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Newsmeldung von animexx

Thread-InfosVeröffentlicht: 13.02.2002, 16:21
Quelle: Sany van Tran (AnimeGer-ML), Balduin


News von  animexx
13.02.2002 16:21
Sen to Chihiro: Lizenzverkauf gestartet
Newsmeldung von  animexx auf Animexx.de
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Rechtzeitig zur Aufführung von Hayao Miyazakis Erfolgs-Anime "Sen to Chihiro no Kamikakushi (Spirited Away)" auf der Berlinale am 9. und 10.2. scheint der internationale Lizenzverkauf in Gang gekommen zu sein. Die Rechte an dem Blockbuster, die inzwischen bei der französischen Lizenzfirma Wild Bunch liegen, wurden laut einem Bericht bei Screendaily.com bereits während des Festivals an die Unternehmen Pathé (für die Schweiz und Großbritannien), an RAI Cinema (für Italien) und an Central Partnership (für Russland) weiter verkauft. Der Kinostart von "Sen to Chihiro" in Frankreich am 10. April steht schon seit längerem fest.
Über einen Rechteverkauf von "Sen to Chihiro no Kamikakushi" nach Deutschland ist bisher noch nichts bekannt.

Die Aufführung des Films auf der Berlinale hat in deutschen Zeitungen bereits ein Echo gefunden. Besonders erwähnenswert ist dabei ein Artikel von Andreas Platthaus in der FAZ, der im Anhang in voller Länge zitiert wird (mit Dank an Hate im Comicforum für den Hinweis).
---------- Originalartikel FAZ vom 12.02.2002

Zeichentrick als Wunderwaffe Japans

Jetzt schon ein Klassiker: Hayao Miyazakis "Chihiros Reise" im Wettbewerb

Es ist der Wind, dieser unsichtbare Eindringling mit der großen Kraft und den zarten Fingern. Wenn er ins Auto fährt, zittern die Blütenblätter des Blumenstraußes, die Umzugstüten flattern, und die Haare von Chihiro wehen. Schauen wir auf diese Haare: strähnig sind sie, man kann die Spitzen zählen, die der Luftzug aufwärts stellt. Hayao Miyazaki, Autor und Regisseur des japanischen Zeichentrickfilms "Chihiros Reise", mag es bisweilen schlicht. Dabei könnte er sich derzeit im Kino ansehen, wie der Stand der Technik bei der Animation von Haaren ist. In "Die Monster AG", dem neuen Trickfilm des kalifornischen Pixar-Studios, liegt ein pelziges Ungetüm im Schneesturm des Himalaya, und jedes einzelne Härchen bewegt sich im Wind.

Doch warum sollte Miyazaki auch nur einen Blick verschwenden auf solche Haarspaltereien einer Konkurrenz, die ihm mit Ausnahme der Trickperfektion derart unterlegen ist, daß man meinen könnte, ihr Film entstammte einem anderen Genre? Wie der Japaner das gesamte literarische Erbe von Ost und West für seine Zwecke collagiert, wie er archaische Figuren schafft, die dennoch mitten in der Moderne stehen, wie er Regenwolken sich auftürmen läßt, Mondläufe und Landschaften inszeniert, Farben auf die Leinwand bringt, als hätte er Hiroshige zum Chefzeichner, und wie er den Wind animieren kann, nicht als Leistungsnachweis, sondern als Elementarereignis, als einen unheimlichen Fremden, dessen Zugriff sich keiner entziehen kann - das ist etwas, was außerhalb von Miyazakis Ghibli-Studio niemand beherrscht.

Und Miyazaki stattet nebenbei auch noch Dank ab, indem er munter stiehlt. Mehr Ehre kann dieser Meistereklektizist seinen Vorgängern gar nicht erweisen. Plötzlich steht seine Heldin Chihiro mit ihren Eltern in einer bunten Stadt, die geradewegs aus Walt Disneys "Pinocchio" stammen könnte. Immer noch ist dieser Film von 1940 der Maßstab für alle Animation, und vielleicht ist niemand diesem Geniestreich seitdem so nahe gekommen wie Miyazaki mit seiner großartigen Hommage, diesen gespenstischen fünf Minuten im japanischen Pleasure Island, einem Ort, wo gedankenlose Menschen in Nutzvieh verwandelt werden, wie es einst schon in "Pinocchio" geschah.

