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Roter Mond

von

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Normale Parameter

Die Explosion erschütterte den Fahrstuhlschacht und rüttelte Scott aus seiner Ohnmacht. Etwas krachte. Rauch stieg ihm in die Nase, die Augen. Er blinzelte. Nahm seine Umgebung nur bruchstückhaft war.

 

„Scott! Scott, hilf mir!“
 

Trix. Ein Ausgang. Eine Maske, die auf sein Gesicht gedrückt wurde. Hände, die ihn in die Höhe zogen. Er stolperte, fiel, stand wieder auf.
 

„Wir müssen ihn hier rausbringen.“
 

Noch mehr Explosionen. Eine Flammensäule, die ganz in der Nähe in den Nachthimmel hinaufschoss, bevor das Gelände anfing, in sich zusammenzustürzen. Der Boden unter seinen Füßen schwankte. Brach an den Kanten weg. Noch mehr Rauch. Feuer.
 

Er griff nach dem Arm des Jungen, zerrte ihn auf die Füße und stützte ihn. Trix auf der anderen Seite. Sie rannten. Versuchten es zumindest. Und wieder bebte die Erde.
 

„Weg hier!“

 

Sein Gehirn funktionierte nicht richtig, aber er wusste, dass sie nicht bleiben konnten. Abgesehen von der unmittelbaren Gefahr durch das Feuer und die Explosionen, würde das Ganze nicht unbemerkt bleiben. Binnen kürzester Zeit würde es hier von Cops nur so wimmeln. Streifenwagen, Löschfahrzeuge, vielleicht sogar Hubschrauber mit Suchscheinwerfern. Wenn das passierte, wollte er möglichst weit weg sein.

 

Wir hätten eigentlich tot sein müssen.

 

Der Gedanke kam und verschwand wieder, während Scott weiterstolperte. Immer tiefer in die dunkle Nacht hinein. Hinter ihnen ging die Welt in Flammen auf.

 

 

 

Amos Inbergs Handy klingelte. Er zog die durchsichtige Platte mit dem eingebauten Projektor heraus und öffnete einen Kanal. Über dem Display erschien das flackernde Abbild eines rauen, grobschlächtigen Gesichts. Es zeigte nur allzu deutlich die Auswirkungen von mangelnder Hygiene, schlechter Ernährung, billigem Schnaps, verschnittenen Drogen und zu wenig Schlaf. Vor allem das letzte, wenn Amos Inberg die Uhrzeit bedachte.
 

„Ja?“, fragte er und richtete sich in seinem Bett auf. Die synthetische Seide raschelte, als er sich zum Nachttisch beugte, um die dort stehende Lampe einzuschalten. Manchmal gönnte er sich in seinen privaten Räumen ein wenig Nostalgie.

 

Der Mann, der ihn angerufen hatte, klang gehetzt.

 

„Es ist weg. Das ganze Labor. Einfach in die Luft geflogen. Emile und die anderen sind tot.“

 

Amos Inberg runzelte die Stirn.
 

„Und der Junge?“

„Ich weiß es nicht. Als es anfing zu rumsen, bin ich weg.“

 

Er ließ sich nicht anmerken, was er davon hielt.
 

„Gut. Dann verschwinden Sie jetzt. Sehen Sie zu, dass Ihnen niemand folgt. Und rufen Sie nie wieder an.“
 

Damit legte er auf und das widerwärtige Gesicht des Schlägers verschwand. Amos Inberg hingegen hielt weiter das Telefon in der Hand und überlegte. Diese Entwicklung war nicht eingeplant gewesen. Diese stümperhaften Idioten. Er hätte doch jemanden damit beauftragen sollen, der sich auskannte.
 

Als es klopfte, blickte er auf. Die Tür öffnete sich und jemand betrat das Zimmer.
 

„Wer war das?“, fragte der Neuankömmling und blieb ein Stück weit vom Bett entfernt stehen.
 

