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Bomb Run

Eine US-Bomberbesatzung im 2. Weltkrieg
von

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"Hauptsache, die Jungs sind heil..."

Jamie kaute ohne Appetit auf einem besonders zähen Stück Fleisch aus seiner Gulaschsuppe herum und nahm dann einen Bissen Brot dazu. Henry, der unter dem Tisch lag, winselte und kratzte an Jamies und dessen Kameraden Hosenbeinen.

„Wem gehört der Hund?“ fragte einer der Mechaniker, seine Augenbraue zuckte etwas genervt.

Jamie straffte sich. „Verge Claiborne“, sagte er. „Kugelturmschütze von Liberty Lilly.“

Der andere Mechaniker schluckte trocken an seinem Brot und widmete sich wieder seinem Gulasch. Henry bekam ein Stück Fleisch von ihm unter den Tisch geworfen und war erstmal zufrieden.

Es war spät geworden, kurz vor Mitternacht. Er und ein paar andere Mechaniker waren noch einmal nach draußen gerufen worden, als eine übel zugerichtete Blenheim mit zerschossenem Motor ihre Notlandung auf dem Platz machte.

Sie wurde in weniger als einer Stunde wieder fit gemacht, und zum Glück für die amerikanischen Mechaniker, fand sich im Nachbardorf eine Waaf-Flugmechanikerin, die dort ihren 48-Stunden Urlaub verbrachte und sich gut mit den britischen Motoren auskannte. Mit viel Geschick flickte sie die zerschossene Hydraulikleitung und die Maschine konnte weiterfliegen. Es war eine der Aufklärer, die mit einem großen Lancaster-Bomberstrom mitgeflogen war und Fotos vom Ziel geschossen hatte, die nun schnell ausgewertet werden mussten.
 

Jamie war gerade eingeschlafen, als irgendjemand hektisch an die Tür klopfte. Nein, derjenige hämmerte eigentlich mehr, wenn man genau sein wollte.

„Sergeant Hayes? Wichtige Nachrichten, Sir!“

Jamie dachte an Lilly und ihre Besatzung und sprang aus dem Bett, hinein in seine Hose und warf sich schnell einen Pullover über den Kopf, dann folgte er dem jungen Corporal in den Gefechtstand. Eine der Frauen, die an der Schalttafel für die Telefonate arbeitete schaute auf, als der Corporal ihr auf die Schulter tippte. Dann erblickte sie Jamie Hayes in seiner schmutzigen Mechanikerhose und seinem vom Schlaf zerknitterten Gesicht und lächelte. „Gute Nachrichte von der Besatzung Ihrer Maschine, Sir.“

Jamie war als fiele ihm ein zentnerschwerer Stein vom Herzen, der den Boden des Gefechtsstands durchschlug. Er atmete kurz tief durch. Sie waren in Sicherheit, seine Besatzung.

„Was ist passiert?“ fragte er die Telefondame.

„Ihr Pilot, First Lieutenant Davis, hat hier angerufen. Von einem kleinen Cottage in der Nähe von Ipswich, also nicht ganz so weit von hier. Die Maschine musste notwassern, die gesamte Besatzung hat sich mit ein paar blauen Flecken ins Schlauchboot retten können. Sie warten jetzt in dem Cottage auf jemanden, der sie abholt.“

„Die Maschine ist untergegangen?“ krächzte Jamie entsetzt, nun da er wusste, dass er sich um seine Jungs keine Sorgen mehr machen musste, war die Maschine in den Vordergrund gerückt.

Die junge Frau nickte. „Tut mir leid, Sir.“

„Braucht es nicht“, murmelte Jamie, obwohl es ihm doch sehr leid tat um die arme Lilly. „Können Sie mir den Ort sagen, wo man sie abholen muss? Dann schicke ich gleich morgen früh jemanden.“

Sie nahm einen Bleistift und kritzelte auf ein Blatt Papier, dann reichte sie es ihm. „Die Maschinen sind ersetzbar“, sagte sie und schaute ihn mit ihren hellblauen Augen durchdringend an. „Ihre guten Männer nicht.“
 

Die scheinbar ausgelassene Stimmung, verursacht durch den vielen Brandy und ein paar Flaschen Wein, die Jack Webster aus den Tiefen seines Kellers heraufgebracht hatte, wurde schnell wieder mürbe, als die ersten Männer vor Müdigkeit beinahe vom Sofa fielen.

Mary Webster versuchte so gut es ihr möglich war den Männern am Boden ein bequemes Nachtlager herzurichten, und die Männer waren auch sehr zufrieden mit den paar alten dünnen Matratzen und Decken. Mary lächelte, als die ersten selig zu schnarchen begannen. Wie im Pfadfinderlager, dachte sie, doch dann verschwand das Lächeln schnell wieder, als sie daran dachte, was die Männer hinter sich hatten. Und noch vor sich hatten. Bald würden sie wieder in einer Maschine, einer neuen Maschine, sitzen und versuchen Deutschland durch ihren Bombenregen in Schutt und Asche zu legen und Hitler damit das Handwerk zu legen.

