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Dein rettendes Lachen

von

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Happy Birthday

„Na? Wie war der erste Abend mit deinem Vater?“ fragte Jaden mit einem Grinsen im Gesicht, während wir zum Schulgebäude liefen.

Ich seufzte. „Eigentlich fing er wirklich gut an, aber dann hatten wir Streit.“

„Echt? Worüber denn?“

„Irgendwann klingelte es bei uns an der Haustür. Dreimal darfst du raten wer es war.“

Er überlegte kurz, dann fiel ihm etwas ein und er sah mich traurig an. „Deine Oma?“

Ich nickte. „Hatte ganz vergessen, dass sie mich besuchen wollte. Ihr war die ganze Sache sicher unangenehm und mein Vater war so abweisend ihr gegenüber. Er wollte ihr nicht mal zuhören.“

„Aber überrascht dich das? Du hast ja gesagt, die beiden wären sich nicht ganz grün.“

„Ich hatte eben etwas Hoffnung, aber die ist ziemlich schnell wieder verflogen. Nach einer Weile hatte ich mich wieder beruhigt und bin wieder zu meinem Vater. Das Thema haben wir allerdings seit gestern totgeschwiegen.“

Plötzlich legte Jaden wieder ein breites Grinsen auf. „Vielleicht solltest du die beiden mal in einen Raum einsperren. Dann müssen sie ja miteinander reden.“

Ich musste kurz auflachen. „Du schaust zu viele Filme. Das klappt doch nie.“

Auch er musste lachen. „Aber den Versuch wäre es wert! Klappt vielleicht doch!“ Mit diesen Worten gab er mir einen flüchtigen Kuss und verabschiedete sich, um in sein Klassenzimmer zu laufen.
 

Auch in den nächsten Tagen sprach ich nicht mit meinem Vater über das Thema. Ich wusste einfach nicht, wie. Meine Großmutter war noch am selben Abend wieder nach Tokio abgereist. Seitdem telefonierten wir hin und wieder. Sie hatte mir sogar angeboten, dass ich sie in Tokio besuchen könnte. Vielleicht über das Wochenende. Mein Vater wusste natürlich nichts davon. Zumindest stimmte er zu, über das Wochenende mit Jaden und mir nach Osaka zu fahren. So könnten wir den Besuch am Grab meiner Mutter und die Geburtstagsfeier von Sherry verbinden.
 

* Die Sicht von Jaden *
 

Das Gras wiegte sich sanft in der kühlen Brise. Ein Schwarm von Vögeln flog aus einer Reihe Bäume, nicht weit von mir entfernt. Sonst war es still. So friedlich. In einiger Entfernung sah ich Yusei und seinen Vater vor dem Grabstein stehen. Ich fand es unangebracht, jetzt bei ihnen zu sein. Dieser Moment sollte nur den beiden gehören. Yusei sah zu seinem Vater und redete leise mit ihm, ehe er sich langsam von ihm entfernte und auf mich zukam. „Schon fertig?“ fragte ich etwas verwirrt, als er wieder zu mir stieß. Er nickte und neigte seinen Kopf wieder zu seinem Vater, der noch immer regungslos vor dem Grab seiner Frau stand. „Wie geht’s ihm?“ fragte ich vorsichtig. Ich hatte Sorge, dass es ihm danach wieder schlechter gehen würde. Yusei drehte sich wieder zu mir und zu meiner Überraschung sah er wirklich zufrieden aus. „Ich glaube, er braucht einen Moment für sich. Ich habe ihm gesagt, dass wir am Eingang auf ihn warten. Gehen wir?“ Ein letztes Mal noch wanderte mein Blick wieder zu seinem Vater. Schließlich nickte ich und ging zusammen mit Yusei Richtung Ausgang.
 