„Einer von Margeras Männern.“

„Haben sie den Jungen?“

„Nein.“

 

Bedauern huschte über die Züge seines Gegenübers.
 

„Vielleicht sollten wir doch eine offizielle Suchmeldung herausgeben. Wenn die Polizei nach ihm fahndet, könnten wir …

 

„Nein, zu gefährlich“, wiegelte Amos Inberg den Einwand ab. „Ich bin mir sicher, falls er noch am Leben ist, wird er …“

 

Erst, als er die Worte ausgesprochen hatte, wurde ihm bewusst, dass er einen Fehler gemacht hatte. Einen riesigen Fehler.
 

Falls er noch am Leben ist?“

 

Die Gestalt trat näher an sein Bett. Der Schein der Nachttischlampe spiegelte sich in rundlichen Brillengläsern und machte sie beinahe undurchsichtig.
 

„Was soll das heißen, falls er noch am Leben ist?“

„Es … es gab einen Unfall. Das Labor wurde … es wurde vernichtet.“

„Was?“

 

Für einen Moment schien der Zorn den Mann vor seinem Bett zu übermannen. Amos Inberg setzte ein diplomatisches Lächeln auf.
 

„Ein unbedeutender Rückschlag. Nichts, was man nicht ersetzen kann.“

„Aber die Prototypen …“

„Wir werden neue erschaffen. Wir werden alles neu erschaffen. Kein Grund zur Beunruhigung.“

 

Zuerst sah es so aus, als würde der andere Mann noch Einwände hegen, doch dann begann er ebenfalls zu lächeln.
 

„Natürlich“, sagte er und kam noch einen Schritt näher. „Wir erschaffen es neu. Das ist alles, was zählt.“

 

Als er die Hand hob, tasteten Amos Inbergs Finger nach dem Notrufschalter.

 

 
 

„Ich kann nicht mehr.“,

 

Trix schnaufte hörbar, bevor sie sich dort, wo sie gerade stand, zu Boden fallen ließ. Auch Scotts Beine zitterten mittlerweile vor Anstrengung und er war sich sicher, mindestens zwei, wenn nicht mehr angeknackste Rippen zu haben. Es schmerzte, wenn er zu tief Luft holte, und sein linkes Handgelenk machte bei jeder Belastung unangenehme Geräusche. Trotzdem war ihm klar, dass sie unheimliches Glück gehabt hatten. Das oder etwas anderes.
 

„Wir sind hier nicht sicher“, sagte Scott, mehr um überhaupt etwas von sich zu geben.

 

„Oh, aber immerhin bedroht uns jetzt kein wahnsinniger Killercyborg mehr. Das Ding war ja mal megafreakig. Hast du seine Augen gesehen? Und all das Blut! Ich meine, ich hab ja schon ne Menge Scheiße miterlebt, aber das …? Diesem Ding hat es doch Spaß gemacht, Menschen zu ermorden. Echt gruselig.“
 

„Ja,“ antwortete Scott abgelenkt. „Man fragt sich, was Kaels Vater sich dabei gedacht hat.“

 

Er sah in die Richtung des Jungen, der sich ein Stück von ihnen entfernt niedergelassen hatte. Seit sie aus dem Labor geflüchtet waren, hatte er keinen Ton mehr von sich gegeben. Scott konnte nur ahnen, was in seinem Kopf vor sich ging.

 

Mit einem unterdrückten Stöhnen stand Scott auf und humpelte zu Kael hinüber.
 

„Hey“, machte er und stupste den Jungen mit dem Fuß an. „Alles klar bei dir?“
 

Kael hob den Kopf. Er nickte, bevor er den Blick wieder abwandte und ins Leere starrte.

 

„Er wollte dich nicht töten“, sagte er auf einmal. Scott blinzelte überrascht.
 

„Wer? Dein Vater?“

„Nein, der … der Cyborg. Er hätte dir nichts getan.“
 

Scott schnaubte.
 

