis, hat hier angerufen. Von einem kleinen Cottage in der Nähe von Ipswich, also nicht ganz so weit von hier. Die Maschine musste notwassern, die gesamte Besatzung hat sich mit ein paar blauen Flecken ins Schlauchboot retten können. Sie warten jetzt in dem Cottage auf jemanden, der sie abholt.“

„Die Maschine ist untergegangen?“ krächzte Jamie entsetzt, nun da er wusste, dass er sich um seine Jungs keine Sorgen mehr machen musste, war die Maschine in den Vordergrund gerückt.

Die junge Frau nickte. „Tut mir leid, Sir.“

„Braucht es nicht“, murmelte Jamie, obwohl es ihm doch sehr leid tat um die arme Lilly. „Können Sie mir den Ort sagen, wo man sie abholen muss? Dann schicke ich gleich morgen früh jemanden.“

Sie nahm einen Bleistift und kritzelte auf ein Blatt Papier, dann reichte sie es ihm. „Die Maschinen sind ersetzbar“, sagte sie und schaute ihn mit ihren hellblauen Augen durchdringend an. „Ihre guten Männer nicht.“
 

Die scheinbar ausgelassene Stimmung, verursacht durch den vielen Brandy und ein paar Flaschen Wein, die Jack Webster aus den Tiefen seines Kellers heraufgebracht hatte, wurde schnell wieder mürbe, als die ersten Männer vor Müdigkeit beinahe vom Sofa fielen.

Mary Webster versuchte so gut es ihr möglich war den Männern am Boden ein bequemes Nachtlager herzurichten, und die Männer waren auch sehr zufrieden mit den paar alten dünnen Matratzen und Decken. Mary lächelte, als die ersten selig zu schnarchen begannen. Wie im Pfadfinderlager, dachte sie, doch dann verschwand das Lächeln schnell wieder, als sie daran dachte, was die Männer hinter sich hatten. Und noch vor sich hatten. Bald würden sie wieder in einer Maschine, einer neuen Maschine, sitzen und versuchen Deutschland durch ihren Bombenregen in Schutt und Asche zu legen und Hitler damit das Handwerk zu legen.

Mary dachte an ihren Sohn, der in Schottland war und wohl bald mit einem Schiff unterwegs sein würde. Sie machte ein Kreuzzeichen, wenn er nur heil wieder zurückkam. Und sie dachte an Isabel, die in vier Tagen zurück nach Portsmouth fahren würde und dort wieder arbeiten würde. Zwar war die Zeit des ‚Blitz’ vorbei, doch niemand wusste, ob und wann die Deutschen wieder herüberkommen würden und ein neuerliches Bombardement beginnen würden. Und Portsmouth lag als ein gutes Ziel direkt an der Südküste Englands.
 

Isabel stand mit dem Rücken an die Hauswand gelehnt und schaute in den Sternenhimmel. Nicht mehr lange und der Himmel würde sich am Horizont rosa färben und einen neuen Tag ankündigen. Noch vier Tage hatte sie mit ihren Eltern, dann würde sie zurück nach Portsmouth gehen und ihre Arbeit wieder aufnehmen. Sie hörte das Klicken der Türklinke und glaubte schon ihre Mutter würde herauskommen und sie holen um sie ins Bett zu stecken, wie sie es in Isabels Kindheit immer gemacht hatte. Doch es war der amerikanische Pilot. Sein Kopfverband leuchtete hell im Dunkeln, er erkannte ihre dunkle Silhouette schnell und kam zu ihr herüber.

„Sie schauen die Sterne an, Isabel?“ fragte er und legte den Kopf in den Nacken.

Sie nickte. „Ich liebe den Sternenhimmel, vor allem wenn es fast schon wieder hell wird und sie langsam verblassen.“ Sie schaute ihn an. „Sie verblassen leider so schnell.“

Er wusste, was sie damit meinte. Sie dachte an die vielen Männer, die ebenso wie die Sterne verblassten, jedoch nicht in jeder Nacht wiederkamen, sondern für immer weg waren.

Einer plötzlichen Eingebung hin, nahm Isabel die Hand des Piloten. Er drückte ihre. Und so schnell, wie sie seine Hand gepackt hatte, so schnell zog er sie an sich und hielt sie eng umschlungen.

„Es tut mir leid“, flüsterte er. „Ich habe zuhause eine Freundin, ich liebe sie und ich will sie heiraten, wenn ich zurückkomme. Aber ich kann gerade nicht anders.“

Isabel kannte das Gefühl, denn ihr junger Verlobter, ein Navy-Arzt war bereits seit zwei Jahren irgendwo auf einem Schiff im Fernen Osten. Sie kannte das Gefühl, das beinahe übermächtig zu werden drohte, wenn man jemanden berühren wollte, so berühren.

Sie hob langsam ihr Gesicht zu seinem, dann berührten sich ihre Lippen. Sie wusste, es hatte nichts zu bedeuten, zumindest nicht das was sie Liebe nannten. Es war einfach nur ein Kuss zwischen zwei einsamen Seelen, die ihre Lieben vermissten und nicht haben konnten.

