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Hot N' Cold

(ehem. Melting)
von

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Erinnerungen

Hallihallo zusammen!
 

Jaaah, es geht auch mal wieder weiter!

Man mag es ja kaum glauben =_="

Dabei hatte ich meine Schaffenskrise mutmaßlich überwunden und dieses Kapitel hier - das mir übrigens Spaß gemacht hat, zu schreiben xD - schon kurz nach meiner letzten Veröffentlichung fertig. Warum's dann nicht eher erschienen ist, erklär ich euch im Nachwort. Ansonsten würde ich dem Kapitel zu viel vorweg greifen.
 

Kapitel 13: Erinnerungen
 

Die heruntergefallenen Äste knirschten unter den schweren Reifen des metallic-grauen Sportwagens, als der Fahrer sie in einem abgelegenen Waldstück geschätzte 30 Kilometer entfernt vom Institut zum Stehen brachte.

Das stetige, angenehm monotone Brummen des Motors verstummte.

Seufzend ließ John sich in den Sitz zurücksinken.

Ziellos war er über die verlassenen Highways gerast; er hatte einfach nur möglichst weit weg von der Schule sein wollen.

Er war sich sicher, dass ihn hier keiner seiner Lehrer oder Mitschüler finden würde.

Eigentlich wusste er ja nicht einmal selbst, wo er gerade war.

Tief einatmend schloss er die Augen. Er machte sich nicht einmal die Mühe, den Sicherheitsgurt zu lösen; das Radio hatte er bereits kurz nach seiner übereilten Abfahrt stumm geschaltet.

Jetzt, wo er zur Ruhe zu kommen schien, verstärkten sich seine Gedanken um Bobby und ihren Streit nur noch. Die ganze Fahrt über hatten sie ihn nicht losgelassen.

Nie hätte er gedacht, ausgerechnet von Bobby so verletzt zu werden.

Es war einfach nicht die Art des Eismutanten, mit solchen eindeutig auf Verletzung ausgerichteten Worten um sich zu werfen. So etwas… war Johns Part gewesen. Bobby hätte einfach nur da sein müssen, um ihn wieder zu beschwichtigen.

Ein wehmütiges Lächeln schlich sich auf Johns Lippen.

Ihm war klar, dass vermutlich selbst Bobby irgendwann mal die Kraft ausging, seine sarkastische, stichelnde Art schweigend hinzunehmen. Vermutlich hatte es einfach so kommen müssen.

Doch warum hatten sie nicht vorher erkannt, dass sie sich auf einen Abgrund ihrer Freundschaft zubewegten?

Gerne würde John all dies auf den Umstand schieben, dass Bobby nun anders für ihn empfand und ihm einfach diesen Kuss aufgedrängt hatte.

Wenn er allerdings nun in Ruhe darüber nachdachte, dann wurde ihm klar, dass dies bloß ein Tropfen in einem eh schon überlaufenden Fass gewesen war.

In seiner Erinnerung waren zwei Jungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, die sich manchmal gegenseitig nervten, aber dennoch die besten Freunde waren.

Gab es sie noch?

Er hatte sich unterschwellig so gefreut, wieder zur Schule zurückzukehren. Er gestand es sich ungern ein, aber dies war nun mal das einzig wirkliche Zuhause, das er jemals gehabt hatte, seit seine Mutation ausgebrochen war und seine Eltern bei seinem Anblick nur noch Furcht und Abscheu empfanden. Ein wesentlicher Grund dafür, dass er sich in diesen Gemäuern wohl gefühlt hatte, war Bobby gewesen.

Doch wann hatten sie angefangen, sich zu entzweien?

War es nur ein ganz normaler Prozess des Älterwerdens gewesen, der langsam einen Keil in ihre Freundschaft getrieben hatte? Warum aber dann hatte er sich dem Eismutanten so nah gefühlt, als er in die Schule zurückgekehrt war?

Tief in seinem Inneren wusste John, dass es eigentlich einen anderen Grund gab; einen, den Bobby die ganze Zeit über nie gesehen, den John wiederum nie erwähnt hatte.

Seufzend lehnte er seine Stirn an das Lenkrad. Der Sicherheitsgurt zog unangenehm an seinem Oberkörper und doch machte John immer noch keine Anstalten, sich abzuschnallen.

Hatte er vor Alkali Lake nicht genug über diese „Sache“, diesen Grund, nachgedacht? Musste er sich das erneut antun?

Er wollte sich nicht mehr die Schwächen der bloßen Eifersucht eingestehen, aber seine Gedanken wanderten weiter, ohne dass er sie aufhalten konnte: Rogue.
 

Derweil hatte Bobby es mit ganz anderen Problemen zu tun.

Nachdem John ihn einfach so in ihrem Zimmer zurückgelassen hatte, waren einige starre Sekunden vergangen, ehe er sich an den Kopf gepackt und versucht hatte, das Geschehene zu fassen. Die Kraft, dem anderen hinterher zu rennen, hatte er nicht aufbringen können.

Nun befand er sich auf dem Weg zu ihrem Klassenraum. Obwohl er nun schon fast zehn Minuten zu spät war, wusste er nicht, was er sonst mit sich anfangen sollte.

Seine Gefühle waren aufgewühlt und durcheinander.

Johns Worte hatten ihn verletzt, seine eigenen ihn geschockt.

Dazu fühlte er eine schwelende Angst in sich, was ihn im Klassenraum erwarten würde.

Er hatte nicht vergessen, wie John vor ihrer Tür auf die beiden Jungen getroffen war, die sie offensichtlich belauscht hatten. Selbst wenn sie, was Bobby nicht einmal glaubte, die Einzigen gewesen wären, die ihren Streit mitbekommen hätten, so würden es nun dennoch fast alle wissen. In einer Schule verbreiteten sich Nachrichten nun einmal schnell, besonders, wenn sich über ein Thema eh schon das Maul zerrissen wurde.

Zunächst hatte Bobby daher gar nicht in den Unterricht gehen wollen, doch er hatte sich klargemacht, dass er es damit nur noch schlimmer machen würde.

Wie sagte man so schön? „Angriff ist die beste Verteidigung.“

Dennoch legte sich Bobbys Hand nur zögerlich auf die Klinke der dunklen, zweiflügeligen Tür.

