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Zerbrochene Freundschaft

Kapitel 51
von

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Ruffy: Bitter Freedom

Ich habe meine Augen geschlossen und atme die frische, salzige Luft tief ein. Ein kalter Wind streicht mir durchs Haar und einzelne Strähnen kitzeln mich an der Wange. Schlussendlich kann ich nicht anders und strecke meine Arme zu beiden Seiten lang aus. Laut und überschwänglich lache ich meine Freude heraus, wobei ich mich gleichzeitig schnell im Kreis drehe. Es ist ein so befreiendes und zugleich erleichterndes Gefühl, die elenden Hand- und Fußfesseln nicht mehr zu spüren, obwohl noch rote Striemen von der tragenden Tortur zeugen. Doch in ein paar Tagen werden diese Wunden verheilt sein und nur meine gepeinigte Seele wird von dem erlittenen Martyrium berichten können. Aber auch dies wird mit der Zeit verheilen, da bin ich mir sicher.

Lachend lasse ich mich auf den Boden plumpsen, was einen ziehenden Schmerz in meiner Steißgegend hervorruft. Aber den Schmerz ignoriere ich geflissentlich, da ich ihn mir ja selbst beigebracht habe. Stattdessen blicke ich in die Gesichter meiner Freunde. Noch immer kann ich nicht glauben, dass sie hier bei mir sind und um mich herum stehen. Mein Gehirn hält diese Tatsache für einen Traum. Doch selbst wenn dies der Fall wäre, so würde ich mir wünschen, nie wieder aufzuwachen. Denn zu schön ist das Gefühl der Freiheit, dass es eine quälende Folterei meines Verstandes wäre, sollte sich diese Wirklichkeit nur in meinen Gedanken abspielen.

Laut aufseufzend lege ich mich – alle viere von mir gestreckt – auf den Rücken und blicke hinauf. Kurz verspüre ich einen Stich der Enttäuschung, als ich über mir nirgends unsere Piratenflagge sehen kann – das Zeichen der Strohhutbande. Der Nebel – so dicht, wie ich ihn noch nie erlebt habe – versperrt mir leider die Sicht darauf. In meinen Gedanken aber sehe ich sie dort oben hängen, wie sie sich ganz leicht flatternd im Wind bewegt.

Plötzlich sehe ich Sanji vor mir, der leise neben mich getreten war und mit einem kleinen Lächeln zu mir herunter blickt. Langsam geht er in die Hocke und legt die Arme locker über seine Knie. Stumm mustere ich sein Gesicht. Trotz seiner freundlichblickenden Augen entgeht mir nicht, dass sich in seinen Augenwinkeln und um seinen Mund herum ein harter Zug gelegt hat. Die straffe Haut an seinen Wangenknochen lässt sein Gesicht schmaler und maskuliner wirken, als es früher der Fall war. Eine leise Genugtuung kann ich mir daher nicht verkneifen, dass die Zeit auch an ihm nicht spurlos vorüber gezogen ist.

„Wollen wir nicht lieber ins Warme gehen? Ich kann mir gut vorstellen, dass du dich auch gerne umziehen möchtest.“

Allmählich verspüre ich die Kälte, die sowohl in der Luft als auch im Holz liegt, und meine Kleidung längst durchdrungen hat. Mit steifen, ungelenken Knochen erhebe ich mich langsam aus meiner liegenden Position, und ergreife die ausgestreckte Hand Sanjis. Gemeinsam ziehen wir uns hoch.

„Geht ihr schon mal vor“, meint Nami lächelnd und wischt sich die letzten übrig gebliebenen Tränen aus den Augenwinkeln. Sie ist mir im wahrsten Sinne des Wortes um den Hals gefallen, als ich zusammen mit Sanji und Chopper das Deck des Marineschiffes betreten hatte. In allen Gesichtern hatte ich ungläubiges Staunen erkennen können, da sie – ebenso wenig wie ich – damit gerechnet haben, dass ich mich an Bord befinden würde. Umso größer war die Freude dann auch, als die Erkenntnis uns traf, welch ein Zufall uns das Schicksal geschickt hatte. Denn schließlich hätte es auch anders kommen können!

