Nami: Confession
Leise schließe ich die Tür zur Kombüse, bevor ich mit einiger Erleichterung meinen Mantel ausziehe, von dem einige Schneeflocken zu Boden fallen. Kurz schaue ich aus dem Bullauge hinaus in das dichte Schneetreiben. Nicht nur, dass das Wetter ständig kälter wird, auch die Verhältnisse werden scheinbar von Tag zu Tag immer schlimmer.
„Hauptsache, wir geraten nicht noch in einen Schneesturm“, reißen Aces Worte mich aus der Betrachtung der gnadenlosen Winterpracht heraus.
„Sag das mal lieber nicht“, funkle ich ihn böse an, während ich langsam zur Küchenzeile gehe und mir eine Tasse heißen Kaffees genehmige.
„Bei den ganzen Eisschollen gestaltet sich ein Sturm für uns zu einem riesengroßen Problem. Ich will mir gar nicht ausmalen, was passiert, wenn die Lamb dann gegen eine dieser zentimeterdicken Schicht knallt.“
Ein lockeres Achselzucken ist die einzige Antwort, die ich von Ace erhalte, als ich mich zu ihm an den Tisch geselle – was mich im Moment nur noch mehr gegen ihn aufbringt. Diese Unbekümmertheit, die er in den meisten Situationen an den Tag legt, nervt mich ganz gehörig, da ich immer das Gefühl habe, dass er die Situation nicht mit dem nötigen Ernst betrachtet.
Angesäuert werfe ich einen Blick auf die Zeitung vor ihm, in der er bei meinem Eintreten herumgeschmökert hatte. Ich lege den Kopf ein wenig schräg, um die Wörter besser lesen zu können, wodurch ich dann auch erkennen kann, dass es sich schon um eine ältere Ausgabe handelt. Vermutlich hat Ruffys Bruder die Zeitung irgendwo unten im Jungenzimmer gefunden. Tatsächlich haben wir im Augenblick keine großen Möglichkeiten, uns die Zeit mit irgendwas zu vertreiben. Ein gemütliches Beisammensein aller ist zurzeit überhaupt nicht möglich, da zwei von uns stets draußen sind, um das Deck von dem Schnee freizuräumen und die Tagelage von dem ganzen Eis zu befreien. Nur die Nächte verbringen wir alle zusammen in ein- und demselben Raum, nämlich der Kombüse. Seitdem die Temperatur in den zweistelligen Minusbereich gesunken ist, läuft der Ofen rund um die Uhr, wodurch die Kombüse auch der einzige Raum ist, in der eine heimelige Wärme herrscht.
„Wie lange wollt ihr eigentlich noch dieses Spielchen spielen?“
„Was?“
Verwirrt blicke ich auf und muss feststellen, dass Ace mich aus dunklen Augen eingehend mustert. Langsam setze ich mich aufrecht hin, während ich überlege, was er mit der Frage meint. Irgendwie haben wir plötzlich das Thema gewechselt, ohne dass ich es mitbekommen habe.
„Du und Sanji“, fügt er schließlich erklärend hinzu und in meinem Inneren breitet sich ein mulmiges Gefühl aus. Aber ich merke auch die aufkeimende Gereiztheit, die in den letzten Tagen zu einem ständigen Begleiter geworden ist.
„Ihr beiden schleicht wie zwei Katzen umeinander herum, ohne dass mal einer von euch den ersten Schritt tut.“
Es passt mir überhaupt nicht, dass Ace seine Nase in meine Angelegenheiten mischt. Fest presse ich meine Lippen daher aufeinander, um ihm irgendwie zu signalisieren, seine Klappe zu halten, während ich hoffe, dass er die Blitze in meinen Augen sieht. Stattdessen aber lehnt er sich auf der Bank zurück und lächelt mich mit verschränkten Armen wissend an.
„Du hast ja keine Ahnung“, fauche ich schließlich zurück, in der Erwartung, das Thema damit beendet zu haben. Insgeheim jedoch muss ich ihm Recht geben. Die Wetterverhältnisse haben dazu geführt, dass wir uns die meiste Zeit aus dem Weg gehen können. Aber wenn wir dann mal aufeinander treffen, so gestaltet sich die Kommunikation zwischen uns als sehr schwierig. Keiner weiß, was er zu dem anderen sagen soll. Wir haben uns in unserer lethargischen Beziehung festgefahren. Und keiner von uns beiden scheint auch nur den Versuch unternehmen zu wollen etwas an der Situation zu ändern.
