Zum Inhalt der Seite



DSM-IV (bzw. -V) vs ICD-10

Autor:  TokyoMEWS
Es soll dieses Jahr eine neue Version des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen) geben, kurz, wir wechseln von DSM-IV auf DSM-V. 14 Jahre hat das bisher gedauert, und die Presse stürzt sich auf das Thema. Seit 'Burn-Out' sind psychische Krankheiten ja allgemein bekannt und ein paar davon sogar salonfähig.
Was ich bisher auf deutsch darüber gelesen hat, lässt sich kurz zusammenfassen mit "Oh mein Gott! Soviele Diagnosen, wer hat die denn alle erfunden? Das war bestimmt die Pharmaindustrie!!", was dabei bisher wohl auch scheinbar ausser Acht gelassen wurde: Das DSM ist nicht das ICD.

Für mich als interessierten Laien stellt es sich folgendermaßen dar:

Im in Deutschland benutzten ICD werden Diagnosen aufgelistet, es versteht sich als umfassende Auflistung von allen Krankheiten, von denen die psychischen eine Gruppe (Fxx) ausmachen. Das ICD wird von der WHO herausgegeben und versucht möglichst die ganze Welt abzudecken. Werden im ICD mehrere Diagnosen gestellt, so ergibt dies eine Liste.
Das DSM ist anders. Es geht ausschließlich um psychische Erkrankungen und wird von der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung herausgegeben, wobei bei der Überarbeitung Psychiater auf der ganzen Welt hinzugezogen wurden, wenn auch vielleicht nicht unbedingt eine ausgewogene Auswahl zusammen kam.
Im Gegensatz zum ICD vertritt das DSM einen multidimensionalen Ansatz, was ich für psychische Leiden eigentlich nur begrüßen kann. Es wird nicht nur versucht, dem Mensch eine Diagnose oder eine Liste davon zu stellen, sondern verschiedene Gebiete werden zu einem Gesamtbild zusammen gesetzt. Dafür gibt es fünf 'Achsen':
1. Achse für akute Probleme wie eine aktuelle Psychose oder derzeitig auftretende Angststörung
2. Achse für länger anhaltende Probleme wie Persönlichkeitsstörungen oder geistige Behinderungen
3. Achse für körperliche Probleme, die relevant für die psychiatrische Behandlung sind, Interaktion zwischen physischem und psychischem
4. Ache für psychosoziale Probleme, Probleme das Umfeld des Patienten betreffend
5. Achse, auf der bewertet wird, für wie eingeschränkt oder gefährdet der Patient gehalten wird

Wenn jetzt also das DSM mehr Einträge enthält als das ICD, dann vielleicht auch einfach deswegen, weil es versucht, die Situation des Patienten ausführlicher und tiefer gehend zu beschreiben als das ICD? Im Gegensatz zum ICD kennt das DSM nämlich zum Beispiel Schlüsselnummern für Verhaltensweisen. Das hat nicht unbedingt damit zu tun, dass diese Verhaltensweise an sich als Krankheit aufgefasst werden müsste, sondern vielleicht einfach damit, dass das Verhalten die akute Erkrankung beeinflusst?

Mir scheint, die Autoren, die über das neue DSM berichten haben sich nicht ausreichend damit auseinandergesetzt.
Der Kritikpunkt, die Pharmaindustrie würde das DSM-V stark beeinflussen (wollen) bleibt zwar valide, aber da durch das DSM auch geregelt wird, bei welche Erkrankung (in den USA) welches Medikament verschrieben werden darf hat sie ein gewisses, nicht zwingend rein opportunes, Interesse, daran beteiligt zu werden.

Natürlich ist es Blödsinn, einem Trauernden nach zwei Monaten schon Antidepressiva zu verschreiben, selbst wenn die Trauerreaktion noch völlig angebracht ist.
Was wir uns in diesem Zusammenhang aber auch fragen sollten, ist, warum ein Trauernder nach zwei Monaten unbedingt wieder 'normal' funktionieren muss. Wir müssen hinterfragen, wieviel Raum uns die Gesellschaft für individuelle emotionale Reaktionen zugesteht und ob nicht die Reaktion des Menschen völlig normal ist, die Ansprüche der Gesellschaft hingegen aber das Krankhafte sind.
Avatar
Datum: 01.02.2013 23:22
Naja, also der ICD-10 wird nicht direkt von der WHO ausgegene. Für den sind DIMDI und INEK verantwortlich. Darum gibts vom ICD auch zig verschiedene Versionen.
Davon abgesehen geht es ja in Deutschland überhautp erstmal darum irgendein ordentliches Abrechnugnssystem für die Psych einzuführen, das haben wir ja bis zu diesem Jahr nicht mal in Deutschland gehabt. Da lief immer noch alles auf Basis von Tagespauschalen.

>aber da durch das DSM auch geregelt wird, bei welche Erkrankung welches Medikament verschrieben werden darf hat sie ein gewisses, nicht zwingend rein opportunes, Interesse, daran beteiligt zu werden.

Ich bin zugegeben was die Psych in Deutschland angeht nicht so ganz aufm Laufenden, aber das halte ich spontan für Nonsens. der ICD bestimmt auch nicht welche Medis verschrieben werden können und gerade bei sowas wie der Psych hat ein Arzt, wenn ein akuter Notfall vorliegt, keinerlei Zeit in das Kodiersystem zu schauen was er geben darf. Kann mir nur schwer vorstellen das dem wirklich so ist. Der ICD funktioniert ja auch genau anders herum: die finale DRG bildet sich aufgrund der dem Krankenfall zugehörigen Codes, welche wiederum auf der Dokumentation von Medikamenten und Behandlungen fußen.

>Was wir uns in diesem Zusammenhang aber auch fragen sollten, ist, warum ein Trauernder nach zwei Monaten unbedingt wieder 'normal' funktionieren muss.

Muss nicht, aber sollte. Warum? Weils angebracht ist. Verluste sind schlimm und alles, aber es gibt auch eine Grenze. Niemand wird zwei Tage nach einem Todesfall Frohsinn und ähnliches erwarten, aber zwei Monate sind eine Grenze nach der ein Mensch die Trauer soweit bewältigt haben sollte, dass er wieder einigermaßen normal funktionieren kann. Warum sollte dieser Anspruch in irgendeiner Form krankhaft sein? Am Ende sind noch alle bis an ihr Lebensende traurig und kommen mit ihrem Arsch gar nicht mehr hoch, es muss einfach eine Grenze geben. Denn Verlust hin oder her - das Leben der anderen geht weiter. Aller anderen.


>Werden im ICD mehrere Diagnosen gestellt, so ergibt dies eine Liste.

Ich habe den Satz jetzt mehrfach gelesen udn verstehe den Sinn dennoch nicht.




Zum Weblog