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Blurred

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Mir ist durch Traumfaengero_- aufgefallen, dass es ein paar sehr gravierende Lücken gibt.
Ich versuche jetzt mit diesem nachträglichen Zwischenkapitel etwas Licht ins Dunkle zu bringen und hoffe, dass sie das jetzt nicht mit anderen Dingen in späteren Kapitel beißt. Das wieder um kontrolliere ich dann erst morgen bzw. nach dem Schlafen gehen.

Ich danke fürs Lesen :) ♥ Komplett anzeigen

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Prolog

Nachdem Seto Kaiba einen seiner Termine erfolgreich beendet hatte, verließ er mit einem - für seine Verhältnisse - zufriedenen Gesichtsausdruck das Bürogebäude der Harrisson Ltd. und stieg in sein Auto, welches auf dem Firmenparkplatz auf ihn wartete.

Sein Chauffeur Roland war heute mit Mokuba beschäftigt, der einmal quer durch die Stadt gefahren werden wollte.

Immerhin waren Sommerferien und der kleine Knirps hatte allerlei Dinge vor. Nach den letzten stressigen Tagen und Wochen wollte er heute allerdings nur ein Eis essen gehen und eine Runde über die Kirmes in der Innenstadt drehen.

Also hatte sich Seto kurzerhand in sein eigenes Auto gesetzt und war zu seinem Termin gefahren.

Normalerweise ließ er seine Geschäftspartner und Kunden immer zu sich kommen, doch bei dem Harrisson Spross nahm er das nicht so ernst.

Jacob Harrisson war in Setos Alter und nicht gut zu Fuß, wegen eines Unfalls in seiner Kindheit.

Und weil die Harrissons genug zahlten, fuhr er eben dort hin um neue Geschäfte abzuschließen.

Bevor der CEO losfuhr, führte er noch ein kurzes Telefongespräch mit seiner Sekretärin Makoto, die ihm ein paar verpasste Anrufe übermittelte und mit ihm geeignete Rückruftermine vereinbarte.

»Ich bin in circa zwanzig Minuten im Büro, bis dahin will ich alle Notizen und Rufnummern auf meinem Schreibtisch haben!«, sagte der junge Firmenchef mit Nachdruck in der Stimme und legte dann einfach auf.

Er schmiss sein Handy auf den Beifahrersitz und startete anschließend den Wagen.
 

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Mokuba saß mit Roland gerade in einem Café und löffelte einen Eisbecher, als Rolands Telefon klingelte.

»Guten Tag Mister Yoshikawa, hier ist Doktor Med. Fushioka aus dem Domino Sakura Hospital. Mister Seto Kaiba gab Sie in seinen Unterlagen als Notfallkontakt an, ist das korrekt?«

»Jawohl«, antwortete Setos Mädchen-für-alles besorgt und setzte sich sofort aufrecht in seinen Stuhl. »Ist Mister Kaiba etwas zugestoßen?«

Sofort wurde auch Mokuba Hellhörig. Das Eis war vergessen und zählen tat nur noch, was Roland da am Telefon besprach.

»Mister Kaiba war im einen Autounfall verwickelt und ist schwer verletzt. Haben Sie die Telefonnummer von einem Angehörigen, Mutter, Vater oder Vormund, damit wir diese benachrichtigen können. Wir brauchen ein paar Unterschriften!«

»Ich bin sein gesetzlicher Vormund. Der einzige Angehörige der noch am Leben ist, ist sein kleiner Bruder!«, antwortete Roland mit größer werdender Besorgnis in der Stimme.

Mokuba begann mit großen Augen an dessen Hemdärmel zu zupfen.

»Was ist mit meinem Bruder?«, verlangte er zu wissen. »Was ist mit Seto?«

Roland schüttelte ihn jedoch ab, ohne ihm eine Antwort zu geben, weil er sich vorrangig auf das konzentrieren wollte, was der Arzt sagte.

»Wenn das so ist, bitte ich Sie höflichst, so schnell wie möglich ins Krankenhaus zu kommen. Melden Sie sich einfach in der Notaufnahme an, eine Schwester bringt Sie dann zu mir.«

»Okay, wir fahren sofort los!«, antwortete Roland hektisch und legte dann einfach auf.

Mokuba blickte ihn noch immer mit großen Augen an.

»Iss schnell dein Eis auf, wir müssen los. Ich erkläre dir alles unterwegs!«

»Das will ich jetzt nicht mehr!«, antwortete der kleine Schwarzhaarige angewidert und schob den Becher von sich weg.

»Dann komm jetzt«, sagte Roland und stand auf.

Er legte ausreichend Geld auf den Tisch und suchte dann eilig mit Mokuba den Wagen der Kaiba Corp. auf.
 

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»Was?«, echote der Blonde Duellant und hätte vor Schock beinahe die Dose Limo fallen gelassen.

»Mein Bruder war in einen Autounfall verwickelt!«, wiederholte sein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung. »Ihr müsst unbedingt herkommen!«

Joey war sich nicht mal sicher wie Mokuba überhaupt an seine Nummer gekommen war, aber für ihn stand fest, dass er definitiv nicht ins Krankenhaus fahren würde. So böse das auch klingen mochte, aber seiner Meinung nach hatte Kaiba niemanden verdient der an seinem Krankenbett wachte und darauf hoffte, er würde wieder aufstehen. Es gab Tage da war die Welt ohne ihn besser dran!

»Kennst du niemand anderen der dir Gesellschaft leiste kann?«

»Bitte Joey. Wir haben niemanden außer euch!«

Verdammt, dachte der Blonde und verzog das Gesicht. Kaiba hatte wirklich niemanden verdient der an seinem Bett wachte, Mokuba allerdings schon. Denn der Kleine war noch nie unfreundlich, gehässig oder gemein zu Joey und seinen Freunden gewesen. Und er war erst zwölf, verdammt nochmal!

»Na gut«, gab Joey schließlich nach, »Ich komme, aber nur für eine Stunde, allerhöchstens zwei!«

»Danke«, schniefte der Schwarzhaarige und kappte dann die Leitung.

»Warum muss ich eigentlich immer so schrecklich nett zu allen anderen sein?«, murmelte Joey leise vor sich hin und ging zu seinen Freunden zurück.

Es sind Sommerferien und die Sonne schien das zu wissen, beehrte die doch heute ganz Domino mit ihrem Licht und ihrer Wärme. Da war es nicht verwunderlich das es viele Menschen, Junge und Alte, heute in den Park verschlagen hatte, wo sich das gute Wetter am besten auskosten ließ.

Joey und seine Freunde Tristan, Duke, Tea, Yugi und Ryou hatten sich ein schattiges Plätzchen gesucht, es sich auf einer Decke gemütlich gemacht und schlugen so die Zeit tot. Für Joey nahm das jetzt allerdings ein jähes Ende.

»Ich muss los«, verkündete er, als er vor seinen Freunden zum stehen kam. »Mein Dad braucht mich!«

Yugi, ein bunthaariger Junge, mit Igelhaarschnitt musterte seinen besten Freund argwöhnisch. Es war kein Geheimnis unter den Freunden, dass es Tage gab, an denen sich Joey und sein Dad nicht so super gut verstanden.

Der Blonde setzte daher ein breites Lächeln auf, was seine Freunde ihm abzukaufen schienen.

»Fahr vorsichtig!«, sagte Tristan und nickte in die Richtung von Joeys altem Drahtesel, der so aussah als würde er bei der nächsten Berührung auseinanderfallen.

»Mhmm«, machte Joey abwesend, »Wir sehen uns morgen!«

Alle anderen Anwesenden nickten, Joey schwang sich auf sein Fahrrad und fuhr davon.

Da das Krankenhaus am anderen Ende der Stadt war, würde er wohl oder übel Geld in eine Fahrkarte investieren müssen. So sportlich war er nämlich noch lange nicht.

Das Geld dafür konnte er dem egoistischen Firmenboss jedoch in Rechnung stellen. Mal sehen wie ein Seto Kaiba darauf reagieren würde.
 

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»Mokuba, wir wissen alle das Sie Mister Kaiba engster Vertrauter sind, aber Sie können die Firma nicht leiten. Da macht uns das Jugendamt einen Strich durch die Rechnung!«

Setos kleiner Bruder seufzte entnervt.

Er und Setos Rechtsbeistand hatten sich im Krankenhaus einen ruhigen Raum gesucht, um sich über den Verbleib der Kaiba Corp. Gedanken zu machen. Denn bislang war noch nicht klar wann und ob Seto jemals wieder aufwacht. Und sollte das nicht so sein, mussten alle Firmenangelegenheiten schleunigst geklärt werden.

»Ich kannte ihren Bruder nicht so gut wie Sie. Hat er vielleicht eine Freundin, eine Verlobte oder vielleicht sogar eine Frau? Das würde die ganze Sache ziemlich vereinfachen.«

»In wie fern?«, hakte Mokuba noch einmal nach, schmiedete in seinem Kopf allerdings bereits einen anderen Plan.

»Nun ja«, fing der Firmenbeistand erneut an, »wenn es da jemanden in Mister Kaibas Leben gibt, dem sie auch vertrauen, kann diese Person als vorläufiger Geschäftsführer die Firma übernehmen. Sie können dann alles Wichtige aus dem Hintergrund regeln. Damit wären wir das Jugendamt und die gierigen Firmenhaie los und die Kaiba Corp. hat erst mal einen sicheren Anker!«

»Okay«, entgegnete der Grauäugige daraufhin. »Welche Position würde uns den größten Vorteil einspielen?«

»Sie meinen?«, erwiderte Mister Johnson verwirrt.

»Was gibt der Kaiba Corp. den Größten Push? Ein Freund, ein Verlobter oder ein Ehemann?«

Kapitel 0.5

Im Krankenhaus wurde ich nicht nur von Mokuba, sondern auch von einem älteren Mann in Anzug begrüßt.

Der kleine Knirps hatte ein ganz verheultes Gesicht und schien etwas zu suchen, dass ihm Halt geben würde. Er wirkte im hektischen Treiben der Notaufnahme ganz verloren.
 

Der Mann im schwarzen Anzug stellte sich mir als Mister Johnson - Anwalt und Berater der Kaiba Corp. - vor und verlangte von mir das ich ihm folgen sollte.
 

Gemeinsam mit Mokuba verschwanden wir in einem kleinen, fensterlosen Personalraum der Krankenschwestern und nahmen am kreisrunden Tisch platz, als wären wir kurz davor einen wichtigen Vertrag abzuschließen.

Ich fragte mich, was dieses ganze Theater sollte. Immerhin war ich nur hergekommen, um Mokuba beizustehen und ihn zu trösten.
 

,,Mister Wheeler, der junge Mister Kaiba hat Sie ja bereits darüber informiert, dass Seto Kaiba im Moment und vermutlich auch für einen längeren Zeitraum nicht ... Nun ja ... Ansprechbar sein wird. Der frühere Vormund von Mister Kaiba wurde bereits vom Jugendamt angerufen und nach einer Person gefragt, die für diesen Zeitraum das Sorgerecht für den jungen Mister Kaiba übernimmt. Sie müssen wissen, dass der Fall Kaiba auf dem örtlichen Jugendamt eine große Aufmerksamkeit genießt und den Beamten dort immer präsent ist. Leider ist der Unfall bereits zur Presse gelangt, deswegen haben wir auch schon die Börsenaufsicht an der Strippe. Ich kann mich leider nicht um beides kümmern und vor allem auf die Schnelle niemanden finden, der als Vormund für Mokuba einspringt. Und dann hatte der junge Mister Kaiba ein brillante Idee, die uns eventuell beide Probleme eine Weile vom Hals hält und uns ein wenig Zeit verschafft!"
 

Mir gefiel der Ton, den dieser Mister Johnson anschlug überhaupt nicht. Und den Blick mit dem er mich bedachte war auch nicht viel besser.

Er räusperte sich, nahm aus seiner Aktentasche ein paar Dokumente und drapierte sie ordentlich vor sich auf dem Tisch. Ich beäugte das ganze nur kritisch und versuchte meinen grummelnden Bauch zu verdrängen. Ich hatte ein ganz ungutes Gefühl bei der Sache, ein ganz ganz ungutes!
 

,,Der junge Mister Kaiba hat vorgeschlagen, dass wir Sie als den Verlobten von Seto Kaiba eine Weile die Firma leiten lassen und natürlich auch die vorübergehende Vormundschaft Ihnen übertragen. So hätten wir immer noch die volle Entscheidungsgewalt über alles und es würde sich nichts ändern. Das verschafft uns eine Menge Zeit, damit wir - für den Fall der Fälle - entsprechende langfristige Lösungen finden können!"
 

Die Worte von dem alten Sack erreichten mein Gehirn nur Silbe für Silbe, deswegen dauerte es eine ganze Weile bis ich verstand, was man da gerade von mir verlangte, aber so viel kann ich dazu sagen: WER HATTE DENEN BITTE INS GEHIRN GESCHISSEN?!
 

Ich sprang vom Stuhl auf.
 

,,Das können Sie gleich vergessen! Wie stellen Sie sich das überhaupt vor? Ich bin ein pubertierender 16-jähriger, der weder weiß wie man eine 1 Milliarden Yen schwere Firma leitet, geschweige denn was von Kindererziehung weiß! Was soll ich denn ihrer Meinung nach tun? Mich vor die gaffenden Journalisten stellen, weinen und sagen wie unendlich traurig ich bin, damit Sie hinter meinem Rücken die Fäden ziehen können?"
 

Mister Johnson nickte langsam und betont. ,,Genau das wollen wir uns durch Sie ermöglichen."
 

,,Vergessen Sie das gleich wieder! Und außerdem, wie denken Sie wird das Jugendamt wohl reagieren, wenn Sie mich als Vormund präsentieren? Die werden Sie auslachen und sie fragen, wen sie eigentlich verarschen wollen! Und überhaupt: Warum zieht ihr mich in die Sache überhaupt mit hinein? Warum könnt ihr für Mokubas Bespaßung nicht einfach den früheren Vormund von Kaiba nehmen und dem auch gleich die Firma übertragen? Warum sollte ich das tun? Ich hasse Kaiba - vielleicht ist die Welt ja ein besserer Ort wenn er nicht mehr da ist!"
 

Ich bereute meine Worte gleich nach dem ich sie gesagt hatte, vor allem nachdem ich Mokubas geschocktes Gesicht gesehen hatte.

Doch ich wollte mich auch nicht versuchen 'raus zureden, denn das war nun mal mein Standpunkt!
 

Mister Johnson schien von meinen Worten wenig beeindruckt. Ganz der knallharte Geschäftsmann, selbst in solchen Situationen!
 

,,Es tut mir Leid Joey, dass ich dich gefragt habe! Nur wusste ich nicht, wen ich sonst hätte anrufen sollen. Wir haben nur euch und du bist aus der Gruppe der Erwachsenste. Ich dachte, wenn das alles glaubhaft rüberkommen soll, dann brauchen wir dich!"

Die großen kindich, glasigen, verheulten Augen zu der weinerlichen, verzweifelten Stimme.

Ach verdammt, der Kleine würde irgendwann mal ein noch bessere Firmenhai sein, als sein großer Bruder! Der gestiefelte Kater aus Schreck ist ein Scheißdreck gegen den kleinen Zottel-Zwerg!
 

,,Na gut", gab ich seufzend nach und streckte die Hand nach den Papieren von Mister Johnson aus, ,,was muss ich machen?"
 

Erstmal in anderthalb begeisterte Gesichter starren. Das linke halbe Gesicht von Mister Johnson versuchte noch die Freude und Erleichterung zu verbergen.
 

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Ich war es gewohnt, dass mein Vater und ich Besuch vom Jugendamt bekommen. Aber ich war noch nie auf der Behörde selbst gewesen.
 

Seit einer Woche mimte ich jetzt schon den trauernden Verlobten, konnte aber bisher erfolgreich vor der Presse versteckt werden.

Die Börsenaufsicht hatte sich seit dieser Meldung nicht mehr mit uns in Verbindung gesetzt, weil Johnson plötzlich ein "Testament" von Kaiba hervorbrachte, was besagte, dass die Firma in seinem Todesfall automatisch an mich übergehen würde.

Ich hoffte, die Dokumentenfälschung würde nicht nachträglich doch noch ans Tageslicht kommen, dann würde man mich mit Sicherheit auch gleich mit einsperren!
 

Das Jugendamt hatte sich zu erst mit Mister Johnson auseinandergesetzt, der den Beamten die Lage so vortrefflich beschrieb, dass man uns die ganze Sache abkaufte. Aber nur insoweit, dass man mich unter ständiger Kontrolle behalten würde. Was an sich nicht schwer war, denn ich machte in der Regel keinen Ärger und Mokuba hatte in der Kaiba-Villa genug Personal das sich um seine persönlichen Belange kümmerte.
 

Ich hatte die erste Hälfte der letzten Woche mit einem Wirtschafts-Crashkurs und einem Kaiba-Corp.--crashkurs verbracht, wovon ich nur die Hälfte behalten hatte und sowieso zu wenig verstand, als das ich davon jetzt noch etwas wiedergeben könnte.
 

Am Mittwoch hatte man mich zu einem Herrenausstatter geschleppt und mir ein paar maßgeschneiderte Anzüge gekauft, die ich erstens potthässlich fand und zweitens für dem Sommer einfach ungeeignet waren.

Deswegen zog ich das Jackett auch immer sofort aus, sobald ich mein Büro in der Kaiba Corp. betrat, wo ich mich am Donnerstag, Freitag und Samstag aufgehalten hatte.

Den Sonntag ließ man mich in Ruhe, allerdings mit der Hausaufgabe mich im Geschäfts-Jargon zu üben. Keine besonders schwere Aufgabe, immerhin kannte ich die meisten üblichen Wörter schon: Geld, Erpressung, verschwundene Menschen, neuer Inhaber, Androhung von Gewalt - Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Kaiba in anderen Kreisen verkehrte.
 

Heute hatten wir Montag, Woche zwei. Besuch bei Miss Sakura - zuständige Sachbearbeiterin für das Viertel in dem die Kaibas lebten. Außerdem war sie an der Urteilsfällung, die damals dazu geführt hatte, dass man Kaiba das Sorgerecht übertrug, mitbeteiligt. Sie war also bestens im Bilde!
 

Ihr Büro war ziemlich groß und lichtdurchflutete. Sie hatte es zweifelsfrei selbst eingerichtet, was davon zeugte das sie in dieser Behörde mehr zu sagen hatte, als andere.
 

Im Gegensatz zu meiner Sachbearbeiterin war Miss Sakura viel imposanter gekleidet. Mit dem beigen Kostüm und der weißen Bluse könnte man Sie eher für eine von Kaibas Sekretärinnen halten ... Obwohl, nein. Deren Uniform war ja eisblau.

Meine Sachbearbeiterin trug meistens ausgefranste T-Shirts und Hemden aus den Neunzigern. Sie sah generell immer aus, als wäre Sie irgendwie in der Zeit stecken geblieben.

Miss Sakura hingegen - nun ja ... Wenn ich sie mir so ansah, schien es mir so, als würde sie mehr Zeit in ihre Klamotten investieren, als in ihre Schützlinge. Was aber auch dem Umstand geschuldet sein konnte, dass sie vielleicht kaum einen Schützling hatte. Immerhin konnte man jetzt nicht sagen, dass viele Problemkinder aus Reichensiedlungen kommen!
 

,,Mister Wheeler, Mister Johnson; nehmen Sie doch bitte Platz!", bat sie uns und zeigte auf die beiden Stühle vor ihrem Schreibtisch.
 

Sie hatte die Akte bereits offen auf ihrem Tisch zu liegen und ich schluckte, als ich daneben meine eigene liegen sah. Hoffentlich würde sie da erst einen Blick hinein werfen, wenn wir schon wieder weg sind.
 

,,Erst einmal mein aufrichtiges Beileid. Geht es Mister Kaiba denn bereits besser?"
 

Was wie Beileid klingen sollte, hörte sich eher nach einer fauchenden Katze an.
 

Ich nickte anerkennend, so wie man mir das die letzte Woche über eingetrichtert hatte und Mister Johnson übernahm das Sprechen.
 

,,Mister Kaiba befindet sich nach wie vor in einem schlechten, kritischen Zustand. Es hat bisher noch keine Veränderung stattgefunden!", antwortete Mister Johnson sachlich.
 

,,Dann wird es seinem kleinen Bruder bestimmt ähnlich schlecht gehen. Der Arme!"
 

Die beiden würden als Paar sicherlich gut funktionieren!

Keine kitschigen Liebeserklärungen, keine romantischen Abende zu zweit und einmal in der Woche Sex um noch zur Norm dazuzugehören. Man muss ja immer schön sachlich bleiben!
 

,,Nun gut, kommen wir zurück zum eigentlichen Thema" - jetzt fixierte sie mich mit ihren dämonisch schwarzen Augen - ,,Sie baten mich Ihnen die Vormundschaft vorübergehend Ihnen zu übertragen. Daran sehe ich in erster Linie kein Problem, immerhin war der Fall Kaiba ja sowieso in allen Angelegenheiten eine Ausnahme. Was mich an der Geschichte nur ein wenig ... Nun ja ... Ulkig vorkommt ist diese ganze Verlobung! Wer verlobt sich denn bereits mit 16 Jahren?"
 

Normale Menschen in der Regel nicht! Seto Kaiba hätte das eventuell sogar wirklich getan - immerhin ließ sich schwer abschätzen wie groß sein Sprung in der Schüssel tatsächlich war - aber mir braucht man mit der ganzen Hochzeitskiste nicht mal in zehn Jahren anzukommen.

Ich will von Anzügen, Ringen und Brautkleidern nichts wissen!
 

,,Wir führen bereits seit ein paar Jahren eine sehr innige und aufrichtige Beziehung!" - den nachfolgenden Text musste ich in der letzten Woche in und auswendig lernen - ,,Wir haben uns dazu entschieden auch diesen Schritt nun schon gehen zu wollen und dann sofort zu heiraten, wenn wir beide volljährig sind." - und vorher werden wir uns leider trennen, weil ich jemand viel besseren finden werde - ,,unsere Beziehung ist sehr stabil und insofern perfekt für eine Ehe geeignet." - wir werden die eingeschlafene Scheidungsrate wieder ankurbeln und unsere polizeilichen Akten ein wenig füllen - ,,Ich liege im Moment sehr viel wach" - nein, eigentlich schlafe ich wie ein frommes Lämmchen - ,,und denke viel über unsere gemeinsame Zeit nach!" - eigentlich überlege ich nur, wie ich aus der ganze Sache wieder 'rauskomme bevor Kaiba aus seinem Schönheitsschlaf erwacht und davon Wind kriegt - ,,Nun bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich meinen Verlobten" - man bringe mir bitte einen Kübel - ,,auch in dieser Hinsicht unterstützen will und ich möchte das er sich vollkommen auf seine Genesung konzentrieren kann!" - am besten wäre es wenn er unter Amnesie leiden würde, dann hätten wir alle viel weniger Probleme!
 

Ich zwang mich nach diesem Monolog zu lächeln und hoffte meine Mimik hatte mich während des Sprechens nicht verraten.

Das Pokerface von Miss Sakura war leider zu perfekt, um aus ihren Augen ablesen zu können, was sie von meiner kleinen Darbietung gehalten hatte.
 

Einen Moment schwieg sie, dann hüstelte sie kurz. ,,Nun gut Mister Wheeler! Ich werde dem Antrag zustimmen, allerdings nur unter einer Bedingung: Sie bekommen von mir alle anderthalb bis zwei Wochen einen Besuch abgestattet! Und wenn es auch nur eine einzige Sache gibt, die nicht den Maßstäben entspricht, können Sie und Mister Kaiba sich von Mokuba verabschieden bis er volljährig ist - habe ich mich da klar ausgedrückt?"
 

Ich nickt eingeschüchtert.

Sie glaubte mir also allerhöchstens ein Viertel von der Lüge.

Aber immerhin kreuzte sie das richtige Kästchen an und setzte ihre Unterschrift auf das Formular, das Mister Johnson entgegen nahm und in seiner Aktentasche verstaute.
 

Dann stand er eilig auf. ,,Vielen Dank Miss Sakura. Wenn Sie uns jetzt bitte entschuldigen: Wir haben noch ein paar wichtige Termine!"

Dann drückte er ihr eine Karte in die Hand. ,,Wenn Sie Fragen haben oder einen Termin ausmachen wollen, melden Sie sich bitte bei unserer Sekretärin, diese wird das mit Ihnen absprechen!"
 

Und dann schob man mich einfach aus dem Büro, bevor ich mich bedanken und verabschieden konnte.
 

,,Wieder eine Sorge weniger", murmelte Johnson auf dem Weg nach draußen.
 

Von Erleichterung in seiner Stimme fehlte allerdings jede Spur!
 

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Kaibas Sekretärin ist ein ganz zierliches Mädchen mit Haselnussbraunen Haaren und bernsteinfarbenen Augen. Jeden Morgen bringt sie mir pünktlich um 8.30 Uhr einen Tee, die Post und den Wirtschaftsteil der Tageszeitung. Für Mokuba meistens auch das tagesaktuelle Bilderrätsel.
 

Am heutigen Dienstag bekam ich von ihr allerdings nur einen einzigen Brief, den sie mit so viel Ehrfurcht überbrachte, dass man meinen könnte er käme vom Kaiser höchstpersönlich.

Auch Mokuba hielt die Luft an und ich fragte mich, ob denen irgendetwas ins Frühstück getan wurde.
 

,,Warum schaut ihr alle so komisch?", fragte ich verwirrt in die Runde und nahm den Brief entgegen.
 

,,Seto nennt das Teil die rote Liste!", antwortete Mokuba.
 

Wenn er Salz gehabt hätte, hätte er sicherlich einen Kreis um sich gestreut, in der Hoffnung es würde helfen.
 

,,Und was steht auf dieser roten Liste?"
 

,,Eigentlich sind es zwei rote Listen!"
 

Ich verdrehte die Augen. ,,Na gut, was steht auf den zwei roten Listen?"
 

,,Zum einen die Firmen, die diesen Monat mehr Umsatz und Gewinn gemacht haben als Mister Kaiba!", erwiderte Makoto.
 

,,Und auf der zweiten, stehen die Menschen, die Seto bisher noch nicht in Duell-Monsters schlagen konnte!"
 

Kaiba bekam an diesem einen Tag im Monat bestimmt immer einen schrecklichen Tobsuchtsanfall. Aber ich begann nur köstlich zu lachen und nahm mir vor, den Brief bei mir zu lassen.
 

Wer wusste, wozu man den eventuell noch gebrauchen könnte.

Kapitel 1

»Mister Wheeler?«

Die mutige Sekretärin steckte nur ihren Kopf zur Tür des Büros herein. Sie hatte in den letzten Tagen so viele pampige Antworten von mir kassiert, dass sie sich nicht mehr traute das Büro zu betreten.

»Was gibt es?«, fragte ich und zog weiter mit Setos 1.000.000 Yen Kugelschreiber Kreise über mein Schmierblatt.

Demnächst würde ich vor Langeweile umkommen, wenn hier nicht endlich etwas unterhaltsames passierte.

Ich hatte heute wahrlich keinen meiner guten Tage erwischt.

»Mister Layson ist in der Leitung. Es geht um den Software Deal für die Layson Ltd.!«, erläuterte sie ihr Anliegen.

Ich drehte mich nach links, wo Mokuba saß und ein Bildchen ausmalte. Er schüttelte mit dem Kopf und ich drehte mich zurück zu Makoto.

»Er soll Ihnen einen Rückrufnummer da lassen, ich melde mich später!«, antwortete ich und versuchte dabei besonders gewählt zu klingen.

Ich fragte mich warum ich hier überhaupt saß. Mokuba hatte das alles hinter wunderbar unter Kontrolle und brauchte mich eigentlich nur zum Unterschriften leisten, damit das Jugendamt uns nicht auf die Pelle rückte.

»Ist gut«, verabschiedete sich die Schwarzhaarige und zog die Bürotür leise ins Schloss.

Sofort sprang ich auf.

»Ich hab die Schnauze voll von dem Theater!«, zischte ich. »Ich kann froh sein das die Anderen davon noch nichts mitbekommen haben!«

»Du machst dich wunderbar in deiner Rolle!«, antwortete mir der kleine Giftzwerg seelenruhig und legte seinen Stift bei Seite. »Außerdem pusht das die Firma. Joey Wheeler, der um seinen Verlobten bangt und gleichzeitig versucht dessen Firma nach bestem Wissen und Gewissen zu führen. Noch mehr positive Schlagzeilen kann man gar nicht mehr bekommen!«

»Schön und wie lange soll das noch so weitergehen? Stell dir mal vor dein Bruder wacht nie wieder auf? Wer kümmert sich dann um die Firma?«, brauste ich auf, merkte erst zu spät was ich eigentlich gesagt hatte.

Natürlich müsste man in Betracht ziehen das Seto The Greatest Asshole Kaiba nie wieder die Augen öffnete, aber Mokuba schien das noch nicht so ganz realisiert zu haben. Deswegen hatte ich mich auch in den vergangenen Tagen recht vorsichtig ausgedrückt und versucht das Thema nie direkt anzusprechen, aber langsam reichte mir das alles. Ich konnte diese Rolle nicht ewig spielen. Irgendwann musste ich auch mal wieder anfangen mein eigenes Leben zu leben. Und in dem hatte Seto Kaiba einfach keinen Platz.

Der Knirps schien allerdings sowieso in anderen Dimensionen zu leben. Das hatte ich bedauerlicherweise schon vor drei Wochen feststehenden müssen, als er mich bat auf einen unbestimmten Zeitraum Setos Trauernden Verlobten zu mimen, damit die beiden die Firma nicht verloren. Ziemlich widerwillig hatte ich dem zu gestimmt und steckte nun metertief in der Scheiße.

Denn erst nachdem ich Mokuba hoch und heilig versprochen hatte ihn nicht im Stich zu lassen, hatte ich erfahren, dass niemanden mit Bestimmtheit sagen konnte wann und ob Kaiba überhaupt wieder aus seinen Träumen erwachte!

»Es tut mir Leid!«

»Nein du hast ja recht«, gab Mokuba niedergeschlagen nach, wandte sich zu der großen Fensterfront. »Ich kann die Firma frühestens in vier Jahren übernehmen und so lange kann ich dich nicht davon abhalten dein eigenes Leben zu führen. Wenn Seto nicht wieder aufwacht, verlieren wir die Kaiba Corp. eh und ich komme ins Heim.«

»Heim?«, echote ich. »Davon erzählst du mir zum ersten Mal!«

Mokuba seufzte.

»Ich hatte dieses Ende der Geschichte um ehrlich zu sein auch nicht in Betracht gezogen. Aber umso mehr Zeit ins Land geht, umso wahrscheinlicher wird diese unschöne Wendung!«

Ich seufzte, wandte mich ebenfalls zum Fenster.

Von hier oben sahen die Menschen aus wie kleine Ameisen. Ameisen, die jederzeit von einem großen Fuß zerquetscht werden konnten. Ganz unvorbereitet aus dem Leben gerissen. Ungewollt verglich ich Mokubas großen Bruder mit den Menschen da unten. Und auf Seto trafen viele Adjektive zu. Egoistisch, aalglatt, narzisstisch, viel zu sehr von sich selbst überzeugt. Aber unvorbereitet war er nicht. Auch wenn er ab und zu ein wichtiges Duell verlor, kam er nichts desto trotz nie unvorbereitet in eine Arena. Und deshalb konnte ich mir nicht vorstellen, dass er nie in seinem Leben daran gedacht hatte zu sterben. Ich wollte mir nicht vorstellen, dass er nicht an Mokuba und seine Firma gedacht hatte. Dass er seinen kleinen Bruder einfach sich selbst überließ.

»Hat er keine Vorkehrungen getroffen?«, fragte ich den Schwarzhaarigen besorgt.

Dieser schüttelte allerdings nur mit dem Kopf.

»Er war immer so besorgt um seine Sicherheit, dass er niemals damit gerechnet hat, er könnte bei so einem Verkehrsunfall draufgehen.«

Ich seufzte erneut. Irgendwie war es klar, dass dem großen Seto Kaiba ein Autounfall viel zu unspektakulär war. Er wollte sicherlich bei irgendetwas sterben, wo auch ganz sicher in den Nachrichten berichtet wurde. Ein Gebäudeeinsturz oder ein kenterndes Schiff. Mit einem Auto gegen einen Pfeiler zu brettern und dadurch ins Gras zu beißen, war einfach unter eines Kaibas Würde!

»Zwei Wochen noch, länger spiele ich nicht mehr mit. Lass dir was einfallen!«, sagte ich, zog meine Krawatte locker und griff nach meiner Aktentasche.

Dass ich so etwas irgendwann mal besitzen würde, hätte ich niemals gedacht. Mehr als ein paar Dosen Cola und was zum Essen war da zwar auch nicht drin, aber das musste ja keiner wissen.

»Ich geh jetzt nach Hause. Sag Makoto sie soll alle Anrufer um eine Rückrufnummer beten, ich trauere. Wir kümmern uns morgen darum. Gute Nacht!«

Mit diesen Worten verließ ich das Büro, was in den letzten Tagen so etwas wie mein zweites zu Hause geworden ist.

Vor dem Raum saß Makoto, die ich zum Abschied grüßte, ehe ich im Aufzug verschwand.

Durch den Hintereingang verließ ich das Gebäude, wo bereits mein ganz persönlicher Wagen, mit meinem persönlichen Chauffeur auf mich wartete. Ich stieg ein, ließ mich erschöpft auf die ledernere Rückbank fallen und zog die Krawatte locker.

»Nach Hause, Mister Wheeler?«, fragte mich der Fahrer von vorne aus.

An diese förmliche Ansprache hatte ich mich noch immer nicht gewöhnt. Das klang irgendwie falsch, denn ich war wahrlich niemand den man Siezen sollte.

»Nach Hause!«
 

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»Mokuba!«, donnerte ich bereits beim Betreten des Büros.

In der Hand hielt ich die heutige Ausgabe der Tageszeitung. Die und Mokubas dämliche Idee waren auch der Grund dafür, dass mein Vater mir heute Morgen am Frühstückstisch eine saftige Ohrfeige verpasst hatte, welche noch immer schmerzte.

Der kleine Kaiba saß bereits am Schreibtisch. Er hatte ein ähnlich ernstes und kühles Gesicht aufgelegt, wie sonst sein Bruder immer. Er schien also zu wissen, was ihn heute erwartete. Genauso wie sein Bruder, der auch alles immer schon im Vornherein wusste. Seto mit etwas überraschen zu können, war schier unmöglich. Es sei dem man hieß Yugi und spielte Duell Monsters wie ein junger Gott – oder ägyptischer Pharao.

»Es tut mir Leid«, entschuldigte sich der Kleine, was mich sofort in der Bewegung stoppen ließ.

Mokuba erhob sich aus seinem Stuhl.

»Unser Anwalt hat sich bereits mit den Chefredakteuren in Verbindung gesetzt. Einen weiteren Artikel wird es über dich nicht geben, aber dieser hier lässt sich leider nicht mehr rückgängig machen!«

»Ich hoffe nur für dich, dass den niemand gesehen hat, den ich kenne!«

Von meinem Vater mal abgesehen. Der hat mir ja bereits heute Morgen gezeigt was er davon hält.

»Mach dir darüber mal keine Sorgen, oder willst du mir jetzt erzählen jemand von deinen Freunden liest Zei-«

Unterbrochen wurde er von meinem klingelnden Handy.

»Wenn man vom Teufel spricht!«, lachte ich hysterisch, fummelte mein Telefon aus der Hosentasche und nahm das Telefonat an, ohne vorher zu schauen wer da eigentlich anrief.

Im Nachhinein gesehen eine ziemlich dumme Aktion!

»Hallo?«

»Hast du uns was zu sagen?«, erwiderte Tristan vom anderen Ende der Leitung.

»Eigentlich nicht!«, tat ich unwissend, wohlwissend das die Nummer nicht funktionieren würde.

»Warum wirst du dann in Dominos größter Tageszeitung als Seto Kaibas bangender Verlobter aufgeführt. Sei froh wenn der das nicht sieht und dir dafür den Kopf abreißt«, lachte mein bester Freund, verstummte dann aber urplötzlich wieder. »Wie kommen die eigentlich darauf? Ganz sicher das du uns nichts zu sagen hast?«

»Vielleicht doch«, gab ich schließlich auf. »Habt ihr heute Abend Zeit?«

»Wieso erst heute Abend? Bist du etwa noch beschäftigt?«, entgegnete Tristan, flötete die letzte Frage geradezu vor sich hin.

Jetzt ist es amtlich. Ich werde ihn töten. Alleine, dass er nur in Betracht zog, ich hätte was mit Kaiba am Laufen, reichte schon um einen Mord vor Gericht zu rechtfertigen.

»Wir sehen uns heute Abend bei Yugi, bis dann!«, verabschiedet ich mich, würgte damit weitere Fragen seinerseits ab und legte einfach auf.

Als ich mein Handy wieder in meiner Hosentasche verstaut hatte, bemerkte ich Mokubas forschen Blick, der mich regelrecht auseinander nahm.

»Was?«, zischte ich ziemlich angefressen. »Hab ich was im Gesicht?«

»Nein.«

»Was ist dann?«

»Du hast gerade wie Seto geklungen!«
 

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Ich hatte den Fahrer angewiesen einen Umweg zu fahren, damit ich meine Gedanken sortieren und mir genau überlegen konnte, was ich später sagen sollte. Am liebsten hätte ich mir den kleinen Kaiba Spross unter den Arm geklemmt und ihn mit hierher geschleift. Denn er konnte diese ganze verworrene Situation mit Sicherheit besser erklären als ich. Mal davon abgesehen, dass mir eh keiner glauben würde, egal was ich sagte. Ob nun Wahrheit oder Lüge, es spielte keine Rolle.

»Mister Wheeler?«

»Ja?«, erwiderte ich, versuchte dabei cool und gelassen zu klingen.

Auch wenn ich das in Wirklichkeit gar nicht war. In meinem Inneren tobte nämlich gerade ein Schneesturm.

»Wenn wir nicht noch einmal durch ganz Domino fahren wollen, sollte ich jetzt abbiegen!«

Ich seufzte. Der Situation konnte ich mich nicht länger entziehen.

»Tun Sie das«, murmelte ich leise, richtete meinen Blick in Richtung Fenster.

Wir hatten die Wolkenkratzer besetzte Innenstadt Dominos noch nicht verlassen, führen seit einer geschlagenen Stunde in einem Radius von fünf Kilometern um das Gebäude der Kaiba Corp. herum.

Der Fahrer nahm die nächste Ausfahrt der Stadtautobahn und schon kurz darauf fielen mir die großen Einfamilienhäuser aus Yugis Viertel ins Auge.

Kapitel 2

Ich stand angespannt vor dem Spieleladen von Yugis Großvater. Das "Geschlossen"-Schild sprang mir förmlich entgegen und trieb meinen Blick in die Höhe.

In der oberen Etage des Gebäudes brannte nur in einem Zimmer, den Fenstern nach zu urteilen, Licht. Yugis Zimmer, wie mir bekannt war. Das hieß meine Freunde hatten sich bereits versammelt und erwarteten mich nun.

Und ich würde ihnen unter die Augen treten. In einem maßgeschneiderten Anzug in Königsblau, darunter ein cremefarbenes Hemd und der dazu passende Krawatte. Ich erkannte mich selbst nicht wieder, wenn ich morgens in den Spiegel sah.

Mir kam in den Sinn, dass ich mich vielleicht hätte umziehen sollen. Allerdings tat ich das auch als sinnlosen Gedanken ab. Es hätte eh nichts an der gesamten Situation geändert: Mein Gesicht war im Domino Square zu sehen und den Titel "Verlobter von Seto Kaiba" hatte ich mir auch gesichert. Vermutlich würde ich den auch nie wieder los werden.

Selbst wenn der Eisklotz irgendwann mal ein hübsches Mädchen abkriegen sollte – was ich stark bezweifelte – würde ich der abservierte Ex-Freund bleiben.

Es blieb mir also nichts anderes übrig, als mich meinen Freunden zu stellen und ihnen die ganze Geschichte zu erzählen. Welchen Strick sie sich daraus drehten, blieb dabei ihnen überlassen. Ändern würde ich es eh nicht können. Aber abfinden musste ich mich damit. Egal ob deren Meinungen nun positiv ausfielen oder nicht. Denn ich tat das Ganze nicht für sie, nicht für mich und erst recht nicht wegen Seto Kaiba. Eigentlich tat ich das alles nur für Mokuba, der ohne meine Hilfe vermutlich schon längst in einem der überfüllten Heime versauern würde. Und jeder Krieger brauchte schließlich einen Grund, für den sich das kämpfen lohnte.

Also Joseph Jay Wheeler was stehst du hier eigentlich noch herum? Auf in den Kampf!

Ich ging einmal um das Gebäude herum, wo sich der reguläre Eingang zur Wohnung befand, und betätigte die Klingel.

Während ich wartete, entfernte ich die Krawatte von meinem Hals. Die hatte da nun wirklich nichts mehr zu suchen.

Bereits kurze Zeit später öffnete mir Yugi die Tür und ich beschloss von einer Sekunde auf die andere, dass man mir meine Nervosität nicht anmerken sollte. Denn die sollten bloß nicht auf die Idee kommen, ich hätte etwas zu verbergen.

»Na Alter!«, begrüßte ich den Stachelkopf daher lässig und klopfte ihm im Vorbeigehen auf die Schulter. »Sind die anderen schon oben?«

Statt einer Antwort bekam ich nur einen komischen Blick zu geworfen, der mich mal eben von oben bis unten abscannte.

»Warum trägst du einen Anzug?«, stellte er schließlich die erwartete Gegenfrage.

Ich hatte, um ganz ehrlich zu sein, keine Ahnung wie ich die Frage am geschicktesten unbeantwortet abtun konnte. Auf dem Gebiet der Wortgefechte war ich eben noch nie ein Ass gewesen! Deswegen konnte mich Kaiba auch immer so leicht aus der Bahn werfen. Ein-, maximal Zweimal konnte ich kontern, dann gingen mir die Worte aus und mein Gegenüber war mir haushoch überlegen. Deswegen war es auch eine total bescheuerte Idee gewesen, heute hier her zu kommen. Dieser Besuch würde die ganze Sache nur noch schlimmer und unerträglicher machen!

»Sind die anderen nun oben?«, fragte ich erneut und ließ seine Frage einfach offen im Raum stehen.

Er musterte mich noch einmal komisch, nickte dann aber wortlos. Ich setzte mich gleich darauf in Bewegung. Auch wenn ich viel lieber durch die Tür wieder hinaus gesprintet wäre. Denn wenn mich Yugis vergleichsweise harmlose Frage schon so sehr aus der Bahn schmiss, was sollte das dann hier für ein Besuch werden? In seinem Zimmer erwarteten mich immerhin noch ganz andere Kaliber namens Tristan Taylor. Und wenn ich Pech hatte war der Würfelheini Duke auch nicht weit weg!
 

Kaum hatte ich die Tür zu Yugis Zimmer geöffnet, bereute ich es auch schon wieder. Sofort legten sich vier Augenpaare auf mich. Im ersten Moment sahen sie noch erfreut aus, mich zu sehen, dann wechselte ihr Gesichtsausruck zu Belustigung. Ja, ja lacht ihr nur – Hauptsache ihr habt euren Spaß!

»Hi!«, begrüßte ich alle, versuchte dabei so normal zu klingen, wie es mir möglich war.

Schien meine Freunde trotzdem nicht zu beeindrucken. Für die schien allein die Tatsache, dass ich einen Anzug trug, schon das achte Weltwunder zu sein. Warum bin ich eigentlich mit solchen Affen befreundet?

Ich versuchte mich unauffällig zu Yugis Bett durch zu schlagen, um dort Platz zu nehmen, allerdings machte mir da Tristan einen Strich durch die Rechnung.

»Das kannst du vergessen!«, sagte er eindringlich. »Erst mal drehst du dich und zeigst uns was das Ding alles zu bieten hat!«

Alle Anwesenden, eingeschlossen Yugi, der gerade neben mir aufgetaucht war, sahen den Brünetten verstört an.

»Was Alter?«, brachte Duke schließlich das zur Aussprache, was wir alle dachten.

Tristan schien sich seiner Worte allerdings sehr wohl bewusst zu sein. Und sie auch überhaupt nicht merkwürdig zu finden.

»Leute«, fing der Brünette an, zeigte auf mich, »wann sehen wir Joey schon mal im Anzug? Dann sollten wir uns das schon mal genauer ansehen!«

»Was Alter?«, wiederholte Duke seine Worte nochmal.

Auch Tea und Ryou sahen immer noch nicht begeisterter aus.

Verständlich. Ich war mir auch nicht sicher ob er noch alle Tassen im Schrank hatte.

Wir schwiegen. Ich überlegte was ich tun sollte, entschied dann aber mich einfach neben Ryou aufs Bett zu setzen und nichts zu sagen, solange mich niemand direkt ansprach. Auch Yugi suchte sich einen Platz, zu meiner Verwunderung ziemlich dicht neben Ryou, obwohl auf dem Bett noch ziemlich viel Platz war.

Mir kam das schon ziemlich spanisch vor. Klar, ich hatte von meinen Freunden in den letzten drei Wochen nichts gehört, aber Ryou und Yugi hatten nie die Anstalten gemacht, das sie etwas von einander wollten. Oder ich hatte etwas verpasst. Kam ja öfters vor, dass ich nicht alles mitbekam was gerade vor sich ging.

»Also dann«, begann Tea plötzlich und starrte mich an, »Erzähl!«

»Was soll ich erzählen?«, tat ich verwirrt.

Obwohl mir das eigentlich nichts mehr brachte. Ich saß hier in einem maßgeschneiderten Anzug, dessen Material bestimmt teuer war, als alle Kleidungsstücke aus Teas Kleiderschrank zusammen. Aber Kleidung interessierte sie ja eh nicht. Das einzige wofür sie Augen hatte, war ihr verdammtes Tanz-Studium in New York!

»Nun ja«, sagte ich, »Das ist ein wenig kompliziert!«

»Was ist denn daran kompliziert? Hüpfst du nun mit Kaiba in die Kiste oder nicht?«

»Nein!«, rief ich angewidert.

Als ob ich mich zu Kaiba ins Bett begeben würde? Soweit kommt es noch! Nur über meine Leiche!

»Warum erzählt die Domino Square dann, ihr seid verlobt?«

Ich seufzte. »Das ist eine lange Geschichte!«

Und dann begann ich zu erzählen.
 

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»Also eins muss man dem Kleinen lassen«, murmelte Tristan, nachdem ich meine Erzählung der letzten Wochen beendet hatte, »er hat wirklich einen ziemlich ausgeprägten Geschäftssinn!«

Eigentlich nicht, aber ich ließ mich ja schnell von allem beeindrucken.

»Wem sagst du das«, murmelte ich zustimmend.

»Warum hast du dich überhaupt darauf eingelassen? Du hast doch davon gar nichts!«, fragte mich nun Tea.

Ich biss mir auf die Unterlippe. Da hatte sie ausnahmsweise mal nicht ganz recht. Denn bevor ich der ganzen Sache zugestimmt hatte, gab es noch einen Deal zwischen mir und Mokuba, den ich bisher verschwiegen hatte.

»Nicht ganz!«, sagte ich lächelnd. »Wenn ich ihm helfe, bekommt Serenity ihr Studium bezahlt!«

»Das ist nicht dein Ernst!«, bekam ich auch sofort die einstimmige Retourkutsche meiner Freunde.

Mir war klar was sie dachten: Der kleine Junge braucht Hilfe und ich nutze das schamlos aus. Aber so war es nicht! Ich hätte seine Notlage niemals ausgenutzt. Er hatte das vorgeschlagen. Und mal ganz ehrlich: Die Kaibas hatten so viel Geld, da würden sie die 2.000.000 Yen nicht umbringen oder dazu zwingen ihre Bonzen-Villa zu verkaufen.

»Er hat das vorgeschlagen!«, versuchte ich schnell meinen Ruf zu retten, sprang auf. »Er meinte, dass wäre kein Gefallen mehr und ich sollte etwas dafür bekommen! Hätte er das nicht vorgeschlagen, hätte ich auch nichts verlangt. Immerhin tue ich das weder für mich, noch für Kaiba. Ich tue das für Mokuba!«

»Du hättest es trotzdem ausschlagen sollen!«, tadelte mich Yugi kopfschüttelnd.

Als ich gerade etwas darauf erwidern wollte, klingelte allerdings mein Handy.

Eilig zog ich es aus meiner Hosentasche und drückte den grünen Hörer.

»Joey?«

»Ja Mokuba, was gibt‘s? Ich hab’ gerade eigentlich gar keine Zeit, weißt du!«

»Seto ist aufgewacht!«

Und mein Herz blieb gerade stehen.

Konnte dieser Tag heute noch schlimmer werden?
 

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Ich hatte meinen Freunden den Grund für mein schnelles Verschwinden nicht genannt. Es gab wichtigeres.

Das Jugendamt zum Beispiel. Die Sozialarbeiterin würde uns nämlich solange nicht von der Hacke gehen, bis sie sich sicher sein konnte das sie in den letzen drei Wochen niemand angelogen hatte. Kauft sie uns das nicht ab, landet Mokuba im Heim und dann klebt auch gleich die Börsenaufsicht an Kaiba dran. Und das sind nicht gerade Sachen, die jemand gebrauchen kann der im Koma gelegen hat und vor fünf Minuten erst das Licht der Welt wieder erblickt hat.
 

Mein Fahrer brachte mich zum Krankenhaus, vor dessen Türe Mokuba zusammen mit Mr. Johnson wartete. Des Kaiba-Spross Gesicht nach zu urteilen hatte er Seto bereits besucht und ihm eine kleine Einführung in sein neues Leben gegeben. Und so wie ich Kaiba kannte war der nicht gerade begeistert von dem, was sein kleiner Bruder und sein Anwalt eingefädelt haben.

»Ich hänge an meinem Leben!«, begrüßte ich die beiden, reichte Johnson die Hand.

»Machen sie sich keine Sorgen Mister Wheeler! Mister Kaiba wird keine körperliche Gewalt anwenden!«, versuchte der Anwalt mich zu beruhigen.

Allerdings funktionierte das nicht so ganz. Mir war nämlich von Anfang an klar gewesen, dass er sich an mir nicht die Hände schmutzig machen würde. Aber seelische Schmerzen würde er mir zu fügen. Und das mindestens bis zum Ende meines Lebens. Wenn nicht sogar danach noch!

»Wir sollten hochgehen, nicht das Seto noch das ganze Zimmer zerlegt«, riss mich Mokuba aus meinen Gedanken.

Ich nickte abwesend und überlegte, ob ein Selbstmord in irgendeiner Art sinnvoll ist. Wie wär’s wenn ich einen Umweg über das Krankenhausdach nehme und mich mal eben von diesem hinab stürze oder eine der Krankenschwestern bete, mich ins künstliche Koma zu versetzen?!

Bereits als wir den Fahrstuhl verließen, hörte man Kaibas lautes Gebrüll durch den ganzen Flur, der – warum auch immer – wie leer gefegt war. Mir wurde mulmig zu mute. Meine Härchen am ganzen Körper stellten sich auf. Wie sollte ich das nur lebend überstehen?

Unbewusst blieb ich stehen. Erst, als eine kleine zierliche Hand nach meiner griff, bekam ich das mit.

»Mach dir keine Sorgen«, murmelte Mokuba, drückte fest zu. »Er wird dir nichts tun!«

»Wehe doch!«, knurrte ich, raffte meinen ganzen Mut zusammen und setzte mich wieder in Bewegung.

Der kleine Kaiba ließ meine Hand allerdings nicht los.

Mr. Johnson betrat den Raum zuerst, dann Mokuba und schlussendlich ich.

Kaiba saß auf seinem Bett, das Telefon am Ohr und Geschäftsunterlagen auf dem Schoß. Er massierte sich die Schläfen, als müsse er massive Kopfschmerzen unterdrücken.

Ich hätte bei dem Anblick beinahe mit den Augen gerollt. Der Typ war wirklich nicht mehr zu retten!

Vor nicht mal einer Stunde hat er nach drei Wochen zum ersten Mal wieder seine Augen geöffnet und nun hängt er schon wieder vor seinen Geschäftsunterlagen und schüchterte irgendwelche anderen Geldsäcke ein.

»Das ist inakzeptabel!«, brüllte er in den kleinen Kasten. »Eine Erpressung werde ich nicht dudeln!«

Erpressung? Hatte etwa jemand unser kleines Geheimnis herausgefunden? Hoffentlich, dann hat diese ganze Show endlich ein Ende!

»Sie werden noch von mir hören!«, sagte er als nächstes und legte dann einfach auf.

Typisch Kaiba eben!

Sein Handy pfefferte er auf den Nachttisch, dann notierte er sich noch etwas in seinen Unterlagen und klappte den Ordner schlussendlich zu.

»Mister Kaiba, schön dass sie wieder unter den Lebenden weilen!«, begrüßte ihn Mister Johnson, ging auf das Bett zu und reichte dem Brünetten die Hand.

Kaiba ging auf die Geste ein und dann erfasste sein Blick mich und Mokuba. Seine Mine verfinsterte sich noch mehr.

Okay – wo ist mein Fluchtfahrzeug? Ich musste jetzt dringend aus Japan verschwinden!

In einer hastigen Bewegung entzog er seinem Anwalt die Hand und winkte Mokuba und mich zu sich heran.

»Du«, knurrte er und fixierte seinen Bruder, »sag mal was fällt dir eigentlich ein? Hast du nicht mehr alle Tassen im Schrank? Wie kommst du auf die Idee, dir so etwas einfallen zu lassen? Bist du eigentlich nicht mehr ganz richtig unter deiner Schädeldecke?«

»Ich wo-«

»Halt den Mund!«, unterbrach Kaiba ihn unwirsch und blickte anschließend mich an.

Ich bekam sofort eine Gänsehaut und musste schlucken.

»Und du«, fing er schließlich an, »ehrlich gesagt habe ich bei deinem untermenschlichen Intelligenzquotient nichts anderes erwartet! Für diese Schmach wirst du gerade stehen müssen!«

Er blickte in die Runde.

»Dafür werdet ihr alle geradestehen!«

Da platzte mir die Hutschnur.

»Sag mal spinnst du eigentlich total?«, fuhr ich das kranke Kind vor meinen Augen an. »Wie wäre es mal mit einem Dankeschön? Immerhin haben wir dafür gesorgt, dass Mokuba nicht ins Heim muss und du deine Firma nicht verlierst!«

»Sachen die niemals eingetreten wären, selbst wenn ich euch nie wieder mit meiner Anwesenheit beehrt hätte!«, widersprach er mir postwendend.

»Wer sagt das? Du?«, fragte ich herablassend, musste dann aber selber lachen. »Du beleidigst ständig meine Intelligenz, scheinst aber selbst nicht wirklich helle da oben zu sein! Auch wenn dein Name Seto Kaiba ist, gelten für dich trotzdem noch Gesetze, die du durch deinen Tod nicht einfach außer Kraft setzen kannst! Und ein Elfjähriges Kind wird wohl kaum eine riesige Firma übernehmen, geschweige denn alleine in einer Villa hausen dürfen. Also streng‘ dein ach so schlaues Köpfchen an und seh' ein, dass Mokuba und ich dir den Arsch gerettet haben. Wäre ich nämlich nicht mal eben als dein Verlobter eingesprungen, wärst du jetzt aufgewacht und hättest gar nichts mehr. Keinen Bruder, keine Firma, kein Haus und auch kein Geld um dir das alles zurück zu kaufen! Also gesteh dir selbst ein, dass du ohne deinen kleinen Bruder und mich ziemlich aufgeschmissen gewesen wärst und bedanke dich ... Zu mindestens bei ihm!«

Es vergingen etliche Sekunden, in denen er eigentlich schon längst hätte antworten müssen. Patzig und böse wie er es sonst immer tat. Aber er sagte nichts. Seto Kaiba schien es tatsächlich die Sprache verschlagen zu haben! Den Tag musste ich mir Bunt im Kalender markieren!

Schließlich wandte er sich von mir ab und sah seinen Anwalt prüfend an. »Sie haben im Moment den meisten Grips von allen Anwesenden! Wie verfahren wir weiter?«

Mr. Johnson, der bis gerade eben still in der Ecke gestanden und sich das Szenario angeschaut hatte, räusperte sich und trat einen Schritt nach vorne.

»Am besten ist es, wenn sie die Verlobung noch eine Weile aufrechterhalten. Denn im Moment haben wir das Jugendamt noch im Nacken. Und diese komische Frau wird auch so schnell nicht ruhigzustellen sein. Spielen sie das Spiel noch eine Weile und leiten sie dann die Trennung ein. Dafür ist es allerdings wichtig, dass sie sich mit Mister Wheeler in der Öffentlichkeit zeigen und die Trennung dann langsam auch öffentlich einleiten. Weniger zusammen gesehen werden, Mister Wheeler zieht wieder aus der Villa aus und so weiter und sofort. Heizen die Gerüchteküche an, damit uns die alte Schnepfe im Nachhinein nicht doch noch Betrug unterjubelt!«

»Apropos alte Schnepfe«, meldete sich nun auch der kleine Kaiba zu Wort.

Er schien die Zurückweisung seines Bruders gut verkraftet zu haben.

»Miss Sakura kommt in genau einer halben Stunde vorbei, um sich mit euch beiden zu unterhalten!«

Seine Aussage klang schon beinahe wie eine Drohung.

Ich sah Kaiba an und er mich. Könnte Blicke töten, würden wir wohl beide gleichzeitig umfallen. Da kam mir ein Gedanke, den ich vorher noch nie hinterfragt hatte.

»Müssen wir uns eigentlich küssen?«

»Für die Glaubwürdigkeit auf jeden Fall!«, sagte Mr. Johnson entschieden.

Und ich glaubte hier bald an gar nichts mehr!
 

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Die Sozialarbeiterin von Jugendamt sah heute noch strenger aus, als ich sie in Erinnerung hatte. Die Haare zu einem straffen Dutt zusammengebunden. Die beige Bluse faltenlos in den grauen Bleistiftrock gesteckt.

Sie bat eine der Krankenschwestern um einen Stuhl, setzte sich drauf und überschlug die Beine. Danach schlug sie die Beine übereinander, öffnete ihre Akte und ließ ihren Kugelschreiber so laut klicken, dass es sich beinahe anhörte, als würde sie ein Gewehr entsichern und laden.

»Schön sie zu sehen Mister Kaiba!«, begrüßte sie meinen "Verlobten", wandte sich dann an mich und sah mich prüfend an.

Ich hatte geweint ... Oder es zu mindestens versucht. Das Ergebnis ließ sich trotzdem sehen: Knallrote Wangen, rot unterlaufene und aufgequollene Augen.

Während sie mich musterte, drückte ich Setos Hand. Es fühlte sich komisch und ungewohnt an. Keines Falls ekelte ich mich aber vor ihm. Seine Hand war eiskalt und steif – etwas anderes hatte ich auch nicht erwartet. Ich musste mehrmals zu drücken, damit er seine Muskeln wenigstens etwas lockerte und das Ganze nicht mehr so verkrampft aussah.

Es dauerte qualvolle zwei Minuten, bis sie sich wieder an Seto wandte.

»Mister Kaiba, Mister Wheeler hat mir ja bereits ein paar Sachen über ihre Beziehung erzählt. Jetzt würde ich aber auch gerne von Ihnen noch ein paar Sachen hören! Wie haben sie sich denn kennengelernt?«

Ich schluckte. Wir hatten in der vergangenen halben Stunde Seto alles Mögliche erzählt, was wir der Frau schon erzählt hatten. Und es war ziemlich schwierig ihn überhaupt dazu zukriegen, uns zu zuhören. Andauernd hatte er mich und Mokuba unterbrochen, seine dummen Kommentare abgegeben und uns erklärt, dass er so niemals handeln würde. Ich musste mich währenddessen stark zusammen reißen, ihm nicht den Hals umzudrehen!

Und jetzt hängte Mokubas Zukunft von seiner Aussage ab.

»Wir kennen uns schon seit wir Kinder waren!«, begann der Brünette monoton. »Ich denke so ein wirkliches Kennenlernen gab es da nicht!«

Am liebsten hätte ich mich selbst geschlagen ... Und ihn! Er sollte jetzt schon mal anfangen sich von Mokuba zu verabschieden!

Die Sozialarbeiterin notierte etwas in ihren Unterlagen, wandte sich anschließend wieder an Kaiba.

»Sie sind verlobt? Was haben sie sich denn für Mokubas Zukunft gedacht?«, fragte sie ihn nun.

Mir wurde die Luft abgeschnürt, hatte ich die Frage doch vorher schon mal gehört, als das Jugendamt meinen Vater auf dem Kicker und ihn zu einem Verhör eingeladen hatte.

Ich hätte ihn auf diese Frage vorbereiten müssen! Und hab‘s komplett vergessen. Manchmal bin ich wirklich ein Trottel!

