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Freier Fall

Worte sind Magie. Das war Fye schon mit fünf Jahren klar, als Worte ihn verbannten, Worte ihn verfluchten, Worte ihn erlösten.
 

Manchmal ist etwas Veränderung ganz gut.
 

Und es veränderte sich verdammt viel.
 

Nach neun Monaten scheinbaren Stillstands war es ein Schock, Vertigo, freier Fall.
 

***
 

Seit knapp zwei Monaten hatte Fye nun einen Job bei einem charmanten Café um die Ecke. Der uralte Besitzer war vertrauensvoll genug - oder auch nur ein geheimer Feind der Bürokratie – Fye ohne offizielle Berufserfahrung und mit nur vorläufigen Papieren nicht nur einzustellen, sondern ihm auch die Hauptschichten zu übertragen.
 

Fye ging in der Aufgabe regelrecht auf und auch wenn es anstrengend war, es lenkte es ihn vom Nachdenken ab, vom Starren auf nicht bepflanzte Blumentöpfe, von den Alpträumen, von Kurogane. Diesen sah nur selten in letzter Zeit. Durch ihre unterschiedlichen Arbeitszeiten und Überstunden manchmal tagelang nicht. Sie kommunizierten mit Zetteln und Küssen auf Wangen im Halbschlaf. Es war zu einem erleichternd, zum anderen verdammt einsam.
 

Es war Anfang Dezember und schon vor Stunden Nacht geworden. Dennoch es wirkte hell, da der Schnee frisch gefallen war. Mit gemischten Gefühlen sah der Blonde auf die weiße Schicht, die frisch überall das Grau des Bordsteines zudeckte und doch schon die ersten Fußspuren davongetragen hatte. Heute war ein geschäftiger Tag gewesen und das Café hatte zwei Stunden länger geöffnet als sonst. Die Einkäufe hatte während der Pause erledigt, die Plastiktüten schwangen im Takt seiner Schritte und seinem leisen Summen, als er den langen Spaziergang zurück ins Appartement antrat.
 

Kurogane hatte per Zettel verkündet, dass die Nudelphase unbedingt ein Ende finden musste und gedroht, dass er sich sonst selbst an den Herd stellen würde. Sicher, der Bodyguard hatte sich auch vor Fyes Einzug irgendwie selbst ernährt, doch Fye hatte recht bald die Küche als 'seine Bühne' beschlagnahmt – als 'Miete' sozusagen. Der dunkelhaarige Mann war sich mehrmals durch die dunklen Haare gefahren, offensichtlich voller Worte. Doch heraus kam nur:
 

„Du musst gar nichts tun, um hier leben zu können.“
 

„Klaro.“
 

„Kein Kochen, keine Hausarbeit, kein Sex. Verstanden?“
 

Der Blick war bohrend, aber er hielt ihm stand. Dann drehte sich der größere Mann mit einem Seufzen weg.
 

„Und wenn ich das alles will?“, fragte Fye.
 

„Mach doch, was du willst.“
 

„Klaro, Kuro-sama!“
 

Heute Abend würde es gefüllte Paprika geben.
 

***
 

Geschwindigkeit. Vertigo.
 

Ein ohrenbetäubender Knall, die Tüten rutschten ihn von den Fingern und – obwohl seit fast einem Jahr nicht mehr gebraucht – übernahmen seine Nahkampfinstinkte die Oberhand. Sein Geist war noch halb in Erinnerungen, doch sein Körper reagierte. Sprang hoch in die Luft, wich so um Haaresbreite dem Motorrad aus, das über den Bürgersteig schlitterterte. Die Maschine zerbrach an der Häuserwand hinter ihm, krachte, zerschmetterte das anliegende Schaufenster. Er landete mitten in den Trümmern und Scherben.
 

Für einen kurzen Augenblick war es totenstill – zu still für die Stadt. Selbst die Raben hatten ihr krächtsenden Gespräche eingestellt. Einen Meter vor ihm lag der gestürzte Motorradfahrer – sein Körper unheilverkündend verdreht.
 

Dann setzte der Lärm wieder ein. Autos hupten, Bremsen quietschten, der Fahrer des Unfallwagens torkelte aus der Fahrertür. Menschen schrien. Wie in Trance ging der Blonde auf den Körper vor sich zu, ging auf die Knie, tastete über die dicke, schwarze Lederjacke bis zum Hals, griff unter den Helm. Das was er spürte war die Stille eines Körpers, den der Puls mit einem Schlag verlassen hatte. So schnell, dass der Rest des Systems sein fehlen noch gar nicht richtig registriert hatte. Die Wirbel unter Fyes Fingern waren zerbrochen.
 