„Chopper, Ace und ich kümmern uns erst Mal darum, dass wir wieder Fahrt aufnehmen und den richtigen Kurs einschlagen.“

Mit diesen Worten blickt Nami auf den Gegenstand in ihrer Hand. Trotz der Entfernung vermute ich, dass es sich entweder um einen Lock-Port oder um einen Eternal-Port handelt. Ace und Chopper verschwinden derweil im Nebel, und ich gehe davon aus, dass sie Namis Worten folgen und sich um das Segel und das Steuer kümmern. Mit einem sanften Stups gegen die Schulter lenkt Sanji meine Aufmerksamkeit auf sich, und zu zweit begeben wir uns in die Kombüse.

Eine wohlige Wärme empfängt mich, als ich durch die Tür schreite. Dankbar stelle ich mich vor dem kleinen Wärmeofen und reibe mir die klammen Hände vor dem offenen Feuer. Neugierig blicke ich mich dabei im Raum um. Obwohl sich nichts verändert hat, komme ich nicht umhin zu bemerken, dass in der Nähe des Ofens vier Schlafplätze auf dem Boden aufgeschlagen wurden. Fragend blicke ich Sanji an, als er mir eine Decke überreicht.

„In den Zimmern unten ist es mittlerweile zu kalt geworden“, antwortet er auf meine stumme Frage hin, während ich mir die Decke um die Schultern lege.

Nach einer Weile, in der nur das Knacken und Prasseln des Feuers zu hören ist, spüre ich deutlich das Blut wieder in meinen Fingern zirkulieren. Wie kleine spitze Nadelstiche pulsiert die rote Flüssigkeit durch die hauchdünnen Blutgefäße. Kurioserweise genieße ich dieses Gefühl, da es mir zeigt, dass ich lebe … und zwar wirklich lebe. Nicht so, wie es in den vergangenen Tagen und Wochen der Fall war, die neben einer gewissen Monotonie von Wachsamkeit und Unterwürfigkeit begleitet wurden. Im Gefängnis habe ich schnell begriffen, dass man auf Winters Island zu einem Geist wird. Jegliches Leben wird dort einem rausgeprügelt, bis man nichts mehr spürt und die eigene Seele wie eine Blume ohne Wasser verdörrt.

„Danke!“, kommt es aus der Tiefe meines Herzens laut heraus. Während vereinzelte Tränen an meinen Wangen herabperlen, blicke ich Sanji mit einem glücklichen Lächeln an. Verständnisvolle Augen erwidern meinen Blick, und ernst nickt er mir zu. Langsam setze ich mich daraufhin an den großen, langen Tisch und schaue Sanji dabei zu, wie er heiße Schokolade in zwei Tassen füllt. Meine Geschmacksnerven ziehen sich bei diesem Anblick zusammen. Als hätte ich den Geschmack bereits im Mund, fahre ich mehrmals mit der Zunge über die trockenen Lippen.

„Soll ich dir auch was zu essen machen?“, fragt Sanji mich, als er eine der beiden Tassen vor mir auf den Tisch stellt. Sofort greife ich mit beiden Händen nach der Tasse, von der ich im nächsten Moment auch schon einen Schluck abtrinke. Ungeachtet der heißen Flüssigkeit schließe ich genießerisch die Augen, als der süße schokoladige Geschmack meine Kehle hinab rinnt. Trotz der wochenlangen Entbehrungen von süßen, leckeren und nahrhaften Essen zwinge ich mich schließlich dazu, die Tasse wieder zurück auf den Tisch zu stellen. Daraufhin ernte ich einen erstaunten Blick von Sanji, der normalerweise ganz anderes von mir gewohnt ist. Auch mein verneinendes Kopfschütteln auf seine Frage scheint ihn zu irritieren, da seine ernsten Augen mich jetzt genau mustern. Was er aber wirklich denkt, vermag ich nicht zu sagen.

„Du hast dich verändert“, meine ich schließlich, woraufhin ich ein kurzes Auflachen ernte, das mehr Sarkasmus beinhaltet als Erheiterung.

„Das haben wir alle“, meint er leise, wobei ich mir nicht sicher bin, ob die Worte wirklich an mich gerichtet sind. Doch die leise Enttäuschung in seiner Stimme entgeht mir nicht, weshalb ich mich innerlich frage, was – oder wer? – diese Regung in ihm hervorgerufen hat.

„Wo ist Robin?“, frage ich dann, womit ich Sanji zugleich auch zu verstehen gebe, dass mir die Anzahl der Schlafstätten in der Kombüse aufgefallen sind.

