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Radioman

von

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Müßiggang ist aller Laster Anfang

„Augen auf, ihr Murmeltiere! Die Sonne lacht und die tokioter Vögel singen die BeeGees! Hier ist Taichi von Taichi am Morgen, eurer etwas anderen Morgenshow hier auf 105.6 Radio Tokio!“

Die Stimme des Radiosprecher riss unter anderem auch den Bewohner eines kleinen Appartements in der Uptown von Tokio aus dem Schlaf.

Im nächsten Moment landete der Radiowecker desselbigen an der gegenüberliegenden Wand.

Zu Yamatos Leidwesen dachte das nervtötende Gerät mit dem noch nervtötenderen Sprecher nicht daran den Geist aufzugeben und dudelte ungestört weiter vor sich hin.

Während unsere blonde Schlafmütze unheilverkündend knurrte und sich mühsam aufsetzte, verkündete die ekelerregend wache und fröhliche Stimme Taichis die Zehn-Uhr-Nachrichten.

Wie konnte man nur einen derartigen Menschen um diese Uhrzeit auf unschuldige Hörer loslassen!?

Eine Weile lag Yamato nur still da, kratzte sich die weizenblonden Locken und versuchte den Radiomenschen zu ignorieren.

Vergeblich.
 

Gestern Abend war Yamato Ishida, Leadsänger der weltberühmten Band Wolveson, nach dreimonatiger Welttournee nach Tokio zurückgekehrt und hatte sich dort mit der Bitte einer vorrübergehenden Funkstille von seinen Bandmitgliedern verabschiedet.

Denn so gerne er sie hatte, wenn ein hyperaktiver Schlagzeuger ein masochistischer Bassist und ein chronisch spitzer Gitarrist um ihn herum wuselten, war es ihm nicht möglich auch nur eine Zeile zu Papier zu bringen.

Und sie brauchten für das neue Album, welches in drei Monaten herauskomme sollte noch Unmengen an Songmaterial.

Also begab sich er sich gestern Abend in die freiwillige Isolation um seinen inneren Schaffensdrang wieder zu beleben.
 

Als Yamato sich endlich geschlagen gab und sich mit viel Überwindung ruckartig aufsetzte, war Taichi schon beim sonnigen, trockenen Frühlingswetter angelangt.

Einen Augenblick schloss er seine Augen um den leichten Schwindel zu vertreiben, dann schwang er sie nackten Füße über die Bettkante und tappte über den cremefarbenen Teppich hinüber zu jenem störenden Objekt.

„Nachdem wir nun wissen, was in der Welt so passiert ist, kommen wir nun zu den wirklich wichtigen Dingen Im Leben: MUSIK! Hier ist die neuste Single von...“

Mit einem gezielten Fußtritt brachte Yamato das Gerät just in dem Moment zum Schweigen, als die zuvor angepriesene Pseudo-R’n’B-Zicke ihre Stimme erhob.

Sie sang einen Dreiviertelton zu tief im Bezug zu ihrer instrumentalen Bergleitung.

Naja, Gehör, war eben nicht jedermann gegeben.
 

Fluchend und auf einem Bein hüpfend rieb er sich den pochenden Zeh. Warum bauten die Hersteller denn keinen weicheren Off-Knopf ein!

Der schwarze Kasten, der nun sehr unschuldig tat, wurde mit bösen Blicken bombardiert weigerte sich aber strikt zu Staub zu zerfallen.

Blödes Ding!

Grummelnd tapste Yamato in die Küche um sich an seinem nagelneuen Kaffeevollautomaten einen Café au lait zu bereiten.

Auf dem Weg dorthin griff er sich seinem Notizblock und Stift vom Regal im Flur.

Man wusste ja nie wann einen eine Idee überfällt.
 

Nachdem er die Kaffeeschale zur Hälfte geleert und fortwährend auf das unbarmherzigleere Blatt Papier vor ihm gestarrt hatte, seufzte er resigniert.

Hatte der Lärm es ihm in der Gegenwart seiner Bandmitglieder unmöglich gemacht die Songs zu `hören´, die erschreiben wollte, so war es hier dermaßen still und leer, dass es gar nichts zum `hören´ gab!

Wie sollte er denn bitte weltbewegende Songtexte produzieren, wenn er nichts hörte als NICHTS?
 