Ohne etwas zu fühlen brach Fye in Tränen aus.
 

***
 

Er hasste Krankenhäuser. Auch Heiler aller Art waren ihm suspekt.
 

Trotz seiner großen magischen Fähigkeiten, für die er schon in seiner Kindheit in Ceres bewundert worden war, hatte er nie Heilmagie erlernen können. Diese Art von Magie floh regelrecht vor ihm, während ihn alle andere zuflog, ihm ihre Geheimnisse zuflüsterten, sich an seine Fingerspitzen schmiegten, lange bevor er die Worte und Zaubersprüche für sie lernte.
 

Doch Heilmagie? Er lernte das Basiswissen, wie es in einem eisigen Land fast jeder mehr oder weniger beherrschen musste, um zu überleben. Unterkühlung, Grippe, Brüche richten, Fleischwunden versorgen, Grundlagen der Hebammenkunst, ein paar Heilkräuter. Doch selbst das fiel ihm schwer. Als ob der Fluch, der alle um ihn herum ins Unglück stürzte, selbst verhinderte, dass er auch nur die geringste Wunde heilen, den kleinsten Schmerz lindern konnte. Dennoch hatte er es versucht, wieder und wieder.
 

Doch es war vergebens; der Motorradfahrer war sofort tot gewesen. Die Sanitäter schüttelte den Kopf als sie die Leiche in den Krankenwagen luden und auch Fye wurde mit einer Decke umwickelt in das Notarztauto gesetzt. Wie durch ein Wunder, so schien es den Sanitätern, hatte er nicht die geringste Schramme davongetragen. Doch er hyperventilierte und stand offensichtlich unter Schock.
 

Er hatte keine Ausweispapiere dabei. Nur etwas Bargeld und einen grünen Zettel in der Tasche.
 


 

Bitte keine Nudeln mehr! - Stand da in großen Druckbuchstaben.
 

In geschwungener Schrift darunter:
 

Kurogane, ich weiß nicht was du gegen Pasta hast! Sie hat dir doch nichts getan! - Fye.
 

Warum unterschreibst du? Wer soll denn sonst auf diesen Zettel schreiben? Wir wohnen zusammen! Wenn es dieses Jahr noch einmal Nudeln gibt, dann koche ich selbst!
 

Reis? - Fye.
 

Mir egal. Hauptsache die Nudel-Ära ist zu Ende.
 


 

Kurogane. Ein ungewöhnlicher Name. Ungewöhnlich genug, um seinen Träger bald ausfindig zu machen.
 

***
 

Kurogane begriff – just in dem Moment als er den Schlüssel mit eiskalten Fingern in das Schloss zur Eingangstür fummelte – dass es bald der 21. Dezember war. Der Tag an dem er Fye aufgelesen hatte.
 

Zwei Wochen nach ihrem Gespräch in der Küche hatte Fye tatsächlich einen Job gefunden. Eines Morgens kam Fye aus dem Bad und trug die Augenklappe. „Guten Morgen, Kurogane“, sagte er und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Kurogane atmete innerlich erleichtert auf. Die Zeit lief weiter.
 

Sie sahen sich nun seltener. Kurogane war schon immer ein einsamer Wolf gewesen, daher machte ihm das nichts aus; doch er hatte sich an den Blonden gewöhnt. Etwas tief in ihm was sonst unruhig war, legte sich zur Ruhe, wenn er den anderen Mann im Arm hielt, ihm beim Schlafen zusah, oder sich darüber amüsierte, wie sehr Fye mit seinen Händen sprechen konnte. Vor allem, wenn er das leichte, heimliche Lächeln erblickte.
 

Die letzte Nacht war er aufgewacht, als Fye über seine Wange streichelte. Es war hundemüde und wollte den anderen Mann eigentlich nur wegschieben. Er fühlte sich roh und wusste nicht, ob es Zeit zum Aufstehen war oder nicht. Er hatte einen Scheißtag hinter sich, an dem seine Schutzbefohlene fast draufgegangen war, weil ihr verfluchter Ex-Mann an eine Schusswaffe gekommen war. Sie hatte einen Schuss in den Oberschenkel davongetragen, da er rechtzeitig reagiert hatte. Doch es war knapp gewesen. Zu knapp.
 