Ich hoffte nur, in dem reichen Pinkel schlummerte ein Improvisationstalent, ansonsten waren wir alle geliefert.

»Richtig, ich bin verlobt und das hat mit Mokubas Zukunft nicht zu tun. Hätte mein Bruder ein Problem mit der Anwesenheit von«, er stockte, schluckte, »von Joey, dann würden wir mit der Hochzeit warten bis er volljährig und ausgezogen ist. Da die beiden aber kein Problem miteinander haben, wird das nicht nötig sein!«

Er endete, blickte mich unsicher an. Ich starrte eindringlich zurück, in der Hoffnung er verstand was ich von ihm wollte. Er hatte nicht beide Fragen beantwortet, er musste noch auf Mokubas Zukunft eingehen. Dazu hat er noch gar nichts gesagt!

»Um auch noch auf ihre zweite Frage zu antworten: Mokuba kann seine Zukunft selbst bestimmen! Er bekommt von mir«, er unterbrach sich selbst durch ein Husten, »uns, jede Unterstützung die er braucht, um sich selbst zu entwickeln. Er kann selbst darüber entscheiden ob er später studieren möchte oder ob er in der Firma anfangen will. Wir legen ihm die Welt zu Füßen und er kann machen was er möchte!«

Das erleichterte Seufzen musste ich mir verkneifen. Aber Kaiba hatte die Frage nach Jugendamtsmaßstäben zufriedenstellend beantwortet. Hoffentlich sah das die blöde Tussi auch so. Ansonsten mussten wir vielleicht doch von Kaibas „Leichen ungesehen und ungefragt verschwinden lassen“-Programm Gebrauch machen.

Die Sozialarbeiterin notierte sich wieder etwas in ihren Unterlagen, klappte ihr Heft dann zu.

»Das Sorgerecht für Mokuba Kaiba dürfen sie vorerst behalten, allerdings sind wir noch nicht fertig! Ich werde sie noch eine Weile beobachten und ihnen auch den einen oder anderen Besuch abstatten. Wiegen sie sich also nicht in Sicherheit!«, sagte sie streng und stand auf.

Schnellen Schrittes kam die Alte auf uns zu, hielt Seto die Hand hin.

»Glückwunsch zur Verlobung. Mister Wheeler ist ein toller Mann. Er hat sich in den letzten Wochen wirklich rührend um ihren Bruder gekümmert. Halten sie ihn fest!«, verabschiedete sie sich von meinem "Verlobten".

Irgendwie klangen ihre Worte nur so überhaupt nicht nach einem Kompliment, sondern eher nach einer Drohung.

»Ich danke für Ihren Besuch!«, antwortete der Brünette ebenso steif.

Dann wandte sich die Sozialarbeiterin in meine Richtung. »Auch Ihnen meine Glückwünsche. Zur Verlobung und natürlich dazu, dass eine Hochzeit jetzt ja doch möglich ist!«

Sie nickte und beiden noch mal zu, ging dann Richtung Tür. Nachdem sie diese geöffnet hatte, drehte sie sich noch einmal um.

Und bevor ich das richtig realisiert hatte, griff schon jemand nach meinem Kragen, zog mich zu sich und crashte seine Lippen auf meine. Blinzelnd schloss ich die Augen.

Warum fühlte es sich so gut an von Seto Kaiba geküsst zu werden? Und warum kribbelte es in mir so sehr?
 

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Der Kuss dauerte und dauerte. Selbst als die Tussi vom Jugendamt verschwunden war, löste er sich nicht von mir. Stattdessen legte er seine Arme in meinen Nacken, strich mit seiner Zunge über meine Unterlippe.

Die Kontrolle über meinen Körper hatte ich bereits vom ersten Moment an verloren, daher verwunderte es mich auch nicht, dass ich den Kuss erwiderte.

Ich öffnete meine Lippen, gewährte der fremden Zunge Einlass. Er spielt mit mir, lockte und verwöhnte mich. Es kam mir vor, als gäbe es da jemanden in seinem Leben, den er wirklich liebte. Der sein Herz erweichen tat und ihm mehr als alles andere bedeutete.

Ich seufzte wohlwollend auf, vergaß, dass es Kaiba war, den ich da gerade küsste.

Er schien auch vergessen zu haben, dass ich es bin, denn er zog mich noch näher zu sich. Der Stuhl stand zu weit weg und ehe ich mich versah, lag ich bei ihm auf dem Krankenbett. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und langsam wurde der Sauerstoff knapp. Wenn ich nicht tot umfallen wollte, musste ich mich langsam mal von ihm lösen. Aber ich wollte nicht. Wann hatte ich das letzte Mal jemanden an meinen Lippen, der so gut küssen konnte? Um ehrlich zu sein: Noch nie! Kaiba war die erste Person die ich küsste.

Ich nutzte den letzten Rest meines Atems und löste mich dann von ihm, traute mich nicht die Augen zu öffnen. Ich kannte Kaiba mindestens so gut, um zu wissen, dass er die Situation nicht kommentarlos hinter sich lassen konnte. Zwangsläufig musste er dazu einfach etwas sagen. Etwas anderes ließ sein übergroßes Mundwerk einfach nicht zu!

»Dein Dankeschön!«

»Mein was?«, fragte ich nochmal nach, blinzelte und öffnete die Augen schließlich ganz.

»Das war dein Dankeschön für die letzten Wochen und jetzt kannst du nach Hause fahren. Mein Anwalt meldet sich bei dir, bezüglich weiterer Schritte!«

Ungläubig schaute ich ihn an, schüttelte dann den Kopf.

»Unhöflich wie eh und je!«, murmelte ich, machte mich auf den Weg Richtung Tür. »Gute Nacht!«

Dann verließ ich den Raum.

Mein Herz gab immer noch keine Ruhe. Und ich fragte mich ungewollt, wie es sein würde von ihm geliebt zu werden. Also so richtig.

Wie war es ihn zu spüren? Wie war es, von ihm im Arm gehalten zu werden? War er dann auch so leidenschaftlich und selbstlos, wie gerade eben?

Ich holte tief Luft. Die Gedanken haben nichts in meinem Kopf verloren! Seto Kaiba und Joey Wheeler gehörten nicht gepaart. Da konnte nie und nimmer etwas akzeptables bei rauskommen!

Kapitel 3

Eine Woche war seit Kaibas Erwachen und dem Kuss bereits vergangen.

Weder er, noch sein Anwalt hatten sich bei mir gemeldet und mein Leben normalisierte sich langsam wieder. Ich traf mich jeden Tag mit meinen Freunden, musste keine Angst haben, dass mein Gesicht wieder in der Domino Square auftauchte und auch mein Vater hatte mich nicht nochmal auf das Thema angesprochen. Es wurde also wirklich langsam alles wieder so wie früher und dann kam Dienstag.

Ich verließ gegen 13.00 Uhr das Haus, um zu Yugi und dem Rest zu fahren, als mein alter Fahrer plötzlich vor meiner Nase auftauchte.

»Mister Wheeler; Mister Kaiba wünscht Sie zu sehen. Ich soll Sie zu ihm bringen, ohne Umwege!«, sagte er.

Es klang wie ein Befehl. Ein herrischer Befehl, den nur ein Kaiba in diesem Ton verlauten lassen konnte!

»Mir ist gerade nicht nach "bei Fuß"! Er soll mich anrufen!«, antwortete ich ausweichend.

Gerade als ich mich von ihm entfernen wollte, griff der Anzugträger allerdings nach meinem Arm.

»Es tut mir leid, aber eine Widerrede darf ich leider nicht dulden. Mister Kaiba wird heute aus dem Krankenhaus entlassen und Mister Johnson hat bereits heute Morgen Reporter vor dem Krankenhaus entdeckt«, erklärte er streng. »Es wäre also nicht sonderlich förderlich wenn er aus dem Krankenhaus entlassen wird und Sie irgendwo in der Stadt mit ihren Freunden gesichtet werden!«

Ich verdrehte die Augen und stellte mich innerlich schon einmal auf die Ohrfeige meines Vaters ein, die mir morgen am Frühstückstisch sicher nicht erspart bleiben würde, wenn er wieder einen Artikel in der Zeitung las, in dem ich als Seto Kaibas Verlobter betitelt wurde. Und wenn diese blöde Tussi vom Jugendamt beim morgendlichen Zeitung lesen nun auch ihre Augen nach uns offen halten sollte, dann wären wir nach so einem Artikel gleich geliefert.

Innerlich seufzte ich. Warum zum Teufel konnte ich nicht einfach ein ganz normaler Teenager, mit ganz normalen Problemen sein?

Ich schüttelte kurz mit dem Kopf, gab meinen Widerstand auf und drehte mich zu ihm um. »Na schön!«, knurrte ich und ließ mich zum Auto führen.
 

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Mein Fahrer hatte Recht: Vor dem Krankenhaus wimmelte es nur so von Reportern. Einige davon waren sogar mit Kameras und Mikrofonen ausgestattet. Das hieß sollten die uns erwischen, wären wir heute Abend in den Nachrichten zu sehen. Was das Thema gleich heute wieder bei meinem Vater aufwirbeln würde. Das wäre dann eine Tracht Prügel im Suff und morgen früh eine Ohrfeige im nüchternen Zustand – der hatte nämlich bis dahin locker wieder vergessen, dass er mich schon einmal bestraft hatte.

»Keine Sorge«, sprach der Fahrer mich an, warf dabei einen Blick durch den Rückspiegel. »Wir schleusen Sie durch den Hintereingang rein!«

Was mich nicht wirklich beruhigte! Ich mochte diesen ganzen Trubel um meine Wenigkeit überhaupt nicht! Das gefiel mir nicht und wenn ich dran dachte, dass das jetzt noch eine Weile so weiter ging, wurde mir übel. Ich wollte nicht auf Schritt und Tritt verfolgt werden, was zwangsläufig geschehen würde sobald ich mich mit Seto Kaiba, dem reichsten Mann von Domino, in der Öffentlichkeit blicken lasse.

Mein Fahrer rangierte den Wagen geschickt an den Reportern vorbei und fuhr mich zum Hintereingang, wo bereits Mister Johnson auf mich wartete.

»Ich warne Sie gleich vor: Mister Kaiba hat nicht die beste Laune!«, würde ich von dem älteren Herren begrüßt. »Wenn wir das Krankenhaus nachher verlassen, wird es ein zwei Fotos von ihnen geben und dann bringen wir sie wieder nachhause!«

Auf jeden Fall nette und beruhigende Worte. Ich nickte ihm nur zu. Schreiend weglaufen war ja leider keine Option.

»Ach ja und noch was: Miss Sakura ist da!«, sagte er und wandte sich um.

Ich folgte ihm und fragte mich, was die Alte schon wieder von uns wollte. Sie hatte Kaiba doch nun erst letzte Woche gelöchert!

Als wir den Raum betraten, wuselte Seto durch den Raum und packte seine Sachen zusammen. Mokuba hockte auf dem Bett, malte und baumelte mit den Beinen.

Miss Sakura saß auf einem der Stühle und beobachtete die Situation stillschweigend.

Ich räusperte mich, ging auf die Mitarbeiterin des Jugendamts zu und gab ihr die Hand. Anschließend umarmte ich Mokuba und dann stand ich vor Seto.

Seit dem Kuss letzte Woche hatten wir kein Wort mehr miteinander gewechselt und auch nicht abgesprochen, wie wir als Pärchen in der Öffentlichkeit auftreten möchten.

Hoffentlich würde die nachfolgende Improvisation meines, eigens interpretierten, Schmierentheaters nicht in einer völligen Katastrophe enden.

»Hey. Ich dachte du hast noch was in der Kaiba Corp. zu tun? Ich hab Miss Sakura bereits gesagt, dass du heute nicht mehr kommst!«, begrüßte er mich verwundert, schlang einen Arm um meine Hüfte und zog mich zu sich.

Er war wirklich ein geborener Schauspieler und sollte echt mal darüber nachdenken den Berufszweig zu wechseln.

»Warum bist du hier?«, flüsterte er, drückte aber seine Lippen auf meine, bevor ich antworten konnte.

Der Kuss war nicht annähernd so schön wie der, letzte Woche. Er war leidenschaftslos, hielt mich nicht richtig fest. Aber für alle anderen musste es so aussehen, als hätte er hier im Krankenhaus schnell seinen Doktor gemacht und wollte sich jetzt an seine erste Mandeloperation wagen.

Dieser Kuss endete genauso schnell wie er begonnen hatte und als ich anschließend die Augen öffnete, sah Seto mich an, als würde er mich am liebsten erdolchen. Dann wandte er sich Miss Sakura zu.

»Es tut mir Leid«, sagte er. »Ich hatte keine Ahnung, dass er mich jetzt doch abholen wollte!«

»Tja, ich bin halt eben für Überraschungen gut!«, entgegnete ich grinsend, legte ganz automatisch meinen Arm um seine Schulter und zog ihn noch ein Stück näher an mich heran.

»Bist du bescheuert? Du hast mich doch herbestellt!«, zischte ich ihm ins Ohr, löste mich aus der Umarmung und half ihm dann beim packen.

Als ich mich noch einmal zu ihm umdrehte, sah er mich an wie ein Auto, ehe er sich zu seinem kleinen Bruder umdrehte und diesen wütend anfunkelte.

Hätte ich mir eigentlich gleich denken, dass Seto mit der Nummer nichts zu tun hatte! Klasse Joey und du machst dich hier mal wieder zum Deppen der Nationen. Wunderbar!
 

Es dauerte noch eine Weile bis sein ganzer Kram zusammen gepackt sein würde. Daher hatte ich mich in die Cafeteria aufgemacht um mit eine Limo zu organisieren und Mokuba einen Kakao. Kaiba hatte ich auch gefragt. Der hatte mir allerdings nur ziemlich mürrisch geantwortet, dass er das ganze Krankenhauszeug nicht vertragen, geschweige denn verdauen konnte. Miss Sakura hatte daraufhin eine Augenbraue hochgezogen, Mokuba sich beinahe die kleinen Hände ins Gesicht geschlagen und ich schnell die Flucht ergriffen. Ich wollte der Wut des weißen Drachen keine Minute länger ausgesetzt sein!

Bewaffnet mit einer Dose Limonade und einem Päckchen Kakaomilch kehrte ich schließlich ins Zimmer zurück. Zu meiner Verwunderung befand sich außer Mokuba niemand darin. Mister Johnson, Miss Sakura und Kaiba waren verschwunden. Aber gut, dann hatte ich wenigstens eine Gelegenheiten den kleinen Scheißer zusammen zu falten.

»Hier!«, sagte ich und reichte dem kleinen Kaiba seinen Kakao. »Möchtest du mit außerdem mal verraten warum du mich hier her bestellst, wenn Kaiba mich gar nicht sehen wollte?!«

Der Kleine - er versuchte gerade seinen Strohhalm durch die dafür vorgesehene Öffnung zu stechen - hielt ertappt in seiner Bewegung inne.

»Ähm ... Also ... Ich war das gar nicht ... Mister Johnson hat dich hier her befördern lassen!«

Am liebsten hätte ich ihn mit meinen Blicken erdolcht. Verschworen sich hier etwa alle gegen mich, nur damit die Presse ihre bescheuerten Fotos bekam?
 

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Es dauerte eine halbe Ewigkeit bis Kaiba und Mister Johnson wieder ins Zimmer kamen. Von Miss Sakura fehlte jede Spur, weswegen ich vermutete die Beiden hatten sie im Gespräch entweder so verärgert, dass sie wütend gegangen war, oder sie hatten alles geklärt und wir sind die Olle endlich los. Wenn es so abgelaufen war - was ich persönlich inständig hoffte - könnten Kaiba und ich nämlich langsam unsere Trennung einleiten.

»Und?«, fragte ich neugierig, faltete währenddessen eins von Kaibas Handtüchern zusammen.

Der brauchte wirklich überall seinen eigenen Krempel. Selbst hier. Überheblicher Geldsack!

»Was "Und"? Drück deinen Willen deutlicher aus Hund!«, keifte der Brünette bitterböse, riss mir das Handtuch aus der Hand und stopfte es einfach so in seine Tasche.

Da konnte nicht mal seine Ordentlichkeit die Wut übertünchen. Miss Sakura musste ihm also eine wirklich unerfreuliche Mitteilung gemacht haben, wenn seine Adern schon an den Schläfen hervor traten.

»Was hat Miss Sakura zu dir gesagt?«, hakte ich also nochmal nach, musste mich stark beherrschen nicht die Augen zu verdrehen.

Hätte ich das getan, hätte er mich vermutlich einfach umgelegt und dem Jugendamt erzählt, ich wäre spurlos verschwunden. Meine Leiche hätte man dann wohl nie gefunden und Mokuba und Mister Johnson zu ewigem Schweigen gezwungen.

Kaiba seufzte, drehte sich zu mir um und blickte mich direkt an. Kalt und erbarmungslos wie immer.

»Miss Sakura ist der Auffassung, wir wären nicht ganz ehrlich mit ihr gewesen«, fing er schließlich an, legte Zeige- und Mittelfinger an seine Stirn und massierte sich die Schläfe seiner linken Seite. »Sie wird uns wohl oder übel so lange an den Fersen kleben, bis wir heiraten!«

»Was nie passieren wird!«, widersprach ich postwendend, klammerte meine Hand an den Bettpfosten.

»Sollten wir uns vorher trennen«, setzte der CEO von Neuem an, bohrte sich mit seinem Blick geradezu durch mich hindurch, »dann wird Sie mir das Sorgerecht für Mokuba wegnehmen und unsere Beziehung anfechten ... Und zwar solange bis sie beweisen kann das wir beide nie wirklich zusammen waren!«

Und das war der Moment in dem mir die Beine wegknickten. Als hätte man mir den Boden unter den Füßen weggezogen, sank ich aufs Bett, starrte die gelb gestrichene Wand leblos an.

Wenn ich nicht wollte, dass mein ganzer Aufwand der letzten Wochen umsonst war, musste ich ihn heiraten. Ich Joseph Jay Wheeler musste das wohl größte Arschloch von Domino - Seto Kaiba - heiraten, wenn ich nicht wollte, dass sein kleiner Bruder im Heim landete. Was mir genaugenommen ziemlich egal sein konnte, es aber komischer weise nicht war.

Und damit war mein ganzes Leben innerhalb von Sekunden dahin. Ich konnte mich von meiner Freiheit und meiner Zukunft verabschieden. Vor mir eine Zweckehe ohne jegliches Gefühl von Liebe oder Verbundenheit.

Hilfe, wie konnte mir das nur passieren?

»Mister Wheeler?«

Mein Hirn brauchte länger als sonst, um die Information, dass jemand nach meiner Aufmerksamkeit verlangte, ankommen zu lassen.

Mechanisch drehte ich mich in die Richtung von Mister Johnson, der irgendetwas faselte, was ich nicht verstand, weil es sich noch immer so anfühlte, als hätte ich Watte in den Ohren.

In meinem Gehirn existierte nur noch ein einziger Gedanke: Ich würde Seto Kaiba heiraten müssen!
 

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Zwei Wochen waren seit diesem schicksalshaften Tag im Krankenhaus bereits vergangen.

Heute ist Samstag, der vorletzte meiner letzten Sommerferien. Und mein Umzug war zu heute datiert. Wir konnten Miss Sakura glaubwürdig verkaufen - zu mindestens hofften wir sie glaubte uns - dass ich auf Grund meines Alters noch nicht bei Seto eingezogen war. Nach seinem Unfall jetzt, wollten wir den Tag allerdings nicht weiter hinauszögern.

Für mich gab es da nur noch eine Hürde zu überwinden und die schimpfte sich leider Gottes mein Vater. Dem hatte ich nämlich noch gar nicht von der ganzen Sache erzählt.

Er wusste nur das, was er vor ein paar Wochen in der Domino Square gelesen hatte. Dass er einen zweiten zu Gesicht bekam konnte ich verhindern, indem ich die entsprechende Seite einfach aus seiner Tageszeitung ‘rausgerissen hatte.

Nur wenn ihm das schon gereicht hatte, um mir eine Ohrfeige zu verpassen, wollte ich nicht wissen was er tun würde, wenn ich ihm heute erzählten tat, das ich ausziehen werde. Zu meinem Verlobten, den er auf den Tod nicht ausstehen konnte. Entweder er hatte also etwas gegen meine Sexualität im Allgemeinen oder aber eben nur gegen Kaiba. Den ich übrigens auch nicht wirklich leiden konnte. Scheint in den Wheeler-Genen wohl so veranlagt zu sein!

Yugi verschloss gerade gemeinsam mit Tea den letzten Umzugskarton und Tristan beförderte diesen nicht mal zehn Sekunden später bereits Richtung Ausgang.

Geplättet, vor allem wegen den Anstrengungen der letzten Woche, ließ ich mich auf mein Bett fallen und betrachtete mein Zimmer wehleidig. Es wirkte so leblos, wenn nichts in den Regalen stand und keine Fotos an der Wand hingen. Mir stiegen Tränen in die Augen. Mühselig schluckte ich sie herunter, senkte den Kopf und knechtete meine ausgelatschten Turnschuhe mit meinem Blick.

»Joey«, begann Tea, ließ sich links von mir nieder. »Du musst das nicht tun, ich hoffe du weißt das! Das kann niemand von dir verlangen!«

»Genau!«, pflichtete ihr Yugi entschlossen bei, platzierte sich zu meiner Rechten. »Du stehst schon tief genug in Kaibas Schuld ... Das kann er nun wirklich nicht von dir verlangen!«

Ich seufzte.

»Dann hätte ich mich auch gar nicht für Mokuba einsetzen brauchen«, murmelte ich niedergeschlagen und erhob mich. »Ihr solltet jetzt abhauen! Kaiba und mein Dad kommen in wenigen Minuten!«

Ich wollte es nicht laut aussprechen, konnte mir aber vorstellen, dass dies kein schönes erstes Aufeinandertreffen von Schwiegervater und –sohn werden würde!

Nun war es Thea die seufzte. »Na gut ... Ruf an wenn du was brauchst«, sagte sie, drückte mir einen Kuss auf die Wange und verließ anschließend mein Zimmer.

Als nächstes stand plötzlich Yugi vor mir. »Wenn du nicht mehr möchtest, Ruf an ...«, sagte er, griff nach meiner Hand und drückte sie.

Dann verschwand auch er und ich blieb alleine, traurig und trostlos in diesem kahlen Raum zurück, der noch vor kurzem mein einziger Rückzugsort gewesen war. In Zukunft würde das eins von Kaibas unzähligen, sterilen Gästezimmern sein. Dort würde ich mich unmöglich heimisch fühlen können. Niemals!
 

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Mein Dad tauchte vor Kaiba auf und schrie bereits nach mir, als er nicht einmal richtig zur Tür herein war.

Ich schluckte, schulterte meinen Rucksack - das letzte Stück meines Inventars, was sich in diesem Raum befand - und verließ das Zimmer ein wenig ängstlich.

»Was soll das hier werden wenn’s fertig ist?«, pampte mich mein Erzeuger an, als ich im Flur vor ihm zum stehen kam.

Um uns herum standen überall Umzugskartons, voll mit meinem Krempel.

»Ähm ...«, stotterte ich nervös, »Ich ziehe zu meinem Verlobten!«

Das klang viel überzeugender als beabsichtigt.

Mein Vater zog die Augenbrauen hoch, blickte mich einen Moment fragend an, ehe er auf mich zu kam. Er straffte die Schultern, spannte das Gesicht an. Insgesamt sah er ziemlich bedrohlich aus. Vor allem wenn man die geballten Fäuste betrachtete.

Er hatte nicht mal die Tür geschlossen. Das hieß meine Nachbarn konnten sich wieder tagelang das Maul über uns zerreißen. Was mir allerdings egal sein konnte, denn ab heute wohnte ich so wieso nicht mehr hier, vorausgesetzt mein Vater würde mich am Leben lassen.

»Du bist doch von allen guten Geistern verlassen!«, brüllte er mich an.

Grob riss er mir den Rucksack vom Rücken und schubste mich nach hinten. Ich verlor das Gleichgewicht, geriet ins straucheln und knallte schließlich mit voller Wucht in drei Kartons. Ängstlich blickte ich zu meinem Vater auf. Doch er hatte die Beherrschung bereits verloren. Er ließ sich fallen, drosch auf mich ein.

Und ich hoffte mein Leben würde an dieser Stelle ein Ende nehmen.

Mit einem Schlag jedoch, endeten seine Misshandlungen. Er wurde von mir weggezogen und stieß einen schmerzerfüllten Schrei aus.

»Sind sie verrückt? Was fällt Ihnen ein?«

Kaibas Hasserfüllte Stimme füllte den ganzen Raum. Es knallte, mein Vater schrie erneut.

Ich wollte mich aufsetzen, schauen was passiert war. Allerdings verliefen all meine Versuche im Sand. Mein Kopf fühlte sich an, wie in Watte gepackt. Mir war schwindelig und schlecht, dazu noch die warme Luft die von draußen herein strömte.

»Kaiba«, murmelte ich benommen.

Eigentlich wollte ich ihm sagen, dass er aufhören sollte meinen Vater zu schlagen, aber meine Stimme versagte.

Einige Sekunden später wurde es plötzlich still im Raum und Kaibas Gesicht tauchte in meinem Blickfeld auf.

»Joey!«, stieß er besorgt aus.

Bevor ich ihm allerdings antworten konnte, fielen mir die Augen endgültig zu und hüllten meinen Blick in unendlich weite Schwärze.
 

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Benommen öffnete ich die Augen, fasste mir stöhnend an den Kopf und betrachtete wachsam meine Umgebung.

Die Verputzten Wände glänzten in strahlendem Weiß, die wenigen Möbel in schwarz. Der Raum war vier- bis fünfmal so groß wie mein Zimmer und strahlte eine ekelhaft kühle und sterile Atmosphäre aus. Ich befand mich also zweifellos in Seto Kaibas Villa.

»Na ganz große Klasse!«, murmelte ich, drehte meinen Kopf nach links.

Neben dem Bett standen mein kaputter Rucksack und drei Umzugskartons, was allerdings nicht all meinem Hab und Gut entsprach.

Gerade, als ich aufstehen wollte, öffnete sich die Tür. Eine ältere Frau betrat, gefolgt von den beiden Kaiba-Brüdern den Raum.

»Du bist wach!«, freute sich Mokuba als er mich erblickte.

Wie von der Tarantel gestochen schoss er los, sprang neben mich aufs Bett und schlang seine dünnen Arme um meinen Hals. Wo er doch in den letzten Wochen den knallharten 11-jährigen gespielt hatte, zeigte diese Situation ganz deutlich, dass er eben doch nur ein Kind ist.

»Sie haben Mister Kaiba einen ganz schönen Schrecken eingejagt!«, sagte nun die alte Frau, musterte mich einen Moment und drehte sich dann wieder zu ihrem Chef. »Ich denke wir sollten einen Arzt kommen lassen, um innere Verletzungen auszuschließen!«

»Tue dir keinen Zwang an Taika«, antwortete Kaiba abwesend.

Die ältere Dame nickte und machte sich auf den Weg zu Tür.

Im selben Moment sprang auch Mokuba von der Matratze auf.

»Machst du dann Limonade?«, rief er hinterher und folgte ihr schließlich aus dem Raum.

Zurück blieben Kaiba und ich. Eine nicht gerade angenehme Situation!

Der CEO starrte mich ungeniert an, bis es mir zu bunt wurde.

»Hab ich was im Gesicht?«, fragte ich unverblümt und wollte erneut versuchen aufzustehen.

Allerdings verlief auch dieser Versuch im Sand, denn ehe ich nur ein Bein aus dem Bett schwingen konnte, drückte mich der Geldsack schon wieder in die Matratze zurück.

»Du bleibst liegen!«, zischte er. »Hat er das schon des Öfteren getan?«

Verwirrt sah ich ihn an, runzelte die Stirn.

»Was meinst du?«, verlangte ich zu wissen und wäre gerne aufgestanden, um ihm wenigstens ein bisschen das Wasser reichen zu können.

Denn wenn wir beide genau voreinander standen, gab es nur noch wenige Punkte in denen wir uns unterschieden. Bei mir war es die liederliche Kleidung, die einem sofort verriet, dass Seto und ich aus anderen Gesellschaftsschichten stammten und er ist eben einfach Seto Kaiba. Jeder kannte ihn und jeder wusste ganz genau wie er aussieht. Sie mit ihm in der Öffentlichkeit zeigen und danach trotzdem unentdeckt bleiben zu wollen ist quasi unmöglich. Ich schallte mich selbst einen Idioten. Niemand könnte ihm das Wasser reichen!

»Hat dein Vater dich schon öfters verprügelt?«, präzisierte er nun seine Frage.

Am liebsten hätte ich diese Frage laut und deutlich verneint, aber irgendwer hatte mir mal gesagt, dass man nicht log.

»Nein. Ein oder zweimal, ab und zu gab’s eine Ohrfeige, aber mehr ist das wirklich nicht passiert«, antwortete ich ausweichend und wandte den Blick ab.

Auch wenn wir "verlobt" sind, war mir das dann doch etwas zu privat. Zumal ich spätestens nach unserer Hochzeit nicht mehr dazu verpflichtet war, meinem Vater überhaupt in die Augen zu blicken. Und da ich bis zu meinem Todestag hier leben würde, schaffte sich mein Familienproblem fast wie von selbst aus der Welt. Kaiba brauchte sich also nicht einzumischen!

»Hast du schon mal darüber nachgedacht ihn anzuzeigen? Ich kenne da ein paar außergewöhnliche gute Anwälte, die die sicherlich helfen können!«

Verstört blickte ich ihn an. Machte ich den Eindruck, als wolle ich meinen Vater anzeigen? Kaiba sollte sich lieber darüber Gedanken machen, wie wir das Jugendamt wieder los werden, bevor wir wirklich heiraten müssen!

»Ganz ehrlich Kaiba«, entgegnete ich, »Ich habe zur Zeit andere Probleme als meinen Vater!«

Wie zum Beispiel eine Hochzeit, die ich nie im Leben gewollt hätte. Nicht mal wenn mir Kaiba 500.000.000 Yen dafür gegeben hätte!

Mein "Verlobter" schien dazu nichts mehr sagen zu wollen. Stattdessen verließ er einfach wortlos den Raum und ich drehte mich um, damit ich noch eine Runde schlafen konnte.

Kapitel 4

Etwa gegen 19.00 Uhr klopfte es an der Tür des Gästezimmers. Bevor ich mich äußern konnte, wurde sie aufgerissen und Mokuba stürmte, gefolgt von der Haushälterin und einem älteren Mann mit brauner Ledertasche, den Raum.

»Geht es dir schon besser?«, fragte mich der kleine Zwerg und ließ sich neben mir auf die Matratze fallen.

Ich nickte zaghaft, beobachtete aus dem Augenwinkel den älteren Mann. Er hatte einen Stuhl heran gezogen, seine Tasche darauf abgestellt und kramte nun darin herum.

Er holte schließlich ein Stethoskop heraus, was Taikas Stichwort war, Mokuba aus dem Raum zu scheuchen.

Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, wandte sich der Arzt mir zu.

»Schönen Guten Abend Mister Wheeler. Ich bin Mister Zaino, der behandelnde Arzt der Familie Kaiba. Ich werde sie jetzt auf innere Verletzungen untersuchen!«, kündigte er an und beugte sich dann über mich.

Etwa zwanzig Minuten Untersuchung musste ich über mich ergehen lassen, dann packte der Arzt seine Utensilien zurück in die Tasche und verschloss diese mit großen, zuschnappenden Schnallen.

»Gute Nachrichten Mister Wheeler: Die Verletzungen sind nur leicht. In ein, zwei Wochen sollte davon weder etwas zu sehen, noch zu spüren sein!«

»Danke Doktor«, murmelte ich leise und zog mir mein T-Shirt wieder über.

Taika und Mister Zaino flüsterten noch ein paar Worte miteinander und ich verließ den Raum.

Mein Magen knurrte, als hätte ich tagelang nichts mehr gegessen. Und außerdem drückte meine Blase.

Orientierungslos machte ich mich also auf die Suche nach der Küche. Für Kaibas Villa wäre eine Karte oder ein Navigationssystem nicht schlecht. Es gab so viele Türen, Korridore und Flure. Alles sah gleich aus und ich zweifelte bereits nach meinen ersten Schritten daran, ob ich überhaupt in die richtige Richtung lief. Als ich am Ende des Flurs vor einem Fenster zum stehen kam und keine Treppe in Sicht war, verlor ich die Hoffnung mich hier überhaupt irgendwann zu recht zu finden. Sobald wir verheiratet sind, sollte ich ihm vorschlagen umzuziehen. In eine kleinere Villa oder ein Einfamilienhaus. Vielleicht ist er auch mit einem großen Loft zufrieden!

Als ich mich umdrehte, stand Kaiba im Türrahmen mir gegenüber.

Er starrte mich aus seinen eisblauen Augen kühl und gefasst an, als könnte er direkt in meine Seele schauen.

»Was hast du hier zu suchen? Solltest du nicht in deinem Bett liegen?«

Es klang wie eine Anklage. Typisch Kaiba. Ich wette genauso redet der auch mit seinem Bruder.

»Ich hab Hunger und muss mal pissen!«, antwortete ich ihm und drehte mich wieder um, damit ich auf der anderen Seite des langen Flurs nach der Treppe suchen konnte.

»Du hast ein eigenes Bad direkt neben deinem Zimmer. Die Tür dazu befindet sich neben der Schrankwand«, sagte der Eisklotz mit einem spöttischen Unterton in der Stimme.

Die Augenbraue, die er beim Sprechen hochzog gehörte auch nicht ins Repertoire der freundlichen Mimik.

»Kein Grund sich über mich lustig zu machen! Kann ja nicht jeder so ein reicher Pinkel mit eigenem Bad sein!«, fauchte ich und drehte mich um, mit der Absicht zurück in mein Zimmer zu gehen.

Nur leider hatte ich bereits vergessen aus welcher Richtung ich gekommen war, weswegen ich wohl oder übel noch einmal auf Kaibas Hilfe angewiesen war. Man konnte das einen ankotzen!

Er musste mir helfen, es sei denn er wollte in ein paar Tagen seinen verhungerten und verdursteten Verlobten vom Boden kratzen, weil der sich auf dem Weg vom Schlafzimmer zur Küche verlaufen hatte und den Rückweg eigenständig nicht mehr fand. Obwohl das dem Geldsack bestimmt ganz recht kam. Dann müsste er nämlich nur ein paar Tage so tun, als ob er trauern würde, wäre aber all seine Probleme mit einem Mal los und könnte sich wieder voll und ganz auf seine Firma konzentrieren! Das Jugendamt würde ihn in diesen schwierigen Zeiten sicherlich auch in Ruhe lassen.

»Wo ist das Gästezimmer nochmal?«, fragte ich bissig und scherte mich nicht darum ob er mich auslachen würde oder nicht.

Kaiba schnaubte nur verächtlich. Milderer Spott als erwartet!

»Und da behaupten alle Hunde hätten einen guten Orientierungssinn!«, sagte er spöttisch. »Aber gut: Ich werde dich hinbringen.«

Er ging vor und ich wusste nicht ob ich mich bei ihm bedanken soll oder es lieber sein ließ.

Am Ende gingen wir schweigend zu meinem Zimmer zurück und ich musste mir eingestehen das der Weg nicht schwierig war. Unterwegs zeigte mir der Kühlschrank noch wo die Treppe ins Erdgeschoss ist.

»Noch etwas«, sagte er, bevor ich mein Zimmer betreten konnte, »Links von der Treppe befinden sich mein Schlafzimmer, Mokubas Kinderzimmer und mein Arbeitszimmer. Flohteppiche haben dort nichts verloren!«

»Schon klar«, antwortete ich augenrollend. »Ich will dir ja auch nicht deine ganze Villa verseuchen!«

Weil ich keine weitere Beleidigung seinerseits hören wollte, verschwand ich einfach im Gästezimmer und knallte die Tür laut zu.
 

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Als ich runter in die Küche ging, erwarteten mich dort nur Mokuba und die Haushälterin, deren Name mir schon wieder entfallen war. Mein Namengedächtnis war wirklich noch ausbaufähig!

Ich verweilte einen Moment im Türrahmen und beobachtete die beiden.

Sie gingen ziemlich vertraut miteinander um, redeten ohne Scham und Zierde miteinander. Selbst über Kaiba lästerten sie, ohne sich Sorgen zu machen, dass dieser es hören konnte.

»Sag mal Mokuba, warum hast du dir eigentlich das Blonde Stadtkind rausgesucht und nicht einfach irgendeine von seinen Sekretärinnen?«

»Weil ich vielleicht noch etwas anderes wollte, als nur die Firma zu retten!«

Die Haushälterin zog eine Augenbraue hoch und ich spitzte die Ohren.

»Sein wir doch mal ehrlich Taika: Seto braucht jemanden an seiner Seite oder soll er in seiner Firma ganz alleine versauern?«

Ich riss die Augen auf. Was meinte der kleine Knirps damit?

»Und du denkst er wird sich in den - ausgerechnet in den - verlieben?«

Selbst wenn: Ich verliebe mich mit Sicherheit nicht in den reichen Pinkel!

So viel Selbstachtung hatte ich dann doch noch!

Um mit Kaiba eine Beziehung zu führen, musste man entweder Hirnamputiert sein oder ... Nein, etwas anderes fiel mir nicht ein!

Und dann kam mir der Gedanke, dass vielleicht jeder so dachte und das er deswegen niemanden an seiner Seite hatte. Nur weil er zu mir immer so widerlich war, hieß das ja nicht, dass er jeden so behandelte.

»Ich denke, dass Joey genau der Richtige für meinen Bruder ist. Denn bei ihm lässt selbst Seto mal eine Emotion zu - wenn auch nur die negativen, aber immerhin Emotionen!«

Irgendwie war mir der Hunger in diesem Moment vergangen und ich machte kehrt, ging zurück in mein Zimmer, in dem ich mich am liebsten für immer unter der Bettdecke verstecken würde!

Wie sollte ich das hier nur langfristig aushalten?
 

Kaiba hatte mir all meine Sachen auf mein Zimmer bringen lassen. Um mir die Langeweile zu vertreiben und meinen knurrenden Magen zu übertönen, kramte ich aus einer der Kisten meine Duell Monsters Karten heraus und setzte mich damit aufs Bett. Ich würde mein Deck anpassen und etwas verändern, um mich von der Trostlosigkeit hier abzulenken. Bei meinem Vater hatte ich mich zwar auch nie wirklich wohlgeführt, aber diese große Villa mit den kahlen Wänden und den sterilen Farben fand ich noch schlimmer. Im Haus meines Vaters hatte ich wenigstens noch ein bisschen für Gemütlichkeit gesorgt. Aber ob man das hier gemütlich machen konnte, war fragwürdig. Ich müsste hier einiges verändern um mich hier wohlfühlen zu können. Angefangen bei den langweiligen Wänden: Das blöde weiß gehörte definitiv überstrichen. Und der dunkle Fußboden ließ den großen Raum so klein wirken. Kaiba sollte wirklich mal darüber nachdenken helleres Parkett zu verlegen!

Die Möbel - mal abgesehen von dem gigantischen Bett - waren auch nicht mehr wirklich zeitgemäß und erinnerten einen eher an ein altes Hotel. Keines, in dem ich mir jemals eine Nacht leisten könnte, wohlgemerkt.

Ich fragte mich was Kaiba wohl dazusagen würde, wenn ich ihm vorschlug seine Inneneinrichtung umzugestalten. Bestimmt würde er einen Anfall bekommen und mich für völlig verrückt erklären. Aber es würde mich nicht weiter interessieren. Der Aufenthalt hier würde eh zur Hölle werden, also machte der eine Ausraster mehr oder weniger den Kohl nun auch nicht mehr fett.

Ich grinste breit beim Sortieren meiner Karten und freute mich über den Gedanken. Ich fragte mich auch, was er wohl tun würde, wenn ich dieses Thema vor Miss Sakura ansprechen würde. Wenn sie im Raum war musste er sich zügeln, immerhin würde sein Verhalten zu Mokubas Zukunft in diesem Haus erheblich beitragen!
 

Zehn Minuten später klopfte es und noch bevor ich etwas sagen konnte, trat die Person schon ein. Es war Taika.

»Das Abendessen ist fertig«, informierte sie mich kurz angebunden. »Mister Kaiba bittet Sie nach unten ins Esszimmer!«

Am liebsten hätte ich abgelehnt und wäre hier oben geblieben, aber mein knurrender Magen machte mir da einen Strich durch die Rechnung. Und zum anderen wollte ich mich nicht gleich am ersten Abend unbeliebt in diesem Haus machen. Obwohl ... Wenn man es genau betrachtete, war ich hier schon unbeliebt. Der einzige, der sich über meine Anwesenheit freute, war Mokuba.

»Muss ich dafür einen Anzug anziehen?«, stellte ich die nicht ernst gemeinte Frage und nahm meinen Kartenstapel vom Schoß, damit ich aufstehen konnte.

Der Gesichtsausdruck der Haushälterin veränderte sich schlagartig, was ich nicht richtig deuten konnte. Zum einen sah es aus wie Empörung und zum anderen wie Belustigung.

»Besitzen Sie denn überhaupt einen?«

Ich verzog pikiert das Gesicht. Die Aussage hatte gesessen, aber andererseits hatte sie ja bereits vorhin gesagt was sie von mir hielt und folglich auch von meiner Herkunft. Am liebsten würde ich ihr dafür das selbe sagen, was ich Seto vorhin schon gesagt hatte, aber ich verkniff es mir. Immerhin kochte sie in diesem Haus und ich wollte nicht, dass sie mir in Zukunft in die Suppe spuckte!
 

Taika führte mich zum Esszimmer und nutzte die Gelegenheit gleich um mir zu erklären welche Räume sich hinter den anderen geschlossenen Türen befand.

Die erste Tür hinter der erschreckend großen Eingangshalle und gegenüber von der protzigen weißen Mamortreppe führte zum Wohnzimmer.

Die nächste Tür zu einem Gästebad, was vermutlich einer Wellnessoase glich. Denn immerhin hatten die Architekten diese Villa für stinkreiche Yachtbesitzer gebaut, die sicherlich oft und viele Gäste einluden. Woher sollten die also wissen, dass dieses 5-Sterne Teil ausgerechnet von jemandem bewohnt wurde, der Menschen generell als lästig empfand!

Neben dem Bad gab es wohl eine Art Salon, den man aber wohl nicht mehr nutzte und dann standen wir endlich vor dem Esszimmer.

Taika erklärte mir noch das sich am Ende des Gangs die Küche mit Zugang zum Garten befand und das links hinter der Treppe die Tür zum Keller ist. Dann verschwand sie und überließ mich mir selbst.

Ich klopfte nicht an, sondern öffnete einfach die Tür.

Das Esszimmer sah genauso kalt und steril aus, wie die restlichen Räume. Weiße Wände, Decke und weißer Fußboden mit schwarzen Möbeln.

An der Westseite des Raums befand sich ein riesiges Fenster, welches das Zimmer mit so viel Licht erfüllte und einen so sehr blendete, dass man das Gefühl hatte zu erblinden.

Mokuba und Seto thronten bereits am Esstisch. Majestätisch und klobig und protzig sah das Teil aus. Und es war so lang, dass Mokuba am einen Ende Schwierigkeiten haben musste Seto am anderen Ende zu erkennen.

Ich hätte am liebsten irgendeinen flapsigen Spruch zu meiner Ankunft gemacht, ließ es aber bleiben und setzte mich stattdessen auf einen der restlichen 12 freien Stühle, der so weit weg von Seto stand wie nur möglich.

»Geht es dir wieder besser Joey?«, fragte mich Mokuba aufgeregt und legte im selben Moment Gabel und Messer nieder.

Diverse Körperstellen taten zwar noch weh, als hätte mich erst vor ein paar Minuten ein Lastwagen überrollt, aber da ich schlimmeres gewohnt war, ignorierte ich das gekonnt.

»Alles Palletti Moki!«, antwortete ich lächelnd.

Der kleine Kaiba öffnete erneut den Mund, doch ich schnitt ihm das Wort ab. »Jetzt esst, sonst wird es kalt!«

Mokuba schloss den Mund wieder, blickte mich verwirrt an, aß aber trotzdem weiter, als wäre nichts gewesen.
 

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Nachdem wir das Essen beendet hatten, kam eine andere Hausangestellte und räumte das Geschirr weg. Ich bedankte mich dafür bei ihr, was sie erröten ließ. So schnell wie sie gekommen war, verschwand sie dann auch wieder.

Mokuba leerte sein Glas Limonade, wünschte Seto und mir eine gute Nacht und verschwand dann ebenfalls.

Als ich ihm folgen wollte, räusperte sich Seto plötzlich. »Bist du sehr müde?«

»Nö, wieso?«

»Kommst du dann noch mit in den Salon? Ich würde gerne etwas mit dir besprechen!«

Ohne meine Antwort abzuwarten ging er durch die Tür an der gegenüberliegenden Seite. Ich könnte immer noch verschwinden, aber andererseits war ich auch neugierig auf das was er mir zu sagen hatte. Wenn es am Ende nur ein weiteres Streitgespräch war, war es auch nicht schlimm. Immerhin redeten wir hier von Seto Kaiba alias Oberarsch vom Dienst. Ich wusste mich zu wehren!
 

Taika hatte über den Salon keine Lügen erzählt: Dieser Raum wurde nicht viel genutzt!

Die Möbel entsprachen nicht im Geringsten Kaibas Einrichtungsstil und stammten aus einer ganz anderen Zeit. Sie sahen abgenutzt aus und waren mit einer dünnen Staubschicht bedeckt. Der Raum hatte keine Fenster und war kleiner als der Flur. Es standen zwei Ledersofas in der Mitte und an der hinteren Wand zwei Bücherregale und dazwischen ein Weinregal, was bis zum Anschlag gefüllt war.

»Willst du auch ein Glas?«

Ich zog die Augenbraue hoch, während ich mich auf eines der Sofa plumpsen ließ. »Ich wusste gar nicht das der große Seto Kaiba ein Alkoholproblem hat!«

Das süffisante Grinsen konnte ich mir einfach nicht verkneifen. Es war schön zu wissen das auch ein Seto Kaiba gewisse Schwächen hatte. Ich hätte zwar nie im Leben vermutet, dass es bei ihm der Alkohol sein könnte. Aber wenn ich mir seinen Vorrat anschaute und davon ausging das er am Abend eine ganze Flasche davon trank, könnte man schon von leichter Abhängigkeit sprechen.

Na toll ... Vom Alkoholabhängigen Vater zum Alkoholabhängigen Verlobten. Langsam glaube ich Gott versucht mir etwas zu sagen! Ich sollte vielleicht langsam anfangen auf ihn zu hören!

»Bei dir ist wohl auch wirklich nichts mehr im Gehirn übrig oder? Sehe ich aus als hätte ich die Kontrolle über mein Leben derart verloren?«

Am liebsten hätte ich etwas dazu gesagt, aber weil es schon spät ist und ich müde bin, verkniff ich mir mein Kommentar und bat ihn stattdessen zum Punkt zu kommen.

Seto räusperte sich verhalten. »Mokuba hat dir ja bereits eine entsprechende Entlohnung für deine Dienste angeboten, nun möchte ich dir auch Entgegenkommen ... Also - was willst du?«

»Mhmm«, machte ich nachdenklich und blickte hoch zur Decke.

An sich hatte ich keine Wünsche. Ich wollte immer nur das es meiner Schwester gut ging. Geld brauchte ich nicht wirklich und ansonsten war ich auch rundum glücklich. Außer ...

»Wie wärs mit Urlaub am Meer? Davon hätten wir alle etwas!«, sagte ich und blickte den Brünetten fragend an.

Seto verzog minimal das Gesicht. Ich glaube mir Geld zu geben wäre ihm lieber gewesen! Einen Scheck auszustellen bringt ja immerhin keinen Arbeitsaufwand mit sich!

Aber so ein Urlaub am Meer ... Da erstickt er ja in zusätzlicher Arbeit und wenn wir dann da sind verreckt er vor Langeweile, weil er mit seiner Freizeit nichts anzufangen weiß. Oder er nimmt sich so viele Akten mit, dass Mokuba und ich am Ende eine Papierburg statt einer Sandburg bauen werden.

»Und einen anderen Wunsch hast du nicht?«, fragte er ziemlich streng.

Ich kam mir augenblicklich vor wie ein Kind das es mit seinem Weihnachtswunsch etwas übertrieben hatte und die kalten blauen Augen verunsicherten mich noch mehr.

»Es muss nicht sein ... Also Ähm ... Wenn es dir nicht passt müssen wir auch nicht ... Ähhh«

So richtig wusste ich auch nicht was ich sagen sollte. Eigentlich stand nachgeben für mich gar nicht zur Debatte, aber diese blauen Augen waren wirklich beängstigend!

Kaiba antwortete mir nicht, sondern nippte einfach nur an seinem Weinglas. Ich traute mich auch nicht noch etwas zu sagen und so saßen wir einfach eine ganze Weile schweigend da. Die alte Uhr über der Tür tickte vor sich hin und von ganz weit weg hörte man das Gebläse der Klimaanlage.

Ich wollte nicht alles in diesem Raum auffällig ansehen, also legte ich meine Hände auf meine Knie und konzentrierte mich darauf.

Das ging eine ganze Weile so, bis Kaiba die Weinflasche zur Hälfte geleert hatte.

Er schenkte sich ein weiteres Glas ein und sagte nebenbei: »Du kannst in dein Zimmer gehen! Wir reden morgen darüber!«

Ich nickte und stand auf. Während ich langsam durch den kleinen Salon ging und der Tür immer näher kam, überlegte ich ob ich ihm eine gute Nacht wünschen sollte.

Irgendwie bezweifelte ich das er die haben würde, weil er vermutlich sogar von seiner Firma und der ganzen Arbeit träumte. Oder vielleicht auch davon, wie er Yugi seinen Titel als König der Spiele wieder aberkennen konnte.

Am Ende drehte ich mich einfach um und verließ den Salon ohne etwas zu sagen.

Ich ging direkt in mein Zimmer und fiel erschöpft in mein Bett, ohne mich umzuziehen.

Wie sollte ich es hier nur aushalten?

Kapitel 5

Taika klopfte schon in aller herrgottsfrüh an meine Tür und trat ohne Erlaubnis ein.

Sie grüßte ziemlich verhalten und brummig, zog die pechschwarzen Gardinen bei Seite und verschwand dann wieder.

Ich brummte eine böse Beleidigung und rollte mich anschließend auf die andere Seite mit dem Ziel die Augen noch einmal zu schließen. Nur leider machte mir da der nächste ungebetene Besucher einen Strich durch die Rechnung. Und der hatte lange schwarze Haare, war klein wie ein Zwerg und turnte durch mein Zimmer wie ein Zirkusartist.

»Aufstehen Schlafmütze, dass Frühstück ist fertig!«, brüllte Mokuba wie ein Irrer durch den ganzen Raum und landete plötzlich unsanft auf mir.

Erschrocken schrie ich schmerzerfüllt auf und schubste den Zwerg auf die andere Seite der Matratze. Ich sollte einen Baseballschläger unter meinem Kopfkissen verstecken, damit ich ihn in Zukunft K.O. hauen konnte, sobald er mein Bett auch nur berührte.

Für heute würde ich ihn allerdings nicht mehr so schnell loswerden, also setzte ich mich auf und rieb mir die Augen, während ich herzhaft gähnte.

Mokuba ließ mir natürlich keine Zeit richtig wach zu werden. Kaum sah er, dass ich die Augen aufgeschlagen hatte, packte er mich auch schon am Arm und zog mich aus dem Bett. Während er den Absprung gerade noch schaffte und sicher auf den Füßen landet, machte ich unsanft Bekanntschaft mit den harten Fliesen, die Dank meines Vaters doppelt so wehtaten. Ich fragte mich, ob nach diesem Sturz nun auch der letzte Quadratzentimeter meiner Haut blau und grün werden würde. Dann würde ich wohl endgültig entweder als Schlumpf oder als Marsmännchen durchgehen. Könnte sehr lustig werden, wenn ich mich das nächste Mal mit meinen Freunden treffen würde. Am Ende dankten sie Seto und Mokuba noch für diese völlig irre Idee mich aus den Klauen meines Vaters zu befreien!

»Steh auf Joey, wir müssen runter! Taika wird sonst fürchterlich böse!«

Ich stöhnte nur genervt und versuchte mich irgendwie aufzusetzen. Nur leider wollte das nicht funktionieren, also blieb ich einfach liegen und starrte die schneeweiße Decke an.

Mokubas Gesicht tauchte über meinem auf und er sah mich besorgt an.

»Ist alles in Ordnung? Soll ich Seto holen?«

»Nein bloß nicht!«, sagte ich panisch und versuchte erneut mich aufzusetzen.

Dieses Mal schaffte ich es tatsächlich mich etwas aufzusetzen. Ich versuchte mich in dieser Position zu halten und grinste Mokuba an.

»Geh schon mal vor«, sagte ich und verkniff mir mit aller Macht ein schmerzerfülltes Stöhnen. »Ich zieh mir nur schnell etwas über und dann komme ich nach!«

Der Terrorbolzen sah im ersten Moment nicht besonders überzeugt aus, lächelte dann aber sein kindliches Lächeln und verschwand strahlend aus dem Zimmer.

Kaum war er draußen ließ ich mich wieder auf den Boden fallen und schrie beinahe vor Schmerzen auf.

Ich wünschte mein Vater würde im Suff nicht doppelt so hart zuschlagen wie im nüchternen Zustand. Dann könnte ich mich jetzt wenigstens noch bewegen wie ein normaler Mensch!

Jetzt musste ich nur noch hoffen, dass mein Fehlen beim Frühstück unbemerkt blieb und schon könnte ich den ganzen Tag hier liegen bleiben und warten bis die Schmerzen abklingen.

Doch schon wenige Sekunden später hallten schwere Schritte durch den Flur und mir war sofort klar wer jetzt meine Ruhepause stören würde!

Denn so viel Wut konnte nur ein Mensch in seine Schritte legen: Seto Kaiba höchstpersönlich!

Wenige Sekunden später flog auch schon die Tür auf und der reiche Pinkel stand im Zimmer.

Ich machte mir gar nicht erst die Mühe ihn anzusehen. Seinen Gesichtsausdruck konnte ich mir bildlich vorstellen. Die eisblauen Augen, die alles in seiner Umgebung einfrieren taten.

»Was um Himmels Willen machst du da?«

»Ich relaxe, nach was siehts denn aus? Dein Boden ist bequemer als er aussieht!«

Ich sehe aus dem Augenwinkel wie er eine von seinen fein geschwungenen Augenbrauen hochzieht und würde ihm für diese arrogante Geste am liebsten eine herunterhauen. Wenn er sich dafür nur ganz kurz zu mir hinab bücken würde - Und eventuell auch die Steuerung meines Arms übernehmen würde...

»Das Frühstück ist fertig! Dein Körbchen kannst du später aufsuchen Köter!«

Da ist er wieder! Der reiche Pinkel ist wieder vollkommen geheilt und benimmt sich wieder komplett normal - zu mindestens für seine Verhältnisse!

»Ich hab's beinahe schon vermisst«, knurrte ich ungehalten.

Danach legte ich meine Hand an meine Seite und drückte auf einer Stelle herum, die mein Vater gestern sehr schlimm erwischt hatte. Die damit verbundenen Schmerzen waren wohl auch der einzige Grund dafür, dass ich immer noch auf dem Boden herumlungerte, statt mich auf das Frühstücksbüffet der Kaiba Villa zu stürzen.

Beim antatschen tat die Stelle tatsächlich nicht mehr so weh, wie eigentlich erwartet, weswegen ich einen erneuten Versuch startete vom Boden aufzustehen. Endete nur leider in genauso peinlich wie all die anderen Versuche auch.

Aus dem Augenwinkel sah ich den schwerreichen arroganten Sack eine Augenbraue hochziehen, weswegen ich den Blick peinlich berührt abwandte und lieber aus dem Fenster sah.

»Schönes Wetter, ich denke ich werde mit Mokuba nachher noch einen Spaziergang durch den Park hinter eurem Haus machen!«

»Das ist der Garten und Mokuba kennt diesen bereits in und auswendig!«

Was hatte ich eigentlich anderes erwartet? Natürlich hatte DER einen Garten, der dreimal so groß war, wie unser Schulhof.

»Sorry ist leicht zu verwechseln! Dann spiele ich eben mit ihm eine Runde Duell Monsters! Ist dir bestimmt lieber als wenn du dich um seine Bespaßung kümmern musst oder?«

»Er hat zwei Kindermädchen, er hat Beschäftigung genug!«

Irgendwie hatte ich keine Ahnung auf was dieses Gespräch hinauslaufen sollte, also hielt ich einfach den Mund. Viel mir ziemlich schwer!

»Da wir das nun geklärt hätten, bei Fuß in Richtung Esszimmer Hund!«

Ich sagte gar nichts dazu, weil ich hoffte er würde sich einfach wieder verziehen und mich alleine lassen.

Nur leider hatte ich da die Rechnung ohne Seto Kaiba gemacht, der ja für bekanntlich immer seinen Willen bekam - es sei denn er spielte Duell Monsters, da wirkte seine einehmende Aura irgendwie nicht so wirklich.

»Was ist?«

Okay Joey Wheeler, länger kannst du es nicht mehr verschweigen. Na gut, sagte ich mir selbst und machte mich innerlich schon auf ein Donnerwetter gefasst.

»Ich kann mich im Moment nicht wirklich schmerzfrei bewegen, wenn du also nicht auf dein Frühstück verzichten möchtest solltest du hinuntergehen!«, sagte ich ruhig und starrte dabei die Decke an.

Irgendwie hatte ich Angst, er würde mich mit seinem eisigen Blick einfrieren, wenn ich ihm zu lange in die Augen sah.

Ich erwartete von ihm ein genervtes Schnauben oder eine blödes Kommentar, doch nichts davon geschah.

Stattdessen gruben sich zwei Arme unter meinen Oberkörper und meine Beine und hoben mich hoch.

Nun war ich doch wieder gezwungen ihm in die Augen zu sehen, weil ich einfach nicht fassen konnte was er da gerade tat.

Der große Seto Kaiba, Arsch vom Dienst, bückte sich und machte sich die Mühen mich, den räudigen Köter, vom Boden hochzuheben.

»Wer bist du und was hast du mit Seto Kaiba gemacht?« - Das Kommentar konnte ich mir beim besten Willen nicht verkneifen.

Diese Worte verließen meinen Mund von ganz alleine.

Kaiba schienen sie - wie zu erwarten - nicht zu gefallen. Doch er verkniff sich unpassende Wiederworte, schnaubte nur herablassend und schlang die Arme fester um mich, damit ich ihm auch ja nicht wegrutschten konnte.

Die Wärme seines Körpers drang durch mein dünnes T-Shirt und ich fühlte mich zunehmend wohler in seinen Armen. Es war unglaublich wohltuend, mal so von jemandem gehalten zu werden. Es fühlte sich so gut an, dass ich kurz davor war gleich wieder einzuschlafen.

Ich stellte es mir unglaublich erholsam vor so die ganze Nacht von ihm gehalten zu werden. Die Person, der dieses Privileg vorbehalten war, konnte sich verdammt glücklich schätzen - auch wenn er im großen und ganzen nichts weiter als ein ungehobelter Eisklotz ist.

Kaiba legte mich wieder ins Bett, was dafür sorgte das ein Stechen durch all meine Glieder fuhr.

Das schmerzerfüllte Stöhnen konnte ich mir nicht verkneifen und Kaiba sah mich daraufhin zweifelnd an.

»Sind die Schmerzen schlimmer geworden?«

»Bis vorhin waren sie auszuhalten und dann kam dein Bruder und war der Meinung mich als Trampolin nutzen zu müssen!«

Kaiba verzog so minimal das Gesicht, dass es mir beinahe gar nicht aufgefallen wäre.

»Ich werde den Arzt nachher noch mal kommen lassen. Wenn die Schmerzen morgen immer noch nicht besser sind, werde ich dich ins Krankenhaus bringen lassen!«

Ich stöhnte genervt und verdrehte die Augen. »Das muss echt nicht sein! Morgen wird's mir schon wieder besser gehen, halt bloß Mokuba von meinem Bett fern!«

Dieses Mal verzog Kaiba das Gesicht etwas länger und sah dabei nachdenklich aus dem Fenster.

Es schien, als würde er mit sich selbst ringen und überlegen ob er meinen Vorschlag annehmen sollte.

Aber wir redeten hier immerhin von Seto Kaiba und der würde nicht so heißen, wenn er nicht immer seinen Kopf durchsetzen musste.

»Keine Diskussion! Ich werde jemand mit deinem Frühstück hochschicken!«

Und ehe ich etwas dazu sagen konnte, verschwand er schon wieder aus dem Zimmer.
 

Wenig später kam eine seiner Bediensteten mit einem Tablett in der Hand.