Träge erhob er sich, griff nach Kaffeetasse, Block und Stift und schlurfte über den blanken Holzboden im Flur ins Wohnzimmer.

Veilleicht, war die Stille dort ja weniger drückend.

Mit einem leisen `Klonk´ setzte er seine Schale auf dem gläsernen Couchtisch ab und ließ sich in die weichen Polster des cremefarbenen Designersofas fallen.

Doch seine Hoffnung blieb unerfüllt.

Auch hier war es still.

Und diese einsame, stumme, unkreative Stille machte ihn fertig.

Dabei brauchte doch eigentlich gerade jetzt einen seiner berühmtberüchtigten Arbeitsexzesse!
 

Nachdem Yamato eine gute halbe Stunde schweigend auf die leere Seite gestarrt und auf einen Geistesblitz gewartet hatte, fühlte derart passiv, dass er sich schwerfällig erhob und durchs Zimmer zur Anlage latschte um das Radio an zu drehen.

Taichi philosophierte gerade über den Sinn von mundgeblasenen Glasfigurchen.

Yamato konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, als der Mann im Radio endlich zu dem Schluss kam, dass diese Nippesgegenstände dafür da waren, dass Mütter etwas zum Aufregen hatten und deren Kinder etwas zum Zerschmettern.

Dann sagte Taichi das nächste Lied an.
 

Ein Rap.

Nicht, dass Matt etwas gegen Rap hatte! Im Gegenteil, er musste zugeben, dass die Texte zum Teil sogar ziemlich gut waren, auch wenn er seinem Punkrockgrungefunk wohl doch treu bleiben würde.

Aber eben nur ein Teil und dieser Song gehörte eindeutig nicht dazu. Es war eher eines der Sorte Rap, in denen jedes dritte Wort F*ck und jedes fünfte Wort B*tch war.

Normalerweise, wäre er nun aufgestanden und hätte ausgeschaltet.

Letztendlich blieb Yamato aber sitzen, kritzelte unmotiviert auf einem Stück Papier herum und sehnte das Ende des Liedes herbei.

Und das Ende kam.

Taichi begann wieder über belanglose Themen zu quasseln und Yamato bemerkte mit Erstaunen, dass der Klang von dessen Stimme die feindliche Stille innerhalb der Wohnung zurückdrängte und den entstandenen Raum mit seinen warmen, rauen Ton füllte.
 

Abermals kündigte Taichi einen Song an, seine Stimme verklang und die Stille begann sich erneut auszudehnen.

Die Augenbrauen des blonden Sängers zogen sich unwillig zusammen, als der sirenenartige Gesang einer Möchtegern-Dark-Tusse seine Ohren zu quälen begann.

Okay, er musste zugeben, dass er ein kleines bisschen wählerisch war.

Aber eine derart schlechte Musikauswahl hatte er schon nicht mehr gehört, seit er vor Jahren das erste und einzige Mal auf einer Mittelstufenparty gewesen war.

Trotzdem konnte er sich nicht dazu durchringen den Ton abzudrehen und damit Taichi endgültig zum schweigen zubringen.

Obwohl dieser hirnlose Sprecher unglaublich hirnlose Themen ansprach, gefiel es Yamato irgendwie seinem warmen Bariton zu lauschen.

Es war schon Mittag, als Yamato sich dazu aufraffte ins Schlafzimmer hinüber zu gehen um sich anzuziehen.

Das Radio ließ er laufen.
 

Etwa zwei Wochen später kannte Yamato die Reihenfolge sämtlicher Stücke auswendig.

Das war nicht schwer, da sie sich alle drei Stunden wiederholten.

Einzig Taichis Sprachbeiträge wiederholten sich nie.

Yamato fragte sich immer wieder, wie es dieser Mann schaffte derartig fröhlich acht Stunden täglich Minimum ohne jeglichen Tiefgang zu reden.

Ohne es bemerkt zu haben, war der blonde Sänger in der kurzen Zeit in der er sich seine Wohnung zurück gezogen hatte von der wohlklingenden Stimme des Radiosprecher abhängig geworden.

War er gezwungen aufgrund von Interviews, Medienauftritten oder auch nur dem Gang in den nächsten Supermarkt gezwungen, während der Sendezeit seine Wohnung und somit sein Radio zu verlassen, steckte er sich die Stöpsel seines Miniradios in die Ohren.