Doch Fyes Blick war sanft gewesen und ohne Mitleid. Wie jemand der so etwas kannte, auch wenn Kurogane kein Wort darüber verloren hatte. Er summte ein Lied, küsste ihn auf die Stirn, hielt seine Hand. Zum ersten Mal hatte Kurogane das Gefühl, dass die Geheimnisse des anderen Mannes sie näher zusammenführten statt auseinander. Etwas in ihm legte sich zur Ruhe. Heilsam. Er schlief ein und schlief durch.
 

Kurogane zog die Jacke aus und ging in die Küche, um zu schauen, ob Fye schon hier gewesen war. Nach Plan hatte er heute Nacht keine Schicht. Sie hatten die Zeiten, die sie voraussichtlich beide frei hatten rot markiert. Auf der Herdplatte standen die gebratenen Nudeln vom Vortag und er hatte eine neue Nachricht auf seinen Anrufbeantworter. Vierzig Minuten später war er im Krankenhaus und wurde von einem Krankenpfleger zu seinem blonden Mitbewohner geführt.
 

***
 

Ein Unfall. Ob er den Toten kannte? Sein Partner sei aufgewühlt und panisch gewesen, wollte den Toten nicht loslassen. So viel Kurogane wusste, hatte Fye neben ihm selbst und dem Cafébesitzer keine weiteren tieferen Bekanntschaften. Er schien vor Menschen zurückzuschrecken, sie mit Smalltalk und Lächeln von sich fern zu halten. Scheute die Verbindung. Doch bei Fye konnte man nie wissen. Fye konnte genauso gut irgendwo eine Frau und zwei Kinder zurückgelassen haben – oder ein Schwerverbrecher sein. Doch letzteres glaubte der dunkelhaarige Mann nicht; Fye verschwieg definitiv ne Menge, doch Körpersprache, die Alpträume und die Sanftheit, die er sonst an den Tag legte, ließen eher auf eine Traumatisierung schließen. So oder so. Fyes Vergangenheit war ihm egal, seine eigene wollte er ja auch niemanden auf die Nase binden. Ihre Gegenwart zählte.
 

Die Gegenwart war, dass Fye am Fenster der Beobachtungsstation saß und nicht reagierte als er reinkam. Nicht reagierte als er eine Hand auf seine Schulter legte. Nicht reagierte als er ihn zu sich drehte. Er hatte geweint. Die Augenklappe war noch feucht. Obwohl Fye durch eine Verwundung – von der Kurogane so gar nichts wusste außer wie das verbleibende Loch aussah – sein Auge verloren hatte, weinen konnte er dennoch.
 

„Fye?“
 

Hände an Fyes Gesicht, an seinen Oberarmen, ein Kuss auf die Stirn. All die Rituale, die Fye sonst beruhigten. Nach Alpträumen, bei Backslashs – die mehr über ihn mehr verrieten als Fye vermutlich lieb war. Eine beruhigende Melodie aus Zärtlichkeiten, aus Privilegien an Nähe komponiert. Über ihre Körper hatten sie sich schon die ganze Zeit klarer verstanden als über ihre Worte. Allmählich kam Leben zurück in die himmelblauen Augen.
 

„Kuro-sama?“
 

Der Dunkelhaarige atmete tief durch, hielt dem Blick stand und antwortete: „Nein, Kurogane.“
 

Das Leben wich aus Fyes Köper und Kurogane hielt ihn fest, hielt ihn einfach nur fest.
 

***
 

Ein paar Untersuchungen später durften sie gehen. Eine Psychologin wollte mit dem Blonden sprechen, doch dieser lehnte ab mit einem breiten Lächeln und verkündete gut gelaunt, dass er stabil, glücklich und vollkommen heil in der Birne sei. Kurogane lief es eiskalt den Rücken runter bei diesem Lächeln.
 

Nun stand Fye in der Küche und sah auf die Reste Nudeln, den Rücken zu ihm.
 

„Ich wollte gefüllte Paprika machen. Mit Schafskäse und Champignons gefüllt...“
 

„Vergiss die Paprika.“
 

„Ich dachte mir, Ofenpaprika sind für uns perfekt. Wenn wir zur selben Zeit frei haben und du eh Nudeln nicht mehr sehen kannst, können wir sie gemeinsam essen. Ansonsten kann man sie einfach in den Ofen schieben und Schwups sind sie servierfertig...“
 

„Es ist okay“, antwortete Kurogane.
 