Ein Teil seines Kopfes sagte ihm: „Drück sie endlich runter!“

Ein anderer sagte: „Verzieh dich doch lieber in dein Schneckenhäuschen.“

Bobby hörte auf die Erste.

Seine Anspannung wuchs, als die Tür sich langsam öffnete und er Storm in dem abgedunkelten Raum nur schwach vor der Leinwand ausmachen konnte.

Er konzentrierte sich darauf, seine Augen nur nach vorne zu ihr zu richten und nicht zu seinen Mitschülern zu blicken, deren Blicke er instinktiv auf sich spürte.

„Oh… Bobby“, hörte er Storm erstaunt sagen.

Offensichtlich hatte sie nicht damit gerechnet, ihn noch in ihrem Unterricht anzutreffen. Vermutlich waren also auch ihr schon die Neuigkeiten zu Ohren gekommen.

„Sorry, ich… ich hab verschlafen“, sagte Bobby leise und spürte, wie ihm von dieser Lüge ganz warm wurde.

Wenn Ororo Munroe wusste, was zwischen ihm und John vorgefallen warum, so ließ sie es sich in diesem Moment nicht anmerken. Stattdessen meinte Bobby, ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen zu erkennen.

„Schon okay, setz dich hin“, sagte sie in einem bestimmten, aber warmen Ton und wandte sich dann wieder ihrem Vortrag zu, für den sie nun ein neues Bild auf der Leinwand erscheinen ließ.

So unauffällig wie möglich ließ Bobby sich neben Warren nieder, der ihn nur schwach anlächelte und sich dann wieder interessiert dem Thema der Stunde widmete.

Immer noch hatte Bobby das Gefühl, sämtliche Aufmerksamkeit seiner Mitschüler, von Warrens mal abgesehen, auf sich zu ziehen. Sein Herz schlug schnell gegen seine Brust, die ihm so schwer vorkam. Er hatte das unangenehme Gefühl zu schwitzen. Ein Griff in seinen Nacken bewies ihm, dass dem auch so war.

Rogue und Kitty, die vor ihm saßen, drehten sich flüchtig zu ihm um. Ihr Blick fiel fragend auf den leeren Platz links neben ihm, doch Bobby wandte sich von ihnen ab, ehe sie ihn auf Johns Fehlen ansprechen konnten.

Starr blickten seine hellen Augen auf die Projektion der menschlichen Evolutionstabelle, doch er nahm die Zeichnungen, Buchstaben und Zahlen nicht wirklich wahr. Ebenso drangen die Worte aus Storms Mund lediglich wie ein fernes Rauschen an sein Ohr.

Umso klarer hörte er jedoch das Flüstern hinter sich, erst leise, dann auffordernder: „Hey… hey, Drake.“

Bobby merkte, wie ihm ein unangenehm heiß-kalter Schauer über den Rücken rann. Genau das war so ein Moment, vor er dem er sich gefürchtet hatte.

Er wünschte sich in diesem Augenblick, so abgebrüht wie John zu sein, der so etwas immer ignorieren konnte. Doch sein Kopf drehte sich wie von allein in die Richtung der Stimme.

Hinter ihm saßen Piotr und sein wesentlich jüngerer Zimmerkamerad.

Früher hatte der hoch gewachsene Russe ebenso wie Bobby mit einem Gleichaltrigen in einem Zimmer gewohnt, doch dann war dieser Junge – Bobby konnte sich gerade nicht einmal an seinen Namen erinnern – von der Schule gegangen. Piotrs jetziger Zimmergenosse, Flea, sollte eigentlich nur übergangsweise in seinem Raum schlafen, doch dann hatten die beiden sich so gut verstanden, dass man es seit Jahren nicht geändert hatte.

„Hey Drake…“, hörte er die nervige Stimme nun abermals sagen. Das von vorne dringende Licht beleuchtete seine Augen in einem Winkel, der sie fast schon diabolisch aussehen ließ. „Sag mal…, stimmt es, dass du in Allerdyce verknallt bist?“

Bobby hatte das Gefühl, ihm würde die Luft wegbleiben.

Hitze strömte erneut durch seinen Körper, ließ ihm fast schwindelig werden.

Er war wie erstarrt, als Piotr seinen Nachbarn unsanft in die Seite stieß.

„Halt die Klappe und guck nach vorne“, murmelte er ihm zu, vermied es aber eindeutig, Bobby anzusehen.

Dieser schluckte.

Es lag auf der Hand, dass auch Piotr bereits gehört hatte, was zwischen ihm und John vorging. Ekelte er sich nun vor ihm?

„Verdammt, ich will das aber wissen“, flüsterte Flea zurück und warf dem Größeren einen bitterbösen Blick zu, ehe er sich wieder begierig an Bobby wandte.

Dieser wusste nicht, wie er reagieren sollte.

„Und? Sag schon!“

„Das… das geht dich überhaupt nichts an“, erwiderte er leise, aber kräftig.

Dennoch schlug er sich innerlich vor die Stirn. Seine Antwort würde wohl nur unterstreichen, was auch immer die beiden Jungen, die sie belauscht hatten, erzählt haben mochten. In einer solchen Situation hätte er Johns flapsige Sprüche durchaus gut gebrauchen können.

Auf Fleas Gesicht zeichnete sich ein zufriedenes Grinsen ab. Was auch immer er dachte, er sah sich wohl in seinen Vermutungen über Bobby und John bestätigt.

„Seid leise dahinten!“, drang Storms Stimme durch den Raum. Die Unruhe in den letzten Reihen war auch ihr nicht entgangen. „Flea, einige möchten hier sicher zuhören. Wenn es dich also schon nicht interessiert, wie die Menschheit zu dem geworden ist, was sie heute ist, dann setz dich wenigstens gerade hin und sei still.“

Eine solche Strenge passte eigentlich gar nicht zu Ororo Munroe.

Doch sie wirkte, denn Flea, der vorher halb über seinen Tisch gehangen hatte, ließ sich nun an die Rückenlehne seines Stuhls sinken.

Bobby wandte sich wieder nach vorn und die beige Oberfläche seines Tisches.

Er wollte sich gar nicht ausmalen, was alles auf ihn zukommen würde, wenn der Unterricht vorbei war.
 

Resignierend strich John sich über die geschlossenen Lider.

Er konnte die sich aufdrängenden Empfindungen einfach nicht aus seinem Kopf verbannen.