„Wo laufen wir denn lang?“ fragte ich verwundert. Wir nahmen einen anderen Weg als ich erwartet hatte. Yusei drückte meine Hand fester. „Ich dachte wir nehmen einen kleinen Umweg. Mal abgesehen von den Grabsteinen ist das eine wirklich schöne Anlage, und wir müssen ohnehin auf meinen Vater warten.“ Ich sah mich um. Eigentlich hatte er recht. Hier war es wirklich sehr schön. Selbst jetzt, wo die Bäume schon alle Blätter verloren hatten und der Himmel wolkenverhangen war. Nach einer kleinen Weile sah ich wieder zu Yusei. „Ist wirklich alles in Ordnung?“ Er nickte und sah mich wieder an. Ich konnte keine Spur von Traurigkeit in seinem Blick entdecken. „Keine Sorge“ sagte er. „Er brauch nur einen Moment allein mit ihr. Ich glaube wirklich, das tut ihm jetzt gut. Vielleicht hilft es ihm damit abzuschließen.“ Nach den Strapazen der letzten Wochen wünschte ich mir das sehr für ihn. Und auch für Yusei wäre das eine Sorge weniger.
 

Wieder dachte ich an den Augenblick zurück, in dem ich seinem Vater das erste Mal begegnet war. Alexis und ich schlichen uns, ohne Yuseis Wissen, in sein Krankenzimmer. Er saß einfach nur in seinem Bett und sah irgendwie verzweifelt aus. Traurig. Verloren. Damals wusste ich nicht warum, aber ich hatte das Gefühl, er hätte sämtlichen Lebensmut verloren. Seine Verletzungen hatten mich schockiert, genauso wie Alexis. In diesem Moment begriff ich, dass ich mich wirklich glücklich schätzen konnte. Mein Leben war ziemlich sorgenfrei. Yusei hingegen hatte auf einen Schlag so viele Probleme. Ich hatte einfach nur den Wunsch ihm zu helfen und wusste nicht einmal, woher dieser Wunsch kam. Mit der Zeit wollte ich Yusei einfach nur glücklich wissen. Dass ich am Ende selbst so glücklich sein würde, hätte ich mir nicht vorstellen können. Es grenzte an ein Wunder, dass er genauso für mich empfand.
 

Plötzlich hielten wir an und ich sah mich überrascht um. Wir waren wieder am Eingang zum Friedhof. Sehr viel hatte ich von meiner Umgebung nicht wirklich mitbekommen. Wieder sah ich zu Yusei und lächelte. Verwundert erwiderte er meinen Blick und ehe er etwas sagen konnte, legte ich meine Arme vorsichtig um seine Taille und zog ihn in eine Umarmung. Drückte mein Gesicht in seine rechte Halsbeuge und grinste einfach glücklich vor mich hin. Ich wollte ihn nicht wieder aus Versehen verletzen, aber ich hatte das dringende Bedürfnis ihm nah zu sein. Seit seinem Unfall hatte ich mich damit eher zurückgehalten. Einen kurzen Augenblick zögerte er, doch schließlich erwiderte er meine Umarmung und lehnte seinen Kopf auf meinen. Es war ein schönes Gefühl. Ja, ich war wirklich wahnsinnig glücklich. Dank ihm.
 

„Du bist heute wirklich anhänglich“ bemerkte Yusei amüsiert und löste sich aus der Umarmung. Ich wollte schon protestieren, aber im nächsten Augenblick spürte ich seine Hand an meiner Wange und seine weichen Lippen auf meinen. Ich löste mich von ihm und grinste. „Lass mich doch.“ Er schüttelte nur belustigt den Kopf und lehnte seine Stirn an meine. Das Einzige was ich in diesem Moment sah, waren seine klaren, tiefblauen Augen. Sie faszinierten mich schon seit unserem ersten Treffen. Sie strahlten so eine Wärme aus.
 

Unwillkürlich setzte ich ein Lächeln auf, gab ihm einen flüchtigen Kuss und löste mich ein Stück von ihm. Als ich an ihm vorbei sah, bemerkte ich seinen Vater in einiger Entfernung. „Schau mal“ sagte ich nur und auch Yusei wandte sich zu ihm. „Hm. Das ging schneller als gedacht“ murmelte er. Als ich sein Gesicht erkannte, war ich ehrlich überrascht. Entgegen meiner Erwartung sah er nicht traurig aus, sondern zufrieden… Irgendwie erleichtert.
 

~*~
 

„Soll ich euch nach der Feier wieder abholen?“ fragte Yuseis Vater, als wir durch ihre alte Nachbarschaft fuhren. Auch wenn ich es nicht zugeben wollte: Ich war ein klein wenig nervös, dass ich Yuseis alte Freunde kennenlernen würde. Bisher kannte ich nur Sherry und Kalin.