„Irgendwo zwischen uns und Winters Island“, antwortet er mir bereitwillig, aber auch nichts sagend zugleich, so dass ich mich dazu genötigt fühle, die Augenbrauen fragend hochzuziehen. „Nami hat zusammen mit Shanks einen großen Rettungstrupp zusammengestellt. Tja, und zurzeit ist Robin bei ihm auf dem Schiff.“

Mit nur wenigen Worten hat Sanji eine wahre Gefühlswelle in mir ausgelöst. Da sind zum einen Freude und Überraschung über die Nachricht, dass Shanks sich an der Rettung beteiligt, da ich die ganze Zeit über angenommen habe, er würde sich irgendwo im West Blue aufhalten. Zudem stellt sich mir auch die Frage, wie Nami ihn finden konnte beziehungsweise überhaupt auf den Gedanken gekommen ist, sich Hilfe suchend an ihn zu wenden. Aber zum anderen bin ich verwirrt und erstaunt über die Tatsache, dass Robin bei Shanks ist. Vorausgesetzt, dass es ihre Entscheidung war, wollte sie mit ihrem Fernbleiben vielleicht erreichen, dass sich Sanji und Nami wieder versöhnen? Und was ist mit Chopper? Was macht er alleine hier an Bord der Flying Lamb? Von Zorro habe ich bisher keine Spur entdecken können.

„Er fährt ebenfalls bei Shanks mit“, antwortet mir Sanji, als wüsste er genau, was gerade in meinem Kopf vor sich geht.

„Oh, Mann, ich glaube, du musst mir alles der Reihe nach erzählen“, meine ich ein wenig gequält. In meinem Kopf dreht sich alles, während ich versuche, die Geschehnisse, die Emotionen und das Gesagte der letzten Stunde zu verarbeiten.

„Es gibt eigentlich nicht viel zu erzählen. Nachdem Nami und Shanks uns – also Chopper, Zorro, Robin und mich – aufgespürt hatten, haben wir uns sofort auf den Weg nach Winters Island gemacht. Dabei hat Robin sich dazu entschlossen ihr Quartier bei Shanks zu beziehen. Und Zorro tat es ihr nach.“

„Freiwillig?“

Ein verkniffener Zug legt sich um Sanjis Mund und irgendetwas sagt mir, dass etwas Bedeutendes vorgefallen ist. Zu gerne wäre ich bei dem Wiedersehen zwischen den Vieren dabei gewesen. Nach allem, was vorgefallen ist, ist es ihnen bestimmt nicht leicht gefallen.

„Ich schätze mal, ja“, spricht Sanji schließlich weiter, wobei er allerdings auf die Tischplatte blickt. Geistesabwesend greift er nach einer Zigarettenpackung. Anstatt aber eine dieser Glimmstängel herauszunehmen und sie sich anzuzünden, dreht er die Packung immer wieder in seinen Fingern, als müssten sie irgendwas zu tun bekommen.

„Und das gefällt dir nicht?“, frage ich weiter, in der Hoffnung, so endlich einen Einblick zu bekommen, wie die Gefühlswelt meiner Freunde wirklich aussieht. Bei Robin und Zorro steht es für mich außer Frage, dass die beiden sich damals geliebt haben – und vielleicht immer noch lieben. Doch bei Nami und Sanji bin ich mir heute noch nicht sicher, welche Gefühle sie damals füreinander gehegt haben.

„Was … nein“, stammelt Sanji völlig überrascht, womit ich im ersten Augenblick nicht gerechnet habe. „Das geht schon in Ordnung. Ich meine, Robin ist eh nicht über Zorro hinweggekommen. Wenn die Beiden wieder zueinander finden, würde es mich für Robin freuen. Aber es ist nur so …“

Tief in Gedanken versunken, hört Sanji mitten im Satz auf, als müsste er nach den richtigen Worten suchen. Abwartend verschränke ich meine Arme auf der Tischplatte und bette meinen Kopf darin. Die ganzen Gefühlsaufwallungen haben sehr an meinen letzten Kraftreserven gezehrt, so dass mich mittlerweile eine große Müdigkeit überkommt. Dennoch zwinge ich mich, die Augen weiterhin offen zu halten.

„Es herrscht so ein Chaos zwischen uns“, erzählt Sanji nach einiger Zeit mit langsamen Worten weiter. „Und allmählich habe ich das Gefühl, dass ich keinen Durchblick mehr bei dem ganzen Durcheinander habe.“

„Was meinst du mit ‚Chaos’?“

„Streit auf allen Seiten … Fehlinterpretationen von Gefühlen … verzweifelte Taten. Was du dir auch aussuchst, es trifft in jedem Fall auf uns zu.“

„Dann wird es vielleicht an der Zeit euch vier mal in einen Raum zu sperren“, grinse ich und versuche damit die gespannte Atmosphäre ein wenig wieder aufzulockern. Aber insgeheim kann ich mir keine Vorstellung davon machen, was meine Freunde gerade durchmachen. Nicht nur, weil ich nicht bei all den Ereignissen zugegen war, sondern auch, weil ich keine Ahnung habe, wie sich diese Art von Liebe anfühlt.