„Bist du dir sicher? Immerhin hat er Margeras Männer einen nach dem anderen buchstäblich in Stücke gerissen und ist dann auf mich losgegangen.“

 

Kael atmete schwer.
 

„Trotzdem. Er hätte dir nichts angetan. Es war … nur ein Missverständnis.“

„Ein Missverständnis? Wovon redest du da?“

 

Kael antwortete nicht sofort. Scott hatte plötzlich das Gefühl, dass er etwas übersehen hatte. Etwas Wichtiges. Aber was?

 

„Das … was dein Vater getan hat, ist nicht deine Schuld, hörst du? Du kannst nichts dafür, dass diese Männer gestorben sind.“

 

Kael lachte bitter auf. Der Laut erschütterte Scott bis ins Mark.
 

„Und wenn doch?“, fragte der Junge tonlos. „Was, wenn es meine Schuld war, dass sie ihr Leben lassen mussten. Wenn ich …“

 

Kaels Stimme versagte. Er hob den Kopf und sah Scott an. Im grünlichen Licht des Mondes schimmerten seine Augen feucht.

 

„Ich wollte nicht, dass er das tut.“, flüsterte er. „ Ich wollte nur, dass sie … weggehen. Es tut mir so leid.“
 

Das Schluchzen aus der Kehle des Jungen war nicht mehr zu überhören. Scott stand da und wusste nicht, was er tun sollte. Trix tauchte neben ihm auf und sah ihn vorwurfsvoll an.
 

„Hey, was hast du gemacht? Warum weint er?“

 

„Ich hab gar nichts gemacht“, verteidigte sich Scott. „Er quatschte irgendwelchen Blödsinn von wegen 'Ich wollte das nicht' und dann hat er angefangen zu flennen. Was weiß denn ich, was er meint?“

 

Trix rümpfte die Nase und murmelte etwas, dass sich stark nach „Männer!“ und „Wie wäre es mal mit fragen?“ anhörte, bevor sie sich neben Kael in den Sand kniete und sich zu ihm hinüberbeugte.
 

„Hey, hey, jetzt stell die Schleusen mal wieder auf halbe Kraft. Wir sind doch heil da rausgekommen. Die bösen Jungs sind tot, der Killerroboter auch, also alles tutti.“

„Aber all das Blut, die Gewalt. Ich hab das nicht gewollt. Ich wollte nur, dass sie aufhören.“

 

Kael hob das tränenverschmierte Gesicht.

 

„Ich hatte solche Angst, als ich das Messer gesehen habe, da habe ich … ich habe …“

 

Trix legte den Kopf ein wenig schief.
 

„Na los, sag schon. Was hast du?“

 

Kael sprach nicht weiter. Stattdessen sah er Trix einfach nur an, als würde sie die Antwort auf ihre Frage irgendwie auf telepathischem Wege erhalten. Da Scott diese Kunst nicht beherrschte, beschloss er, es auf die altmodische Weise zu versuchen. Er packte Kael am Kragen, zog ihn auf die Füße, sah ihm in die Augen und zischte:

 

„Spuck es aus, Junge! Was. Hast du. Gemacht?“

 

Kaels Gesichtsausdruck wurde gequält. Er rang die Hände.
 

„Ich wollte wirklich nur helfen.“

„Das sagtest du schon. Aber jetzt möchte ich gerne wissen, wie genau du meinst, uns geholfen zu haben.“

 

Eine kleine Ewigkeit lang antwortete Kael nicht. Dann endlich, als Scott schon gar nicht mehr daran glaubte, bekam der Junge endlich den Mund auf.

 

„Ich hab ihn aufgeweckt.“

 

Scott blinzelte. Und blinzelte noch einmal.

 

„Du hast was?“

„Den … den Cyborg. Ich hab ihn aufgeweckt.“

„Du hast WAS?“
 

Dieses Mal war es Trix, die nicht mit ihrer Erschütterung hinter dem Berg halten konnte.