Sie wusste nicht wie lange sie da gestanden waren, doch irgendwann dämmerte es im Osten. Der Amerikaner hielt noch eine Weile ihre Hand, schaute sie an und sagte: „Danke.“ Dann verschwand er und sie hörte die Tür zufallen.

Isabel war wieder allein, aber sie hatte neue Hoffnung. Hoffnung, dass ihr junger Mann zurückkommen würde, denn er hatte ihr schon vorher gesagt, sie solle nicht zuhause herumsitzen und traurig sein, sondern so lebensfroh sein, wie er sie gekannt hatte.

Sie schaute auf, als die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne ihr Gesicht erhellten und lächelte. Dann holt sie eine Decke aus dem Wohnzimmer, stieg über die schlafenden Gestalten hinweg und ging wieder nach draußen. Im Schaukelstuhl ihres Vaters lehnte sie sich zurück, ließ die Decke über ihren Beinen hängen und die Wellen, die an die Küste schlugen lullten sie in den Schlaf.
 

Irgendwann, sie konnte nicht sagen wie viel Zeit vergangen war, schreckte sie hoch. Motorengeräusch hatte sie erwachen lassen, aber keine Flugzeugmotoren. Nur ein Auto, das die Küstenstraße entlang gebraust zu kommen schien. Sie legte die Decke zur Seite und stand auf. Sie fuhr sich ein paar Mal mit den Händen durch die Haare und stellte fest, dass es wüst vom Kopf abstand. Sie ließ es gut sein und ging um das Cottage herum.

In der Einfahrt fand sie kein Auto, aber einen Lastwagen, auf dessen ihr zugewandter Seite ein amerikanischer Stern prangte. Isabel atmete tief durch, nun würden sie zurückfahren. Zurück auf ihren Flugplatz nur um schnell wieder in eine neue Maschine gesetzt zu werden und abermals Tag für Tag in den Himmel hinaufzusteigen und hinüber nach Deutschland zu fliegen.

Sie ging auf den Lastwagen zu und aus dem Fahrerhaus kam ihr eine schlanke, beinah linkische Gestalt in schmutzigen braunen Hosen entgegen. Isabel warf einen Blick zum Himmel und erkannte am Sonnenstand, dass es bereits später Vormittag sein musste. Ein weiterer Blick sagte ihr, dass das Fahrrad ihrer Mutter fehlte und der Traktor ihres Vaters. Alle ausgeflogen, dachte Isabel. Außer den Amerikanern natürlich.

„Guten Morgen“, sagte sie freundlich zu dem Mann. „Sie sind vom Flugplatz um ihre Jungs wieder abzuholen?“

Der Kerl nickte, sagte aber noch nichts. Stattdessen zündete er sich eine Zigarette an, wovon er Isabel auch eine anbot. Sie schüttelte den Kopf. Nicht auf nüchternen Magen, das war ihr noch nie gut bekommen.

„Wo sind die Jungs?“ fragte er dann. Und dann reichte er ihr doch seine Hand. „Ich bin ihr Mechaniker. Hab’ mich um die Maschine gekümmert.“ Sein Blick schweifte ab, Richtung Meer. „Die liegt jetzt wohl da unten irgendwo.“

„Hm“, machte Isabel leise. Eine Böe strich ihr vom Meer her durch die Haare.

„Na ja, Hauptsache die Jungs sind heil, “ sagte er. „Jamie Hayes, mein Name. Und Sie, Ma’am?“

„Isabel Webster.“

„Nett Sie kennenzulernen. Wollen wir die Jungs wecken?“

Sie nahm ihn mit ums Haus herum, und sie traten durch die Terrassentür ein. Jamie Hayes blieb bei dem Anblick der schlafenden Mannschaft wie vom Blitz getroffen stehen.

„Hätte wohl ’n bisschen später kommen sollen, “ murmelte er.

Isabel schaute ihn von der Seite an und konnte nachvollziehen was er dachte. Sie wandte sich ab und ging in die Küche. Dort fand sie den Piloten, schlafend. Seine Arme verschränkt und seinen Kopf darauf gebettet. Vor sich eine leere Tasse, in der wohl Kaffee gewesen war. Isabel nahm leise die Tasse und stellte sie in die Spüle.

Der Pilot regte sich kurz, drehte seinen Kopf zur Seite. Isabel lächelte, als sie die Knitterfalten, die vom Stoff seiner Uniformjacke herrührten auf seiner Wange sah. Kurz strich sie ihm die Haare, die ihm zu lang ins Gesicht fielen zurück. Dann hörte sie, wie drüben in der Stube langsam Leben einkehrte.
 

Eine Stunde später stand sie in der Auffahrt zum Cottage und blickte dem Lastwagen nach, der langsam aber sicher aus ihrer Sicht verschwand. In der Hand hielt sie einen gelben Seidenschal. Der Pilot hatte ihn ihr gegeben. Als Andenken. Und sie hatte einfach das nur lose angeheftete Ärmelabzeichen der WRNS an ihrer Uniformbluse angerissen und ihm zugesteckt. Sie wusste, sie würde ihn nie wieder sehen.