„Danach wollte ich es mal mit Ofengemüse probieren“, sprach Fye weiter, doch es wirkte ganz weit weg. „Auch wenn ich nicht weiß wie lange was rein muss. Ich meine... Möhren sind nicht so schnell durch wie... wie... Kohl?“
 

„Fye, es ist gut. Mach dir keine Gedanken um das Essen. Wir bestellen.“ Er legte die Hand in Fyes Nacken und wie so oft in letzter Zeit, wenn ein Elefant im Raum stand, wanderten Fyes Hände unter seine Kleider, begannen ihn abzulenken. Doch diesmal nicht.
 

„Fye, was ist los?“
 

Schweigend öffnete sein Partner seinen Gürtel.
 

Wut kam in ihm hoch, aus einem Loch, das das Schweigen und die Hilflosigkeit der letzten Monate gebuddelt hatten. Er liebte diesen Mann und offenbar hatte er heute die Hölle durchlebt. Eigentlich sollte er gerade jetzt umso geduldiger mit ihm sein. Doch der Abgrund hatte sich in seinem Magen aufgetan, seit der das Krankenhaus betreten hatte.
 

„Lenk nicht ab.“
 

„Bestellen ist okay, nicht so gut wie die Paprika, aber nun ja, was soll man machen?“ Lippen an seinem Hals. Kurogane ging einen Schritt zurück.
 

„Verdammt noch mal! Hör auf mit der verfluchten Paprika auf!“ Da war es wieder, das Lächeln. „Und wisch dir dieses Grinsen aus dem Gesicht! Wem versuchst du damit eigentlich etwas vor zu machen?“
 

Doch Fye verließ einfach wortlos die Küche und faltete sich auf den schwarzen Bürostuhl zusammen, all die langen Gliedmaßen auf ein Minimum zusammengedrückt, von Armen umschlungen, den Blick ganz weit weg. Der Stuhl drehte sich langsam um die eigene Achse.
 

Kurogane griff zum Telefon und bestellte Essen. Erst nachdem er aufgelegt hatte bemerkte er, dass er ausgerechten Penne bei der Pizzeria um die Ecke bestellt hatte.
 

***
 

Am nächsten Morgen hatte Kurogane, laut ihrem Schauplan, Spätschicht. Dennoch war sein Mitbewohner schon aufgestanden, als Fye am frühen Morgen erwachte. Sie hatten gestern schweigend gegessen, waren schweigend ins Bett gegangen, hatten schweigend Sex gehabt und Kurogane hatte ihn schweigend in den Armen gehalten, als er danach in Tränen ausgebrochen war.
 

Es roch nach Kaffee. Er goss etwas von dem schwarzen Gebräu in die zweite Tasse auf dem Tisch. Mittlerweile waren mehr persönliche Dinge von ihm in der Wohnung – unter anderem diese Tasse. Er hatte sie von einem Straßentöpfer erstanden und war ganz vernarrt in sie.
 

„Kanntest du diesen Mann?“, Kuroganes Stimme klang heiser. „Das Unfallopfer?“
 

„Nein. Ich kannte ihn nicht.“
 

Sein Partner hatte seinen 'wir müssen reden Blick' aufgesetzt. Fye überlegte, wie er ihn ablenken konnte. Schon sprang er auf, Worte auf den Lippen, Bewegung – Flucht – Ablenkung im Sinn. Doch dann erinnerte er sich an das Gefühl zertrümmerter Knochen unter seinen Fingern, er spürte sie immer noch. Er setzte sich wieder, blickte in diese roten, unbestechlich schönen Augen.
 

„Ich dachte einen Augenblick das wärest du“, sagte er leise.
 

„Der Motorradfahrer?“
 

„Ja. Ich dachte... ich dachte das wärest du und du warst verletzt und ich wusste, egal was passiert, ich würde dich nicht heilen können und…“
 

„Das war aber nicht ich. Das war jemand, der mir ähnlich sah. Du hast mich verwechselt.“
 

„Ich weiß!“, Fye stand so heftig auf, dass die Tasse umkippte und der Kaffee über den Küchentisch schwappte. „ICH WEIß!!!“
 

Um den Ninja aus Japan hatte er nie Angst gehabt. Als wäre er unsterblich. Er war an seiner Seite, oftmals ungewollt, doch eine ständige Präsenz, ein Feuer wie die Sonne. Lebensspendend und völlig autark. Er sah in Kuroganes Augen, diesen altvertrauten, neuvertrauten Augen und die Erkenntnis traf ihn, dass es ihn gerade wichtiger war, dass DIESER Mann jetzt lebendig und gesund vor ihm saß. Nicht der Geist der Vergangenheit. Er hatte die Grenze schon längst überschritten. Zwei Männer, selbe Falle. Zeit das zu akzeptieren. Der Gedanke hatte etwas seltsam Versöhnliches, weiches.
 

