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Mann gleich Mensch und Frau gleich Frau? Charakterdesign, Storytelling

Autor:  -Broeckchen-
Ich bin ja jetzt seit einem Jahr auch bei Tumblr vertreten (URL gebe ich mal noch nicht raus, weiß noch nicht ob ich das wirklich so extremst öffentlich haben mag) und habe seitdem einige interessante Einblicke  in die Welt hinter den Kulissen von Comics erhalten.
Auf Tumblr sind nämlich so einige Webcomic-Zeichner vertreten (unter anderem die großartige Yamino und die wunderbare Rosalarian) und man kann massenhaft super Ressourcen zum Thema Zeichnen und Malen finden.

Ich verfolge beider Blogs sehr gerne und habe von ihnen viel über Dinge wie Charakterdesign gelernt. Naja, auf jeden Fall tauchte dann heute dieser Post hier auf: http://rosalarian.tumblr.com/post/13470292217/gingerhaze-every-time-i-write-a-female
Die Zusammenfassung: Ein Mädchen berichtete von ihrem Lehrgang in Kreativem Schreiben und davon, dass ihr Lehrer auf jede weibliche Figur die sie erschuf mit Fragen reagierte wie: "Warum ist dieser Charakter weiblich? Welche Rolle spielt ihr Geschlecht in der Geschichte? Wie sieht es mit typisch weiblichen Eigenschaften aus? Wie reagieren Männer darauf, dass der Charakter weiblich ist?" etc...

Was sowohl die Autorin des Originalposts als auch Rosalarian verärgert ist, dass all diese Fragen nur für weibliche Charaktere aufgeworfen werden.
Das ist eigentlich eine sehr interessante Beobachtung.
Tatsächlich sind gerade in westlichen Medien weiße männliche Protagonisten anscheinend die Regel. Es ist ziemlich leicht, zehn aktuelle Filme, Bücher und Serien mit männlichen Hauptfiguren aufzulisten, aber die Aufgabe wird deutlich schwerer, wenn man sich auf Frauen konzentriert. Woran liegt das?

Tatsächlich ist schon seit langer Zeit auf einer meiner Lieblingsseiten, TVTropes, die Regel zu finden dass in nicht direkt an weibliches Publikum gerichteten Geschichten/Medien die männlichen Protagonisten überwiegen. In Harry Potter wird das Trio von Harry und Ron dominiert, in Twilight ist Bella zwar die offizielle Protagonistin, aber eigentlich nur ein Spielball zwischen den Charakteren Edward und Jacob und in so ziemlich sämtlichen der neueren Comicverfilmungen dreht sich alles um männliche Superhelden.

Mangas und Animes geben da schon ein deutlich positiveres Bild ab - was auch erklärt wieso ich als Kind so viele Figuren hatte, denen ich nacheifern konnte. Lady Oscar, Sailor Moon und Georgy haben mich alle gut durch meine Kindheit begleitet, aber trotzdem finde ich eine Menge Dinge, die ich gerne ansprechen will wenn ich mir diese Geschichten aus heutiger Sicht noch einmal anschaue.
Auch wenn im Anime und Manga viel mehr weibliche Protagonisten vorkommen - von Visions of Escaflowne bis hin zu Noir - fällt mir auf, dass das weibliche Geschlecht der Protagonistinnen immer noch eine starke Wechselwirkung mit dem Plot besitzt.
Und natürlich mit den männlichen Protagonisten.

Möhrchen, das ist ja alles schön und gut, aber was hast du nun daran auszusetzen?

Medien die wir konsumieren beeinflussen unsere Wahrnehmung der Welt, ob wir es nun wollen oder nicht. In vieler Hinsicht spüre ich auch heute noch, wie stark mich Märchen, Sagen und gewisse Geschichten als Kind geprägt haben. Und gerade wenn wir selbst irgendwann anfangen Geschichten zu erzählen, werden wir dabei stark von denen beeinflusst, die wir bisher konsumiert haben.
Dementsprechend färben auch Denkweisen auf uns ab, die so transportiert werden. Gerade Frauen und Mädchen sind damit stark konfrontiert. Ich bin noch nicht mal 23 Jahre alt und trotzdem bin ich schon über zehn gleichaltrigen oder jüngeren Mädchen begegnet, die Erfahrungen mit Essstörungen gemacht haben, weil ihnen von außen, vor allem von den Medien, ein Bild von Perfektion suggeriert wurde das Dünnheit beinhaltet. Von so einigen von ihnen habe ich mitbekommen, dass sie andere Mädchen auch und manchmal gerade mit ein paar extra Kilos schön fanden. Aber sich selbst?