„Nein, schon gut, wir schlafen bei Sherry.“

„Echt?“ schaltete ich mich ein. Das Gespräch lenkte mich zumindest von meiner Nervosität ab. „Ich dachte, wir fahren wieder zu diesem Herr Kazuki.“

Yusei lachte. „Nein, sein Anwesen ist am anderen Ende der Stadt.“

„Ah, okay. Und wo schlafen Sie dann?“ fragte ich an seinen Vater gerichtet.

„Bei einem alten Freund von mir. Ich habe schon ewig nicht mehr mit ihm gesprochen. Wir haben uns sicher viel zu erzählen.“

„Goodwin?“ fragte Yusei nach.

Sein Vater nickte. „Ich hoffe nur, er lenkt das Gespräch nicht wieder auf die Azteken-Kultur. Das letzte Mal dauerte sein Monolog wie lange?“

Wieder lachte Yusei auf. „Zwei Stunden? Zumindest kam es mir so vor.“

Sein Vater schüttelte nur belustigt den Kopf. „Es ist ja schön, dass er sich so für etwas begeistern kann, aber muss er alle daran teilhaben lassen?“

„Sherry hatte doch auch mal so eine Phase, weißt du noch?“

„Stimmt“ lachte er. „Da fällt mir ein, was hast du eigentlich als Geschenk für sie?“

„Konzertkarten.“

„Oh je“ platzte es plötzlich aus mir heraus. Dass ich da nicht schon eher dran gedacht habe!

„Was ist denn los?“ Yusei musterte mich neugierig.

„Ich hab gar nichts für sie“ gestand ich kleinlaut.

Er schmunzelte. „Das ist doch nicht schlimm. Wir sagen einfach die Karten sind von uns beiden.“

Genervt von mir selbst ließ ich den Kopf hängen. Toller erster Eindruck. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ein Druck auf meiner Hand ließ mich aufsehen. Sie wurde von Yuseis umschlossen. Unwillkürlich schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen, auch wenn es mir trotzdem peinlich war, dass ich es vergessen hatte.
 

Kurze Zeit später hielt Yuseis Vater den Wagen vor einem Haus. „Dann viel Spaß“ sagte er lächelnd. „Und wenn irgendetwas sein sollte, ruf mich an, ja?“ Yusei nickte knapp und stieg aus. Ich folgte ihm und hob grinsend die Hand zum Abschied, ehe der Wagen davonfuhr. „Bereit?“ fragte Yusei. Ich sah wieder zu ihm und nickte. Mein Herz klopfte mir zwar bis zum Hals, aber ich freute mich auf den Abend. „Keine Sorge“ sagte er und schmunzelte. „Sei einfach du selbst, dann werden sie dich lieben.“ „Das war echt kitschig“ sagte ich grinsend, nahm seine Hand und lief mit ihm zum Haus. Eigentlich war meine Nervosität bescheuert. Sherry und Kalin kennenzulernen war auch kein Problem. Warum war ich jetzt also so aufgeregt? Nachdem Yusei geklingelt hatte, machte Sherry nur einen Augenblick später auf und begrüßte uns herzlich. „Ihr habt es geschafft!“ rief sie freudig aus und fiel Yusei um den Hals. Ein leises, gequältes Stöhnen ließ mich wieder zu ihm sehen. Sherry entfernte sich sofort von ihm und sah ihn verlegen an. „Oh, entschuldige. Ganz vergessen, dass du Invalide bist.“
 

„Sehr witzig“ antwortete er und ich musste kurz auflachen. Natürlich tat er mir leid, aber sein Blick war einfach zu großartig.

„Meinst du wirklich es war eine gute Idee, dass du diese komische Schlinge wieder abgenommen hast? Vielleicht hättest du sie noch dran lassen sollen“ bemerkte Sherry.

„Das Ding hat mich zwei Wochen genervt. Ich bin froh, dass es jetzt endlich weg ist.“

Sie zuckte nur mit den Schultern und wandte sich an mich. „Hey Jaden. Schön, dass du auch dabei bist. Die anderen sind schon ganz gespannt auf dich.“

Ich musste trocken schlucken und sah sie erschrocken an. Die anderen wissen schon von mir?! Ich hörte ein leises Lachen und sah wieder zur Seite. Yusei schien die Sache zu amüsieren. Das habe ich wohl verdient.
 