„Ja, vielleicht solltest du das wirklich tun“, sinniert Sanji mit einem verrutschten Lächeln, während er seinen Kopf auf eine geballte Faust stützt. Im gleichen Augenblick geht die Tür auf und ein Schwall kalter Luft weht herein. Fröstelnd betritt Nami die Kombüse und reibt sich begierig ob der Wärme ihre Hände. Für einen kurzen Moment funkelt es sehnsüchtig in Sanjis Augen auf, bevor wieder die stahlblaue Härte in ihnen zurückkehrt, und ich erkenne, dass die Beiden wahrscheinlich wirklich Hilfe brauchen.

„Der Wind nimmt wieder zu“, erklärt Nami, als sie ihre Jacke neben der Tür aufhängt und sich anschließend zu uns an den Tisch setzt. Sanji war bereits aufgestanden, um auch ihr eine Tasse heißer Schokolade zu bringen. Ich komme nicht umhin wieder einmal zu bemerken, wie zurückhaltend er sich Nami gegenüber benimmt, als er wieder an den Tisch zurückkehrt und besagte Tasse vor ihr abstellt.

„Danke“, murmelt sie leise, ohne den Blick dabei auf Sanji zu richten. Stattdessen wendet sie sich mir zu, als ich gerade verständnislos den Kopf leicht schüttle, da die Beiden scheinbar nichts aus der Vergangenheit gelernt habe. Kommentarlos begegne ich ihren fragenden Blick, ohne ihr meine Gedanken ersichtlich zu machen.

„Vielleicht sollten wir später weiter reden, wenn du dich ausgeruht und was gegessen hast?“, schlug Sanji vor, der unseren Blickaustausch interessiert beobachtet.

„Nein, ist schon in Ordnung“, antworte ich ihm und setze mich aufrechter hin. „Es ist schön, mal nicht einfach nur dazusitzen und vor sich hinzustarren.“

„Weißt du, wie es Lysop geht?“, fragt mich Nami begierig und mit sorgenvollen Augen. Innerlich erstarre ich bei ihrer Frage zu Eis, da ich wieder Lysops vorwurfsvolle Worte in meinem Kopf höre.

„Konntest du mit ihm reden? Geht es ihm gut? Ist er auch auf einem Schiff? … So sag doch was!“

„Halt die Klappe, Nami!“

Genau wie Nami, zucke ich bei den harten Worten zusammen. Doch während sie aus erschrockenen Augen zu Sanji blickt, sehe ich ihn einen Augenblick verwirrt an. Noch nie habe ich ihn ihr gegenüber so kalt erlebt – auch nicht, als sie sich damals so heftig gestritten haben.

„Ist schon okay“, beschwichtige ich ihn schließlich, da ich nicht anders weiß, wie ich mich in diesem Fall verhalten soll.

Du hast dich verändert.

Das haben wir alle.

In diesem Augenblick erst wird mir so richtig bewusst, was Sanji mit dieser Bemerkung gemeint hat. Und mit einer erschreckenden Klarheit frage ich mich, wie sehr wir uns alle verändert haben. Lange Zeit habe ich gehofft, dass man die Freundschaft irgendwie wieder kitten könnte. Aber angesichts der neuen Erkenntnisse dürfte sich diese Aufgabe als schwer, wenn nicht sogar als unmöglich gestalten. Und dieser Gedanke jagt mir eine Heidenangst ein!

„Entschuldige, Ruffy“, meint Nami nach einer Weile der Stille und reißt mich so aus meinen Gedanken. Ihr Mund verzieht sich zu einem betretenen Lächeln, während sie eine zierliche Hand auf meine legt.

„Das brauchst du nicht“, antworte ich ihr und drücke aufmunternd ihre Hand. „Ehrlich gesagt, Lysop geht es gar nicht gut.“

„Was meinst du damit?“, ruft sie erschrocken auf und reißt ihre sorgenvollen Augen weit auf. „Was ist denn mit ihm?“

Kurz blicke ich zu Sanji. In seinem versteinerten Gesicht ist keine Regung zu lesen. Nur ein unmerkliches Heben seiner Augenbraue bekundet seine Aufmerksamkeit. Laut seufze ich auf, bevor ich mich wieder Nami zuwende.