Dieser Mensch, der bestimmt ein grauenhafter Sänger war, hatte ohne es zu wissen etwas geschafft, was bis jetzt noch kein Sänger der Welt geschafft hatte.

Yamato süchtig nach seiner Stimme zu machen.
 

Immer häufiger erwischte er sich dabei, wie er sich fragte, wie jener Taichi aussehen mochte und wie er wohl sein Leben gestaltete, wenn er gerade nicht hinter dem von des größten Radiosenders von ganz Japan hockte.

Als Sänger kannte sich Yamato mit Stimmen aus.

Schon immer hatte er sich eine Spaß daraus gemacht, anhand der Stimme eines Menschen, den er nur vom Telefon oder aus einem Song kannte, zu erraten was diese Person für ein Mensch war.
 

Seiner Stimme nach, war Taichi höchstens Mitte Zwanzig, eher jünger.

Da er irgendwie immer nach Sonne und gutem Wetter klang, vermutete Yamato, dass der Radiomann viel Zeit draußen und mit seinen Freunden verbrachte.

Darüber hinaus schloss er dass Taichi sehr ehrgeizig und aktiv war und deswegen wohl eine Menge Sport trieb, denn seine Stimme klang oft sehr energisch.

Taichi war spontan und von der Statur wohl etwas größer und kräftiger, als Yamato selbst.

Als Japaner war er wahrscheinlich dunkelhaarig und -äugig .

Er war wohl ein typischer Pausenclown.

Einer der Menschen, die in der Schule ständig Witze rissen und die großen Wortführer waren und die man intellektuell deswegen gerne unterschätzte.

Denn für dumm hielt Yamato den Radiosprecher inzwischen nicht mehr.

Auch wenn die Themen der seiner Sendung nicht immer die originellsten waren, so schaffte es Taichi mit seinen Worten und seiner manchmal fast kindlich anmutenden Betrachtungsweise den Zuhörer zu fesseln.

Der Radiomann schien ein Gespür dafür zu haben, wie man die Menschen dazu brachte das Radio anzulassen.

Ein Gespür für den Markt.

Und das konnte man ja auch schon als gewisse Intelligenz werten.
 

Völlig überrascht war der blonde Sänger gewesen, als ihm auffiel, dass die beiläufig auf das Papier geworfenen Zeilen, die er während des andächtigen Lauschens fabriziert hatte, sich gar nicht mal so schlecht als Songtexte eigneten.

Ja, sie waren anders als seine bisherigen Texte.

Weniger fatalistisch und sorgloser als sonst.

Manchmal fast schwärmerisch, auf jeden Fall aber weitaus energetischer, als man es von ihm kannte.
 

Das sah auch sein Produzent, als er weitere zwei Wochen später die Texte sichtete und fragte ihn darauf, ob er sich verliebt habe.

Yamato verneinte.

Obwohl er sich dem Radiosprecher seltsamer Weise inzwischen viel näher fühlte, als den meisten seiner Freunde, hatte er schließlich noch nie ein Gespräch mit diesem geführt oder ihn auch nur persönlich kennen gelernt.

Man konnte sich ja schlecht in jemanden verlieben, den er nicht kannte.

Der Produzent zog nur ungläubig eine Augenbraue hoch und schwieg.
 

Ab diesem Zeitpunkt begann Yamato wieder mit seiner Band zu proben und war deswegen nur noch selten zuhause.

Abgesehen davon, dass der Entzug seiner bevorzugten Geräuschquelle ihm mehr zu schaffen machte, als gedacht, gab es einige Probleme beim Einspielen.

Der Rhythmus der Drums, die Basslinie, die wuchtige Gitarre!

Jene würde jedoch die positive Grundstimmung der Texte entweder erdrücken oder zu purer Ironie verkommen lassen.

Seine Band war die depressive, unbequeme Musik noch in den Fingern, die sie zuvor produziert hatten.

Sie fanden sich nur schwer in den leichteren, weichere Sound hinein, den Yamatos sich vorstellte.

Er war ein Perfektionist und die kleineren Patzer seiner Bandmitglieder und besonders aber die eigenen Fehler brachten ihn dauerhaft auf Hundertachtzig.

Außerdem hatte er Zweifel, dass die Fans seiner Band diese neue emotionale Färbung ihrer Lieder auch gut aufnehmen würden.