Eigentlich hatte er das leidige Thema „Rogue“ längst abgehakt – zumindest hatte er so gedacht. Doch nun schlich es sich zurück in seine Gedanken, ohne dass er darum gebeten hatte.

Zu gut erinnerte er sich an die Zeit, als Rogue plötzlich mit Wolverine in ihrer Schule aufgetaucht war und langsam, aber stetig einen größer werdenden Keil zwischen ihn und Bobby getrieben hatte.

Nicht selten war sie das Thema ihrer sich damals anhäufenden Streitereien gewesen. Ihre pure Präsenz, ob nun körperlich oder in ihren Worten, hatte immer zwischen ihnen gestanden.

Argwöhnisch hatte John beobachtet, wie die Bindung zwischen Rogue und Bobby immer enger geworden war. Sie hatten mehr Zeit miteinander verbracht und dann waren da diese ersten Anzeichen des Verliebt-Seins gewesen. Die schüchternen Blicke, die zaghaften Lächeln.

Wäre John an Bobbys Stelle gewesen, hätte er eher versucht, Rogue mit irgendeinem coolen Spruch auf sich aufmerksam zu machen – und dann an ihr rumgegraben wie ein Bergbaubagger.

Doch er war nicht an Bobbys Stelle gewesen. Nein, er hatte nur das leidige Los gezogen, der stille Zuschauer sein zu müssen – nur, dass er nicht wirklich still gewesen war.

Absichtlich hatte er sich angestrengt, noch lauter und noch provokativer zu sein.

Verglichen zu seinen Wutausbrüchen die Jahre zuvor, würde sein Geplänkel vor Bobby und Rogue vielleicht harmlos wirken, doch John war sich bewusst, dass er oft einfach nur genervt hatte.

Er hatte sich bereits eingestanden, eigentlich nur die Aufmerksamkeit gesucht zu haben, die ihm entzogen worden war.

Man konnte nun vielleicht meinen, John wäre eifersüchtig auf Bobby gewesen, doch dem war nicht so.

Gewiss, Rogue sah nicht schlecht aus. Eigentlich war sie sogar ganz hübsch. Nicht so auffallend wie Ororo Munroe vielleicht oder Jubilation Lee, aber dennoch konnte John Rogue leider nicht mit Recht als „hässlich“ bezeichnen, auch wenn er es in Gedanken oft genug getan hatte.

Was Bobby jedoch an ihr fand oder nun wohl eher ‘gefunden hatte‘, war jedoch stets über Johns Vorstellungsvermögen hinausgegangen.

Als sie auf Xaviers Schule gekommen war, war sie für John ein stinknormales Mädchen gewesen. Sie war zurückhaltend, fiel nicht wirklich auf. Gut, vielleicht hatte ihre Mutation sie etwas interessanter gemacht. Denn selbst an einer Schule voller Kinder mit unterschiedlichen Kräften war es schon sonderbar, selbst im Hochsommer mit langer, bedeckender Kleidung herumzulaufen, weil der bloße Hautkontakt schon tödlich sein konnte.

Aber ansonsten hatte John nichts finden können, was an ihr so außergewöhnlich, so wunderbar war, um zu rechtfertigen wie oft Bobby über sie sprach. Oft war eigentlich gar kein Ausdruck dafür. Ständig würde es eher treffen.

Denn kaum hatte das ach-so-arme Ding die Pforten ihrer Schule durchquert, war Bobby vor Mitleid fast zerflossen. Zumindest war es John so vorgekommen. Sie hatte Bobby so Leid getan, mit ihrer schrecklichen Mutation. Und schwups, hatte er entschieden, ihr die Schule zu zeigen, den Einstieg einfacher zu machen und ihr zu helfen, sich in die Gruppe der Schüler zu integrieren.

Ganz nette Idee, wenn Rogue sich zu dem Zeitpunkt mal für uns interessiert hätte, ging es John bissig durch den Kopf und es war nicht gerade das erste Mal, dass er so dachte. Für Rogue hatte es anfangs nur Wolverine gegeben. Was eigentlich auch nicht sonderlich verwunderlich war, wenn man bedachte, dass er ihr einziger Halt in dieser Zeit gewesen war.

Doch Bobby hatte ja nicht locker gelassen; nein, er hatte es auf seine liebe, nette, rücksichtsvolle Art dann doch langsam geschafft, für Rogue ebenfalls eine Vertrauensperson in der Schule zu werden. Als Wolverine dann schließlich auf Erkundungstour seines eigenen Gedächtnisses gegangen war, hatte Rogue die Zeit genutzt, sich wirklich in das Institut und seine Schüler einzufügen.

John musste sogar gestehen, dass einige Momente mit ihr ganz amüsant gewesen waren. Vielleicht würde er sie sogar etwas mehr mögen, wenn sie ihm nicht seinen besten, einzig richtigen Freund genommen hätte.

Schluckend lehnte John seinen Hinterkopf an die Stütze des Fahrersitzes.

Für Bobby hatte es fast nur noch Rogue gegeben. Nicht gerade ungewöhnlich bei Verliebten, doch das war John bloß ein schwacher Trost gewesen.

Wann immer sie zusammen gehockt hatten, war Rogue dabei gewesen. Waren sie irgendwo zu zweit, kam Rogue nach wenigen Minuten dazu. Und sollte sich mal der seltene Fall ereignet haben, dass John und Bobby wirklich mal allein unter sich gewesen waren, so hatte Bobby nahezu nur ein Thema gekannt: Rogue.

Es war also nicht gerade verwunderlich, dass John nur noch genervter von ihr wurde; dem Mädchen an der Seite seines besten Freundes.

Sein eigenes, immer reizbareres Verhalten dürfte wohl auch nicht gerade geholfen haben, das Auseinanderbrechen ihrer Freundschaft zu verhindern.

Rückblickend fragte John sich, ob er der Einzige von ihnen war, der das gespürt hatte. Wäre Bobby sonst so überrascht gewesen, als er sich auf Magnetos Seite geschlagen hatte?

Noch jetzt vertrat John die Meinung, dass Menschen wie er, Mutanten, etwas Besonderes waren – einzigartig. Sich zu verstecken, die eigenen Kräfte zu leugnen, nur um einem von den anderen Menschen aufgestellten Gesellschaftsschema treu zu werden, treu zu bleiben – das sah er nicht ein.