„Vielleicht“, murmelt Ace leise und widmet sich wieder einem Zeitungsartikel zu. Eigentlich hätte ich jetzt zufrieden sein können, da das Thema damit abgehakt wäre. Doch sein nichts sagender Tonfall zerrt an meinen Nerven, obwohl ich zwanghaft versuche, es zu ignorieren.
„Das ist nun mal nicht so einfach, wie du denkst“, versuche ich schließlich näher zu erklären, in dem Bewusstsein meinen inneren Kampf damit verloren zu haben.
„Warum nicht?“
Ace scheint wirklich über meine Worte überrascht zu sein, als er von der Zeitung aufschaut. Seltsamerweise fühle ich mich dadurch wie ein kleines, naives Mädchen, dass von der Welt draußen keinen blassen Schimmer hat.
„Zorro und Robin scheinen es doch auch geschafft zu haben.“
Diesmal bin ich es, die überrascht ist. Zorro und Robin – das ist ja wohl eine ganz andere Geschichte. Wie kommt er bloß dazu, deren Situation mit der von Sanji und mir zu vergleichen?
„Das ist etwas anderes“, antworte ich schließlich schnippisch und wende meinen Blick von ihm ab. Innerlich verfluche ich mich dafür, dass ich vorhin meine Klappe aufgerissen habe, anstatt das Thema einfach ruhen zu lassen. Mittlerweile bin ich auch an einen Punkt angelangt, an dem ich überlege, in die winterliche Kälte zu flüchten, nur um den bohrenden Fragen zu entgehen.
„Warum soll das was anderes sein?“
Unter meinen dichten Wimpern hervor mustere ich Ace, dessen stechenden Augen mich herausfordernd anblicken. Seine lockere Körperhaltung ist verschwunden. Stattdessen habe ich das Gefühl, dass er wie ein Tiger ist, der zuvor mit seiner Beute gespielt hat und jetzt kurz davor steht, den tödlichen Prankenhieb auszuführen. Irritiert bemühe ich mich um eine plausible Erklärung, doch sein eindringlicher Blick lenkt mich zu sehr ab.
„Na, weil … weil die beiden noch nie Probleme hatten, sich ihre Gefühle zu gestehen.“
Ein hartes Auflachen seinerseits lässt mich erschreckt zusammenzucken. Die Erheiterung auf meine Antwort ist ihm sichtlich anzusehen.
„Reden wir hier über dieselben Personen?“
„Wir reden über Robin und Zorro, ja.“
„Richtig … wenn man bedenkt, dass wir dich und Sanji mal außen vor lassen.“
Erbost verenge ich meine Augen zu Schlitzen, was ihn jedoch noch mehr amüsiert. Am Liebsten würde ich ihm den heißen Inhalt meiner Tasse ins Gesicht schütten, nur, um dieses belustigte Funkeln in seinen Augen zu löschen.
„Aber mal ganz ehrlich“, beginnt Ace plötzlich mit ernster Stimme, während er sich ein bisschen über den Tisch beugt. „Zorro ist nicht gerade der Typ, der sein Herz auf der Zunge trägt. Ich habe ihn wütend gesehen; ich habe gesehen, wenn er Spaß oder Freude hat – aber noch nie – wirklich noch nie! – habe ich ihn dabei beobachten können, dass er mal tiefere Gefühl gezeigt hätte. Aber gut, bei Robin ist er vielleicht anders – aber das sei erstmal dahin gestellt. Und was Robin selber betrifft – sie ist ja noch schlimmer als Zorro. Einen so verschlossenen Menschen habe ich in meinem ganzen Leben noch nie getroffen.“
Nicht wissend, was ich auf diesen Vortrag erwidern soll, tritt für einen Moment eine – in meinen Augen – bedrückende Stille ein, währenddessen sich Ace zufrieden auf seinem Platz zurücklehnt. Intensiv denke ich über seine Worte nach und deren versteckte Bedeutung, als es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen fällt. Augenblicklich reiße ich meine Augen schreckgeweitet auf und blicke Ace sprachlos an.