„Alles Gute“ sagte Yusei und reichte Sherry einen Umschlag. Vermutlich die Konzertkarten. „Danke dir!“ erwiderte sie mit einem breiten Lächeln. „Aber kommt doch endlich rein! Rally geht mir schon die ganze Zeit auf die Nerven wann du endlich aufkreuzt!“
 

Im Wohnzimmer angekommen, sah ich einige Gäste. Natürlich war Kalin dabei. Der Junge mit der langen Wuschelmähne stellte sich als Rally heraus. Er war vielleicht 15 Jahre alt und wahnsinnig glücklich Yusei wiederzusehen. Dann gab es noch einen Typen, der sicher so groß war wie Jack. Sein Name war Bruno. Ich kannte ihn von dem alten Mannschaftsfoto in Yuseis Zimmer. Genauso wie den anderen Typen, der neben ihm war. Jesse. Seinem Aussehen nach war er Europäer. Die beiden begrüßten Yusei ebenfalls und beschwerten sich gespielt, dass er so lange nicht aufgekreuzt war. Außerdem war da noch eine Gruppe von drei Mädchen. Ich hatte den Eindruck, als hätten sie in dem Moment angefangen zu tuscheln, als wir den Raum betraten. Allerdings konnte das auch an meiner Nervosität liegen. Sherry stellte sie als Mei, Akiko und Kaori vor.
 

„Du bist also Jaden.“ Ich drehte mich erschrocken zur Seite. Vor mir stand dieser Europäer und musterte mich neugierig. Wie hieß er gleich? Ach ja, Jesse. Ich kratzte mir verlegen am Hinterkopf und grinste schief. „Ja. Hey. Du warst mit Yusei zusammen in einer Mannschaft, oder?“

Er grinste breit. „Und ob! Der beste Mittelstürmer in ganz Osaka!“

„Und der Bescheidenste“ fügte Bruno lachend hinzu.

Jesse stemmte die Hände in die Hüften und grinste noch immer. „Man sollte zu seinen Talenten stehen.“

Bruno zuckte nur mit den Schultern und wandte sich an mich. „Aber ich hab gehört du bist auch nicht schlecht. Auf welcher Position spielst du denn?“

„Im Sturm“ antwortete ich perplex. Ob ihnen das alles Kalin oder Yusei erzählt haben?

„Bin schon gespannt auf die Auslosung“ sagte Jesse fröhlich. „Vielleicht treffen wir sogar im ersten Block aufeinander!“

„Später wäre mir lieber“ mischte sich Kalin ein. „Ich würde Yusei zu gern mal fertig machen.“

„Als ob du das schaffen würdest“ scherzte ich.

Rally stellte sich direkt vor Kalin. „Er hat recht! Yusei ist besser als du. Hab ich nicht recht?“ fragte er an Yusei gewandt. Dieser hob nur abwehrend eine Hand. „Das kommt doch nicht nur auf einen einzelnen Spieler an. Wir werden ja sehen wie die Aufstellung wird. Könnten wir das Thema nicht einfach beenden?“

„Endlich mal ein guter Vorschlag“ hörte ich eine belustigte Stimme. Ich sah wieder zur Seite. Eines der Mädchen stand neben mir. Kaori, glaube ich. „Bruno, hilfst du mir kurz? Ich bekomme die Karaokeanlage nicht richtig angeschlossen. Es kommt einfach kein Ton.“ Der große Typ nickte zustimmend und folgte ihr.
 

Eine ganze Weile unterhielt ich mich mit den anderen. Die Stimmung war wirklich toll. Meine Nervosität war komplett verflogen. Wieso habe ich mir eigentlich so einen Kopf gemacht? „Ich versteh das einfach nicht!“ hörte ich plötzlich Brunos Stimme und sah zu ihm. Er und Kaori waren immer noch mit der Anlage beschäftigt. Yusei stand auf und lief zu den beiden um ihnen zu helfen. Er kniete sich hin und sah sich die Kabel an. „Seit wann braucht man drei Leute um eine Anlage anzustöpseln?“ lachte Jesse. Yusei hielt Bruno ein Kabel vor die Nase. Jetzt war ich doch neugierig und ging auf sie zu. „Was ist denn los?“ fragte ich. Yusei sah mich an. „Da steckt irgendwas in der Buchse. Der Anschluss vom Kabel ist verklebt. Ich vermute mal deshalb kommt kein Ton raus.“ Dann wandte er sich an Sherry. „Hast du noch ein anderes VGA-Kabel?“ Als Antwort bekam er nur einen verwirrten Blick.