Xaviers Weg war ihm wie ein Versteckspiel vorgekommen; nur ohne, dass man gefunden werden wollte. Magnetos Weg dagegen schien ihm richtig zu sein.

Ob all ihre brutalen Aktionen, die terroristischen Züge und die Opfer, die ihr Kampf gefordert hatte, wirklich den Zweck einer besseren Zukunft für Mutanten rechtfertigten – diese Frage hatte John sich selbst verboten. Würde er hinterfragen, was er getan hatte, wüsste er nicht, ob er wirklich mit der Antwort klarkommen würde.

Er seufzte leise. Seine Hand legte sich kühlend auf seine Stirn, die ihm glühend vorkam; als würden seine brodelnde Gedanken ihre Hitze nach außen strahlen.

Obwohl sein Kopf schmerzte, konnte er diese Nachdenklichkeit nicht abstellen.

Er wusste nicht, ob er im Institut geblieben wäre, wenn es Rogue nicht gegeben hätte. Als er zu Magneto und Mystique in den Helikopter gestiegen war, hatte er jedoch nicht das Gefühl gehabt, irgendetwas zurückzulassen.

Wäre seine und Bobbys Freundschaft damals noch so fest gewesen wie vor der Beziehung mit Rogue… nun, vielleicht wäre er dann nie gegangen.

Hör auf darüber nachzudenken, ermahnte er sich.

Was wirklich passiert wäre, konnte nun eh keiner mehr sagen.

All das lag in der Vergangenheit, die er ruhen lassen sollte. Doch die Empfindungen von Wut, Schmerz und Einsamkeit drückten sich mit aller Macht wieder in seine Brust. Gleichzeitig spürte er abermals die Genugtuung, die damals durch ihn geflossen war, als er seine Mitschüler am Alkali Lake zurückgelassen hatte. Als er Bobby zurückgelassen hatte. Es war ein wenig so gewesen wie: „Siehst du, das hast du jetzt davon. Jetzt bin ich weg und ich komme nicht wieder.“

Doch er war wieder gekommen.

Ein schwaches Lächeln zeichnete sich auf seinen trockenen Lippen ab.

Als er im Krankenhaus nach dem Alcatraz-Kampf wieder aufgewacht war, hatte er zunächst das Gefühl gehabt, seine ganze Welt würde zusammenbrechen.

Und dann schien plötzlich alles wieder so zu sein wie früher. Bobby hatte plötzlich, trotz Rogue, wieder mehr auf ihn geachtet. Er war es gewesen, dem nun diese Aufmerksamkeit, diese Fürsorglichkeit des Eismutanten zuteil geworden war.

Dann hatten Bobby und Rogue sich plötzlich getrennt. John musste zugeben, im ersten Moment doch sehr überrascht gewesen zu sein. Schließlich hatte nichts darauf hingewiesen, dass sie nicht glücklich wären.

Andererseits hatte auch nichts darauf hingewiesen, dass Bobby in ihn verliebt war.

Nur langsam dämmerte John, dass beides durchaus miteinander zu tun haben könnte.

Auch wenn er es nicht wollte, konnte er nicht verhindern, dass sich ein siegreiches Grinsen auf seinem Gesicht breit machte.

Er hatte gewonnen.

Sein Grinsen wirkte fast schon ein wenig selbstzufrieden.

Er liebt mich, nicht mehr dich, schoss es ihm durch den Kopf und im selben Moment kam ihm dieser Gedanke so unglaublich absurd vor.

Er musste wieder an Bobbys Kuss denken und fragte sich, was er selbst dabei eigentlich empfand.

War er vielleicht eifersüchtig auf Rogue gewesen?

Wenn er ehrlich zu sich war, konnte er das vor sich selbst nicht einmal abstreiten.

Je länger er seit Tagen über den Kuss nachgedacht hatte, desto prickelnder war er ihm vorgekommen – oder zumindest der Gedanke daran, wie er sich hätte anfühlen können, wenn er ihn nur länger zugelassen hätte.

Doch er konnte diese Gefühle nicht einordnen. Bedeutete das, er könnte das Gleiche empfinden wie Bobby? Oder war es bloß der Reiz einer neuen Erfahrung mit jemandem, der einem so vertraut war?

Großer Gott, denk nicht einmal weiter drüber nach!

Sein Kopf meldete sich abermals mit einem schmerzenden Stich, als wollte er ihn darauf aufmerksam machen, dass sein Gehirn mit all den Gedanken vollkommen überlastet war.

Kopfschüttelnd versuchte er sich von seinem inneren Gefühlsknäuel zu lösen.

Komm mal runter, John, versuchte er sich gedanklich zu beruhigen und richtete sich im Fahrersitz wieder etwas auf.

Eine plötzliche Kälte zog sich durch seinen Körper und ihm wurde klar, dass er auch die Heizung ausgeschaltet hatte. Ohne Jacke und richtige Schuhe fühlte sein Körper sich mit einem Mal entsetzlich durchgefroren an.

Sein Blick fiel auf die Display-Anzeige in der Armatur.

Ein wenig geschockt stellte er fest, dass er fast schon anderthalb Stunden von der Schule fern war. Vielleicht sollte er sich langsam wieder auf den Rückweg machen.

Zwar brannte er nicht gerade darauf, seine Mitschüler, Lehrer oder Bobby allzu schnell wiederzusehen, doch er wollte auch nicht mit seinen erdrückenden Gedanken allein in diesem Waldstück bleiben.

Die mit einer kleinen Zapfsäule versehene Tankanzeige sagte ihm, dass sich auch nicht mehr allzu viel Sprit im Wagen befand.

Das hättest du vorher auch mal überprüfen können…

Sinnloses Herumfahren war also nicht wirklich drin, wenn er nicht gerade irgendwo stehen bleiben und dann Storm, oder noch schlimmer: Wolverine, anrufen wollte, um ihn aus der Pampa wieder abzuholen.

Noch einmal tief Luft holend und sich selbst Kraft zusprechend drehte er den Zündschlüssel wieder nach rechts. Mit einem leisen Surren sprang der Motor an.

John löste die Handbremse und atmete abermals tief durch, ehe er den Wagen auf dem schmalen Waldweg in mehreren Zügen zurücksetzte und den Weg folgte, den er gekommen war.