„Willst du ausziehen?“, fragte Kurogane.
 

„Soll ich?“
 

„Willst du? Du hast n Job, verdienst gut. Die Papiere sind fast durch. Du könntest deine eigene Wohnung haben. Du musst nicht mehr hier sein.“
 

„Nein“, sagte er und war von der Wahrheit selbst überrascht. „Ich will hierbleiben.“
 

Doch das Verhör war noch nicht vorbei. „Willst du, dass wir uns trennen?“
 

Der Wasserhahn tropfte. Fye hob die Tasse wieder auf, schwieg, sie war nicht zerbrochen, setzte sich..
 

„Ich bleibe bei dir“, fuhr Kurogane ruhig fort. Doch Fye kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass in seinem Brustkorb ein Tornado wütete. „Ich halte mein Versprechen. Doch dafür müssen wir nicht in einer Liebesbeziehung sein.“
 

Der Kaffe hatte die Tasse teils erwärmt - orange war sie, mit einem Rotstich am oberen Rande. Er strich mit den Fingerspitzen darüber. Von dem noch kühlen Teil zum warmen und zurück.
 

„Nein, ich will keine Trennung. Du?“
 

„Nein. Doch ich brauche etwas mehr von dir. Eine Erklärung. Ich habe dich noch nie so gesehen und ich glaube nicht, dass es nur am Schock des Unfalls liegt. Es ist seit Wochen etwas in der Luft, verdammt! Ich wollte dir deine Privatsphäre lassen, aber ich habe keine Ahnung wer du bist, Fye!“
 

Das waren ungewöhnlich viele Worte auf einmal von Kurogane. Fye beobachtete wie sich der andere Mann wieder durchs Haar fuhr und fragte sich, wie viele unausgesprochene Worte dort noch hausten.
 

Etwas rüttelte in Fyes Brustkorb schon so lange an der Mauer, an den Gitterstäben. Ein kleiner Vogel vielleicht, oder ein ekeliges Insekt, das endlich ans Licht gelangte. Er atmete durch. Tief.
 

„Ich dachte keine Sekunde lang, dass er es hätte sein können. Ich dachte, das wärest du. Dass auch ich dir Unglück gebracht hätte. Im Endeffekt war es ein völlig Fremder und... und das machte es noch schlimmer.“
 

„Er? Der Mann, der denselben Namen hat wie ich?“
 

„Ja. Den Mann, den ich über alles geliebt habe, ob ich wollte oder nicht. Der Mann, den ich in deinem Gesicht gesehen habe.“
 

Diese Worte waren nicht geplant. Das hässliche Insekt purzelte aus ihm heraus. Blinzelte ins grelle Licht und seine Worte, all die Worte, vor denen er immer weggelaufen war, überfielen mit lautem Geheul seinen Kopf.
 

„Ich habe von Anfang an nicht dich gesehen, sondern jemand anderen.“
 

„Ich weiß.“
 

„Seit wann?“
 

„Seit einer Weile. Du redest im Schlaf.“
 

Jetzt war also der Moment, in dem das hässliche Insekt zerdrückt wurde. Fye starrte auf die braune Pfütze auf den Küchentisch, wie sie über den Rand auf die Fliesen tropfte. In dem Augenblick, in dem er begriff, was er fühlte, endete alles. Er hatte es verdient.
 

Er sah auf. Kurogane, Kurogane dieser Welt, saß immer noch da und blickte ihn an, als wäre noch nicht alles vorbei. Fuhr sich durchs Haar, Tornado, zurückgehalten, abwartend. Das war also der freie Fall.
 

Fye holte tief Luft und erzählte alles. Alles.
 

***
 

Erst in der Stille bemerkte er, dass es draußen schon eine ganze Weile regnete wie aus Eimern. Es war ungewöhnlich, dass nach Schnee Regen kam. Doch noch ungewöhnlicher war Fyes Geschichte.
 