„Ich müsste noch eins haben“ schaltete Kalin sich ein. „Aber ich hab meinen Schlüssel vergessen und meine Eltern sind nicht da.“ Plötzlich grinste er.

Yusei seufzte. „Nicht schon wieder.“

„Ach, komm schon! Bei dir geht das viel schneller! Und die anderen wohnen zu weit weg, als dass sie nur wegen nem Kabel nach Hause fahren.“

„Was hast du denn genau vor?“ fragte ich verwirrt.

Yusei sah etwas genervt aus. „Ich soll ihm die Wohnung aufsperren.“

„Wie denn ohne Schlüssel?“

Kalin sah mich an. „Die Türen in meinem Wohnblock lassen sich recht leicht knacken, wenn man nicht zuschließt. Aber ich brauch dafür ewig. Yusei ist schneller.“

Wieder sah ich fragend zu Yusei. Wieso weiß er wie man Schlösser knackt? Er schmunzelte. „Ich brauche vielleicht 20 Minuten, dann sind wir wieder da. Willst du mitkommen, oder bei den anderen bleiben?“

Ehe ich antworten konnte, legte Sherry plötzlich ihren Arm über meine Schulter und zog mich mit etwas zu viel Schwung an ihre Seite. „Ach, geht ihr nur allein. Ich würde mich gern mit ihm unterhalten.“

„Was?“ fragte ich verwirrt. Das kann sie doch auch, wenn Yusei dabei ist.

Sie grinste mich nur an. „Sieh es als Geburtstagsgeschenk.“

Irgendwie machte mich ihr Blick wieder nervös. Ablehnen konnte ich nicht. Hilfe…
 

Kurz darauf waren Kalin und Yusei verschwunden und ich hielt mich zum größten Teil an Jesse, um mich vor dem Gespräch mit Sherry zu retten. Allerdings wurde er nach einiger Zeit von Bruno beschlagnahmt und ich spürte eine Berührung auf meiner Schulter. Ich drehte mich um und sah Sherry, die ein zuckersüßes Lächeln aufgelegt hatte. Den Blick kannte ich von meiner Schwester. Das bedeutete nie etwas Gutes für mich. „Ich hol mir schnell was zu trinken!“ sagte ich um mich schleunigst aus der Affäre zu ziehen und schnappte mir mein leeres Glas. Ob Yusei bald wieder da ist? Wie lange dauert das denn ein Kabel zu holen? Kurz vor der Küche hörte ich Stimmen. Zwei Freundinnen von Sherry unterhielten sich wohl. „Traust du das Yusei wirklich zu?“ Da wurde ich hellhörig und blieb stehen. Lauschen war vielleicht nicht die feine Art, aber ich konnte nicht anders. Ich stand mit dem Rücken zur Wand, gleich neben der offenen Tür. Die andere Stimme antwortete ihr. „Jetzt mal ehrlich: Glaubst du ernsthaft, dass Yusei von heute auf morgen auf Typen steht? Entweder hat er Sherry jahrelang was vorgemacht, oder die ganze Sache mit dem Jungen ist nur eine Phase. Anders kann ich mir das Ganze nicht vorstellen.“ Mein Herz sackte eine Etage tiefer. Das Glas rutschte aus meiner Hand, doch ich konnte es noch vor dem Aufprall auffangen. Was hat sie gesagt? Wie kommt sie darauf?

„Ich weiß ja nicht. Yusei ist eigentlich niemand, der anderen etwas vormacht. Er und Sherry waren doch ganz glücklich.“

„Sag ich doch! Glaub mir, wenn sich bei ihm der ganze Stress gelegt hat, wird er Jaden wieder in den Wind schießen. Naja, auf seine überkorrekt nette Art. Du weißt schon, was ich meine. Jedenfalls kann man doch nicht eine jahrelange Beziehung so gut vortäuschen, wenn man schwul ist. Meinst du nicht? Oder sehe ich da was falsch?“

Ich stand da wie erstarrt. Nein. Nein, das kann nicht sein. Yusei macht mir nichts vor, da bin ich mir sicher. Das ist doch absurd! Ich war schon kurz davor einfach in das Gespräch reinzuplatzen, doch sie sprachen weiter.