Hoffentlich weißt du überhaupt noch, wie du wieder zurück kommst…
 

„Irgendwann vergess ich noch mal meinen eigenen Kopf“, hörte man Jubilation Lee leise stöhnen, als Kitty mit einer schon etwas abgewetzt aussehenden Umhängetasche aus braunem Leder durch die geschlossene Tür gehuscht kam.

„Danke, Kitty“, meinte Jubileee und ärgerte sich immer noch wegen ihrer Vergesslichkeit. Dass sie ihre Tasche im Klassenraum zurückgelassen hatte, war ihr erst fünfzehn Minuten nach Unterrichtsschluss aufgefallen.

Storm hatte den Raum vorsorglich abgeschlossen, seit einige der jüngeren Schüler in einer nächtlichen Aktion unter jedem Tisch Kaugummis angeklebt hatten.

Die in ihrer Funktion als Schulleiterin, Lehrerin, Betreuerin und Aufsichtsperson momentan eh etwas überforderte Storm hatte sie nun wegen einer solchen Kleinigkeiten nicht aus dem Büro holen wollen.

Zum Glück aber gab es ja ihre Zimmergenossin, die durch Wände gehen konnte.

Diese zuckte leicht grinsend mit den Schultern.

„Kein Problem“, meinte sie und ging mit Jubilee langsam zurück in Richtung Gemeinschaftsraum.

„Heute ist einfach nicht mein Tag“, sagte Jubilee leise jammernd und warf sich den Tragegurt ihrer Tasche über die Schulter. „Irgendwie vergess ich heute einfach alles. Es fing schon damit an, dass ich von unserem Zimmer aus ins Bad gehen wollte und mein Haargummi vergessen hatte. Ich war schon kurz vorm Bad und dann fiel es mir auf. Und dann wollte ich plötzlich aus dem Bad gehen, ohne mir die Zähne geputzt zu haben. Keine Ahnung, was heute mit mir los ist. Aber als ich es dann gemerkt hab, war schon-“

Sie brach mitten im Satz ab, als Rogue ihnen entgegenkam.

Ihr Gesicht wirkte verhärmt, fast wie das einer alten Frau, die in bitteren Erinnerungen ihres glücklosen Lebens schwelgte.

Offensichtlich war sie aus dem Gemeinschaftsraum gekommen. Oder ihrer betrübten Laune, die sie umgab wie eine düster scheinende Aura, nach zu schließen, war sie wohl eher geflohen.

Kitty konnte sich schon denken, weshalb.

Nach dem Unterricht hatte sich dort sicher die Mehrheit ihrer Mitschüler niedergelassen und es war nicht schwer zu erraten, welches Thema wohl gerade ganz hoch im Kurs der anderen Jugendlichen stehen dürfte.

Kitty musste zugeben, selbst überrascht gewesen zu sein, als Piotr ihr heute Morgen erzählt hatte, worüber John und Bobby sich gestritten hatten. Der hoch gewachsene Mutant hatte geschockt gewirkt und Kitty konnte es ihm durchaus nachempfinden. Wer hätte schon geglaubt, Bobby Drake wäre schwul – und dann auch noch ausgerechnet in John Allerdyce verliebt.

Nun ja… wenn man es sich so überlegt… sie hängen ständig zusammen, verstehen sich eigentlich ganz gut. Gegensätze ziehen sich ja bekanntlich an, dachte sie sich. Vielleicht war es in Anbetracht dessen doch nicht so verwunderlich, dass Bobby sich zu John hingezogen fühlte.

Theoretisch war das plausibel. Praktisch jedoch konnte Kitty sich dennoch nicht mit dem Gedanken anfreunden, Bobby und John miteinander rumturteln zu sehen.

Allerdings wusste ja keiner, wie John überhaupt dazu stand. Piotr und die anderen hatten lediglich mitbekommen, dass Bobby in John verliebt war; was nicht hieß, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhen musste. Wenn Kitty so darüber nachdachte, wurde sie zusehends verwirrter.

Ihr Blick fiel auf Rogue, die nun vor ihr und Jubilee stehen geblieben war.

Sie fragte sich, wie sie sich an ihrer Stelle fühlen würde. Auch wenn Bobby und Rogue längst getrennt waren, konnte Kitty sich vorstellen, dass das Gerede der anderen für sie nicht gerade einfach zu ertragen war.

Sie stellte sich vor, es wäre herausgekommen, dass Piotr auf einen männlichen Mitschüler stehen würde. Das würde ihr jetzt noch ein merkwürdig minderwertiges Gefühl geben, obwohl sie und Piotr sich schon vor langer Zeit getrennt hatten.

„Alles klar bei dir?“, fragte sie Rogue, auch wenn die Antwort bereits auf der Hand zu liegen schien.

Der Blick, den das andere Mädchen ihr daraufhin zuwarf, schien sagen zu wollen: Seh ich so aus?!

„Ich wollte eigentlich gerade mal in die Küche gehen und mir einen heißen Kakao machen“, sagte Rogue jedoch stattdessen und sparte sich damit eine Antwort auf Kittys Frage. „Hat einer von euch Theresa gesehen?“

Für einen Moment stutzte Kitty ein wenig.

Dass man Siryn bei ihrem richtigen Namen nannte, kam in etwa so oft vor, wie das einer der Schüler Rogue mit ‘Marie‘ ansprach. Meist nannte man Siryn bei ihrem Spitznamen Tracy, oder eben auch bei ihrem Codenamen. Und so hatte Kitty sogar einen Moment überlegen müssen, wen Rogue denn überhaupt meinte.

„Die ist noch bei Storm. Ihre Großmutter hat doch am Wochenende Geburtstag und sie wollte nach Hause fahren“, erklärte Jubilee, bevor Kitty irgendetwas sagen konnte.

Rogue seufzte leise.

Wie hatte sie das nur vergessen können? Siryn hatte es ihr doch gestern Abend erst noch erzählt. Ihre Großmutter bestand selbst bei den lausigen Temperaturen auf eine Feier in ihrem Garten und hatte extra ein großes Zelt und Heizstrahler besorgen lassen.

Ich würd auch gern hier abhauen können…

Das Getuschel über Bobbys Sexualität, seiner Zuneigung zu John… es fiel ihr schwer, darüber hinwegzugehen. Bisher hatte sie – zum Glück – noch keiner der anderen Schüler darauf angesprochen. Sie wüsste eh nicht, was sie sagen sollte.