Er oder ich

Sachte wiegte er den Apfel in seiner Hand hin und her, betrachtete die rot-gelbe Frucht langsam von allen Seiten, so als könne er nicht glauben, so etwas in der Hand zu halten. So etwas Einfaches. Wenn doch nur alles so einfach wäre…

Langsam lehnte Verge den Kopf an den Baumstamm, an dessen raue Rinde er schon geraume Zeit gelehnt saß und starrte ins dichte Laubgeflecht über ihm. Die Sonne zeichnete Kringel und Muster auf den weichen Grasboden und er ließ langsam den Handrücken hindurch streichen. Dann nahm er einen Bissen von der knackigen Frucht und kaute genüsslich und langsam.

Irgendwo muhte eine Kuh, eine Stimme rief etwas und dann hörte er lautes Lachen. Als er seinen Kopf etwas reckte, erkannte er Chase und Erica, die an ein Weidegatter gelehnt standen und ihm den Rücken zukehrten. Sie hatten ihn nicht bemerkt. Und Verge war froh darüber, denn er kämpfte mit der Erinnerung an den letzten Einsatz.

Frankfurt. Der Name einer Stadt, und gleichzeitig für ihn etwas, das er nie vergessen würde. Er hatte dem Mann in dem deutschen Jäger in die Augen sehen können, als er ihn abschoss. Es waren dunkelgraue Augen gewesen, die Haare braun und schauten etwas lockig unter der Fliegerhaube hervor. Verge fragte sich unwillkürlich, wieso der deutsche Flieger keine Sonnebrille getragen hatte. Langsam ließ er den Blick von Chase und Erica über das dichte grüne Laub gleiten und dann fielen ihm die Augen zu.
 

Er konnte das tiefe Dröhnen der Motoren bis tief in ihn hinein spüren. Bis tief ins Mark. Durch Mark und Knochen und Eingeweide. Und es schien ihn wieder einmal in seinen Grundfesten zu erschüttern. Doch nie zuvor hatte er darüber nachgedacht, was in der nächsten Minute passieren konnte. Doch dieses Mal tat er es und danach schien ihn das Schicksal so grausam deshalb zu bestrafen.

„Aufpassen, vorn im Cockpit! Die kommen auf euch zu wie ein wütender Bienenschwarm!“

„Wir sehen sie, Thomps, keine Sorge.“ Davis klang verdächtig ruhig.

Und dann schüttelte eine Salve aus Gorskys MG das Flugzeug durch, wie eine Hausfrau, die ihre Teppiche ausklopfte. Nur, dass der Staub, der aus dem Teppich fallen sollte, hier die MG-Hülsen waren, die jetzt den Boden rund um Gorskys Füße bedeckten. Knöchelhoch stand er darin, schlug mit einem Fuß eine Schneise hinein, um wieder einigermaßen fest zu stehen. Der Propellerstrahl des vorausfliegenden Flugzeugs erwischte Lilly II und ließ sie ein Stück aus ihrer Flugbahn weichen und zur Seite scheren.

Liberty Lilly II, ihre neue Maschine. Ein Prachtstück von einer B-17. Allerdings nicht die Alte, was Eugene Davis, dem Skipper, mächtig zu stinken schien. Er behandelte die Maschine nicht schlecht, nein. Aber er schien sich selbst gram zu sein, dass er seine Tour nicht auf der ersten Maschine zu Ende fliegen konnte. Aber Lilly II schien ihrem Skipper ebenfalls nicht böse zu sein und trug ihre Besatzung durch den Himmel, so ruhig wie ein gutmütiger Ackergaul. Ein schneller Ackergaul, dachte Verge und grinste in seine Sauerstoffmaske. Dann fuhr er mit der Zunge über seine Frontzähne und versuchte, den gummiartigen Geschmack von seiner Zunge zu verbannen. Er schluckte mühsam und ließ seinen Blick dann wieder durch den Himmel wandern. Wolkenfetzen schossen vorbei, es war ein schöner Sommertag und der Himmel nur von wenigen kleinen Quellwolken bedeckt. Nur wenn die Maschine sich hob, der Rumpf sich über den Horizont schob, konnte Verge sehen, dass sich weit im Süden hohe Wolkenambosse auftürmten. Gewitterwolken. Aber sie befanden sich bereits fast im Zielanflug, es würde sie also nicht betreffen. Lilly II ruckelte leicht, als einer der oberen Schützen wieder eine Salve abgab und dann flogen plötzlich dunkle Fetzen von Metall an Verge vorbei.

„Was ist passiert?“ fragte er durch das Intercom.

„Irgendwer hat gedacht, er muss unser Heck anschießen“, gab Danny zur Antwort.

„Heckschütze, alles okay?“ fragte Davis, er klang besorgt. Seit der Episode mit Bremen, war er immer darauf bedacht, zumindest jede Viertelstunde seine Besatzungsmitglieder anzufunken, ob noch alle vorhanden waren.

„Klar, er hat mich gesehen und dann hat er daneben gezielt und nur unsere gute alte Heckflosse durchlöchert.“ Danny klang etwas verzerrt und Verge dachte, er bilde sich ein, dass seine Stimme ein wenig zitterte.

„Dann rächen wir uns eben an den Kerlen“, meinte Gorsky einfach.