„Aber er wirkt doch gerade ganz glücklich.“

„Dass er im Moment glücklich ist, glaube ich ihm. Nur nicht, dass das wirklich halten wird. Ich sag dir: Spätestens, wenn er sein Studium beginnt, ist die ganze Sache vorbei und er ist wieder der Alte. Ich meine, wann hat eine Fernbeziehung je gehalten? Er findet auf der Uni sicher eine Freundin und wird wieder normal.“

Normal. Dieses Wort versetzte mir einen tiefen Stich. Was an der ganzen Sache soll denn nicht normal sein? Ich? Yusei?

„Vermutlich. Aber, mein Gott, ich bin so neidisch! Ich würde auch gern nach Tokio und dort studieren!“

Ein Lachen hallte durch die Küche. „Ernsthaft? Mir ist Osaka schon zu voll. Ich würde ja lieber nach Kyoto. Na komm, wir sollten wieder zurück zu den anderen.“
 

Schritte. Ohne über mein Handeln nachzudenken, lief ich weg, ehe sie mich sehen konnten. Ich war wieder bei den anderen. „Alles okay?“ fragte Sherry und musterte mich. „Ich dachte, du wolltest dir was zu trinken holen.“ Ich starrte kurz auf das leere Glas in meiner Hand. Im Augenwinkel sah ich die beiden Mädchen, die sich eben unterhalten hatten und ich dachte wieder an das Gespräch. Mein Magen verkrampfte sich. „J-Ja, klar. Ich, ähm, mir ist nur ganz schön warm. Ich geh schnell frische Luft schnappen!“ Sie sah mir noch verdutzt nach, ehe ich verschwand und kurz darauf in dem kleinen Garten war. Aber ich konnte nicht dortbleiben. Das hätte ich nicht hören sollen. Oder war es gut so? Ich wusste nicht wie ich mich verhalten sollte. Ich wusste nicht wie ich über das Gespräch denken sollte! Ehrlich gesagt, wusste ich überhaupt nichts mehr.
 

* Die Sicht von Yusei *
 

„Hast du dieses Mal wenigstens den Schlüssel mitgenommen?“ fragte ich, während ich mit Kalin wieder auf dem Rückweg war. Er grinste und klimperte mit dem Schlüssel herum. „Ich kenne wirklich niemanden, der seinen Schlüssel öfter vergisst, als dich“ bemerkte ich.

„Jetzt sei nicht so griesgrämig“ lachte er. „Ist doch alles gut gegangen.“

„Wie machst du das eigentlich, wenn ich nicht da bin?“

„Eigentlich hat Sherry nen Ersatzschlüssel, aber… naja…“

„Du hast ihn gebraucht und zuhause vergessen“ schlussfolgerte ich.

Er kratzte sich verlegen den Hinterkopf. „Hundert Punkte. Deswegen hab ich jetzt beide mitgenommen. Ich hab keine Lust eine Stunde an dem Schloss rumzuwerkeln.“

Das entlockte mir doch ein Lachen. „Dann nimm deinen verdammten Schlüssel mit!“
 

Wieder bei den anderen angekommen, gab ich Bruno das Kabel und die Anlage war kurz darauf endlich angeschlossen. Ich sah mich um. „Wo ist Jaden?“ fragte ich an Sherry gerichtet.

„Hm? Der wollte vor ein paar Minuten frische Luft schnappen und ist in den Garten gegangen.“

„Ich seh mal nach ihm“ sagte ich im Gehen, doch Sherry widmete sich wieder den anderen.
 