 

„Aber wie? Und warum?“

„Ich hatte Angst. Die Männer, die Waffen. Sie wollten dir wehtun. Ich musste doch etwas unternehmen.“

„Indem du eine Killermaschine auf uns loslässt?“

„Nicht auf euch. Nur auf die anderen.“

 

Noch einmal glaubte Scott den Stoß zu spüren, den ihm das Roboterwesen verpasst hatte. Er hatte gesehen, wie dieses Ding einem anderen Mann mit bloßer Hand das Herz herausgerissen hatte. Aber ihn hatte es nur geschubst?

 

„Wie meinst du das? Wie hast du das gemacht?“

 

Er ließ Kael los. Der Junge griff sich an den Hals und schluckte sichtbar.
 

„Ich … ich weiß nicht genau. Es ging alles so schnell. Als ich geschrien habe, ist er auf einmal … aktiviert worden. Ich habe es gesehen. Gehört. Er war auf einmal da und er war so wütend.“

 

„Wütend? Dieses Ding war wütend?“

 

Scott glaubte, sich verhört zu haben.

 

„Ja. Er wollte … er wollte euch alle auslöschen. Aber ich habe ihn gebeten, euch zu verschonen. Er hat … gehorcht.“

„Gehorcht?“

 

Scott konnte nicht verhindern, dass er sich anhörte wie ein antiker Papagei. Aber das, was Kael da erzählte, war zu phantastisch.
 

„Du meinst, du hast mit dem Ding geredet?“, fragte Trix nach. „Aber … wann? Wie? Ich hab jedenfalls nichts davon mitbekommen.“

 

Kael senkte den Kopf.
 

„Es ist nicht … so eine Art von Kommunikation. Es ist … anders. Aber ich verstehe, was sie sagen. Schon immer.“

„Was wer sagt?“

„Maschinen.“

 

Scott fühlte seinen Mund trocken werden.
 

„Du meinst so wie die Schalttafeln?“

 

Kael nickte.

 

„Was noch? Mit welchen Maschinen hast du noch gesprochen?“

 

Scotts Herz hämmerte gegen seine Brust. Er hatte so eine Ahnung, was Kael antworten würde, aber er musste es von ihm hören.

 

Der Junge sah zu Boden.

 

„Mit vielen. Mit der Eingangskontrolle der Bar, mit deinem Türschloss, dem Fernseher, dem Nahrungsreplikator, der Dusche …. dem Zugangsterminal nach Eden.“
 

Er schwieg, aber Scott wusste, wie die Auszählung weiterging. Er atmete ein und atmete aus.
 

„Deswegen wusstest du auch, was die Drohne von uns wollte, nicht wahr?“

 

Kael nickte wieder. Er sah Scott nicht an.

 

„Und der ZX-12 … warst das auch du?“

 

Kael ließ den Kopf noch ein wenig tiefer hängen.
 

„Das … das war auch ein Versehen. Ich wollte nicht, dass er auf die Polizisten schießt. Er sollte sie nur aufhalten, damit wir fliehen können.“

 

Scott glaubte, was er da hörte, und auch wieder nicht. Er konnte es nicht glauben, obwohl es die einzige, logische Erklärung war. Sein Gehirn weigerte sich schlichtweg, die Möglichkeit anzuerkennen, dass es einen Menschen gab, der mit Maschinen reden konnte. Das war einfach nicht möglich. Und doch sagte ihm eine innere Stimme, dass da etwas dran war. Und dass er immer noch etwas übersah. Etwas sehr Wichtiges.