Obwohl er sich der Qualität seiner Stücke bewusst war, hatte er Angst, dass die Annäherung an die seichtere Musik, die er im Radio gehört hatte, zu starke Spuren hinterlassen hatte.
 

Einziger Lichtblick war, dass Taichi am späten Abend eine Lesestunde übernommen hatte.

Während dieser nun allabendlich aus einem Buch vorlas und Yamato seine Stimme ohne die Unterbrechung durch schlechte Mainstreammusik genießen konnte, entspannte er sich auf sosehr dass er gegen Ende fast jedes Mal einschlief.

Der Roman der gelesen wurde war weder innovativ noch sonderlich gut geschrieben.

Im Gegenteil, es schien Yamato als habe genau diese Handlung schon in mindestens fünf verschiedenen Bearbeitungen irgendwo gelesen.

Mann trifft Frau und sie verlieben sich ineinander, die Frau ist aber schon verheiratet.

Also verzichtet Mann und hat furchtbaren Leibeskummer, den er versucht auf diverse Weise zu bekämpfen.

Frau ist indessen zuhause bei ihren tyrannischen, unsympathischen, brutalen Gatten, der sie überhaupt gar kein bisschen lieb hat.

Mann merkt, dass er doch nicht auf seine große Liebe verzichten kann und steht vor der Tür der Frau, welche gerade von ihrem Gatten geprügelt wird.

Mann rettet Frau, die beiden fliehen erfolgreich vor dem bösen, bösen Gatten.

Sie sagt ihm das sie vom ihm schwanger ist und Friede, Freude, Himbeertorte.
 

Einen weiteren Monat intensiver Probenarbeit später war es dann vollbracht und die ersten Demo-CDs wurden an verschiedene Radiosender verschickt.

Da dies immerhin der größte Japans war, war auch Radio Tokio unter den Adressaten.

Es gab sogar ein Angebot an Wolveson auf ihrer Promotiontour doch in Taichi am Morgen aufzutreten.

Die anderen Bandmitglieder lehnten ab, der Sender war ihnen zu Mainstream.

Yamato selber hatte pünktlich zum Aufnahmeschluss Fieber bekommen und lag mit Schüttelfrost in seinem Bett.

Vom strahlenden Sonneschein und sommerlichen Temperaturen, wie Taichi das momentane Wetter charakterisierte, bekam er rein gar nichts mit.

Er fror.
 

„So und als nächstes möchten wir die neue Single einer Band spielen, die bis jetzt eher einen individuelleren Stil verfolgte inzwischen aber eine nicht kleine Fangemeinde überall auf der Welt hat. Im Gegensatz zu ihrer bisherigen, sehr aggressiven und melancholischen Musik bieten uns Wolveson mit ihrer neuen Album, auf dem auch die Single zu finden ist, ein unglaubliches Feuerwerk an Optimismus, Lebensfreude und positiver Energie!“
 

Und sein Lied erklang.

Und während es erklang, auf diesem Radiosender, mit dieser Ansage, begann Yamato es zu hassen.

Hatte er sich nicht immer dem Mainstream, den gecarsteten Stars, der Candymusik ohne Herz entziehen wollen?

Jetzt, ohne es gemerkt zu haben hatte er, der ach so alternative Yamato Ishida, ein Stück geschrieben, dass jeder Ghostwriter jedes Carstingvögelchens genauso hätte schreiben können.
 

Ein Song, der nicht wehtat.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Elliiy
2006-07-25T19:06:43+00:00 25.07.2006 21:06
*heul*
das ist...so süss...ich schmelze (und das nciht nur wegen der hitze) also...ich schieb die ff gleich in meine fevo...also...super *.*

Elliiy
Von: abgemeldet
2006-07-13T12:07:18+00:00 13.07.2006 14:07
Ui, ich liebe deinen Schreibstil^^ Lustig und gut geschrieben, gefällt mir... Ich hoffe doch, es gibt eine Fortsetzung? Du hast die Beiden übrigens auch super beschrieben, passt genau *grins*
Von: abgemeldet
2006-07-13T12:03:46+00:00 13.07.2006 14:03
wow. dein schreibstil is echt... verdammt fesselnd. gehts noch weiter? ja? ^^ meldest du dich dann? dat ding is verdammt genial ^^
lg
chuku-chan


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