Im Garten musste ich meine Augen erst an die Dunkelheit gewöhnen. Einzig das Licht hinter den Fenstern spendete ein wenig Helligkeit und warf einen dumpfen Schein auf eine Gestalt im Garten. „Jaden?“ rief ich in die Dunkelheit. Er drehte sich kurz zu mir, wandte sich dann aber wieder ab. „Was ist denn los?“ fragte ich, während ich näher auf ihn zuging. „Keine Sorge“ hörte ich seine leise Stimme. „Bist du sicher?“ Ich streckte meinen Arm nach ihm aus, doch er wich meiner Berührung aus. Irgendetwas stimmte nicht. Er sah mich nicht einmal an. „Ja, schon gut“ antwortete er schließlich. „Ich bin nur müde, das ist alles.“ Ich stutzte. Ob er wirklich nur müde ist? Aber warum sollte er mich anlügen? „Sollen wir lieber wieder gehen? Ich kann meinen Vater anrufen. Goodwin hat sicher nichts dagegen, wenn wir heute Nacht auch bei ihm schlafen.“
 

„Nein!“ erwiderte er schnell. Überrascht musterte ich ihn. Er wich meinem Blick noch immer aus. „Ist schon gut. Geh lieber wieder zu deinen Freunden. Du hast dich doch gefreut sie wiederzusehen.“ Endlich sah er mich an und lächelte müde. „Ist okay. Ich komme später nach.“ Eine kleine Weile stand ich einfach nur da und versuchte schlau aus der Situation zu werden. Er wollte allein sein. Ich war mir nur nicht sicher, ob ich ihn wirklich allein lassen sollte. Er wandte sich wieder von mir ab und sah in den wolkenverhangenen Himmel. Ich folgte seinem Blick. An einer Stelle riss er auf, und legte den Anblick auf einige Sterne frei.
 

„Findest du Sherry attraktiv?“ fragte er plötzlich, betrachtete aber weiter den Himmel. Ich sah ihn völlig verwirrt an. Wie kommt er denn jetzt darauf?

„Ähm… Ja“ antwortete ich zögerlich. „Sonst wäre ich nicht mit ihr zusammen gewesen.“

„Und du hast sie geliebt“ murmelte er. Ich verstand den Zusammenhang noch immer nicht.

„Jaden, was ist los?“ fragte ich und kam ihm näher. Er wich jedoch zurück und ich stoppte in meiner Bewegung. Irgendwas musste doch in meiner Abwesenheit passiert sein. Nur was? Aus traurigen Augen sah er mich an. „Warum bist du dann mit mir zusammen?“

„Was?“

„Ich bin keine Frau. Warum bist du mit mir zusammen? Vorher warst du doch auch nicht…“ Er brach ab und mied meinen Blick.

Völlig verwirrt schüttelte ich meinen Kopf. „Jaden, wie kommst du darauf?“

„Ist doch egal.“

„Nein, ist es nicht“ sagte ich ernst und er sah endlich wieder zu mir. „Also. Wie kommst du plötzlich darauf?“
 

Schweigend musterte er mich. Schließlich seufzte er und gab mir endlich seine Antwort. „Ich habe ein Gespräch aufgeschnappt. Zwei deiner Freunde haben sich gewundert, warum du mit mir zusammen bist. Sie meinten es wäre unmöglich, dass du nach so kurzer Zeit plötzlich auf einen Kerl stehst. Dass du glücklich mit Sherry warst, und du sie geliebt hast. Dass du eine ziemlich schwere Zeit hattest. Und… Dass das mit mir vermutlich nur eine Phase ist.“ Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Warum ist es so verwunderlich, dass ich mich verliebt habe? Dann ist Jaden eben keine Frau. Na und? Doch ich wollte ihn nicht unterbrechen. „Ich glaube dir, dass du etwas für mich empfindest, und du nicht mit mir spielst. Aber… Vielleicht haben sie recht. Du machst zurzeit einiges durch. Vielleicht…“
 

„Jaden!“ unterbrach ich ihn schließlich doch. Überrascht sah er auf. Ich wollte nicht, dass er diesen Gedanken zu Ende spinnt. Das war absurd! „Was tut es zur Sache, dass du ein Mann bist?“ Er sah mich noch immer perplex an. „Du hast doch vorher auch nicht auf Kerle gestanden“ murmelte er. Ich seufzte lautlos. „Ich gebe zu, ich habe eine Zeit lang gebraucht, ehe ich verstanden habe, dass ich in dich verliebt bin. Diese Gefühle für einen anderen Mann waren neu für mich. Aber deswegen sind sie nicht weniger echt. Ich liebe dich.“
 