Es sollte schneller dazu kommen, als Verge gedacht hatte. Sie flogen Frankfurt an, warfen die Bomben mittenhinein, und der ganze Verband wendete. Es waren wenige Jäger am Himmel, aber das konnte täuschen. Verge drehte seinen Kugelturm hin und her und hielt weiter wachsam Ausschau. Wie lange konnte das noch so still sein? So verdächtig still.

Er hörte mit halbem Ohr zu, wie Thomps, Danny und Curtis sich gegenseitig Positionsangaben von feindlichen Jägern zuwarfen. Anscheinend waren sie nun doch gekommen. Verge sah unter sich wieder Felder, Straßen und diverse andere Flecken vorbeiziehen. Ein kleiner hell glänzender Punkt kreuzte sein Sichtfeld und wurde größer. Der Punkt zog langsame Schlaufen, schraubte sich in die Höhe wie ein Falke. Schnell wurde ein kleines Kreuzchen daraus und Verge griff nach dem Hebel, um das MG auszulösen. Er schwenkte sein Geschütz nach links und dann war der Punkt plötzlich weg. Er atmete langsam aus. Sein Blick schweifte weiter, doch er konnte ihn nicht mehr ausmachen.

„Hey, da sind welche von uns. Mustangs!“

Verge hörte es nur halb, denn plötzlich erscholl ein Alarmschrei von Danny. „Der Hund kommt von schräg unten. Verge, hol ihn dir!“

Verge schwenkte den Turm um 180 Grad und fand sich Auge in Auge mit dem fremden Jagdflieger. Eine Focke-Wulf 190, sie hatte eine dicke bullige Schnauze durch ihren Sternmotor, und er konnte die messerscharfen Propellerblätter silbern glänzen sehen, als die Maschine auf ihn zupflügte. Alles geschah im Bruchteil von Sekunden. Er schaute dem Piloten direkt ins Gesicht, ein junges Gesicht, wahrscheinlich in seinem Alter. Er hatte Abdrücke von seiner Fliegerbrille rund um die Augen, und diese waren etwas zugekniffen, als er ihn anvisierte. Verge hatte den MG-Hebel in der Hand, stieß den Atem aus, dann feuerte er. Der Kugelturm erzitterte, Verge sah die Leuchtspuren eine feurige Bahn zeichnen, genau auf die Focke-Wulf zu. Er hatte gut gezielt. Verge sah, wie die Augen sich weiteten, als die MG-Geschosse in den Motor fetzten. Liberty Lilly II wurde rüde hochgeworfen, als der Jäger explodierte. Verge hatte die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen, sah, wie brennende Teile nach unten regneten. Es war nichts übrig außer Fetzen von Metall und einem zerrissenen jungen Körper. Er schloss die Augen, um nicht vor Grauen zu schreien und versuchte sich einzureden: Er oder ich. Und dieses Mal hatte er gewonnen.

„Du hast ihn erwischt, Verge? Dicke Explosion, “ Matt klang wahrlich beeindruckt.

„Ja.“ Er krächzte als gehöre seine Stimme nicht zu ihm.

„Glückwünsch, Junge! Und jetzt schauen wir zu, dass wir heimkommen, “ sagte der Skipper. Lillys Motoren röhrten gleichmäßig, und als er nach oben schaute, erkannte Verge ein paar silberne kleine Metallsplitter, die in ihrem Bauch steckten.
 

Er schreckte auf, als irgendetwas ihn am Arm kitzelte und riss erstaunt die Augen auf, als er sich Auge in Auge mit einer Ziege wiederfand. Er lag flach auf dem Boden, musste, als er eingeschlafen war, nach unten gerutscht sein. Die Ziege schleckte an seinem Arm und knabberte dann am Ärmel seiner Uniformjacke herum. Er zog ihn ihr aus dem Maul und streckte ihr stattdessen seine Hand entgegen, die sie begeistert abschleckte. Es war eine grau-weiß gescheckte Geiß mit einem dicken Euter. Verge vermutete, dass irgendwo wohl ein Zicklein sein musste. Er richtete sich langsam auf und sah, dass Chase und Erica mittlerweile vor dem großen Bauernhaus der Winterbotham-Farm saßen, eng umschlungen. Verge widmete sich wieder der Ziege und dabei verblassten die letzten Bilder, die ihn noch aus seinen Träumen verfolgten. Er schaute über die sommerlich grüne englische Landschaft und atmete tief ein und aus. Von irgendwoher drang Motorensurren an sein Ohr, doch vor morgen früh würden zumindest von Donthorpe keine Flugzeuge mehr starten. Als sie nach Hause gekommen waren, hatten die Mechaniker gleich verkündet, dass vielleicht sogar die nächsten Tage keine Einsätze geflogen würden, weil sich schwere Gewitter über Deutschland befanden.

Verge stand auf und machte sich mit seiner neuen Freundin auf den Weg zum Bauernhaus. Chase und Erica bemerkten nicht, wie er durch die Tür in die Küche trat. Sie waren miteinander beschäftigt. Verge grinste in sich hinein, als er auf Meggie traf, die ihn prüfend ansah.