Ich hätte echt nicht gedacht das außer Taika, Roland und dem Dienstmädchen von gestern Abend noch jemand für ihn arbeiten würde, aber anscheinend hatte er neben einer Köchin und einem Chauffeur auch noch Dienerin die ihm alles hinterhertrugen.

Ob er sie auch zu seiner persönlichen Bespaßung angestellt hatte?

Das Mädchen war kaum ein Stück größer als Mokuba und wirkte verloren zwischen dem breiten, hohen Türrahmen.

»Ihr Frühstück Mister Wheeler. Soll ich es hier vorne auf dem Tisch abstellen oder soll ich es ihnen ans Bett bringen?«, fragte sie schüchtern.

Sie hatte eine ähnlich zurückhaltende Art, wie Makoto aus der Kaiba Corporation.

Ich begann breit zu grinsen, in der Hoffnung ich könnte ihr so die Angst nehmen.

»Bitte nenn mich Joey, sonst komm ich mir so alt vor!«

Sie nickte nur und wiederholte ihre Frage mit korrigierter Anrede.

Ich bat sie, mir das Tablett direkt zu geben und kaum hatte sie das getan, verschwand sie auch schon wieder.

Ich seufzte. Wenn das Leben in dieser Villa immer so schrecklich langweilig und formell sein würde, dann wollte ich lieber wieder zurück zu meinem, um sich schlagenden Vater. Da erlebte man immerhin was, wenn auch nicht unbedingt schöne Dinge.

Und hier haben wir sie wieder: Joey Wheelers masochistische fünf Minuten!
 

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Bis zum frühen Nachmittag verbrachte ich meinen Tag im Bett, sortierte meine Duell Monsters Karten und starrte aus dem Fenster, wenn ich nicht wusste welche Karten alle in mein neues Deck sollten.

Und dann stand plötzlich Mister Zaino im Raum und verkündete großspurig, dass er hier war um sich meine Verletzungen noch einmal genauer anzusehen.

Am liebsten hätte ich die Augen verdreht.

Der Typ behandelte mich wie ein kleines Kind und schien noch dazu seinen Job nicht wirklich ernst zu nehmen. Und das sagte ich bestimmt nicht nur, weil er sich meine blauen Flecken nur einmal halbherzig ansah und danach mit dem Kopf schüttelte.

»Tut mir Leid Mister Wheeler, aber außer ein paar Prellungen kann ich leider nichts anderes feststellen !«

Mehr hatte ich von einem Arzt der Reichen und Schönen auch nicht erwartet. Der Typ war doch nur scharf auf seine Moneten, eine ernste Diagnose konnte man von dem nicht erwarten!

»Wenn sie Schmerzen haben sollten, lasse ich Ihnen ein paar Tabletten hier. Mit denen können Sie das lindern. In ein paar Tagen sollte es Ihnen aber wieder besser gehen!«

Nun verdrehte ich wirklich die Augen.

Die blöden Tabletten konnte er behalten - die halfen mir eh nicht mehr. In den letzten Jahren hatte ich so viele davon geschluckt, dass ich die Wirkung einer Paracetamol 800mg nicht mal mehr spürte. Und seit ich das mitgeschnitten hatte, fraß ich die Teile nicht mehr. Denn bevor ich mir damit auch noch Magen und Nieren zerstörte, litt ich lieber die paar Schmerzen.

Er legte einen Riegel Tabletten auf den Nachttisch und schloss dann seine Tasche mit laut klickenden Metallschlössern.

»Sie sollten sich noch ein paar Tage schonen!«

Ich nickte gehorsam.

»Und nehmen Sie eine Tablette wenn es zu schlimm wird!«

Ich nickte erneut.

»Und geben Sie auf Mister Kaiba acht!«

Ich nickte wieder, ohne den Sinn dieses Satzes zu hinterfragen und Mister Zaino verschwand im Flur.

Zweifellos würde er Kaiba jetzt noch Bericht erstatten und ihm sagen, dass sich mein Zustand nicht verschlechtert hatte. Wofür ich ihm irgendwie auch dankbar war, denn so konnte ich mir eine Fahrt ins Krankenhaus ersparen. Aber andererseits hatte dieser "Arzt" eine Schweigepflicht, an die er sich eigentlich zu halten hatte.

Skeptisch warf ich einen Blick auf die Tabletten und spielte einen Moment mit dem Gedanken eine davon zu mir zu nehmen, nur um die Schmerzen vielleicht wenigstens etwas lindern zu können. Obwohl ich wusste, dass sie do wieso nicht halfen.

Schlussendlich versteckte ich sie jedoch nur im Nachttisch und starrte dann missmutig aus dem Fenster.

Gleichzeitig fragte ich mich selbst, wie das hier alles in Zukunft weitergehen sollte.

Sollten diese 24 Quadratmeter ab sofort und für immer und ewig mein Gefängnis sein? Würde ich hier jemals wieder herauskommen?

Ich wollte gerade die Augen schließen und noch eine Runde schlafen, als Taika die Tür öffnete und ihren schmalen Körper hindurch schob.

»Mister Kaiba fragt ob, Sie in der Lage sind den Salon aufzusuchen?«

»Kann er nicht einfach einen Brief schreiben und mir den zukommen lassen? Ich habe ehrlich gesagt keine Lust ihn zu sehen!«

Taika schnaufte und baute sich genau vor meinem Bett auf.

»Genau aus diesem Grund habe ich keine Kinder; dieses trotzige Teenager-Verhalten geht mir sowas von gegen den Strich! Gott bewahre den Tag, an dem Mokuba in die Pubertät kommt!«, zeterte sie und zog mir im nächsten Moment die Bettdecke von den Beinen, bevor ich sie daran hindern konnte. »Und jetzt ziehen Sie sich etwas ordentliches an und kommen Sie in den Salon!«

Ich wollte den Versuch wagen zu protestieren, aber Taika unterbrach mich bereits beim Luft holen: »Wage es dich jar nicht jetzt zu bellen, sonst besorge ich dir einen Maulkorb!«

Mein Mund klappte von alleine wieder zu und mir wurde schlagartig klar, wo Kaiba seine Hunde-Affektion her hatte.

»Sie haben zehn Minuten, dann will ich Sie unten sehen und die hier« - sie raffte meine Bettdecke in ihren Armen zusammen - »nehme ich bis heute Abend unter Beschlag!«

Mit diesen Worten verschwand sie wieder und ließ mich grummelnd im Bett zurück. Die Tür ließ sie dabei demonstrativ sperrangelweit offen stehen, damit ich mich mindestens bewegen musste um die wieder zu zumachen.

Stöhnend ließ ich den Kopf in das Kissen fallen und kniff die Augen kurz zusammen, um einen Augenblick die Realität meines neuen Lebens auszublenden.
 

Ich wurde von Taika am Fuß der Treppe empfangen und gleich kritisch beäugt.

»Ich sollte Mister Kaiba bitten, jemanden anzustellen, der Ihnen bei der Auswahl angemessener Kleidung hilft!«, sagte sie tadelnd.

Ich verstand ihr Problem nicht, denn die Jeans und das weiße T-Shirt waren das ordentlichste was ich im Kleiderschrank hatte. Schon vor allem deswegen, weil mir beides mindestens eine Nummer zu klein war und überall zwickte.

»Kann ja nicht jeder 70.000 maßgeschneiderte Anzüge besitzen!«, meckerte ich und starrte auf meine, mit Lamawolle gefüllten, Pantoffel.

Taika schnaubte verächtlich. »Ich weiß das man sie mit Anzügen ausgestattet hat, bevor sie die Kaiba Corporation das erste Mal betreten haben - wo sind die alle bloß?«

Um ganz ehrlich zu sein: Sie dienen als Einlage für meine Umzugskartons, damit meine heiligen Dinge nicht zu Schaden kommen!

Nachdem Kaiba wieder aufgewacht war, wurde ich in der Kaiba Corp. nicht mehr gebraucht, geschweige denn die Anzüge. Deswegen hatte ich sie gleich ein paar Tage später in die hinterste Ecke meines Schrankes gehangen und bei meinem Auszug zwei Mal überlegt, ob ich sie überhaupt einpacken sollte.

»In der Reinigung!«, antwortete ich der Haushälterin ziemlich verspätet.

Sie verdrehte nur die Augen. Alte Zicke!
 

Schließlich blieben wir vor den geschlossenen Türen des Salons stehen.

»Mister Kaiba und Mister Johnson erwarten Sie schon!«

Sie klopfte für mich an die Tür und verschwand abschließend in der Küche.

Ich verdrehte wegen der groben Art und Weise die Augen und betrat dann den Salon.

Mr. Johnson trug heute ausnahmsweise mal keinen Anzug, sondern lediglich eine Jeans und ein lockeres Hemd. Machte ihn gleich viel jünger dieser Aufzug.

Kaiba hingegen wirkte selbst in Anzughose und schwarzem Rollkragenpullover so imposant und einschüchternd wie eh und je.

Die beiden brüteten über irgendwelchen Unterlagen. Vor Kaiba stand ein Glas Wein und Mr. Johnson genehmigte sich entweder Whiskey oder Rum - auf jeden Fall irgendetwas hochprozentiges. Zwei Getränke die man während der Arbeit auf jedenfalls nicht zu sich nehmen sollte! Aber anscheinend bargen ihre Jobs ein großes Risikopotenzial für eine Alkoholabhängigkeit.

Weil sie so vertieft in ihre Unterlagen waren, hatten sie mich gar nicht bemerkt. Und weil ich auch nicht wusste wie man höflich auf sich aufmerksam machte, sagte ich einfach ganz kurz »Hi«.

Überraschenderweise erschreckte das Mister Johnson so sehr, dass er beinahe sein Glas umstieß.

Ich verzog das Gesicht, weil es nicht passierte. Denn Kaibas Donnerwetter hätte von mir abgelenkt und mir die Möglichkeit zu fliehen eingeräumt. Mit einem Choleriker ist immerhin niemand gerne in einem kleinen Raum eingesperrt.

Kaiba sah mich nicht mal an. Er war noch mit seinen Unterlagen beschäftigt. Aus denen strich er gerade einen ganzen Absatz, der bestimmt mit dem feinsten Kauderwelsch gefüllt war, von dem ich selbst nach meinem Wirtschafts-Crashkurs nichts verstehen würde.

Während sein Anwalt also aufstand, mir die Hand reichte und mich fragte wie es mir ging, blieb er einfach auf seinen Sofa sitzen und ging seine Blätter durch.

Mr. Johnson vor mir einen Sitzplatz an und fragte mich, ob ich auch etwas trinken wollte. Was ich natürlich verneinte. Wollte ja nicht so enden wie mein Vater ... Oder Kaiba.

Und dann saßen wir schweigend da, bis Kaiba seine Unterlagen durchgearbeitet hatte und uns abwartend anblickte. Vor allem ich wurde von seinem Blick geradezu durchbohrt.

Er wartetet noch eine gefühlte weitere Ewigkeit, bis er endlich seinen Mund aufmachte.

»Das ist dein Vertrag!«, sagte er und schob mir den Stapel Blätter über den Tisch hinweg zu. »Zu diesen Konditionen werden wir unsere Schein-Beziehung weiter führen, solange es eben nötig ist. Ich habe dort noch ein paar Änderungen vorgenommen. Lese dir das sorgfältig durch und wenn du mit allem einverstanden bist, gib mir bitte eine Rückmeldung, dann bekommst du zur Unterschrift ein ordentliches Dokument vorgelegt!«

Ich ahnte schlimmes.

Kryptisch beäugte ich den Krempel und sah abschließend wieder Kaiba an.

»Darf ich eigentlich auch noch ein paar Dinge festlegen?«

Kaiba zog eine fein geschwungene Augenbraue hoch und wollte gerade etwas sagen, als ihm Mister Johnson ins Wort fiel: »Aber natürlich Mister Wheeler. Gerne können auch Sie ein paar Bedingungen stellen, nur achten Sie bitte auf ein gesundes Maß. Halten Sie Ihre Anmerkungen gerne am Ende des Dokumentes fest.«

Zufrieden mit dieser Aussage sprang ich auf, schnappte mir die Blätter und verabschiedete mich höflich, ehe ich den Raum verließ.

Kaiba würde seinen Lebtag nicht mehr froh werden, dass wusste ich! Denn der reiche Pinkel war es mit Sicherheit nicht gewohnt, dass man ihm Vorschriften machte.

Aber dieses Mal würde er nicht drum herum kommen, auf meine Bedingungen einzugehen. Denn er brauchte meine Hilfe und nicht ich seine.

Hätte nie gedacht, dass ich diesen Moment miterleben dürfte!

Kapitel 6

Bewaffnet mit einem Stift hatte ich mich aufs Bett gesetzt und die erste Seite des „Vertrags“ aufgeschlagen.

Alleine der erste Absatz machte mich schon wieder wütend und ließ Kaibas sadistische Veranlagung deutlich werden.

Denn laut diesem war es mir untersagt, während der gesamten Dauer unserer „Beziehung“ öffentlich Zuneigung zu einer anderen Person zu bekennen.

Mit anderen Worten: Es war mir vermutlich für den Rest meines Lebens verboten auf Dates zu gehen, jemanden auf der Straße zu küssen oder gar Händchen zu halten.

Man könnte fast meinen Kaiba legte solche Klauseln fest, weil er schnell eifersüchtig wird oder sich die Exklusivrechte sichern möchte.

Aber wir alle wussten, warum dieser Satz aufgeführt war: Er wollte nur seinen eigenen Arsch retten! Es würde seinem Ruf nämlich sehr schaden, wenn sich sein ,,Verlobter" öffentlich mit anderen sehen ließ.

Und so wie ich die Klatschblätter der Stadt kannte, würden sie mir am Ende noch eine Affäre mit Yugi, Tea oder Tristan andichten, sollte ich Ihnen in der Öffentlichkeit zu nahe kommen.

Mein Herz machte bei diesen niedergeschriebenen Worten einen großen Seufzer und gleichzeitig fragte ich mich, ob Kaiba meine Affären in dieser Villa dulden würde. Denn wenn ich hier für den Rest meines Lebens bleiben musste, würde es zwangsläufig dazu kommen! Ich werde nämlich mit Sicherheit nicht als keusche Jungfrau in meinen Sarg klettern!

Weil das aus dem Rest von Absatz 1 nicht klar hervorging, markierte ich die Stelle und schrieb meine Anmerkungen auf die letzte Seite. Diese lautete wie folgt: Mir soll es erlaubt sein potentielle Partner mit in die Villa zu bringen.

Danach machte ich mich auf zu Absatz zwei.
 

Dem Kindergarten (Def. für Yugi Muto, Tristan Taylor, Tea Gardener und sämtlichen anderen Klassenkameraden) ist das Betreten der Villa strengstens untersagt.
 

Ich hatte mit so etwas ähnlichem schon gerechnet, allerdings nicht auf Seite eins.

Und weil ich ganz genau wusste, dass die nächsten dreißig Seiten nicht besser werden würden, klappte ich den Vertrag einfach wieder zu und schob ihn von mir weg.

Bevor ich auch nur daran denken würde diese Strafe zu unterschreiben, sollte sich Kaiba ein paar ordentliche Klauseln überlegen. Immerhin bin ich kein Gefangener, sondern ein Gast. Und ich wäre nicht hier, wenn er nicht auf meine Anwesenheit angewiesen wäre.

Ein paar Momente grübelte ich noch über dieses ganze Gedöns nach, ehe ich aus meinem Rucksack einen Block herausholte und damit begann meinen eigenen Vertrag zu schreiben.

Denn was Kaiba konnte, dass konnte ich schon lange!
 


 

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Taika betrat mein Zimmer ungefragt, stellte sich neben meiner Schlafstätte auf und beäugte meine Arbeit - mit der ich immer noch nicht fertig war - kritisch.

»Haben Sie eine Handaugenkoordinationsstörung Mister Wheeler?«

Ich zog die Augenbrauen zusammen und sah sie fragend an. »Wieso?«

»Weil ihre Handschrift aussieht, wie die eines Hundes, dem man versucht hat ein Kunststück beizubringen!«

»Zufälligerweise bekomme ich in Klassenarbeiten immer Extrapunkte für Schönschrift!«

»Sagte der Köter und versuchte auf zwei Beinen zu laufen!«

Beinahe hätte ich vor Wut geknurrt. Weil ich aber keine Lust auf einen weiteren Joey-Hund-Vergleich hatte, riss ich mich zusammen und klappte meinen Block wieder zu.

»Was kann ich denn dieses Mal für Sie tun?«, fragte ich sie ziemlich ungehalten.

Irgendwie bekam ich langsam das Gefühl, dass Kaiba nicht das schlimmste war, was in dieser Villa hauste.

Mit dem konnte ich mich vielleicht sogar arrangieren, wenn ich ihm nur so oft aus dem Weg ging, wie es möglich war.

»Das Abendessen ist fertig und man erwartet Sie im Esszimmer. Mister Johnson wird Ihnen heute Gesellschaft leisten!«, antwortete sie schnippisch. »Sehen Sie zu, dass sie ihren Hintern nach unten bewegen - schnellstmöglich, es sei denn sie wollen heute Nacht frieren!«

Sie wartete meine Antwort nicht ab, drehte sich um und verschwand.

Irgendwie erinnerte sie mich ein wenig an Cruella DeVille. Und wenn ich nicht aufpasste, würden meine Flecken in Zukunft ihren Mantel zieren.
 

Der Rest des Haushalts hatte sich bereits am Esstisch versammelt, als ich dazu stieß.

Zu meiner Überraschung saß Mister Johnson zu Mokubas linker Seite - also genauso weit von Kaiba entfernt, wie ich es beabsichtigte zu essen.

Entweder dudelte der Hausbesitzer niemanden in seiner Nähe oder selbst Mister Johnson hielt es nicht länger aus, als unbedingt nötig.

Eine Angestellte tischte auf und innerhalb von Sekunden bekam der Raum zwei Seiten.

Die nördliche Tischseite konnte man mit dem Königreich der Eiskönigin verwechseln, von der eine eiskalte Böe zu uns in die zauberhafte Welt von Oz hinüber wehte, sobald wir etwas zu laut wurden.

Bei uns hingegen fand eine rege Unterhaltung statt, an der sich zu meiner Überraschung sogar Mister Johnson beteiligte. So erfuhren wir zum Beispiel das er erst 27 Jahre alt ist - hätte ihn eher so Mitte 40 geschätzt - und das sein Vater bereits für den ehemaligen CEO der Kaiba Corp. gearbeitet hatte.

Der Kerl konnte sogar lachen und zu meiner Überraschung ziemlich gute Witze erzählen. Hätte ich von jemandem der acht Stunden seines Tages mit Seto Spaßbremse Kaiba verbringt gar nicht erwartet!

David Johnson schien also ein wirklicher Verbündeter zu werden. Im Gegensatz zu Taika, die ich so eben zu meiner Erzfeindin aus erkoren hatte.

Und weil mir das Abendessen heute so gut gefiel, blieben wir drei sogar noch etwas länger am Tisch sitzen und unterhielten uns angeregt.

Die Schneekönigin hingegen zog sich in ihr Eisschloss - er nannte es Arbeitszimmer - zurück.

Auch Mokuba blieb uns nicht sehr lange erhalten und verschwand ebenfalls in sein Bett.

Doch David - er hatte mir im Laufe des Gesprächs das Du angeboten - und ich ließen uns von Kaibas Angestellter noch etwas zu trinken einschenken.

Irgendwann blickte er mich schließlich direkt an und sagte: »Seto ist ein aufstrebender junger Mann, er ist nur so eklig zu den meisten, weil er einsam ist und nicht weiß wie man soziale Kontakte knüpft!«

Ich zog nur die Augenbrauen hoch und nahm einen großen Schluck Cola um das aufkeimende Lachen runterzuspülen.

Kaiba ist nicht einsam. Er ist überheblich, aalglatt und ein eingeschworener Menschenfeind. Er ist ekelig zu anderen, weil er jeden - außer sich selbst - hasst. Okay, Mokuba hatte sich noch eine kleine Ecke in seinem eingefrorenen Herz gesichert, aber danach hörte es mit der Nächstenliebe auch schon wieder auf!

David schien meinen zweifelnden Gesichtsausdruck mitbekommen zu haben, denn er begann zu grinsen und schwenkte das Whiskeyglass in seiner Hand hin und her ohne den Blick davon wegzunehmen.

»Ich war von Mokubas Idee zu Beginn nicht sehr begeistert - vor allem nicht, als er mir erzählt hat das du und Setos keine allzu freundliche Zwischenmenschliche Beziehung miteinander führt. Aber mittlerweile glaube ich, dass wir niemand besseren hätten finden können!«

»Warum?«

So richtig wollte mir das Ganze nicht einleuchten. Mag an meinem - angeblich - unterdurchschnittlichen IQ liegen. Oder einfach daran das David gequirlten Mist redete.

Das Grinsen des Anwalts wurde breiter.

»Ich glaube du kannst aus ihm einen anderen Menschen machen. Du musst nur hartnäckig bleiben und darfst nicht aufgeben. Dann könnte die ganze Verlobungssache in ein paar Jahren vielleicht Realität werden und die Bedingung dafür wäre kein Vertrag, sondern Liebe!«

Ich hätte vor Schreck beinahe meine Cola umgestoßen und versuchte das ganze danach mit einem vorgetäuschten Lachen lächerlich zu machen.

Kaiba und ich, heiraten aus liebe? Erst nachdem mindestens drei Ärzte meinen Hirntod festgestellt hatten!

»Ich glaube das kannst du dir ganz schnell wieder aus dem Kopf schlagen! Kaiba und ich hassen uns abgrundtief. Ein paar fehlende Gemeinsamkeiten sollen zwar förderlich für eine langanhaltende Beziehung sein, aber bei uns wären das definitiv zu viele. Wenn ich könnte würde ich eine Galaxie weiterziehen - und selbst das wäre vermutlich nicht genügend Abstand!«

David leerte sein Glas ohne etwas zu sagen und stand anschließend auf.

»Weißt du was ich an deinen Ansagen am meisten schätze? Du lehnst Kaiba als Persönlichkeit ab, aber nicht sein Geschlecht.«

Er grinste jetzt noch dümmlicher vor sich hin als vorher.

»Aber weißt du was: Ich kann die beiden gut leiden, trotzdem hätte ich mich auf so einen Deal niemals eingelassen, nicht mal Mokuba zu liebe! Und du machst das auch nicht nur wegen Mokuba - da steckt mehr dahinter du weißt es nur noch nicht!«

Ich verdrehte die Augen. Noch so ein klischeehafter philosophischer Satz und ich ziehe ihm eine über! Echt jetzt!

»Du hast recht; ich bin unsterblich in ihn verliebt und sprühe nur so vor rosa Herzchen wenn Kaiba mir über den Weg läuft! Es war schon immer mein größter Traum hier zu sitzen und mich sein Verlobter zu nennen! Und nachts ... Oh ja nachts, da reißen wir uns voller Leidenschaft alle Klamotten vom Leib und vögeln uns gegenseitig das Hirn raus!«

Ich versuchte so viel Ernsthaftigkeit in meine Stimme zu legen wie ich aufbringen konnte.

Warum waren eigentlich alle der Meinung Kaiba und ich würden ein so wundervolles Liebespaar abgeben? Wir würden vermutlich innerhalb von einer Woche die Villa in Schutt und Asche zerlegen, sollten wir jemals zusammenkommen.

Was rede ich da - ich würde ihn kastrieren bevor auch nur auf die Idee kam mich anzufassen.

Kaibas und Wheelers waren eben einfach nicht kompatibel. Das hatte die Natur so festgelegt. Wir waren quasi genetisch dazu programmiert worden, uns zu hassen!

»Ich glaube das könnte dir so passen Wheeler!«

Augenblicklich wurde ich rot, als die schneidend kalte Stimme direkt hinter mir ertönte.

»Oh glaub mir Kaiba, das war ein Witz! Bevor ich dich ranlasse müssen noch ein paar tausend Sterne verglühen!«

Der reiche Pinkel zog nur spöttisch einen Mundwinkel nach oben und machte ein komisches Geräusch.

»Und ein Köter wie du bräuchte ein paar Flohbäder!«

Jetzt geht das wieder los.

Langsam wurde es echt langweilig und er sollte sich mal was Neues überlegen.

»Ein weiteres überzeugendes Argument für getrennte Betten - ach was erzähle ich: Getrennte Wohnorte! Gute Nacht David!«, zischte ich, drehte mich zu Kaiba um.

Ich blickte direkt in die eisblauen Augen, die plötzlich gar nicht mehr so spöttisch dreinschauten. Musste ich mir jetzt Sorgen um seine Gesundheit machen? Als Krankenschwester war ich wirklich ungeeignet! Yugi konnte da ganz witzige Anekdoten erzählen.

»Gute Nacht - Herrchen!«

Ich konnte mir diesen Spitznamen beim besten Willen einfach nicht verkneifen. Und weil ich keine Lust auf eine weitere Diskussion mit Kaiba hatte, flitzte ich die Treppe hoch und verschanzte mich in meinem Zimmer.

Meine Augen erfassten sofort den Block und den Stift. Ich begann diabolisch zu grinsen.

Flöhe sprangen auch auf Menschen über und ich würde dafür sorgen, dass sie Kaiba wegen meiner Anwesenheit die Haut wund und blutig kratzte.

Das hier würde mich kein Zuckerschlecken werden und für Kaiba sollte es erst recht keins werden.

Ich wollte ja nicht, dass der reiche Pinkel früher oder später doch noch Gefallen an mir fand. Dann müsste ich mir von Taika eins ihrer Beile ausleihen und ihn doch noch kastrieren.

Doch irgendwie gefiel mir die Idee dann doch nicht mehr so gut und mein Herz zog sich ein wenig zusammen.

Jetzt geht es los: Ich bin bereit für die Einlieferung!
 


 

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Ich hatte keine Sekunde geschlafen, als Taika am nächsten Morgen meine Tür aufriss.

»Sie sehen beschissen aus!«, waren ihre ersten und einzigen Worte.

Am liebsten hätte ich irgendetwas alla „Danke gleichfalls“ gesagt, aber irgendwie hatte ich die Vermutung das sie ganz tief in ihren Küchenschränken noch eine Dose Hundefutter versteckte und nur darauf wartete, diese zum Einsatz bringen zu können.

»Das Frühstück wird in einer halben Stunde fertig sein - Denken Sie, Sie schaffen es bis dahin Salonfähig zu sein?«

Irgendwie konnte ich bei ihr nicht ganz auseinanderhalten, ob sie eine Frage gestellt oder einen Befehl erteilt hatte.

»Wollen Sie mir vorher vielleicht noch ein Flohbad verpassen?«

Okay, das war nicht beabsichtigt - es ist mir einfach so herausgerutscht. Das passiert eben, wenn man Joey Wheeler hieß!

Taika sah mindestens genauso schockiert aus wie ich mich fühlte.

Sie.

Würde.

Mich.

Töten.

Jetzt ist es amtlich!

»Bevor der Tag kommt, an dem ich dir ein Flohbad verpasse, sperre ich dich eher in die Hundehütte im Garten!«

»Ist bestimmt gemütlicher als diese Designerlounge.«

»Für jemanden der in einem Schuhkarton geboren wurde bestimmt!«

»Gib mir die Schlüssel, ich ziehe sofort ein!«

»Liegen in der Küche, direkt neben der Kette, mit der ich dich fest machen werde - wir wollen ja immerhin nicht, dass du einfach ausreißt!«

»Krieg ich dann auch so ein cooles Nietenhalsband?«

Sie schien damit gerechnet zu haben, dass ich aufgebe. Aber am Ende war ich derjenige der zuletzt lachte und sie aus dem Zimmer vertrieb. Die Quittung dafür würde ich spätestens am Esstisch bekommen, wenn für mich nur noch zwei Näpfe am Boden bereitstehen. Zu zutrauen wäre ihr so eine Demütigung. Und Kaiba würde sie vermutlich köstlich amüsieren.

Doch so leicht werden mich die beiden nicht klein kriegen.

Grinsend sammelte ich meine Blätter zusammen und klemmte sie mir unter den Arm. Ich konnte mir schon vorstellen, wie Kaiba sämtliche Gesichtszüge entgleisen würden, sobald er sich meine Bedingungen durchliest. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie freute ich mich darüber jetzt schon wie ein kleines Kind.

Doch zu meiner Enttäuschung saß Kaiba heute nicht mit uns am Frühstückstisch. Was vermutlich auch der Grund dafür war, dass Mokuba und ich in der Küche essen mussten. Unter Taikas strenger Aufsicht.

Das hätte sie mir auch gleich sagen können, dann wäre ich nämlich erst gar nicht hinuntergekommen.

»Wo ist denn mein ehrenwerter Verlobter?«, fragte ich beiläufig und ließ mich auf den Stuhl neben Mokuba gleiten.

Dieser stopfte sich bereits Cornflakes in den Mund.

»Im Firmensitz der Kaiba Cooperation. Er muss ein paar Dinge regeln! Er wird vor heute Abend nicht zurück sein!«, antwortete Taika und reichte mir drei Scheiben Toast.

Irgendwie hatte ich kein gutes Gefühl dabei und schob den Teller schnell von mir weg.

»Dann scheint es ja kein Problem zu sein, wenn ich mich heute mit meinen Freunden treffe - oder?«

Taikas Stirn legte sich in Falten.

»Sie müssen mir bestimmt nicht sagen wo sie hingehen! Nur tun Sie mir den Gefallen und vergessen Sie Ihr Flohhalsband nicht. Wir wollen ja nicht, dass sie sich auf ihrer Streuner-Tour etwas einfangen oder?«

Ich verdrehte die Augen und stand auf. Dann legte ich die Blätter auf den Tisch.

»Können Sie dafür sorgen, dass Seto diese Unterlagen erhält?«, fragte ich sie.

Ich bemühte mich um einen extra freundlichen und höflichen Ton, damit sie mir diese Bitte nicht abschlagen konnte.

Doch ich hatte die Rechnung ohne Taika gemacht, die an allem was ich sagte etwas auszusetzen hatte.

»Sehe ich aus wie seine persönliche Sekretärin? Legen Sie ihm die „Unterlagen“ in sein Arbeitszimmer bevor sie gehen und kleben sie ein rotes Post-It drauf!«

Ich sah ihre Hände zucken und wusste ganz genau das sie bei dem Wort „Unterlagen“ am liebsten Anführungszeichen in die Luft gemalt hätte.

Doch sie verkniff es sich, drehte sich wieder um und presste ein paar Orangen aus. Mit denen wollte vermutlich keiner tauschen, so viel Kraft wie sie dafür aufbrachte. Sie hätte durchaus auch Profi-Ringerin werden können.

Hätte niemals gedacht, dass das Mütterchen solche Kräfte besitzt. Aber das zeigte mir nur einmal mehr, dass ich sie lieber nicht unterschätzen sollte.

Ich verschwand aus der Küche und nahm mir vor unterwegs etwas essen zu gehen. Das bisschen Geld was ich noch hatte, sollte für ein kleines Frühstück reichen.

Als ich wieder in meiner Zelle ankam, schrieb ich zu allererst Yugi und den anderen eine SMS. Sie schienen ihr Handy gerade nicht griffbereit zu haben, weswegen ich unter die Dusche sprang und mir vornahm danach nochmal nach den Antworten zu schauen.

Doch selbst als ich aus dem Bad kam, hatte ich von keinem eine Erwiderung erhalten.

Grummelnd sammelte ich daher meine Blätter zusammen und machte ich auf in Kaibas Arbeitszimmer. Das wollte ich immerhin erledigt haben, bevor der feine Herr nachhause kommt. Dann wäre er mit seinem Tobsuchtsanfall nämlich bestimmt schon fertig, bis ich mich wieder hier blicken ließ.

Ich verirrte mich auf dem Hinweg beinahe wieder, schaffte es aber doch irgendwie vor der breiten Tür anzukommen.

Doch dann bekam ich Zweifel, ob es richtig war einfach in Kaibas Privatsphäre einzudringen. An meinem ersten Abend hier hatte er irgendetwas von „kein Zutritt“ gefaselt. An den genauen Wortlaut konnte ich mich leider nicht mehr erinnern- saublödes Kurzzeitgedächtnis!

Aber Taika hatte gesagt ich solle es ihm persönlich vorbeibringen und wenn Taika das sagte hatte ich doch die Erlaubnis dafür oder nicht? Immerhin steht ihre Weisungsbefugnis in diesem Haus über meiner ... Ich wette das selbst Küchenhilfe Nummer 8 mehr zu sagen hatte als ich. Aber ich bin ja auch nur ein Hund - Haus und Hof Maskottchen. Und die können ja für gewöhnlich nicht reden, geschweige denn richtig und falsch unterscheiden, wenn sie nicht sofort daraufhin gewiesen werden!

Trotzdem warf ich noch einen vorsichtigen Blick über meine Schulter und prüfte den Boden auf Haare, die ich eventuell verloren haben könnte. Man müsste ja keine unnötigen Beweise hinterlassen. Wenn Kaiba mich drauf ansprach konnte ich immer noch sagen, dass Taika ihm die Sachen auf den Schreibtisch gelegt hatte.

Also öffnete ich die Tür ohne weiter darüber nachzudenken. Und ich fand genau das vor, was ich erwartet hatte: Einen großen leeren Raum, dessen einziger Inhalt ein breiter Schreibtisch mit einfachem Bürostuhl ist. Darauf steht ein Laptop, der angeschaltet ist und dem Saal dadurch gerade genug Licht spendet, dass man wenigstens Silhouetten erkennen kann.

Schnellen Schrittes ging ich auf den Tisch zu und legte meinen Vertrag auf die Tastatur des Laptops. Ich ging einfach davon aus, dass Taika ihn dort auch hingelegt hätte, damit man ihn auch wirklich nicht übersehen konnte.

Ich sah den leeren Schreibtisch skeptisch an und fragte mich, wie man in so einer sterilen Arbeitsatmosphäre überhaupt ordentlich arbeiten konnte. Aber Kaiba schien genau das zu brauchen; bloß keine störenden Einflüsse von außen.

Als ich die Hand wieder wegzog, verschwand der Bildschirmschoner und gab den Desktop frei. Und ein Bild von Kaiba und Mokuba, worauf beide noch sehr viel jünger waren.

Interessiert beugte ich mich weiter nach vorne und entdeckte etwas, dass mir beinahe Schnappatmung bescherte.

Kaiba konnte Lächeln. Breit und aufrichtig.

Ich zog den Schreibtischstuhl zurück und nahm darauf Platz. Es fiel mir schwer, mich von dem Bild loszureißen.

Es faszinierte mich.

Mir war natürlich klar, dass Kaiba nicht als unsensibler Eisklotz auf die Welt gekommen war, aber ich hatte immer gedacht seine abweisende Art hätte er schon in frühester Kindheit entwickelt.

Doch wenn ich dieses Bild so sah, wurde mir klar, dass Kaiba noch nicht lange so war, wie er sich der Welt präsentierte.

Und mir wurde auch klar, dass seine Maske noch nicht vollfunktionstüchtig war, dass sie immer noch bröckelte.

Ich starrte das Bild noch eine Weile an, ehe ich mich gewaltsam davon losriss und vom Stuhl aufstand.

Ich schob ihn zurück an den Tisch und verließ dann den Raum. Und ich nahm mir vor niemandem von dem Bild zu erzählen. Denn es schien Kaibas Geheimnis zu sein, also würde es von fortan auch meines sein!
 

Zurück in meinem Zimmer, checkte ich zu allererst mein Handy. Erfreut durfte ich Feststellen, dass wenigstens Yugi sich die Mühe gemacht hatte, mir zu antworten.

Viel schrieb er allerdings nicht, außer, dass er heute keine Zeit hatte.

Ich seufzte gefrustet. Wenn Yugi keine Zeit hatte, bedeutete das meistens, dass auch die anderen keine Zeit hatten.

Ich warf mein Handy aufs Bett und ließ mich direkt daneben fallen.

Ich sollte mir Hobbies suchen, wenn ich nicht für immer und ewig in diesem Zimmer versauern wollte.

Vielleicht sollte ich einem Buchclub beitreten, dann könnte ich vielleicht wenigstens meine Bildungslücke schließen.

Angewidert von mir selbst streckte ich die Zunge heraus und schüttelte den Kopf. Bevor ich einem Buchclub beitrete, geht eher die Welt unter ... Es sei denn wir reden von Bilderbüchern.

Gerade als ich ernsthaft an meinem Lebenswillen zweifelte, wurde meine Zimmertür geöffnet.

Ich hob den Kopf, entdeckte Mokuba und versuchte mich an einem Lächeln.

»Was ist Kleiner?«

»Mir ist langweilig!«, antwortete der Zottelkopf.

»Da wären wir ja schon zu Zweit! Wir sollten eine Allianz bilden gegen unser trostloses Dasein!«

Mokuba kicherte.

»Wie wärs wenn wir im Garten eine Runde Fußball spielen gehen?«

Ich starrte ihn schockiert an.

»Du spielst Fußball? Ich dachte im Kaiba-Reich wäre nur Duell Monsters erlaubt?!«

»Mein Bruder hat es ziemlich früh aufgegeben, mir das beizubringen. Ich besitze den Haufen Karten nur um ihn in meinem Zimmer von A nach B zu schieben!«

Ich lachte. Das musste für den reichen Pinkel eine herbe Enttäuschung sein. Sein kleiner Bruder interessierte sich nicht für seinen Lebensinhalt.

Nur um Kaiba eins auszuwischen schwang ich mich vom Bett. Ich hatte keine Ahnung wie gut mein Fuß mit einem Ball harmonieren würde, aber alleine für mein Ego raffte ich mich auf.

Wenn ich in dieser Villa langfristig überleben wollte, brauchte ich Verbündete. Mir war zwar klar, dass Mokuba mich niemals seinem Bruder vorziehen würde, aber eine Gemeinsamkeit mehr konnte uns beiden nicht schaden.

»Na dann lass uns mal loslegen!«

Mokubas Augen begannen zu glänzen und er sprang laut jubelnd in die Luft, ehe er aus dem Zimmer rannte wie ein Berserker.

Ich folgte ihm. Was eine Runde Fußball wohl mit den Blessuren die mein Vater hinterlassen hatte, anstellen würde?
 

Als ich die Küche betrat, stand die Terrassentür sperrangelweit offen und Taika werkelte bereits am Abendessen.

Sie beäugte mich kritisch, als ich dem Kaiba Spross nach draußen folgen wollte.

»Das Angebot mit der Hundehütte steht noch!«, ließ sie mich wissen.

Ich lächelte nur gespielt freundlich und warf einen vorsichtigen Blick.

»Ich denke für diese Nacht werde ich das ablehnen - Irgendetwas sagt mir, dass es heute regnen soll!«

Kaibas Hausherrin zog die Augenbrauen hoch.

»Animalische Intuition die sie da an den Tag legen Mister Wheeler!«

»Was wäre ich denn für ein schlechter Labrador, wenn ich nicht mal das Wetter voraussagen könnte?«

Ich sah es ihrem Gesichtsausdruck an, dass sie mir gerne noch irgendetwas an den Kopf geworfen hätte. Doch ich schlüpfte schnell nach draußen bevor es soweit kommen konnte.

Der Garten der Kaiba Villa war genauso unspektakulär wie die Einrichtung der Villa. Es gab keine Blumen, nur akkurat geschnittene Dornenhecken und kurz gemähten Rasen. Ein wenig erinnerte es mich schon an den Park, wo ich mich gelegentlich mit meinen Freunden traf. Nur das vermutlich selbst ein Gefängnishof gemütlicher aussah, als das hier!

Die Terrasse war dafür verhältnismäßig klein und schien wenig bis gar nicht genutzt zu werden. Denn außer einer alten Holzbank stand hier nichts herum.

Mokuba stand ziemlich weit hinten und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich ihn für eine Fata Morgana halten.

Ach so und bevor ich es vergesse: Das mit der Hundehütte war gelogen! Weit und breit ist keine zu sehen.

Mokuba schien unter Fußball tatsächlich nur zu verstehen, sich den Ball ein wenig hin und her zu kicken. Denn ich entdeckte kein Tor, nicht mal ein provisorisches aus Plastikflaschen oder drapierten Jacken.

Der Ball den er hervorgekramt hatte, schien seine besten Zeiten auch schon erlebt zu haben.

Er entdeckte mich, kickte mir den Ball zu und ich kickte ihn zurück. So ging das eine ganze Weile schweigend vor sich hin.

»Wir sollten Yugi und die anderen Mal einladen!«

Schockiert sah ich Mokuba an. »Bist du dir sicher das Kaiba ihre Anwesenheit in seinen heiligen Hallen duldet?«

Ich wette, er versteckt unter seiner Zufahrt einen Burggraben mit Krokodilen. Und jeder ungebetene Gast der hier erscheint verschwindet dann auf wundersame Weise. Yugi würde es bestimmt auch so ergehen, dann wäre der Eisklotz wieder König der Spiele und müsste nicht erneut eine bittere Niederlage einstecken.

»Er ist sowieso nur in der Firma und kriegt das nicht mit - und ein bisschen Gesellschaft tut uns allen gut!«

Ich verzog das Gesicht. Ob Taika von Gesellschaft so begeistert wäre, bezweifelte ich. Wenn sie sich die schwarzen Haare noch etwas länger wachsen lässt, könnte sie der alten aus „The Ring“ Konkurrenz machen. Dann wäre selbst Kaibas Kühlschrank-Blick überflüssig!

Mokuba kickte mir den Ball zu.

»Sag mal Joey: Wenn das jetzt alles nicht so gelaufen wäre, hättest du dich dann trotzdem irgendwann in meinen großen Bruder verliebt?«

Kann mal einer den Defibrillator holen? Ich erleide hier glaube ich gerade eine Herzattacke!

»Ich glaube nicht, dass dein Bruder und ich uns jemals ineinander verlieben werden! Dafür hassen wir uns zu sehr!«

Ich kickte den Ball zurück zu ihm.

»Gegensätze ziehen sich an!«

Der Ball rollte wieder zu mir.

»Kaiba und ich wären zu viel des Guten!«

Ich passte erneut.

»Solange ihr euch Gegenseitig guttut, kann das doch allen anderen egal sein!«

Die Kugel landete wieder bei mir. Ich stellte den Fuß drauf und sah mein Gegenüber an, als hätte der nicht mehr alle Tassen im Schrank.

»Aber reich und arm vertragen sich nicht gut - Dein Bruder und ich sind das beste Beispiel dafür! Wir würden eher dafür sorgen, dass der andere tot unter der Erde liegt, als uns zusammen zu raufen!«

Mokuba zog eine Augenbraue hoch.

»Aber du würdest ihn niemals im Stich lassen - egal was für ein Arsch er ist! Das beweist diese Aktion ja wohl am besten!«

Ich nahm meinen Fuß vom Ball und kickte ihn zu ihm zurück.

»Ich habe das sicherlich nicht für ihn getan, sondern für dich! Und wenn ich mir das ganze hier anschaue fange ich an meine Entscheidung zu bereuen!«

Der Zwerg verzog das Gesicht.

»Ich glaube, dass du nur noch nicht erkannt hast, was du hier alles hast! Aber ich denke, dass du das erkennen wirst und dann willst du gar nicht mehr gehen!«

Er kickte den Ball zurück, doch ich ließ ihn vorbeirollen und er landete im Dornenbusch.

Doch das kümmerte mich nicht. Mein Blick haftete noch immer an Mokuba.

»Was ich suche werde ich auch hier nicht finden, aber das kann uns allen egal sein! Ich werde das hier solange durchziehen wie nötig und danach ganz weit weg verschwinden und mich niemals wieder an diese Zeit erinnern!«

Ich seufzte. »Ich werde jetzt wieder in mein Zimmer gehen und erst zum Abendessen wieder hinunterkommen!«

Ich wartete seine Antwort nicht ab, sondern ging direkt zur Terrasse zurück.

Taika stand noch immer in der Küche. Als sie mich entdeckte, konnte sie sich eines ihrer hämischen Kommentare nicht verkneifen.

»Ich hoffe man hat sich nicht zu sehr im Dreck gesuhlt! Finde ich auch nur ein Stück auf meinem Fußboden mache ich die Drohung mit der Hundehütte doch noch wahr!«

Ich winkte ihre leere Drohung ab und ging einfach nach oben.

Konnte mir mal einer erklären warum jeder mich dazu überreden wollte, freiwillig hier zu bleiben?

Hatten die alle keine Augen im Kopf: Ich war nicht in Seto Kaiba verliebt und wir passen erst recht nicht zusammen!

Die taten hier alle so, als würde mir das ganze Spaß machen. Aber ich bin mit großer Sicherheit der aller Letze dem das hier Freude bereitete!

Muss ich die Villa erst in Brand setzen, damit die das mal raffen?

Kapitel 7

Ich kann es nur immer wieder sagen: Diese Villa ist ein trostloser, einsamer Ort.

Auf dem Bett zu liegen und die Beine in der Luft baumeln zu lassen schien hier irgendwie das spannendste zu sein, was man machen konnte.

Ich schätze mal das Kaiba zwar auch so etwas wie einen Fernseher besitzt, aber mich im Wohnzimmer aufzuhalten übersteigt meinen Mut dann doch erheblich.

Als blieb mir nichts anderes übrig, als in meinem Zimmer zu versauern.

Ich sollte ein Buch schreiben. Meine Memoiren. Wäre zwar nicht sonderlich spannend, weil auf jeder Seite eh nur dasselbe steht, aber dann hätte ich wenigstens für ein paar Minuten am Tag Beschäftigung.

Doch meiner Langeweile sollte ein jähes Ende gesetzt werden, als plötzlich Seto Kaiba mein Zimmer stürmte.

Ich schüttelte den Kopf und sah dann nochmal genauer hin. Aber da stand ohne jeden Zweifel Seto Kaiba mitten im Raum.

»Ähm ...« - mehr brachte mein Hirn nicht zu Stande.

Hatte Mokuba nicht heute Morgen gesagt, dass Kaiba erst abends aus der Firma zurückkehren würde?!

»Du wurdest für deine Dienste in der Firma mit Anzügen ausgestattet - hängen die im Schrank?«

»Äh - Nö«, gluckste ich.

Mich befriedigte es zu wissen das die hässlichen Teile die Dinge in meinen gepackten Umzugskartons wärmten. Aber das musste ich Seto ja nicht auf die Nase binden!

»Wo sind sie dann? Du brauchst heute Abend einen!«

Ich setzte mich auf und runzelte die Stirn.

»Dafür kann es nur drei Anlässe geben: Jemand ist gestorben, du hast unsere Hochzeit vorverlegt oder du planst in den nächsten zwei Minuten mal wieder einen zweiwöchigen Koma-Urlaub und willst von mir vertreten werden! Welch schreckliche Veranstaltung muss ich also heute über mich ergehen lassen?«

»Es ist bloß eine Firmenfeier!«

»Ach so na dann«, sagte ich langgezogen und ließ mich wieder auf die Matratze fallen. »Da muss ich ja nicht mitkommen! Hunde sind da mit Sicherheit nicht erwünscht!«

»Leider wirst du mich wohl begleiten müssen, denn diese Firma liefert wichtige Bauteile für meine Produktionsanlagen! Und die Frau des Geschäftsführers besteht darauf dich kennenzulernen, vorher schließt er keine weiteren Verträge mit der Kaiba Corp. ab!«

Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man meinen Kaiba stünde am Rande der Verzweiflung.

Trotzdem setzte ich mich wieder auf und sah ihn forschend an.

Während meiner Arbeitsstunden in der Kaiba Corp. hatte ich mit niemandem über eine Feier gesprochen, geschweige denn eine Einladung dazu angenommen. Das hieß es gab auf diesem Planeten nur zwei andere Menschen die das getan haben konnten und die schienen sich gerade auch gegen mich zu verbünden.

»Die kleinen Scheißer«, brabbelte ich wütend vor mich hin.

Mokuba und David konnten was erleben, wenn ich sie das nächste Mal in die Finger bekommen sollte!

»Ich habe trotzdem keinen Anzug und in Jeans und T-Shirt wirst du mich ja wohl kaum mitnehmen!«

Kaiba verzog minimal die Mundwinkel. Schien zu bedeuten das er enttäuscht war. So recht war das nämlich nicht zu erkennen.

»Ich lasse dir gleich zwei Anzüge von meinen alten bringen. Einer davon muss passen, notfalls bestelle ich jemanden her, der das ändert! Und dann sei bitte um 18.00 Uhr unten, damit wir pünktlich los können!«

Und dann verschwand er einfach ohne meine Zustimmung abzuwarten. Schien für ihn also beschlossene Sache zu sein das ich ihn begleitete. Gefragt hatte er mich nämlich nicht.

Der hatte die Höflichkeit auch mit der Gabel gegessen!

Ich rechnete die nächste halbe Stunde mit einer von Kaibas Angestellten, die mir zwei Anzüge bringen würde, doch stattdessen betrat ein Regenbogen mein Zimmer.

Es war ein Mann der allerhöchstens Mitte zwanzig sein konnte. Und er grinste breit wie ein Honigkuchenpferd als er mich erblickte.

Die Klamotten die er trug mussten aus allen Farbtönen bestehen die es gab. Vom hellsten gelb bis zum dunkelsten braun war alles dabei.

Hinter ihm tauchte dann die erwartete Angestellte auf. Über dem einem Arm hingen zwei Anzüge und über dem anderen drei Hemden.

Der Regenbogen trug auch noch einen überdimensionalen Koffer mit sich.

Schien, als würde diese Anprobe länger dauern!

»Hallo, mein Name ist Paul. Ich kümmere mich heute um Ihre Einkleidung!«

War es ein Klischee, dass er einen starken französischen Akzent aufwies? Ich wusste gar nicht, dass es in Japan so etwas gab...

Ich stand vom Bett auf und wollte dem Mann die Hand geben, doch er zog es vor mich gleich in seine Arme zu schließen, als wäre ich ein lang verschollenes Familienmitglied.

»Hätte nie gedacht, dass Seto es schaffen würde jemanden davon zu überzeugen längerfristig in sein Bettchen zu steigen!«

Ich verzog das Gesicht. Der nächste auf meiner Abschussliste. Bis gerade eben war er mir ja noch ganz sympathisch gewesen, aber jetzt konnte er mich genauso mal gerne haben wie alle anderen hier!

Und das ließ ich ihn auch spüren, als er begann an mich mit seinem Maßband auszumessen. Das ganze ließ ich mir auch solange gefallen, bis er von mir verlangte, dass ich mich bis auf die Unterhose auszog.

»Alter, nein! Gib mir einfach den Anzug. Er muss ja nicht wie angegossen sitzen, immerhin bin ich nicht der Star des Abends!«

Paul schnalzte mit der Zunge. »Man hätte Seto Kaiba nicht zu solch einer Feier eingeladen, wenn es dafür keinen triftigen Grund gäbe!«

»Und der Grund dafür soll ich sein? Ein armer junger Köter aus einer Vorstadt von Domino? Ich lach mich tot!«

»Es geht dabei wohl eher um den Fakt, dass Seto Kaiba verlobt ist. Die Leute wollen durch ihren Auftritt heute Abend sehen, wer die Person ist, die ihn dazu gebracht hat sesshaft zu werden und das schon in so jungen Jahren!«

Ich verdrehte die Augen. »Menschen sind so eklig! Warum können die sich nicht mal um ihren eigenen Scheiß kümmern?«

»Das Leben einer Millionärsgattin verliert mit der Zeit an Spaß. Irgendwann reicht teurer Schmuck und teurer Kleidung nicht mehr aus und sie setzen sich am Sonntag zusammen um über das Leben anderer Frauen aus ihrer Gesellschaftsschicht zu lästern. In dieser Woche sind Sie beim Kaffeekränzchen Gesprächsthema Nummer 1 - und ich werde dafür sorgen, dass man zu mindestens über ihr Aussehen kein böses Wort verlieren kann!«

»Haben sie zufälligerweise einen Zwillingsbruder der Hundefriseur ist?«

Ich schnaubte genervt. Das Taika bei so einer Steilvorlage nicht weit weg sein konnte, war klar wie Kloßbrühe.

»Warum sollte jemand so einen Beruf freiwillig ausführen wollen?«, fragte Paul stirnrunzelnd.

»Na wenn sie dafür sorgen wollen das diese Töle heute Abend ansehnlich aussieht, brauchen sie auch jemanden der sich um das Nest auf seinem Schädel kümmert!«

Paul räusperte sich und ließ das Maßband sinken. »Dann sollten sie sich vielleicht mal in ihrem beschränkten Bekanntenkreis nach so jemandem umhören - ich kenne niemanden und nun verlassen Sie bitte meinen Arbeitsplatz!«

Taikas Augen verengten sich zu Schlitzen, aber sie sagte nichts dazu. In einer fließenden Bewegung stellte sie die Schuhe neben dem Türrahmen ab und zog die Tür hinter sich zu.

»Sacrebleu, ich hatte ganz vergessen was für eine alte Hexe diese Schnepfe ist!«, murmelte Paul vor sich hin.

Während er sprach reichte er mir Anzug und Hemd.

»Entweder du ziehst dich hier um oder gehst ins Bad, aber beeil dich, wir haben nicht mehr viel Zeit! Hopp, hopp - Dalli, dalli!«

Er war mir wegen dem was er über Taika gesagt hatte bis zu dem Moment sympathisch, in dem er mir beim vorbeigehen einen Klaps auf den Hintern gab.

Der Anzug von Kaiba war ein ganz anderer, als die, die man mir gekauft hatte. Der Stoff war viel weicher und sanfter, dass schwarz viel edler als meins. Er schmiegte sich perfekt an die Haut an und wirkte selbst an mir wie maßgeschneidert. Kaiba war ein Stück breiter als ich und hatte längere Beine - Paul hatte also noch ein ganzes Stück Arbeit vor sich.

Ich knöpfte die Knopfleiste des Hemdes zu und ging wieder ins Schlafzimmer zurück.

Pauls Augen wurden riesig, als er mich erblickte.

»Mon Chérie, du siehst bezaubernd aus, wie eine männliche Cinderella!«, sagte er begeistert und ging einmal um mich herum. »Wir kürzen die Beine und schlagen die Enden einmal um. Immerhin bist du jung und musst modern aussehen, nicht wie die ganzen anderen alten Knacker da!«

Ich bekam das Gefühl, dass Paul dafür sorgen wollte, dass ich heute Abend im Rampenlicht stehen würde. Nur irgendwie behagte mir die Vorstellung, jeder würde mich anstarren, überhaupt nicht.

Um also das schlimmste abzuwenden, räusperte ich mich verlegen. »Kannst du den Anzug nicht einfach so abändern, dass er mir passt? Ich habe wirklich nicht das Bedürfnis, der Star des Abends zu sein!«

Paul sah nach meinen Worten sehr gekränkt aus. Ich konnte mir auch vorstellen warum. Er hatte bestimmt seit langer Zeit mal wieder die Chance etwas Aufregendes zu designen und sollte am Ende doch wieder nur einen stinknormalen Anzug aus dem Ärmel zaubern.

Weil ich ihn immer noch mehr leiden konnte, als Taika, beschloss ich, dass er dieses Jahr mein Halloweenkostüm entwerfen dürfte. Eigentlich ging ich ja immer als "Flammender Schwertkämpfer“, doch es fühlte sich an, als wäre mal wieder Zeit für etwas Neues. Solange Paul nicht auf die Idee kam mich als Hund oder Einhorn zu verkleiden, sollte ja alles gut gehen.

Er drückte mir auch den anderen Anzug in die Arme und schickte mich damit ins Bad zurück.

Der zweite Abzug war bordeauxrot mit schwarzem Hemd und schwarzer Fliege. Ich fand er stand mir klasse, stellte mir aber gleichzeitig vor wie Kaiba wohl darin ausgesehen hatte. Immerhin war das ursprünglich ja mal seiner gewesen! Aber vermutlich gehörte das Teil zu einem von Pauls gescheiterten Versuchen. Ich konnte mir nämlich schlecht vorstellen das Kaiba in etwas anderem herumlief als tiefschwarz.

Paul war von diesem Anzug auch begeisterter als vom ersten. Er entschied kurzer Hand, dass ich in diesem Anzug zur Veranstaltung gehen würde und schickte die Bedienstete - die immer noch im Raum stand - mit dem anderen Anzug zurück zu Kaiba.

»Sie werden heute Abend aussehen wie ein junger König!«

Ich verdrehte die Augen. Dieser französische Akzent störte mich immer noch.
 


 

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Gefühlte tausend Mal rein raus später, war Paul mit seinem Werk zufrieden. Ich fühlte mich nicht mehr ganz so minderwertig und würde als Einrichtungsgegenstand bestens in diese Villa passen.

Paul kamen beinahe die Tränen, als er mich ein letztes Mal dazu aufforderte mich nach links und rechts zu drehen.

»Fantastique, du wirst der schönste Mann sein heute Abend!«

Ich fuhr mir nervös durch die Haare. So viel Lob zu meinem Outfit hatte ich noch nie bekommen und es war mir auch nach wie vor sehr unangenehm.

Paul ging zur Tür und holte die Schuhe, die Taika dort abgestellt hatte.

»Italienisches Leder, hochwertig und bequem. Lässt sich lange drinnen tanzen!«

»Nur über meine Leiche!«, brummte ich und riss ihm die halbhohen Schuhe quasi aus der Hand.

Ich konnte nicht tanzen und ich würde niemals tanzen. Dazu konnten mich keine zehn Pferde bringen. Wenn Kaiba jemanden wollte der mit ihm tanzt, soll er Tea mitnehmen!

»Ich sehe Sie dann unten Joey!«

Bei dem vornehmen Tonfall fehlte nur noch ein Hofknicks.

Und ich denke den hätte er auch gemacht wenn ich ihn nicht so böse angestarrt hätte.

Ich warf noch einen letzten Blick in den Spiegel. Das was ich dort sah, sah nicht mehr nach Joey Wheeler aus. Eher wie eine kaibaische Version von mir. Als hätte er mich entführt und mir eine Gehirnwäsche verpasst.

Ich fragte mich, ob ich so wirklich für den Rest meines Lebens aussehen wollte. Denn in Jeans und T-Shirt würde Kaiba mich mit Sicherheit nicht mehr aus dem Haus lassen.

Doch eine Antwort würde ich darauf heute Abend wohl nicht mehr finden. Ich steckte mein Handy ein und schaltete das Licht aus, dann zog ich die schwere Tür hinter mir ins Schloss und suchte die Treppe. Entweder Seto würde mir ein Navigationsgerät programmieren oder Wegweiser aufhängen, andernfalls würde ich auf eine Küche in meinem Zimmer bestehen. Es kam mir nämlich so vor, als würde sich Treppe von Stunde zu Stunde verschieben.

Als ich Treppe nach unten ging, wurde ich im Foyer von einer ganzen Gruppe Menschen in Empfang genommen.

»Sieht ja fast aus wie ein Mensch«, hörte ich Taika sagen, bevor sie wieder in Richtung Küche davonging.

Ich sollte ihr das Gebiss klauen und im Garten vergraben. Dann wäre sie vielleicht endlich mal still.

Mokuba und David sahen mich an, als wäre ich Cinderella im Ballkleid und ich fragte mich, ob ihnen gerade ein paar Sicherungen durch geknallt waren. Paul konnte man ansehen, dass er sich gerade innerlich selbst auf die Schulter klopfte und der Eisklotz in Person ließ mal wieder überhaupt keine Gesichtsregung zu.

»Die Farbe steht dir ausgezeichnet«, sagte David mit einem breiten Grinsen und schien damit Mokuba aus der Seele zu sprechen. Der nickte nämlich nur bekräftigend.

Kaiba brummte und ging an mir vorbei in Richtung Tür. David und ich folgten unauffällig.

Vor der Tür erwartete uns eine Stretch-Limousine, von der ich nicht glaubte, dass sie zu Kaibas persönlichem Fuhrpark gehörte. Und das er sie extra für diesen Anlass gemietet hatte.

Roland - das Mädchen für alles - hielt uns bereits die Tür auf. Kaiba wollte schon einsteigen, da hielt David ihn nochmal zurück.

»Denkt daran, es wird Fotos von dieser Veranstaltung geben und die Alte vom Jugendamt wird sicherlich welche zu Gesicht bekommen«, begann David seine Ansprache.

Irgendwie wusste ich schon worauf das hinauslaufen würde, bevor er überhaupt richtig angefangen hatte.

»Ihr müsst versuchen euch wie ein ganz normales Pärchen zu benehmen. Sobald ihr eine Kamera entdeckt, sucht die Nähe zum anderen. Tanzt zusammen, haltet Händchen und schaut euch verliebt an! In der Limo liegen Ausdrucke bereit, die euch veranschaulichen wie so etwas aussieht!«

Ich glaube Kaiba und ich waren uns vorher noch nie so einig, wie in diesem Moment. Unser Blick musste ähnlich verstört aussehen.