Sie mochte Bobby immer noch zu sehr, um ihn vor den anderen bloßzustellen.

Doch es tat weh, die immer wieder zu ihr schielenden Blicke der anderen zu spüren und daran erinnert zu werden, dass Bobbys Gefühle für John keinen unwesentlichen Anteil an ihrer Trennung hatten.

„Stimmt, das hat sie mir erzählt“, sagte sie schließlich leise, als sie Kittys und Jubilees Blicke auf sich spürte. Sie atmete hörbar tief ein und wagte es nur langsam, ihren Blick in die Gesichter der beiden Freundinnen zu lenken.

Mit nur schwacher Erleichterung merkte sie, dass die beiden sie lediglich besorgt ansahen und in diesem Moment nicht zu fragen schienen, was sie denn zu Bobby und John wusste oder zu sagen hatte.

„…wollt ihr auch einen Kakao?“

Eigentlich wollte sie gerne allein sein, doch sie wusste, dass ein wenig Ablenkung ihr ganz gut tun würde, um die sich aufdrängenden, schmerzenden Gedanken zu unterbinden, die sie daran erinnern wollten, wie sehr Bobby ihr wehgetan hatte.

Kitty warf einen kurzen Blick zu Jubilee, ehe sie Rogues Vorschlag zustimmte.

„Ja, gute Idee. Es ist so kalt im Moment. Lasst uns in die Küche gehen und einen warmen Kakao trinken“, meinte sie und fasste Jubilee an den Armen, um sich zum Gehen zu animieren.

Schweigend folgte Rogue ihnen.

Sie wusste nicht, ob die beiden wirklich Lust auf einen Kakao hatten; aber sie war ihnen dankbar, sollten die beiden das nur für sie machen.

Ihre Gedanken schwenkten zurück zu Bobby.

Sie fühlte sich abermals so billig. Egal, wie oft Bobby beteuern würde, dass er sie geliebt habe, es blieb doch der bittere Beigeschmack, dass er sich zum Schluss beim Sex mit ihr jemand anderen vorgestellt hatte. Gefühle für John hin oder her. Zwar hatte sie es Bobby verziehen; sie wusste, dass er es aufrecht bedauerte. Doch vergessen konnte sie es deshalb noch lange nicht.

Trotzdem spürte sie eine leichte Woge von Mitleid bei dem Gedanken, wie Bobby sich nun fühlen musste. Sie wusste, dass es ihm am liebsten gewesen wäre, wenn niemand von seinem „kleinen Geheimnis“ erfahren hätte. Nun aber wusste es die ganze Schule. Es zu leugnen, wäre das Dümmste, was Bobby tun könnte. Dennoch wollte sie nicht in seiner Haut stecken. Es musste ein schreckliches Gefühl sein, zum einen diesen Streit mit John zu haben und zum anderen das Gerede ihrer Mitschüler ertragen zu müssen.

Seit Unterrichtsschluss hatte sie Bobby nicht mehr gesehen; John war ihr heute noch gar nicht begegnet. Vermutlich gingen sie sich gerade gegenseitig aus dem Weg.

Gerne würde sie Bobby als Freundin nun mit Rat und Tat zur Seite stehen oder ihm zumindest zuhören. Doch die Kraft dazu konnte sie in Anbetracht ihrer eigenen Situation nicht aufbringen.
 

Eisig zog der Wind um die Ecken des alten Gemäuers und zog heute besonders schneidend durch die Kleidung der Schüler, die sich beeilten, zurück in die schützende Wärme des Instituts zu kommen.

Ororo Munroe dagegen schien die Kälte gar nicht zu spüren.

Schon länger war sie nicht mehr hier gewesen, im Hof vor den Gedenksteinen ihrer Freunde und ihres Mentors. Und dabei hatte sie so oft das Bedürfnis verspürt, ihnen nahe zu sein. Doch die kalten, grauen Steine vermochten ihr nun auch nicht die Hilfe und die Antworten zu geben, nach denen sie momentan so dringend suchte.

Die Leitung der Schule, der Unterricht, die alleinige Verantwortung über die Schüler… all das schien ihr manchmal wahrlich über den Kopf zu wachsen.

Sie war froh, dass Wolverine in ihrer Nähe war und ihr half. Auch Hank war eine Stütze, wenn auch eine recht wackelige, wenn er weiterhin so viele politische Termine wahrzunehmen hatte. Doch sie konnte immer und jederzeit auf seinen Rat vertrauen und dafür war sie ihm dankbar.

Storm wusste, dass Xavier sie vor seinem Tod als seine Nachfolgerin vorgeschlagen hatte. Nie hatte sie vorher darüber nachgedacht, denn diesen Posten hatte seit jeher immer Cyclops inne gehabt. Nach Jeans Tod war dieser zunehmend depressiver, zurückgezogener und unverlässlicher geworden. Storm war sich sicher, mit der Zeit hätte sie gelernt, sich auf den Job als Schulleiterin und Elternersatz für die Kinder, von denen viele nicht mehr nach Hause konnten, einzustellen.

Doch Professor Xavier war zu schnell von ihr gegangen.

Alle beteuerten ihr, dass sie den Job gutmache, doch gerade jetzt, wo sich um Bobby und John ein neues Melodram anzukündigen schien, fühlte sie sich fast ohnmächtig. Überall auf den Gängen waren ihr die Tuschelei entgegengeschlagen; all die Mutmaßungen, die sie mit strengen Blicken und zurechtweisenden Worten zumindest für einen Moment unterbunden hatte.

Wen interessierte es schon wirklich, ob Bobby Drake schwul war und sich in John verliebt hatte? Und ob dieser vielleicht dasselbe empfand.

Auch wenn die Reaktion ihrer Schüler sicher etwas vollkommen Natürliches war, so musste sie dennoch gestehen, dass sie es gerade von ihnen als Mutanten ziemlich albern fand. Schließlich gehörten sie selbst zu einer Randgruppe. Hank leistete zwar starke Arbeit, dies zu ändern, doch deswegen wurden nicht von heute auf morgen alle Menschen zu Mutantenliebhabern.