„Alles in Ordnung?“

Verge nickte und murmelte leise, immer noch von den Traumbildern gefangen: „Er oder ich.“

„Was?“ fragte Meggie verdutzt, doch Verge winkte ab. „Ist schon gut, ich rede nur so vor mich hin.“

Meggie war nicht überzeugt. „Du bist blass, Junge. Setz dich doch ein bisschen hin.“ Sie ging mit ihm nach draußen und sie setzten sich in den kleinen Garten, wo Meggie ihr Gemüse hütete, wie andere Leute ihr Geld hüten würden. Die Ziege folgte ihnen munter.

„Wo hast du denn die Geiß aufgelesen?“ fragte Meggie. „Normalerweise ist sie mit den Kühen auf der Weide. Und mit ihrem Zicklein.“

Er zuckte die Schultern. „Sie war auf einmal da.“

Meggie lachte. „So wie du damals, du warst auch auf einmal da.“

Verge lächelte sie an und fühlte sich an seine Mutter erinnert und plötzlich wallte das Heimweh auf, ohne dass er etwas dagegen tun konnte.

„Sag einfach, was dich bedrückt.“ Meggie lehnte sich zurück. „Wir haben Zeit, Sam kommt erst spät zurück.“

Und Verge erzählte ihr von dem Einsatz, schaute zu wie Meggies Gesicht solch unterschiedliche Emotionen widerspiegelte, sodass sein Gewissen ihn plagte ihr überhaupt davon erzählt zu haben. Dann nahm sie seine Hand und strich darüber. „Es ist alles in Ordnung, Junge. Du bist hier. Diese Schlacht hast du gewonnen.“

Und Verge hoffte, er würde sie alle gewinnen, solange bis er endlich wieder zuhause war.

Heimatfront

Er hatte von Anfang an gewusst, dass es eine saublöde Idee der Regierung war, die Bauern mit Frauen als Hilfsarbeiterinnen zu belästigen. Denn die hatten nur Sachen im Kopf, die nicht wichtig waren einen Krieg zu gewinnen: Lippenstift, amerikanische Filme, Tanzen, und was am allerschlimmsten war, diese Amerikaner, von denen zwei, oder manchmal auch mehrere, ständig hier auf dem Hof auftauchen.

Reg schmiss eine Gabel voll Mist aus dem Schubkarren hinauf auf den Misthaufen und spuckte eine Ladung Kautabak hinterher. Dann kratzte er sich am Hinterkopf und schaute hinauf in den Himmel. Er vernahm Motorendröhnen, wahrscheinlich das einer B-17 vom amerikanischen Flugplatz, auch etwas dass ihn zunehmend störte. Eigentlich störte ihn im Moment mehr, als das etwas ihn freute. Die Mädchen gingen ihm mit ihrem Gekicher auf den Keks, Meggie kümmerte sich ständig um diesen jungen Ami, Sam ließ sich von dem Scotch ködern, den ihm der andere Ami immer wieder mitbrachte. Und letztens erst hatte er Erica und den Ami im Heu erwischt. Das hieß, nicht erwischt, sondern eher unfreiwillig dabei beobachtet, als er noch einmal nach einer trächtigen Kuh sehen wollte. Sie hatte wie immer gekichert und der Ami hatte irgendetwas in seinem komischen Dialekt zu ihr gesagt. Dann war es still geworden und nur das Heu hatte geraschelt. Als Reg einen lauten seltsamen Seufzer gehört hatte, hatte er so schnell es ging das Weite gesucht, vergessen die Kuh, die würde ihr Kalb schon allein bekommen. Keinesfalls wollte er hier von dem Ami erwischt werden, der würde ihn sonst auch noch mit dem Scotch verhexen.

Die B-17 schoss über seinen Kopf hinweg, nicht so tief wie sie früher schon geflogen waren, aber immer noch tief genug, dass Reg wütend seine Faust reckte und in den Himmel boxte. Er plagte sich seufzend weiter mit dem Mist ab und verfluchte den Krieg. Verfluchte sein Alter, er war immerhin schon achtundsiebzig, und er fragte sich, warum er sich das alles überhaupt noch antat. Er dachte kurz verwirrt nach, dann fiel es ihm wieder ein: Damit diese Frauen hier nicht die Regentschaft übernahmen und den Hof in ein Tanzcafé umfunktionierten. Meggie würde sie sicher noch dabei unterstützen, und Sam würde sich rar machen und denen das Zepter überlassen.

Reg warf die Mistgabel in den Schubkarren und fuhr zurück in den Stall. Hinter der letzten Kuh fand er Anne, die sie gerade molk. Reg blieb hinter ihr stehen, bis sie sich umdrehte und fragte: „Ja, Mr. Reynolds?“

Mit einem Knurren, das dem eines wütenden Wolfes glich, drehte er sich um und verschwand in der Milchkammer. Dort fand er, anhand der Füllhöhe der Milch im Behälter, heraus dass bereits alle Kühe gemolken waren. Und so wie es aussah hatte dieses andere Mädchen auch bereits die Schweine ausgemistet. Eins musste man ihnen lassen, sie waren schnell wenn sie wollten, dachte Reg, aber wenn sie nicht wollten, dann fand man sie im Obstgarten im Schatten unter den Bäumen liegen, schlafend. Er ging nach draußen und schaute Erica eine Weile dabei zu, wie sie den Hof kehrte, während sie versuchte ein Gespräch mit ihm anzufangen. Aber Reg stellte sich einfach taub, das konnte er am besten. Dann rief Meggie aus der Küche zum Frühstück und er stand auf und ging hinein.
 