Von Kameras hatte vorher niemand etwas gesagt. Und es war auch etwas ganz anderes, wenn man nur eine Person von seiner Beziehung überzeugen musste, nicht einen ganzen Saal voller Menschen!

Panisch sah ich mich um. Wie würde ich aus dieser Situation jetzt wieder herauskommen? Ich konnte unmöglich einen ganzen Abend so tun, als wäre ich unsterblich in Kaiba verliebt. Da kam mir ja schon beim Gedanken daran das Frühstück wieder hoch.

»Ich werde dafür sorgen, dass sämtliche Reporter Zutrittsverbot erhalten!«, hörte ich Kaiba sagen.

Mein Herzschlag beruhigte sich bei diesen Worten wieder ein wenig, weil ich wusste, dass er die Mittel und Beziehungen hatte, um so eine Anordnung durchzudrücken.

David schnipste mit den Fingern. »Wäre das deine Party, könnte niemand etwas dagegen tun, aber du bist heute Abend nicht der Gastgeber! Und da du auf die Verträge wirklich abgewiesen bist, würde ich mich an deiner Stelle zurückhalten. Ihr seid noch minderjährig. Nach 0.00 Uhr kann euch dort eh keiner mehr festhalten!«

Sind Ticks wie unkontrolliertes zucken eines Augenwinkels nicht Anzeichen für das Tourette-Syndrom? Wenn ja, dann sollte ich mich testen lassen, wenn das hier so weiter ging!

»Wir reden hier von fast fünf fucking Stunden? Wie sollen wir das deiner Meinung nach hinbekommen? Wir sind keine Schauspieler!«

»Aber sehr um Mokubas Sorgerecht besorgt, also strengt euch an!«

Am liebsten würde ich ihn in den Anzug stecken und ihm die Rolle als Kaibas Verlobter überlassen. Dann hätte ich nämlich viel weniger Probleme!

Kaiba brummte irgendetwas und stieg dann als erster in die Limo ein. Ich folgte wenig begeistert.

David hatte uns nicht angelogen. Auf unserem Sitz lagen tatsächlich Ausdrucke von verliebten Pärchen, die extra herangezomt wurden um bestimmte Körper Partien betontn. Das Lächeln oder die Augen. Kaum hatte Kaiba sie entdeckt, fegte er sie vom Sitz und kümmerte sich nicht darum, dass er sie mit seinen Schuhen völlig zerstörte.

Ich wusste, dass David hinter mir stand und alles genau beobachtete. Und irgendwie hatte ich im Blut, dass er sich dafür rächen würde. Doch weil ich von seiner Idee ähnlich wenig begeistert bin, mache ich es wie Kaiba und ziehe die Tür direkt hinter mir zu, bevor David noch irgendeinen blöden Spruch los lassen kann.

Kurze Zeit später setzt sich die Limo in Bewegung. Kaiba und ich starrten schweigend aus dem Fenster. Ich fragte mich, ob das für immer so sein würde. Das wir uns nichts zu sagen hatten, nur für ein paar Stunden das glückliche Paar spielten und danach getrennte Wege gingen. Er mit seinen Betthäschen und ich mit meinen.

Die Fahrt dauerte lange und die schwarzen Scheiben verhinderten, dass ich irgendetwas sehen konnte.

Schließlich blieb die Limo stehen und Roland kam wenige Sekunden später, um uns die Tür zu öffnen. Wir standen vor einem der zahllosen Hochhäuser der Innenstadt, vor dem heute eine Menge teure Autos geparkt waren. Chauffeure standen neben der Tür versammelt und rauchten eine. Ich fragte mich ob sie die nächsten fünf Stunden nichts anderes tun würden.

Kaiba griff nach meiner Hand. Ich wäre beinahe zurückgezuckt, als seine kalten Finger sich mit meinen verhakten. Schockiert sah ich von der Seite an.

»Schau mich nicht so an! Das ist alles nur zur Show!«

»Ach nein, ehrlich? Ich dachte schon du steckst mir den Verlobungsring heute Abend wirklich an!«, knurrte ich.

Am liebsten hätte ich meine Hand wieder aus seiner gezogen, doch glücklicherweise hatte ich es nicht getan. Denn kaum hatten wir die Eingangshalle betreten, empfing uns schon ein Blitzlichtgewitter.

Wenn ich mich nicht irre, ist diese Firmenfeier heute Abend die interessanteste Veranstaltung in ganz Domino und hier streunten nur diejenigen herum die auch etwas zu sagen hatten. Dieser Fakt wurde von all den Anwesenden Reportern nur unterstrichen. Die 600 Lokalzeitungen benötigten immerhin eine Story fürs Titelblatt. Und „Feuerwehr rettet Katze vom Baum“ eignete sich wohl kaum dafür.

Ich warf Kaiba einen nervösen Block zu, in der Hoffnung ich könnte aus seinem Gesicht ablesen was ich zu tun hatte. So einem direkten Kontakt mit Paparazzi war ich immerhin noch nicht ausgesetzt gewesen. Das eine Foto was von mir in der Domino Square aufgetaucht war, wurde von sehr weit weg aufgenommen. Und das andere stammte aus dem Jahrbuch der Schülerzeitung.

Kaiba bemühte sich nicht mal um ein Lächeln. Er sah genauso stur geradeaus wie immer. Wäre ich ein Reporter oder ein Mitarbeiter des Jugendamtes, hätte ich ihm niemals abgekauft das er gerade mit seiner großen Liebe eine Veranstaltung besuchte. Daran änderte auch der Fakt, dass er mit seinen Klauen meine Finger einsperrte, nichts.

Irgendwie war mir klar, dass von uns beiden morgen wieder ein Foto in der Zeitung auftauchen würde. Und irgendwie freute es mich zum ersten Mal, dass ich jetzt in der Villa wohnte und nicht mehr bei meinem Vater. Denn auf blaue Flecken folgten meistens Knochenbrüche, wenn er mich zweimal auf dasselbe hinweisen musste. Ein drittes Mal hatte es glücklicherweise noch nie gegeben. Ich wollte mir gar nicht ausmalen was dann passieren würde.

Wir schafften es bis zum Fahrstuhl und ich seufzte erleichtert, als sich die Türen schlossen. Kaiba ließ meine Hand los, kaum das dies geschehen war. Hätte er Desinfektionsspray dabei, hätte er sich vermutlich umgehend die Handflächen damit eingerieben. Und irgendwie kränkte es mich, dass man ihm das sofort ansah!

»Sind oben auch Reporter?«, fragte ich und steckte die Hände in die Sakkotaschen, weil ich nicht wusste was ich sonst damit anfangen sollte.

»Nein, aber genügend Menschen die in einer der Lokalzeitungen Kolumnen schreiben oder auf der Webseite ihrer Firma einen Eintrag zur Feier verfassen. Und ein paar von den Klatschweibern stecken den Reportern mit Sicherheit auch ein paar Details. Außerdem möchte ich in Gegenwart meiner Geschäftspartner nicht den Eindruck erwecken, dass ich unehrlich bin! Lügen sorgen immer für schlechte Presse!«, sagte er monoton und sah dabei durchgehend die Türen des Aufzugs ein. »Eigentlich ist es mir auch egal von wem ich meine Teile beziehe. Lieferanten stehen bei mir Schlange. Aber ich habe im Moment wichtigeres zu tun, als neue Verträge auszuhandeln.«

»Ich bin froh, dass ich mich damit nicht mehr befassen muss - deine Firma zu führen ist echt nicht einfach«, antwortete ich, in der Hoffnung eine halbwegs neutrale Stimmung aufzubauen.

Ich konnte nämlich nicht halbwegs so gut schauspielern wie er. Und wenn er mich jetzt schon wieder anpisste, konnte ich ihn unmöglich den ganzen Abend so ansehen, als wäre ich unsterblich in ihn verliebt. Dann würde es eher aussehen, als suchte ich nach der passenden Gelegenheit um ihn um die Ecke zu bringen!

Kaiba drehte sich und sah mich nun direkt an. »David hat gesagt du hast gute Arbeit in der Kaiba Corp. geleistet!«

Ich lachte nervös und sah ausweichend nach links, um diesen bohrenden blauen Augen zu entfliehen.

Nervös kratzte ich mich am Hinterkopf. »Eigentlich haben Mokuba und er das meiste gemacht. Ich bin nur ab und zu ans Telefon gegangen und habe ein paar Termine verschoben!«

»In meinen Alpträumen hast du das Gebäude in die Luft gejagt, also hast du gute Arbeit geleistet weil es noch steht!«

Ich drehte den Kopf wieder zurück, blickte ihm direkt in die Augen.

»War das gerade ein Kompliment?«, fragte ich neugierig.

Ich konnte es kaum glauben, aber es hörte sich stark danach an.

Kaiba zog einen Mundwinkel hoch. »Hunde soll man loben, damit sie einem nicht auf den Teppich pinkeln!«

Ich verzog das Gesicht und wandte mich nun endgültig ab. »War ja klar, dass ich von dir nichts erwarten kann, ohne gleich wieder als Hund abgestempelt zu werden! Du solltest echt mal zum Therapeuten ich glaube nämlich das ist eine krank-«

Ich wurde ruppig unterbrochen, weil Kaiba mich gegen die Wand des Fahrstuhls presste und im nächsten Moment seine Lippen auf meine legte.

Geschockt sah ich ihn aus weit geöffneten Augen an und realisierte erst viel später was er da gerade tat.

HATTE DER KERL DEN KNALL NICHT GEHÖRT?

Erschrocken schubste ich ihn zurück und wischte mir über den Mund, der jetzt nach Pfefferminz und Rotwein schmeckte.

»Sag mal spinnst du? Was denkst du eigentlich wer du bist?«

Er richtete seine Krawatte und räusperte sich anschließend. »Ich wollte bloß, dass du den Rand hältst! Und da man bei dir mit einfachen Worten nicht weiterkommt, musste ich mir andere Methoden einfallen lassen!«

Ich wollte gegen diese Dreistigkeit protestieren, doch bevor ich den Mund öffnen konnte, öffneten sich die Fahrstuhltüren mit einem lauten Pling.

Kaiba spazierte heraus und ließ mich zurück ohne sich noch einmal umzudrehen.

Das Herrchen konnte sich immerhin sicher sein, dass der Hund folgte. Und so war es dann auch.

Wir waren ganz nach oben gefahren und dieser Teil des Gebäudes schien nicht zur Firma zu gehören, denn direkt vor uns befand sich eine leere Garderobe und hinter dem danebenliegenden Türbogen stand ein pompöser Esstisch über dem ein riesiger Kronleuchter baumelte.

Ich konnte nicht fassen, dass es Leute gab, die freiwillig direkt über ihrer Firma wohnten. Jetzt bekam der Satz „Arbeit mit nach Hause nehmen“ eine ganz neue Bedeutung!

Kaum hatten wir den Raum betreten kam uns auch schon ein junger Mann im Frack entgegen.

»Guten Abend die Herren, darf ich Ihnen die Jacketts abnehmen oder möchten Sie diese noch anbehalten?«

Ich überließ Seto das Antworten und befasste mich lieber damit zu erraten, wie alt der Typ mir gegenüber ist. Ich schätzte ihn auf Mitte 20. Sollte ich ihm heute Abend noch einmal über den Weg laufen, würde ich ihn fragen. Er war bestimmt der einzige normale Typ hier!

»Wir behalten sie erst mal an, sollten wir sie ablegen wollen, lassen wir dich rufen!«

Ich zog die Augenbrauen hoch und sah Seto wütend von der Seite an. Es machte mich unglaublich wütend wie er mit dem Angestellten sprach. Nur weil er sich selbst weit über diesen stellte, musste er nicht so erniedrigend sein.

Kaiba ging an ihm vorbei, als wäre er gar nicht da.

Ich folgte ihm, bemühte mich um ein Lächeln.

»Nehmen Sie es ihm nicht so übel, er hat heute nur einen schlechten Tag erwischt!«, raunte ich dem Jungen zu, als ich an ihm vorbei ging.

»Dafür aber einen guten Mann«, antwortete er und lächelte mich an.

Ich wurde rot, nickte ihm als Dankeschön zu und holte Kaiba dann schnellen Schrittes ein.

Hinter dem Esstisch befand sich ein weiterer Türbogen und dahinter erstreckte sich ein Wohnzimmer das man ganz schnell auch mit einem Ballsaal verwechseln konnte.

Es huschten viele gut gekleidete Menschen durch den Raum. Frauen in ausstaffierten Kleidern in den verschiedensten Farben und den teuersten Stoffen und Männer in perfekten Maßgeschneiderten Anzügen, der Kopf bedeckt mit einem Toupet, dass man nur erkannte, wenn das Licht richtig fiel.

Als ich an mir selbst hinab sah, glaubte ich nicht mehr, der bestgekleideste Mann des Abends zu sein. Ich zweifelte zwar nicht an Pauls Fähigkeiten, doch hiergegen kam er mit einem abgelegten Anzug von Kaiba nicht an.

Wir mussten drei Treppenstufen hinab gehen, um bei den Firmenchefs und deren Gattinnen anzukommen. Drei Stufen, um mich vollends in Kaibas Welt einzuführen. Wenn diese Leute alle mein Gesicht kannten, gab es kein Zurück mehr. Wenn ich dann plötzlich von der Bildfläche verschwand, würde es für Kaiba schwierig werden.

Ich atmete tief ein und straffte die Schultern. Ich würde das schon schaffen!

Kaiba wandte sich mir zu und hielt mir auffordernd die Hand hin. »Bereit Hündchen?«

»Nein«, antwortete ich und überhörte den Spitznamen gekonnt, »Aber schreiend wegrennen wird wohl nicht drinnen sein oder?«

Ich ergriff seine Hand.

»Nur wenn du möchtest, dass ich dich in eine Psychiatrische einweise!«

»Das könnte dir so passen! Aber nein, so leicht wirst du mich nicht los!«, grinste ich.

In meinem Kopf tauchten die verschiedensten Bilder davon auf, wie ich Kaiba pisacken und ihm das Leben schwer machen würde. Das sich da immer mal ein Bild davon untermischte wie wir küssend im Bett lagen, tat ich als Hirngespinst ab. Immerhin war ich ein traumatisierter Jugendlicher, der das letzte Mal Liebe erfahren durfte als er fünf Jahre alt war und von seiner Mutter zum Geburtstag umarmt wurde. Da konnte es schon mal passieren, dass einem das Gehirn vorgaukelte, man würde die fehlende Liebe bei seinem größten Erzfeind finden.

Kaum hatten wir den teuren Paketboden des eigentlichen Wohnzimmers betreten, wurden wir auch schon von drei älteren Damen in Beschlag genommen.

Sie sahen aus wie eine Straßenampel und hatten sich auch in der richtigen Reihenfolge aufgestellt.

Alle drei begrüßten Kaiba mit piepsigen Stimmen und angeheitertem Tonfall. Und nachdem sie Kaiba ab gefrühstückt hatten, wandten sie sich mir zu.

Damit machten sie den Eindruck, als wären sie Hyänen, die gerade ihre nächste Mahlzeit entdeckt hatten.

Kaiba ließ meine Hand los und machte sich aus dem Staub, während ich von Fragen durchlöchert wurde.

Das hier würde mit Sicherheit die erste und letzte Firmenfeier für mich sein. Darauf konnte Kaiba Gift nehmen!
 


 

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Gefühlte achthundert Stunden später, waren die alten Schrapnellen endlich verschwunden und hatten mich an einem der aufgestellten Tische zurückgelassen. Ich war reichlich angetrunken, denn der Punsch, der mir angedreht wurde, war definitiv nicht alkoholfrei gewesen.

Ich hatte noch nie zuvor Alkohol getrunken, dementsprechend schlecht und schwindelig war mir auch. Vielleicht hätte ich nach dem dritten Glas nicht aufhören dürfen mitzuzählen.

Ich umklammerte die Lehne des Stuhls wie ein Ertrinkender, weil ich fürchtete sonst über Bord zu gehen. Ich sah aus dem Augenwinkel, dass jemand den Stuhl direkt neben mir zurückzog und sich darauf fallen ließ. Doch das nahm ich kaum für voll, bis die Person sich räusperte und leise „Hi“ sagte.

So gut es ging versuchte ich mich umzudrehen und erblickte dann einen Jungen, der allerhöchstens so alt war wie Seto.

Er hatte schwarze Haare, grüne Augen und markante Gesichtszüge.

In meinem vernebelten Gehirn ging ein Lämpchen auf. Der Typ musste Jacob Harrisson sein. Seto hatte mich auf der Fahrt hierher kurz gebrieft und mir ein paar Namen gesagt, auf die ich besonders aufpassen sollte.

Jacob Harrisson war dabei im positiven Sinne gefallen. Er gehörte zu Setos Bekannten und er schien ihm so sehr zu vertrauen, dass Jacob auch über unser Geheimnis Bescheid wusste. Hätte niemals von Kaiba erwartet, dass er einem Außenstehenden private Sachen anvertraute.

Jacob lächelte mich an. »Du musst Joey sein oder? Ich hab nur das eine Foto in der Zeitung gesehen und Seto wollte mir nicht sagen wie du aussiehst, aber du bist der einzige andere junge Typ hier, also dachte ich, ich bin bei dir richtig!«

Der Typ hatte locker auch schon einen im Tee, so durcheinander, wie er sprach. Aber er war mir irgendwie auf Anhieb sympathisch. Alleine weil er Alkohol auch nicht gut zu vertragen schien.

»Und du bist Jacob, richtig? Kaiba hat mir schon gesagt, dass du mich kennenlernen willst!«, antwortete ich enthusiastisch und bemühte mich weiter darum nicht vom Stuhl zu fallen.

Jacob grinste. »Du nennst ihn Kaiba? Er hat mir ja schon erzählt das ihr noch die besten Freunde seid, aber das es so schlimm ist hätte ich dann auch nicht erwartet! Warum spielst du dann überhaupt mit?«

Ich sah mich verstohlen um, aber niemand der anderen Gäste schien sich für unser Gespräch zu interessieren. Trotzdem passte es mir nicht, dass er das Thema ausgerechnet hier und jetzt ansprechen musste. Wenn die Sakura das spitz kriegt ist Mokuba schneller im Heim, als das Kaiba »Nein« sagen kann.

»Ich tue das Mokuba zu liebe und hatte nicht gedacht das es so weit kommt, aber kneifen kann ich jetzt auch nicht mehr. Mitgehangen, mitgefangen!«, antwortete ich schulterzuckend.

»Meine jungen Herren?«

Kam es arrogant rüber, wenn ich mich davon angesprochen fühlte, in der Anwesenheit dieser ganzen alten Säcke?

Jacob und ich wandten synchron die Köpfe und erblickten Kaiba und eine mittelalte Frau, die ein waldgrünes Abendkleid trug.

Die Frau lächelte. »Seto und mir kam der Gedanke, dass wir gerne tanzen würden. Und da dachte ich es wäre eine passende Gelegenheit meinen Sohn und seinen Verlobten anzusprechen!«

Statt ihr zu antworten, linste ich an ihr vorbei und musste mit Entsetzen feststellen das sich sämtliche anwesenden Gäste in der Mitte des Raumes versammelt hatten und nur darauf zu warten schieben, dass die Musik einsetzte.

Mir rutschte das Herz in die Hose.

»Ich kann nicht tanzen und das weiß Seto - ich will ihn ja nicht blamieren«, antwortete ich und bekam rote Wangen, weil mir die Situation verdammt peinlich war.

Kaiba räusperte sich und trat vor die Dame.

»Das ist hier kein Wettbewerb. Außerdem kannst mich gar nicht blamieren - Liebling!«, sagte er mit liebevoller Stimme und streckte mir die Hand hin.

Jacob neben mir begann zu kichern und ich fragte mich wie viel Überwindung es Kaiba gekostet hatte, diesen Kosenamen in aller Öffentlichkeit ernst zu sagen. Denn so wie es schien, wusste Jacobs Mutter von nichts, obwohl Kaiba ein inniges Verhältnis zu ihr zu unterhalten schien.

Ich sah ihm in die blauen Augen, die komischerweise nicht voller Hass und Gleichgültigkeit waren. Es lag einnehmende Wärme im Eisblau verborgen und mir wurde ganz warm ums Herz.

Ich riss mich von den Augen los und warf Jacobs Mutter einen flüchtigen Blick zu.

Mich ließ das Gefühl nicht los, dass sie irgendetwas zu Kaiba gesagt hatte, was ihn solche Dinge sagen ließ. Denn ich hielt ihn zwar für einen guten Schauspieler, aber diese Wärme in den Augen konnte niemand spielen - die war echt!

Zögerlich ergriff ich die dargebotene Hand und machte mit ihm langsame Schritte auf die Tanzfläche zu.

Hier erwartete man sicherlich mehr, als ein bisschen Stehblues und ich kannte nicht mal die Schrittfolge eines Walters, geschweige denn die Richtung in die man sich drehte.

Wo meine Hände hingehörten wusste ich aus einem Film, aber das war es dann auch schon wieder mit meinem Wissen über Paartanz.

»Stell dich auf meine Füße und halt dich fest, den Rest erledige ich«, flüstere er mir ins Ohr und ich tat wie mir geheißen.

Die Musik setzte ein und Kaiba machte den ersten Schritt, presste mich näher an sich.

Ich machte ihm gerade die teuren italienischen Lederschuhe kaputt, aber das interessierte ihn gar nicht. Er sah mich an und drehte uns elegant durch den ganzen Raum. Wir rauschten mit einem Millimeterkleinen Abstand an anderen Pärchen vorbei. Ich hielt jedes Mal die Luft an, weil ich einen Zusammenstoß befürchtete und Kaiba wich dann doch wieder elegant aus.

Seine Hände waren ausnahmsweise ganz warm und ich verschlang unsere Finger miteinander, weil ich dem Drang einfach nicht wiederstehen konnte. Zum anderen, konnte er mich so aber auch besser festhalten.

Ich hatte mich vermutlich das letzte Mal so geborgen gefühlt, als ich noch ein Baby war und ständig von meiner Mutter hin und her gewiegt worden war.

Das Lied verklang langsam und leise. Kaiba drehte sich aus und hielt wenige Sekunden später an. Er ließ mich von seinen Füßen steigen und die Menge applaudierte einem kleinen Orchester, dass auf einem sporadischen Podest stand.

Als ich man langsam von der Tanzfläche entfernen wollte, kamen der Schwindel und die Übelkeit zurück - allerdings in einem größeren Maße als zu vor. Ich schwankte einmal nach rechts und links, wie eine Boje bei starkem Wellengang und wurde glücklicherweise von Kaiba aufgefangen bevor ich umfallen konnte.

»Du solltest etwas essen, bevor du noch umfällst!«, sagte er. Wäre der Schärfe Tonfall nicht, könnte man es beinahe als liebevoll bezeichnen.

Aber eigentlich machte er sich nur Sorgen um seinen guten Ruf. Denn, dass ich nicht tanzen konnte, könnte man kaschieren. Aber wenn ich jemandem in den Schoß reiern sollte, war das nicht zu verbergen. Hoffentlich kam das Ampel-Gespann nicht nochmal zu mir, denn dann konnte ich wirklich für nichts mehr garantieren.

Jacobs Mutter kam zu uns und sah mich mit besorgter Miene an.

»Was ist los?«, fragte sie.

»Ich glaube Joey hat etwas zu tief ins Glass geschaut!«, kam es kichernd von Jacob.

Seine Mutter begann zu Lächeln. »Dann begleite ich ihn zum Buffet und ihr beide haltet Miss Yuen zurück. Sie wollte schon den ganzen Abend mit ihrem Ehrengast reden und wird langsam etwas ungehalten!«

Ich konnte nicht anders, als Jacobs Mutter völlig verdattert anzusehen. Wie konnte sie so nett zu mir sein, obwohl sie mich gar nicht kannte?

»Pass bitte auf ihn auf Claudette, wir wollen ja nicht das noch ein Unfall passiert!«, sagte Kaiba ungewohnt ruhig und drängte mich ziemlich sanft in die Arme von Jacobs Mutter.

Die schleppte mich auch sofort zum Buffet, während ihr Sohn und mein „Verlobter“ in die entgegengesetzte Richtung davon gingen.

Claudette - einer hübscher Name am Rande bemerkt - hakte sich bei mir unter und tätschelte meine Hand.

»Es war die Dreier Kombo oder?«, fragte sie, ohne eine Antwort zu erwarten.

Dann lachte sie leise. »Die haben mich vor zwanzig Jahren auch abgefüllt, als ich das erste Mal mit Jacobs Vater auf einer dieser Veranstaltungen war.«

»Normalerweise könnte ich sie dafür anzeigen, weil ich minderjährig bin«, brachte ich mühevoll über die Lippen. Der Druck auf meine Speiseröhre wurde immer immenser.

»Ess‘ ein paar Clubsandwiches, dann wird es dir gleich besser gehen, versprochen. Jacob ging es nach seiner ersten Firmenfeier ähnlich!«

Sie klang weder stolz noch enttäuscht, aber irgendetwas sagte mir, dass sie es ihrem Sohn nicht übel nahm, wenn er sich zu solchen Anlässen die Kante gab. Vielleicht nutzte sie ihn ja auch als Ausrede dafür, um möglich schnell die Biege zu machen.

Claudette ließ mich nicht selbst aussuchen, was ich essen wollte. Sie nahm einen Teller und häufte ihn einfach wahllos mit Clubsandwiches voll. Ich war mir zwar nicht sicher ob ich was von dem anderen Zeug haben wollte, dass dort herum stand, aber die Wahl hätte ich dann schon gerne noch gehabt. So hilflos war ich nun auch wieder nicht.

Als sie mit ihrer Wahl zufrieden war, schob sie mich zu einem Tisch, an dem nur ein älteres Ehepaar saß, was mir vorher noch nicht aufgefallen war. Sie schienen auch nicht zu wissen wer wir waren und generell keine Notiz von dem Trubel um sie herum zu nehmen.

Claudette platzierte mich auf einem Stuhl und schob mir den Teller vor die Nase.

»Und du stehst hier erst wieder auf, wenn du alles aufgegessen hast!«

Ich sagte: »Ja!«

Sie war eine Mutter und das kam rein intuitiv, auch wenn sie nicht meine Mutter war.

Claudette strich ihr Kleid glatt und setzte sich dann neben mich.

»Ich weiß übrigens über dich und Seto Bescheid«, ließ sie beiläufig fallen.

Ich brauchte sie nicht fragen von wem, sie würde es mir eh erzählen. So waren Mütter nun einmal, auch wenn ich meine zu wenig kannte um das beurteilen zu können.

»Ich kenne Seto schon eine ganze Weile und gut genug, um zu wissen wann er sich komisch verhält«, erklärte sie und lächelte dann sanft. »Und ich weiß, dass ihr beide noch eine ganze Weile zusammenbleiben werdet, auch wenn ihr jetzt noch nicht daran glaubt!«

Sie schien weniger zu wissen als sie glaubte, denn sie redete genau so viel Unsinn wie alle anderen.

Ich stopfte mir die Clubsandwiches in den Mund, statt etwas zu sagen. Ich hatte keine Lust auf eine Diskussion. Die kostete mich nur Nerven und zog vielleicht ungebetene Gäste an.

Als ich das letzte noch nicht ganz heruntergeschluckt hatte, räusperte sich jemand hinter uns. Gebannt drehten wir uns um.

Jacob, Kaiba und eine wirklich alte Dame standen direkt hinter uns.

Mrs. Yuen, die Frau des Gastgebers und der Grund dafür, dass ich heute in dieser Hölle schmoren musste. Ich sollte ihr einen Punsch andrehen. Vielleicht bekam sie einen Schwips und zog sich mit Migräne in ihre Gemächer zurück.

Claudette entschuldigte sich und ihren Sohn höflich und zog ihn dann vom Tisch weg. Aus Jacobs Gesicht konnte ich ablesen, dass er zu gerne zugehört hätte.

Mrs. Yuen setzte sich auf den Stuhl, auf dem Claudette eben noch gesessen hatte und Seto setzte sich auf meine andere Seite.

Irgendwie war mir diese Frau unheimlich.

»Sie sind also Mister Wheeler - mein Mann hat mir schon ein wenig von Ihnen erzählt und Ihr Verlobter hat gerade auch schon unaufhörlich von Ihnen gesprochen!«

»Ich bin mir sicher, dass waren alles Lügen«, antwortete ich gespielt und bemühte mich um ein anrüchiges Grinsen.

Das Kaiba ihr höchstens Halbwahrheiten erzählt hatte, wusste ich so sicher, wie Pinguine nicht fliegen können.

Mrs. Yuens Lächeln glich dem eines Serienmörders, kurz bevor er dich töten würde.

»Es ist schon sehr merkwürdig, dass sie das erste Mal öffentlich in Erscheinung treten, als Seto einen verheerenden Autounfall hat - Ihr Verlobter muss sie wirklich gut versteckt haben!«

Sie lachte, aber daran war rein gar nichts echt. Mrs. Yuen stellte dieselben Vermutungen an, wie die Alte vom Jugendamt und ich bekam langsam aber sicher das Gefühl, dass die beiden unter einer Decke steckten. Nur leider würde ich sie danach nicht fragen können. Also musste ich mir schnell etwas anderes einfallen lassen, um den Verdacht von uns abzulenken.

Unsicher tastete ich nach Kaibas Hand und umschloss sie fest mit meiner.

»Ich komme nicht aus ihrer Welt und Paparazzi sind mir ein wenig unheimlich, deswegen habe ich mich im Hintergrund gehalten. Außerdem wusste Seto nicht wie das ganze aufgenommen werden würde, deswegen wollten wir mit einer öffentlichen Bekanntmachung noch eine Weile warten - Aber als dann der Unfall passierte, blieb uns ja nichts anderes übrig«, erzählte ich ihr.

Es war in ungefähr die gleiche Geschichte die ich auch Miss Sakura bei ihrem ersten Besuch aufgetischt hatte. Wir wollten ja nicht, dass die beiden Zicken unterschiedliche Protokolle auf dem Tisch zu liegen hatten.

»Mister Kaiba kann sich glücklich schätzen Sie zu haben. Gäbe es Sie nicht, gäbe es auch keine Verträge mehr mit der Yuen Inc.«

Ich wusste, dass sie mit ihren Worten nicht meine tolle Arbeit in der Kaiba Corp. lobte, sondern ihre Drohung, Seto würde keinen neuen Deal erhalten, ausräumte. Was wiederum hieß, dass sie uns glaubte.

Überwältigt drehte ich den Kopf herum und drückte Kaiba einen keuchen Kuss auf die Lippen. Wenn wir die Alte Schnepfe lebend überstanden, würden wir auch die Besuche von Hades-Sakura überleben!

Ich ließ erst wieder ab, als ich Mrs. Yuen aus dem Augenwinkel davon watscheln sah.

Doch statt ihn einfach loszulassen und so zu tun, als wäre nichts geschehen, wurde ich wieder von dem blau seiner Augen eingenommen. Sie starrten mich mit einer Mischung aus Verwirrung und Schreck an. Ich fand es erfrischend Emotionen in seinen Augen zu sehen.

»Das war die Rache für den Kuss im Fahrstuhl vorhin! Wenn du dich beruhigt hast, kannst du ja gerne mit zu Claudette und Jacob kommen! Ich gehe schon mal vor«, sagte ich verschmitzt und ging lässig davon.

Klatsch gelassen hatte mich der Kuss nicht und ich hätte ihn, aus welchem Grund auch immer, gerne noch länger geküsst.

Doch ihm auf den Schlips treten, gefiel mir immer noch besser, als ihn zu küssen - mal sehen wie lange noch!

Kapitel 8

Hitze. Überall Hitze. Ich schwitze, bekomme keine Luft.

Hände überall auf meinem Körper. Unter meinem Hemd, am Bund meiner Hose. Finger die über meine Haut streichen und eine sich ausbreitende Gänsehaut hinterlassen.

Lippen an meinem Hals. Ich stöhne, kralle meine Finger in Haaren fest.

Die Welt dreht sich schneller. Ich weiß nicht wo ich bin.

Eine Stimme an meinem Ohr, die flüsterte, du bist verdammt heiß.

Ich weiß nur, dass sich das alles hammergeil anfühlt. Und ich will, dass dieses Gefühl nie wieder aufhört!
 


 

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Bevor ich die Augen am nächsten Morgen aufschlug, merkte ich zu allererst meine höllischen Kopfschmerzen.

Ich hatte heute Nacht definitiv einen Abstieg in die Hölle gewagt!

Und weil ich Angst vor blenden Sonnenstrahlen hatte, ließ ich meine Augen lieber noch für einen Moment geschlossen. Jetzt konnte ich mir vorstellen, wie Dracula sich fühlte, wenn er der Sonne schutzlos ausgeliefert wurde!

Es klopfte. Ich konnte mir vorstellen, wer es war und würde mich lieber tot stellen, als zu antworten. Ich konnte auf Taikas nette Kommentare am frühen Morgen durchaus verzichten.

Es klopfte erneut.

Okay, dann stand eindeutig nicht Taika vor meiner Zimmertür. Die wäre nämlich schon längst hereingestürmt und hätte die Vorhänge aufgerissen.

Mokuba konnte es auch nicht sein, der hätte sich nämlich von einer geschlossenen Tür erst recht nicht aufhalten lassen.

Also wer zu Hölle klopfte da jetzt mittlerweile das dritte Mal und wagte es, meinen Schlaf zu stören.

Ich knurrte. »Wenn das Haus nicht brennt und du auch nicht meinen Lottogewinn vorbeibringen willst, verschwinde; ich bin tot – bis mindestens heute Abend!«

Eine dunkle Stimme lachte ganz leise und ich vergrub mich noch tiefer in den Kissen.

»Verschwinde David - ich will schlafen!«

»Kaiba verlangt dich zu sehen, danach kannst du machen was du willst! Ach so und du sollst aus seinem Bett verschwinden!«

Meiner erste Gedanke war, das unsere Hoheit sich nicht dazu herablassen konnte mir persönlich zu sagen, dass er mich sehen wollte. Doch als ich genauer über die gefallene Worte nachdachte, trafen sie mich wie ein Blitz. Mit geschocktem Blick stemmte ich mich hoch und sah mich um.

Die Möbel waren dieselben wie in meinem Zimmer, aber standen in einer anderen Anordnung herum. Außerdem lagen überall Klamotten verstreut und die Bettlaken waren völlig zerwühlt und zerknittert.

Diese Unordnung passte gar nicht zu Kaiba und brachte mich im ersten Moment zum Lächeln. Ein weiterer Schwachpunkt, den Kaiba hatte. Doch als zwischen den schwarzen Fetzen dunkelrot auftauche, rutschte mir das Herz in die Hose.

Ich hob Kaibas Satindecke an und erblickte genau das, was ich erwartet hatte. Meinen splitternackten Körper, bekleidet nur mit dem was Gott mir mit auf den Weg gegeben hatte.

»Ach du heilige Scheiße!«, schrie ich so laut, dass selbst Taika mich gehört haben musste.

Die Tür knallte zu und David und ich starrten uns an.

»Was ist hier gestern Abend passiert?«

David begann zu grinsen.

»Ein heiße Nummer, würde ich mal sagen«, sagte der Firmenanwalt belustigt und wackelte dabei anzüglich mit den Augenbrauen.

Er bückte sich und hob eine Boxershorts vom Boden auf. »Ist das deine?«

»Ja«, antwortete ich mit roten Wangen. »Würdest du mir die bitte zu werfen - und ein Shirt von Kaiba, damit ich mir was anziehen kann!«

David schmiss die Unterhose quer durch den Raum und drehte sich zum Schrank, während ich mich anzog.

»Ich kann dir nur einen Rollkragenpullover anbieten - Kaiba scheint keine normalen Klamotten zu haben.«

»Ja mir egal, Hauptsache ich muss hier nicht halbnackt durch die Villa rennen!«

Kaum haben meine Worte den Mund verlassen, flattert auch schon ein schwarzer Rollkragenpullover durch den Raum.

Ich sah das Ding skeptisch an. Wie konnte man solche Dinge im Sommer tragen? Der Typ musste doch wirklich verrückt sein!

Allerdings war es in Kaibas Gemächern nicht wirklich warm und deswegen zog ich das Kleidungsstück über, ohne zu meckern. Hauptsache David grinste mich nicht mehr so ungeniert an.

»Du solltest den vielleicht anlassen!«, antwortete David und legte sich die Hand um den Hals.

Ich konnte mir schon denken worauf er mich aufmerksam machen wollte. Doch ich nahm mir vor es zu ignorieren, bis ich es selber gesehen habe. Denn ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen das Kaiba mir Knutschflecke verpasste. Ich konnte mir nicht mal vorstellen, dass Kaiba irgendwem jemals einen Knutschfleck verpassen würde.

»Warum will Kaiba mich sehen?«, fragte ich mit klopfendem Herz und rollte meinen Kragen aus.

»Euer Vertrag muss unterschrieben werden«, sagte David und vermied es mir in die Augen zu sehen. »Er ist heute Morgen in mein Büro gestürmt und hat geschrien, dass er sich erst wieder mit dir in der Öffentlichkeit sehen lässt, wenn du diesen Vertrag unterschrieben hast!«

Ich schluckte. Normalerweise würde ich mir über mein Verhalten keine Gedanken machen. Denn wenn ich mit meinen Freunden unterwegs bin, muss ich das auch nicht. Doch ich konnte mir vorstellen, dass ich Kaiba gestern Abend blamiert hatte. Mein Benehmen passte nicht in diese Welt, folglich hatte ich also bestimmt ein paar Menschen mit meiner Art und Weise schockiert. Was diese natürlich an Kaiba bemängelten, denn in dieser Welt war ich nichts weiter als sein Anhängsel. Ein Gegenstand in seinem Besitz.

»Ich hoffe er fragt mich nicht nach gestern Abend«, antwortete ich zähneknirschend.

Um mich abzulenken begann ich die Einzelteile meines Anzugs aufzusammeln.

»Warum? Hast du Angst rot zu werden, wenn er pikante Details anspricht?«

David konnte manchmal genauso gehässig sein wie Taika.

Ich schüttelte den Kopf. »Also von mir aus kann er das machen, ich erinnere mich sowieso an nichts!«

»Du hast vergessen was hier letzte Nacht zwischen euch gelaufen ist?«

Ich kam mir vor wie bei einem Verhör. Aber was wollte man von einem Firmenanwalt auch anderes erwarten? Die ganzen letzten Tage hat er sich benommen wie ein ganz normaler Mensch. Was klar, dass er jetzt langsam durchdrehte bekam! Für ihn war es bestimmt Überlebenswichtig, mindestens einmal im Monat irgendeine Firma auf Millionen zu verklagen oder andere Anwälte in Grund und Boden zu argumentieren. Dass er seine letzten Wochen zum Großteil damit verbracht hatte, zwei Jugendliche und einen vorpubertären Teenager zu beaufsichtigen, brachte den Paragraphen-Vulkan in seinem Inneren bestimmt beinahe zum explodieren. Er war wie ein Löwe, der nach einem Stück Fleisch lechzte. Wenn David nicht bald eine Firma bekam, die er zerfleischen konnte, würden wir dran glauben müssen!

»Das letzte woran ich mich erinnere ist Mrs. Yuen und ihre Drohung, danach ist alles schwarz«, antwortete ich ziemlich verspätet.

So richtig wurde ich mir meiner Gedächtnislücke erst jetzt bewusst.

Ich sah den Anzug in meinen Händen an und musste erneut feststellen, dass ich absolut nicht mehr wusste. Nicht, wie dieser auf den Boden von Seto Kaibas Schlafzimmer gekommen war. Ich wusste ja nicht einmal, wie ich selbst hierhergekommen war! Gelaufen konnte ich auf jeden Fall nicht sein. Denn mir hätten alle Haare zu Berge gestanden, sobald ich mich in die Richtung von Kaibas Schlafzimmer bewegt hätte.

Ich hoffte, Kaiba würde aufschlussreich sein. Er konnte sich mit Sicherheit an mehr erinnern, als ich. Blieb nur die Frage, wie peinlich es werden würde mit ihm darüber zu sprechen!

»Ich gehe mich umziehen - gib mir zehn Minuten!«

David grinste.

»Putz dir die Zähne, nicht das dein Schatz vor Gestank tot umfällt!«

Ich schmiss einen der Lederschuhe nach ihm und ließ diesen dann einfach im Zimmer liegen. Sollte ihn die Haushälterin doch wegräumen. Ich war mir sicher, dass sowieso die ganze Villa über unser vermeintliches Stelldichein bereits Bescheid wusste! Da musste ich auch nicht die Beweise verschwinden lassen!

Ich wette, Taika brauchte mittlerweile ein Notizbuch um alle ihre Ideen für diese saudummen Sprüche festzuhalten. Andernfalls hätten wir vielleicht alle Glück und ihr würde demnächst 'nee Schraube rausspringen.

Ich fand mich dieses Mal besser im Haus zurecht und endete auf Anhieb in meinem Zimmer.

Es war komisch das verwaiste Bett anzusehen. Ich konnte noch immer nicht glauben was letzte Nacht passiert sein sollte.

Kaiba und ich hatten Sex? Kaiba hatte mich entjungfert?

Beschämt drückte ich mein Gesicht in Klamottenhaufen, den ich den Händen hielt.

Ich konnte mich nie wieder irgendwo sehen lassen. Zu Hause nicht, bei meinen Freunden nicht.

Nachdem ich mich beruhigt hatte, legte ich die Kleidung auf dem Bett ab.

Ich brauchte ganz dringend eine Dusche.

Ohne Umschweife ging ich ins Bad und zog mich aus. Als mein Blick durch den Spiegel auf meinen Hals glitt, hätte ich beinahe aufgeschrien. Der Knutschfleck der dort prangte war wirklich gigantisch.

Ich fasste über die Stelle. Ich musste sie spüren, glaubte meinen Augen nicht. Als ich die violett gefärbte Haut berührte, kribbelte mein gesamter Körper. Erschrocken zog ich meine Hand wieder weg und starrte mich selbst erschrocken an.

Okay, es war keine Fata Morgana. Kaiba hatte seine Lippen tatsächlich an meinem Körper.

Ich schüttelte den Kopf. Nein, nein, nein! Das kann nicht sein.

Entschieden streifte ich mir auch die Boxershorts vom Körper und stieg unter die Dusche.

Während das warme Wasser wie Sommerregen auf meine Haut niederprasselte, schloss ich die Augen und lehnte den Kopf gegen die Wand.

Wie sollte ich Kaiba je wieder in die Augen blicken können? Wie sollte ich ihm jemals wieder glaubhaft versichern können, dass ich ihn abgrundtief hasse?

Man sagt: Kinder und Betrunkene sagen immer die Wahrheit! Und ich war gestern Nacht definitiv nicht nüchtern gewesen - nicht mal ansatzweise! Und selbst wenn, ich hätte mich nicht gegen seine Berührungen gewehrt.

Ganz weit weg hörte ich ein Klopfen.

Mist. Ich hatte völlig vergessen, dass David auf mich wartete!

Ich rief so laut ich konnte, dass ich gleich fertig wäre und drehte das Wasser anschließend so weit auf, wie es ging.

Fünf Minuten brauchte ich, dann rubbelte ich mich mit einem der teuren Handtücher trocken und zog mir Kaibas Rollkragenpullover nach einem skeptischen Blick wieder über.

Ich würde mir dafür vom Herr des Hauses mit Sicherheit etwas anhören dürfen, aber damit konnte ich eher leben, als morgen wieder die Titelseiten der Domino Square zu zieren. Und er war damit am Ende sicherlich auch glücklicher. Es sei denn, er stand darauf das sich irgendein 0815-Reporter seine Gedanken zu unserem Sexleben schriftlich festhielt und der ganzen Stadt präsentierte. Aber wie sagt man so schön: Ist der Ruf erst einmal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert! Vielleicht würde er ja etwas lockere werden, wenn die Menschen wussten, dass er gerne an mir saugte wie Dracula an seinen Affären.

Als ich das Bad verließ, stieß ich direkt vor der Tür auf David. Er wippte nervös von einen Fuß auf den anderen und hielt mir eine Jeans entgegen.

»Mach jetzt hinne! Ich wette Mount Kaiba steht schon wieder kurz davor das Gebäude der Kaiba Corp. dem Erdboden gleich zu machen!«

Ich glaube der einzige Vulkan der hier gleich hochgeht, bist du!

»Er hätte auch einfach bis heute Abend warten können!«, antwortete ich giftig.

Ich verstand nicht, warum jeder immer sofort sprang, wenn Kaiba rief. Er war schlimmer als jedes verwöhnte Gör! Eigentlich war er auch nichts weiter als ein verwöhntes Gör.

Ja, ja Joey mach nur! Rede dir einfach weiter das Kaiba ja ach so scheiße ist, dann wird alles wieder gut! So ein Scheißdreck!

Ich hatte es nicht mal geschafft den Knopf meiner Hose zu schließen, da zog David mich bereits in Richtung Treppe davon.

Im Foyer der Villa durfte ich mir nicht mal meine Schuhe anziehen. Die sammelte David einfach ein und dann schubste er mich in sein Auto.

Anders als erwartet war es keine schwarze Limousine, sondern ein Geländewagen mit matter dunkelblauer Lackierung.

»Zieh dir deine Schuhe im Wagen an!«, sagte er, kurz bevor er meine Sneaker in den Fußraum des Beifahrersitzes schmiss.

Ich kam mir schon wieder vor wie ein Hund, den man locken musste, damit er das tat was man wollte. Langsam kotzte mich das echt an!

Aber wenn der jetzt schon so hektisch war, wollte ich seinen Fahrstil nicht erleben. Wenn der auch so unberechenbar ist, dann würde nach dem Kaiba-Koma das Wheeler-Koma kommen. Und ich bin mir sicher das die Domino Square daraus etwas macht wie: »So Aufmerksamkeitsgeil, dass sie sich reihenweise vor Autos schmeißen!«

Ich begann das erste Mal an diesem Tag zu grinsen. Ein Koma war in dieser Familie mit Sicherheit erholsamer als drei Wochen Strandurlaub in Thailand!

David hielt sich in Kaibas Viertel noch an die Straßenverkehrsordnung. Doch kaum befuhren wir den Asphalt der Großstadt, trat er das Gaspedal voll durch. Rote Ampeln und Straßenschilder dienten mehr als Wegweiser und Geschwindigkeitsbegrenzungen waren für ihn auch nur nett gemeinte Ratschläge. Wenigstens an den Zebrastreifen hielt er an, um die alten Damen hinüberzulassen. Mir war zwar suspekt warum an jedem Fußgängerüberweg eine davon stand, tat das aber mit einem Schulterzucken ab. Dann hatte Domino eben einen sehr großen Anteil an Rentnern - na und?!

Während ich Gott anbetete, dass er mich am Leben lassen würde, versuchte ich zu errechnen wie lange David für die Strecke brauchte.

Roland könnte man dabei nicht als Maßstab bezeichnen. Denn ich schätze mal, dass man bei seinem Fahrstil zu Fuß schneller wäre. David müsste man nur eine Rampe vor die Nase setzen, dann würde er jedem Spaceshuttle Konkurrenz machen!
 

Als David in die Tiefgarage der Kaiba Corp. einbog, waren nicht mal fünfzehn Minuten vergangen. Für fast 30 Kilometer war das schon Führerscheinentzugstauglich!

»Wer auch immer dir erlaubt hat im öffentlichen Straßenverkehr ein Fahrzeug fortbewegen zu dürfen, wurde entweder bestochen oder war am Prüfungstag High! Anders kann ich mir nämlich echt nicht erklären, wie du sonst an die Pappe gekommen sein sollst!«, meckerte ich, während wir in den Fahrstuhl stiegen.

David lachte nur, was meine Theorie bestätigte. Er hatte seinen Führerschein nicht mit legalen Mitteln erworben!

Mit jeder Etage die die Kabine mehr empor stieg, rutschte mir das Herz ein Stück tiefer in die Hose.

40 Sekunden noch, dann müsste ich Kaiba nüchtern unter die Augen treten.

Ich schluckte.

Vielleicht sollte ich in der Kantine anhalten und nach Schnaps verlangen. Oder mich im Keller auf die Suche nach Kaibas geheimen Weinvorräten machen. Das würde das nachfolgende Gespräch um so einiges erleichtern.

Wir begegneten keinem einzigen Mitarbeiter, denn Seto Kaiba hatte seinen eigenen privaten Aufzug. Ich fragte mich, ob es etwas gab, was nicht nur ihm gehörte. Irgendetwas, was er auch mit allen anderen teilte. Außer seinem nicht vorhandenen Sinn für Humor schien es da nichts zu geben!

Der Fahrstuhl gab ein ohrenbetäubendes "Pling" von sich, als wir in der obersten Etage ankamen.

Makoto saß wie immer hinter ihrem Schreibtisch und lächelte breit, als wir an ihr vorbeigingen. Ich bemühte mich ebenfalls um ein Lächeln, aber ich wette es sah eher aus wie eine gemeingefährliche Fratze.

David klopfte für mich an Setos Bürotür.

Irgendetwas sagte mir, dass die Eiskönigin extra auf uns gewartet hatte. Es würde keine Telefonkonferenz oder ein Meeting geben, was sich als Aufschub werten ließ.

Kaiba hustete nur, was und bedeuten sollte, dass wir jetzt gerne eintreten könnten. Man könnte meinen, dass er uns schon roch und ganz genau wusste wer um eine Audienz gebeten hatte.

Ich schluckte schwer.

David öffnete die Tür.

»Viel Spaß, aber treibt es nicht zu wild!«, sagte er belustigt und zwinkerte mir zu.

Am liebsten hätte ich ihm dafür eine gescheuert, aber wir wollten ja nicht, dass Makoto schlecht von mir denkt.

Also zeigte ich ihm den Mittelfinger so, dass nur er ihn sehen konnte. Dann trat ich in Kaibas Büro ein.

Ich hörte David hinter mir lachen und dann zog er die Tür mit einem dumpfen Geräusch ins Schloss.

Das Büro kam mir immer noch vor, wie ein Ballsaal und Kaiba, der ganz am Ende vor der gigantischen Fensterwand auf seinem Stuhl thronte, wie ein König.

Nervös ging ich auf ihn zu und setzte mich wortlos auf den Stuhl, der dem Tisch direkt gegenüber stand.

»Ähm ... Hi?«

Ich weiß: Nicht die höflichste Art jemanden zu begrüßen, aber mehr fiel mir im Moment beim besten Willen nicht ein. Was sagte man auch zu jemandem, mit dem man betrunken Sex hatte, an den man sich nicht mal erinnern kann?! Ich kannte niemanden der mir dafür einen guten Ratschlag geben könnte.

Aber Kaiba machte das Ganze noch schlechter als ich. Denn er schob mir einfach wortlos einen Hefter und einen Stift quer über den Tisch.

»Unterschreiben«, war alles was er sagte.

Wenn die Luft zwischen uns nicht so komisch wäre, hätte ich vermutlich salutiert. Aber das verkniff ich mir im Moment mal lieber. Ich wollte ja nicht, dass er mich durch sein Fenster schmiss, weil ich es mal wieder zu weit getrieben hatte.

»Darf ich mir das vorher wenigstens noch durchlesen?«, fragte ich ganz vorsichtig.

Kaiba nickte, was mir bestätigte das sich irgendetwas zwischen uns geändert hatte. Denn andernfalls hätte er statt zu nicken etwas wie "Ich wusste gar nicht das Hunde lesen können" gesagt.

Ich schlug den Hefter auf und heftete sofort den Blick auf die geschriebenen Buchstaben. Aufmerksam las ich mir alles bis zum Schluss durch. Und was ich zu lesen bekam, machte mich unglaublich wütend.

So wütend, dass es mir egal war, wie wir beide im Moment zueinander standen.

Deswegen hob ich den Blick und starrte Kaiba mordlustig an.

»Das kannst du komplett vergessen!«

»Wovon redest du?«, fragte er irritiert, als wüsste er gar nicht was in dem Vertrag stand.

Dabei hatte er die meisten Klauseln selbst festgelegt und von mir bestimmt nur die wenigstens übernommen.

»Wovon ich rede?«, wiederholte ich schreiend seine Frage und schleuderte ihm den Hefter entgegen. »Hast du dir deinen Vertrag mal selbst durchgelesen? Oder hast du den von David schreiben lassen und einfach mir nichts, dir nichts unterschrieben?«

Er antwortete nicht - etwas anderes hatte ich auch nicht erwartet.

Also fuhr ich fort: »Wenn ich diesen Scheiß unterschreiben soll, kannst du mich auch gleich im Keller einsperren! Einen großen Unterschied gibt es da nämlich nicht!«

»Ich will alles nur klar geregelt haben, bevor wir vor dem Altar landen!«

»Und was hast du dir davon erhofft? Das ich für den Rest meines Lebens eines deiner Gästezimmer bewohne, meine Freunde nicht mehr sehen darf und mich auch nicht verlieben darf! Das ist kein Vertrag, das ist ein Todesurteil!«

Kaiba faltete die Hände und stützte die Ellbogen auf der Tischplatte ab. »Du solltest mir eigentlich dankbar sein! Immerhin bezahle ich dir und deiner Schwester die Universität, ich gebe dir ein luxuriöses Dach über dem Kopf und ich bewahre dich davor, weiter von deinem Vater verprügelt zu werden!«

»Denkst du echt ich brauche eine Villa mit 6000 Schlafzimmern und 500 Angestellten? Ich habe 10 Jahre meines Lebens in einem kleinen, schimmelnden Loch verbracht und war dort zufriedener als bei dir, weil man sich dort zurecht gefunden hat! Das war mein zuhause! Deine Villa ist Gefängnis!«, protestierte ich. »Und meine sozialen Kontakte beschränken sich für den Rest meines Lebens auf dich, David, Mokuba, Jacob und Taika oder wie? Dachtest du echt damit wäre ich einverstanden? Wie kannst du nur von mir erwarten das ich mein ganzes Leben aufgebe? Habe ich für dich und deinen Bruder nicht schon genug getan? Was willst du denn noch von mir?«

Nun sprang er auf, klammerte sich mit seinen langen schlanken Fingern an die Tischplatte und starrte mich aus seinen blauen Augen eiskalt an.

»Denkst du mir passt es, dass ich dich aushalten muss? Denkst du mir gefällt es, dass du durch mein Haus streunerst und überall deine Haare hinterlässt? Denkst du, ich stehe darauf, jedem erzählen zu müssen, dass ich ja ach so sehr in dich verliebt bin? Denkst du, ich finde es traumhaft dich zu heiraten? Wenn ja, dann bist du ziemlich verblendet!«

Mir stiegen Tränen in die Augen. Ich wollte es nicht, aber es war eine ganz automatische Reaktion meines Körpers. Weil ich wieder abgelehnt wurde. Weil ich bei Kaiba genau so unwillkommen war, wie bei meinem Vater und meiner Mutter.

»Wenn du das alles so schrecklich findest, warum hast du dann mit mir geschlafen und mir den hier verpasst?«, fragte ich mit zitternder Stimme und zog den Kragen des Pullovers hinab.

Kaiba ließ sich resigniert seufzend wieder in seinen Stuhl fallen und schloss die Augen.

»Wir hatten keinen Sex! Du bist eingeschlafen, bevor wir loslegen konnten!«

»Wäre ich das nicht, hätten wir es aber getan - und ich frage dich warum, wenn du mich ja ach so schlimm findest? Denn soweit ich mich erinnern kann, warst du wesentlich nüchterner als ich, also hast du keine Ausrede!«

Kaiba zuckte mit den Schultern. »Druckabbau, immerhin bin ich auch nur ein Mann.«

Ich schüttelte den Kopf. »Du bist kein Mann, nur das blödeste Arschloch überhaupt!«

Ohne seine Antwort abzuwarten, drehte ich mich um und verließ den Raum.

Ich wollte hier nicht mehr sein. Am liebsten wollte ich überhaupt nie wieder in seiner Nähe sein, denn mein Herz tat genau dann nicht richtig funktionieren. Es klopfte wie wild und verrückt.

Gestern Mittag hätte ich es noch als unbeschreiblich tiefen Hass abgetan, doch jetzt wusste ich es besser. Während ich mit dem Fahrstuhl hinab ins Erdgeschoss fuhr, wurde es mir bewusst.

Denn mich störte es nicht, dass er mit verbot, mich mit jemand anderem zu treffen, Affären zu beginnen oder ihn für jemand anderen zu verlassen.

Es störte mich viel mehr, dass er nicht einen Gedanken daran verschwendete, dass wir irgendwann mal eine wirkliche Beziehung miteinander führen könnten.

Ich konnte mir nicht erklären, warum ich das so sah, denn ich war mit Sicherheit nicht in Kaiba verknallt ... Oder so ...

Ich raufte mir die Haare. Was geschah hier nur mit mir? Was machte dieser arrogante Arsch mit mir?

Ich zog den Kopf ein, als ich durch die Eingangshalle der Kaiba Corp. hechtete. Ich brauchte frische Luft und Abstand von all dem.
 


 

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Ich schaffte es, mich den ganzen Tag zu vertun. Und als die Sonne den Horizont schnitt, stand ich vor dem Haus meines Vaters.

Es brannte Licht im Wohnzimmer, dass bedeutete er war zuhause und säuft.

Mit zittrigen Fingern öffnete ich das Gartentor.

Er versteckte einen Schlüssel unter der Fußmatte, den bräuchte ich nur hervorzuholen. Dann könnte ich wieder nachhause und mich in meinem Bett verkriechen. Dann könnte ich so tun, als hätten die letzten Tage nicht existiert, als wäre alles nur ein Traum gewesen.

Ich stellte mich direkt vor die Tür. Wäre er ein Vater und kein Säufer, könnte ich klingeln. Dann würde er die Tür öffnen und mich in den Arm nehmen.

Aber weil ich weiß, dass ich von ihm nur eine Ohrfeige zur Begrüßung und eine Tracht Prügel, statt einer Umarmung bekommen würde, drehte ich mich wieder um.

Und starrte direkt in eisblaue Augen, die mich mit einer Intensität anstarrten, dass mir beinahe schwindelig wurde.

»Was tust du hier?«, fragte er mit bissiger Stimme. »In Absatz 7 steht, dass du deinen Vater nur in Begleitung aufsuchen darfst!«

»Ich habe nicht unterschrieben, also kannst du mir keinen Vorwurf machen - und bestrafen kannst du mich auch nicht«, antwortete ich trotzig.

Ein ganz kleiner Teil meines Herzens sagte mir, dass er es nur gut meinte. Dass er mich beschützen wollte. Aber der Rest meines Gehirns sagte mir, dass Ich mir von ihm keine Vorschriften machen lasse. Das kann er mit seinen Angestellten und seinem Bruder machen, aber nicht mit mir!

»Denkst du, ich will mir irgendwann noch anhören müssen, dass ich dich schlagen würde, nur weil du nicht weißt was gut für dich ist?! Dein Vater ist ein grauenvoller Mensch und wenn du mir die Erlaubnis dafür gegeben hättest, dann hätte ich ihn schon längst auf alles verklagt, was er besitzt!«

»Warum willst du das tun? Damit du vorm Jugendamt gut dastehst? Ich bin kein bedürftiges Charityprojekt, ich kann meine Probleme gut alleine klären!«

Diese Aussage schien Kaiba so wütend zu machen, dass er die Kontrolle verlor. Er drängte mich gegen die Wand neben der Tür und pinnte meine Hände links und rechts neben meinem Kopf fest. Dabei starrte er mich durchdringend an.

»Ich habe deinen Körper gestern Nacht gesehen. Die blauen, die gelben, die grünen und die lilanen Flecken. Jedes Mal wenn ich dich berührt habe, bist du zusammengezuckt und hast dir die Hände vor Gesicht gehalten, als müsstest du dich vor einem Schlag schützen. Und irgendwann hast du angefangen zu weinen«, erzählte er ganz leise und verschränkte seine Finger mit meinen. »Ich habe dich in den Armen gehalten, bis du eingeschlafen warst. Deswegen hatten wir keinen Sex.«

»Du willst mich doch so wieso nicht haben!«, entgegnete ich zickig.

Er sollte aufhören hier so herumzuschmalzen. Das war verdammt ekelhaft! Was hatte dieses Alien bloß mit dem echten Kaiba angestellt?

»Einen anderen Typen hätte ich geweckt und dann rausgeworfen, aber du bist nicht irgendein Typ! Du treibst meinen Puls in die Höhe, sobald ich deine blonden Haare zu Gesicht bekomme und du stachelst mich dazu an, dich immer übertreffen zu wollen! Ich weiß, dass ich eigentlich in allem besser bin als du, aber ich kann nicht damit aufhören. Und wenn du mich dann beleidigst, dann ist mein erster Impuls, dir zu sagen das du dabei verdammt sexy aussiehst, aber ich lasse es. Das passt nicht zu mir, du passt nicht zu mir – Und trotzdem kriege ich dich seit Tagen nicht mehr aus meinem Kopf raus und das macht mich wahnsinnig!«

Irgendwie fühlte ich mich geschmeichelt, auch wenn hier Kaiba vor mir stand. Aber eine ganz wichtige Sache gab es noch zu klären!