Und nun begegneten ihre Schüler Bobby mit derselben Intoleranz, die auch ihnen schon als Mutant entgegengeschlagen war. Dabei sollte man doch meinen, bei all den unterschiedlichen, oft unglaublichen Kräften, die sie besaßen, sei Homosexualität doch wesentlich unspektakulärer.

Vielleicht urteile ich auch zu schnell…

Vielleicht war es auch einfach nur das Neue, das Brisante, was ihre Schüler im Moment an dem Thema so faszinierte; das Unwissen, die Mutmaßungen, die ihnen Spaß machten – wie Rätselraten vielleicht, nur dass es am Ende keine Kreuzfahrten zu gewinnen gab.

Seufzend atmete sie aus. Die kleine Dunstwolke, die ihr heißer Atem in der kalten Luft erschaffen hatte, wabberte vor ihr ins Leere.

Sie wünschte sich dennoch, Xavier wäre hier.

Seine sanftmütige, weise Art würde die Schüler sicher mehr zu nachdenken bringen, als ihre schroffen Zurechtweisungen.

Ihre Arme verschränkten sich vor ihrer Brust und sie hörte Schritte hinter sich.

Sie brauchte sich nicht einmal umzudrehen, um zu wissen, wer es war.

„Kannst du nicht mal schöneres Wetter machen, Storm?“, erklang Wolverines Stimme, als er ein paar Schritte hinter ihr zum Stehen kam.

Sie schüttelte den Kopf und blickte über die Schulter in sein mürrisches Gesicht.

„So einfach ist das leider nicht, Logan“, sagte sie und strich eine widerspenstige Strähne aus ihrem Gesicht. „Wir sollten unsere Kräfte nicht dazu nutzen, unsere Umgebung zu manipulieren.“

„Ich wette, das hat er mal gesagt“, erwiderte Wolverine und nickte in Richtung des Steins, auf dem Xaviers Namen stand.

Storm antwortete darauf nicht, wandte sich stattdessen wieder zu den Gedenksteinen ihr gegenüber.

Sie hörte das Knirschen des gefrorenen Bodens, als Logan ihr näher kam und sah ihn schließlich mit ihr auf einer Höhe stehen.

„Hast du das mit Bobby und John gehört?“, fragte sie ihn leise und ihre Stimme klang resignierend, fast so als sei dieses Thema eine große Aufgabe, die sie schon aufgab, ohne es versucht zu haben.

Wolverine ließ ein grunzendes Brummen verlauten.

„War unmöglich darüber hinwegzuhören“, erklärte er und stemmte seine groben Hände in seine Hüften.

Storm wandte ihren Blick zu ihm, sah den anderen Mutanten prüfend an. „Was hältst du davon?“

„Kann mir Erotischeres vorstellen“, antwortete dieser ihr gewohnt dröge, doch Storms böser Blick ließ ihn mit den Schultern zucken. „Na ja, ist ja deren Sache.“

Ororo Munroe rollte mit den Augen.

Diese Aussage war typisch Mann; nein, sie war typisch Wolverine.

Selbst Scott hätte dazu mehr zu sagen gehabt…

Scott hatte allerdings auch gern diskutiert. Manchmal vielleicht etwas zu gern. Logan war da eher der Typ „stark und schweigsam“.

„In solchen Situationen merk ich immer, was für einen Verlust wir eigentlich durch ihren Tod haben“, gestand sie mit schwacher Stimme und blickte wieder zu den Gedenksteinen vor ihnen. „Ich bin froh, dass du da bist, Logan, aber…“

Sie brach ab und senkte ihren Blick.

„…ich kann sie nicht ersetzen“, führte er stattdessen ihren Satz zu Ende. „Schon klar.“

Bedauernd sah sie ihn an. So hatte sie das nicht gemeint.

Doch zu ihrem Erstaunen schien er nicht einmal beleidigt zu sein.

Vermutlich wusste er selbst, dass er nicht gerade den besten Lehrer und Erzieher abgab. Er strahlte zwar eine natürliche Autorität aus, die Kinder hatten Respekt vor ihm, doch ihm fehlten einfach Geduld und Einfühlvermögen. Dennoch wollte sie ihn hier auf keinen Fall missen.

„Machst du dir etwa Sorgen wegen Bobby und John?“, fragte Wolverine sie nun offen, doch er ahnte wohl, dass es ihr eigentlich mehr um die allgemeine Situation der Schule ging.

Dennoch beschloss Storm, das Thema nicht weiter anzuschneiden, sondern nach dem Fluchtseil zu greifen, das man ihr reichte. Schließlich machte sie sich selbst schon genug Gedanken um die Schule, als dass sie nun auch noch Wolverine damit hineinziehen musste.

„Nein, eigentlich eher nicht. Wie es auch ausgeht, ich denke, Bobby und John schaffen es schon, damit klar zu kommen. Und der Rest von unseren Schülern auch“, sagte sie optimistisch. „Es erzeugt nur eine unnötige Unruhe, die vielleicht nicht entstanden wäre, wenn Xavier hier wäre… oder wenn die Schüler einfach nur mehr Hausaufgaben hätten, über die sie nachdenken könnten.“

Wolverine schnaubte leicht.

„Glaubst du das wirklich? Ich denke, sie würden in jedem Fall darüber tratschen. Getratscht wird doch immer!“

Womit er allerdings recht hat, dachte Storm sich. Jeder Mensch tratschte manchmal gern, besonders eben über die Fehler und Probleme anderer Leute. Und gerade in der Pubertät lenkte man so auch gern von den eigenen schwierigen Angelegenheiten ab.

Mit einem leichten Schmunzeln musste sie sich an ihre Schulzeit erinnern, in der sie mit Jean manchmal wirklich fies über andere Mitschüler gelästert hatte – manchmal sogar über Scott.

Auch wenn Jean eigentlich damals schon einen Faible für ihn hatte.

Ihr Schmunzeln verschwand langsam.

Jean hatte Scott wirklich geliebt. Mehr als ihr eigenes Leben, mehr als alles auf der Welt. Natürlich hatte sie sich auch sehr zu Logan hingezogen gefühlt. Wer konnte ihr das verdenken?

Aber im Endeffekt hatte sie sich für Scott entschieden, für den Mann, mit dem sie den Rest ihres Lebens hatte verbringen wollen – und dann hatte sie ihn getötet.

Manchmal gruselte es Storm immer noch bei der Vorstellung, zu was für einem Menschen, was für einem Monster ihre Freundin geworden war.