„Das letzte Mal, als ich Lysop sah“, beginne ich zu erklären, wobei ich mühsam die aufkeimenden Emotionen verdränge, die ich damals bei seinem Anblick und seinen Worten empfunden habe, „da … da hatte man ihn aufs Übelste verprügelt. Dieses Gefängnis … es ist die Hölle! Anders kann ich es gar nicht beschreiben. Selbst meinen ärgsten Feind wünsche ich nicht dorthin. Die Soldaten schlagen, quälen und foltern dort jeden, einfach nur, weil sie Spaß daran haben und sich an den Schmerzen anderer erfreuen.“

„Aber das muss der Oberbefehlshaber, oder wer auch immer, doch merken!?“, wendet Nami verzweifelt ein, während ihr Gesicht bei jeden meiner Worte immer blasser geworden ist. Dringend nach einer Antwort verlangend, blickt sie abwechselnd zwischen mir und Sanji hin und her, bis sie vor Schmerzen leise aufschreit. Erschrocken reiße ich meine Hand zurück, mit der ich die ganze Zeit über ihre gehalten habe. Mit den Gedanken ganz bei Ironwhip und seinem überheblichen Grinsen, habe ich nicht bemerkt, wie ich immer fester zugedrückt habe, als hätte sein Hals darin gelegen.

„Anscheinend hat er das nicht“, beantwortet Sanji lakonisch Namis Frage und blickt mich aufmerksam musternd an. Verneinend schüttle ich langsam den Kopf.

„Und wie er das hat! Lysop wurde auf seinen Befehl hin halbtot geprügelt. Und das nur wegen mir … und Lysop weiß das.“

Die letzten Worte ringe ich mir nur noch mit leiser Stimme ab. Und mit ihnen legt sich eine bedrückte Stille über die Kombüse, in der jeder das Gehörte verarbeitet. Doch plötzlich wird diese gestört, als das Schnappen von Sanjis Feuerzeug ähnlich eines Kanonenschusses durch den Raum hallt. Im nächsten Augenblick durchzieht auch schon der herbe Geruch seiner Zigarette die Kombüse und weckt in mir einige Erinnerungen aus der Vergangenheit.

„Lysop weiß es also, ja?“ hakt Sanji in einem eigenartigen Ton nach, den ich nicht zu deuten vermag. Gleichzeitig legt er einen Arm auf den Tisch und spielt mit dem Feuerzeug, das er bisher nicht aus der Hand gelegt hat. Immer wieder dreht er es zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger, wobei es in regelmäßigen Abständen mal mit der Oberseite, dann wieder mit der Unterseite auf der Tischplatte aufkommt und damit ein klapperndes Geräusch verursacht.

„Und, hat er sich beschwert oder so was?“

Alles in mir verkrampft sich, ob vor Wut oder Gewissensbissen kann ich nicht beantworten. Innerlich aber frage ich mich, was Sanji mit seinem Gerede bezweckt, als ich plötzlich Verstehen in seinen Augen aufblitzen sehe. Sofort hört das klappernde Geräusch auf, als er das Feuerzeug in seinen Händen zum Stillstand bringt und bar jeden Humors laut auflacht.

„Natürlich hat er das, was denn auch sonst? Mann, Ruffy, vergiss es! Wann hat es mal eine Situation gegeben, in der er sich nicht lautstark beschwert hat?“

„Du hast ihn aber nicht gesehen … oder gehört“, entgegne ich mit leiser Wut im Bauch. Doch Sanji scheint es wenig zu stören, da er nur kurz mit den Schultern zuckt.

„Du willst also sagen, dass es deine Schuld ist, dass ihr von der Marine geschnappt wurdet? Oder dass ihr ausgerechnet nach Winters Island gebracht wurdet? Oder dass die Soldaten dort so brutal ihrem Tagewerk nachgehen?“

„Nein, aber …“

„Kein ‚aber’! Was auch immer Lysop dir gesagt hat, dich trifft überhaupt keine Schuld daran. Du darfst auch nicht vergessen, dass es ihm jederzeit frei stand seinen eigenen Weg zu gehen. Stattdessen aber ist er die ganze Zeit bei dir geblieben, also muss er sich im Klaren über die möglichen Folgen gewesen sein … zumal er ja auch steckbrieflich gesucht wird, so wie wir auch.“

Erneut fängt das Klappern des Feuerzeuges an, während Sanji kurz an seiner Zigarette zieht und einen Punkt hinter meiner Schulter fixiert. Mit seinen ehrlichen Worten hat er mich entwaffnet. Was kann ich auch schon dagegen einwenden? Ich habe Lysop wirklich nicht dazu gezwungen, bei mir zu bleiben. Und uns allen war es immer bewusst, dass die Marine uns eines Tages schnappen könnte. Aber hätte ich nicht vielleicht irgendwas anders machen können? Hätte sich nicht nur Nami, sondern auch Lysop irgendwie retten können?