„Glaubst du mir?“
 

„Ich glaube, dass du das glaubst. Das reicht mir.“
 

Fye schüttelte den Kopf und stand auf, um die mittlerweile erkaltete Pfütze wegzuwischen. Er hatte sehr lange erzählt und war heiser. Doch seine Körpersprache wirke entspannt und sanft. Als wäre all die Härte mit der Wahrheit aus ihm herausgespült worden. Kurogane öffnete das Küchenfenster und ließ den Verkehrslärm hinein.
 

Ihm schwirrte der Kopf vor wahnsinniger Könige, verlorenen Federn, die Liebe zu einer zusammengewürfelten Familie, die Erzählungen von einem Mann, der sein Gesicht trug, angeblich sein Herz besaß und der ein großes Stück von Fyes Herz mitgenommen hatte als sich ihre Wege vor einem Jahr trennten.
 

Entweder es gab tatsächlich Magie auf der Welt – in mehreren Dimensionen, wie er gelernt hatte – oder sein Gegenüber litt unter immensen Wahnvorstellungen. Obwohl letzteres wahrscheinlicher war, erklärte es viel von ihrer Begegnung und Fyes völliger Fremde in dieser Welt.
 

„Kurogane?“
 

„Ich muss in zwei Stunden los. Meinst du, du bekommst morgen was anderes als Pasta zum Abendessen hin?“
 

„Ich bin morgen Abend noch hier?“
 

„Wenn du willst?“
 

„Nach all dem? Ich habe dich angelogen, Kurogane. Jemand anderes in dir gesehen... ich-“
 

„Du bist echt schwer von Begriff, oder?“, seine Stimme war so rau, als hätte er die ganze Zeit geredet. „Du musst nichts tun, um hier wohnen zu können, kein -“
 

„Kein Kochen, kein Haushalt, kein Sex.“
 

„Keine Liebe.“
 

Fye starrte ihn an und etwas in seinem Blick brach. Er hatte nicht gedacht, dass da noch mehr war. Doch er letzte Rest Wahrheit, der letzte Takt seiner Geschichte schlich sich hindurch und etwas in Kurogane war sich gewiss, dass er das richtige getan hatte vor einem Jahr. Es war richtig gewesen diesen schrecklichen, wunderbaren, verletzten, verspielten, brutalen und zärtlichen Mann in sein Leben zu lassen.
 

„Und wenn ich das alles will?“
 

Etwas zu heftig schloss Kurogane das Fenster und trat zu dem Blonden. Einen Moment war er davon überzeugt, dass Fye sich umdrehen würde und gehen, so wie er sonst auch alle Konflikte löste. Mit Weglaufen. Stattdessen fuhr Fyes Hand zu seinem Hals, fühlte seinen Puls und blieb dort.
 

Willst du denn?“
 

„Ich will nicht mehr weglaufen. Ich will endlich mal da bleiben wo ich bin. Ich will neben dir aufwachen. Ich will das alles hier. Obwohl ich nicht weiß, was das hier ist.“
 

Etwas ruppig zog Kurogane ihn näher. Und Fye ging den letzten Schritt auf ihn zu.
 

Die Gegenwart ist der freie Fall. Zeit sich daran zu gewöhnen.
 

„Mach doch was du willst.“
 

____Ende____


Nachwort zu diesem Kapitel:
Nach 12 Jahren nun also also eine Fortsetzung. Es war ein One-shot und manchmal lese ich gerne meine alten FF und die Kommentare dazu. Irgendwie bin ich daran hängen geblieben, dass viele Fyes Verhalten (zu Recht!) als völlig egoistisch und grausam empfanden. Dann habe ich mir den Kopf zerbrochen, wie die Geschichte weitergehen konnte. Nun, so. :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  swiss-chocolate
2019-02-12T20:26:35+00:00 12.02.2019 21:26
Ja da schaut man mal aus Jux seinen alten Animexx Account an und siehe da, es gibt ein Update! :D
Muss schon zugeben, dass meine Tsubasa-Phase schon eine Weile hinter mir liegt aber ich freue mich trotzdem sehr über das neue Kapitel!

Ich stöbere auch gerne meine alten Favos durch, nur schon um zu sehen, was für einen Geschmack ich hatte und wie der sich so weiterentwickelt hat.

Schön zu lesen dass Fye es mal mit Verändern versuchen will und hoffe dass ihm das gelingt (nur schon Kurogane zu liebe)
Fye war ja schon immer der für den es am schwersten war sich zu verändern/aus alten Mustern herauzubrechen. Also ich finde das es gut passt seinen Wachstum so zu schreiben (und wenn es 12 Jahre dauert bis er sich verändern kann, besser spät als nie hahaha) :D


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