Schnell schüttelte sie den Kopf, um die aufkommenden Gedanken abzuschüttelten.

Sie wollte Jean in Erinnerung behalten, wie sie wirklich gewesen war. Nicht als zerstörungswütiger Dämon.

Sie wandte sich wieder an Logan und amtete tief ein, versuchte zum Thema zurückzukommen. „Stimmt, da hast du wohl Recht.“

Einen letzten Blick auf die Gedenksteine werfend, ging sie langsam wieder in die Richtung des Hauses.

Nach einigen Schritten spürte sie Logans Arm an ihrem Rücken, seine Hand auf ihrer Schulter.

„Ich denke, Schulleiterin Munroe macht ihre Sache schon ganz gut.“

Der sanfte Ton ließ seine raue Stimme ein wenig kratzig klingen.

Seine Hand drückte ein wenig zu, als wollte er ihr Kraft geben, dabei hatte sie eher das Gefühl, ihr würde ihr Schultergelenk zertrümmern. Aua.

„Danke“, sagte sie dennoch und lehnte sich ein wenig an ihn.

Wenn ich den Idioten nicht hätte…, begann sie innerlich lächelnd.

„Jetzt, wo wir übrigens von Scotts Grabstein weg sind…“, begann Logan sich räuspernd.

„Hm?“

„…ich hab sein Motorrad gegen eine Wand gefahren.“

Storm seufzte hörbar.

…wär alles einfacher.
 

TBC
 

Ach ja, da wollte doch die gute Storm gerade in Gedanken dankbar für Wolverine sein und schon entpuppt er sich wieder als Idiot *LOL*

Ursprünglich war hier nach dieser Szene noch eine mit Bobby und John geplant, aber irgendwie hatte ich nicht den Elan oder die kreative Idee dazu, etwas zu schreiben. Mir schwebte zwar was vor, aber in Worte fassen konnte ich es nicht. Daraufhin hat sich die Veröffentlichungen des Kapitels mal wieder verschoben (und durch meine - ich geb's ja zu - grenzenlose Faulheit, mir das Kapitel auch nur noch mal anzugucken) mit dem Ergebnis, dass ich das Ende so, wie es jetzt ist, besser finde, als alles, was ich noch hätte schreiben können ;)
 

Im Übrigen mag ich das Kapitel recht gern.

Für meinen Geschmack zwar an manchen Passagen etwas zu lang geworden, aber im Endeffekt mag ich Johns gedanklichen Szenen. Ich hoffe, euch haben sie auch gefallen!
 

Noch zwei Anmerkungen zu den anderen Schülern in diesem Kapitel:

Flea ist der Teenie-Junge aus dem zweiten Film, der neben im Gemeinschaftsraum neben Piotr sitzt, als Logan wieder kommt. Piotr zeigt ihm seine gezeichnete Karikatur von Rogue und Bobby - den Namen hab ich aus dem Buch zum zweiten Film.

Das Gleiche gilt für den Namen von Siryn, die ich im Übrigen in den ersten Kapiteln falsch geschrieben habe.
 

So, ich hoffe, ihr hattet Spaß beim Lesen :)

Anregungen, Kritik - immer raus damit!
 

Bis zum nächsten Kapitel,

motte



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Murtagh
2010-05-31T21:00:51+00:00 31.05.2010 23:00
John erkennt das schon richtig (endlich), es ist eigentlich ein Wunder dass der große Knall nicht schon vorher kam. Dieses ganze 'Gegensätze ziehen sich an.' ist in der Theorie ja schön und gut aber auf lange Sicht funktioniert es nicht.
Aber zum Glück sind die beiden eigentlich gar nicht soooo gegensätzlich. Beide haben erstmal natürlich mit ihren Mutationen zu kämpfen und mit den Konsequenzen. Beide haben ein gestörtes Verhältnis zu ihren Eltern. Und beide haben einen Krieg mitgemacht den man keinem gönnen möchte.
Die Tatsache dass sie auf verschiedenen Seiten gekämpft haben resultiert meiner Meinung nach auch nur daraus, dass sie nicht miteinander reden und aufeinander zugehen. Bobby müsste nach all den Jahren ja eigentlich wissen wie labil John ist. Er hat nur Halt gesucht und als Bobby sich von ihm abgewendet hat hat er eben für einen Moment geglaubt dass er ihn in Magneto findet. Aber auch der hat ihn ja ziemlich schnell entäuscht.
John verkriecht sich hinter seinem Zynismus, aber Bobby müsste wissen (und weiß es eigentlich auch) was dahinter liegt.

Und Bobby versteckt sich auch... hinter seinem Lieber-Junge-Image.

Zu einer Versöhnung gehört schon ein wenig Seelenstriptease, aber von beiden. Bobby kann nicht ewig seine Wut verbergen und John sollte mal zu seinem Schmerz stehen.

Zur Fic: armer John, XD Soviel am Stück hat er sicher schon lange nicht mehr gedacht. Hoffentlich gibts keinen Gehirnabsturz, XD

Aber der wirkliche Brüller war Logans „Kann mir Erotischeres vorstellen“ am Ende. Ich hab laut gebrüllt vor Lachen, XD

Und der Mittelteil... tja, ewig ließ sich das eben nicht verbergen. Aber ich finde Bobby schon sehr mutig, immerhin haut er nicht ab sondern stellt sich dem Ganzen. Was soll er sonst auch machen...

Ich bin echt so gespannt wie du die beiden wieder näher zusammenbringst, =)
Von:  Wolkenfee
2010-04-27T14:18:26+00:00 27.04.2010 16:18
Hi!
John Gedankengänge fand ich sehr interessant, und wirklich gut zu lesen.
Und ansonsten: Ja, getratscht wird wohl tatsächlich immer, trotzdem tut mir Bobby wirklich Leid.
LG, Fee
Von:  Origamisalami
2010-04-27T13:14:32+00:00 27.04.2010 15:14
Ein wirklich cooles kapitel und Johns gedankengang fand ich sehr schön geschrieben, es hat spaß gemaht dieses kapitel zu lesen und Bobby tut mir echt leid.
Kinder können so grausam sein. xD

Ich freu mich schon aufd as neue kapitel und dir sei es verzihenen das dieses so lange gedauert hat xD

LG
Origamisalami


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