»Ich werde deinen dämlichen Vertrag nicht unterschreiben«, sagte ich mit Nachdruck.

»Darüber reden wir noch!«

Ich wollte das gerade als nicht verhandelbar deklarieren, doch in diesem Moment senkte Kaiba bereits seine Lippen auf meine. Und dieses Mal entzündete das ein wahres Feuerwerk in mir.

Es war so ein Kuss, wie der im Krankenhaus. Einer, von dem einem die Knie weich wurden. Ein Kuss, der absolut ernst gemeint war und auf den ich schon so lange gewartet hatte.

Es blieb nur nach wie vor die Frage, ob Kaiba der richtige zum Küssen war. Aber wenn ich es nicht ausprobierte, würde ich es wohl niemals erfahren!

Kapitel 9

Meine Augenlieder fühlten sich schwer an, als ich sie aufschlug. Ich starrte weiße Deckenplatten an. Das Gefühl als hätte jemand Watte in meine Ohren gepackt, ließ langsam nach und ein rhythmisches Piepsen nahm mein Gehirn ein. Es nervte mich, kaum dass ich es zehn Sekunden gehört hatte.

Spucke sammelte sich in meinem Mund. Ich wollte schlucken, doch ein dicker Schlauch blockierte meinen Hals. Ich wurde panisch. Das piepsen wurde lauter und schneller, verlor seinen Rhythmus.

Ich wollte es ausschalten, versuchte den Kopf nach links zu drehen, doch der Schlauch drehte sich nicht mit. Es fühlte sich an, als würde das Ding mir den Hals zerreißen, also versuchte ich mich wieder genauso hinzulegen wie davor.

Erst nach ein paar Minuten hörte das taube Gefühl in meinen Händen auf und ich spürte beim Bewegen nur noch ein leichtes kribbeln.

Wo zur Hölle bin ich?

Ich hörte wie eine Tür geöffnet wurde und zwei Stimmen, die irgendwelches medizinisches Kauderwelsch von sich gaben.

Es waren zwei Frauen. Die eine große mit schwarzen Haaren, klare asiatische Abstammung. Die andere war klein und hatte blonde Korkenzieherlocken. Ganz klar eine Ausländerin. Ich tippe auf mittleres Amerika oder Skandinavien.

Sie beugten sich über mich, die eine von links, die andere von rechts und stellten überrascht fest, dass ich die Augen aufgeschlagen hatte.

»Oh, der Patient ist wieder bei Bewusstsein«, tat die Asiatin verwundert.

Sie notierte etwas auf ihrem Klemmbrett oder tat so um unauffällig nach meinem Namen zu spicken. Denn als nächstes sah sie mich aus wachsamen Augen an und sagte: »Bleiben Sie ganz ruhig Mister Kaiba, wir entfernen Ihnen gleich das Beatmungsgerät!«

Dann wandte sie sich dem blonden Weib zu und befahl ihr den Arzt zu holen.

Wäre das hier mein Laden, hätten die das Zimmer gar nicht ohne Arzt betreten. Und wenn doch, dann wäre er innerhalb von fünf Sekunden nachgekommen. Oder drei Menschen hätten ihren Job verloren. Lebte ein Krankenhaus nicht von schneller, präziser Arbeit? Warum schlichen diese beiden Krankenschwestern dann hier herum, als gäbe es die Auszeichnung „Mitarbeiter des Monats“ für Schneckentempo.

Wenig später tauchte das grinsende Gesicht eines mittelalten Mannes über mir auf. Der hatte sich doch aus der plastischen Chirurgie in die Notaufnahme verirrt, weil ihm eins seiner Silikonkissen geplatzt war. Für eine Notaufnahme in der Innenstadt sah der viel zu künstlich und ausgeruht aus. Ich wollte Zombies sehen. Nur wenn ein Arzt so aussah, konnte man davon ausgehen das er Ahnung hat und weiß was er tut.

»Guten Tag Mister Kaiba, schön ihre Augenfarbe mal wieder zu sehen. Ich bin Doktor Med. Fushioka, momentan ihr behandelnder Arzt! Wie werden sie jetzt noch einmal narkotisieren, um Ihnen das Beatmungsgerät abzumachen und den Katheter zu entfernen!«

Ich riss die Augen auf.

Das hatten sich diese Pfuscher nicht gewagt?! Ich würde sie alle verklagen, aber erst wenn ich meine Würde zurück bekam. Und dazu gehörte nicht mehr in einen Beutel pissen zu müssen!

Doch bevor ich mir diesen Gedanken zu Ende ausmalen konnte, wurde ich schon wieder ins Land der Träume geschickt.
 

Als ich irgendwann wieder wach wurde, bemerkte ich zu alle erst das verschwundene Gefühl der Dehnung in meinem Hals. Und als ich den Kopf nach links drehte, stand Mokuba dort mit großen, verheulten Kulleraugen.

Aus einer Eingebung heraus, hob ich die Hand und streichelte ihm über den Kopf. Ich musste einfach spüren, dass er real war. Dass das alles kein Traum war.

Kaum hatte ich seine Haare berührt, begann er schon zu zittern und die ersten Tränen kullerten seine Wangen hinab. Ich strich ihm mit meinem Daumen die Tränen von der Wange.

»Warum weinst du? Es ist doch alles gut«, sagte ich.

Meine Stimme hörte sich ungewohnt kratzig und schwach an. Daran musste ich dringend etwas ändern. Aber erst mal wollte ich von dem Plastikdoktor hören was passiert war.

Ich griff nach Mokubas Hand und sah dann den Arzt an.

»Was ist passiert?«, fragte ich.

Der Mediziner räusperte sich. Selbst das klang künstlich. »Sie hatten einen Autounfall. Den genauen Unfallhergang müssen Sie bei der Polizei erfragen. Auf jeden Fall haben Sie ein mittelschweres Schädel-Hirn-Trauma davongetragen und ihr Zustand war aufgrund der verzögerten Bergung so schlecht, dass wir sie ins künstliche Koma versetzt haben um die Gefahr von bleibenden Schäden am Gehirn zu verringern. Das Ganze ist zwei Wochen her und es war eine Weile nicht abzusehen ob Sie überhaupt wieder aufwachen!«

So richtig wollte diese Information nicht in meinem Hirn ankommen.

Der Arzt blätterte auf seinem Klemmbrett eine Seite um. »Ich werde Sie für entsprechende Untersuchungen eintragen. Vorher sollten Sie aber ein wenig Zeit mit Ihrem Bruder und Ihrem Verlobten verbringen - die beiden haben in den letzten Wochen sehr gelitten!«

VERLOBTEN? Der Typ musste die Krankenakte verwechselt haben!

Bevor ich ihn allerdings danach fragen konnte, verschwand er bereits aus dem Zimmer.

Ich sah Mokuba und David an. »Möchtet ihr mir erklären was hier vor sich geht?«

»Ähm ... Also ... Das Jugendamt wollte mich einsammeln und die Börsenaufsichtsbehörde wollte sich die Firma unter den Nagel reißen und um das zu verhindern, haben wir dir einen Verlobten besorgt«, sagte Mokuba und versteckte sich halb hinter David.

Ich bekam Kopfschmerzen. »Ich hoffe der existiert nur auf dem Papier!«

Nun räusperte sich David und trat einen Schritt hervor. »Aufgrund der Dringlichkeit und der Beharrlichkeit des Jugendamtes mussten wir eine Person aus Fleisch und Blut mit dieser Aufgabe betrauen. Ein einfaches Schriftstück hat den Behörden leider nicht ausgereicht.«

»Ich hoffe ihr habt euch wenigstens mittels eines Vertrags abgesichert!«

»Wie ich bereits sagte, musste alles sehr schnell gehen. Deswegen haben wir jemand aus Ihrem direktem Umfeld arrangiert, der vertrauensvoll mit der ganzen Sache umgeht!«

Ich ahnte schlimmes.

»Und wer soll das bitte sein?«

»Joseph Jay Wheeler - einer ihrer Klassenkameraden.«

DER KÖTER? Ich glaube, ich schlafe doch noch. Das kann doch alles nicht wahr sein!
 


 

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Nachdem ich alle Untersuchungen über mich ergehen lassen hatte und der Plastikdoktor mich insoweit für Gesund hielt, dass ich ein, zwei Telefonate führen könnte, ließ ich mir von David ein paar Akten aus der Kaiba Corp. bringen.

Ich wollte mir gar nicht ausmalen was die drei Idioten während meiner geistigen Abwesenheit für Schindluder in meiner Firma getrieben hatten.

Mokuba hatte sich in den Kinderwartebereich verdrückt, nachdem er von mir die Standpauke seines Lebens erhalten hatte. Denn nichts auf dieser Welt gab ihm das Recht Wheeler zu meinem Verlobten zu machen. Nicht mal mein beinahe eingetretener Tod!

Ich hoffte nur er kam nicht auf die Idee ihm Bescheid zu geben das ich wieder unter den Lebenden weilte. Köter hatten nämlich in einem Krankenhaus absolut nichts verloren!

Es dauerte zwei Stunden, auf die Minute genau, bis David mit einem Ringbuchordner zurückkam. Er legte mir diesen und mein Diensthandy in den Schoß und nahm dann auf einem der bereitstehenden Sessel Platz.

Als ich den Ordner öffnete, rechnete ich mit dem schlimmsten. Doch zu meiner Überraschung erwartete mich keine vollkommene Katastrophe. Es war alles chronologisch geordnet, Notizen leserlich auf Klebenotizen geschrieben und es gab sogar eine Legende, damit ich alles nachvollziehen konnte. David hatte eine Liste zusammengestellt, auf der Firmen standen die sie zu Beginn meines Komas gleich mit einem Rundschreiben abgespeist hatten.

Ich nahm den Zettel heraus und hielt ihn in die Höhe. »Warum habt ihr das getan?«

David sah einen Moment wirklich verwirrt aus, doch als ihm klar wurde was ich da in der Hand hielt, räusperte er sich geschäftig. »An diese Geschäftspartner wollte ich Mokuba und Joey nicht heranlassen!«

Ich sagte dazu gar nichts, heftete die Liste zurück und arbeitete mich dann weiter durch die Unterlagen.

Ganz am Ende hatte jemand einen fliederfarbenen schweren Umschlag in eine Klarsichtfolie geheftet.

Ich konnte mir schon vorstellen was mich erwartete.

Die Yuens luden mal wieder zu ihrer halbjährlichen Firmenfeier ein. Normalerweise schwänzte ich diese Veranstaltung immer, denn außer viel Alkohol und wenig niveauvoller Konversation gab es auf diesen Feiern nichts annähernd Interessantes.

Dieses Mal beunruhigte mich die Farbe des Briefumschlags allerdings. Denn nur Miss Yuens Gäste bekamen lila. Und Miss Yuens Einladung schlug man nur aus, wenn man sowieso nichts mehr zu verlieren hatte.

Ich nahm die Einladungskarte aus dem Umschlag und begann zu lesen. Doch was ich zu lesen bekam, bescherte mir Kopfschmerzen.

Sie erwartete doch tatsächlich, dass ich Wheeler mitbringe und, dass er sich ihr persönlich vorstellt. NUR ÜBER MEINE LEICHE!

Ich lege das Papier nieder, nehme mein Handy und wähle die Rufnummer von Miss Yuens Eventmanagerin.

Es klingelte zwei Mal, dann nahm eine kräftige weibliche Stimme das Telefonat entgegen, stellte sich vor und fragte mich anschließend wobei ich sie mir behilflich sein könnte.

»Seto Kaiba - ich wollte mich nur von Miss Yuens Feierlichkeiten abmelden. Mein Partner« - dieses Wort in meinem Mund verursachte einen widerlichen bitteren Geschmack - »und ich werden die Feier auf Grund meines gesundheitlichen Zustands nicht besuchen können!«

Eine ganze Weile war es still am anderen Ende der Leitung. Wenn es sich nicht um Miss Yuen handeln würde, hätte ich schon längst aufgelegt. Mich lässt man nicht warten.

Die Dame räusperte sich plötzlich verlegen. »Miss Yuen hat das bereits berücksichtigt, deswegen findet die Feier auch zu einem späteren Datum statt. Allerdings besteht Sie auf Ihre Anwesenheit. Wenn Sie sich natürlich gesundheitlich nicht dazu in der Lage fühlen, werde ich ihr das ausrichten.«

Ich dachte Sie wäre fertig und wollte bereits zur Verabschiedung ansetzen, als sie mit nervöser Stimme fortfuhr: »Aber Sie werden sicherlich verstehen das die Yuens zuverlässige Geschäftspartner brauchen.«

Sie las ab, dass hörte man ganz deutlich heraus. Miss Yuen kannte meine Einstellung zu Ihren Feiern und Sie hatte ihrer Eventmangerin das Schriftstück nur für den Fall, dass ich anrufen würde gegeben. Und diese Eventmangerin würde so etwas niemals von sich aus sagen. Es widerstrebte ihr ganz klar einen Menschen mit so einer Aussage zu konfrontieren.

»Eine Erpressung werde ich nicht dulden!«

Im Augenwinkel entdeckte ich den Köter im Türrahmen.

Ich glaube, der Teufel kommt mich jetzt holen!
 


 

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Mokuba saß am Fuß meines Bettes und Wheeler hatte sich auf einen Stuhl gefläzt. David saß am anderen Ende des Raums am Tisch und hatte seine Aktenmappe aufgeschlagen. Er hielt seinen Kugelschreiber in der Hand und wartete darauf, dass mein Bruder anfing zu reden.

Statt ihm öffnete jedoch der Köter den Mund.

»Also ... Wo fange ich am besten an ...«, begann er und starrte nachdenklich gen Zimmerdecke.

»Am besten am Anfang«, knurrte ich ungehalten.

Ich fragte mich, warum es kein Protokoll zu dem Gespräch mit der Sacharbeiterin vom Jugendamt gab. Das hätte ich mir dann einfach zu Gemüte führen und auswendig lernen müssen. Dann hätten wir das Gespräch innerhalb von einer halben Stunde erledigt und ich könnte mir überlegen wie ich Wheeler wieder los wurde.

Aber leider hatten die drei Knallköpfe ja vergessen Notizen zu machen. Deswegen saßen wir jetzt hier und Mokubas Sorgerecht hängte von dem ab, woran Wheeler sich noch erinnern konnte.

»Ich habe ihr erzählt das wir uns schon von klein auf kennen, ohne ihr zu sagen woher. Ich glaube das interessiert sie auch nicht wirklich, sonst hätte sie schon längst herausgefunden, dass das Heim in dem ihr gewohnt habt, außerhalb von Domino liegt.«

»Und was hast du ihr noch erzählt? Mit der lapidaren Information kann ich nichts anfangen!«, blaffte ich ungehalten.

Er war doch sonst immer so redselig. Warum musste man ihm ausgerechnet jetzt alles aus der Nase ziehen?

»N-Nicht viel ... Ich hab es so allgemein gehalten wie möglich. Ich habe nur noch gesagt, dass wir eine innige liebevolle Beziehung führen. So hat Mister Johnson das aufgetragen. Und das wir bereits lange genug zusammen sind und uns erwachsen genug vorkommen um zu heiraten - wir wollen das unvermeidliche nicht länger herauszögen.«

Ich warf David einen bösen Blick zu, der sagen sollte „Wir sprechen uns noch“.

Wäre ich nicht Seto Kaiba, hätte ich ihm jetzt vor die Füße gekotzt. Aber ich hatte ein Image zu wahren und einen Ruf zu verlieren. Also schluckte ich den intravenös eingeführten Brei mühevoll hinunter.

»Und nun? Die Schrapnelle vom Jugendamt hat doch, jetzt wo ich wach bin, absolut keinen Grund dazu uns weiterhin auf die Nerven zu gehen«, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen.

Mir war immer noch nicht ganz klar, warum Wheeler jetzt überhaupt hier saß.

»Miss Sakura ist der Auffassung, wir hätten Mister Wheeler nur arrangiert um Mokuba zu beaufsichtigen. Sie wird und wohl oder übel noch eine Weile verfolgen. Bis zur „Hochzeit“ sollte sie aber wieder von der Bildfläche verschwunden sein und dann wird es auch kein Problem sein Mister Wheeler zu entlassen«, schaltete sich nun David ein.

Ich bekam Kopfschmerzen. Das alles machte keinen Sinn und war völlig absurd. Ich massierte mir das Nasenbein.

Aus dem Augenwinkel sah ich Wheeler aufspringen.

»Da alles gesagt ist was es zu sagen gibt, werde ich mir jetzt was zu trinken holen gehen. Sagt Bescheid wenn die Schnepfe hier ist!«, gab er genervt von sich.

Er verließ anschließend den Raum, bevor irgendjemand dazu etwas sagen konnte.

Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, stöhnte ich auf. »Warum um alles Willen ausgerechnet er!«

Mokuba verzog das Gesicht. »Das wird er sich die letzten Wochen auch gefragt haben!«
 


 

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Es war ein Reflex ihn zu küssen. Ein richtiger, wie mir der wissende Blick von dieser Miss Sakura sagte.

Seine Lippen waren verdammt weich - hätte ich vom Köter gar nicht erwartet. Entweder besaß er die genetische Veranlagung dafür oder er pflegte sie. Zweites konnte ich mir bei ihm aber nicht wirklich vorstellen. Der Typ wusste doch mit Sicherheit nicht mal wie man Lippenpflegestift fehlerfrei aufschreibt. Geschweige denn wie man so etwas benutzt.

Ich verlor mich in dem Gefühl seiner Lippen auf meinen. Deswegen schloss ich die Augen und schlang meine Arme in seinen Nacken, als ich das Gefühl hatte er würde mir wegrutschten.

Ein plötzlicher Impuls vermittelte mir, dass dieser harmlose Kuss nicht reichte. Ich wollte ihn schmecken!

Während meine Zunge wie von alleine über seine Unterlippe fuhr, schob ich diese Aktion gewissenhaft auf die Spätfolgen meines Schädel-Hirn-Traumas. Warum sollte ich Joey Wheeler sonst SO küssen wollen? Seine Haustiere abzuknutschen erhöhte immerhin das Risiko einer Fuchsbandwurm-Infektion!

Aber mein angeschlagenes Hirn hatte das Denken aufgegeben und gaukelte mir im Moment vor, dass es nichts Besseres auf dieser Welt gab, als Joey Wheeler zu küssen.

Die Ärzte sollten sich meinen Kopf doch nochmal ansehen. Ich glaube das ist etwas kaputt, dass sich nicht mehr reparieren lässt.
 


 

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Die Woche nach dem Kuss könnte man als wirklich ereignislos bezeichnen. David holte noch ein paar Akten aus der Kaiba Corp. ins Krankenhaus und erledigte seine Arbeit von hier aus, während ich mich noch immer durch den Ordner kämpfte, der während meines Komas zusammen getragen wurde. So arbeiteten wir stillschweigend nebeneinanderher – bis Mittwoch, dann wurde er redselig. Zu meinem Leidwesen.

»Wir müssen uns über Joey unterhalten!«, sagte er gleich am Morgen, als er mein Zimmer betrat.

Ich hatte es nicht mal geschafft meine erste Tasse Kaffee zu trinken und er begann gleich mit meinem unliebsten Thema – er hing anscheinend nicht an seinem Leben.

»Ich hab wichtigeres zu tun«, antwortete ich schroff. »Um den Straßenköter kümmere ich mich später!«

»Eine neue Duelldisk kann ja wohl kaum wichtiger sein als deine Verlobung, Schrägstrich Eheschließung!«, entgegnete er pikiert und verschränkte die Arme vor der Brust.

Ich sollte ihm kündigen. Jemand der mich nicht respektierte, konnte ich nicht gebrauchen.

»Dieses Duelldisk sichert dein Gehalt – und deine Abfindung, wenn du mich mit dem Thema Haustier nicht sofort in Ruhe lässt!«, knurrte ich ungehalten und schlug mit einem lauten Rascheln die Tageszeitung auf. Das Zeichen für ihn, mich jetzt in Ruhe zu lassen.

»Dieses Mal ist es ernst Seto und das kannst du nicht einfach mit deinem Namen und deinem Ruf abschmettern – das Jugendamt wird nicht locker lassen, bis ihr beide Ringe am Finger tragt, wenn wir uns nicht bald etwas einfallen lassen!«

Ich schlug die Zeitung wieder zu und blickte in mit eisigem Blick an. »Dann weiß ich nicht was du hier herumsitzt! Fang an zu arbeiten – such in meiner Nachbarschaft nach einem Fall der schlimmer ist und geradezu nach einer Überprüfung durch das Jugendamt schreit!«

»Denkst du, das habe ich nicht schon längst getan?! Es gibt keinen! Euer Viertel ist so sauber wie ein frischgewickelter Baby-Po!«

»Dann grab tiefer – irgendjemand von denen muss Dreck am Stecken haben!«

Langsam nervte er mich wirklich – und ich bekam davon Migräne.

»Und wenn ich niemanden finde? Seto wir müssen uns vorher etwas überlegen für den Fall das – du kannst ihn nicht einfach mir nichts dir nichts heiraten. Wenn ihr euch irgendwann scheiden lassen solltet, hat er ein Anrecht auf 20 % der Firma!«

»Wheeler wüsste gar nichts damit anzufangen!«, antwortete ich und musste mir ein gehässiges Lachen verkneifen. Selbst wenn es so weit kommen sollte – und ich wollte ganz gewiss nicht, dass es so weit kommt – hätte ich absolut keine Nachteile davon. Und da kam mir eine Idee, wie wir jedes drohende Unheil abwenden konnten – schon lange bevor es vielleicht eintrat.

»Setz einen Vertrag auf«

»Pardon – einen was?«

»Setze einen Vertrag auf«, wiederholte ich mich. »Lege genau fest, was er darf und was nicht, was er für seine Dienste bekommt und was passiert, wenn der Fall das wir heiraten doch eintritt!«

»Und wie stellst du dir das vor? Soll er, dafür das er mit dir unter einem Dach wohnt entlohnt werden? Ich glaube du könntest ihm jeden Monat 10.000.000 Yen bieten und er würde ablehnen!« - David lachte spöttisch - »Du denkst er ist dumm, aber das ist er nicht. Eigentlich ist er sogar verdammt schlau, zu mindestens wenn es um sein eigenes Wohl geht.«

»Das weiß ich selbst!«, antwortete ich herrisch.

»Was weißt du?«

»Das er nicht dumm ist, verdammt«, entgegnete ich. »Hast du eine andere Idee, wenn du den Vertrag für schwachsinnig hältst?!«

»Warum betitelst du ihn dann immer so?«

Einen Moment war ich von Davids Gegenfrage verwirrt, doch dann fiel mir wieder ein worauf er sich bezog.

»Hunde soll man nicht zu viel loben, sonst pissen sie einem früher oder später doch wieder auf den Teppich!«, antwortete ich ohne ihn anzusehen.

David zischte. »Das bist so typisch du – warum kannst du nicht einfach zugeben, dass du ihn magst!«

»Weil ich ihn hasse – und jetzt mache deine Arbeit, aber woanders. Ich bin es leid dich zu sehen!«, sagte ich und zeigte auf die Tür.

Ich dachte er würde die Klappe halten und einfach verschwinden, aber da hatte ich die Rechnung ohne David Johnson gemacht. Denn der blieb provokant vor meinem Bett stehen und knallte mir einen Aktenordner auf die Schienbeine.

»Du solltest dich glücklich schätzen. Er hat dir den Arsch gerettet. Ohne ihn wärst du jetzt ein niemand ohne irgendetwas oder jemanden. Er tut dir gut, aber du hast die Wand um dein Herz genauso hochgezogen wie Gozaburo und wirst als alter einsamer Mann sterben, wenn du nicht bald etwas änderst!«

»Bist du fertig mit deiner Predigt? Ich bezahle dich nämlich nicht fürs Blödquatschen!«

»Mich beeindruckst du nicht Eiskönig – schon lange nicht mehr!«

Dann verschwand er endlich und ich bekam die Zeit um mir zwei Schmerztabletten in den Rachen zu schmeißen. Ich glaube nach dem Unfall ertrage ich Menschen um mich noch schlechter als vorher.
 


 

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Als der Arzt mir meine Entlassungspapiere in die Hand drückte und mir erlaubte meine Sachen zu packen hörte auch endlich die Migräne auf.

Mokuba ließ mir an diesem Tag keine ruhige Minute. Er sprang auf dem Krankenhausbett herum und erzählte mir von Dingen, die Roland in den vergangenen Tagen mit ihm unternommen hatte. Es interessierte mich nicht wirklich, aber ich hörte wenigstens mit einem Ohr zu.

David saß am Tisch in der Ecke. Er hatte drei Anwaltsschreiben von anderen Firmen vor sich liegen, die er Zeile für Zeile genau durchging. Wir hatten seit der Diskussion am Mittwoch nicht noch einmal über Wheeler gesprochen. Aber ich kannte seine Meinung ja. Nur hatte er da überhaupt kein Mitspracherecht. Denn das war meine Schein-Beziehung und das war meine Zukunft. Er musste nur die Formalitäten klären – für etwas anderes war sein Arbeitsvertrag auch nicht ausgelegt.

Als ich David gerade bitten wollte Roland anzurufen, öffnete sich die Tür und Miss Sakura stand im Raum – ein diabolisches Grinsen im Gesicht. Sie war im Moment wohl meine stärkste Konkurrentin was das anging.

»Mister Kaiba, schön sie zu sehen«, begrüßte sie mich und warf gleichzeitig einen Blick auf meine Reisetasche. »Oh Sie packen, wie ich sehe. Dann dürfen Sie wohl endlich nachhause?«

Ich versuchte ein freundliches Lächeln auf meine Lippen zu zaubern. Nur leider war ich kein Magier!

»Ich freue mich schon unglaublich auf mein eigenes Bett und meinen Bruder und meinen« - ich musste schlucken - »Verlobten.«

Am liebsten würde ich ins Badezimmer rennen und mir den Mund mit Seife auswaschen.

»Das Sie den vermissen kann ich mir vorstellen«, sagte sie mit einem gewissen Schalk in der Stimme. »Und wo ist Mister Wheeler? In der Cafeteria?«

Ich sah David an, in der Hoffnung er würde mir helfen, aber er starrte auf seine Briefe und schien von der Unterhaltung zwischen Miss Sakura und mir gar keine Notiz zu nehmen. Oder sie mit Absicht zu ignorieren, um mir damit eins auszuwischen.

Woher sollte ich wissen wo Wheeler sich herumtrieb? Es interessierte mich nicht und es war auch nicht meine Aufgabe das zu überwachen.

»Joey ist noch in der Firma. Es gab noch einen dringend Auftrag zu erledigen – wir haben ihn vorhin dort abgesetzt!«, kam Mokuba mir zu Hilfe.

Wäre ich kein Kaiba, würde ich erleichtert seufzen. Aber meine strenge Erziehung ließ eine so offensichtliche Gefühlsregung nicht zu. Zu Mal sie auch nicht wirklich angebracht war. In spätestens zehn Sekunden wäre mir selbst etwas Glaubwürdiges eingefallen!

Miss Sakura zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen.

»Für einen einfachen Schüler ohne nennenswerte Wirtschaftskenntnisse ein sehr gewagtes Unterfangen«, antwortete sie.

»Er hat sich in den letzten Wochen ausgezeichnet geschlagen – er wird den Erwartungen gerecht«, antwortete David und lächelte charmant.

Ich verzog das Gesicht. Er hatte eine Ausstrahlung die ich niemals besitzen würde. In manchen Situationen war es beneidenswert. In manchen hilfreich – aber eigentlich nervte es meistens einfach nur.

»Wird Mister Wheeler denn danach herkommen? Ich wollte eigentlich noch einmal mit Ihnen sprechen – aber wir können das auch gerne verschieben. Dann können sie mir endlich Ihr Haus zeigen!«

Ich schluckte. Sie erwartete mit Sicherheit, dass der Köter bei mir wohnte. Und wenn ihre Erwartungen enttäuscht würden, würde sie uns bestimmt unterstellen, wir würden sie anlügen. Eine Begegnung in der Villa sollten wir also wenn möglich vermeiden – zu mindestens bis Wheeler offiziell eingezogen war.

Alleine dieser Gedanke bereitete mir Magen- und Kopfschmerzen.

»Mister Wheeler wird sich beeilen. Wenn er es schafft können sie ihn hier noch treffen, ansonsten machen wir einen Termin aus«, antwortete David für mich.

Ich hoffte, niemand hatte den Köter hier herbestellt. Denn er war heute der allerletzte, den ich sehen wollte.

»Ich habe noch ein wichtiges Telefongespräch, was ungefähr eine Stunde in Anspruch nehmen wird. Danach schaue ich noch einmal bei Ihnen vorbei!«, sagte Miss Sakura.

»Eine gute Idee«, antwortete ich und musste mich beherrschen keinen unfreundlichen Ton einzuschlagen.

Die Alte warf mir trotzdem einen komischen Blick zu, bevor sie das Zimmer verließ.

Mokuba ließ sich schwer seufzend auf das Krankenhausbett plumpsen und auch David seufzte hinter mir.

»Knappe Geschichte«, sagte er. »Ich geh dann mal kurz telefonieren, habe noch etwas zu klären.«

Hätte ich vorher gewusst, dass er den Köter herschaffen lässt, hätte ich ihn mit großer Sicherheit aufgehalten. Und wenn ich ihn dafür hatte lebendig im Krankenhaushof begraben müssen, wäre mir das auch recht gewesen.
 

Als Miss Sakura nach ihrem besagten Telefonat zurückkam, wies ich sie bemüht freundlich darauf hin, dass Wheeler es heute wohl nicht mehr rechtzeitig ins Krankenhaus schaffen würde.

Sie tat so, als wäre das überhaupt kein Problem, hockte sich auf einen der freien Stühle und schlug ihren Terminplaner auf. Sie fragte mich nach einem passenden Termin. Ich antwortete höflich, dass ich ihr keinen nennen könne und sie doch bitte warten soll bis David wieder zurück war, dann packte ich weiter meine Sachen zusammen.

Zu meinem Leidweisen kam David aber nicht alleine; er brachte den Köter mit. Meine Mundwinkel sanken einen kurzen Moment hinab, aber als ich Miss Sakuras Blick auf mir spürte, setzte ich sofort ein gespieltes Lächeln – was täuschend echt wirken konnte wenn ich wollte – auf.

Der Köter reichte ihr die Hand und umarmte anschließend Mokuba zur Begrüßung. Dann standen wir beide uns gegenüber, unwissend wie wir uns verhalten sollten.

Schließlich kratzte ich mein gesamtes Wissen über Begrüßungen zwischen „Verliebten“ zusammen. Ich schlang ihm einen Arm um die Hüfte und zog ihn an mich heran.

»Hey. Ich dachte du hast noch was in der Kaiba Corp. zu tun? Ich hab Miss Sakura bereits gesagt, dass du heute nicht mehr kommst!«, begrüßte ich ihn und tat dabei so als würde mich sein Auftauchen wirklich überraschen.

Weil Miss Sakura so aussah, als wäre ihr die halbherzige Umarmung nicht genug, steuerte ich mit meinen Lippen seine an.

»Warum bist du hier?«, flüsterte ich gegen seinen Mund, drückte aber meine Lippen auf seine, bevor er antworten konnte.

Dieser Kuss endete genauso schnell wie er begonnen hatte, weil niemand von mir erwarten konnte, dass ich ihm hier in der Öffentlichkeit meine Zunge in den Hals steckte. Wheeler schloss selbst für die zwei Sekunden die Augen und als er sie wieder öffnete, schien er über meinen Gesichtsausdruck nicht gerade erfreut. Was erwartete er denn? Dass ich ihn ansah, als gäbe es nichts Besseres auf der Welt? Träum weiter Flohteppich!

Weil ich der Meinung war, das reichte als Begrüßung aus, wandte ich mich Miss Sakura zu. Die war so aufmerksamkeitsgeil, dass sie mit Sicherheit erwartete, dass ich mich für meine Falschaussage von gerade eben entschuldigte.

»Es tut mir Leid«, sagte ich. »Ich hatte keine Ahnung, dass er mich jetzt doch abholen wollte!«

»Tja, ich bin halt eben für Überraschungen gut!«, entgegnete Wheeler. Das dämliche Grinsen würde ich ihm am liebsten aus dem Gesicht fegen. Und als er dann auch noch die Frechheit besaß seinen Arm um meine Schulter zu legen, fehlte nicht mehr viel, damit ich austickte.

Er zog mich wieder ganz nah an sich heran und ich hatte zu tun, ihn nicht abzuschütteln wie eine lästige Fliege. Das kostete mich ein hohes Maß an Selbstbeherrschung.

»Bist du bescheuert? Du hast mich doch herbestellt!«, zischte er mir ins Ohr.

Bevor er mich antworten ließ, löste er sich jedoch aus der Umarmung und packte ein Stapel T-Shirts in meine Tasche. Mir entgleisten wegen seiner absurden Behauptung dieses Mal wirklich alle Gesichtszüge.

Ich habe ihn hier herbestellt? Also jetzt sind ihm wirklich sämtliche Gehirnzellen abhanden gekommen!

Weil ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, dass die Aktion auf Davids Konto ging, funkelte ich meinen Bruder wütend an. Denn er war bis dahin der einzige, dem ich so eine hinterhältige Aktion zutraute.

Wheeler packte noch einen weiteren Stapel Kleidung in meine Tasche, dann verkündete er, dass er jetzt in die Cafeteria gehen und sich etwas zu trinken holen würde.

»Möchtest du auch etwas Schatz?«

Er sprach den Kosenamen mit einer Selbstverständlichkeit aus, dass mir beinahe schlecht wurde. Er sollte sich das bloß nicht angewöhnen. Wenn ihm so etwas in der Öffentlichkeit noch einmal herausrutschen sollte, würde ich ihm dafür vermutlich eine knallen!

»Nein Danke, ich vertrage diesen Krankenhaus-Fraß nicht. Mein Magen rebelliert schon seit geschlagenen drei Tagen!«

Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Mokuba kurz davor war sich die Hände ins Gesicht zu schlagen. War nur die Frage wegen wem er das tat – Wheeler oder mir?

Wheeler ergriff die Flucht und Miss Sakura räusperte sich.

»Ich denke Mister Wheelers Anwesenheit wird bei unserem Gespräch nicht von Not sein, er erscheint mir ziemlich erschöpft. Würden Sie mich dann alleine begleiten Mister Kaiba?«, fragte sie pikiert.

»Ich wäre als Mister Kaibas Anwalt bei dem Gespräch gerne ebenfalls anwesend, nur zur Sicherheit!«, mischte sich David ein.

Miss Sakuras aufgesetztes Lächeln verrutschte noch mehr, doch sie nickte und trat hinaus auf den Krankenhausflur.

Direkt gegenüber von meinem Zimmer war das Besprechungszimmer der Stationsärzte in das Miss Sakura uns geleitete. Sie setzte sich gegenüber von uns hin und schlug ihre Mappe auf.

»Ich will nicht lange um den heißen Brei drum herumreden: Mister Wheeler und Sie sind mir äußerst unsympathisch, aber wegen fehlender Sympathie darf ich einem Pärchen – leider – das Sorgerecht nicht entziehen. Wenn dieses mich anlügt allerdings schon!«

David neben mir zog am Knoten seiner Krawatte, als wäre sie ihm plötzlich zu eng.

»Ich verstehe leider nicht ganz – in welchem Punkt sollten wir Sie denn angelogen haben, wenn ich fragen darf?«

Miss Sakura schürzte die Lippen. »Wussten Sie, dass Mister Wheeler eine ziemlich dicke Akte beim Jugendamt hat? Er gilt als Härtefall und sein häusliches Umfeld wird alle zwei Wochen von seiner Betreuerin überprüft. Wenn er regelkonform bei Ihnen eingezogen wäre, wäre das nun meine Aufgabe. Aber irrwitziger Weise habe ich seinen Fall noch nicht auf dem Schreibtisch, weil er gar nicht in meinem Zuständigkeitsbereich gemeldet ist – können Sie mir das erklären oder können wir das Gespräch an dieser Stelle beenden, damit ich Mokuba in meine Obhut nehmen kann?«

Mir blieb beinahe das Herz stehen bei ihren Worten. Und ich wusste nicht was ich dazu sagen sollte.

»Die Ummeldung ist im Wirrwarr der letzten Wochen leider untergegangen«, meldete sich David nervös zu Wort. »Es ist zutreffend, dass Mister Wheeler vor dem Unfall von Mister Kaiba nicht bei diesem gewohnt hat aufgrund seines doch recht jungen Alters. Aber er ist sofort eingezogen, als dieser passiert ist. Nur hat er dann wegen der Firma leider nicht ausreichend Zeit den notwenigen Behördengang nachzuholen. Ich dachte damit könnte er sich noch etwas Zeit lassen. Wenn das allerdings von so großer Wichtigkeit ist, werden wir das umgehend nachholen, gleich morgen!«

Miss Sakura zog die Augenbrauen hoch und notierte sich anschließend etwas in ihrem Ordner.

»Es ist bedauerlich, dass ich in diesem Fall die Entscheidung leider nicht alleine treffen darf. Sie können sich sicher sein; dürfte ich es, würde Mokuba schon längst in einem Heim leben oder in einer Pflegefamilie. Aber leider ist mein Vorgesetzter nicht ganz so genau wie ich« - sie grinste höhnisch und mir lief es eiskalt den Rücken hinab - »Aber wie lange ich Ihren Haushalt überprüfe – Mister Kaiba – liegt ganz alleine in meiner Hand. Und Sie können sich sicher sein: Ich werde sie erst in Ruhe lassen, wenn ich ganz sicher sein kann, dass sie mich nicht angelogen haben. Und sollte mir auch nur die kleinste Kleinigkeit suspekt vorkommen, werde ich meinen Vorgesetzten notfalls auch übergehen, damit der Gerechtigkeit Genüge getan wird!«

Sie klappte ihren Ordner zu und stand auf.

»Ach und noch etwas: Falls Sie auf die Idee kommen sollten, eine Trennung wäre ein Ausweg, weil das ja in den besten Partnerschaften vorkommen kann, muss ich sie leider enttäuschen. Denn die würde ich so kurz nach Ihrem überstandenen Koma nicht dulden Mister Kaiba. Denn so etwas schweißt Partnerschaften zusammen und reißt sie nicht auseinander!«

»Was können wir tun um sie zu überzeugen?«, fragte David, der noch mehr Panik hatte als ich.

Miss Sakuras Grinsen wurde noch schadenfroher, wenn das überhaupt noch möglich war.

»Mister Wheeler und Mister Kaiba wollten doch heiraten? Ich würde mich über eine baldige Einladung dazu freuen!«

Mit diesen Worten verließ sie den Raum und ließ die Tür lautstark hinter sich ins Schloss fallen. David neben mir zuckte erschrocken zusammen. Ich hingegen fixierte noch immer den Stuhl, auf dem die Schnepfe gerade eben noch gesessen hatte.

»Scheiße«, fluchte David neben mir.

Und das konnte er gar nicht laut genug sagen, denn der absolute Worst-Case war eingetreten: Ich – Seto Kaiba – würde Joey Wheeler heiraten müssen, wenn ich meinen Bruder nicht verlieren wollte!
 

Als David und ich mein Zimmer wieder betraten, dauerte es nicht lange bis der Hund von mir wissen wollte, was besprochen wurde.

Ich erzählte ihm die Kurzfassung und er sah danach so aus, als würde er gleich in Ohnmacht fallen – was zugegebenermaßen ein ziemlich lustiges Schauspiel gewesen wäre.

»Mister Wheeler?«, sprach David ihn an.

Der Köter sah nicht aus, als wäre er aufnahmefähig, doch das hinderte David natürlich nicht daran, seinen Salm trotzdem abzulassen.

»Ich habe mich ausführlich mit Mister Kaiba darüber unterhalten und wir sind uns einig geworden, dass wir Ihren Umzug am Samstag in zwei Wochen über die Bühne gehen lassen werden. Die Ummeldung müssen wir morgen schon vornehmen lassen, sonst steht Miss Sakura in zwei Tagen wieder auf der Matte!«

Nur fürs Protokoll: Mit mir hatte er gar nichts besprochen! Die Idee hatte er sich in den letzten fünf Minuten in seinem Kopf selbst zusammen gesponnen. Und ich war darüber mindestens so unglücklich wieder Köter. Doch im Gegensatz zu ihm ließ ich mir das nicht anmerken, denn ich verstand die Notwendigkeit dieser Aktion.
 

Eine halbe Stunde später hatte Wheeler wieder genug Kraft in den Beinen, um aufzustehen. Er äußerte den Wunsch nach Hause zu wollen. David hatte eigentlich gehofft, er würde uns zusammen ablichten lassen können. Doch so wie der Hund im Moment aussah war das wohl keine gute Idee und deswegen wurde ihm dieser Wunsch gewährt.

Als Wheeler anschließend gemeinsam mit David und Mokuba mein Zimmer verließ sah er mich noch einmal so an, als wäre ich der Teufel in Person.

Für den Blick würde ich ihm am liebsten noch einen blöden Spruch an den Kopf knallen. Doch bevor ich dazu kam war er schon verschwunden. Sein Glück!
 


 

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Als ich in der sportlichen Limousine saß, die mich und Mokuba nach Hause bringen sollte, erwartete ich schlimmes zu sehen, wenn ich die Villa betrat. Obwohl ich über eine Putzkolonne von dreißig Mann verfügte, wusste ich dass mein Bruder durchaus in der Lage war unser Heim binnen kürzester Zeit in ein Schlachtfeld zu verwandeln, sodass selbst fünfzig Mann mit dem Aufräumen nicht hinterher kämen.

Roland hielt vor der Villa und ließ uns aussteigen. Der Vorgarten sah nach wie vor gepflegt aus, was bedeutete dass Roland sich wenigstens um die Außenanlage gekümmert hatte. Ich halte auf meiner Liste gedanklich einen weiteren Punkt ab und sah dem Betreten der Villa auch nicht mehr so pessimistisch entgegen. In der Hoffnung Roland hatte sich um alles gekümmert, schloss ich schließlich die Tür auf und seufzte laut, als mich blitzblank geputzte weiße Marmorfliesen anlächelten. Kaum hatten Mokuba und ich uns die Schuhe ausgezogen, kam auch schon Taika - unsere Köchin und Machthaberin über die Putzkolonne - in die Vorhalle.

Sie stellte sich genau gegenüber von mir auf, blinzelte argwöhnisch und schlug mich dann mit Ihrem Geschirrtuch, dass ihr über die Schulter hing.

»Mach so etwas nie wieder Kaiba! Wenn du mir je wieder so einen Schrecken einjagst, dann wirst du nicht wieder aufwachen, dass schwöre ich dir allen japanischen Göttern!«, kreischte sie hysterisch und rauschte dann wieder ab.

Ihre Art und Weise einem zu zeigen, dass man ihr wichtig ist!

Mokuba ging ihr hinterher. Bestimmt wollte er sie wieder dazu überreden ihre selbstgemachte Limonade zu machen oder so etwas in der Art.

Sollte mir aber ganz recht sein, denn so hatte ich die Gelegenheit mich um ausstehende Firmenangelegenheiten zu kümmern.

Ich wollte gerade die Treppe hinauf gehen, als sich jemand hinter mir räusperte. Es war Roland.

»Mister Johnson hat mir gesagt, dass ich Sie daran erinnern soll ein Zimmer für Mister Wheeler herrichten zu lassen! Vielleicht das eine Gästezimmer in Ihrem Flügel, dann wären Sie immerhin nahe beiein-«

»Wage es nicht diesen Satz zu Ende zu sprechen!«, unterbrach ich ihn harsch. »Taika soll den Putzfrauen sagen, dass Sie das Gästezimmer was am weitetesten von meinem Schlafzimmer entfernt liegt für ihn fertig machen sollen! Ich will seine Visage hier so wenig sehen wie nur irgendwie möglich!«

Roland sah einen kurzen Moment so aus, als würde er noch etwas sagen wollen, doch dann schloss er den Mund, nickte und ging in Richtung Küche davon. Schlauer Mann!

Erleichtert verdrehte ich die Augen. Dann konnte ich ja jetzt endlich meiner Arbeit wieder ganz in Ruhe nachgehen. Ohne das Mokuba, David, Wheeler oder irgendwer sonst meine angeschlagenen Nerven noch mehr malträtierte.
 


 

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Am Samstag zwei Wochen später saß ich gerade vor meinem Laptop und überprüfte einen Bericht über die neue Duell-Disk, als David breit grinsend in mein Arbeitszimmer spazierte.

»Es ist so weit«, verkündete er großspurig.

»Ich habe dir schon mindestens tausendmal gesagt, dass du anklopfen sollst, bevor du eintrittst! Warum kannst du die nicht einfach mal an das halten was ich dir sage?«, fragte ich genervt und klappte meinen Computer zu. Zum Arbeiten würde ich jetzt sowieso nicht mehr kommen. Denn der Schlipsträger würde mich so schnell nicht wieder in Ruhe lassen – dass sah man ihm an.

»Hast du etwas Angst ich könnte dich bei etwas unmoralischem überraschen?«

Der Typ hatte heute also mal wieder einen Clown gefrühstückt. Herr im Himmel, womit verdiente ich das?!

»Naja auch egal«, winkte David ab, als er merkte das er von mir keine Antwort auf seine blöde Frage bekommen würde. »Der Umzugswagen steht schon unten. Du kannst deinen Liebsten samt seiner Sachen jetzt aus der Hölle befreien und in das Eisschloss überführen!«

Er konnte wirklich froh sein, dass ich meine Aggressionen besser im Griff hatte als andere. Andernfalls hätte ich ihn wahrscheinlich schon im Garten vergraben.

»Weshalb sollte ich ihn persönlich abholen? Er wird es ja wohl selbst schaffen seine paar Habseligkeiten zu verladen!«, antwortete ich monoton.

»Es könnte sein, dass die Presse Wind davon bekommen hat und da sein wird um Fotos zu schießen. Da wäre es doch wirklich schade, wenn Joeys Verlobter nicht zugegen ist!«

Mir war sofort klar, dass er die Presse selbst in Kenntnis gesetzt hatte. Entweder um Miss Sakura öffentliche Beweise für unsere Beziehung zu liefern oder um mich wieder ins Rampenlicht zu rücken. Eigentlich war mir egal weswegen, er sollte das bloß nie wieder tun! Sonst wird er in den telefonischen Kundenservice strafversetzt – eine angemessene Strafe für seine Vergehen!

»Hattest du Wheeler eine Zeit gesagt, zu der er abgeholt wird?«, hakte ich nach und zog einen Ordner hervor.

»Nein, aber ihr müsst sowieso auf seinen Vater warten!«, antwortete David und lieferte mir damit gleich die nächste Hiobsbotschaft.

Ich schob den Ordner wieder zurück und sah meinen Anwalt prüfend an. »Und warum sollte ich in der schäbigen Bude auf seinen Erzeuger warten? Der geht mich ja nun überhaupt nichts an – schlimm genug das ich mich mit seinem Abkömmling herumschlagen muss!«

David stöhnte genervt auf. »Ist dir schon Mal in den Sinn gekommen das ihr beide nicht einfach in ein Standesamt spazieren und heiraten könnt?! Du wurdest vom Staat vielleicht für volljährig erklärt, aber Joey nicht. Und da sein Vater das alleinige Sorgerecht für ihn hat, ist er der einzige der die Hochzeit seines minderjährigen Sohnes erlauben darf und das braucht ihr schriftlich!«

Ich schloss die Augen und massierte mir das Nasenbein. Warum konnte zur Abwechslung nicht mal etwas einfach sein?

»Und du bist der Meinung, sein Vater wird mir erst um den Hals fallen und dann den Wisch unterschreiben?«, fragte ich ironisch. »Sag mal, wie unterbelichtet bist du eigentlich?«

Eigentlich hätte David sich verteidigen müssen, so wie er es für gewöhnlich immer tat. Doch er grinste nur und ließ sich in einen der Stühle gegenüber meines Schreibtischs fallen.

»Hast du dich in den letzten Tagen Mal in die Datenbank des Jugendamts gehackt?«, fragte er mit einem Ton, der mir überhaupt nicht gefiel.

»Nein. Nenne mir einen triftigen Grund, warum ich das tun sollte?!«, antwortete ich gereizt.

Seine dämlichen Gegenfragen nervten mich tierisch. Ich war noch nie ein Freund von Menschen, die in Rätseln sprachen.

»Ich hab mir gestern Mal Joeys Akte angesehen«, tat David kund. »Und in der steht, dass Joey und sein Vater überhaupt keine gutes Verhältnis zueinander haben!«

»Und wie soll uns das bei der Heiratserlaubnis weiterhelfen? Rede entweder Klartext oder hör‘ auf meine Zeit zu vergeuden!«

»Ich denke sein Vater wird ganz froh sein, wenn er endlich aus dem Haus ist. Und deswegen denke ich, es wird nicht besonders schwierig sein, seine Unterschrift hierfür zu kriegen!«, mutmaßte David und schob mir quer über den Tisch ein Formular zu.

Ich brauchte es mir nicht anzuschauen, um zu wissen was draufstand. Ich faltete es einmal in der Mitte und legte es bei Seite.

»Hey nicht weglegen! Steht auf und fahr los!«, meckerte David.

Ich verdrehte die Augen. »Kann ich wenigstens noch einen Kaffee trinken?«

»Nein, den kannst du trinken, wenn ihr wieder hier seid und jetzt verschwinde endlich!«, herrschte er mich an.

Normalerweise würde ich mir so ein Verhalten nicht gefallen lassen – vor allem nicht von einem meiner Angestellten. Aber weil ich wusste das es keinen Sinn machte mit David zu diskutieren, stand ich auf und schnappte mir den Zettel.

»Wenn ich die Unterschrift nicht bekomme, musst du dir etwas einfallen lassen und wage es nicht mir wieder unter die Augen zu treten, bis das nicht passiert ist!«

»Ja, ja und jetzt geh!«
 

Vor der Tür der Villa stand ein gewöhnlicher, weißer Transporter. Ein Zweisitzer, was bedeutete, dass ich Wheeler alleine abholen musste.

Als die Haustür hinter mir schwer ins Schloss fiel, tauchte Roland hinter dem Gefährt auf. Er kam auf mich zu und reichte mir die Schlüssel.

»Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber sind Sie nach Ihrem Unfall denn in der Lage selbst zu fahren?«, fragte er besorgt.

»Ich kann dir versichern, dass es mir blendend geht und das ich in der Lage dazu bin, zu fahren!«, antwortete ich gereizt.

Legten es heute alle darauf an, mir auf die Nerven zu gehen? Wenn ja, dann spielten sie alle mit ihrem eigenen Leben!

»Haben Sie wenigstens ihr Handy dabei Mister Kaiba? Damit Sie anrufen können, wenn etwas nicht stimmt.«

»Roland wer sind Sie? Meine Mutter? Mir geht es gut und es wird nichts passieren! Ich bin in spätestens einer Stunde wieder da – zusammen mit dem Köter!«, herrschte ich meinen Fahrer an.

Dieser nickte nun und verschwand wieder in der Villa. Zum Glück – noch weitere Worte aus seinem Mund und der Vulkan in mir wäre wohl wirklich explodiert!

Ich setzte mich hinters Steuer und startete den Transporter. Während ich die kiesige Einfahrt hinunterrollte, fragte ich mich, ob es wohl wirklich so einfach werden würde Wheelers Vater zum unterschreiben zu bringen. Aber warum machte ich mir darüber eigentlich Gedanken? Für Geld würde der sicherlich alles tun – vermutlich sogar seinen eigenen Sohn abgegeben. Bei dem Gedanken lief es mir eiskalt den Rücken hinab. So etwas Grausames hätte vermutlich nicht einmal Gozaburo getan!
 


 

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Das Viertel in dem Wheeler wohnte, war der ganzen Stadt ein Dorn im Auge. Hier gab es abrissreife Hochhäuser so weit das Auge reichte. Müll und Sperrmüll säumten die Straßen und Gehwege. In jeder Gasse tummelten sich zwielichtige Gestalten. Ein Spielplatz an dem ich vorbeifuhr war mit Absperrband und einem Bauzaun abgeriegelt. Ein paar Jugendliche hielt das jedoch trotzdem nicht davon ab auf den Einsturzgefährdeten Spielgeräten herumzuturnen.

Das Gewerbegelände am Hafen war nicht weit von hier entfernt. Das Benzin der Containerschiffe und die Abgase der Fabriken roch man bis hier her und sie brannten fürchterlich in der Nase.

Jemand hatte Wheelers Adresse ins eingebaute Navigationsgerät eingegeben und ich war erstaunt, als dieses mir meinen Zielort in einer Straße voller hübscher kleiner Reihenhäuser verkündete. Vermutlich hatte man sie für die Fabrikarbeiter vom Hafen gebaut, dass hieß Wheelers Vater war einer von ihnen. Andernfalls wäre er wohl kaum an so ein solides Eigenheim gekommen.

Es gab kaum Parkplätze in der Straße, weswegen ich direkt an der Kreuzung parken musste. Glücklicherweise war weit und breit kein Papparazzi zu sehen. Ich stieg aus und ging die Straße hinab. Hoffentlich hatte Wheeler wenigstens ein paar Muskeln in den Armen. Andernfalls könnte das Kisten schleppen zu einer wahren Tortur werden. Wer weiß was der für Kram in seinem Zimmer hortete.

Als ich nur noch zwei Nummern von Wheelers Haus entfernt war, fiel mir plötzlich eine offene Tür ins Auge und ich hörte das laute Gebrüll eines Mannes.

Mir kam wieder in den Sinn was David über Wheeler und seinen Vater gesagt hatte und was Miss Sakura vor zwei Wochen beiläufig erwähnt hatte.

Ich beschleunigte meine Schritte und stoppte erst, als ich vor dem Gartentor stand. Das Fundament des Hauses war so niedrig, dass man direkt ins Innere hinein sehen konnte. Und was ich erblickte, schockierte mich.

Nicht Mal fünfzehn Meter von mir entfernt, stand Wheelers Vater über ihn gebeugt und prügelte seinen Sohn grün und blau.

Mein rationaler Verstand sagte mir, dass es klüger wäre die Polizei zu rufen. Doch Polizei bei häuslicher Gewalt in die Minderjährige involviert waren, bedeutete auch ein Anruf beim Jugendamt. Und ich war sehr froh, dass uns die Schnepfe mal vierzehn Tage in Frieden ließ.

Ich ballte die Hände zu Fäusten. Die blanke Wut nahm meinen Körper ein.

Weil ich nicht wusste, wie sich das Gartentor öffnen ließ und es zu hoch war um drüber zu springen, trat ich es einfach ein. Ich hechtete die flache Veranda mit zwei Schritten hinauf, direkt hinein ins Haus.

»Sind sie verrückt? Was fällt Ihnen ein?«, schrie ich wutentbrannt. Bevor ich überlegen konnte, was als nächstes zu tun war, handelte mein Körper bereits von ganz alleine und ich schlug einfach zu. Mitten in die hässliche Fratze von Wheelers Vater.

Er taumelte zurück, verlor das Gleichgewicht. Er fiel in ein paar von Wheelers Umzugskartons und blieb liegen. Besser für ihn!

Ich ließ mich vor Wheeler fallen und betrachtete sorgenvoll sein ramponiertes Gesicht. Er würde ein Veilchen am rechten Auge bekommen und er hatte einen tiefen Riss direkt auf seinem Wangenknochen. Er blutete aus dem Mund.

»Joey!«, sagte ich sorgenvoll. Mir war in diesem Moment nicht bewusst, dass ich ihn zum ersten Mal bei seinem Vornamen genannt hatte, aber das war jetzt auch nicht wichtig.

Im Augenblick zählte nur, dass ich ihn hier weg bekam, zusammen mit seinen ganzen Sachen. Heiratserlaubnis hin oder her. Diesen ekelhaften Menschen würde ich so wieso nicht um einen Gefallen bitten – aber eine Tracht Prügel, die konnte er von mir gerne noch kriegen wenn er es darauf anlegen sollte!

Ich strich Joey sanft über die Wange, doch er war weggetreten. Scheiße!

Mein Handy. Ich ließ Joey los, fummelte es aus der Tasche meines Mantels und rief Roland an. Er sollte David eintüten und so schnell hier her kommen wie nur möglich. Denn ich befürchtete, dass, sobald ich Joey aus diesem Haus brachte, sein Erzeuger die Tür hinter ihm für immer schließen würde.

Glücklicherweise nahm Roland direkt beim ersten Klingeln ab, als hätte nur er auf meinen Anruf gewartet. Ich hielt mich nicht daran auf ihm die Situation zu erklären oder auf seine Fragen einzugehen. Ich sagte ihm die Adresse und das er David mitbringen sollte und legte einfach auf.

Dann kümmerte ich mich wieder um Joey. Sein Vater lag nach wie vor benommen in den Umzugskartons.

Vorsichtig tupfte ich mit einem Taschentuch aus meiner Manteltasche die Wunde auf seiner Wange ab. Während ich das tat, kam auch sein Erzeuger langsam wieder zu sich.

Sofort ergriff die Wut wieder von mir Besitz und ich ballte die Hände zu Fäusten. Ich warf das Taschentuch achtlos auf den Boden, richtete mich auf und drehte mich um. Auch Wheeler Senior sah mich wütend an.

»Wer sind Sie? Und was machen Sie in meinem Haus?«

»Ich bin der Verlobte ihres Sohnes und ich werde nicht zulassen, dass Sie ihn noch einmal anrühren!«

Es war mir egal was er von mir hielt und es war mir auch egal was ich da sagte. Wichtig war nur, dass ich zwischen ihm und seinem Sohn stand und ihn davon abhielt weiter auf diesen einzuschlagen.

»Ach ja – ich habe davon in der Zeitung gelesen! Lächerlich, mein Sohn ist weder eine Schwuchtel, noch an so jemandem wie Ihnen interessiert! Außerdem ist er minderjährig und ich habe die Entscheidungsgewalt über ihn!«

»Mal sehen wie lange noch«, knurrte ich und fletschte die Zähne.

Er sollte mich lieber nicht provozieren oder es würde ihm leid tun. Noch hatte er die Wahl wie der heutige Tag für ihn ausgehen konnte! Entspannt oder schmerzvoll.

»Sie denken, nur weil Sie ihm Ihren Schwanz in den Arsch schieben, ist er Ihr Eigentum? Sie sind noch überheblicher, als ich immer gedacht habe!«, bellte er angriffslustig.

Ein beißender Alkoholgeruch schwappte zu mir herüber und steigerte meine Wut ins unermessliche.

»Wie viel muss man eigentlich trinken, damit es einem nicht mal mehr Leid tut, wenn man den eigenen Sohn grün und blau schlägt?«, höhnte ich, weil mir nichts anderes einfiel.

Entweder ich machte mich über ihn lustig oder haue ihm aufs Maul. Um die Schnepfe vom Jugendamt nicht auf den Plan zu rufen und um Mokubas Sorgerecht nicht zu gefährden war wohl ersteres die bessere Wahl, obwohl das Jucken in meinen Fingern immer stärker wurde.

Nun lachte Wheelers Erzeuger. Ein widerliches Lachen – passend zu seinem widerlichen Gesicht. Vielleicht würde meine Faust ja doch so einiges richten können! Ein Versuch war es zu mindestens wert.

»Bezahlen Sie Ihn damit er mit Ihnen schläft? Nötig hätte er es, immerhin habe ich kein Geld für Ihn – und jemand der Ihn freiwillig will, wird er sowieso niemals finden!«

Okay, dass reichte! Mokuba verzeih‘ mir, aber den Typ ohne Faustschlag zu verlassen wäre ungerecht seinem Sohn gegenüber!

Doch gerade als ich mich auf ihn stürzen wollte, hielt eine starke Hand meinen Arm fest. Als ich mich umdrehte sah ich direkt in Davids bittende Augen.

Er kannte meine Wutanfälle, wusste wie schwer ich zu bändigen war wenn sie erst einmal Besitz von mir ergriffen hatten. Und er wollte nur verhindern, dass jemand – ich korrigiere; noch jemand – ernsthaft zu Schaden kommt.

David würde die Sache mit Joeys Erzeuger schon regeln – mit Worten, nicht mit Fäusten. Also drehte ich mich um und ging neben Roland in die Hocke, der Joey oberflächlich abcheckte.

»Ich glaube es ist nichts Ernstes. Wir bringen ihn am besten in die Villa und lassen einen Arzt kommen. Dann können wir ihn Notfalls immer noch ins Krankenhaus bringen!«

Ich nickte. »Kriegen Sie ihn alleine ins Auto? Ich will seine Sachen mitnehmen, er wird Sie brauchen.«

Roland sah mich einen Moment verwirrt an, ehe er nickte und Joey Huckepack nahm um ihn nach draußen zu bringen.

Ich richtete mich wieder auf und drehte mich zurück zu David. Joeys Erzeuger war verschwunden.

»Wo ist er hin?«, knurrte ich.

