Jeffrey
Als sie das Café betrat kam ihr ein gleich ein Schwall warme Luft entgegen. Man hatte gegen die Kälte ordentlich geheizt. Jeffrey saß an einem Tisch nahe dem Eingang, so dass Cathy ihn fast sofort entdeckte. Er hatte wie immer seine kurzen an den Spitzen blondierten Haare frisch seitlich aus dem Gesicht gestrichen. Dadurch sahen seine Haare kürzer aus als sie wirklich waren. Das an die Haare anschließende Gesicht sah munter und überglücklich aus. Die grüngrauen Augen, die dem ganzen Bild immer einen hinterlistigen Eindruck gaben, musterten Cathy aufgeregt. Das feine Hemd geöffnet und damit auf das darunter getragene schwarze T-Shirt weisend, sah seriös, aber doch sportlich aus. Im Gesamten eine sympathische Erscheinung.
„Hey“ rief er ihr freudig entgegen.
„Jeffrey, du, ich freu mich ja so, dich mal wieder zu sehen“
Jeffrey sprang von seinem Platz auf um der Begrüßungsumarmung mehr Raum zu schaffen.
„Das war echt ‚ne super Idee von dir, sich hier zu treffen. Wir ham’ uns ja so
lange net’ mehr gesehen! Wann war ’s das letzte mal?“
„Vor ca. 2 Tagen“ gab Cathy amüsiert als Antwort.
„Verdammt, das is’ echt lange, du!“ das gespielte Entsetzen kam trotz seiner merklichen Ironie sehr realistisch rüber.
Jeffrey war ein sehr humorvoller Typ. Aber hinter seinem Humor versteckte er bloß sein Leid. Es war Cathy völlig unklar wie dieser Mensch mit soviel Witz durch wirklich jede Lebenslage gehen konnte. Sie hatte ihn noch nie betrübt erlebt. Und das lag bestimmt nicht daran, dass sie ihn nicht kannte, oder selten sah. Die beiden waren seit der Firmenzusammenlegung sich näher gekommen, und verbrachte viele gemeinsame freie Stunden miteinander.
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Der bestellte Kaffee ließ außergewöhnlich lange auf sich warten. Die Kellnerin entschuldigte diesen Umstand. Durch das schwere Unwetter war es den meisten Angestellten des kleinen Studentencafés nicht möglich, zur Arbeit zu kommen.
Die meisten hatten kein Auto. Ein Umstand, der mit ihrem Einkommen in Symbiose stand....
„Zucker, Milch?“
Diese obligatorische Frage hatte sich bei den Beiden über die Zeit eingebürgert. Eigentlich ärgerte er sie nur damit. Er wusste das auch. Dementsprechend war auch ihre Antwort für ihn abzusehen. Der Satz:
„Jap, wie immer von beidem 0 Einheiten.“
wurde auch jetzt von einem seltsam anklagendem Ton gefolgt.
„Und, was macht die Arbeit“ fragte er.
„Ermüdend, wie immer. Irgendwie will mir das Alles in letzter Zeit nicht mehr gelingen. Soweit scheint immer alles zu gehen. Aber dann geht das gesamte Internet für Alle nicht mehr. Es ist fast so, als ob die Internetleitungen einfrieren.“
„Das aus deinem Munde! Solch unphysikalischen Sprüche! Ne ne ne“
Cathy war sonst mit eine der zwei Ersten, wenn es darum ging, irgendwelche physikalischen Theoreme richtig darzustellen. Jeffrey der Zweite.
Sie plauderten also noch eine Weile so weiter, merkten gar nicht, wie so langsam Kaffee Nummer 3 und 4 ihren Tisch erreichten und wurden so erst 12:00 Uhr, quasi akustisch, von der Zeit verschreckt.
Denn trotz des kalten, Alles einfrierende Wetter ging der nicht weit entfernte Glockenturm nach wie vor.
Sein voller, tiefer, saturierter, angenehmer Ton schwall dahin, wie eine Woge aus warmer Luft und erfüllte die Beiden mit einem Gefühl der Freude. Dieses Gefühl wurde allerdings sofort wieder genommen, als ihnen klar wurde, was dies bedeutete.
„Oh Gott?! Schon wieder so spät?“ brachte Cathy noch halb in Trance hervor.
