Zum Inhalt der Seite



Eine schöne Beziehung

Autor:  Belldandy01
Wir sollten heute in unserem Wahlpflichtmodul ein Theaterstück für die andere Hälfte der Klasse entwerfen/einüben. Da wir die Zeit etwas kanpp fanden haben wir eine Szene bei Tisch gewählt, die wir zu Beginn des Schuljahres kennenlernten.

Wir haben die Story lediglich etwas variiert.
Am wichtigsten:Der Farbige ist jetzt ein Punk (Seb besteht auf den Szenebegriff "Zecke"), die ältere Dame ist ein Geschäftsmann, der gerade von einem stressigen Meeting kommt).
Aber die Geschichte selbst war uns allen noch gut in Erinnerung ^^:


HENNING VENSKE, EINE SCHÖNE BEZIEHUNG

Grete Hehmke hatte das nordfriesische Dorf, in dem sie geboren und aufgewachsen war, nur einmal in
ihrem Leben für längere Zeit verlassen: vor 50 Jahren, 1933, als eine dreiwöchige Hochzeitsreise ihr den
unauslöschlichen Eindruck vermittelte, dass es im südlichen Harz immer regnet.
Ihr Mann war ja nun tot. Aber Grete Hehmkes Lust zu leben war noch nicht erschöpft. Es gab mehr als
nur den einen Edeka-Laden, das wusste sie genau.
Mit dem Autobus in die Kreisstadt - das war schon ein Erlebnis! Gierig nach neuen Eindrücken warf sie
sich energisch ins Getümmel. Sie war aufgeregt, glücklich, neugierig. Futter für den alten Kopf.
Wunderbar. Als Höhepunkt das Warenhaus. Nein, so was Schönes aber auch! Hunger! Restaurant? Da!
Ein freier Tisch. Handtasche über die Stuhllehne hängen, Mantel an den Haken, in Blickrichtung.
Hinsetzen, Erleichterung. Bedienung kommt nicht. Aha, es gibt gar keine Bedienung hier. Genau
hinsehen, wie die anderen das machen. Kapiert.
Grete Hehmke verlässt ihren Tisch, reiht sich ein in die Schlange, greift sich das orangefarbene Tablett.
Ordert selbstbewusst Kohlroulade mit Salzkartoffeln und einen Karamellpudding, eine Brause dazu,
bezahlt an der Kasse. Teuer ist es ja, muss man schon sagen. Trägt das Tablett zu ihrem Tisch, nimmt
Platz. Die Kohlroulade sieht elend aus, man müsste ihr mal was zu futtern geben - Grete Hehmke ist
voller Heiterkeit.
Aber sie hat kein Besteck. Wo bekommt man hier denn Messer und Gabel? Einen kleinen Löffel braucht
sie auch. Und eine Serviette. Aha, da neben den orangefarbenen Tabletts. Aufstehen, hingehen, holen.
Grete Hehmke kommt an ihren Tisch zurück.
Sie stutzt, setzt sich. Auf ihrem Platz hockt ein Farbiger und isst von ihrem Teller. Ganz manierlich. Es
schmeckt ihm. Grete Hehmke nimmt gegenüber von dem schwarzen Mann Platz. Der lächelt einladend.
Grete Hehmke wundert sich über nichts mehr. Sie lächelt ebenfalls freundlich und zieht das orangefarbene
Tablett behutsam, aber bestimmt in die Tischmitte. Die Portionen in diesem Kaufhaus sind ja
reichlich bemessen, das reicht schon für zwei. Sie speisen. Teilen jede Kartoffel, er schiebt ihr ein
besonders appetitliches Gürkchen zu, sie überlässt ihm ein größeres Stück Roulade. Er ist schließlich ein
kräftiger junger Mann. Der Neger gießt gelbe Brause in das Glas, bietet ihr zuvorkommend an, trinkt
selbst aus der Flasche. Manchmal klappern ihre Teelöffel gegeneinander, wie sie sich den Pudding
geschwisterlich teilen.
Eine Unterhaltung findet darüber hinaus nicht statt. Nur gelegentlich ein Blick des Einverständnisses.
Seele essen Angst auf.
Mit den Papierservietten die Münder abwischen, ein liebenswürdiges Kopfnicken, der Schwarze steht auf
und geht.
Na, dankeschön hätte er ja wenigstens sagen können. Grete Hehmke hat doch Grund, an den
Umgangsformen der Schwarzen zu zweifeln. Handtasche ist weg. Sie hing über der Lehne des Stuhls,
auf dem dieser Neger saß. Auf, auf! Hinterher! Haltet den Dieb! Eben geht er hinaus.
Grete Hehmke dreht sich um, stößt an den Stuhl in ihrem Rücken. Gott sei Dank! Da hängt ja die
Handtasche. Es gibt auch anständige Neger. Die Kohlroulade auf dem orangefarbenen Tablett auf dem
Nebentisch ist leider schon etwas kalt. Aber den Karamellpudding könnte sie noch essen. Na, und eine
halbe Brause schafft sie wohl auch noch...


Zum Weblog