 

„Und jetzt?“, fragte Trix, nachdem das Schweigen irgendwann unangenehm lang geworden war. „Was machen wir jetzt.“
 

„Jetzt suchen wir uns jemanden, der uns mit Antworten versorgen kann.“

„Du meinst Kaels Vater?“

„Ich meine Ava.“

 

 

 

„Ava?“

 

Trix keuchte, während sie hinter ihm her rannte und verzweifelt versuchte, zu ihm aufzuschließen. Scott kümmerte sich nicht darum. Er wollte jetzt endlich wissen, was hier gespielt wurde.
 

„Ja, Ava“, knurrte er. „Diese Holo-Bitch hat und mit Sicherheit nicht alles gesagt, was sie weiß. Mit Maschinen sprechen. Ich meine, sie ist eine Maschine. Das muss sie doch gemerkt haben.“

 

Trix zog die Nase kraus.

 

„Du meinst, sie hat uns angelogen?“

„Entweder das oder Dresner hat ihr einen Maulkorb verpasst. Oder sie ist wirklich der dümmste allwissende Computer, den ich kenne.“

 

Die Häuser der Stadt waren mittlerweile in sichtbare Nähe gekommen. Also blieb Scott stehen und atmete tief durch.
 

„AVA!“, brüllte er dann, so laut er konnte. „AVA KOMM SOFORT HER!“
 

„Scott!“, zischte Trix und sah sich erschrocken um. „Bist du bescheuert? Die hören uns doch.“

 

„Na, umso besser. Sollen sie uns doch hören. Ich hab genug von dieser geheimen Scheiße. Meinetwegen sollen sie alle kommen und mitkriegen, was hier für eine gequirlte Kacke am Dampfen ist. Mir ist es gleich. AVA!“

 

In den umliegenden Häusern begannen die Lichter anzugehen. Mit Befriedigung stellte Scott fest, dass er somit wenigstens ein paar reiche Ärsche um ihren Schlaf gebracht hatte, bevor die Polizei ihn vermutlich einkassieren und für immer ins Loch werfen würde. Aber selbst das war ihm inzwischen egal. Hauptsache er bekam Antworten.
 

„Ava! AVA!“

„Äh … Scott?“

„AVA!“

„Sco~ott.“

„AVA!“

„SCOTT!“

 

Entnervt drehte Scott sich zu Trix um.
 

„Was?“, schnauzte er. „Was willst du denn?“

 

Trix antwortete nicht. Stattdessen wies sie mit einem seitlichen Nicken auf etwas, das Scott bisher nicht bemerkt hatte. Weil es schwarz war. Und sehr groß. Ziemlich groß sogar. Und ziemlich flach. Scotts Augenbrauen wanderten nach oben.
 

„Ein Lamborghini? Du versuchst mich mit einem verdammten Lamborghini zu beeindrucken? Was glaubst du eigentlich, wer du bist?“

 

Scott machte einen Schritt auf das Auto zu, holte mit dem Fuß aus und zielte damit auf die Motorhaube. Fast schon beiläufig bewegte sich der Wagen ebenso lautlos, wie er gekommen war, ein Stück rückwärts. Scotts Tritt ging ins Leere. Fast hätte er sich lang hingelegt.
 

„Bleib gefälligst stehen, wenn ich mit dir rede“, schimpfte er und machte erneut einen Schritt auf den Wagen zu. In dem Moment flammten die dreistrahligen Scheinwerfer auf und der Motor ließ ein warnendes Grollen hören.
 

„Ach, jetzt willst du mich überfahren, ja?“

 

Scott lachte höhnisch und breitete die Arme aus.

 

„Nur zu! Mach’s doch! Aber ich glaube, das widerspricht deiner Programmierung. Oder war das etwa auch gelogen, Schaltkreislady?“

 

Auge in Auge stand Scott sich mit dem schwarzen Sportwagen gegenüber. Dessen Scheinwerfer waren immer noch voll aufgeblendet und hüllten ihn in einen hellen Lichtkegel. Er war somit weithin gut sichtbar, das musste auch Ava wissen. Erneut jaulte der Motor auf, bevor er verstummte, das Licht abgeblendet wurde und die Türen an der Seite des Wagens sich in die Höhe hoben. Scott schnaubte abfällig.
 