Das alles spiegelt sich in den Geschichten wider, die wir erzählen. Wann hast du das letzte Mal eine dickliche weibliche Protagonistin gespielt? Oder eine dünne, sehr kleine, sehr große, sehr muskulöse? Ich frage mich, ob dieses Phänomen auch damit zusammenhängt, dass gerade Animexx voll von weiblichen Spielern ist, die männliche Charaktere spielen. Wieviele deiner Geschichten, ob Doujinshi, Fanfic oder RPG, drehen sich um vorwiegen weibliche Charaktere - ohne besonderen Grund? Warum überwiegt in dieser Community anscheinend Yaoi, obwohl man das ganze Spektrum an Sexualität zur Verfügung hat, das existiert?

Einige dieser Fragen kann ich beantworten. Zum Beispiel: Wenn man Hetalia- oder Naruto-Fan ist, was für eine Auswahl an weiblichen Charakteren hat man schon? Und es ist doch viel leichter, Naruto oder Italien mit weichen, "femininen" Charakterzügen zu spielen als... ja als was eigentlich? Weibliche OCs zu erschaffen, die von anderen vielleicht als Mary Sues verschrien werden? Sich auch weibliche Kanon Charaktere einzulassen und diese mit typisch maskulinen Zügen zu spielen?
Fakt ist, in einigen der beliebtesten Fangemeinden haben Frauen nicht viel Platz, ohne schnell als sue verschrien zu enden. Oder für aus verschiedenen Gründen dafür angemacht zu werden, frauenuntypische Eigenschaften zu zeigen.

Was will ich nun damit sagen?
Ich weiß, wie es ist, lieber männliche als weibliche Figuren zu spielen. Aber diese Vorliebe kommt nicht unbedingt daher, dass man "im Inneren eben eher männlich ist". Es kommt daher, dass Männer und Frauen eben gar nicht so verschieden sind, wie uns die Medien - alle Medien - das manchmal weiß machen wollen.
Es ist nicht so, dass wir nicht in der Lage sind, Frauen zu spielen oder zu schreiben.
Es ist nur so, dass wir nicht gewohnt sind, "weiblich" und "männlich" als austauschbar zu betrachten. Das Geschlecht ist nur eine von vielen Eigenschaften eines Menschen, wie Haarfarbe, Augenfarbe und Hautfarbe - es kann eine starke Wechselwirkung mit dem Lebenslauf besitzen und es wird sicher immer mal wieder wichtig werden. Aber es definiert die Person nur unwesentlich.

Wenn du dir das nächste Mal einen Charakter ausdenkst, ob nun für ein RPG, eine Fanfic oder einen Doujinshi - versuch mal, dir einen "Mann", oder besser gesagt, einen neutralen Charakter auszudenken - und ihn dann einfach weiblich zu machen.
Oder geschlechtsneutral.
Oder hermaphroditisch.
Oder gender-fluid*.
Oder transsexuell.

Ein nicht-männlicher Charakter braucht keinen Grund, um nicht männlich zu sein und sein Geschlecht braucht keine wichtige Rolle in der Geschichte zu spielen. Und wenn sich jemand darüber beschwert, dass sich die von dir gespielte Dame nicht wie eine Frau verhält - dann ruf dir ins Gedächtnis, dass es "wie eine Frau" so nicht gibt.

Es mag körperliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern geben, die bestimmte psychische Ausprägungen fördern - so spielen weibliche Kinder zum Beispiel bevorzugt in kleinen, männliche Kinder häufiger in großen Gruppen. Aber jede Regel hat ihre berechtigten Ausnahmen und die wenigen Unterschiede, die sich wissenschaftlich nachweisen lassen, sind minimal.
Außerdem geht es um Geschichten. Wenn man die Freiheit hat alles zu erschaffen, wieso sollte man sich nur auf das beschränken, was es schon im Übermaß gibt?

Wagt das Experiment.
Datum: 29.11.2011 03:59
Ich bin vollkommen deiner Meinung.
Männliche Charaktere sind so unterschiedlich.Weibliche sind fast immer gleich.



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