»In der Küche. Ich habe ihm mit einem Gerichtsverfahren gedroht und das hätte ihn sein Haus gekostet. Er hat sich einverstanden erklärt, dass wir Joey mitnehmen – und seine Sachen auch!«

Ich seufzte erleichtert. Ruhe kehrte in meinen aufgewühlten Körper ein und ich war endlich wieder in der Lage dazu einen klaren Gedanken zu fassen.

»Gut, wir bringen seine Sachen erst mal nach draußen in den Vorgarten! Dann hole ich den Transporter, wir laden sie ein und verschwinden von hier! Wenn ich das Gesicht von diesem Mistkerl noch einmal zu sehen bekomme, haue ich ihm doch noch eine rein!«

Aus dem Augenwinkel sah ich David angesichts meiner Wortwahl und meines Engagements schmunzeln, doch ich ließ das unkommentiert. Denn ich bekam schon wieder Migräne und ich wusste, dass eine Diskussion zwischen uns, mich gleich wieder wütend machen würde.

Wheeler hatte wirklich verdammt wenige Habseligkeiten. Und es fiel mir schwer, mir vorzustellen, dass ein ganzes Leben in ein paar Kisten und zwei Koffer passen sollte.

David und ich brauchten keine fünf Minuten um alles aus dem Haus zu schaffen. Und keine weiteren drei Minuten um alles im Transporter zu verstauen, den ich zwischenzeitlich vor das Haus gefahren hatte.

»Wir sollten seine Freunde informieren. Er wird sich bestimmt freuen sie zu sehen, wenn er aufwacht!«, sagte David, während wir aus Wheelers Straße fuhren.

»Ich glaube der Köter wird etwas Ruhe brauchen, bevor man den Kindergarten auf ihn los lassen kann!«, antwortete ich.

David stöhnte genervt. »Was du vorhin für Joey getan hast war heldenhaft und ziemlich nett. So etwas tut man nicht für jemanden, der einem nichts bedeutet – also warum nennst du ihn jetzt wieder Köter?«

»Ich weiß gar nicht, warum ich damit aufgehört habe! Lag wohl am Wutanfall!«

»Er ist dir wichtig, gib es zu! Du brichst dir schon keinen Zacken aus der Krone!«

»Jeder braucht einen Fußabtreter!«, antwortete ich gelassen.

»Du bist ein Arschloch – jemand wie er hat dich gar nicht verdient!«, entgegnete David und klang so, als hätte ich ihn selbst beleidigt. Dann wandte er den Blick aus dem Fenster und tat so, als wäre ich gar nicht da.

»Niemand hat mich verdient!«, sagte ich abschließend, ohne wirklich zu wissen, was ich damit eigentlich meinte.

»Auch für dich wird der Zeitpunkt kommen, in dem du dich dem hingeben musst, was dein Herz dir sagt!«, murmelte David vor sich hin.

Er ging mit Sicherheit davon aus, dass ich ihn nicht verstanden hatte. Doch das hatte ich – jedes einzelne Wort.

Kapitel 10

Ich hatte die Hände direkt vor meinem Gesicht zusammen gefaltet und stützte mich mit den Ellenbogen auf meinem Schreibtisch ab. David saß mir gegenüber in einem der Stühle und sah mich durchdringend an.

»Was geht dir durch den Kopf?«, fragte er skeptisch.

»Er muss bestraft werden.«

David runzelte die Stirn. »Wer?«

»Wheeler.«

Jetzt verdrehte er die Augen und stöhnte genervt. »Warum denn jetzt schon wieder? Er hat doch überhaupt nichts getan!«

Ich runzelte die Stirn. »Der Säufer hat seinen eigenen Sohn beinahe totgeprügelt! Wenn das in deinen Augen „nichts“ ist, dann solltest du dich in der Universität zu einem Auffrischungsseminar anmelden!«

»Du hättest auch einfach klar deklarieren können, wen du meinst! Aber egal«, antwortete David beleidigt. »Und was hast du dir ausgedacht? Ein Verfahren wegen Kindesmisshandlung würde ich ihm an deiner Stelle nicht auf den Hals hetzen, wenn du dich aus dem Aufmerksamkeits-Scheinwerfer des Jugendamts zurückziehen willst!«

»Ich könnte ihm das Haus wegnehmen und dafür sorgen, dass Wheeler es zugeschrieben bekommt sobald er 20 wird!«

»Du willst also deine Villa verkaufen?«, entgegnete David. »Meine Zustimmung hast du! Ich fand die als kleines Kind schon potthässlich!«

»Wer redet denn davon?«

»Also wenn du es normal findest, dass zwei glücklich verheiratete Menschen zwei unterschiedliche Wohnsitze anmelden, dann zieh deinen Plan ruhig durch!«, sagte David mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck. Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich im Stuhl zurück.

»Hast du denn eine bessere Idee? Ich will, dass er dieselben Qualen erleiden muss wie sein Sohn!«

»Vielleicht solltest du Joey als erstes Fragen oder er das überhaupt möchte?! Ich finde er hat da durchaus ein Mitspracherecht!«

»Er ist doch gar nicht in der Lage dazu, diese Situation zu beurteilen!«

David zog die Augenbrauen hoch. »Du bist nicht seine Mutter und auch nicht sein Vormund und ich glaube er ist sehr wohl in der Lage dazu, zu entscheiden ob er seinem Vater das antun möchte! Du darfst nämlich nicht vergessen, dass er wieder bei ihm wohnen muss, wenn ihr euch vor seiner Volljährigkeit trennt!«

»Na gut«, gab ich widerwillig nach, »ich werde ihn fragen, was er davon hält!«

»Da brat mir doch einer ‘nen Storch; du bist ja doch noch lernfähig!«

»Sieh zu das du verschwindest, bevor ich dir fristlos kündige!«, knurrte ich und klappte meinen Laptop auf.

»Ich würde mich wieder einklagen und du hättest niemand der dich verteidigt – ich bin nämlich der einzige Anwalt den du hast!«

Er zwinkerte gehässig, bevor er den Raum verließ.

Kaum das die Tür ins Schloss gefallen war, sank ich in meinen Stuhl zurück. Wheeler schaffte es wirklich, mir meine letzten Nerven zu rauben.
 


 

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Unschlüssig ging ich vor der Tür zu seinem Gästezimmer auf und ab. Es wäre unhöflich, ohne anzuklopfen hineinzugehen. Aber andererseits befand er sich in meinem Haus und da galten auch meine Regeln.

Ich hatte dieses Gästezimmer noch nie von innen gesehen. Nur auf dem Entwurf der Innenarchitektin, die Gozaburos altmodischem Einrichtungsstil etwas Zeitgemäßes einhauchen sollte. Das hier hatte sie hinbekommen, dass Wohnzimmer hatte sie meiner Meinung nach völlig versaut.

Ich hatte die Türklinke schon in der Hand, traute mich dann aber doch nicht die Tür aufzustoßen. Ich ballte die Hände zu Fäusten. Ich bin wirklich erbärmlich. Zum Glück war David gerade nicht anwesend. Der würde sich vor Lachen nicht mehr einkriegen.

Ich ging zurück zu meinem Arbeitszimmer. Auf dem Weg dorthin kam ich an der Treppe vorbei, die ins Erdgeschoss führte. Dort wurde ich von Taika und Mokuba erwartet. Taika runzelte die Stirn, als sie sah aus welcher Richtung ich kam und Mokuba, der kleine hinterlistige Zwerg, grinste frech.

»Waren Sie Mister Wheeler besuchen?«, fragte Taika und klang dabei ungewöhnlich skeptisch. So einen Tonfall kannte ich gar nicht von ihr.

»Ich wollte, aber dann dachte ich mir, ich nehme Sie und Mokuba auch mit, damit wir die Vorstellungsrunde hinter uns haben!«

»Ja genau Seto«, murmelte Mokuba so leise, dass man ihn beinahe nicht verstand – oder zu mindestens schien er zu hoffen, dass man ihn nicht verstand. Aber ich hatte seine Worte gehört. Und weil er mir gegenüber nicht so einen ironischen Ton anschlagen sollte, bekam er einen kleinen Klaps auf den Hinterkopf.

Er sah mich einen Moment böse an, ehe er mir die Zunge herausstreckte und davon hüpfte, bevor ich ihm erneut einen Klaps verpassen konnte. Taika und ich folgten ihm.

Mokuba hatte seine kleinen Griffel schon an der Türklinke, als Taika und ich bei ihm ankamen. Sie haute ihm auf die Hände und klopfte energisch an die Tür. Wir bekamen keine Antwort, aber das hielt sie nicht auf. Sie öffnete einfach die Tür und trat als erste ein, dicht gefolgt von Mokuba. Mein kleiner Bruder war nicht mehr zu halten, als er entdeckte, dass Wheeler wach war. Er rannte los, sprang aufs Bett und schlang seine kleinen Arme um den Hals des Hundes.

Taika trat ebenfalls an das Bett heran und begutachtete Wheelers malträtiertes Gesicht.

»Sie haben Mister Kaiba einen ganz schönen Schrecken eingejagt!«, sagte sie zu ihm, war aber keineswegs so besorgt, wie sie versuchte zu klingen. Dann wandte sie sich mir zu: »Ich denke wir sollten einen Arzt kommen lassen, um innere Verletzungen auszuschließen.«

»Tu dir keinen Zwang an Taika«, antwortete ich.

Sie nickte und verließ das Zimmer. Mokuba folgte ihr, nachdem sie zugestimmt hatte, selbst Limonade zu machen.

Dann war ich mit Wheeler alleine und plötzlich wurde die Luft im Zimmer ganz dünn und meine Kehle schnürte sich zu. Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Mit häuslicher Gewalt war ich noch nie in Berührung gekommen und da ich auch nicht viel von Fernsehen oder derartiger Zeitungsartikel hielt, wusste ich nicht, wie mich verhalten sollte, was ich sagen könnte um ihn aufzuheitern, was ich nicht sagen sollte, wenn ich die Situation nicht noch schlimmer machen wollte.

Während ich immer tiefer in meinen Gedanken versank, musste ich ihn angestarrt haben. Denn Wheeler zog die Augenbrauen zusammen.

»Habe ich was im Gesicht?«, fragte er mich genervt.

Er wollte aufstehen und ich hatte keine Kontrolle mehr über meinen Körper, als ich ihn wieder zurück in die Matratze drückte.

»Du bleibst liegen!«, sagte ich harsch und beschloss im selben Moment ihn einfach zu behandeln, wie ich es immer tat. »Hat er das schön des Öfteren getan?«, fragte ich unwirsch. Es interessierte mich nur, damit ich wusste wie ich seinem Vater das alles heimzahlen konnte.

Wheeler runzelte die Stirn und bat mich plump meine Frage zu präzisieren.

»Hat dein Vater dich schon öfters verprügelt?«, fragte ich, in der Hoffnung mich nun verständlicher ausgedrückt zu haben.

Wheeler überlegte einen kurzen Moment ehe er antwortete. »Nein. Ein oder zwei Mal. Ab und zu gab es eine Ohrfeige, aber mehr ist wirklich nicht passiert«, sagte er.

Beinahe hätte ich ihm das sogar geglaubt. Doch der Fakt, dass er mir nicht in die Augen sehen konnte, verriet mir, dass er log oder zu mindestens nicht die ganze Wahrheit erzählte. Und mich lügt man nicht an, wenn einem sein Leben lieb ist. Aber weil ich ihn nicht noch mehr strapazieren wollte, ging ich fürs erste nicht weiter ins Detail.

»Hast du schon mal darüber nachgedacht ihn anzuzeigen? Ich kenne da ein paar außergewöhnlich gute Anwälte, die dir sicher helfen können!«, sagte ich stattdessen.

Der Blick, mit dem Wheeler mich dann bedachte, verriet mir allerdings, dass ich den falschen Weg gewählt hatte.

»Ganz ehrlich Kaiba: Ich habe zurzeit andere Probleme als meinen Vater!«, herrschte er mich an.

Ich ballte die Hände zu Fäusten. In meinem Kopf bahnte sich schon wieder der nächste Wutanfall an. Normalerweise hätte ich ihn gar nicht gefragt, sondern einfach das gemacht, was ich für richtig halte. Aber da ich auf ihn angewiesen war – und ich wollte nicht wahrhaben, dass es wirklich so war -, konnte ich nicht einfach etwas über seinen Kopf hinweg entscheiden.

Ich grub meine Fingernägel so tief in meine Handinnenflächen, dass sie rote, pochende Stellen hinterließen. Ich rief mich zur inneren Ruhe und wollte noch etwas zu Wheeler sagen. Dann entschied ich mich aber doch dagegen und verließ wortlos das Zimmer. Mit ihm zu diskutieren machte nach wie vor keinen Sinn – wir argumentierten immerhin auf zwei unterschiedlichen Ebenen. Ich auf der eines Erwachsenen und er auf der, eines vorpubertären Kindes, dem man erklären wollte, dass sich die Welt nicht nur um ihn drehte.

Ich würde es mit ihm keine zwei Wochen unter demselben Dach aushalten. Am Ende würde ich David noch darum bitten müssen, einen stümperhaften Mord zu vertuschen, weil ich Wheeler einfach mit einem Kerzenständer erschlagen würde, wenn er so weiter machte.
 


 

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Ich hatte mich nach der kurzen Auseinandersetzung mit Wheeler im Flur, in mein Arbeitszimmer zurückgezogen und ging gerade den Bericht meiner Produktionsabteilung zur neuen Duell-Disk durch, als es an die Tür klopfte.

Zu erst befürchtete ich, dass es David war, der mir wieder auf die Nerven gehen wollte. Doch als es erneut klopfte, erkannte ich kein bekanntes Verhalten an der Art und Weise. Wenn Taika ungeduldig wurde hatte sie nämlich die Angewohnheit die Türen beinahe einzuschlagen mit ihren Fäusten. David versuchte sich in solchen Situationen meist an ungewöhnlichen Klopf-Melodien und Mokuba hatte mein Arbeitszimmer noch nie von innen gesehen. Also musste es jemand sein, der mich nicht oft aufsuchte, aber ganz genau wusste, wo ich mich aufhielt.

Ich bat die Person herein und schloss die Datei auf meinem Laptop. Mister Zaino trat ein und kam ohne Umschweife auf mich zu. Er grüßte mich und erkundigte sich auch kurz nach meinem Gesundheitszustand. Da ich mich nicht länger als nötig mit ihm auseinander setzen wollte, bat ich ihn, mich über Joey zu informieren.

»Der Junge hat nur ein paar Prellungen von dieser – nun ja – körperlichen Auseinandersetzung davon getragen. Es sind keine inneren Verletzungen zu erkennen und von den Schrammen im Gesicht sollte in ein paar Tagen auch nichts mehr zu sehen sein!«, erklärte er.

»Das ist gut. Faxen Sie mir bitte den Bericht, ich werde ihn noch benötigen«, antwortete ich und notierte mir die Kurzfassung auf einem Blatt Papier.

Mister Zaino bejahte meine Forderung knapp, verabschiedete sich anschließend und verließ den Raum genauso schnell wieder, wie er gekommen war.

Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, öffnete ich die Datei auf meinem Laptop erneut und las weiter. Leider hatte ich keine zehn Minuten meine Ruhe, da klopfte es wieder an der Tür. Dieses Mal war es Taika.

»Das Abendessen ist fertig. Ich gehe den Jungen holen und will dich am Tisch sitzen sehen, wenn ich das Esszimmer betrete! Und wage es dich nicht, mich zu ignorieren – ich drehe die Sicherungen raus!«

Sie wartete meine Antwort nicht ab, denn es war keine Bitte, es war ein Befehl. Sie gab mir nur die Zeit zu nicken, dann rauschte sie auch schon wieder ab – die Tür ließ sie provokant sperrangelweitoffen stehen.

Ich verdrehte genervt die Augen und wollte die Datei auf meinem Laptop gerade wieder schließen, als eine E-Mail aufpoppte. Sie war von David und konnte deswegen nichts Gutes verheißen. Einen Moment spielte ich mit dem Gedanken sie erst nach dem Abendessen zu lesen, aber dann war ich doch zu neugierig und öffnete sie.
 

Ach übrigens, ich wollte dir vorhin noch sagen, dass du dich mit Joey über eine Art Entschädigung für seine „Dienste“ unterhältst. Er hat es verdient, etwas dafür zu bekommen, dass er sich um Mokuba und dich kümmert – vor allem du hast das mehr als nötig. Wir sehen uns morgen und wehe du ignorierst das hier, dann mache ich es selber ;-)
 

Ich klappte den Laptop zu. Seit wann bildeten sich hier eigentlich alle ein, sie könnten mich erpressen oder mir drohen?

Ich sollte David seinen Arbeitsvertrag nochmal vorlesen und ihn an seine Aufgabengebiete erinnern. Denn im Moment übertrat er mehr, als nur eine Grenze!
 

Seine E-Mail spukte mir aber während des Abendessens trotzdem im Kopf herum. Und weil ich nicht wollte, dass er Wheeler auf komische Gedanken brachte, würde ich das dann doch lieber selbst erledigen. Wheeler wollte mit großer Sicherheit nur Geld und einen Scheck auszufüllen, brachte keinen nennenswerten Arbeitsaufwand mit sich. Den Schein konnte ich nach zwei Jahren in der Businesswelt im Schlaf ausfüllen und aushändigen.
 


 

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Nachdem Wheeler den Salon verlassen hatte, schenkte ich mir ein weiteres Glas Wein ein. In meinem Kopf verrannte sich seine Idee von Urlaub am Meer in die völlig falsche Richtung meines Gehirns.

Ich war noch nie am Meer gewesen, hatte es nur aus den schmalen Fenstern eines Flugzeuges gesehen, wenn die Wolken nicht zu dicht waren.

Mokuba hatte das Meer auch noch nie aus der Nähe gesehen. Vielleicht sollte ich ihn fragen, was er davon hielt und dann schauen ob sich dieser Wunsch nicht erfüllen ließ.

Einen Moment dachte ich tatsächlich über die Möglichkeiten nach, dann leerte ich mein Glas in einem Schluck und schüttelte den Kopf.

Ich hatte keine Zeit für Urlaub und ich hatte auch keine Zeit zu einem Urlaubsort am Meer zu fahren. Außerdem lag Domino direkt am Meer. Hier gab es bestimmt irgendwo ein Stück Strand, dass nicht zum Hafen gehörte. Da gab es bestimmt Sand und Möwen und was sonst noch zum Meer gehörte und zu dem würde ich Mokuba und Wheeler einfach schicken. Dann hatte ich meine Ruhe.

Ich stand auf und knipste das Licht aus. Während ich in der Dunkelheit den Weg zur Tür suchte, blitzte vor meinem inneren Auge ein Bild von mir und Wheeler auf, wie wir Händchen haltend am Strand entlang spazierten. Barfuß durch den weichen Sand, die frische Meeresluft genießend. Ich sah, wie er mich angrinste. Die Augen glänzend vor purer Freude und die Haare im sanften Licht der untergehenden Sonne glitzern. Ich hörte die Wellen brechen, Möwen krähen. Für einen Moment spürte ich pures Glück und Zufriedenheit in mir aufsteigen. Und ich wünschte mir, dieser Moment wäre real und würde nie wieder vergehen.

Dann schüttelte ich energisch mit dem Kopf, um diesen abwegigen Gedanken aus meinem Gehirn zu verbannen. Ich schob es auf den Alkohol, dass mein Kopf auf solche komischen Ideen kam und zog anschließend die Tür des Salons hinter mir ins Schloss. Den Wunsch von Urlaub am Meer ließ ich in dem Raum zurück. Und den Gedanken, an Wheeler und mich auch. Wir beide würden niemals ein wirkliches Paar werden! Heute nicht, morgen nicht und auch nicht in einhundert Jahren, denn wir passten nicht im Entferntesten zusammen!
 


 

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Als mein Wecker am nächsten Morgen klingelte und ich die Augen aufschlug, hätte ich das nervende Gerät am liebsten einfach vom Nachtschrank gefegt und mich wieder umgedreht. So schlecht hatte ich schon lange nicht mehr geschlafen, nicht einmal im harten Bett des Krankenhauses.

Wheelers blöder Vorschlag mit dem Urlaub am Meer hatte mich bis in meine Träume verfolgt – und normalerweise träume ich nicht!

Die Sonne schien mir direkt ins Gesicht und bescherte mir sofort Kopfschmerzen. Zum Glück lagen direkt in der obersten Schublade meines Nachtschranks Kopfschmerztabletten. Ich drückte eine aus der Verpackung und schluckte sie. Wasser benötigte ich dafür schon lange nicht mehr und stören tat es mich auch nicht. Kopfschmerzen waren mein ständiger Begleiter, schon seit vielen Jahren. Und sie würden mich vermutlich auf heimsuchen bis ich irgendwann unter der Erde landete.

Bis die Wirkung der Tablette einsetzte, legte ich mich wieder hin und starrte hinaus in den Garten. Ich hatte seine ganze Größe noch nie persönlich gesehen, obwohl ich jetzt bereits seit sechs Jahren in diesem Haus wohnte. Gozaburo hatte mich nie draußen spielen lassen und nachdem er gestorben war, hatte ich dafür keine Zeit mehr. Mokuba erzählte mir manchmal von den Entdeckungen die er im Garten gemacht hatte. Und er pflückte für Taika immer einen Strauß Rosen. Ich hatte ihm schon hundertmal gesagt, dass er das zu unterlassen hatte. Aber er behauptete dann immer ganz trotzig, dass der Rosenbusch umringt von Dornenhecken war und das man seine Blütenpracht niemals zu sehen bekommen würde, wenn man sie nicht pflückte.

Ich drehte mich um, starrte lieber meine Zimmertür als den Garten an. Ich hatte es schon lange aufgegeben, meiner verlorenen Kindheit hinterher zu trauern, denn das drehte die Zeit auch nicht zurück. Außerdem konnte ich froh sein, über die Geschehnisse der Vergangenheit. Denn wenn ich Gozaburo nicht herausgefordert hätte, dann hätten Mokuba und ich niemals diese Chance bekommen und dann könnte ich ihm nicht das Leben ermöglichen, dass er verdient hatte.

Die Tablette entfaltete ihre Wirkung und der stechende Schmerz verschwand aus meinen Schläfen. Ich schlug die Bettdecke zurück und ging ins Badezimmer um mich frisch zu machen.

Als ich wieder zurück in mein Schlafzimmer kam, war das Bett gemacht und eine dampfende Tasse Kaffee stand auf meinem Nachtschrank. Daneben lag ein Zettel, dass ich mich anziehen und zum Frühstück einfinden sollte. Ich zerknüllte das kleine Papier und nahm einen kräftigen Schluck Kaffee, dann ging ich zu meinem Kleiderschrank und zog eine schwarze Hose und einen dünnen Pullover von den Stapeln. Bevor ich die Schiebetüren wieder schloss, fiel mir zum ersten Mal auf, wie trostlos es in meinem Schrank aussah. Die Zusammenstellung der Farben bestand beinahe ausnahmslos aus dunklen Tönen. Nur hier und da blitzte ein weißer oder grauer Fetzen auf. Vielleicht sollte ich mir auch darüber Mal Gedanken machen, aber nicht jetzt.

Ich zog mich an, nahm noch einen Schluck Kaffee und warf einen letzten Blick hinaus in den Garten. Dann zog ich die Vorhänge zu und machte mich auf den Weg in die Küche.

Da unser Frühstück immer recht karg ausfiel, deckte Taika dafür nicht extra den großen Tisch im Esszimmer ein. Normalerweise aßen wir auch dort nur sehr selten. Denn in der Regel, war ich bis spät abends in der Kaiba Corp. und kam erst nachhause, wenn Mokuba schon längst im Reich der Träume seine Kreise zog.

Als ich die Küche betrat, lag die Tageszeitung bereits an meinem Stammplatz und eine weitere Tasse Kaffee wartete direkt daneben auf mich. Auf Mokubas Platz stand eine leere Schüssel und jeweils links und rechts daneben aufgestellt Cornflakes und Müsli. Alles war so wie immer, doch dann fiel mir der dritte gedeckte Platz direkt neben mir auf. Mein Magen begann flau zu werden und die Tablette verlor ihre Wirkung, als ich mich hinsetzte.

»Dein Bruder weckt euren Gast«, sagte Taika und stellte eine volle Kanne schwarzen Kaffee auf dem Tisch ab. Dann stemmte sie die Hände in die Hüften und sah mich schon beinahe vorwurfsvoll an. »Wie lange wird dieser… dieser Straßenjunge jetzt hier hausen?«

Mir war klar, dass Mokuba ihr bereits die ganze Geschichte bis ins kleinste Detail erzählt hatte und das bestimmt mehrmals.

»Solange bis das Jugendamt der Meinung ist, hier geht alles mit rechten Dingen zu!«, antwortete ich und schlug die Zeitung auf.

»Deinen Bruder und David darf man nicht zusammenlassen, dass sage ich dir jedes Mal wieder. Da kommt nur Blödsinn bei ‘raus!«, sagte sie altklug und drehte sich wieder zum Herd um.

»Entschuldige bitte, dass ich nicht in der Lage dazu war, sie davon abzuhalten! Ich wäre der erste gewesen, der dafür gesorgt hätte, dass Wheeler mich nicht auch noch in meinem Haus belästigt – das kannst du mir glauben!«, knurrte ich. Manchmal hasste ich sie einfach nur.

»Wenigstens bekommst du deine gerechte Strafe dafür, dass du uns so einen Schrecken eingejagt hast!«, entgegnete sie gehässig und verließ anschließend den Raum.

Ich verzog das Gesicht. Wheelers Anwesenheit war keine Strafe – sie war die Hölle auf Erden!
 

Ich hatte den achtseitigen Wirtschaftsteil durchgelesen, als Mokuba die Küche betrat und sich auf seinen Stuhl fallen ließ. Wortlos kippte er Milch in seine Schüssel und anschließend Cornflakes.

Ich zog die Augenbrauen hoch. Für gewöhnlich quatschte er bereits morgens wie ein Wasserfall. So schweigsam kannte ich ihn gar nicht – und Wheeler hatte er auch nicht mitgebracht.

»Wo ist der Köter?«, fragte ich beiläufig, während ich die Zeitung zusammenfaltete.

Mokuba schwieg weiterhin beharrlich. Ich goss mir neuen Kaffee in die Tasse.

»Soll ich noch einmal fragen oder muss ich selbst schauen gehen?«, fragte ich harsch. Ich mochte es schon als kleines Kind nicht, wenn man mich ignorierte und das wusste Mokuba eigentlich.

Er schob sich einen Löffel voller Cornflakes in den Mund und schluckte dann geräuschvoll, ehe er mich anblickte.

»Ich war vielleicht etwas unvorsichtig mit ihm, als ich ihn geweckt habe«, flüsterte mein kleiner Bruder so leise, dass ich ihn beinahe nicht verstanden hätte.

Als die Worte bis zu meinem Gehirn durchgedrungen waren, sprang ich wie von der Tarantel gestochen von meinem Stuhl auf. In mir läuteten sofort sämtliche Alarmglocken, von denen ich nicht mal wusste, dass ich so etwas überhaupt besitze. Normalerweise war ich immer die Ruhe in Person und ich konnte mir gerade selbst nicht erklären, was mit mir los war.

Weil Mokuba mich schon ansah, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank, räusperte ich mich und bemühte mich um einen neutralen Ton.

»Ich werde ihm dann mal sagen, dass er hier pünktlich am Tisch zu sitzen hat!«, sagte ich zusammenhangslos und verschwand aus dem Raum, bevor aus meinem Mund weitere dumme Sätze entweichen konnten. Was war nur mit mir los? Was passierte hier gerade?
 

Ich ging betont langsam zum Gästezimmer, in dem der Köter hauste. Ich musste erst einmal meine Gedanken sortieren, bevor ich ihm unter die Augen treten konnte. Wenn mir in seiner Gegenwart nur eine einzige unqualifizierte Aussage entwischen sollte, würde er mich vermutlich für den Rest meines Lebens damit aufziehen und behaupten, ihm wäre so etwas niemals passiert. Und ich würde ihn entweder auslachen oder küssen, damit er die Klappe hält!

Ich schüttelte den Kopf und blieb mitten im Flur stehen. Dieses Mal hatte ich keinen Alkohol im Blut, um das Bild vor meinem inneren Auge zu rechtfertigen. Aber ich war auf Schmerzmittel. Bestimmt waren Halluzinationen bei der Menge, die ich einnahm keine seltene Nebenwirkung, also ging ich weiter.
 

Als ich das Gästezimmer betrat und Wheeler auf dem Boden liegen sah, war mein erster Reflex, mich neben ihn zu knien und ihm die verirrten Haarsträhnen aus dem Gesicht zu streichen. Aber ich hielt mein Arzneimittelgesteuerten Körper von dieser Aktion ab.

Vielleicht sollte ich mich doch nochmal ins Krankenhaus bewegen, denn ich schien von dem Unfall doch bleibende Schäden davon getragen zu haben. Anders war das, was ich seit gestern dachte und sah nicht mehr zu rechtfertigen.

»Was um Himmels Willen machst du da?«, fragte ich und war froh darüber, dass diese Frage so sehr nach mir selbst klang.

»Ich relaxe, nach was sieht‘s denn aus? Dein Boden ist bequemer als er aussieht!«, antwortete er genervt.

Ich zog eine Augenbraue hoch. Er relaxte ganz offensichtlich nicht. Obwohl ich nicht wusste, wie man dabei aussehen musste, war ich mir zu einhundert Prozent sicher, dass man dabei nicht aussah wie ein einziges Knäul aus Armen und Beinen.

»Das Frühstück ist fertig! Dein Körbchen kannst du später aufsuchen Köter!«, entgegnete ich. Diese Hunde-Phrase war schon beinahe eine automatische Antwort. Denn jedes Mal wenn ich sein Gesicht zu sehen bekam, musste ich an einen Hund denken. Früher an einen hässlichen, räudigen Straßenköter. Doch mittlerweile schlich sich immer öfters das Bild von einem süßen Welpen in mein Gehirn. Ich hatte wirklich eine Schraube locker!

»Ich hab's beinahe schon vermisst«, knurrte Wheeler und ich musste mich zusammenreißen diese Aussage unkommentiert zu lassen.

Er versuchte sich aufzusetzen, schaffte es aber nicht und wandte stattdessen den Blick aus dem Fenster, um seinen gescheiterten Versuch zu vertuschen.

»Schönes Wetter, ich denke ich werde mit Mokuba nachher noch einen Spaziergang durch den Park hinter eurem Haus machen!«

»Das ist der Garten und Mokuba kennt diesen bereits in und auswendig!«

Ich sollte vielleicht mal anfangen über das nachzudenken, was ich so von mir gebe. Was rede ich denn da? Ich bin Seto Kaiba, ich muss mir über so etwas keine Gedanken machen, vor allem wegen dem Köter zu meinen Füßen nicht!

»Sorry ist leicht zu verwechseln! Dann spiele ich eben mit ihm eine Runde Duell Monsters! Ist dir bestimmt lieber als wenn du dich um seine Bespaßung kümmern musst oder?«

»Er hat zwei Kindermädchen, er hat Beschäftigung genug!«

Wheeler schien nicht zu wissen, was er nun sagen sollte und schloss den Mund ohne etwas zu sagen.

»Da wir das nun geklärt hätten, bei Fuß in Richtung Esszimmer, Hund!«, herrschte ich ihn an.

Zum einen, weil mein Kaffee kalt wurde und zum anderen, weil ich auf diese Diskussion keine Lust mehr hatte. Sie führte doch eh zu nichts!

Doch Wheeler rührte sich trotz meiner Aufforderung keinen Millimeter.

»Was ist?«, fragte ich genervt.

»Ich kann mich im Moment nicht wirklich schmerzfrei bewegen, wenn du also nicht auf dein Frühstück verzichten möchtest solltest du hinuntergehen!«, sagte er und starrte dabei die Decke an.

Der Köter würde mir tatsächlich meine verbliebenen Nerven rauben – so viel stand fest!

Weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, ging ich auf ihn zu. Direkt neben ihm hockte ich mich nieder und schob meine Arme in seine Kniekehlen und unter seinen Rücken. Ich hob ihn hoch und er sah mir in die Augen. Beim Anblick seiner kaffeebraunen Iriden, hätte ich ihn beinahe wieder fallen gelassen. Hatte der schon immer so klare Augen? War mir vorher noch nie aufgefallen! Bevor ich mich dann aber voll und ganz in ihnen verlieren konnte, retteten mich Wheelers Worte. »Wer bist du und was hast du mit Seto Kaiba gemacht?«

Er konnte von Glück sagen, dass Gozaburo mich zu einem höflichen Menschen erzogen hatte. Andernfalls hätte ich ihn für sein freches Mundwerk wohl wirklich wieder fallen gelassen.

Ich schnaubte herablassend. Während ich mich wieder aufrichtete, schlang ich die Arme fester um seinen drahtigen Körper. Dass er schlank war, war nicht zu übersehen, aber die Muskeln, die ich unter dem dünnen Stoff des T-Shirts spürte, verwunderten mich. Eine Überraschung war es aber eigentlich nicht. Immerhin verbrachte der Köter 70 Prozent seiner Freizeit auf dem Fahrrad und Sport war – soweit ich wusste – sein bestes Fach.

Die Wärme die von ihm ausging, bescherte mir einen angenehmen Schauer, der sich von meinen Armen aus, über meinen ganzen Körper ausbreitete. So etwas hatte ich noch nie gespürt und weil es mich verunsicherter, wollte ich das Bündel in meinen Armen so schnell wie möglich wieder los werden.

Dabei war ich vermutlich etwas zu grob, denn kaum hatte ich ihn abgelegt, stieß er ein schmerzverzerrtes Stöhnen aus.

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und zog eine Augenbraue hoch.

»Sind die Schmerzen schlimmer geworden?«, fragte ich und kam mir dabei, zum ersten Mal in meinem Leben, wirklich blöd vor.

»Bis vorhin waren sie auszuhalten und dann kam dein Bruder und war der Meinung mich als Trampolin nutzen zu müssen!«, erzählte der Köter widerwillig. Man sah seinem Gesicht an, dass er darüber nicht reden wollte. Vermutlich, weil er vor mir nicht zu geben wollte, dass sein Vater ihn wirklich ernsthaft verletzt hatte.

Ich verzog das Gesicht. Mokuba konnte sich warm anziehen, wenn ich ihn in die Finger bekam.

»Ich werde den Arzt nachher noch mal kommen lassen. Wenn die Schmerzen morgen immer noch nicht besser sind, werde ich dich ins Krankenhaus bringen lassen!«, entgegnete ich. Ich wollte kein Risiko eingehen. Zaino hatte sich mit seinen Diagnosen zwar noch nie geirrt, war aber in unserem Haushalt – und vermutlich auch sonst noch nie in seiner Karriere – mit solchen Verletzungen konfrontiert worden. Und mit einer oberflächlichen Untersuchung konnte man in der Regel auch keine inneren Verletzungen feststellen – das wusste sogar ich als Laie.

Der Köter stöhnte genervt und verdrehte die Augen. »Das muss echt nicht sein! Morgen wird's mir schon wieder besser gehen, halt bloß Mokuba von meinem Bett fern!«

Ich wollte schon widersprechen, als sich eine Synapse in meinem Gehirn ausklinkte und mir sagte, dass ich seinen Wunsch zu respektieren hatte. Ich ballte die Hände zu Fäusten und sah aus dem Fenster, damit der Köter nicht mitbekam wie ich mit mir selbst stritt. Das würde mich eine ganze Menge Achtung kosten, die er vor mir hatte. Und zum Gespött wollte ich mich auch nicht machen.

»Keine Diskussion! Ich werde jemand mit deinem Frühstück hochschicken!«, antwortete ich schließlich und verschwand aus dem Zimmer, bevor er noch etwas dazu sagen konnte. Weitere Widerworte aus seinem Mund hätte ich eh nicht geduldet – oder einfach ignoriert.
 


 

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Nachdem Frühstück hatte ich Mokuba deutlich zu verstehen geben, dass er sich Wheelers Gegenwart etwas reservierter zu benehmen hatte. Und erst als mein Bruder eingeschüchtert genickt hatte, zog ich mich in mein Arbeitszimmer zurück.

Ich hatte eine ganze Menge Arbeit vor mir. Im Herbst endete das Geschäftsjahr der Firma und bis dahin musste ich sämtliche Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen dem Finanzamt vorlegen. Außerdem wartete noch die Verkaufskalkulation der neuen Duell-Disk auf mich und die Aufstellung der Grund- und Anderskosten für das nächste Geschäftsjahr. Mir rauchte schon der Schädel, wenn ich nur daran dachte.

Als ich mich mit einer Tasse Kaffee und einem ganzen Vorrat an Schmerztabletten, an meinem Schreibtisch niedergelassen hatte und gerade die erste Bilanz bearbeiten wollte, trudelte der Forecast für den Kundenservice ein. Da dieser eine höhere Dringlichkeit hatte, legte ich den Bilanzbogen wieder bei Seite und öffnete die E-Mail. Aber natürlich kam ich da auch nicht wirklich voran, denn keine Minute nachdem ich meine Arbeit aufgenommen hatte, riss jemand die Tür zu meinem Arbeitszimmer auf.

Es war David, der in Jeans und lockerem Hemd mit schweren Schritten auf mich zu polterte. Sein Aufzug verriet mir, dass er es mit seinen Arbeitszeiten heute Mal wieder nicht ganz genau nahm und das Gebäude der Kaiba Corp. im großen Bogen umfahren würde.

Mit grimmiger Miene, warf er mir einen Hefter auf den Tisch.

»Ich bin immer noch der Meinung, dass das der falsche Weg ist, aber ich hoffe das wirst du noch selber merken«, sagte er und zeigte anschließend auf das mitgebrachte Pamphlet. »Das ist erst mal nur ein Entwurf. Da man in einem Jura-Studium nicht lernt wie man so etwas Unmenschliches und Unmoralisches aufsetzt und es dafür auch keine Vorlagen gibt, klingt er etwas komisch. Wenn noch etwas fehlt, maile es mir, dann ergänze ich es und bringe die geänderte Version heute Abend mit!«

Ich wollte dazu etwas sagen, doch kaum das ich meinen Mund geöffnete hatte, hob David abwehrend die Hand.

»Ich will es nicht hören! Mit dir zu diskutieren bringt sowieso nichts!«, sagte er und verschwand dann einfach.

Ich verzog das Gesicht. Für die Aktion würde er noch mächtig Ärger bekommen!

Eigentlich hatte ich keine Zeit, mich jetzt um das Ding zu kümmern. Weil ich aber auch nicht wollte, dass David dachte, ich hätte keine Anmerkungen zu machen und am Ende diese Rohversion zur Unterschrift mitbrachte, griff ich nach dem Hefter und schlug ihn auf.
 

Die folgenden Vertragskonditionen werden geschlossen zwischen den Vertragsparteien:

Seto Kaiba, geboren am 25. Oktober 1986, wohnhaft in Domino, in diesem Dokument als Partei A aufgeführt und vertritt sich selbst, sowie die Firma Kaiba Korporation, als derer Geschäftsführer er agiert

und

Joseph Jay Wheeler, geboren am 25. Januar 1988, wohnhaft in Domino, in diesem Dokument als Partei B aufgeführt, der sich selbst vertritt.

Geltungsbereich des Vertrages ist der Wohnsitz der Familie Kaiba, sowie die Kaiba Korporation und sämtliche Orte, an dem ein oder mehrere Vertragspunkte zum Tragen kommen.

Geltungsgrundlage ist die Liebesbeziehung, die Verlobung und die eventuelle Eheschließung zwischen Partei A und Partei B, zu dessen Aufrechterhaltung die beiden Parteien nur verpflichtet sind, während der Überprüfung der Sachlage durch das zuständige Jugendamt. Sobald diese abgeschlossen ist, steht es beiden Parteien jederzeit frei, die Beziehung und den Vertrag ohne Angabe von Gründen aufzulösen.

Ein Geltungszeitraum wird vorerst nicht festgelegt, kann aber jederzeit durch eine der beiden Parteien nachgetragen werden.

Sollten geltende Umstände eine Änderung der Konditionen nötig machen, müssen diese durch David Johnson nachgetragen und beglaubigt werden. Erst wenn die geänderten Vertragskonditionen von beiden Parteien von beiden Parteien zur Kenntnis genommen und unterschrieben worden sind, treten die Änderungen in Kraft.

Partei B wird mit einer wöchentlichen Aufwandsentschädigung von 25.000 Yen für seine Dienste entlohnt.

Im Falle einer Eheschließung verpflichtet sich Partei B dazu, den Nachnamen von Partei A anzunehmen. Die wöchentliche Aufwandsentschädigung wird auf 50.000 Yen angehoben.

Mit ihrer Unterschrift willigen beide Parteien ein, diesen Vertragt mit allen Rechten und Pflichten als gültig und geltend anzuerkennen.

Geltend gemachte Vertragsbrüche werden mit einer Vertragsstrafe von 1.500.000 Yen geahndet.

Vertragskonditionen

Konditionen, die für sämtliche Parteien gelten

1. Dem Kindergarten (Def. für Yugi Muto, Tristan Taylor, Tea Gardner und sämtliche weitere Mitglieder, die dieser Gruppierung angehören), ist es ausnahmslos untersagt, das private Grundstück von Partei A zu betreten.

2. Beiden Parteien ist es untersagt, in der Öffentlichkeit Zuneigung zu einer anderen Person auszudrücken.

3. Beide Parteien haben keinen Anspruch auf einen Ehevertrag.

4. Im Falle einer Scheidung oder einer Trennung, sind beide Parteien weiterhin dazu verpflichtet, Stillschweigen über den Vertrag, dessen Grundlage und dessen Konditionen zu bewahren.

Konditionen, die nur für Partei A gelten

1. Partei A kommt in voller Höhe für das Studium von Serenity Wheeler auf, sobald diese nach Ihrem erfolgreichen Schulabschluss an einer Universität angenommen wird.

2. Partei A erteilt durch seine Unterschrift Partei B die Vollmacht, privat Angelegenheiten und Angelegenheiten die die, durch Partei A vertretene Firma betreffen, zu regeln, wenn Partei A dazu gesundheitlich und/oder körperlich nicht mehr in der Lage ist.

3. Sollte der Vertrag zur eintretenden Volljährigkeit von Partei B noch geltend sein, hat er das Anrecht auf einen, von Partei A bezahlten Studienplatz.

Konditionen, die nur für Partei B gelten

1. Partei B ist es untersagt, das Gelände ohne Absprache oder ohne Personenschutz zu verlassen.

2. Partei B darf in der Öffentlichkeit nicht schlecht über Partei A, dessen Familie oder dessen Firma sprechen.

3. Des Weiteren ist es Partei B untersagt, über die Vertragskonditionen und dessen Hintergrund zu sprechen.

4. Partei B hat in der Öffentlichkeit ebenfalls über die Gründe der Beziehung und/oder der Verlobung Stillschweigen zu bewahren.

5. Partei B wird dazu angehalten, sich in der Öffentlichkeit gesittet und ruhig zu verhalten, um Partei A, dessen Familie oder die durch Partei A vertretene Firma nicht in Verruf zu bringen.

6. Partei B darf ohne Absprache keine Einladungen zu Zeitungs-, Radio- oder Fernsehinterviews annehmen.

7. Partei B ist kein Teilhaber der Firma, die durch Partei A vertreten wird. Partei B darf im Namen der Firma keine Entscheidungen treffen, neue Verträge abschließen oder bestehende Verträge verändern, es sei denn Partei A ist dazu gesundheitlich oder körperlich nicht mehr in der Lage.

8. Partei B ist es untersagt, Beziehungen oder Affären zu unterhalten, diese dürfen auch das private Grundstück von Partei A nicht betreten.

9. Sollte ein Scheidungsverfahren vor Gericht gehen, entsagt Partei B mit seiner Unterschrift jeglichen Ansprüchen auf das Vermögen von Partei A, dessen Besitz und der durch ihn vertretenen Firma.

10. Partei B verpflichtet sich durch seine Unterschrift ebenfalls dazu, Partei A auf alle Feiern und Events, die der durch Partei A vertretenen Firma zu Gute kommen, als sein Lebensgefährte zu begleiten.

Dieser Vertrag kann vor keinem offiziellen Gericht zur Geltung herangezogen werden. Sollte dieser Vertrag durch Partei A oder Partei B an die Öffentlichkeit gelangen, wird er als nichtig betrachtet.
 

Die aufsteigende Übelkeit steigerte sich von Absatz zu Absatz. Was David sich da ausgedacht hatte, hatte nicht im Ansatz Hand und Fuß. Der Absatz, in dem stand, dass Wheeler im Falle eines frühzeitigen Ablebens meiner Wichtigkeit die Entscheidungsgewalt über die Firma bekam, störte mich aber am Meisten. Wheeler sollte sich bloß von meinen Errungenschaften fernhalten. Der würde die Kaiba Corp. doch mir nichts, dir nichts in den Ruin treiben.

Ich öffnete mein E-Mail Postfach und schrieb David, dass dieser Absatz geändert werden musste und ergänzte noch ein paar Sachen. Zum Beispiel, dass Wheeler sich in der Öffentlichkeit ordentlich zu kleiden hatte und das er sich in der Schule gefälligst anzustrengen hatte. Mir sollte man immerhin nicht nachsagen, dass der IQ in meiner Partnerwahl wohl keine große Rolle spielte. Obwohl Wheeler wohl trotz guter Noten noch der größte Idiot dieses Planeten bleiben würde!

Davids Antwort kam, kaum, dass ich meine Mail gesendet hatte. Sie lautete: »Du bist krank.«

Und vielleicht hatte er damit sogar recht!
 


 

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Bis kurz vor 17.00 Uhr ließ man mich in Ruhe arbeiten. So schaffte ich es, den Forecast für den Kundenservice durchzuschauen und mich an die erste Bilanz heranzuwagen. Doch dann stand David ganz plötzlich wieder auf der Matte, knallte mir die geänderte Version des Vertrages auf den Tisch und ließ sich in einen der Stühle gegenüber von mir fallen.

»Bist du nicht der Meinung, ihm vorzuschreiben was er anzuziehen hat, geht ein bisschen zu weit?«, fragte er und klang so geschafft, als wäre er den ganzen Tag Marathon gelaufen. Dabei hat er sich bestimmt irgendwo mit seinem Freund getroffen – um den er übrigens ein großes Geheimnis machte – und den ganzen Tag gemeinsam mit ihm blau gemacht.

»Aber ihm die Firma im Falle meines Todes zu überschreiben nicht, oder wie?«, entgegnete ich pikiert und heftete den Bilanzbogen weg.

»Das hat er während deines Komas auch hervorragend gemacht!«, entgegnete David und rollte die Ärmel seines Hemdes noch höher.

»Da hatte er ja auch deine Unterstützung!«

»Ich wäre dann auch weiterhin für ihn da!«

Ich zog eine Augenbraue hoch. »Wenn du so weiter machst, kannst du dich morgen arbeitslos melden!«

David seufzte genervt und verdrehte die Augen. »Das Thema hatten wir doch erst – und außerdem benimmst du dich wie ein kleines Kind!«

»Treib es nicht zu weit David. Ich habe das langsam wirklich satt! Warum bildet ihr euch seit meinem Koma alle ein, ihr könntet mir auf der Nase herumtanzen? Bekommt euch die Anwesenheit des Köters nicht?«, knurrte ich und schlug den neuen Hefter auf.

»Mit Joey hat das überhaupt nichts zu tun! Vor deinem Unfall dachte ich, du wärst ein Roboter und unzerstörbar, deswegen hatte ich sogar etwas Angst vor dir. Aber seit diesem Unfall, weiß ich das du auch nur ein Mensch bist – ein Vollpfosten und ein Sturkopf, aber trotzdem ein Mensch«, sagte er ernst und holte dann tief Luft. »Und deswegen kannst du mir so viel drohen wie du willst, ich habe keine Angst mehr vor dir! Wenn du mich feuern willst, tue dir keinen Zwang an. Ich bekomme jederzeit einen neuen Job, aber ob du wieder einen Anwalt findest, der deine Launen mitmacht, bleibt fragwürdig!«

Er stand auf und zeigte mit wackelndem Finger auf den neuen Vertrag. »Wenn dir noch etwas einfällt, ergänze es per Hand. Ich warte in deinem mittelalterlichen Salon. Wenn du fertig bist komm‘ runter und danach händigen wir Joey das Teufelswerk aus – wir werden sehen, was er davon hält!«

»Er wird keine Wahl haben!«

»Oh doch – er kann dir den Mittelfinger zeigen und verschwinden. Denn ob du es glaubst oder nicht, es gibt unter diesem Himmel auch noch Menschen, die nicht unter deiner Fuchtel stehen!«

Weil ich keine Zeit und vor allem keine Lust auf diese Diskussion hatte, ließ ich diese Aussage unkommentiert und widmete mich lieber den geänderten Klauseln.

Aus dem Augenwinkel nahm ich war, dass David sich umdrehte und zum Gehen ansetzte. Mir wäre beinahe ein erleichtertes Seufzen rausgerutscht. Zu meinem Leidwesen drehte sich der Anwalt aber doch noch einmal zu mir um.

Ich hob den Blick. »Was ist noch?«

»Warum bist du so? Gib doch einfach zu, dass er dir was bedeutet! Denn darauf, dass Wheeler seinen Vater nicht mehr besuchen darf, wäre ich niemals gekommen – und du auch nicht, wenn er dir nicht wichtig wäre! Du willst ihn beschützen – und man beschützt nur diejenigen, die einem wichtig sind!«

»Verschwinde endlich David!«

Dieses Mal ging er wirklich, aber nicht ohne ein breites Grinsen auf den Lippen. Er zog die Tür hinter sich lautstark ins Schloss und ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück, stützte die Ellbogen auf den Lehnen ab und verschränkte die Hände vor dem Gesicht. Ich wollte es mir nicht eingestehen, weil ein Kaiba seine Gefühle anderen gegenüber stets für sich behielt, aber eigentlich hatte David recht mit dem was er gesagt hatte. Ich wollte es nur nicht wahrhaben – so wie immer!
 


 

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Nach dem Abendessen zog ich mich wieder in mein Arbeitszimmer zurück und hoffte, dass David sich nach seinem Drink verziehen wurde. Ich wollte heute von niemandem mehr gestört werden.

Ich dimmte das Licht auf das Minimalste und widmete mich dann wieder meinen Bilanzen. Zwei konnte ich fertigstellen, doch für die anderen fehlten mir wichtige Unterlagen, die sich noch im Gebäude der Kaiba Corp. befanden.

Ich musste dringend Mal wieder in der Firma nach dem Rechten sehen. Irgendwie hatte ich die böse Vermutung, dass dort im Moment noch immer alles drunter und drüber ging, wenn ich mir da den fehlerbehafteten Forecast des Kundenservice ansah.

Ich warf einen Blick auf die Uhr. Kurz vor halb elf. David sollte also verschwunden und Wheeler auf seinem Zimmer sein. Die einzige Person die noch anzutreffen sein wird, wäre Taika. Doch die wusste zum Glück, wann sie mich in Ruhe zu lassen hatte. Die perfekte Zeit des Tages für ein Glas Wein, was ich nach den vergangenen Stunden bitter nötig hatte.

Ich beschloss für heute die Arbeit zu beenden, also heftete ich alle Unterlagen weg und fuhr meinen Laptop herunter. Anschließend schaltete ich das Licht aus und machte mich auf den Weg nach unten.

Ich erwartete absolute Ruhe im Erdgeschoss, doch zu meinem Leidwesen drangen aus dem Esszimmer Stimmen an mein Ohr. Ganz eindeutig die von David und Wheeler. Verbündeten die sich jetzt hinter meinem Rücken?

Neugierde war leider das Verhängnis aller Menschen und so auch meins, denn meine Füße setzten sich von ganz alleine in Bewegung. Leise trat ich näher an das Esszimmer heran und lauschte.

»Seto ist ein aufstrebender junger Mann, er ist nur so eklig zu den meisten, weil er einsam ist und nicht weiß wie man soziale Kontakte knüpft!«, sagte David.

Ich verzog das Gesicht. Also jetzt überspannte er den Bogen aber gewaltig! Ich bin nicht einsam, ich will einfach nur keine Menschen um mich herum haben, wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Und ich weiß sehr wohl, wie man soziale Kontakte knüpft. Andernfalls wäre die Kaiba Corp. mit ihrem neuen Konzept wohl kaum so erfolgreich geworden!

Nach Davids Worten herrschte eine ganze Weile Ruhe im Zimmer. Schließlich war wieder der Anwalt zu hören: »Ich war von Mokubas Idee zu Beginn nicht sehr begeistert - vor allem nicht, als er mir erzählt hat das du und Setos keine allzu freundliche Zwischenmenschliche Beziehung miteinander führt. Aber mittlerweile glaube ich, dass wir niemand besseren hätten finden können!«

Okay, dafür hatte er eine Abmahnung mehr als verdient! Wheeler, dass Beste was man für mich finden konnte? Ich glaube David war der Whiskey nicht bekommen!

Ich hoffte der Köter würde dazu etwas sagen. Sonst hatte er ja auch immer ein unglaublich großes Mundwerk. Doch statt einer frechen Antwort, verließ nicht mehr als ein leises »Warum« seine Lippen. Davids triumphierendes Grinsen konnte ich mir bildlich vorstellen. Der war ja noch nie gut darin gewesen, seine Emotionen zu verbergen und eigentlich sollte man meinen, dass ein guter Anwalt ein Meister dieser Sache ist.

»Ich glaube du kannst aus ihm einen anderen Menschen machen. Du musst nur hartnäckig bleiben und darfst nicht aufgeben. Dann könnte die ganze Verlobungssache in ein paar Jahren vielleicht Realität werden und die Bedingung dafür wäre kein Vertrag, sondern Liebe!«

Okay … Das rechtfertigte eine Kündigung! Ich würde den Köter niemals freiwillig heiraten – in tausend Jahren nicht! Zum Glück schien der das genauso zu sehen, denn plötzlich war schallendes Gelächter zu hören.

»Ich glaube das kannst du dir ganz schnell wieder aus dem Kopf schlagen! Kaiba und ich hassen uns abgrundtief. Ein paar fehlende Gemeinsamkeiten sollen zwar förderlich für eine langanhaltende Beziehung sein, aber bei uns wären das definitiv zu viele. Wenn ich könnte würde ich eine Galaxie weiterziehen - und selbst das wäre vermutlich nicht genügend Abstand!«

Angesichts dieser Wheeler-typischen Aussage, zog ich einen Mundwinkel hoch. Hatte er seine freche Zunge also doch nicht verschluckt.

Ich hoffte diese Unterhaltung wäre damit beendet, doch leider musste David noch weiter sticheln.

»Weißt du was ich an deinen Ansagen am meisten schätze? Du lehnst Kaiba als Persönlichkeit ab, aber nicht sein Geschlecht. Aber weißt du was: Ich kann die beiden gut leiden, trotzdem hätte ich mich auf so einen Deal niemals eingelassen, nicht mal Mokuba zu liebe! Und du machst das auch nicht nur wegen Mokuba - da steckt mehr dahinter, du weißt es nur noch nicht!«

Hatte der ein Shakespeare-Stück verschluckt? Bei so viel Rührseligkeit brauchte man ja schon fast einen Eimer!

»Du hast recht; ich bin unsterblich in ihn verliebt und sprühe nur so vor rosa Herzchen wenn Kaiba mir über den Weg läuft! Es war schon immer mein größter Traum hier zu sitzen und mich sein Verlobter zu nennen! Und nachts ... Oh ja nachts, da reißen wir uns voller Leidenschaft alle Klamotten vom Leib und vögeln uns gegenseitig das Hirn raus!«, entgegnete Wheeler. Bewundernswert, dass er so eine Äußerung tätigen kann, ohne vor Lachen zu platzen.

Gleichzeitig waren seine Worte mein Stichwort, diese Unterhaltung zu beenden, bevor David noch etwas Dummes sagen konnte.

Ich betrat den Raum, fixierte Wheelers Rücken und sagte: »Das könnte dir so passen Wheeler!«

Mit geröteten Wangen drehte sich der Köter zu mir um und schien ein paar Sekunden nicht zu wissen, was er sagen sollte. Doch dann räusperte er sich. »Oh glaub mir Kaiba, das war ein Witz! Bevor ich dich ranlasse, müssen noch ein paar tausend Sterne verglühen!«

Ich zog einen Mundwinkel spöttisch nach oben. »Und ein Köter wie du bräuchte ein paar Flohbäder!«

Der Köter verdrehte die Augen und drehte sich wieder zu David. »Ein weiteres überzeugendes Argument für getrennte Betten - ach was erzähle ich: Getrennte Wohnorte! Gute Nacht David!«

Dann sah er mir direkt in die Augen und ein paar ziemlich lange Augenblicke sagte niemand von uns etwas. Dann begann der Köter hämisch zu grinsen. »Gute Nacht - Herrchen!«

Ich wollte etwas wirklich Schlaues erwidern, doch der Hund verschwand, bevor mir etwas Passendes einfiel. Ich drehte mich nach ihm um und starrte ihm ein paar Sekunden nach.

Hinter mir hörte ich David leise singen: »Eieiei was seh‘ ich da? Ein verliebtes Ehepaar …«

»Verschwinde aus meinem Haus, bevor ich dich doch noch im Garten vergrab‘!«, drohte ich und David verschwand schneller, als ich hätte „A-B-C“ sagen können.

Glück für ihn – ich hätte meine Drohung sonst wirklich wahr gemacht!

Ich setzte mich an den Esstisch und massierte mir die Schläfen. Langsam aber sicher kam es mir wirklich so vor, als würde ich träumen – oder noch im Koma liegen.

Hinter mir quietschte etwas und als ich mich umdrehte, stand Taika in der Tür und sah mich überrascht an.

»Oh – Sie sind noch wach und nicht in ihrem Arbeitszimmer? Möchten Sie noch ein Glas Wein?«, fragte sie und schwang sich ihr Geschirrtuch über die Schultern.

»Ich würde heute den Whiskey bevorzugen! Davon kann ich besser einschlafen – oder besser aufwachen.«

Kapitel 11.1

Als Roland in die Tiefgarage der Kaiba Corp. einbog, hatte ich das Gefühl ewig nicht mehr hier gewesen zu sein. Der Pförtner vor den Schranken, erschrak sich, als er mein Gesicht sah. Er nickte mir durch die Scheibe seines kleinen Häuschens zu und öffnete anschließend die Schranke.

Roland parkte auf seinem ausgewiesenen Parkplatz, direkt neben der Tür zum Fahrstuhl. Ich hatte bereits den Türgriff in der Hand, als er mich mit einem räuspern vom aussteigen abhielt.

»Ist es sehr wichtig? Wenn nicht, wird es noch bis heute Abend Zeit haben«, sagte ich.

»Ich wurde gestern von Mister Johnson sehr eindringlich daran erinnert, dass heute Abend die Firmenfeier der Yuens stattfindet und, dass sie sich deswegen um spätestens 17.00 Uhr in der Villa einfinden sollen!«

»Miss Yuen ist darüber informiert, dass Wheeler und ich nicht erscheinen werden«

»Diese Abmeldung scheint sie aber nicht zu dulden – Mister Johnson sagte mir, dass gestern Abend eine Erinnerung per E-Mail eingetroffen ist!«

Daran merkt man, wie dämlich dieser Mann ist. Die Yuens schicken keine Erinnerungen und schon gar nicht per E-Mail. Sie halten sich für so wichtig, dass sie der Meinung sind, wenn eine Firmenfeier anstand würden ihre Gäste alles stehen und liegen lassen, um daran teilzunehmen. Und Mister Yuen hielt vom Fortschritt der Technik nicht sehr viel. Er befand E-Mails als Kommunikationsmittel für ziemlich unsicher. Das konnte ziemlich nervig sein, wenn man für einen neuen Vertrag tagelang auf einen Brief warten musste.

»Ich werde versuchen, bis dahin mit der Arbeit fertig zu sein«, antwortete ich schlussendlich und stieg aus.

Diese sinnlose Diskussion raubte mir wertvolle Zeit.

Während ich auf meinen Fahrstuhl wartete, parkte Roland aus und fuhr davon. Ich sah ihm nicht lange nach und stieg in den Fahrstuhl ein.

In der obersten Etage angekommen, traf ich so gleich auf Makoto. Sie begrüßte mich mit einer ehrfürchtigen Verbeugung und händigte mir wortlos die Tageszeitung und die beiden Listen aus. Ich nahm sie an mich und verschwand in meinem Büro. Kaum, dass ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, stieg mir ein merkwürdiger Geruch in die Luft. Nach ein paar ratlosen Sekunden, konnte ich ihn allerdings zuordnen. Der gesamte Raum roch penetrant nach Wheeler, nach seinem billigen Deo und Waschmittel vom Discounter.

Bis ich bei meinem Schreibtisch ankam, atmete ich durch den Mund. Ich legte die Tasche ab und riss sämtliche Fenster auf. Er war wirklich eine Plage – ein Parasit, der sich überall einnistete wo er hinkam!