Meggie wusch gerade bei ein paar Eiern die Schale ab, da es letzte Nacht geregnet hatte und diese nun dementsprechend matschig waren und schlug sie dann in eine Bratpfanne. Ein paar Minuten später nahm sie sie vom Herd und stellte sie vor Reg auf den Tisch.

„Und, schon fertig mit melken, Reg?“

Der alte Mann nickte und schaufelte sich eine Ladung Rühreier auf den Tisch, zufrieden mit sich und der Welt. Kurz darauf kamen die beiden Mädchen herein und setzten sich ebenfalls an den Tisch. Als letztes kam Sam, nahm auf seinem Stuhl am Kopfende Platz und warf Reg böse Blicke zu, während er die wenigen Worte eines Dankesgebets sprach. Reg aß unbekümmert weiter.

„Morgen ist Sonntag, Mädels. Geht ihr mit euren jungen Männern aus?“ Meggie hatte durchgesetzt, dass die Frauen einen freien Tag bekamen, auch wenn es auf einem Bauernhof eigentlich keinen Urlaub gab und Sam sie zu Beginn sieben Tage durchschuften ließ. Morgen würde einfach sie mit anpacken und die jungen Frauen konnten etwas unternehmen.

„Wenn Chase nicht fliegen muss, dann ja. Er will mit mir nach Felixstowe fahren.“ Erica nahm einen Bissen Marmeladenbrot und sprach weiter: „Er hat gemeint, dass wir auch Baden gehen können, wenn das Wetter gut ist. Vielleicht kommt Verge auch mit.“ Sie warf einen Blick zu Anne, die ihn auffing und breit grinste. „Wirklich?“

„Wie gesagt, wenn sie nicht fliegen.“

„Hoffentlich hat’s richtigen dicken Nebel über Deutschland. Gibt’s noch ein Ei, Meggie?“

„Tut mir leid, ich brauch noch welche für den Kuchen.“ Meggie zwinkerte. „Aber vielleicht hat Reg noch welche gefunden.“

Reg tat immer noch als habe er sie nicht gehört, bis Sam vor ihm auf den Tisch klopfte und er aufsah. „Ob du noch Eier aus dem Stall raus hast, fragt meine Frau.“

Reg schüttelte den Kopf. Die drei Eier würde er für sich behalten, die gingen gar niemanden was an. Was bekam er denn sonst schon geschenkt? Eine Ladung Pferdemist für das Rosenbeet vor dem Haus, von Mrs. Dawson vom Nachbarhof vielleicht.

„Was hast du eigentlich mit den Zigarren gemacht, die Chase dir geschenkt hat, Reg?“ fragte Erica.

Reg erstarrte, wie Wild im Scheinwerferlicht, und warf einen gehetzten Blick in die Runde. Anne begann zu kichern und Sam grinste in seinen Kaffeebecher hinein. Reg beschloss sich nicht lumpen zu lassen. „Die werde ich aufheben und jemandem zum Geburtstag schenken.“

„Sei doch kein Frosch, Reg. Du hast längst eine geraucht, ich hab dich gestern hinterm Schuppen gesehen.“

Reg seufzte.
 

Sophie Lamont hatte immer schon gewusst, dass es irgendwann passieren würde. Sie hatte es bisher nie gewollt, aber dann war dieser Mann aufgetaucht. Evan Thompson, gerade zwanzig Jahre alt, zu allem Schreck auch noch Amerikaner, und hatte sie wortwörtlich aus ihren Träumen gerissen. Sie dachte immer, sie würde irgendeinen langweiligen Engländer heiraten, einer den ihre Eltern ihr ausgesucht hatten und der ebenso wie sie einen guten Namen mit in die Ehe brachte. Aber in der Zeit ihres Debüts schon war nie einer dabei gewesen, der mehr in ihr ausgelöst hatte als den Drang von dem Fest zu flüchten. Sie hatte vor sich hingeträumt, von einem der Cowboys aus den Wild-West-Romanen, die sie heimlich nachts unter der Bettdecke las, und der sie hoffentlich bald aus ihrem Elend befreien würde und mit ihr auf seinem Pferd in den Sonnenuntergang davonreiten würde. Und dann war der Krieg gekommen und sie war mit gerade einmal siebzehn Jahren vor die Tatsache gestellt worden, dass nun wohl die ganzen „passenden“ Männer an die Front gehen und einige von ihnen nicht mehr wiederkommen würden. Und dann hatte sie dieses Plakat gesehen: Eine junge Frau in der taubenblauen Uniform der Königlich-Britischen Luftwaffe, ein Mann in Fliegeruniform, Schwimmweste und Fliegerhaube, dahinter die Flagge des Vereinigten Königreichs. Beide schauten in den Himmel und darüber der Schriftzug: „Diene im Weiblichen Hilfskorps der Königlich-Britischen Luftwaffe. Zusammen mit den Männern, die fliegen.“ Irgendetwas daran hatte sie sofort bestochen, und dann hatte sie wie im Traum gehandelt. Sie ging nachhause, ihre Eltern waren nicht da, nahm Mutters Lippenstift, ihre Puderdose und umschattete sich sogar die Augen mit einem Hauch Schwarz. Für irgendetwas musste ihr Debüt ja gut gewesen sein. Dann zog sie ein Kostüm an und schaute sich im Spiegel an. Sie sah nicht aus wie siebzehn, eher wie über zwanzig. Was ein bisschen Schminke ausmachen konnte…