„Soll das ein Friedensangebot sein? Glaubst du wirklich, dass ich mich so einfach ködern lasse?“
 

Ein genervtes Stöhnen antwortete ihm.
 

„Man, Scott, jetzt hör auf, theatralisch zu sein, und steig ein. Mir tun die Füße weh.“

 

Mit finsterem Gesicht sah Scott zu, wie zuerst Trix und dann auch Kael in den Wagen kletterten. Nur er stand noch draußen herum.
 

„Also schön, du hast gewonnen!“, knurrte er und machte sich auf dem Weg, um ebenfalls einzusteigen. „Aber damit eins klar ist. Ich fahre!“

 

Die Sitze des Wagens schmiegten sich an Scotts Körper und er musste sehr an sich halten, um nicht hörbar aufzuseufzen. Das Ding fühlte sich edel an. Sehr edel sogar. Und es roch neu. Richtig neu. Wie für ihn gebaut.

 

Okay, sie hat Geschmack, das muss man ihr lassen. Aber ansonsten ist sie einfach nur … argh!

 

„Na los, fahren wir. Und dann will ich wissen, was hier gespielt wird.“
 

Er startete den Motor, ohne wirklich zu wissen, wohin er fahren wollte. Hauptsache weg von hier und unterwegs sein. Er musste nachdenken.

 

Viel schneller, als Scott es für möglich gehalten hatte, ließen sie die Wohngegenden hinter sich und tauchten erneut in die neonlichtdurchfluteten Häuserschluchten der Innenstadt ein. Der Wagen schnurrte wie ein Kätzchen und reagierte auf die leisesten Bewegungen. Scott musste sehr an sich halten, um wenigstens einigermaßen innerhalb des Tempolimits zu bleiben. Zu gern hätte er das Gaspedal einmal richtig durchgedrückt, um herauszufinden, wie schnell diese Kiste wirklich war. Um ihn herum wimmelte es von Farben und Formen, die sich auf der glänzenden, schwarzen Oberfläche ihres Gefährts spiegelten. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen wurden sie im Dschungel der Nacht nahezu unsichtbar.
 

„Also schön“, sagte er irgendwann, nachdem sie schon eine Weile ziellos umhergefahren waren und Scotts Gedanken sich einigermaßen mit der Vorstellung angefreundet hatten, dass er gerade mit knapper Not einem Labor voller Zierpflanzen und wahnsinniger Killerroboter entkommen war und sein jugendlicher Begleiter anscheinend fließend Droidisch sprach. Das Ganze wäre lustiger gewesen, wenn er selbst dabei ein Laserschwert bekommen hätte, aber man konnte eben nicht alles haben.

 

„Ich will ein paar Antworten von dir, Computerlady. Hast du mich gehört?“

 

Eigentlich erwartete er nicht wirklich eine Reaktion, aber als der Bildschirm in der Mitte der Konsole ansprang und Avas Gesicht darauf erschien, zog ein grimmiges Lächeln seine Lippen in die Breite.
 

„Kael. Er kann mit Maschinen sprechen. Klingelt da was bei dir?“
 

Ava legte den Kopf ein wenig schief und sah ihn fragend an.
 

„Was meinst du damit?“
 

„Na sein … Gehirn …“, Scott fuchtelte mit der Hand neben seinem Kopf herum. „Es macht, dass er mit Dingen sprechen kann. Toaster, Türschlösser, Computer, einfach alles.“

 

Ava lächelte freundliche.
 