Ich rief durch die geschlossene Tür hindurch, das Makoto mir einen Kaffee machen sollte und setzte mich dann auf meinen Stuhl. Wheeler hatte ihn total verstellt. Er war viel zu tief und sobald sich ein Stück anlehnte, hatte man das Gefühl mit dem ganzen Stuhl umzufallen. Grimmig stand ich auf und brachte das in Ordnung, damit ich ordentlich arbeiten konnte. Dann wollte ich meinen Laptop aus der Tasche holen, als mir auffiel das mein gesamter Schreibtisch voller Krümel war. Resigniert lehnte ich mich zurück. Es würde wohl nie wieder alles beim alten sein, dafür war Wheeler schon zu sehr in mein Leben eingedrungen.
 


 

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Gegen 16 Uhr speicherte ich das Dokument an dem ich zuletzt gearbeitet hatte ab und fuhr anschließend meinen PC herunter.

Miss Yuen hatte tatsächlich eine Erinnerung geschickt – per E-Mail. Und in der hielt sie auch ganz ausdrücklich fest, dass heute noch viele andere Herren anwesend sein würden, mit denen ihr Mann nur allzu gerne Geschäfte machen würde. Und deswegen blieb mir wohl nichts anderes übrig, als mit Wheeler zu dieser abscheulichen Veranstaltung zu gehen.

Makoto betrat mein Büro, als ich gerade dabei war meine Tasche zu schließen. Sie räusperte sich und trat noch einen Schritt näher heran.

»Mister Petit hat gerade angerufen und bittet mich, sie darüber zu informieren, dass er in ungefähr einer Stunde in ihrer Villa eintreffen wird«, sagte sie und sprach so leise, dass man sie beinahe gar nicht verstand.

»Hast du die Limousine für heute Abend gebucht?«

»Sie wird Sie und Mister Wheeler gegen 18 Uhr abholen.«

»Gut, dann werde ich jetzt gehen. Von mir aus kannst du jetzt auch Feierabend machen, es gibt nichts mehr zu tun!«

»Vielen Dank. Einen schönen Abend – und… Viel Spaß Mister Kaiba«, entgegnete meine Sekretärin zögerlich.

Ich brummte nur und griff nach dem Riemen meiner Tasche.

Ich hätte sie zu meiner Verlobten machen sollen. Sie kannte sich mit der Firma aus und war sich der Sitten in den höheren Gesellschaftschichten bestimmt besser bewusst, als Wheeler. Außerdem war sie nicht hässlich und es würde keine große Herausforderung sein, sie ausgehtauglich anzuziehen. Bei Wheeler hingegen wusste ich gar nicht, wo ich da anfangen sollte.

Ich zog die Tür zu meinem Büro hinter mir zu und nahm mir vor, morgen etwas Raumerfrischer mitzubringen. Wheelers Geruch ließ sich nämlich trotz der offenen Fenster nicht vertreiben. Und der Stuhl fühlte sich auch irgendwie komisch an.

Roland wartete in der Tiefgarage auf mich. Ich stieg ein und holte eine Akte aus meiner Tasche, während er den Wagen aus der Garage lenkte. Der Pförtner nickte mir wieder zu und versank danach wieder in seiner Hütte.

Die Straßen von Domino waren brechend voll und ich bezweifelte, dass wir es bis 17 Uhr in die Villa schaffen würden.

»Keine Sorge Mister Kaiba. Mister Johnson ist bereits dort und wird Mister Petit zu Mister Wheeler bringen, falls wir etwas später kommen sollten!«, informierte Roland mich.

»Ich hoffe das wird er unterlassen. David wird Wheeler vermutlich entstellen, nur damit er morgen etwas zu lachen hat. Ich werde mit Mister Petit reden und sonst niemand! Und jetzt drücken Sie aufs Gas!«

»Wie Sie wünschen – Mister Kaiba.«
 

Als wir etwa eine halbe Stunde später an der Villa ankamen, hüpfte Paul, in seinem gewöhnlich abgedrehten Outfit, bereits vor der Villa auf und ab.

Ich verdrehte die Augen und stieg aus dem Wagen aus. Kaum hatte der aufgedrehte Regenbogen mich entdeckt, kam er auf mich zu und fiel mir praktisch um den Hals. Er war einer der wenigen die das durften und das auch nur, weil man ihn davon höchstens abhalten konnte, in dem man ihn tötete. Selbst David musste diese Geste jedes Mal über sich ergehen lassen und zog es deshalb vor, ganz weit weg zu sein, wenn Paul in der Villa aufkreuzte.

»Cherie, ich habe beinahe einen Herzinfarkt bekommen, als ich in der Zeitung gelesen habe, dass du einen Unfall hattest! Aber noch schlimmer wurde es, als dort stand du hättest einen Verlobten. Warum hast du mir davon nie etwas erzählt und vor allem, warum habe ich ihn noch nicht gesehen? Das enttäuscht mich echt, ich dachte wir wären Freunde!«, quietschte mir der gelernte Designer ins Ohr.

Das er mich und ihn als Freunde betitelte, beleidigte mich ungefähr so sehr, als wenn Wheeler behaupten würde, er wäre ein klasse Duellant. Paul konnte froh sein, dass ich ihn noch nicht ersetzt hatte. Denn es gab Viele andere Schneider, die seine Arbeit bedeutend schneller schafften – und vor allem ging das ruhiger von statten. Aber Gozaburo hatte seine Angestellten sehr sorgfältig ausgesucht und deswegen gab es für mich keinen Grund sie zu ersetzen, solange sie sich nichts zu Schulden kommen ließen.

Paul ist etwas jünger als David, aber sein genaues Alter weiß ich nicht. Das ist auch nicht in seinem Arbeitsvertrag festgehalten und als Mokuba ihn einmal danach gefragt hat, hatte Paul nur gezischt, dass man einen Mann so etwas nicht fragte.

Paul hat ein abgeschlossenes Design-Studium und kannte David bereits seit Universitätszeiten. Wenn ich mich nicht irrte, hatten sich die beiden sogar eine Wohnheimzelle geteilt und kannten deswegen die Marotten einander besser, als irgendwer sonst. Mögen tat David seinen ehemaligen Mitbewohner trotzdem nicht wirklich. David stritt es zwar immer ab, aber die beiden waren sich ähnlicher als Zwillinge. Aber eigentlich war es mir ganz lieb so. Wenn die beiden sich besser verstehen würden, als sie zugeben wollten, würde Paul vermutlich auch jeden zweiten Tag in der Villa zu gegen sein. Und darauf hatte ich absolut keine Lust! Einmal im Monat reichte mir seine Anwesenheit!

Paul umarmte mich länger als mir lieb war und wenn ich ihn nicht etwas unsanft von mir geschoben hätte, hätte er damit vermutlich auch so schnell nicht wieder aufgehöhrt.

Einen Moment schob er die Unterlippe nach vorne, doch dann fing er sich wieder und holte seine Utensilien herzu. »Also – wo ist die Liebe deines Lebens Cherie? Ich will loslegen!«, fragte er mich mit einem schelmischen Ausdruck in den Augen.

»Erst will ich mit ihm alleine reden! Roland wird dich in die Küche begleiten und dir einen Kaffee machen!«

»Oh nein – diese Brühe schadet meiner zarten Haut, ich trinke nur Wasser!«

Wortlos warf ich Roland einen kurzen Blick zu, der mich glücklicherweise verstand und Paul samt seinem Koffer abführte.

Ich betrat mein Haus direkt nach Ihnen. Eine Angestellte stand bereits im Flur bereit und nahm mir meine Tasche ab.

»Ich bringe sie in ihr Arbeitszimmer – soll ich ihnen auch einen Kaffee hinaufbringen lassen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Danke - ich werde heute wohl nicht mehr zum arbeiten kommen.«

Das Mädchen nickte und verschwand mit meiner Tasche nach oben. Ich legte meinen Mantel ab und zog die Schuhe aus, dann ging ich ebenfalls nach oben.

Ich hatte in meinen Unterlagen Quittungen von einem Herrenausstatter gesehen, dass hieß Wheeler musste Anzüge haben. Wenn dem so ist, hatte ich vielleicht Glück und konnte Paul wieder nachhause schicken, bevor er sich hier häuslich einrichtete. Obwohl ich nicht glaubte, dass ein Anzug für die Firma auch gleichzeitig für eine Feier bei den Yuens geeignet war.

Ich klopfte nicht an seine Tür, dass raubte mir nur wertvolle Zeit. Und Wheeler war wohl kaum jemand der Privatsphäre benötigte.

Er blinzelte mich an und brachte ein verunsichertes »Ähm« heraus.

»Du wurdest für deine Dienste in der Firma mit Anzügen ausgestattet - hängen die im Schrank?«, fragte ich ihn unwirsch.

»Äh - Nö«, antwortete er wenig geistreich.

»Wo sind sie dann? Du brauchst heute Abend Einen!«

Dieser Typ brachte meinen Puls durch seine bloße Anwesenheit zum Rasen und machte es mir schwer die Fassung zu behalten. Ich könnte toben, sobald er den Mund öffnete um mit mir zu diskutieren. Warum konnte er mir nicht einfach eine normale Antwort geben, mit der man auch etwas anfangen konnte?!

Wheeler setzte sich auf und sah mich mit gerunzelter Stirn an. »Dafür kann es nur drei Anlässe geben: Jemand ist gestorben, du hast unsere Hochzeit vorverlegt oder du planst in den nächsten zwei Minuten mal wieder einen zweiwöchigen Koma-Urlaub und willst von mir vertreten werden! Welch schreckliche Veranstaltung muss ich also heute über mich ergehen lassen?«

Wieder so eine unqualifizierte, nichts aussagende Antwort.

Ich sagte ihm, dass es sich nur um eine Firmenfeier handelte und, dass man seine Anwesenheit erwartete.

Er erklärte mir noch einmal, dass er keinen Anzug besaß und ich nahm mir vor dies später noch einmal anzusprechen.

»Ich lasse dir gleich zwei Anzüge von meinen alten bringen. Einer davon muss passen, notfalls bestelle ich jemanden her, der das ändert! Und dann sei bitte um 18.00 Uhr unten, damit wir pünktlich los können!«

Da ich seine Zustimmung nicht benötigen würde, verschwand ich einfach wieder aus seinem Zimmer. Bevor ich mich mit Paul auseinandersetzte, brauchte ich jetzt erst mal einen alten Anzug.

Ich schaltete das Licht in meinem Zimmer an und öffnete einen Teil meiner Schrankwand, an den ich nur selten ging. Hinter diesen Türen versteckte ich Erinnerungen, von denen ich mich nicht trennen konnte. Egal wie oft ich es versucht hatte, ich konnte die Klamotten aus meiner Kindheit nicht wegwerfen. Sie waren alles was ich hatte, um mich an früher zu erinnern.

Mir fielen das gelbe Hemd und der blaue Pullunder auf, die ich an dem Tag getragen hatte, an dem Gozaburo, Mokuba und mich adoptiert hatte. Der Tag, der mein Leben veränderte, vielleicht sogar zerstörte. Denn vermutlich wäre ich nicht so geworden, wenn ich nicht hier gelandet wäre.

Ich schüttelte den Kopf und hängte den Bügel zurück in den Schrank, griff stattdessen nach dem Anzug, den ich nie getragen hatte. Paul hatte ihn irgendwann angeschleppt und war der Meinung die Farbe würde mir gut stehen. Doch dieses Rot fand ich schon hässlich, ohne es anprobiert zu haben. Deswegen hatte ich ihn ungetragen in den Schrank gehängt. Vielleicht würde Wheeler die Farbe ja besser stehen als mir selbst.

Ich nahm den Anzug aus dem Schrank und ging hinunter in die Küche.

Paul saß am Tisch, vor ihm ein Glas Limonade, dass er nicht angerührt hatte. David saß ihm gegenüber und sah ihn an, als würde er ihn am liebsten erschlagen. Taika war aus ihrem liebsten Raum in der Villa geflüchtet und Roland rümpfte die Nase, weil er keine höflichen Worte fand, um Pauls nicht enden wollendes Gequatsche zu unterbrechen. Mokuba, der Paul eigentlich mochte, war auch weit und breit nirgends zu sehen. Was mir verriet, dass Paul heute mal wieder besonders schlimm zu ertragen sein musste.

Ich räusperte mich laut, als ich den Raum betrat und den Anzug auf den Tisch legte. »Wheeler ist oben und den Anzug kannst du mitnehmen. Ich habe aus Gozaburos Schrank noch etwas heraussuchen lassen. Oben empfängt dich eine Angestellte, die dich zu ihm bringt. Tu mir den Gefallen, und entstelle ihn nicht! Ich will morgen früh nichts Negatives in den Zeitungen lesen!«

Paul sah nicht wirklich begeistert aus, was durchaus daran liegen konnte, dass er nicht freie Hand hatte was Wheelers Aussehen anbelangte.

Paul schnappte sich seinen Koffer und verschwand aus dem Raum.

Ich setzte mich an den Küchentisch und massierte mir die Schläfen.

»Ich wette Joey wird heiß aussehen in dem Anzug«, pfiff David neben mir.

Ich ballte die Hände zu Fäusten, beruhigte mich aber im selben Moment wieder.

»Du bist fast 30 – fändest du es da nicht etwas ekelig, dich an einem 16-jährigen zu vergreifen? Aber wenn du unbedingt willst, tu dir keinen Zwang an«, höhnte ich, ohne ihn anzusehen.

»Bist du eifersüchtig?«

Einen kurzen Moment war ich wirklich sprachlos, doch dann lachte ich spöttisch. »Mach dich nicht lächerlich David! Was der Hund in seinem Bett treibt und mit wem, ist mir egal!«

Ohne ihn eines Blickes zu würdigen stand ich auf und machte mir einen Kaffee.

»Du warst schon mal überzeugender«, sagte David und verließ den Raum, bevor ich ihm noch etwas dazu sagen konnte.
 


 

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Ich hatte drei Tassen Kaffee getrunken, als David wieder zurück in die Küche kam.

»Joey ist fertig und kommt gleich runter – Paul steht schon im Flur und wartet auf dich, damit er sich von dir verabschieden kann!«

»Ich komme gleich«, knurrte ich und trank den ersten Schluck von Tasse vier.

»Entweder du ext den Kaffee oder du lässt ihn stehen, aber ich werde keine Minute länger warten!«

Weil ich keine Lust hatte mich wieder mit ihm zu streiten, stellte ich die Tasse auf dem Tisch ab und stand auf.

»Über deinen Tonfall reden wir noch!«, brummte ich und verließ die Küche als erster.

Im Flur hatten sich alle übrigen Bewohner des Hauses versammelt. Selbst Taika war wieder aus der Versenkung aufgetaucht.

Dann kam Wheeler die Treppe hinunter und als Taika sagte, dass er ja beinahe aussieht wie ein Mensch, blieb mir wirklich einen Moment lang die Luft weg. Er sah besser aus, als jeder andere Mensch dem ich zu vor begegnet war.

Dieser Anzug schmiegte sich an seinen Körper, betonte alle Körperstellen, die bei einem Mann betont werden sollten. Die Farbe stand ihm wirklich unausgesprochen gut und unterstrichen seine blonden Haare und seine dunkelbraunen Augen. Wenn wir alleine wären und wenn er nicht der Köter wäre, dann würde ich auf sämtliche Verträge mit den Yuens pfeifen und mit ihm in meinem Schlafzimmer verschwinden.

Aber wir waren gerade nicht alleine und Davids wissender Blick traktierte mich bereits. Weil er mich richtig nerven wollte, sagte er Wheeler auch, dass ihm die Farbe gut stand. Und Mokuba, dass fiese Balg, nickte zustimmend. Langsam glaubte ich wirklich, dass sich hier alle gegen mich verbündeten.

Ich hatte genug von der Starr-Show, brummte und ging an ihnen allen vorbei in Richtung Tür.

Vor der Tür stand die Limousine, die Makoto heute gebucht hatte und Roland hielt uns die Tür auf.

Ich wollte einsteigen, denn umso schneller wir dort waren, umso schneller konnten wir auch wieder von dort verschwinden. Doch David hielt mich auf.

Er machte uns noch einmal deutlich, dass es Fotos von der Veranstaltung geben würde und das die Schrappnelle vom Jugendamt bestimmt welche davon zu sehen bekommen würde und deswegen sollten Wheeler und ich uns benehmen wie ein Pärchen.

»Ihr müsst versuchen euch wie ein ganz normales Pärchen zu benehmen. Sobald ihr eine Kamera entdeckt, sucht die Nähe zum anderen. Tanzt zusammen, haltet Händchen und schaut euch verliebt an! In der Limo liegen Ausdrucke bereit, die euch veranschaulichen wie so etwas aussieht!«, erklärte er.

Einen Moment lang wollte ich am liebsten die ganze Welt töten, doch dann fing ich mich wieder. Immerhin bin ich Seto Kaiba und wenn es sein musste, werde ich allen Journalisten den Zutritt untersagen.

»Ich werde dafür sorgen, dass sämtliche Reporter Zutritts verbot erhalten!«, sagte ich entschieden.

David schnipste mit den Fingern. »Wäre das deine Party, könnte niemand etwas dagegen tun, aber du bist heute Abend nicht der Gastgeber! Und da du auf die Verträge wirklich angewiesen bist, würde ich mich an deiner Stelle zurückhalten. Ihr seid noch minderjährig. Nach 0.00 Uhr kann euch dort eh keiner mehr festhalten!«

»Wir reden hier von fast fünf fucking Stunden? Wie sollen wir das deiner Meinung nach hinbekommen? Wir sind keine Schauspieler!«, sagte Wheeler.

Ich wollte ihn wegen seiner vulgären Wortwahl tadeln und hoffte, ihm würden solche Ausfälle später nicht passieren. Doch wir redeten hier von Wheeler. Und ein teurer Anzug machten seine Defizite nicht wett. Er war nach wie vor ein ungehobelter Bauerntrampel – ein Straßenköter eben.

»Aber sehr um Mokubas Sorgerecht besorgt, also strengt euch an!«, sagte David.

Ich ließ das unkommentiert und stieg ein. Davids Ausdrucke fegte ich achtlos von der Lederbank, damit ich mich hinsetzen konnte. Wheeler stieg ein. Kaum das die Tür hinter ihm zu war, setzte sich die Limousine in Bewegung. Wir starrten schweigen aus dem Fenster. Normalerweise würde mich dieser Umstand nicht stören, aber gerade hatte ich das Bedürfnis mit ihm zu reden. David hatte Recht, Wheeler hatte viel für mich getan. Ich sollte mich bei ihm bedanken. Aber irgendetwas hinderte mich daran. Es war, als wäre um das Gefühl „Dankbarkeit“ eine Kette gelegt, mit einem Schloss, dessen Schlüssel ich nicht besaß. Und deswegen sagte ich gar nichts und wir fuhren schweigend in Richtung Innenstadt.
 


 

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Ich kannte das Firmengebäude und den Wohnsitz der Yuens, Wheeler sah aus als wäre er in diesem Bezirk der Innenstadt noch nie gewesen. Er sah sich suchend um und rümpfte ein klein wenig die Nase, angesichts der vielen rauchenden Chauffeure neben dem Eingang.

Mir klar, dass es im Eingangsbereich des Gebäudes nur so vor Paparazzo wimmeln würde. Um kein Risiko einzugehen, ging ich um den Wagen herum und griff nach Wheelers Hand. Sie war warm und wesentlich schmaler als meine. Erst als er merkte, wie ich meine Finger mit seinen verschränkte, sah er mich verschreckt an und zuckte einen klein wenig zurück.

»Schau mich nicht so an! Das ist alles nur zur Show!«, rechtfertigte ich mich.

»Ach nein, ehrlich? Ich dachte schon du steckst mir den Verlobungsring heute Abend wirklich an!«, entgegnete er pikiert.

Ich überhörte seinen blöden Spruch und stieß die Tür zum Firmengebäude auf. Sofort waren sämtliche Kameras und Diktiergeräte auf uns gerichtet. Zum Glück waren die Yuens nicht so wichtig, dass das lokale Fernsehen auch hier vertreten war. Eine Berichterstattung in den Nachrichten oder irgendeinem Klatsch und Tratsch Magazin hätten wir gar nicht gebrauchen können. Die würden uns sonst was unterstellen und ich hatte keine Lust ein Statement schreiben zu müssen, um das alles wieder aus der Welt zu schaffen.

Ich bemühte mich nicht um einen fröhlichen Gesichtsausdruck, als ich durch die Empfangshalle ging. Wheeler verkrampfte vom ersten Moment an. Ihm behagten das Blitzlicht und die Anwesenheit der vielen Menschen nicht. Wenn die Situation eine andere wäre, würde er vermutlich freiwillig die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen, aber solange er sich mit mir in der Öffentlichkeit zeigen musste, war von seiner sonstigen Unbekümmertheit nichts mehr zu sehen. Es fühlte sich beinahe so an, als würde es ihn quälen, dass ich in seiner Nähe war. Er fühlte sich nicht wohl. Bestimmt wäre das so, wenn er mit dem Kindergarten hier wäre.

Ich umklammerte seine Hand fester, damit er nicht auf die Idee kam stehen zu bleiben und einem der Journalisten Fragen zu beantworten.

Wir betraten den Fahrstuhl und die Türen schlossen sich nur Sekunden später. Ich ließ Wheelers Hand los, weil ich das Gefühl hatte, er wollte nicht von mir festgehalten werden.

Wheeler fragte mich, ob oben auch Reporter auf uns warten würden. Ich erklärte ihm sachlich, dass lediglich ein paar der Geschäftsleute Kolumnen in den lokalen Tageszeitungen schrieben oder auf ihrer Firmenwebseite einen Eintrag verfassen würden. Ich wies ihn aber auch darauf hin, dass ich vor meinen Geschäftspartnern nicht unehrlich erscheinen wollte und, dass deren Frauen den Reportern bestimmt Details stecken würden, um ihr eigenes Leben für ein paar Tage etwas aufregender gestalten zu können. Ein paar von diesen alten Tratschweibern hatten schon mehr als ein Leben zerstört, nur um sich an dem Unglück anderer zu ergötzen.

»Eigentlich ist es mir auch egal von wem ich meine Teile beziehe. Lieferanten stehen bei mir Schlange. Aber ich habe im Moment wichtigeres zu tun, als neue Verträge auszuhandeln.«, fügte ich noch hinzu.

Wheeler war noch einen weiteren Moment still, dann atmete er erleichtert aus. »Ich bin froh, dass ich mich damit nicht mehr befassen muss - deine Firma zu führen ist echt nicht einfach«

Einen Moment sah ich ihn stirnrunzelnd an. Am liebsten hätte ich ihm einen Vortrag darüber gehalten, was er alles hätte besser machen können, doch ich hielt mich zurück. Stattdessen rief ich mir ins Gedächtnis, was David mir erzählt hatte.

»David hat gesagt du hast gute Arbeit in der Kaiba Corp. geleistet!«, sagte ich anerkennend und hoffte, dass würde die Stimmung etwas auflockern.

Wheeler lachte nervös und wich meinem Blick aus. Dann begann er sich am Hinterkopf zu kratzen. »Eigentlich haben Mokuba und er das meiste gemacht. Ich bin nur ab und zu ans Telefon gegangen und habe ein paar Termine verschoben!«

Weil ich nicht wusste, was ich dazu sagen sollte, erfand ich eine kleine Notlüge, um die positive Stimmung nicht zu zerstören. »In meinen Alpträumen hast du das Gebäude in die Luft gejagt, also hast du gute Arbeit geleistet weil es noch steht!«

Ich träumte wirklich von ihm, aber nicht im Bezug auf meine Firma. Wenn er in meinen Träumen erschien, dann immer direkt neben mir, mit einem Grinsen wie ein Honigkuchenpferd im Gesicht und er griff nach meiner Hand und grinste weiter.

Ich schloss einen kurzen Moment die Augen, um diesen Gedanken aus meinem Kopf zu vertreiben. Für die nächsten Stunden brauchte ich einen klaren Kopf. Am besten ich hielt Wheeler auf Distanz, denn in seiner Anwesenheit fiel mir das schwerer, als bei irgendwem anders.

Als ich die Augen wieder öffnete, blickte Wheeler mich direkt an. »War das gerade ein Kompliment?«

Ich zog einen Mundwinkel hoch. Ich wollte keinen Streit entfachen, aber das musste ich tun, um ihn auf Distanz zu halten. Deswegen sagte ich: »Hunde soll man loben, damit sie einem nicht auf den Teppich pinkeln!«

Wheeler verzog in Bruchteilen von Sekunden das Gesicht und wandte den Blick wieder ab.

»War ja klar, dass ich von dir nichts erwarten kann, ohne gleich wieder als Hund abgestempelt zu werden! Du solltest echt mal zum Therapeuten ich glaube nämlich das ist eine krank-«, begann er, kam jedoch nicht dazu seinen Satz zu beenden, denn ich verlor die Kontrolle.

So etwas war mir noch nie passiert, nicht bevor ich zu Gozaburo gekommen war, nicht einmal danach. Doch mit Wheeler war alles anders. Mein Körper hatte sich binnen Sekunden selbständig gemacht. Ich musste es jetzt einfach tun, ihn an die Wand des Fahrstuhls pressen, ihn küssen. Seine Lippen waren noch genauso weich wie im Krankenhaus vor ein paar Wochen und er schmeckte nach billiger Pfefferminzzahnpasta, aber das störte mich nicht.

Ich verlor mich beinahe in diesem Kuss, doch Wheeler schien er nicht annähernd so gut zu gefallen, denn er schubste mich grob zurück. Er sah mich erschrocken an und wischte sich über den Mund.

»Sag mal spinnst du? Was denkst du eigentlich wer du bist?«, fuhr er mich an.

Ich richtete meine Krawatte und räusperte mich. »Ich wollte bloß, dass du den Rand hältst! Und da man bei dir mit einfachen Worten nicht weiterkommt, musste ich mir andere Methoden einfallen lassen!«

Eigentlich war das auch nicht mein Ziel – glaube ich zu mindestens. Ich wollte ihn weder zum Schweigen bringen, noch ihn küssen. Mein Körper hatte sich selbstständig gemacht. Ich sollte morgen einen Arzt aufsuchen - irgendetwas stimmte mit mir nicht.

Wheeler wollte wieder mit mir diskutieren, wurde aber von den sich öffnenden Fahrstuhltüren davon abgehalten.

Ich ging einfach hinaus, ohne mich nach dem Hund umzudrehen. Er würde mir schon folgen, wenn er sich wieder gesammelt hatte. Und wenn er dafür mit dem Fahrstuhl noch einmal hinunterfahren musste, sollte es so sein.

Glücklicherweise stieg er aber doch aus, ohne eine ExtraRunde zu drehen. Ich ließ Wheeler einen kurzen Moment, um die Umgebung zu studieren, dann betraten wir den Raum hinter dem Flur. Uns kam ein junger Mann entgegen, der uns fragte, ob er uns die Jacketts abnehmen durfte.

»Wir behalten sie erst mal an, sollten wir sie ablegen wollen, lassen wir dich rufen!«, antwortete ich. Aus dem Augenwinkel bekam ich mit, wie Wheeler die Augenbrauen hochzog.

Ich wollte mich nicht weiter mit ihm befassen, also ging ich einfach an ihm vorbei.

Mit einem Ohr hörte ich, wie Wheeler ihm zu raunte: »Nehmen Sie es ihm nicht so übel, er hat heute nur einen schlechten Tag erwischt!«

Und als dieser Angestellte antwortete: »Dafür aber einen guten Mann«, ballte ich die Hände zu Fäusten, ließ aber gleich wieder locker, als Wheeler direkt neben mir auftauchte und mit mir zusammen das Wohnzimmer der Yuens betrat. Es war vermutlich der größte Raum im ganzen Apartment und ließ sich einfach zu einem Tanzsaal umfunktionieren. Mir würde so etwas nicht behagen. Weder, Feiern in meinen eigenen vier Wänden zu veranstalten, noch jedes Mal meine Einrichtung umräumen zu müssen. Aber die Yuens nutzten ihr Wohnzimmer kaum und wenn die Feiern hier veranstaltet wurden, hatte Miss Yuen immer alles unter Kontrolle.

Wir standen auf einem Podest und nur drei Stufen trennten uns von all den alten Säcken und ihren Schnepfen. Drei Stufen nur, dann gab es kein Zurück mehr. Ich müsste Wheeler vorstellen, Fragen über ihn, über uns beantworten. Fragen, auf die ich die Antworten nicht kannte. Wenn sie ihn kannten, konnte ich ihn nicht einfach wieder aus meinem Leben streichen, dann würde ich nur noch mehr unangenehme Fragen beantworten müssen.

Ich warf Wheeler einen Blick aus dem Augenwinkel zu. Er schien im Moment von denselben Gedanken geplagt zu werden.

Ich hielt ihm die Hand hin. »Bereit Hündchen?«, fragte ich.

»Nein«, antwortete er, »aber schreiend wegrennen wird wohl nicht drinnen sein oder?«

Dann ergriff er meine Hand.

»Nur wenn du möchtest, dass ich dich in eine Psychiatrische einweise!«, entgegnete ich flapsig.

»Das könnte dir so passen! Aber nein, so leicht wirst du mich nicht los!«, sagte er grinsend.

Und komplettierte damit das Bild aus meinen Träumen. Ich führte ihn die Stufen hinab und überlegte, wem ich Wheeler als erster vorstellen sollte. Doch bevor ich eine Entscheidung fällen könnte, standen plötzlich drei Damen vor uns, die ich nur allzu gut kannte. Die drei gehörten zu keinen großen oder wichtigen Firmen und weil es kaum etwas gab, mit dem man ihnen oder ihren Männern schaden konnte, hatten sie es sich zur Aufgabe gemacht jeden Neuankömmling in diesen Kreisen willkommen zu heißen – mit viel Alkohol und vielen nervigen Fragen. Da es sinnlos wäre, ihn vor ihnen zu retten, ließ ich ihn bei ihnen zurück und suchte nach dem Getränkeausschank.

So wie ich Miss Yuen kannte, war der alkoholhaltige Punsch kaum vom alkoholfreien zu unterscheiden und ich müsste mich durch das gesamte Angebot probieren, um etwas zu finden, mit dem sich dieser Abend überstehen ließ.

Bevor ich jedoch dazu kam, den ersten Punsch zu testen, stand plötzlich Jacob Harrison vor mir. Er konnte ähnlich breit grinsen wie Wheeler, was schon beinahe beängstigend war - also für jemanden, der nicht Kaiba hieß.

»Du hättest dich ruhig mal melden können, nachdem du wieder aufgewacht bist – ich hab mir Sorgen gemacht und Mom auch!«, begrüßte er mich pikiert und griff zielstrebig nach einem Glas Punsch.

Ich wusste das Alkohol sich nicht mit seinen Medikamenten vertrug, weswegen er nur ganz selten welchen trank. Das bedeutete, der gelbe Punsch links außen ist alkoholfrei. Einen Test weniger, den ich durchführen musste. Also nahm ich mir ein Glas von der zweiten Schale.

»Ich hatte viel zu tun mit der Firma, da blieb nicht viel Zeit für private Angelegenheiten!«, antwortete ich ausweichend.

»Private Angelegenheiten«, gluckste Jacob und malte Anführungszeichen in die Luft. »Ich glaube wohl eher, dein Verlobter hat dich für sich beschlagnahmt, über dessen Existenz du mich hättest übrigens informieren können!«

»Geht dich das etwas an? Ich frage dich immerhin auch nicht, mit wem du in die Kiste hüpfst!«, entgegnete ich gelangweilt, ohne ihn anzusehen. Der Alkohol in meiner Hand forderte mehr Aufmerksamkeit. Immerhin wollte ich mir nicht mein Hemd oder mein Jackett versauen.

»Ich würde die Frage vielleicht sogar ehrlich beantworten, wenn dadurch nicht mindestens einer seinen Job und sein Ansehen verlieren würde«, widersprach Jacob schnippisch.

»Du hast doch nur Angst vor deiner Mutter«, entkräftete ich seine Aussage und leerte mein Glas Punsch in einem Zug.

Jacob wollte mir in dem Moment widersprechen, in dem seine Mutter von hinten an ihn heran trat und ihm eine Hand auf die Schulter legte.

»Wenn du etwas über Setos Verlobten erfahren willst, solltest du selbst mit ihm sprechen. Ich wette, deine Gesellschaft ist ihm lieber, als die der Waschweiber«, sagte sie ruhig.

»Ich kenne ihn doch gar nicht«, antwortete Jacob und klang dabei wie ein kleines Kind, dem man den Lutscher geklaut hatte.

»Dann ist jetzt der beste Zeitpunkt, ihn kennenzulernen – sei nett zu ihm Jacob«, sagte sie bestimmt.

Der Harrison Spross sah einen kurzen Moment so aus, als wolle er diskutieren, wandte sich dann aber ab und trottete zu Wheeler.

Claudette reichte mir ein neues Glas Punsch.

»Scheint so als hättest du wirklich einen guten Fang gemacht«, sagte sie lächelnd.

Ihr lächelte erinnerte mich so schrecklich an das meiner Mutter, dass ich den Blick abwandte und stattdessen zu Wheeler sah.

Er saß mit Jacob an einem Tisch am anderen Ende des Raums und unterhielt sich mit ihm.

Mir entging nicht, wie er sich mit aller Macht versuchte auf seinem Stuhl zu halten. Das Ampelgespann musste ihn schon in der kurzen Zeit, mächtig abgefüllt haben.

Ich zuckte mit den Schultern, als ich den Kopf wieder zu Claudette drehte. »Scheint so.«

Sie schlug mir mit ihrem Täschchen unsanft auf den Arm. »Ich bin immer noch wütend auf dich, weil du nichts erzählt hast!«

»Er war noch nicht so weit«, log ich.

Ich wollte sie nicht anlügen, aber die Wahrheit konnte ich ihr auch nicht sagen. Sie würde mir vermutlich eine scheuern.

Sie ist zwar nicht meine Mutter, aber manchmal fühlte es sich dennoch so an. Ich war ihr und Jacob für die Unterstützung sehr dankbar, auch wenn die beiden mich manchmal zur Weißglut trieben. Manchmal wünschte ich mir, der alte Harrison würde die Firma noch führen. Dann hätte ich bedeutend mehr Nerven übrig.

»Ich hoffe du hast mittlerweile geregelt wie es mit deiner Firma weitergehen soll, wenn dir etwas zustoßen sollte?«

Mit gerunzelter Stirn sah ich sie an und verstand nicht ganz, was sie jetzt von mir wollte.

»Du weißt, dass nach dem Tod meines Mannes eine lange Zeit unklar war, was mit der Firma passiert! Er ist auch plötzlich verstorben und hat nie etwas vorher geregelt - das was ich durchmachen musste kannst du ihm nicht antun!«, sagte sie und nickte in Richtung Wheeler.

Ich wusste, dass hinter ihr zwei schwere Jahre lagen. Der Tod von James Harrison hatte die gesamte Wirtschaft von Domino erschüttert. Die Harrison Ltd. lag beinahe ein Jahr auf Eis und beinahe alle Mitarbeiter wurden entlassen. Der Aufsichtsrat stritt mit Claudette und Jacob um den Besitz der Firma. Das ganze ging sogar vors höchste Wirtschaftsgericht in Japan.

Schlussendlich wurde der Familie die Firma zu 100 Prozent zugesprochen. Claudette hatte ein paar Haare weniger auf dem Kopf und Jacobs Krankheit war etwas weiter fortgeschritten, aber sie konnten endlich glücklich sein und wieder ein ordentliches Leben führen.

Aber eigentlich war ich nicht hier, um über meinen – vielleicht bald – eintretenden Tod zu reden. Ich hatte gerade erst einen Autounfall überlebt. Noch einen brauchte ich bestimmt nicht!

»Ich werde mich mit David nächste Woche hinsetzen und etwas ausarbeiten, damit Joey nicht etwas ähnliches durchmachen muss, wie ihr!«, sagte ich zustimmend.

Seinen Vornamen zu benutzen hinterließ noch immer ein komisches Gefühl auf meiner Zunge. Es war längst schon nicht mehr so schlimm wie noch am Anfang, aber pelzig fühlte sich das ganze trotzdem an.

»Was hat dich eigentlich ausgerechnet an ihm so fasziniert, dass du ihm gleich einen Ring an den Finger stecken musstest?«

Ich nahm einen großen Schluck von meinem Punsch. Ich glaube um an Joey etwas zu finden, was mir ausgesprochen gut gefällt, brauchte ich mehr, als bloß zwei Gläser Punsch! Aber Claudette erwartete jetzt eine Antwort und mich in erst in einer halben Stunde. Und weil ich gelernt hatte diese Frau besser nicht wütend zu machen, nahm ich das Glas wieder von den Lippen.

»Ich denke es war seine herausfordernde Art«, erwiderte ich mit all dem schauspielerischen Können, dass ich aufzuweisen hatte.

Ein Teil meines Gehirns trat schon wieder eine Hasstriade gegen Wheeler los, während die Andere alles Gute an Wheeler aufzählte – alles, was mir gefallen könnte, aber ich entschied mich dazu, es dieses Mal zu ignorieren. Wir wollten ja nicht, dass mir in Claudettes Beisein etwas Falsches herausrutschte.

Ich brachte sie mit meiner Aussage aber nur zum Lachen. »Warum wundert mich das bei dir so überhaupt nicht?«

Vielleicht weil ich ein Eisklotz bin und mich nur verlieben kann, wenn der andere mich abgrundtief hasst - so oder so ähnlich hätte Joeys Antwort gelautet.

Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Was war denn jetzt hier los? Drehte ich jetzt vollkommen am Rad? Warum stellte ich mir vor, was Wheeler wohl auf Claudettes Frage antworten würde.

Ich sah Wheeler wohl einen Moment zu lange an, den Claudette stieß mir sanft in die Seite. Ich sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

Sie lächelte. »Du liebst ihn wirklich, nicht wahr?«

»Wie kommst du darauf?«

»Weil deine Augen eine Wärme widerspiegeln, die ich bei dir noch nie zu vor gesehen habe! Aber es ist dieselbe Wärme, mit der mein Mann Jacob und mich angesehen hatte und nur deswegen weiß ich was sie bedeutet und das man sie nicht verleugnen kann«, sagte sie und klang dabei wie eine billige Therapeutin aus einer Talkshow.

Aber irgendwie hatte sie recht. Claudette hatte mit dem was sie sagte irgendwie immer ein bisschen recht. Und manchmal kotzte mich das gelinde gesagt an.

»Wenn du ein bisschen älter bist, wirst du verstehen, wovon ich spreche!«, sagte sie und lachte anschließend. »Jacob erklärt mich immer für verrückt wenn ich von diesem Thema anfange und du siehst mich einfach nur an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank!«

Ich räusperte mich und trank meinen Punsch aus. »Ich möchte dich heute wirklich nicht beleidigen Claudette, deswegen werde ich deine Aussage nicht kommentieren«, antwortete ich und ließ meinen Blick über die Getränkeauswahl gleiten.

»Um ehrlich zu sein, habe ich dich noch nie etwas liebes und nettes sagen hören, aber ich hoffe das wird sich mit ihm ändern«, sie lächelte und sah dabei wieder genauso aus wie meine Mutter.

Claudette tätschelte meine Hand. »Ich kann nur hoffen, dass er dich aus deinem tiefen Loch holt und von deinen Dämonen befreit, damit du der Junge sein kannst, der du eigentlich bist. Und das du jedem auf dieser Welt das zeigen kannst und denjenigen, der dir das ermöglicht, sagen kannst, wie sehr du ihn liebst.«

Ich warf Wheeler einen Blick zu und fragte mich, ob er dieser Mensch sein würde, ob er mir helfen konnte die Schatten meiner Vergangenheit aus meinem Kopf zu vertreiben. Das würde ich aber nicht herausfinden, wenn ich ihn auf Distanz hielt und weiter wie einen Hund behandelte.

Im Moment kam ich nur leider nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, denn Claudette griff nach meiner Hand. »Komm, wir sollten unsere Jungs zum tanzen auffordern. Die restlichen Gäste stellen sich auch schon auf.«

Ich verdrehte die Augen. Die Yuens spielten zu jeder Feier kurz nach Beginn einen Walzer und erwarteten, dass jeder mittanzte. Wer keinen Partner mitbrachte, der bekam von Miss Yuen einen zugeteilt. Ich hatte bisher immer das Pech, mit irgendeiner alten Witwe tanzen zu müssen. Die war meistens mehr damit beschäftigt mich anzubaggern, als mit mir zu tanzen. Und nicht selten machte mich das zum Gespött der ganzen Gesellschaft. Hoffentlich war Joey als Tanzpartner besser geeignet, obwohl ich bezweifelte, dass er wusste wie man einen Walzer tanzte. Immerhin war das kein gesellschaftlicher Standardtanz und deswegen für eine Firmenfeier auch entsprechend ungewöhnlich. Ich wette, 70 Prozent der anwesenden Gäste hatten ähnlich wenig Ahnung wie Wheeler und orientierten sich während des Tanzens an den Füßen anderer. Aber es wunderte mich nicht, dass die Yuens – oder besser gesagt Miss Yuen – von Ihren Gästen erwartete, dass sie ausgerechnet diesen Tanz beherrschen sollten. Das passte zu ihrer überheblichen Einstellung. Wenn Gozaburo etwas von gesellschaftlichen Zusammenkünften gehalten hätte, hätte er vermutlich dasselbe von seinen Gästen erwartet. Und wer seine Erwartungen nicht erfüllte, der war es nicht wert, mit ihm Geschäfte zu machen.

Claudette ging einfach auf den Tisch von Wheeler und Jacob zu, ohne sich zu versichern, dass ich ihr folgte. Sie wusste, dass ich es tun würde, ohne, dass sie etwas sagen musste.

Sie sprach die beiden mit ihrem unvergleichlichen Lächeln an und äußerte ihren Wunsch.

Joeys entsetzter Blick hatte schon beinahe etwas von einem kleinen Labradorwelpen.

»Ich kann nicht tanzen und das weiß Seto - ich will ihn ja nicht blamieren«, antwortete er auf Claudettes Frage und bekam rote Wangen.

Das könnte ziemlich peinlich für uns beide enden, wenn ich nichts Aufmunterndes sagen würde. Also räusperte ich mich und trat hinter Claudette hervor.

»Das ist hier kein Wettbewerb. Außerdem kannst mich gar nicht blamieren - Liebling!«, sagte ich, um den freundlichsten Tonfall den ich beherrschte, bemüht. Wo der Kosename plötzlich herkam, wusste ich selbst nicht. Aber Jacobs wissender Blick erinnerte mich zum einen an David und zum anderen, sagte er mir, dass der Kosename angebracht war. Als er meinen Blick bemerkte begann er zu kichern wie ein kleines Kind, wofür ihn sogar seine Mutter böse ansah.

Wheeler blickte mich einen langen Moment an, ehe er zögerlich meine Hand ergriff und sich von mir zur Tanzfläche führen ließ.

Ich suchte für uns eine freie Fläche, wo uns mit Sicherheit niemand zu nahe kommen würde und stellte mich auf. Wheelers Blick sprach Bände und meine Befürchtungen bewahrheiteten sich: Er hatte keine Ahnung von Walzer! Aber wenigstens schaffte er es, seine Hände richtig auf meinem Körper zu platzieren. Das war wenigstens schon ein Anfang, auf dem man aufbauen konnte. Es sei denn, er hatte fürs Tanzen eine ähnliche Begabung, wie für Duell-Monsters. Dann war Hopfen und Malz verloren.

»Stell dich auf meine Füße und halt dich fest, den Rest erledige ich«, flüsterte ich ihm ins Ohr, weil ich wusste, dass die Musik gleich einsetzen würde.

Er würde mir damit zweifelsfrei die teuren Schuhe zerstören, aber das würde ich ihm dann von seiner Aufwandsentschädigung abziehen.

Die Musik setzte keine zehn Sekunden später ein. Ich zählte die Takte im Kopf und setzte mich rechtzeitig in Bewegung.

Ich sah Wheeler direkt in die Augen, weil sich das beim Tanzen so gehörte, während ich uns beide durch den Raum drehte. Er war erstaunlich leicht und er beeinträchtigte meine Agilität kein bisschen. Und weil sich das Tanzen mit ihm irgendwie so natürlich anfühlte, vergaß ich, wo wir uns befanden und, dass Wheeler gar nicht tanzen konnte. Ich drehte uns durch den Raum, als wären alle anderen gar nicht anwesend, als wären wir ganz alleine im Wohnzimmer der Yuens. Wheeler presste sich von Schritt zu Schritt mehr an mich, damit er erst gar nicht Gefahr lief von meinen Füßen zu rutschen.

Ich könnte die ganze Nacht mit ihm tanzen, doch dann verklang das Lied schneller als gedacht. Ich brachte die Schrittfolge zu Ende und ließ Wheeler von meinen Füßen steigen. Ich sah ihn immer noch an, als alle einem kleinen Orchester applaudierten. Ich wollte etwas zu ihm sagen, doch Wheeler setzte an, von der Tanzfläche zu verschwinden, bevor ich den Mund aufbekam.

Kaum hatte er den ersten Schritt gemacht, schwankte er gefährlich, vermutlich wegen seines Alkoholpegels und ich packte ihn, bevor er umfallen konnte.

»Du solltest etwas essen, bevor du noch umfällst!«, sagte ich harsch.

Glücklicherweise kam in diesem Moment Claudette neben uns zum stehen und sah uns besorgt an. »Was ist los?«

Bevor ich antworten kannte, kam jedoch auch ihr Sohn dazu und nahm mir das ab, in dem er kichernd sagte: »Ich glaube Joey hat etwas zu tief ins Glass geschaut!«

Wheeler sah einen Moment so aus, als fürchtete er eine Standpauke von mir oder Claudette. Doch da kannte er sie schlecht – Claudette nahm einem kaum etwas übel. So auch jetzt nicht, denn sie begann zu lächeln.

»Dann begleite ich ihn zum Buffet und ihr beide haltet Miss Yuen zurück. Sie wollte schon den ganzen Abend mit ihrem Ehrengast reden und wird langsam etwas ungehalten!«, sagte sie und hakte sich bei Wheeler unter.

»Pass bitte auf ihn auf Claudette, wir wollen ja nicht das noch ein Unfall passiert!«, entgegnete ich und drängte Wheeler in ihre Arme.

Ein Augenzwinkern später war sie schon fast am anderen Ende des Saals und Jacob zog mich in Richtung Teufel davon.

»Verplapper dich bloß nicht und sei nicht so unfreundlich wie sonst!«

Man könnte meinen, David und er wären Zwillinge, dabei waren sich die beiden noch nie begegnet. Denn zu Terminen in der Harrison Ltd. nahm ich meinen Anwalt nie mit und die Kaiba Corp. hatte Jacob noch nie von innen gesehen. Und trotzdem hatte ich das gefährliche Gefühl, die beiden würden sich kennen.

Ich hoffte Miss Yuen würde uns die Gelegenheit geben, ein kurzes Vorabgespräch mit ihr zu führen. Dann könnte ich ihr unterschwellig klar machen, dass Wheeler die Gepflogenheiten unserer Gesellschaftsschicht nicht bekannt waren und auf Verständnis hoffen. Vermutlich würde sie keines haben, aber ein Versuch war es wert.

Allerdings ließ sie mich nicht eine Sekunde zu Wort kommen. Sie hob abwehrend die Hand, kaum das Jacob und ich vor ihr zum Stehen kamen.

»Mister Kaiba, schön das Sie doch noch kommen konnten. Und Ihr Verlobter? Das ist doch nicht etwa Mister Harrison? Mein Mann sagte mir, der junge Herr hieße Wheeler.«

»Dass Sie mir solch eine Geschmacksverirrung zutrauen, kränkt mich schon fast«, antwortete Jacob mit einem gespielten Lächeln auf den Lippen.

Wenn wir nicht Miss Yuen gegenüberstehen würden, hätte ich ihm für diesen Spruch vermutlich eine geknallt.

Miss Yuen setzte ein ähnliches Lächeln auf. »Manchmal geht die Liebe ungewöhnliche Wege.«

Jacob sah so aus, als wollte er dazu noch etwas erwidern, aber Miss Yuen beachtete ihn ab diesem Moment nicht mehr. Stattdessen blickte sie mich forsch an. »Würden Sie mich dann zu Ihrem Verlobten führen – ich freue mich schon, ihn kennenzulernen!«, sagte sie harsch. Was beinahe nach einer Bitte klang, war eigentlich ein Befehl. Und ein »Nein«, würde diese Frau nicht dulden.

Ich nickte knapp und führte sie dann zu dem Tisch, an dem Wheeler saß. Hoffentlich hatte sein vorangeschrittener Alkoholmissbrauch nicht auch schon sein Sprachzentrum vereinnahmt. Dann wären wir geliefert.

Ich räusperte mich verhalten, als wir direkt hinter Wheeler standen. Claudette und er drehten sich zu uns um. Jacobs Mutter verstand glücklicherweise schnell, dass sie jetzt unerwünscht war, weswegen sie ihren Sohn packte und ihn hinfort zog.

Miss Yuen setzte sich wortlos auf den Stuhl, auf dem Claudette eben noch gesessen hatte und ich nahm zu Wheelers linken Platz.

»Sie sind also Mister Wheeler - mein Mann hat mir schon ein wenig von Ihnen erzählt und Ihr Verlobter hat gerade auch schon unaufhörlich von Ihnen gesprochen!«, sagte Miss Yuen kurz nach dem ich mich gesetzt hatte.

Ich zog eine Augenbraue hoch. Ich hatte ihr gar nichts erzählt und ihr Mann konnte auch nicht wirklich viel wissen. Denn die Firma der Yuens stand auf der Liste, an die David ihn nicht rangelassen hatte. Also log sie schamlos. Ich wusste, dass sie schlau und manipulativ war, aber für eine Lügnerin hatte ich sie nicht gehalten. Aber irgendwie passte das gut zu ihr.

»Ich bin mir sicher, dass waren alles Lügen«, sagte Wheeler und setzte sein übliches Grinsen auf.

Am liebsten würde ich ihn berichtigen, denn ich lüge nicht – niemals! Ich erfand hin und wieder Ausreden, mehr aber auch nicht!

Weil ich Miss Yuen jedoch keinen Grund dazu geben wollte, an uns zu zweifeln, ließ ich es.

»Es ist schon sehr merkwürdig, dass Sie das erste Mal öffentlich in Erscheinung treten, als Seto einen verheerenden Autounfall hat - Ihr Verlobter muss sie wirklich gut versteckt haben!«

Man sah Wheeler an, dass er nicht wusste, was er dazu sagen sollte. Wir hatten uns auch nie darüber unterhalten, was er zu Miss Yuen sagen sollte. Ich hatte eigentlich gedacht, sie würde sich vorrangig nur mit mir zu unterhalten. Doch, dass sie jetzt hauptsächlich Wheeler ausquetschte, behagte mir gar nicht. Und ihm auch nicht, denn er tastete unter dem Tisch nervös nach meiner Hand. Am liebsten hätte ich sie weggezogen. Das sah niemand, wofür sollte das also gut sein?

Aber ich ließ es zu, dass er seine Finge mit meinen verschränkte. Ich musste ihm Halt geben, wenn ich verhindern wollte, dass wir aufflogen.

»Ich komme nicht aus ihrer Welt und Paparazzi sind mir ein wenig unheimlich, deswegen habe ich mich im Hintergrund gehalten. Außerdem wusste Seto nicht wie das ganze aufgenommen werden würde, deswegen wollten wir mit einer öffentlichen Bekanntmachung noch eine Weile warten - Aber als dann der Unfall passierte, blieb uns ja nichts anderes übrig«, sagte Wheeler nach ein paar weiteren Sekunden Bedenkzeit. Dass er von Wort zu Wort meine Hand fester umschloss, ignorierte ich.

»Mister Kaiba kann sich glücklich schätzen Sie zu haben. Gäbe es Sie nicht, gäbe es auch keine Verträge mehr mit der Yuen Inc.«

Einen Moment lang entgleisten mir alle Gesichtszüge, doch dann verstand ich, dass sie uns diese Geschichte glaubte und das ihr Wheelers Worte genügten.

Wheeler hatte sich mal wieder nicht unter Kontrolle. Denn als ich gerade etwas sagen wollte, drehte Wheeler sich zu mir um und presste mir seine Lippen auf den Mund. Doch bevor ich mich darauf konzentrieren konnte, musste ich sichergehen das Miss Yuen verschwand. Glücklicherweise sah ich sie aus dem Augenwinkel davon watscheln. Doch als ich mich dann voll und ganz Wheelers Lippen widmen wollte, ließ er schon wieder von mir ab und sah mir in die Augen. Seine durchbohrten mich dabei fast und ich hatte Angst, dass er meine Gedanken lesen konnte.

»Das war die Rache für den Kuss im Fahrstuhl vorhin! Wenn du dich beruhigt hast, kannst du ja gerne mit zu Claudette und Jacob kommen! Ich gehe schon mal vor«, sagte er und verschwand in dem Moment, in dem ich die Hände wieder nach ihm ausstrecken wollte.

Ich könnte schwören, dass er extra so lasziv zu Claudette und Jacob ging, um mich zu ärgern. Aber eigentlich regte mich der Fakt, dass ich auf seinen Hintern starrte und den Blick nicht abwenden konnte, viel mehr auf.

Glücklicherweise setzte sich keine Sekunde später einer meiner Vertragspartner an den Tisch und verwickelte mich in ein Gespräch, das mich von Wheeler und seinem Gewackel ablenkte. Doch vorher fasste ich noch einen Entschluss: Ich musste in dem Vertrag ergänzen, dass dieses Gewackel in der Öffentlichkeit verboten gehörte.

Kapitel 11.2

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Kapitel 12

Es war weit Kaiba hatte sein Auto die Straße hinunter geparkt. Es war ein kleiner, schnittiger Zweisitzer. Ein Sportwagen, der so überhaupt nicht zu ihm passte. Der fiel im Straßenverkehr gar nicht auf und stand im krassen Gegenteil zu seinem sonst so protzigen Auftreten!

»Ich hatte irgendwie etwas anderes von dir erwartet!«, sagte ich und rümpfte die Nase. »Irgendetwas protzigeres!«

»Ich glaube du solltest dich nicht beschweren. Sonst fährst du im Kofferraum mit!«, brummte Kaiba und ging zur Fahrerseite.

Ich prustete los. »Du kannst mir drohen, so viel zu willst, ich habe keine Angst vor dir!«

Kaiba zog eine Augenbraue hoch. »Sieht so ein Schlaganfall aus oder gehört das zu deiner angeborenen Behinderung?«

Einen Moment verwirrten mich seine harten Worte, doch dann streckte ich ihm frech die Zunge heraus. Wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es wieder hinaus!

»Das ist Teil meiner Belustigung – genau wie du!«, sagte ich.

»Pass auf Hund, sonst läufst du zur Villa!«

»Das würdest du eh nicht zulassen! Du würdest dich in den Büschen verstecken und schauen, dass ich mich an deinen bescheuerten Vertrag halte! Blöder Kontrollfreak!«, entgegnete ich unbeeindruckt.

»Ich habe wichtigeres zu tun und außerdem habe ich mich in diesem erbärmlichen Viertel schon lange genug den Blicken irgendwelcher Papparazzi ausgesetzt und will keine Sekunde länger hier sein!«

»Als ob sich hier irgendein Papparazzi in den Büschen versteckt«, brummte ich und verdrehte die Augen. Der Papparazzi, der sich hierhin verirrte, konnte nur von der Umweltschutzzeitung sein, auf der Suche nach Umweltsünden, die sie anschließend der Regierung vorwerfen konnten!

Ich wusste, dass Kaiba meine Worte gehört hatte und das er gerne etwas darauf erwidern wollte. Aber ich setzte mich ins Auto, bevor er sich etwas passendes überlegen konnte. Er musste mir nicht in jeder Sekunde zeigen, dass sein IQ wesentlich höher angesiedelt war, als meiner – das war mir auch ohne seine schlauen Sprüche klar!

Und außerdem gab es wesentlich schlimmere Bezirke in Domino, als die Arbeitersiedlung am Gewerbehafen. Zum Beispiel im Nordosten von Domino, direkt neben den alten Fabriken. Sie wurden alle, eine nach der anderen dicht gemacht, weil die Regierung alle verfügbaren Mittel in den Ausbau des Hafens gesteckt hatte. Die Wohnsiedlung der Arbeiter, wurde von Woche zu Woche leerer. Ein paar der Bewohner, ergatterten einen Job im Hafen und bekamen eins der schönen Reihenhäuser. Alle anderen blieben in der Siedlung zurück und mussten miterleben, wie sie den Gangs und kriminellen Banden zum Opfer fiel.

Ich hatte mich mal dorthin verirrt, als mein Fahrrad kaputt war und ich den Bus nehmen musste. Und ich konnte nicht glauben, was ich dort sah. Drogen-Deals mitten auf der Straße. Freizügige, käufliche Frauen an jeder Straßenecke. Männer, die sich bei Tageslicht gegenseitig Waffen an den Kopf hielten und weit und breit kein einziger Polizist. Wer hier wohnte, musste vermutlich täglich um sein Leben fürchten.

Ich war fast zwei Stunden orientierungslos durch die Straßen dort geirrt und hatte mir vor Angst beinahe in die Hosen gemacht, wenn mir jemand entgegengekommen war. Ich wollte dort nie wieder hin. Im Vergleich zu den Menschen dort, war selbst mein Vater ein Engel!

Kaiba startete wortlos den Wagen und lenkte ihn in Richtung Villa.

Irgendwie war es komisch direkt neben ihm zu sitzen und zu schweigen. Es gab kein Radio, was mich nicht wirklich wunderte. Kaiba hielt Musik bestimmt für eine unzumutbare Belästigung, die seine Konzentration minderte.

Die Karre war auch so hochmodern, dass nicht einmal die Klimaanlage Geräusche machte. Es war sterbenslangweilig! Und die Fahrt würde noch eine ganze Weile dauern, denn wir waren in den Feierabendverkehr geraten und standen gerade im Stau auf der Schnellstraße.

Ich sank tiefer in den Sitz und betrachtete eine Weile die Häuser, an denen wir im Schritttempo vorbeifuhren. Und dann fielen mir die Augen zu.
 

Als ich sie wieder öffnete, stand der Wagen im Vorgarten der Kaiba-Villa.

Ich blinzelte den Schlafsand aus den Augen und streckte mich, so weit das in diesem Schuhkarton überhaupt möglich war.

»Wie lange sind wir schon da?«, gähnte ich.

»Ein paar Minuten.«

Sofort war ich hellwach. »Warum weckst du mich nicht?«

»Ich hatte noch ein wichtiges Telefonat«, antwortete Kaiba ausweichend. »Würdest du dann bitte aussteigen!«

»Kommst du nicht mit?«, fragte ich verwirrt und runzelte die Stirn.

Wenn er gedacht hatte, dass wir schon alles geklärt hatten, dann hatte er sich aber gewaltig geschnitten. Mit seinem „Du gehst mir nicht aus dem Kopf, bist aber trotzdem nervig“ gab ich mich nicht zufrieden! Und außerdem mussten wir noch klären, wie das mit uns weitergehen sollte …

»Ich muss nochmal in die Firma!«, antwortete Kaiba reichlich spät auf meine Frage.

»Kannst du das nicht auf morgen verschieben oder schnell von deinem Arbeitszimmer aus erledigen?«

Ich wollte mich nicht anhören wie die verzweifelte Ehefrau eines Workaholics, aber, dass ich es tat, war mir dann doch recht egal.

»Nein, Wheeler! Es gibt Dinge, die sich nicht aufschieben lassen und die Arbeit geht immer vor – daran kannst du dich schon mal gewöhnen!«, entgegnete er abweisend.

Ich verzog das Gesicht. »Und wann klären wir das mit uns?«

Kaiba stöhnte genervt. »Warum wollen unterbemittelte Menschen immer stundenlang über irgendwelche unrelevanten Themen diskutieren?«, fragte er spöttisch und schüttelte den Kopf kurz. »Ich habe dir vorhin alles gesagt, was es von meiner Seite aus zu sagen gibt!«

»Also erstens bin ich nicht untervermittelt und-«

»Unterbemittelt«

»Was?« Verwirrt schüttelte ich den Kopf.

Kaiba war sichtlich genervt. »Es heißt unterbemittelt!«

Ich verdrehte die Augen. Musste er mich wirklich unterbrechen, nur um mich zu verbessern? Korinthenscheißer! »Dann eben das« - ich knurrte - »und zweitens ist die Sache, wie das mit uns weitergehen soll nicht unrelevant!«

Kaiba schnaubte. »Ich werde die Dinge von vorhin nicht noch einmal wiederholen!«

Er war wirklich unglaublich stur! Aber gut, wenn nicht so, dann eben durch die Hintertür.