Sie ging zurück zu dem Schild, unter dem eine Wegbeschreibung zum nächsten Rekrutierungsbüro angebracht war. Sophie fand das Gebäude auf Anhieb. Und dann stand sie plötzlich wieder draußen, gerade einmal eine halbe Stunde später, und fragte sich, was sie da gerade getan hatte. In der Hand den Zettel, auf dem stand, dass sie angenommen sei und in kurzer Zeit ihren Einberufungsbescheid bekommen würde. Sie hatten nicht nach ihrer Geburtsurkunde gefragt und Sophie reckte den Kopf hoch, wenn Männer bei ihrem Alter schwindeln konnten, dann konnte sie das schon lange.

Ihre Mutter stand kurz vor dem Nervenzusammenbruch, als der Bescheid kam und musste mit Riechsalz wieder aufgeweckt werden, nachdem sie umgekippt war. Dann begann sie zu zetern, dass Sophies ganze Ausbildung umsonst gewesen sei und Sophie kam nicht umhin sich zu fragen, welche für eine Ausbildung? Dass sie lernte sich zur Schau zur stellen, sich herauszuputzen, bei Männern mit albernem Gekicher Aufmerksamkeit zu erregen?

Drei Monate später hatte sie ihre Grundausbildung und die darauf folgende Schulungen, wo sie zuerst lernte feindliche Flugzeuge auf dem Radar zu erkennen und dementsprechende Warnungen herauszugeben. Danach arbeitete sie an einem Funktisch, wo sie die Positionen der feindlichen Flugzeuge an die eigenen weitergab und die englischen Jagdstaffeln zum Ziel lotste. Und genau dort arbeitete sie jetzt immer noch. Und dann hatte sie an einem Abend in diesem Pub Evan kennengelernt. Zumindest war es so, dass sie sich erst am Morgen danach sehr langsam wieder an alles erinnern konnte. Und seitdem war er nie länger als zwei Wochen am Stück verschwunden gewesen. Sie machte ihm auch keine Vorwürfe, denn er hatte schließlich einen Job zu machen. Wie sie auch, aber sie dachte dass seiner wichtiger war. Viel gefährlicher. Nein, dachte sie, daran wollte sie jetzt nicht denken. Lieber daran denken, dass sie ihn heute Abend sehen würde. Wenn ihre Mutter davon wüsste, würde sie sie wahrscheinlich enterben, aber Sophie war das egal. Das einzige was sie bekommen würde, war eine Mitgift, falls sie einen passenden Mann heiraten würde, den Rest würde ihr Bruder Johnnie erben. Und das bisschen Mitgift konnte sich ihre Mutter getrost an den Hut stecken, dachte Sophie.
 

Reg stand hinter dem Hühnerstall und schaute in den Himmel. In der Hand hielt er eine brennende Zigarre. Man lebte schließlich nur einmal, dachte er, und bevor der Ami sie jemandem anderen schenkte, sprang er lieber über seinen Schatten und nahm sie schweren Herzens an, man konnte die Dinger ja nicht verkommen lassen, das Lang befand sich immerhin im Krieg. Da durfte man nichts wegwerfen. Er ließ sich auf einem Hocker nieder und erschrak, als die Eier in seiner Jackentasche platzten. Laut fluchend holte er die Schalenreste heraus und warf sie weg. Den Eiermatsch würde er später beseitigen. Er hörte Gekicher aus dem Stall und plötzlich einen lauten Ruf, demzufolge der Amerikaner wieder da war. Reg schaute auf und sah wie sich Erica in die Arme des Amerikaners schmiss, er lächelte kurz, seufzte dann und ergab sich schließlich in sein Schicksal. Immerhin hatte er viel weniger Kreuzschmerzen, seit die Frauen den meisten Kuhmist aus dem Stall schoben und er sich nicht mehr mit dem Karren abplagen musste.



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Kommentare zu dieser Fanfic (20)
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Von:  perfekt
2010-06-28T02:16:00+00:00 28.06.2010 04:16
Habe gerade sämtliche Kapitel lesen, da ich nach einer Weile einfach nicht mehr aufhören konnte!
Ein Lob für das ganze Recherchieren! Es erschien mir beim Lesen so, als hättest du eine Menge über das Thema gelesen. Eine sehr gute Idee den Brief und das Gedicht, die es anscheinend wirklich gab, genau so einzubauen, wirkt authentisch und bringt einen der Zeit näher, in der die Geschichte ja spielt. Die Gefühle der Charaktere fand ich auch sehr gut beschrieben, es muss wahnsinnig schwer sein solche Einsätze zu fliegen und mit den ganzen Eindrücken umzugehen, das hat man den Charakteren angemerkt.
Sämtliche Kapitel hindurch habe ich immer nur darauf gewartet, dass auch die Lilly abgeschossen wird (wie ja auch am Ende passiert) und immer gehofft, dass sie es doch ohne Abschuss schaffen.