Mary dachte an ihren Sohn, der in Schottland war und wohl bald mit einem Schiff unterwegs sein würde. Sie machte ein Kreuzzeichen, wenn er nur heil wieder zurückkam. Und sie dachte an Isabel, die in vier Tagen zurück nach Portsmouth fahren würde und dort wieder arbeiten würde. Zwar war die Zeit des ‚Blitz’ vorbei, doch niemand wusste, ob und wann die Deutschen wieder herüberkommen würden und ein neuerliches Bombardement beginnen würden. Und Portsmouth lag als ein gutes Ziel direkt an der Südküste Englands.
 

Isabel stand mit dem Rücken an die Hauswand gelehnt und schaute in den Sternenhimmel. Nicht mehr lange und der Himmel würde sich am Horizont rosa färben und einen neuen Tag ankündigen. Noch vier Tage hatte sie mit ihren Eltern, dann würde sie zurück nach Portsmouth gehen und ihre Arbeit wieder aufnehmen. Sie hörte das Klicken der Türklinke und glaubte schon ihre Mutter würde herauskommen und sie holen um sie ins Bett zu stecken, wie sie es in Isabels Kindheit immer gemacht hatte. Doch es war der amerikanische Pilot. Sein Kopfverband leuchtete hell im Dunkeln, er erkannte ihre dunkle Silhouette schnell und kam zu ihr herüber.

„Sie schauen die Sterne an, Isabel?“ fragte er und legte den Kopf in den Nacken.

Sie nickte. „Ich liebe den Sternenhimmel, vor allem wenn es fast schon wieder hell wird und sie langsam verblassen.“ Sie schaute ihn an. „Sie verblassen leider so schnell.“

Er wusste, was sie damit meinte. Sie dachte an die vielen Männer, die ebenso wie die Sterne verblassten, jedoch nicht in jeder Nacht wiederkamen, sondern für immer weg waren.

Einer plötzlichen Eingebung hin, nahm Isabel die Hand des Piloten. Er drückte ihre. Und so schnell, wie sie seine Hand gepackt hatte, so schnell zog er sie an sich und hielt sie eng umschlungen.

„Es tut mir leid“, flüsterte er. „Ich habe zuhause eine Freundin, ich liebe sie und ich will sie heiraten, wenn ich zurückkomme. Aber ich kann gerade nicht anders.“

Isabel kannte das Gefühl, denn ihr junger Verlobter, ein Navy-Arzt war bereits seit zwei Jahren irgendwo auf einem Schiff im Fernen Osten. Sie kannte das Gefühl, das beinahe übermächtig zu werden drohte, wenn man jemanden berühren wollte, so berühren.

Sie hob langsam ihr Gesicht zu seinem, dann berührten sich ihre Lippen. Sie wusste, es hatte nichts zu bedeuten, zumindest nicht das was sie Liebe nannten. Es war einfach nur ein Kuss zwischen zwei einsamen Seelen, die ihre Lieben vermissten und nicht haben konnten.

Sie wusste nicht wie lange sie da gestanden waren, doch irgendwann dämmerte es im Osten. Der Amerikaner hielt noch eine Weile ihre Hand, schaute sie an und sagte: „Danke.“ Dann verschwand er und sie hörte die Tür zufallen.

Isabel war wieder allein, aber sie hatte neue Hoffnung. Hoffnung, dass ihr junger Mann zurückkommen würde, denn er hatte ihr schon vorher gesagt, sie solle nicht zuhause herumsitzen und traurig sein, sondern so lebensfroh sein, wie er sie gekannt hatte.

Sie schaute auf, als die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne ihr Gesicht erhellten und lächelte. Dann holt sie eine Decke aus dem Wohnzimmer, stieg über die schlafenden Gestalten hinweg und ging wieder nach draußen. Im Schaukelstuhl ihres Vaters lehnte sie sich zurück, ließ die Decke über ihren Beinen hängen und die Wellen, die an die Küste schlugen lullten sie in den Schlaf.
 

Irgendwann, sie konnte nicht sagen wie viel Zeit vergangen war, schreckte sie hoch. Motorengeräusch hatte sie erwachen lassen, aber keine Flugzeugmotoren. Nur ein Auto, das die Küstenstraße entlang gebraust zu kommen schien. Sie legte die Decke zur Seite und stand auf. Sie fuhr sich ein paar Mal mit den Händen durch die Haare und stellte fest, dass es wüst vom Kopf abstand. Sie ließ es gut sein und ging um das Cottage herum.

In der Einfahrt fand sie kein Auto, aber einen Lastwagen, auf dessen ihr zugewandter Seite ein amerikanischer Stern prangte. Isabel atmete tief durch, nun würden sie zurückfahren. Zurück auf ihren Flugplatz nur um schnell wieder in eine neue Maschine gesetzt zu werden und abermals Tag für Tag in den Himmel hinaufzusteigen und hinüber nach Deutschland zu fliegen.