„Versteh mich nicht falsch“, spricht Sanji unvermittelt weiter, der nach wie vor zur Wand hinter mir blickt. „Natürlich tut es mir Leid, was Lysop zurzeit durchmachen muss. Und ich kann auch verstehen, dass er dir Vorwürfe macht. Er befindet sich im Moment in einer aussichtslosen Lage, in der er ohne Ende schikaniert wird, ohne sich überhaupt wehren zu können … Diese Hilflosigkeit macht einen rasend. Man möchte gerne etwas an der Situation ändern, aber man weiß nicht, wie. Es ist, als wären dir die Hände gebunden, und man kann nur noch tatenlos zusehen, wie alles seinen Lauf nimmt, ob es dir nun passt oder nicht. Am Ende sucht man dann nach Antworten … nach irgendwelchen Erklärungen für das ganze Geschehen, und man meint auch diese gefunden zu haben. Aber in Wirklichkeit bleibt am Ende nichts anderes als die Frage: Wie konnte das alles nur geschehen? Es würde mich also nicht wundern, wenn Lysop seine Worte längst bereut. Und wenn nicht heute, dann spätestens, wenn wir ihn dort herausgeholt haben.“

Mein Herz ist mir bei seinen Worten schwer geworden, während ich ihn die ganze Zeit aufmerksam beobachtet habe. Seine Stimme ist zwar in der Gegenwart geblieben, aber sein entrückter Blick ist auf die Vergangenheit gerichtet. Und daran erkenne ich, dass er genau weiß, wovon er spricht. Er hat selbst eine solche Zeit durchgemacht, in der er sich so hilflos vorkam. Neugierig blicke ich zu Nami, während ich mich insgeheim frage, ob sie damit zu tun hatte. Ihre Hände liegen vor ihr auf dem Tisch ineinander gefaltet und wirken ein wenig verkrampft, ebenso auch ihre Schultern, als hätte sie Angst auch nur einen Muskel zu rühren. Und ihre Augen, in der sich eine tiefe Traurigkeit widerspiegelt, sind wie bei Sanji auf einen Punkt in der Vergangenheit gerichtet.

Plötzlich beugt sich Sanji ein wenig über den Tisch, als hätte er sich gewaltsam zurück in die Realität zwingen müssen, und drückt den kurzen Stummel seiner Zigarette im Aschenbecher aus. Nami war bei der unvorhergesehenen Bewegung kurz zusammen gezuckt und blinzelt mehrmals verwirrt mit den Augen. Auf mich macht sie in diesem Moment den Eindruck, als sei sie eben erst aus einem Traum erwacht, und versucht nun sich mit teils fragenden, teils neugierigen Blicken ihre Orientierung wiederzubekommen.

„Ich werde mal sehen, ob die anderen Hilfe brauchen“, murmelt Sanji mit leiser Stimme, ohne sich wirklich an jemand bestimmtes von uns zu wenden. Die Tatsache, dass er meinen Augen dabei ausweicht, sagt mir, dass er einfach nur nach einer Ausrede gesucht hat, um die Kombüse verlassen zu können. Anscheinend hat ihn das Gespräch schwerer mitgenommen, als er uns glauben machen will.

„Lass ihn“, wende ich mich Nami zu, nachdem Sanji die Tür leise hinter sich zugezogen hat und sie Anstalten macht ihm zu folgen. Mit hängenden Schultern setzt sie sich wieder auf ihren Platz. Mit einem Male wird ihr Gesicht leichenblass, als würde ihr eine Erkenntnis durch den Kopf gehen, und ungeweinte Tränen sammeln sich in ihre Augen. Sanft lege ich eine Hand auf ihren Arm, das einzig Mögliche, um ihr wenigstens ein bisschen Trost zu spenden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fahnm
2010-04-15T22:24:40+00:00 16.04.2010 00:24
Klasse kapi!^^


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