„Du hast es also verstanden“, nickt er mir anerkennend zu.
„Ich habe jetzt verstanden, warum es zum Streit kam“, antworte ich langsam, während meine Gedanken sich noch immer mit der Erkenntnis beschäftigen. „Aber nicht, wie es erst dazu kommen konnte.“
„Das ist doch ganz einfach – mangelndes Vertrauen. Dadurch konnte bei Zorro auch die Eifersucht auf Sanji immer weiter wachsen.“
„Aber sie lieben sich doch“, entgegne ich mit einem leicht fragenden Unterton, woraufhin Ace eine schwarzgeschwungene Augenbraue hochzieht, als wolle er mich fragen, ob ich das ernst meine.
„Deiner Meinung nach reicht Liebe also völlig aus, um eine Beziehung zu führen und zu erhalten, ja? Dann frage ich mich aber, warum du dann nicht mit Sanji zusammen bist?“
„Na ja, das … das liegt daran, … dass … weil …“
Hilflos gestikuliere ich wild mit den Händen, bis ich schließlich meinen gestammelten Satz unvollendet im Raum stehen lasse. Ja, warum eigentlich nicht? Weil Sanji ein Macho war … weil er jedem Frauenrock hinterher gelaufen ist … weil er mir gegenüber nie Andeutungen gemacht hat. All das könnte ich Ace sagen, aber die Wahrheit sieht am Ende ganz anders aus. Immer habe ich erwartet, dass Sanji derjenige sein soll, der den ersten Schritt wagt. Aber von meiner Seite her kam nie etwas. Habe ich ihm jemals signalisiert, dass ich mehr zwischen uns gewollt habe als Freundschaft?
„Du solltest endlich anfangen mit ihm zu reden.“
Ein wenig benommen schaue ich zu Ace auf. Er hat sich mittlerweile von seinem Platz erhoben und schenkt mir ein verständnisvolles Lächeln, bevor er sich von mir abwendet. Als er leise die Tür öffnet, fegt ein eisiger Wind durch den Raum, der ein wenig Schnee mit hereinweht. Fröstelnd umschlinge ich meine Schultern, ohne meinen Blick von der nun wieder geschlossenen Tür abzuwenden, hinter der Ruffys Bruder verschwunden ist.
Ich soll mit Sanji reden! Aber kann ich das auch? Seit dem Streit ist viel Zeit vergangen, und wir haben uns beide verändert – er ganz besonders. Und trotzdem sind meine Gefühle immer noch dieselben. Doch wie steht es mit Sanji?
Ich kann dir nicht sagen, was er jetzt für dich fühlt. Aber ich weiß, dass er dich damals geliebt hat.
Damals … damals hat er mich geliebt. Aber was ist mit heute? Liebt Sanji mich immer noch? Oder ist seine Liebe zu mir mit der Zeit verblasst? Verlangen, ja … und Lust … diese Regungen hegt er für mich. Immer, wenn er glaubt, ich bemerke seine eindringlichen Musterungen nicht, sehe ich das Begehren in seinen Augen aufflackern. Aber würde mir das reichen? Könnte ich mich damit zufrieden geben, wenn ich nur sein Betthäschen werden würde?
Hin und her gerissen zwischen meinen Wünschen, vergrabe ich stöhnend meinen Kopf in den Händen. Was soll ich nur tun? Wie soll ich mich entscheiden? Fakt ist jedenfalls, dass es zwischen uns ein klärendes Gespräch geben muss. Aber wie soll ich das gestalten? Nur ein Gespräch, in dem alles offen gelegt wird, was zwischen uns steht, kann für klare Verhältnisse sorgen. Aber das bedeutet dann auch Ehrlichkeit – und davor habe ich Angst! Angst, zu erfahren, dass seine Liebe zu mir erloschen ist … Angst, dass ich in seiner Achtung gefallen bin … Angst, dass ich nicht mehr die Frau bin, die er immer in mir gesehen hat.
Was soll ich nur tun?