Collodis düsteres Kinderbuch ist nur ein Anreger für die verwirrend komplexe Handlung von "Chihiros Reise", andere sind Michael Endes "Unendliche Geschichte", Lewis Carrols "Alice im Wunderland", Maurice Sendaks "Wo die wilden Kerle wohnen" und Ursula Le Guins "Gräber von Atuan" - ein Feuerwerk der Phantasie. Doch das alles ist Erbsenzählerei, denn Miyazaki kann sich seine Bomben selber basteln. Seine Trickfilme entfalten Sprengkraft, weil sie etwas bieten, was im Kino selten geworden ist - Engagement oder banal: eine Botschaft. Es sind die Kinder, auf denen alle seine Hoffnung lastet, und Miyazaki läßt sie um keinen Preis erwachsen werden, auch wenn sie regelmäßig die Liebe entdecken und die Toleranz. So war es 1984, als der Trickfilmer mit "Nausicaä aus dem Tal der Winde" seinen ersten ambitionierten Langfilm herausbrachte, der prompt kassenträchtigster japanischer Film seines Jahrgangs wurde. "Prinzessin Mononoke" geriet dann vor fünf Jahren gar zum erfolgreichsten japanischen Film aller Zeiten. Aber nur bis im vergangenen Sommer "Chihiros Reise" startete, der mittlerweile alle Rekorde gebrochen hat und mit bislang mehr als 250 Millionen Euro Einspielergebnis in Japan selbst "Titanic" weit hinter sich ließ.

Das ist ein Wunder, ein kaum kleineres als der Film selbst. Wann gingen sonst Anspruch und Popularität derart Hand in Hand? Und zudem bei einer solch persönlichen Handschrift. Immer wieder beschwört Miyazaki in seinen Filmen die Geister- und Dämonenwelt, ob in der Zukunft wie in "Nausicaä", in der Vergangenheit wie in "Prinzessin Mononoke" oder gar im heutigen Japan wie erstmals 1988 in "Tonari no Totoro" (Mein Nachbar Totoro), in dem zwei Mädchen sich die Wunderkräfte von unsichtbaren Zauberwesen zunutze machen. "Chihiros Reise" entwickelt diese Idee weiter und dreht sie um, denn nun tritt die Schülerin Chihiro in den Dienst eines florierenden Unternehmens, des von der Hexe Yobaba geführten Badehauses, das sich der Entspannung von Göttern und Gespenstern widmet.

Man kann sich denken, was für skurrile Gestalten diese Welt bevölkern. Da gibt es vorlaute Froschdämonen und gewaltige Sumomonstren, eine an Niedlichkeit kaum zu übertreffende Ratte, den buchstäblich spinnenbeinigen Heizer Kamaji, der das Badewasser auf Temperatur zu bringen hat, und vor allem Yobaba und ihre Schwester Zemiba, die geradewegs aus den Geisterholzschnitten eines Kuniyoshi entsprungen scheinen. Oder den für Miyazaki so typischen Flußgott, der in sich den ganzen Zivilisationsmüll einer Wohlstandsgesellschaft aufnehmen muß. Die Moderne ist einmal mehr die wahre Bedrohung. Chihiros Eltern wollen in die Großstadt umziehen, und es droht das Ende der Kindheit des Mädchens. Doch nur ein winziger Schritt beiseite vom Pfad der Rationalität, und alle Sicherheit zerbricht. Nur wer sich dann einläßt auf die Gesetze der Geisterwelt, wird sie wieder verlassen dürfen.

Dieser Film ist ein großer Wurf, und wenn nach 1938 endlich wieder einmal ein großes Festival den Mut haben sollte, einen Zeichentrickfilm auszuzeichnen - damals gewann Disneys "Schneewittchen und die sieben Zwerge" in Venedig -, dann wäre Miyazakis Film die rechte Wahl. Denn "Chihiros Reise" steht im Wettbewerb der Berlinale, dort also, wo schon "Prinzessin Mononoke" hätte stehen sollen, der hier 1998 außer Konkurrenz gezeigt wurde. Miyazaki ist mittlerweile sechzig, seit fast vier Jahrzehnten ist er der beste Zeichentrickfilmer Japans, seit fast zwanzig Jahren der wichtigste der Welt. Mit "Chihiros Reise" ist er noch einen Schritt weiter gelangt: Er hat einen Film gedreht, der sofort als Klassiker gelten darf. Thematik, Bedeutung und Filmsprache weisen Miyazaki mittlerweile als den legitimen Erben Kurosawas aus. Was für ein machtvoller Wind weht da aus Fernost!
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