Am Anfang war ich sehr verwirrt von all den Namen! Sich 10 Hauptpersonen und deren Positionen in dem Flugzeug (von dem ich auch gar keine Ahnung habe) zu merken war wahnsinnig schwierig am Anfang. Ich kam sogar gegen Ende immer noch durcheinander. Wie man dieses Problem lösen könnte weiß ich leider nicht, sämtliche Personen sind ja wichtig in diesem Flugzeug.
Dennoch hat es sich auf jeden Fall gelohnt durchzuhalten! Ich freu mich schon auf das nächste Kapitel :)

LG
Von: abgemeldet
2010-06-05T11:28:46+00:00 05.06.2010 13:28
Guten Tag.
Ein sehr schönes Kapitel, richtig friedlich und auch von der Beschreibung schön. Es hat zwar ne Weile gedauert, bis wieder was kam, aber das Warten hat sich definitiv gelohnt.
Also, es war mir eine große Freude, zu lesen und hoffe, dass es nicht wieder so lange dauert - soll übrigens kein Vorwurf sein.

mfg,
Wedge
Von: abgemeldet
2009-01-10T18:53:48+00:00 10.01.2009 19:53
Ah, sie wurden also von einer WRNS-Fischerin aus dem Wasser gefischt. Aber eine Frage: Chase baggert nicht zufällig seine Retterin an, oder? Is er nicht schon unter der Haube oder ist das "nur" eine Überspannreaktion?
Das sie mehr vom Schrecken des Krieges gesehen haben, als sie sollten, ist klar... um ehrlich zu sein: Ich wollte kein Flieger im Zweiten Weltkrieg sein, egal ob Jäger oder Bomber.
Was Webster Senior da macht, diese Brüderlichkeit, mir kommt sie ein wenig zu schnell vor... Aber vielleicht sind die Piloten einfach nur gewinnend. Isabel scheint mit ein nettes Mädchen zu sein. Mal sehen, wer sie sich schnappt.

mfg,
Wedge
Von: abgemeldet
2008-12-31T17:00:59+00:00 31.12.2008 18:00
Lil is also abgesoffen, Mechaniker und Hund trauern... doch sie sind noch nicht tot!
So wie ich dich kenne, werden sie gerettet, von einem Fischerboot. Oder von einem Schlachtschiff der Royal Navy. Was auch immer passt.
Ein hervorragendes Kapitel, auch wenn das Ende etwas abrupt kam.

Guten Rutsch,
Wedge
Von: abgemeldet
2008-11-27T14:02:42+00:00 27.11.2008 15:02
Oh, shit, Lil is im Eimer!
Ein dramatisch und geil geschriebenes Kap, ich habe bei der Beschweibung der FW-190erwirklich sie auf mich zufliegen sehen. Der letzte Teil in Ich-Form ist ebenso gut gelungen. Esbeestätigt sich wieder: Gut Ding will Weile haben.

mfg,
Wedge
Von: abgemeldet
2008-11-19T10:41:00+00:00 19.11.2008 11:41
AH, es geht weiter!
Wunderbar!
Und nicht nur die oben beschriebene Tatsache. Wieder ein hervorragendes Kap, hoffe es geht bald weiter.

mfg,
Wedge
Von: abgemeldet
2008-10-24T21:28:23+00:00 24.10.2008 23:28
Okay, das ist eine Legende.
Ein weiteres gut geschriebenes und vor allem aussagekräftiges Kapitel.

mfg,
Wedge
Von: abgemeldet
2008-09-18T13:51:12+00:00 18.09.2008 15:51
Diess kurze wechsel in die Ich-Prespektive ist sehr gut gelungen. Auch die Schilderung im allgemeinen ist sehr gut gelungen.
Ich finde es gut, dass du auch einen dir bekannten und wohlvertrauten Schauplatz eingebunden hast und auch dabei die Fakten nicht außer acht lässt.

mfg,
Wedge
Von: abgemeldet
2008-08-26T20:44:46+00:00 26.08.2008 22:44
Traurig. Der letzte Teil ist einfach nur wunderschön geschrieben, und richtig traurig von der Handlung her.
Italien ist auch in manchen Gegenden wunderschön. Ich kann leider nur von der sommerlichen Toskana und den Frühlings-Sorent, Frühlings-Amalfi und Frühlings-Capri sprechen.

Danke für ein weiteres tolles Kapitel.
mfg,
Wedge
Von: abgemeldet
2008-07-31T14:19:17+00:00 31.07.2008 16:19
Gott im Himmel, das war echt wirklich gut geschrieben. Ich hatte die ganze Zeit eine Gänsehaut!
Ich sag dir was: Werd Schriftsteller!

mfg,
Wedge


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