Sie ging auf den Lastwagen zu und aus dem Fahrerhaus kam ihr eine schlanke, beinah linkische Gestalt in schmutzigen braunen Hosen entgegen. Isabel warf einen Blick zum Himmel und erkannte am Sonnenstand, dass es bereits später Vormittag sein musste. Ein weiterer Blick sagte ihr, dass das Fahrrad ihrer Mutter fehlte und der Traktor ihres Vaters. Alle ausgeflogen, dachte Isabel. Außer den Amerikanern natürlich.

„Guten Morgen“, sagte sie freundlich zu dem Mann. „Sie sind vom Flugplatz um ihre Jungs wieder abzuholen?“

Der Kerl nickte, sagte aber noch nichts. Stattdessen zündete er sich eine Zigarette an, wovon er Isabel auch eine anbot. Sie schüttelte den Kopf. Nicht auf nüchternen Magen, das war ihr noch nie gut bekommen.

„Wo sind die Jungs?“ fragte er dann. Und dann reichte er ihr doch seine Hand. „Ich bin ihr Mechaniker. Hab’ mich um die Maschine gekümmert.“ Sein Blick schweifte ab, Richtung Meer. „Die liegt jetzt wohl da unten irgendwo.“

„Hm“, machte Isabel leise. Eine Böe strich ihr vom Meer her durch die Haare.

„Na ja, Hauptsache die Jungs sind heil, “ sagte er. „Jamie Hayes, mein Name. Und Sie, Ma’am?“

„Isabel Webster.“

„Nett Sie kennenzulernen. Wollen wir die Jungs wecken?“

Sie nahm ihn mit ums Haus herum, und sie traten durch die Terrassentür ein. Jamie Hayes blieb bei dem Anblick der schlafenden Mannschaft wie vom Blitz getroffen stehen.

„Hätte wohl ’n bisschen später kommen sollen, “ murmelte er.

Isabel schaute ihn von der Seite an und konnte nachvollziehen was er dachte. Sie wandte sich ab und ging in die Küche. Dort fand sie den Piloten, schlafend. Seine Arme verschränkt und seinen Kopf darauf gebettet. Vor sich eine leere Tasse, in der wohl Kaffee gewesen war. Isabel nahm leise die Tasse und stellte sie in die Spüle.

Der Pilot regte sich kurz, drehte seinen Kopf zur Seite. Isabel lächelte, als sie die Knitterfalten, die vom Stoff seiner Uniformjacke herrührten auf seiner Wange sah. Kurz strich sie ihm die Haare, die ihm zu lang ins Gesicht fielen zurück. Dann hörte sie, wie drüben in der Stube langsam Leben einkehrte.
 

Eine Stunde später stand sie in der Auffahrt zum Cottage und blickte dem Lastwagen nach, der langsam aber sicher aus ihrer Sicht verschwand. In der Hand hielt sie einen gelben Seidenschal. Der Pilot hatte ihn ihr gegeben. Als Andenken. Und sie hatte einfach das nur lose angeheftete Ärmelabzeichen der WRNS an ihrer Uniformbluse angerissen und ihm zugesteckt. Sie wusste, sie würde ihn nie wieder sehen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  perfekt
2010-06-28T02:16:00+00:00 28.06.2010 04:16
Habe gerade sämtliche Kapitel lesen, da ich nach einer Weile einfach nicht mehr aufhören konnte!
Ein Lob für das ganze Recherchieren! Es erschien mir beim Lesen so, als hättest du eine Menge über das Thema gelesen. Eine sehr gute Idee den Brief und das Gedicht, die es anscheinend wirklich gab, genau so einzubauen, wirkt authentisch und bringt einen der Zeit näher, in der die Geschichte ja spielt. Die Gefühle der Charaktere fand ich auch sehr gut beschrieben, es muss wahnsinnig schwer sein solche Einsätze zu fliegen und mit den ganzen Eindrücken umzugehen, das hat man den Charakteren angemerkt.
Sämtliche Kapitel hindurch habe ich immer nur darauf gewartet, dass auch die Lilly abgeschossen wird (wie ja auch am Ende passiert) und immer gehofft, dass sie es doch ohne Abschuss schaffen.

Am Anfang war ich sehr verwirrt von all den Namen! Sich 10 Hauptpersonen und deren Positionen in dem Flugzeug (von dem ich auch gar keine Ahnung habe) zu merken war wahnsinnig schwierig am Anfang. Ich kam sogar gegen Ende immer noch durcheinander. Wie man dieses Problem lösen könnte weiß ich leider nicht, sämtliche Personen sind ja wichtig in diesem Flugzeug.
Dennoch hat es sich auf jeden Fall gelohnt durchzuhalten! Ich freu mich schon auf das nächste Kapitel :)

LG
Von: abgemeldet
2010-06-05T11:28:46+00:00 05.06.2010 13:28
Guten Tag.
Ein sehr schönes Kapitel, richtig friedlich und auch von der Beschreibung schön. Es hat zwar ne Weile gedauert, bis wieder was kam, aber das Warten hat sich definitiv gelohnt.
Also, es war mir eine große Freude, zu lesen und hoffe, dass es nicht wieder so lange dauert - soll übrigens kein Vorwurf sein.

mfg,
Wedge


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