Für einen Moment, sah er genauso überrascht aus wie ich. Ich liebe dich. Diese Worte hatte ich bisher nie verwendet. Genauso wenig wie Jaden. Aber es fühlte sich richtig an, es auszusprechen. Diese Worte kamen nicht aus einem Affekt heraus, das wurde mir in diesem Moment wirklich bewusst. „Ich liebe dich, Jaden. Das mit dir ist keine Phase. Ich habe mich doch nicht in dich verliebt, weil ich eine schwere Zeit hatte und du für mich da warst. Ich habe mich verliebt, obwohl all diese Dinge um mich herum passiert sind, verstehst du? Und es tut nichts zur Sache, dass du ein Mann bist. Ich liebe dich, weil du eben du bist. Du bist freundlich, fröhlich, immer für die Menschen da, die dir am Herzen liegen. Hin und wieder bist du ziemlich tollpatschig, aber all das macht dich aus. Ich liebe jede deiner Eigenschaften. Dabei ist es mir herzlich egal, ob du eine Frau oder ein Mann bist. Bitte glaub mir.“
 

Er sagte nichts. Sah mich nur überrascht an. Langsam wurde ich nervös. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals so offen über meine Gefühle gesprochen hatte. Aber ich meinte jedes Wort ernst und wollte, dass Jaden mich verstand. Er sollte wissen, was ich für ihn fühlte. „Du…“ sagte er plötzlich leise und musterte mich noch immer überrascht und verwirrt zugleich. „Aber… Ich…“ Langsam ging ich auf ihn zu, überwand die letzte Distanz zwischen uns und schloss ihn in meine Arme. Endlich ließ er es zu, und wich mir nicht mehr aus. „Ich liebe dich“ flüsterte ich erneut.
 

Zögerlich legte er seine Arme um mich und vergrub sein Gesicht an meiner Schulter. Suchte mit den Händen Halt in meiner Kleidung und begann leise zu schluchzen. Warum weint er jetzt? Hatte ich doch etwas Falsches gesagt? Ich wusste nicht, wie lange wir im Garten standen, und ich versuchte ihn zu beruhigen. Schließlich löste er sich ein Stück von mir und wischte sich mit dem Ärmel seiner Jacke die Tränen aus dem Gesicht. Als er wieder aufsah, lächelte er. „Ich liebe dich auch“ sagte er mit belegter Stimme. Mein Herz hämmerte in einem wilden Tempo gegen meine Rippen. Ich lächelte glücklich, legte ihm eine Hand auf die Wange, strich die letzte Träne weg und gab ihm einen sanften Kuss.
 

Als wir unseren Kuss lösten, sah ich ihm eine kleine Weile einfach nur in die Augen. Ich war über alle Maße glücklich. Hinter uns hörte ich leise die schiefen Gesänge meiner Freunde, die anscheinend die Karaokeanlage angeworfen hatten. Wir sahen uns kurz an und begannen zu lachen. „Okay“ sagte er schließlich und grinste. „Gehen wir wieder zu den anderen.“ Schmunzelnd nickte ich, nahm seine Hand und ging gemeinsam mit ihm in Richtung Haus. „Singst du auch was?“ fragte er fröhlich. Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen und sah ihn an. „Tut mir leid, aber um keinen Preis der Welt singe ich Karaoke. Da höre ich mir lieber die schiefen Stimmen der anderen an.“ „Spielverderber“ lachte er als wir im Haus angekommen waren. Schließlich verbrachten wir noch einen wirklich lustigen Abend.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Yumi_Kira_Ichimaru
2021-08-01T13:13:25+00:00 01.08.2021 15:13
das ist wirklich fies von den Freunden so was zu sagen =(
das es Jaden so trifft kann ich verstehen...gut das Yusei es ihm sofort ausreden konnte ♡
Die beiden gehören einfach zusammen ^-^
Hab mich sehr über den Auftritt von Jesse gefreut, er ist ein Sweety ♡

Ein schönes Kapitel mit Höhen und Tiefen *-*
Antwort von:  stardustrose
01.08.2021 16:57
Ja, ich habe mich auch wahnsinnig schlecht bei dem Wort "normal" gefühlt 😅 tat mir richtig weh das zu schreiben.
Jesse und Bruno wollte ich auch unbedingt einen kleinen Auftritt verschaffen^^ normalerweise werden yusei x Bruno und Jesse x Jaden geshipped. Und das sind ja auch großartige Charaktere 🥰
Schön dass es dir gefällt^^


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