„Kaels Gehirn funktioniert innerhalb normaler Parameter.“

 

„Normal?“, echote Scott und wich einem Transporter im letzten Augenblick aus, bevor er unter dessen Rädern zermalmt wurde. „Aber es ist nicht normal, dass man mit Maschinen reden kann. Also sag schon: Was hat sein Vater mit ihm angestellt? Hat er auch an ihm rumgebastelt? Ihn verbessert? Ihm ein Interface ins Kopf gepflanzt, damit er sich selbst ins Internet hochladen kann? Was?“

 

„Kaels Gehirn funktioniert innerhalb normaler Parameter.“

„VERARSCH MICH NICHT!“

 

Scotts Hände hämmerten gegen das Lenkrad. Im nächsten Moment hörte er Trix kreischen, denn ein Brückenpfeiler kam viel zu schnell viel zu nahe. Er riss das Lenkrad herum, der Wagen kam ins Schlingern, drehte sich und …
 

„Oh fuck!“
 

Scott schloss die Augen und machte sich auf einen Aufprall gefasst. Einen sehr schlimmen Aufprall. Kreischendes Metall und zerquetschte Körper. Streben, die sich durch Köpfe und Rümpfe bohrten. Das ganze Programm eben. Doch der Unfall … blieb aus.

 

Mit laufendem Motor und aufgeblendeten Scheinwerfern waren sie nur wenige Zentimeter vor der Kollision zum Stehen gekommen. Um sie herum wichen die anderen Fahrzeuge mit dröhnenden Hupen und abenteuerlichen Manövern aus. Einer der Fahrer zeigte ihnen den Mittelfinger. Aber sie lebten noch.
 

„Ich glaube, ich fahre von jetzt an lieber“, erklärte Ava, bevor der Wagen von selbst rückwärts fuhr, wendete und sich wieder in den fließenden Verkehr einreihte. Scott biss die Zähne zusammen. Das Lenkrad bewegte sich von allein und Ava blinkte sogar, bevor sie um die Ecke bog. Sie blinkte!

 

„Also, nochmal zum Mitschreiben“, meinte Trix und lehnte sich zwischen den Sitzen nach vorne. Wie sie da hinten überhaupt Platz gefunden hatte, war Scott ein Rätsel. Wahrscheinlich hatte sie ihren Hintern auf irgendwelchen angenehm vibrierenden Motorteilen geparkt. „Du willst uns also sagen, dass mit Kael alles in Ordnung ist.“

 

„Kaels Gehirn funktioniert …“

 

„Innerhalb normaler Parameter“, unterbrach Trix die Computerstimme. „Wir haben’s kapiert. Aber funktioniert Kaels Gehirn auch so, wie das eines anderen Menschen?“

 

„Nein.“

 

Der triumphierende Blick, den Trix Scott daraufhin zuwarf, hätte ihn beinahe in das teure Lederimitat vor seiner Nase beißen lassen. Du musst lernen, die richtigen Fragen zu stellen, sagte er und Scott erwiderte darauf mit einem Lächeln, das aussah, als litte er unter akuten Zahnschmerzen.
 

„Na schön, und … wie funktioniert sein Gehirn?“

„Das weiß ich nicht.“

 

Trix sah ebenso verblüfft aus, wie Scott sich fühlte.
 

„Hä?“, machte sie. „Was soll das heißen, 'Du weißt es nicht'? Warum nicht?“

 

„Weil ich ihn nicht scannen kann. Er ist wie … ein blinder Fleck auf meinem Radar.“

„Was?“

 

Auch Kael konnte das anscheinend nicht glauben..
 

„Du kannst mich nicht … warum hast du das nie gesagt?“

„Du hast nie gefragt?“

 

Scott verdrehte die Augen. Das war wieder mal so typisch.

 

„Und wie kriegen wir jetzt raus, was mit ihm nicht stimmt?“

„Kaels Gehirn funktioniert …“
 

„Wir wissen es!“, riefen Trix und Scott wie aus einem Mund.
 