„Welch Ironie, wir werden von der Glocke einer Kirche an die Zeit erinnert, und du redest von Gott.......“
Sein Sinn für Wortironie war wirklich unglaublich. Doch meistens amüsierte es Cathy, wie so vieles an ihm. Es machte ihn so vertraut. Ja gar familiär, dachte sich Cathy in manchen Augenblicken. Verwarf den Gedanken aber um nicht rot zu werden. Doch diesmal war ihr das gründlichst misslungen. Sie wurde KNALLROT!
„Was los?“ grinste Jeff sie an, als ob er wüsste, was sie dachte.
Das ließ sie nur noch mehr anlaufen.
Ein weiteres Grinsen von Jeff, was noch wissender aussah, später war auch schon die Rechnung bezahlt. Jeff hatte es sich mal wieder nicht nehmen lassen, Alles zu zahlen, wie immer eigentlich. Eine weiter Art von ihm. Das war seine Auffassung von Eher. Der Mann zahlte, weil er auch das Geld brachte. Er war der Jäger. Der Familienversorger.
Die Vorstellung von Jeff als Familienversorger im knappen, steinzeitlichen Lendenschurz aus Tigerfell war nicht gerade die Beste, um die rote Farbe aus dem Gesicht zu bekommen.
Jeff sah das Ganze wohl etwas anders. Eher als alte japanische Tradition. Nach dieser zahlte der Mann, bei einem Paar, bei 2 oder mehr Männern, derjenige, der am besten und meisten verdiente. Es war sozusagen eine art Statussymbol für ihn. Somit wollte Cathy ihm diesen >Luxus< auch nicht nehmen, zumal es ihn sehr charmant machte.
„Gehn' wir ne Runde draußen rum?“
Welch provokante Frage. Als ob nicht Beiden klar wäre, dass Draußen alles andere als ein toller Ort für Spaziergänge war.
„Ja klar Jeff, und lass uns dabei doch gleich ins Freibad gehen. Die haben sicher extra für uns den Pool gewärmt!“
„Oha, da kommt Mann ja gleich ins schwärmen bei dem Angebot.“
„Jeff lass das!“
„Is ja gut.“
„Plump aber lustig“ dachte sich Cathy.
„Nuja, sorry. Ich kann leider so oder so nicht. Ich muss schon wieder in die Firma, bin ja nach wie vor nicht fertig. Tut mir leid.
„Is ok, ich schreib einfach ... ähhh ... weiter an meinem ... Proojekt.“
Er betonte das Wort „Projekt“ so auffällig um damit eindeutig klar zu machen, dass er also den ganzen Tag nichts weiter zu tun hatte. Eine missverstehbare Einladung an Cathy, doch später vorbei zu kommen.
„Is ok, ich bin spätestens 16 Uhr wieder raus, dann kommen immer die Reinigungsleute und schmeißen mich raus.... was soll man machen?!“ resignierte sie.
„Also bis dahin, ich bring was Feines mit!“
„Ohja!“
Wenn Cathy schon sagte: „etwas Feines“ dann musste es etwas sein, dass man dieser Zeit nur schwer bekam.
Das Wetter hatte auch den Warentransport sehr erschwert.
Der Schwarzmarkt für Alkohol und andere Luxusgüter boomte. Einzelhandelsketten beschäftigten sich in solchen Zeiten einfach nicht mit solchen >belanglosen< Dingen wie Alkohol. Sehr zum Leidwesen Cathys, welche ohne ihr Glas Wein am Abend nicht mehr entspannen konnte. Also ging sie andere Wege.
Jaja, der Schwarzmarkt. Alles gab es dort. Es war fast wie in Nachkriegszeiten. Alles wurde dort getauscht. So konnte man also auch Alles bekommen. Geld war nach wie vor von Wert, speziell auf dem Schwarzmarkt. Da Cathy bei Metacom arbeitet, der Einzigen noch halbwegs laufenden Gesellschaft dieser Tage, verdiente sie nicht schlecht. Konnte sich also ein gutes Leben, nicht zuletzt durch den Schwarzmarkt, machen.
„Was is nu, musst du los?“
So in Gedanken verloren war Cathy nicht aufgefallen, dass Jeffrey inzwischen aufgestanden war, und in seiner üblichen Pose der erwarteten Umarmung dastand. Um sie zu verabschieden.