„Das ändert aber nichts daran, dass sein Vater irgendwelche illegalen Experimente an Menschen vorgenommen hat. Vielleicht war das ja der wahre Grund, warum er Kael versteckt hat. Weil er Angst hatte, dass ihm jemand auf die Schliche kommt, wenn jemand ihn zu genau unter die Lupe nimmt.“

 

„Illegale Experimente? Wovon sprecht ihr?“

 

Scott und Trix berichteten Ava abwechselnd, was sie auf ihrer Flucht aus dem Dresnerschen Anwesen gefunden hatten. Als sie geendet hatten, wandte Ava sich an Kael.

 

„Stimmt das?“

 

Der Junge nickte langsam. Ava sah aus, als würde sie nachdenken.
 

„Das ist eine höchst beunruhigende Nachricht. Ich habe nie geahnt, dass Robert so etwas vor mir geheim gehalten hat. Sicherlich, was Kael anging, war er immer ein wenig … zurückhaltend, aber ich hätte nie angenommen, dass er …“

 

Wieder richtete sich ihr Blick auf Kael. Scott empfand es als einigermaßen verstörend, dass sie gleichzeitig das Lenkrad bewegte, um sie bei knapp 70 Meilen pro Stunde auf einen Zubringer des Freeways wechseln zu lassen. Zumal er annahm, dass sie den Jungen gleichzeitig einem gründlichen Scan unterzog.
 

„Und?“, fragte er, nachdem das Flackern auf Avas Gesicht nachgelassen hatte.

 

„Nichts“, gab sie zurück und Scott hatte den Eindruck, dass sie das irgendwie wurmte. Was Quatsch war, weil sie ein Computer war. Eine künstliche Intelligenz. Nichts weiter.
 

„Was soll das heißen, nichts? Nichts, was du kennst?“

„Nichts, was ich erkennen kann.“

 

Scotts Finger schlossen sich um das Lenkrad.

 

„Und das heißt?“
 

Wieder antwortete Ava nicht sofort. Für Scott war das ein untrügliches Zeichen, dass sie noch jede Menge anderer Dinge gleichzeitig tat. Als sie wieder zu ihnen zurückkehrte, war ihr Gesicht ernst.
 

„Ich weiß jetzt, wo ihr hinmüsst.“

 

In der gleichen Sekunde vollführte der Wagen eine Vollbremsung, schlitterte über den Asphalt, knallte beinahe gegen die Leitplanke, nur um dann mit quietschenden Reifen und aufjaulendem Motor in die entgegengesetzte Richtung zu rasen.
 

„Vorsicht, Gegenverkehr!“, schrie Trix, aber die ihnen entgegenkommenden Fahrzeuge schienen alle wie durch ein Wunder auszuweichen. Trotzdem sah Scott sie bereits gegen irgendeines der an ihnen vorbeirasenden Hindernisse prallen, bevor Ava erneut vorschriftsmäßig blinkte und dann ungebremst die nächste Ausfahrt hinunterbretterte. Als er nach oben sah, fiel sein Blick auf zwei wohlbekannte Doppeltürme mit dem sich drehenden Logo dazwischen.
 

„Die Inberg Towers?“

„Ganz genau.“

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Sorry Leute!

Mein Uploadrhythmus hier ist grottig, weil ich manchmal lieber an dem Liegesgedöns schreibe. ;) Aber vielleicht gönne ich der Geschichte hier doch mal das nächste Kapitel, bevor ich mich in den Urlaub verabschiede. Also bleibt mir gewogen.

Zauberhafte Grüße
Mag
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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fatua
2021-08-12T22:40:41+00:00 13.08.2021 00:40
Sehr unterhaltsam, dieses Kapitel. Holo-Bitch und Laserschwert 🤣
Und dann noch die Enthüllung der Kommunikation mit Maschinen. Cool.
Antwort von:  Maginisha
13.08.2021 08:50
Hey fatua!

Freut mich, dass es dir gefallen hat. Zwischendurch muss ja mal wieder ein bisschen gelacht werden, bevor das nächste Blut fließt. ;)

Zauberhafte Grüße
Mag


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