„Öhh, huch, ja klar, sorry.“ sagend hüpfte Cathy von ihrem Stuhl in die Senkrechte und umarmte Jeff. Wärme und Geborgenheit umfing sie. >Nie mehr loslassen< war in dem Moment ihr Wunsch. Auch Jeff schien sich das gefallen zu lassen.
Doch dann riss sie sich zwangsweise los.
„Ok, also bis dann. Ich freu mich!“ rief sie, schon im Begriff die Tür hinter sich zu schließen, ihm zurück.
Auf der Straße war es wie erwartet kalt. SEHR KALT. Sie bereute nun, ihren Mantel doch nicht allzu sorgfältig im Café geschlossen zu haben. Es zog ihr in ihn hinein. Von den Beinen hoch und um den ganzen Körper rum. Ein unangenehmes Gefühl. Wie sehr wünschte sie sich in dem Moment Jeffs Wärme wieder.
Aber es half alles nichts. Sie musste nun also sich durch dieses Schneechaos kämpfen. Was blieb ihr auch übrig, sie musste zum Metacomgebäude. Es lag ca. 2 Straßen weiter. Also keine Weltreise.
Doch bei dieser Witterung. Der Schnee wurde am Anfang des Winters gegen die Gebäude gepustet. Dort setzte er sich fest. Es kam immer mehr dazu. Das ganze machte die Häuser vom Sockel bis zum teilweise gar 2. OG unsichtbar. In eine weiße Hülle gewickelt. Es sah fast wie ein Kokon aus.
„Nächstes Frühjahr kommen dann lauter riesen Schmetterlingen aus den Kokons“ dachte sich Cathy und musste bei dem Gedanken leicht lachen.
Eine seltsame Form gab dieser Schnee den Häusern. Es sah so aus, als ob ihre Sockel, die 3 Stockwerke hoch waren, gewachsen wäre. Das ganze führte dazu, die Stadt wie eine Stadt der Zukunft aussehen zu lassen. Weiche, runde Formen, kombiniert mit moderner Architektur des Glases und des Stahls.
Hoffentlich würde bald die Sonne kommen, und diese zwar sehr schöne, weiche Landschaft zerstören, aber damit auch die Kälte. Diesen Ausnahmezustand.
Dieses Chaos.
Durchgefroren erreichte sie das Metacom Hauptgebäude, welches im Gegensatz zu fast allen anderen Häusern der Innenstadt nicht komplett eingeschneit war. Es stand nicht wie die anderen Häuser orthogonal, sondern diagonal zum üblichen Wind. Außerdem war es einer der wenigen noch beheizten Gebäuden der Stadt.
Jeff war derweil wieder Richtung nach Hause gewankt. Er musste nicht nur mit Kälte und Schnee, sondern auch starkem Gegenwind kämpfen.
„Ahhhh! Hinzu wars toller. Rückenwind...“
Dieser Gedanke trieb ihn nicht gerade an. Aber es half nichts. Er musste weiter, erfrieren wollte er auch nicht. Schon gar nicht bei der Aussicht, dass Cathy später vorbei kommen würde. Dieser Gedanken lies seine Energie neu auffrischen. So erreichte er frohen Mutes sein ebenfals eingeschneites Haus. Welches sich dadurch nicht nennenswert von den anderen Häusern der Straße unterschied.
Doch etwas sehr signifikantes unterschied das Haus doch, von den Anderen. Doch das wusste Jeff in dem Moment noch nicht.
Er ging Richtung freigeräumten Eingangstür, kramte nach den Schlüsseln.
Drinnen wartet ES auf ihn!
Er wusste es nicht!
Er konnte es nicht wissen.
Woher auch, zuvor war ES noch nie bei ihm! Was würde es mit ihm machen?
Inzwischen hatte er die Schlüssel, nur noch wenige Meter zur Tür!
ES begann zu pulsieren.
Der Schlüssel näherte sich dem Schloss. ES wartete
Er steckte den Schlüssel in das Schloss, gleich würde er drin sein!
Er drehte den Schlüssel!
Gleich würde die Tür offen sein, und das Haus sein Geheimnis preis geben! Jeden Moment!
Die Tür geht schwer, die Kälte zehrt an den Scharnieren.
Er öffnet die Tür weit, tritt ein, schaltet das Licht ein!
„WAS.................................................“