»Das heißt, ich muss den Vertrag nicht unterschreiben und wir versuchen es als richtiges Pärchen?«

Ich hoffte, er würde im Eifer des Gefechts einfach zustimmen und ich wäre diesen blöden Vertrag endlich los. Denn ein echter Geschäftsmann stand zu seinem Wort! Aber leider hörte sich Kaiba meine Worte ganz genau an und richtete den Blick dann aus der Frontscheibe.

»Ich habe während der Fahrt darüber nachgedacht« - er machte eine von seinen unnötigen Kunstpausen und mein Herz begann schneller zu schlagen - »aber es würde keinen Sinn machen!«

Mein Herz hörte genau in dem Moment auf, Blut durch meinen Körper zu pumpen, in dem er das letzte Wort aussprach. WAS HATTE ER DA GERADE GESAGT?

Ich wollte ihm bereits widersprechen, doch er sah mich so eindringlich an, dass ich mich doch lieber dazu entschied die Klappe zu halten. Immerhin wollte ich noch ein paar Jahre weiterleben – aber ob ihm das vergönnt war, musste ich mir noch überlegen!

»Wir beide passen nicht zusammen. Und unsere Differenzen werden sich auch niemals überbrücken lassen. Wir haben keine einzige Gemeinsamkeit und das wird sich auch nicht ändern«, führte er seinen Monolog fort – aber ansehen tat er mich immer noch nicht. »Ich kann dir nicht geben, was du willst. Aber du kannst an meiner Seite dennoch ein gutes Leben führen. Ich werde dir die Möglichkeit geben, eine gute Grundlage für dein späteres Leben zu schaffen und du kannst deinen gewalttätigen Vater hinter dir lassen. Und sobald die Alte vom Jugendamt uns in Frieden lässt, kannst du gehen.«

»Was ist, wenn wir bis dahin schon verheiratet sind?«, fragte ich ganz kleinlaut. Weil das vielleicht die einzige Möglichkeit war, bei ihm bleiben zu können, ohne verrückt rüberzukommen.

»Dann werden wir uns scheiden lassen. Du bekommst eine abschließende Aufwandsentschädigung und unsere Wege trennen sich!«

Ich schluckte. Irgendwie wollte ich nicht wahrhaben, was er da gerade sagte. So sehr hatte mich noch niemals jemand verletzt. Kein Schlag oder Tritt meines Vaters, hatte diese Schmerzen in mir hervorgerufen. Dieses Gefühl, von innenheraus zerrissen zu werden. Alles zu verlieren, was ich eigentlich nie wirklich besessen hatte. In ein Loch ohne Boden zu fallen. Für immer zu fallen, nie aufgefangen zu werden.

»Warum hast du mich vorhin gesucht, wenn ich dir ja doch nichts bedeute?« Meine Stimme hatte mich noch nie zuvor so im Stich gelassen, dass sie so leise klang wie jetzt.

Kaiba seufzte. Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man wirklich meinen es würde ihm leidtun. »Du bist mir nicht egal, dass musste ich einsehen, aber du wirst mir niemals so viel bedeuten, dass ich dazu bereit bin eine Beziehung mit dir einzugehen. Ich werde dich niemals lieben – ich werde mich nicht mal oberflächlich in dich verknallen!«

Ich schluckte wieder und wusste nicht, was ich sagen wollte. Das war in seiner Gegenwart noch nie vorgekommen – glaube ich.

Ich musste aus diesem Auto raus, bevor ich erstickte. Aber nicht, ohne meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Denn im Gegensatz zu ihm hatte ich welche!

»Du bist wirklich das größte Arschloch von Domino – ach was sage ich; der ganzen Welt!«, sagte ich und musste mich zusammenreißen, nicht laut zu schreien.

Ich musste früh in meinem Leben lernen, dass man mit schreien nichts erreichte und das es Menschen gab, die so etwas überhaupt nicht beeindruckte. Kaiba war ein Mensch, den gefühlt gar nichts beeindruckte.

Ich öffnete die Tür und wollte aussteigen, doch dann ließ ich mich doch wieder zurück in den Sitz fallen. Ich hatte ihm noch etwas zu sagen!

»Wenn du gedacht hast, du kannst mich trotzdem zum Druckabbau nutzen, dann muss ich dich enttäuschen. Du hast recht: Ich such‘ jemanden, der mich liebt und ich werde mich nicht von jemandem benutzen lassen, der es niemals tun wird!«

Kaiba nickte gleichgültig und ich wollte ihn dafür am liebsten schlagen – mitten ins Gesicht. Ich hatte eine Sekunde wirklich geglaubt ihn umstimmen zu können. Und die Gewissheit, es nicht zu können, zerbrach mir das Herz endgültig.

»Würdest du dann endlich aussteigen – ich will meine Zeit nicht länger mit deinem unwichtigen Gewäsch verschwenden!«

»Ich auch nicht!«, knallte ich ihm wütend an den Kopf und stieg nun wirklich aus.

Ich schmiss die Autotür mir so einer Wucht ins Schloss, dass die Scheibe wackelte. Schade, dass sie nicht aus dem Rahmen fiel. Ich hätte Kaiba das gegönnt – ihm und seinem aalglatten Getue!

Mit stapfenden Schritten entfernte ich mich vom Wagen. In meinem Bauch grummelte jetzt eine unglaubliche Wut und ich hatte große Lust darauf, irgendetwas kaputt zu machen.

Zu schade, dass der Vorgarten der Villa durch den meterhohen, blickdichten Zaun von der Straße abgeschirmt wurde. Ich würde zu gerne sein Gesicht sehen, wenn die Nachbarn sich über seinen niedergetrampelten englischen Rasen lustig machten oder über die völlig verschnittenen Buchsbäume lachten, welche die Einfahrt säumten.

Ich wünschte es gäbe etwas, dessen Zerstörung Kaiba nicht völlig gleichgültig war. Bestimmt gab es auch irgendetwas auf dieser Welt, dessen Verlust er nicht verkraften würde. Aber das befand sich mit Sicherheit nicht in Japan. Kaiba hatte es bestimmt am anderen Ende der Welt deponiert oder ins All schießen lassen, damit niemand auf dieselbe Idee kam, wie ich und ihm so schaden konnte.

Zum ersten Mal sah ich mir die Villa wirklich von außen an und musste feststellen, dass sie nicht gerade einladend wirkte. Der Zaun war bestimmt nicht grundlos so hoch und Kaiba musste heilfroh über sein Dasein sein.

Es wäre eine Schwäche. Nicht nur seine Nachbarn würden sich darüber lustig machen, auch die Reporter der Domino Square würden sich auf diese Story stürzen, wie Aasgeier. Selbst, wenn sie damit nur ein paar wenige skandalöse Zeilen füllen ließen. So funktionierte die Welt der Reichen und Schönen nun einmal. Das hatte selbst ich, trotz meiner recht kurzen Zugehörigkeit, bereits verstanden.

Da ich keinen Schlüssel hatte und mir nicht vorstellen konnte, dass Kaiba so etwas leichtsinniges tat, wie einen Ersatzschlüssel im Vorgarten zu deponieren, blieb mir nichts anderes übrig, als zu klingeln.

Ich konnte nur hoffen, dass Taika zu beschäftigt war, um die Tür zu öffnen. Ihre blöden Sprüche würde ich in meiner jetzigen Verfassung nicht ertragen – sie würden mir vermutlich den Rest geben. Aber vermutlich war sie von Kaibas Angestellten die einzige, die dazu berechtigt war, die Tür zu öffnen, weil nur sie wusste wer in diesem Haus ein- und ausgehen durfte.

Als sich die Tür nach ein paar unendlichen Sekunden endlich öffnete, rechnete ich bereits mit dem Schlimmsten. Doch statt Taikas Gesicht, tauchten die von Mokuba und David in der Tür auf.

Okay, ich nehme alles zurück, was ich gerade über Taika gesagt hatte; die beiden in Kombination, waren noch schlimmer!

»Wo warst du?«, fragte Mokuba mit der Tonlage einer besorgten Mutter, die ihr Kind eine ganze Nacht lang vermisst hatte. Und David hatte den dazu passenden väterlichen Gesichtsausdruck aufgesetzt.

Können die beiden sich nicht einmal um ihren eigenen Scheiß kümmern? Nur ein einziges, verdammtes Mal?

»Spazieren«, brummte ich und drängelte mich an beiden vorbei.

Ich wollte bloß in meine Zelle und die Tür so laut zu schmeißen, dass jeder in diesem gottverdammten Gefängnis es hören konnte. Weil ich wollte, dass jeder bemerkte, wie wütend und traurig und verletzt und unzufrieden ich war!

Ich zog meine Schuhe aus und versteckte sie im Schuhschrank. Hätte Kaiba keine Angestellten, die sie wegräumen würden, hätte ich sie einfach in den Flur gekickt, um ihn damit auf die Palme zu bringen.

»Hat Kaiba dich gefunden? Und hergebracht?«, fragte David.

Ich schluckte. Ich würde ihn gerne anlügen, aber Anwälte erkennen Lügen schon aus einhundert Metern Entfernung. Und David war ein verdammt guter Anwalt?

»Er hat mich hier abgesetzt und ist zurück in seine Firma gefahren!«, antwortete ich ehrlich und versuchte so zu klingen, als wäre nichts weiter zwischen uns vorgefallen. Als hätte er mich nicht auf Wolke sieben befördert, um mich dann wieder mit dem Gesicht zu erst in den kalten, harten Boden zu rammen.

»Ich würde dann gerne auf mein Zimmer, wenn du keine weiteren Fragen hast«, murmelte ich. Denn mittlerweile musste ich mir schon mit aller Kraft auf die Zunge beißen, um nicht zu weinen. Auf Wut folgte für bekanntlich Traurigkeit. Genau diesen Punkt hatte ich jetzt erreicht.

»Der Typ ist wirklich der größte Vollidiot, den ich kenne! Warum arbeite ich eigentlich noch für ihn?«, murmelte David verzweifelt und schlug sich die Hände vors Gesicht.

Mokuba und ich sahen ihn gleichermaßen verwirrt an.

»Ich muss telefonieren«, sagte David dann und verschwand kurz darauf im mittelalterlichen Salon.

»Hast du Hunger? Taika hat gekocht«, wandte sich Mokuba nun an mich.

Da ich immer noch der Meinung war, sie würde mir in die Suppe spucken, sobald sie die Gelegenheit dazu bekäme, schüttelte ich den Kopf. »Eigentlich nicht, ich bin hundemüde!«

Mokuba ließ die Schultern hängen. »Na gut. Ich werde David fragen, ob er mir Gesellschaft leistet. Schlaf gut!«

Es tat mir irgendwie leid, ihn allein zurückzulassen. Aber andererseits, als ich noch nicht hier gehaust habe, musste er auch allein essen, wenn sein Bruder in der Firma war. Also warum sollten wir das jetzt ändern? Zu mal ich mich nach dem heutigen Tag, sowieso nicht mehr mit Kaiba an einen Tisch setzen würde. Der reiche Pinkel konnte mir gestohlen bleiben! Sollte er sich doch jemanden suchen, der sich auf seine Spielchen einließ – ich würde es auf jeden Fall nicht tun! Nicht mal, wenn er mir eine Billion Yen dafür anbietet!
 

Ich schmiss meine Zimmertür genauso laut zu, wie beabsichtig. Aber das Knallen hörte man vermutlich nicht ganz so weit, wie gehofft.

Ich wünschte, die Tür hätte ein Schloss. Irgendwie vermutete ich nämlich, dass die heute noch mindestens ein ungebetener Gast, ungefragt aufreißen würde!

Auf dem Weg zum Bett zog ich mir meine Hose aus und überlegte mir einen Moment, ob ich mir Kaibas Pullover auch abstreifen sollte, entschied mich dann aber dagegen. Das Ding war unglaublich bequem und roch verdammt gut. Obwohl er frisch gewaschen war, roch er nach Kaibas – bestimmt sündhaft teurem – Aftershave. Ich hatte eine Schwäche für diesen Duft – auch wenn ich den Träger nicht hasste.

Ich kuschelte mich in meine dünne Decke und zog den Rollkragen bis zur Nase hoch. Dann schloss ich die Augen und fragte mich, warum ich meinen Leben nicht einmal etwas einfach sein konnte. Verdient hatte ich das ja wohl wesentlich mehr, als so manch anderer! Und ich weinte mich in den Schlaf.
 

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Mein knurrender Magen weckte mich schließlich irgendwann. Als ich einen Blick auf den Wecker warf, wäre ich vor Schreck beinahe aus dem Bett gefallen. Es war kurz vor Mitternacht.

Ich stöhnte und drückte mein Gesicht ins Kopfkissen. Eigentlich sollte es nur ein Erholungsnickerchen werden, kein Dornröschenartiger Tiefschlaf.

Ich krabbelte aus dem Bett und kramte aus meinen Kartons eine Jogginghose heraus. Ich hatte mit dem Gedanken gespielt sie auszuräumen. Das war gestern Abend gewesen, als Paul durch mein Zimmer gewuselt war und sie ständig schräg angesehen hatte. Da ich aber nicht wusste, wie viel Kaiba über meine Anwesenheit erzählt hatte, ließ ich das ganze unkommentiert.

Im gesamten oberen Stockwerk war es zappenduster und ich gab mir Mühe, keine lauten Geräusche zu machen. Was eigentlich totaler Schwachsinn war, denn in dem Flügel schlief außer mir sowieso niemand.

Zu meiner Überraschung brannte im Erdgeschoss noch fast in jedem Zimmer Licht. Und aus der Küche kamen Geräusche. Bestimmt traf Taika dort Vorbereitungen für das Frühstück und dachte sich neue Gemeinheiten aus. Der Verdacht, dass sie ein Vampir oder eine Mumie war, verhärtete sich immer mehr. Denn ich hatte sie noch nie kommen oder gehen gehört oder gesehen. Sie musste Tag und Nacht durch die Villa rennen und irgendwelche Dinge erledigen. Schlief das Monster eigentlich auch irgendwann?

»Warum hast du das getan«, sagte eine bekannte Stimme. Sie kam aus dem Salon.

Ich runzelte die Stirn. Was hatte David denn noch hier verloren? Sollte der nicht auch schon längst im Bett sein? Lebte ich hier nur mit Vampiren zusammen?

»Gefühle sind bloß Trugschlussbilder – nichts weiter, als sinnloses Gewäsch. Und es wäre nicht fair, ihn an mich zu binden, wenn er eigentlich etwas ganz anderes will, als mich!«, antwortete eine weitere Stimme. Kaiba.

Sofort war meine Laune wieder im Keller. Trotzdem packte mich die Neugier. Ich näherte mich der Tür und spitzte aufmerksam die Ohren.

»Hast du ihn überhaupt gefragt, was er will oder hast du ihn einfach in irgendeine Schublade gesteckt?«

Kaiba zischte. »Es gibt keine Schublade, die für seine sprunghafte Persönlichkeit groß genug wäre!« Dann seufzte er. »Wheeler braucht Liebe! Jemand, der ihn in den Arm nimmt und ihn vor der bösen Welt beschützt, für die er sie hält! Wheeler braucht jemand, der ihm zu Füßen liegt und ich unterwerfe mich nicht! Und außerdem habe ich keine Zeit, das Hündchen zu befriedigen – die Kaiba Corp. ist nach wie vor kein Selbstläufer!«

Ich verzog das Gesicht. Meine Meinung über Kaiba änderte sich nicht. Er würde für immer das aalglatte Arschloch bleiben, dass er immer schon war!

»Also bleibst du lieber einsam?«

»Ich bin nicht einsam – ich bin Einzelgänger! Ich brauche niemanden, der mir mit seinen Bedürfnissen und Wünschen auf den Sack geht und mich mit seinem Verlangen nach Aufmerksamkeit von der Arbeit ablenkt!«

David seufzte resigniert. »Ich habe keine Lust weiterhin Lumière zu spielen! Ich werde überlegen wie wir die Alte vom Jugendamt loswerden und dann werde ich Joey mit einer Entschädigung zu seinem Vater zurückschicken. Du machst ihn noch mehr kaputt, als er!«

Ein Glas wurde schwungvoll mit einem lauten Knall auf dem Tisch abgestellt. »Das wirst du nicht tun!«, knurrte Kaiba.

Ich verdrehte die Augen. Es würde noch eine ganze Weile dauern, bis Hades Sakura freiwillig von uns abließ. Bis dahin würde Kaiba mich nicht in Ruhe lassen. Und erst recht, würde er mich nicht gehen lassen.

»Keine Sorge, wegen Mokuba fällt mir schon etwas ein!«

»Vergiss mein Bruder! Joey geht unter keinen Umständen zurück zu seinem Erzeuger!«

Ich hielt erschrocken die Luft an. Und aus Davids Mund kam ein überraschter Laut. »Warum sollte er nicht dorthin zurück? Nach eurer Trennung hat er keinen Grund dazu, weiterhin hier zu wohnen. Also warum er sollte dann nicht zurück zu seinem Vater? Da gehört er bis zu seiner Volljährigkeit hin!«

»Ich werde nicht zulassen, dass dieses Monster ihn nochmal anfasst!«

Erschrocken über Kaibas Worte, stolperte ich von der Tür zurück und starrte sie an, als wäre sie das Tor zur Hölle.

Davids Lachen drang an meine Ohren. »Das ist viel zu kitschig für dich. Eigentlich müsstest du dich noch immer mit Händen und Füßen gegen Joeys Anwesenheit wehren – ich will mehr Widerworte von dir!«

»Das ist überhaupt nicht kitschig; es ist die Wahrheit!«

»Du bist besorgt um ihn und du denkst ständig an ihn. Und er ist nicht eingeschlafen, bevor ihr Sex haben konntet, du hast ihn abgewiesen, weil du nicht ausnutzen wolltest, dass er betrunken war!«

»Muss ich mir das jetzt jeden Tag von dir anhören? Was sollte ich deiner Meinung nach denn tun sollen? Rücksichtslos über ihn herfallen?« Kaibas Stimme klang so ungewohnt unsicher und auch irgendwie verwirrt, dass ich schon beinahe Mitleid mit ihm hatte.

»Das hätte auf jeden Fall besser zu dir gepasst, als ihn zu umarmen!«

»Dann werde ich mich beim nächsten Mal nicht zurückhalten, damit ich wieder in das Bild passe, was du dir über mich gemacht hast!«

David stöhnte genervt. »Kannst du nach dem heutigen Tag nicht endlich zugeben, dass du in ihn verliebt bist? Was, verdammt nochmal, hindert dich daran?«

Mein Herz begann wild zu klopfen. So laut, dass ich befürchtete, die beiden könnten es hören. Ich wartete ungeduldig auf seine Antwort und würde nicht eher verschwinden, bis ich sie bekommen hatte. Doch Kaiba schwieg beharrlich.

Bestimmt überlegte er gerade, wie er sich aus der Sache wieder herausmanövrieren konnte, ohne zu viel von sich Preis zu geben.

Dann seufzte er plötzlich und mir sprang beinahe das Herz aus der Brust, vor Aufregung.

»Fahr nachhause, es ist spät.«

Zum zweiten Mal an diesem Tag erlitt ich einen Herzstillstand. Auch David schien mit der Antwort nicht zufrieden. Wieder knallte ein Glas auf der Tischplatte.

»Na schön, du willst zu mir nicht ehrlich sein, aber sei es wenigstens zu dir selbst! Du brichst dir dabei schon keinen Zacken aus der Krone. Obwohl es für dich schon ziemlich schlimm sein muss, nicht so kaltherzig zu sein wie Gozaburo dich haben wollte. Aber du scheinst nach alle den Jahren noch immer nicht verstanden zu haben, dass du nicht er bist!« Stoff raschelte – bestimmt Davids Jacke.

Es war an der Zeit zu verschwinden. Nur blöderweise waren meine Füße plötzlich wie festgewachsen und ich konnte mich keinen Millimeter bewegen.

»Heul mir aber nicht die Ohren voll, wenn Joey sich irgendwann für jemand anderen entscheidet!«

»Werde ich nicht!«

»Dein Ohr in Gottes Ohren! Gute Nacht!«

Schritte hallten auf dem Boden wider und ich konnte mich endlich vom Boden lösen. So schnell ich konnte, rannte ich in die Küche und lauschte wenige Sekunden später der zufallenden Eingangstür. Erleichtert atmete ich aus. Er hatte mich also nicht bemerkt.

Ich drehte mich um und erblickte Taika. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und sah mich bitterböse an.

»Hat dir deine Mutter nicht beigebracht, dass man andere Menschen nicht belauscht?«, zischte sie.

Am liebsten hätte ich ihr ehrlich geantwortet, dass meine Mutter mich verlassen hatte, bevor ich alt genug war, so etwas zu lernen. Aber das ging sie nichts an, also hielt ich die Klappe.

»Ich habe niemanden belauscht, ich wollte nur nicht gesehen werden«, log ich scheinheilig und drängelte mich anschließend an ihr vorbei zum Kühlschrank.

»Und was hast du verlauster Köter jetzt vor?«, herrschte sie mich an.

»Ich suche nach etwas essbarem – habe heute unglücklicherweise das Abendessen verpasst.«

»Das ist nicht mein Problem – jetzt sieh zu, dass du hier verschwindest!«

Ich drehte mich langsam zu ihr um und grinste sie selbstgefällig an. »Wussten Sie, dass Hunden über Nacht immer eine Schüssel Trockenfutter bereitstehen sollte?! Sie sollten den Haus- und Hofhund nicht verkümmern lassen!«

Sie zog die Augen zu schlitzen zusammen und seufzte dann genervt. »Na schön, setz‘ dich hin – ich wärme dir etwas vom Abendessen auf!«

Mir verschlug es die Sprache. Die alte Schrapnelle konnte ja doch freundlich sein. Da brat‘ mir einer einen Storch.

»Warum so freundlich Taika? Angst vor Ärger mit dem Hausherrn?«, stichelte ich, weil ich vermutete, dass das ihr Schwachpunkt war.

Sie lachte spöttisch. »Wegen dir, sind Seto und ich uns wohl einig: Du gehörst hier nicht her! Aber du bist eine willkommene Abwechslung für Mokuba – und sein Spielzeug verhungern zu lassen, wäre sträflich!«

War mir irgendwie klar, dass sie so etwas sagen würde. Aber es war mir egal, solange sie mir bloß was zu essen machte, wenn ich das schon nicht selbst durfte.

Wenig später stellte sie mir einen Teller voller Brokkoliauflauf vor die Nase (ich hatte aufgepasst, dass sie mir nicht hineingespuckt hatte) und wünschte mir scheinheilig einen guten Appetit. Dann suchte sie das Weite. Wenn die Theorie mit der Vampir-Sache stimmte, ging sie bestimmt in den Keller und stieg in ihren Sarg.

Nachdem ich die Hälfte meiner Portion verschlungen hatte, tauchte sie wieder auf. Sie trug eine Jacke und hatte sich eine Tasche umgehängt.

»Ich werde jetzt nachhause gehen. Sie können Mister Kaiba ausrichten, dass Minako das Frühstück morgen zu bereiten wird und ich erst um 10.00 Uhr hier erscheinen werde!«, informierte sie mich launisch.

»Sehe ich aus wie Ihre Assistentin? Sagen Sie dem Eisklotz doch selbst Bescheid! Er ist bestimmt noch wach«, entgegnete ich missmutig und schob mir anschließend eine volle Gabel in den Mund.

»Ich glaube, Seto sollte man im Moment lieber nicht stören!«

Ich schlug mir die Hand vor die Stirn. »Ach ja; bestimmt sitzt er wieder in seinem Arbeitszimmer und brütet über irgendwelchen Unterlagen – seine blöde Firma geht ja immer vor. Entschuldigung, dass ich dies vergaß!«, antwortete ich gespielt überrascht.

Taika verzog das Gesicht. »Sie sollten schon Mal eine Rede vorbereiten«, sagte sie zusammenhangslos.

Ich legte den Kopf schief. »Was?«

»Wenn Sie Seto bei der nächsten Wahl zum ungehobelten Klotz schlagen, erwartet man bestimmt, dass sie etwas dazu sagen können!«

Dann rauschte sie ab, bevor ich dazu kam, ihr zu antworten. Ich starrte ihr ein paar Sekunden nach. Dann zuckte ich unbeteiligt mit den Achseln und kümmerte mich mit Begeisterung um den Rest meines Brokkoliauflaufs.

Also kochen kann die Frau, dass muss man ihr lassen!

Ich vertilgte den Rest meines verspäteten Abendessens und stellte den Teller ordnungsgemäß in die Spülmaschine.

Bevor ich die Küche verließ, wagte ich einen vorsichtigen Blick in den Flur. Das Licht war jetzt überall aus und es herrschte schon beinahe gespenstische Stille im Erdgeschoss. Das hieß, Kaiba hatte sich in seine privaten Gemächer zurückgezogen. Erleichtert atmete ich aus. Noch eine Auseinandersetzung mit ihm, wäre für heute zu viel des Guten. Und ich wollte mit meinem Geschrei Mokuba nicht wecken. Er brauchte davon nichts zu wissen. Auch wenn es irgendwie seine Schuld war, dass ich mich in dieser Situation befand.

Dieses Mal brauchte ich nicht durch den Flur zu rennen und ich machte mir auch nicht die Mühe, extra leise zu sein. Doch als ich an der Tür zum Salon vorbeikam, erschreckte ich mich beinahe zu Tode, denn Kaiba stand plötzlich vor mir. Nur sah er überhaupt nicht gut aus. Irgendwie … Verheult und völlig verzweifelt. Ich runzelte die Stirn.

»Hast du geweint?« Taika hatte Recht; ich konnte ihm seinen Rang als ungehobelten Klotz wirklich ablaufen, wenn ich weiter wie der Elefant im Porzellanladen benahm.

Er sagte gar nichts. Er ging einfach einen Schritt zurück in den Salon und knallte mir die Tür vor der Nase zu.

Einen Augenblick spielte ich mit dem Gedanken, ihm zu folgen, aber dann schloss er die Tür ab. Und ich würde mir nicht die Blöße geben und ihn zum aufmachen bewegen – so verzweifelt war ich nun auch wieder nicht. Und außerdem schien er nicht mit mir reden zu wollen. Also ging ich zurück in mein Zimmer und legte mich wieder ins Bett.

Aber ich schlief nicht gut in dieser Nacht. Ich träumte von Kaibas geröteten Augen und von einer Hochzeit, auf der mein Vater uns traute und Miss Sakura direkt neben ihm stand – mit ihrem typischen, teuflischen Grinsen im Gesicht.
 

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Ich wachte erst gegen Mittag wieder auf, als nicht mal mehr meine dunklen Gardinen die penetranten Sonnenstrahlen abhalten konnten.

Ich duschte gründlich und nahm mir anschließend vor, meinen Freunden einen Besuch abzustatten. Ich hielt es in dieser Villa keinen Tag länger aus.

Ich suchte gerade nach meinem Portemonnaie, als es an meine Tür klopfte. Erstaunt zog ich die Augenbrauen hoch. Wer besaß denn in diesem Haus seit neustem Anstand?

»Herein«, sagte ich missmutig und kramte weiter in meinen Kartons herum.

»Hallo Joey.«

Ich drehte mich um. David stand jetzt mitten in meinem Zimmer. Wieder ohne Jackett, aber mit hochgerollten Hemdärmeln. Also kein Bürotag für ihn. Arbeitete der überhaupt noch?

»Was willst du? Ich hab‘ zu tun!«

»Morgen ist der letzte, reguläre Ferientag!«

»Ja und? Muss ich noch irgendetwas erledigen, weil du das so betonst? Einen bestimmten Verhaltenskodex für die Schule auswendig lernen oder so?«, entgegnete ich zerknirscht. »Wenn ja, drucks aus. Ich lerne es auf dem Weg zu Yugi und den anderen!«

»Kaiba hatte mir erzählt, du wolltest Urlaub am Meer machen?«

»Ja und? Denkst du ich fahre allein dorthin? Sicherlich nicht! Dann vegetiere ich doch lieber hier vor mich hin!«

Einen kurzen Moment war ruhe, dann seufzte David genervt. »Ihr beide seid wirklich so etwas von …« Ich wartete darauf, dass er den Satz beendete, aber es kam nichts aus seinem Mund. Schließlich winkte er ab. »Lassen wir das. Ihr fahrt heute Abend noch los, an die Küste. Wir haben ein Ferienhaus direkt am Strand im Süden gebucht. Es wird dir bestimmt gefallen!«

»Ich hoffe da gibt es Internet und ein Arbeitszimmer. Sonst wird Kaiba mächtig unzufrieden sein!«, erwiderte ich.

Nachdem gestrigen Tag, würde ich bestimmt nicht mit Kaiba ans Meer fahren – so weit kommts noch! Am Ende vergräbt er mich noch lebendig am Strand und erzählt der Polizei anschließend, ich wäre betrunken schwimmen gewesen und nie wieder zurückgekehrt. NUR ÜBER MEINE LEICHE!

»Kaiba wird sich an diesem Wochenende um nichts kümmern müssen. Makoto und ich erledigen das wichtigste!«

»Ich passe. Lass‘ Kaiba und Mokuba doch allein fahren – den beiden tut das bestimmt gut!« Für mich war das Gespräch damit erledigt und ich widmete mich wieder meiner Brieftaschen-Suche.

»Du gehörst jetzt dazu und ihr werdet heute Abend alle drei im Auto sitzen; und wenn ich dich knebeln und fesseln muss, dann soll mir das recht sein!«, fauchte er und verschwand anschließend, aber nicht ohne meine Tür laut zu, zu knallen.

Ich stöhnte genervt und schmiss vor Wut einen meiner Kartons um. Warum bildeten sich hier ständig alle ein, sie könnten Dinge über meinen Kopf hinweg entscheiden? Ich bin kein kleines Kind und auch kein lebloser Gegenstand!

Mein Portemonnaie purzelte aus dem umgestoßenen Karton und klappte auf. Mein Blick fiel direkt auf ein Foto meiner Familie.

Es wurde gemacht, als wir alle noch glücklich waren. Als alles noch gut war. Zu dem Zeitpunkt hatte mein Vater noch nicht getrunken und meine Mutter konnte in seiner Gegenwart noch lächeln. Und ich hatte Serenity voller Stolz einen Arm um die Schulter gelegt und zeigte breitgrinsend ein Peace in Richtung Kamera. Von unserer Familie existierte kein schöneres Bild. Dann packte meine Mutter ungefähr ein Jahr später ihre Sachen und nahm Serenity mit. Sie sah mich an, mit ihren braunen Augen und ihrem Blick lag so viel Angst und Verachtung, dass sie es nicht schaffte, mich länger als ein paar Sekunden anzusehen. Dann verschwand sie und ließ mich bei meinem Vater zurück.

Ich hatte nie erfahren, ob er sie auch geschlagen hatte und ob sie deshalb geflüchtet war. Und ich wusste nicht, ob sie mich bei ihm zurückgelassen hatte, weil ich haargenau aussah wie er und sie dachte, in mir würden nur seine bösen Gene stecken. Fakt war nur, sie war daran schuld, dass ich in den vergangenen Jahren solche Qualen erleiden musste und das würde ich ihr niemals verzeihen.

Ich hatte also, wenn man es genau nimmt, überhaupt keine Familie mehr.

Aber vielleicht hatte David ja doch recht. Vielleicht gehörte ich hierher, an Kaibas und Mokubas Seite. Vielleicht könnten diese Menschen hier, meine neue Familie werden. Egal, ob ich nun etwas mit Kaiba habe oder nicht.

Ermutigt stand ich auf und schüttelte dann doch den Kopf. Nein, Kaiba und ich würden niemals eine Familie werden. Ich brauchte mich darum auch nicht mehr bemühen. Und deswegen würde ich auch nicht mit ihm und Mokuba in den Urlaub fahren. Denn das würde an der Gesamtsituation überhaupt nichts ändern!

Ich stopfte meine Brieftasche in die Hosentasche und machte mich auf dem Weg zu Yugi. Ich brauchte meine Freunde jetzt um mich herum, bevor ich komplett irre werden würde!

Kapitel 13

Yugis Großvater hatte seinen Laden heute nicht geöffnet. Das machte er immer am letzten offiziellen Ferientag. Aber nicht um die Zeit mit Yugi zu verbringen, sondern um sich noch einen Tag Ruhe zu gönnen, bevor die Kinder ab nächster Woche auf dem Heimweg wieder vorbeikommen würden. Denn in den Ferien ist im Spielzeugladen Ruhe – komischerweise.

Yugis Großvater öffnete mir die Tür und schien sehr überrascht, mich zu sehen.

»Oh Hallo Joey«, sagte er lächelnd. »Yugi ist mit den anderen im Park!«

Ich runzelte die Stirn. Warum hatten Sie mir nicht Bescheid gesagt? Sie hätten mir ja wenigstens eine SMS schicken können.

Ich bedankte mich und ging direkt in den Park.

Yugi, Tea, Tristan, Duke und Ryu saßen auf einer Decke im Schatten und spielten Karten. Es tat beinahe etwas weh, sie alle so vertraut beieinander zu sehen. Warum hatten sie nicht angerufen? Vielleicht wollten sie mich ja gar nicht sehen?

Einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, wieder zurück in die Villa zu fahren, doch dann entschied ich mich anders. Wenn ich Ihnen etwas getan hatte und sie mich deswegen nicht mehr sehen wollten, konnten sie mir das wenigstens sagen.

Yugi bemerkte mich als erster. Mit großen Augen ließ er die Karte fallen und sprang von der Decke auf. »Joey? Was machst du denn hier?«

»Ich war bei deinem Großvater und der hat mir gesagt, dass ihr im Park seid. Es war sterbenslangweilig bei Kaiba also bin ich abgehauen!«, sagte ich schulterzuckend.

Tristan zischte. »Ach, dir war langweilig, da waren wir jetzt plötzlich wieder gut genug oder wie?«

Ich legte den Kopf schief. »Wie meinst du das? Die letzten Tage waren ziemlich anstrengend – ich hatte einen vollen Terminkalender!« - oder durfte das Haus nicht verlassen!

Tristan schmiss seine Karten auf die Decke. »Das kann ich mir vorstellen, als Kaibas Schoßhündchen hattest du bestimmt eine ganze Menge zu tun.« Die Art und Weise wie er das sagte, ließ Wut in mir aufkeimen.

»Worauf willst du hinaus?«, knurrte ich.

»Du vögelst Kaiba, gehst mit ihm zu irgendwelchen Veranstaltungen, himmelst ihn in aller Öffentlichkeit an und meldest dich nur noch, wenn er dir gerade nicht zur Verfügung steht! Das ist peinlich und noch dazu bescheuert. Ihr hasst euch und die ganze Welt weiß das!«, keifte er.

»Ich vögel‘ überhaupt niemanden und anhimmeln tu ich ihn auch nicht! Er ist ein Arschloch und das wird er wohl auch immer sein! Was ist denn dein Problem? Als ich euch neulich treffen wollte, wart ihr alle beschäftigt!«, schrie ich zurück.

»Wir sind deine Freunde! Wir waren immer für dich da und kaum kommt jemand daher, der Geld hat und berühmt ist und schon, sind wir für dich nur noch Luft!« Er schnappte sich seine Jacke und stand auf. »Komm‘ nicht in ein paar Wochen heulend angerannt, wenn er dich gegen jemanden besseren austauscht!«

Bevor ich noch etwas dazu sagen konnte, verschwand er. Ich ballte die Hände zu Fäusten und sah ihm nach. Ich würde ihm gerne hinterherrennen und ihm alles erklären. Dass Kaiba und ich nicht vögeln, dass wir nicht zusammen sind und das ich auch nicht sein Schoßhündchen bin. Aber Tristan würde mir sowieso nicht zuhören. Er war aufgebracht und brauchte seine Zeit. Und wenn er mir in ein paar Tagen immer noch nicht zu hören wollte, sollte er eben dumm sterben!

Ich atmete tief durch und wandte mich wieder an meine anderen Freunde. »Werdet ihr mir zu hören? Oder habt ihr vor einen ähnlichen Auftritt zu bringen, sobald ich anfange zu reden?«

Duke, Tea und Ryou warfen sich einen unsicheren Blick zu, ehe sie nickten und Tea sogar einladend auf die Decke klopfte.

Zögerlich ließ ich mich fallen. Auch Yugi setzte sich wieder hin.

»Also dann … Erzähl …«, forderte Yugi mich auf.

»Kaiba ist ein Arschloch!«, sagte ich seufzend.

»Ach was« - Duke schnalzte mit der Zunge - »erzähl uns was Neues!«

»Nein wirklich – er kann einem das Leben zur Hölle machen und seine Haushälterin ist noch schlimmer!«, seufzte ich theatralisch und brachte damit Tea zum Lachen.

»Womit warst du denn beschäftigt in den letzten Tagen? Muss ja sehr spannend gewesen sein, wenn du freiwillig mitgegangen bist?!«, fragte Duke neugierig.

Ich biss mir auf die Zunge. Am liebsten würde ich ihnen von Kaibas dämlichen Vertrag erzählen, der mich schon etliche Nerven gekostet hatte. Oder von dem, was nach der Firmenfeier der Yuens passiert ist. Von der Sache gestern und dem Gespräch, zwischen Kaiba und seinem Anwalt. Aber ich traute mich nicht, etwas zu erzählen. Ich hatte Angst, dass sie mich nicht verstehen würden und, dass ich mich lächerlich machte. Denn ich hatte mich in Kaiba verknallt und ich wollte nicht, dass meine Freunde mich dafür verurteilten oder deswegen im Stich ließen. Oder auslachten; dass wäre nicht auszuhalten.

Aber sie sind meine Freunde und ich kann es ihnen nicht für immer vorenthalten. Also besser später als nie mit der Wahrheit herausrücken, oder?

»Hey – was ist los Joey?«, fragte Tea und streichelte über mein Knie.

»Ich hab‘ mich in Kaiba verliebt«, gestand ich kleinlaut und war bedacht darauf, keinem meiner Freunde in die Augen zu sehen. Irgendwie war es verdammt peinlich das laut auszusprechen!

»Oh«, machte Tea überrascht.

Yugi lächelte zurückhaltend. »Weiß Kaiba das?«

Ich nickte. »Aber er will nichts von mir.«

»Sicher? Das sah auf den Fotos aber ganz anders aus!«

Jetzt sahen wir alle Duke fragend an und in mir machte sich Panik breit. WELCHE BILDER? Es gab doch von mir nur dieses eine einzige?!

»Wovon sprichst du?«, fragte ich nervös.

»Ach – ich verfolge den privaten Blog der Yuens schon eine ganze Weile. Meine Mutter hat ihn vor ihrem Tod abonniert und sich über die Einträge immer köstlich amüsiert. Dieser Blog ist das Klatsch- und Tratsch Magazin für die Reichen und Schönen von Domino!«, erklärte Duke schulterzuckend. »Als Besitzer einer Spieleladenkette sollte man über die High-Society Bescheid wissen!«

Tea verdrehte die Augen. »Du wirst niemals in den gleichen Kreisen verkehren wie Seto Kaiba!«

»Warts ab! Wenn Dungeon Dice Monters richtig berühmt geworden ist, werde ich mit Kaiba Tee trinkend auf euch hinabsehen!«, stichelte Duke zurück und streckte ihr feindselig die Zunge raus.

Ryou schüttelte angesichts des kindischen Verhaltens nur mit dem Kopf.

»Wie sahen wir auf den Bildern denn aus?«, fragte ich Duke. Kaiba hatte den Blog der Yuens bestimmt nicht abonniert. Der hielt sowas vermutlich für reine Zeitverschwendung. Ich würde sie also niemals zu Gesicht bekommen.

Duke begann zu grinsen. »Verliebt – ein anderes Wort fällt mir dafür nicht ein. Kaiba hat dich angesehen, als wärst du der kostbarste Schatz, den er jemals gefunden hat!«

»Dann ist er wirklich ein verdammt guter Schauspieler«, murmelte ich niedergeschlagen und zupfte ein paar Grashalme aus der Erde.

»So etwas kann man nicht spielen – nicht so überzeugend! Zu mindestens nicht, wenn man keinen Schauspiel-Unterricht hatte«, mischte sich Tea ein.

Yugi und Ryou nickten bekräftigend.

Ich wettete um mein schwarzes Rotauge, dass keiner von den dreien die Fotos gesehen hatte. Aber ich wollte darüber nicht mit ihnen diskutieren, ich kannte die Bilder ja selbst nicht.

»Er hat mir aber gestern klipp und klar gesagt, dass er nichts von mir will – außer ab und zu auf mich draufsteigen! Und ich bin kein Spielzeug, was man immer mal benutzen kann, wenn man gerade Lust darauf hat!«, sagte ich nachdrücklich und blickte jeden von ihnen eindrücklich an.

Dann seufzte ich. »Ich will mich mit euch nicht streiten, deswegen. Ich bereue es, der ganzen Sache überhaupt zugestimmt zu haben. Am liebsten würde ich das alles rückgängig machen!«

Yugi räusperte sich. »Aber dann wärst du noch bei deinem Vater und das wäre … schlecht. Du hast das, was er dir antut nicht verdient! Wenn wir dich hätten dort rausholen können, hätten wir es schon längst getan!«

Ich runzelte die Stirn. »Also findet ihr es gut, dass ich jetzt bei Kaiba lebe und mich von ihm auch behandeln lassen muss, wie einen Aussätzigen?«

Duke zuckte mit den Schultern. »Tristan findet es nicht gut. Er meinte, dass du nicht zu Kaiba passt und hatte die ganze letzte Woche schlechte Laune deswegen. Aber wir sind froh darüber. Du kannst bei Kaiba ein wesentlich ruhigeres Leben führen, auch wenn er dich nervt; wenigstens schlägt er dich nicht alle zwei Tage grün und blau!«

Erschrocken sprang ich auf. Ich wusste, dass meine Freunde über meinen Vater und mich Bescheid wussten, obwohl ich Ihnen nie etwas erzählt hatte. Aber, dass sie mich lieber bei Kaiba haben wollten, als bei mir zuhause, verletzte mich … Irgendwie. Sie alle hatten Familie, in deren Arme sie sich jeden Abend flüchten konnten, wenn die Welt mal wieder gemein zu ihnen war. Mein Vater hätte das bei mir zwar nie zugelassen, aber ich hatte mich wenigstens wohl bei ihm gefühlt … So einigermaßen; wenn er nicht zuhause war. In Kaibas Villa fühlte ich mich … gefangen – nicht mehr und nicht weniger!

»Das Kaiba mich nicht will, tut irgendwie mehr weh, als die blauen Flecken«, flüsterte ich leise und verschwand aus dem Park.

Warum war ich eigentlich hergekommen? Warum hatte ich mir Hilfe von Menschen erhofft, die vermutlich noch nie verliebt waren? Sie hatten keine Ahnung davon, wie ich mich fühlte oder in was für einem Dilemma ist steckte. Sie waren meine Freunde, aber eigentlich kannten Sie mich gar nicht.

Den Weg zur Kaiba-Villa bei 35 Grad und strahlender Sonne, zu Fuß zurückzulegen, glich einer Art Selbstbestrafung. Weil ich so dumm war, Mokubas absurden Idee zuzustimmen und weil ich so dumm war, mich in Kaiba zu verlieben.

Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und alles was in den letzten Wochen geschehen ist, ungeschehen machen. Sogar Kaibas Unfall, wenn es unbedingt sein musste.
 

Ich brauchte mehr als dreißig Minuten, um zurück ins Nobelviertel zu gelangen. Die Vorgärten waren alle menschenleer und gutgepflegt. Man konnte anhand des Bauwerkes erkennen, welcher Nationalität die Bewohner angehörten, wenn man nicht gerade in so einer Straße wohnte wie Kaiba, wo alle Villen gleich aussahen.

Am Rand des Viertels stand zum Beispiel ein Haus, dass aussah wie ein chinesischer Tempel und daneben eins, dass dem Schloss Versailles nachempfunden war. Noch größer und protziger war nur das nachgebaute Weiße Haus am Ende der Straße, dass sogar den Präsidenten der USA vor Neid erblassen lassen würde.

Mir kam ein Hundesitter mit sechs Kötern an der Leine, entgegen und ein teurer Sportwagen fuhr an mir vorbei. Ansonsten war das Viertel wie ausgestorben.

Vor Kaibas monströsem Tor blieb ich stehen und sah mir die Villa von der Straße aus an. Ich fand sie immer noch hässlich. Das hatte sich seit gestern nicht geändert. Und vermutlich würde ich sie auch immer hässlich finden. Dieser Betonklotz würde niemals mein zuhause werden.

Ich seufzte und fasste einen Entschluss. Ich musste mit David sprechen. Er sollte sich etwas einfallen lassen, um mich aus dieser Situation zu befreien. Ich wollte nicht länger mitspielen.

Direkt neben dem Tor stand eine kleine Säule, auf der in serifenloser Schrift Kaibas Name stand und direkt darunter war der Klingelknopf und der Lautsprecher der Gegensprechanlage. Ich betätigte die Klingel und wusste, dass man einen Roman lesen konnte, bevor jemand antworten würde.

Schließlich hörte man Taikas unfreundliche Stimme durch den Lautsprecher: »Villa Kaiba. Sie wünschen?«

»Ich bin’s!«, antwortete ich.

Taika tat einen unglaublich langen Augenblick gar nichts, dann schnalzte sie mit der Zunge. »Tut mir leid, ich kenne keinen „ich bin’s“!«, antwortete sie spöttisch.

Sie wusste zweifelslos, wer ich bin und hatte einfach nur Lust mich zu Piesacken. Für Sie musste das Leben in dieser Villa schrecklich langweilig gewesen sein, bevor ich aufgetaucht bin.

»Lassen Sie mich bitte rein! Ich komme mir total blöd vor, wenn ich mit diesem blöden Lautsprecher rede! Die Leute schauen schon!«

»Welche Leute? Ich sehe niemanden!«

Einen Moment bin ich verwirrt, aber dann höre ich ein leise surren. Direkt über mir ist eine Kamera, die nach links und rechts schwenkt, als würde sie mir winken – oder eher gesagt, mich verhöhnen.

Ich verdrehte die Augen und wandte mich wieder der Gegensprechanlage zu. »Hier steht Joey Wheeler und bittet um Einlass!«, knurrte ich. Konnte ich noch weiter sinken? Fehlte nur noch, dass Sie mich dazu zwang auf die Knie zu gehen und um Einlass zu betteln.

Taika sagte nichts weiter. Es knackte in der Leitung und das Tor rollte auf.

Die Einfahrt hatte nur eine leichte Steigung, deswegen war es nicht anstrengend Sie hochzulaufen. Aber ich kam mir von Sekunde zu Sekunde bekloppter vor. Wie ein Kind auf einem Schulausflug zur Burgbesichtigung. Obwohl – hier war es dann doch eher eine Kerkerbesichtigung.

Taika wartete in der Tür auf mich und funkelte mich wütend an. Der Tag, an dem Sie das mal nicht tun würde, würde ich mir bunt im Kalender markieren.

»Muss ich dir ein Floh Bad verpassen, bevor du die Villa betrittst oder bist du sauber?«, höhnte sie.

Sie meinte die Frage nicht ernst, dass verriet mir ihr Grinsen. Also antwortete ich ihr nicht und drängelte mich einfach an ihr vorbei.

Ich ging direkt in mein Zimmer und knallte die Tür hinter mir zu. Ich wollte mich aufs Bett schmeißen, den Kopf ganz tief in die Kissen drücken und ganz laut schreien. Doch als ich ans Bett herantrat, fiel mir ein Zettel auf dem Nachttisch auf. Stirnrunzelnd griff ich danach und las mir die Nachricht durch:
 

Denk daran zu packen, wenn du wieder da bist! Um 19.00 Uhr geht’s los. Ich hol dich ab.

- David
 

Ich zerknüllte wütend den Zettel und warf ihn quer durch den Raum. Ich hätte doch nicht zurückkommen sollen. Obwohl ich mir sicher war, dass David mich überall gefunden hätte. Ich sollte meine Klamotten demnächst auf Peilsender kontrollieren.

Ich starrte meine Kisten an. Ich wollte sie nicht auspacken. Aber man verlangte von mir sicherlich angemessene Kleidung. Und ich würde umräumen müssen, um sie zu finden. Also konnte ich die Kisten auch gleich auspacken. Obwohl ich mir sicher war, nicht das zu besitzen, was Kaiba als angemessen empfand. Der kreuzte am Strand bestimmt auch in Anzughose und Hemd auf.
 

׺°”˜`”°º× ☯☯☯ ׺°”˜`”°º×
 


 

Ich faltete gerade die letzte, leere Kiste zusammen, als ich laute Stimmen vernahm. Es hörte sich an, als käme es aus dem Foyer. Ich sollte es ignorieren. Vermutlich hatte Kaiba nur wieder einen Tobsuchtsanfall. Oder Taika stauchte die anderen Angestellten zusammen, weil irgendwer einen Fehler gemacht hatte. Sie war eine Perfektionistin und sie verlangte das auch von allen anderen.

Die Stimmen wurden immer lauter. Ich stand auf und öffnete die Tür, um zu lauschen. Nach nur ein paar Sekunden riss ich erschrocken die Augen auf. Das war nicht Taika und auch keiner von Setos Tobsuchtsanfällen; mein Vater brüllte im Vorsaal herum.

Ich stürmte los. Ich wollte nicht, dass er irgendwen verletzte, der mutig genug war sich ihm in den Weg zu stellen.

Als ich an der Treppe ankam, erfassten meine Augen zu erst die offenstehende Tür in der Mokuba stand und mit schockgeweiteten Augen in den Vorgarten starrte. Ich stürmte die Treppe hinab. Er sollte verschwinden. Ich wollte das mein Vater hier verschwindet. Ich wollte nicht auch noch hier von ihm belästigt werden.

Ich packte Mokuba sanft an den Schultern und zog ihn aus dem Türrahmen. Er sah mich schockiert an.

»Geh in die Küche und bleib da. Ist David da?«, fragte ich.

Mokuba schüttelte den Kopf.

»Dann sag Taika sie soll ihn anrufen.« Mit diesen Worten schob ich ihn in Richtung Küche davon.

Anschließend atmete ich tief ein und aus und ging nach draußen.

Mein Erzeuger und Kaiba standen sich mit geballten Fäusten gegenüber. Sie starrten sich an, direkt in die Augen.

Ich musste etwas tun. Also stellte ich mich genau vor Kaiba und funkelte meinen Vater wütend an.

»Verschwinde«, knurrte ich.

Wer dachte, ich könnte mich nicht gegen ihn wehren, lag falsch! Ich wollte es nur nie, weil ich angst hatte, dass er mich rauschmeißt. Ich wollte den Rest meiner Jugend nicht in einem Heim verbringen, auch wenn es mir dort mit Sicherheit besser gehen würde.

Mein Vater brauchte einen Moment, um mich zu fokussieren. Er war wieder betrunken. Das er in diesem Zustand den Weg hierhergefunden hatte, wunderte mich stark. Aber vermutlich hatte er sich ein Taxi genommen und die Adresse vorher aus der Zeitung oder dem Telefonbuch gerissen. Wo Kaiba wohnte, war für niemanden aus Domino ein Geheimnis. Die Adressen der Reichen und Schönen kannte jeder und sie standen im Telefonbuch, genau wie die Adressen von Schulen und Kindergärten.

»Junge«, lallte mein Vater, »komm her.«

Ich schüttelte den Kopf.

»Komm her!« Er wurde wütend.

Ich schüttelte wieder mit dem Kopf.

»Wenn du nicht sofort herkommst, prügle ich dich grün und blau! Und danach knöpfe ich mir den reichen Pisser vor!«

Ich schluckte. Die Erinnerungen an seine Prügelattacken nahmen mein ganzes Gehirn ein und raubten mir fast die Sinne. Und auch wenn Kaiba in den letzten Tagen nicht gerade nett zu mir war, wollte ich ihm nicht meinem Vater aussetzen. Ich hielt Kaiba nicht für einen Schwächling, aber auch nicht für jemanden der sich lange körperlich gegen meinen Vater behaupten konnte. Und ich wollte nicht, dass er sich mit ihm anlegte. Also blieb mir nichts anderes übrig, als mit meinem Vater zugehen. Nur damit er sich abreagieren konnte.

Ich wollte auf ihn zugehen, als plötzlich jemand nach meiner Hand griff. Ich drehte mich um, es war Kaiba. Er umklammerte mein Handgelenk mit seinen langen Fingern wie ein Schraubstock.

»Nur über meine Leiche!«, knurrte er und zog mich hinter sich.

Er sah mich einen Moment eindringlich an, dann ging er direkt auf meinen Vater zu.

»Verschwinden Sie von meinem Grundstück – sofort! Sonst krame ich jedes Ihrer schmutzigen Geheimnisse hervor und lasse Sie einbuchten. Solange, dass Sie niemals wieder das Sonnenlicht erblicken werden!«

»Was willst du aufgeblasener Schnösel von mir? Gib mir einfach meinen Sohn, dann verschwinde ich von hier!«

Kaiba ballte wieder die Hände zu Fäusten.

Bitte schlag nicht zu, war das einzige woran ich denken konnte.

»Mein Sohn ist kein Schwanzlutscher!«

Doch bin ich, dachte ich, ich bin ein Schwanzlutscher. Wenn dich dieses Geständnis dazu bringt, von hier zu verschwinden, bin ich einer!

»Ist das alles was Sie interessiert; dass Ihr Sohn nur mit Frauen ins Bett steigt und Kinder in die Welt setzt, die Sie auch noch verprügeln können.« Ich wusste nicht was Kaiba damit bezwecken wollte. Ich war nicht einmal in der Lage dazu, seine Wörter zu verarbeiten. Aber ich bewunderte ihn dafür, dass er meinem Vater die Höflichkeit entgegenbrachte, ihn zu siezen.

»Das geht dich gar nichts an und jetzt rück‘ meinen Sohn raus! Er ist nicht dein Eigentum!«

Ich wollte hier nicht mehr sein. Noch gestern wollte ich David bitten, mich hier herauszuboxen. Aber jetzt, wo ich meinen Vater sah, kam mir Kaibas Villa plötzlich wie der Himmel vor.

Kaiba hatte Recht! Ich konnte hier ein gutes Leben haben, egal ob mit oder ohne ihn an meiner Seite. Selbst wenn ich nur der geduldete Haus- und Hofköter bin, ging es mir hier immer noch besser als in dem versifften Haus meines Vaters.

Ich setzte mich in Bewegung. Ich musste meinen Vater dazu bekommen, von hier zu verschwinden.

Ich stellte mich direkt vor Kaiba, nur ein paar wenige Zentimeter entfernt von meinem Vater. Ich sah ihm direkt in die Augen.

»Ich werde nicht mit dir kommen – nie wieder. Verschwinde!«, knurrte ich.

»Ich bin dein Vater; du hast zu machen, was ich dir sage!«

»Du bist ein Arschloch!« Ich wollte es nicht laut aussprechen, es rutschte mir einfach heraus. Aber es gab keinen Zweifel, dass mein Vater jedes meiner Worte verstanden hatte. Denn keine dreißig Sekunden nach dem ich es ausgesprochen hatte, hatte ich bereits seine Faust im Gesicht. Ein weiteres von vielen vorangegangenen Veilchen würde in Kürze mein Gesicht ziehen.

Das nächste was ich mitbekam, war, wie Kaiba mich hinter sich zog und anschließend meinen Vater wütend anfunkelte.

»Das letzte Mal habe ich mich davon abbringen lassen Ihnen eine reinzuhauen; dieses Mal nicht!« Er krempelte seine Ärmel hoch und stürzte sich auf meinen Vater, bevor ich ihn davon abhalten konnte.

Mein Vater hatte nicht damit gerechnet. Er rechnete nie damit, dass jemand zurückschlagen könnte. Für gewöhnlich tat es auch niemand – außer Kaiba.

Ich sollte dazwischen gehen. Mein Verstand schrie geradezu danach. Aber der Teufel auf der anderen Schulter, flüsterte mir zu, dass mein Vater es verdient hatte. Und da Kaiba die Oberhand hatte, gab es für mich überhaupt keinen Grund dazu, die beiden voneinander zu trennen. Zumal ich vermutlich sowieso nicht dazu in der Lage war.

Ich war kein Schwächling, aber eben auch nicht der stärkste. Ich war meistens zu euphorisch, was meine Kraft und meine Fähigkeiten anging, aber ich hatte mich noch nie kampflos geschlagen gegeben. Außer bei meinem Vater. Weil es nie Sinn gemacht hatte, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Er hätte mich vermutlich rausgeschmissen, hätte ich es getan.

Kaiba schlug und trat so lange auf meinen Vater ein, bis dieser am Boden lag und kraftlos röchelte.

»Du fasst ihn nie wieder an, verstanden?! Sonst wirst du das nächste Mal nicht überleben, dass kannst du gerne schriftlich haben!«

Kaiba wartete die Antwort nicht ab, er ließ meinen Vater einfach liegen und drehte sich zu mir um.

Mein Vater hatte auch den ein oder anderen Schlag gelandet. Kaibas Lippe war aufgeplatzt und unter seinem Auge schwoll die Haut bereits an und war tiefrot.

Er blieb direkt vor mir stehen, nahm mein Gesicht in seine Hände. Er atmete so schwer, als wäre er gerade einen Marathon quer durch Domino gerannt.

Ich konnte nicht anders, als ihn schockiert anzusehen.

»Du blutest«, stellte ich wenig geistreich fest.

Er ein zaghaftes Lächeln huschte über sein Gesicht, als hätte er keine andere Aussage von mir erwartet.

»Und du hast ein blaues Auge«, antwortete er, als wüsste ich das nicht selbst.

Einen schier endlosen Moment starrten wir einander nur an. Die ganze Situation kam mir so surreal vor. Niemals in einer Million Jahren hätte ich damit gerechnet, dass ausgerechnet Kaiba mich vor meinem Vater beschützen würde. Aber er hatte es getan, von sich aus; ohne das ich ihn darum bitten musste.

Der Engel auf meiner linken Schulter sagte mir, dass ich meinem Vater helfen sollte. Das er zwar kein guter Mensch war, aber dass ich ihn nicht einfach links liegen lassen konnte. Immerhin hatte er mich großgezogen, als meine Mutter mich nicht haben wollte. Als sie mich einfach zurückgelassen hat.

Und der Teufel auf meiner rechten Schulter sagte mir, dass ich mich jetzt nur auf Kaiba konzentrieren sollte. Ich musste ihn festnageln, ihn dazu zwingen mir zu sagen, dass er sich auch in mich verliebt hatte. Denn nach gerade eben gab es daran keine Zweifel mehr. Und es zu leugnen wäre gelogen.

Doch in dem Moment, in dem ich den Mund öffnete, hörte ich direkt hinter Kaiba den Kies knistern.

Ich schielte an ihm vorbei. Mein Vater hatte es geschafft aufzustehen und sah mich nun wutentbrannt an.

»Du bist nicht mehr mein Sohn!«, sagte er.

Es sollte mich verletzen, mir Tränen in die Augen treiben. Aber es war mir gleichgültig.

»Das war ich nie wirklich; seinen Sohn behandelt man nämlich nicht so«, antwortete ich.

Woher das Selbstbewusstsein plötzlich kam, wusste ich selbst nicht. Vermutlich lag es daran, dass Kaiba noch immer mein Gesicht festhielt. Und das er sofort vor mich springen würde, sollte mein Vater sich wieder in meine Nähe wagen.

Mein Vater hatte dem nichts mehr hinzuzufügen Ich hatte ihn noch nie aufgeben sehen. Doch heute blieb ihm wohl oder übel nichts anderes übrig.

Ich sah meinem Vater einen Moment nach, als er die Auffahrt hinunterlief, lenkte meine Aufmerksamkeit aber doch recht schnell wieder auf Kaiba.

Wir starrten uns wieder an. Irgendwie wurde das langsam peinlich.

»Gibst du es jetzt endlich zu?«

»Was?«, entgegnete Kaiba. Ich schien ihn mit meinen Worten völlig aus dem Konzept gebracht zu haben.

»Das du in mich verliebt bist?«

Statt einer Antwort, zog er mich nur näher an sich heran. Vorsichtig strich er mit dem Daumen über meine Unterlippe.

»So tief bin ich noch nicht gesunken«, murmelte er neckisch.

Ich wollte bereits von ihm abrücken und ihm widersprechen, als er schlagartig seine Lippen auf meine legte und meinen Mund mit seinem verschloss.

Augenblicklich gab ich dem nach. Denn küssen war eindeutig besser, als reden.



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Kommentare zu dieser Fanfic (59)
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Von:  night-blue-dragon
2021-05-03T15:45:05+00:00 03.05.2021 17:45
Ach ja, eine sehr schöne Geschichte, die so zwar enden kann, aber auch noch einige Fragen offen lässt.
Vielleicht findest du noch die Motivation sie noch weiter zu führen.

glg night-blue-dragon

ich lese sie immer wieder gern^^
Von:  MikaChan88
2019-10-04T14:30:31+00:00 04.10.2019 16:30
Super kapi
Von:  night-blue-dragon
2019-09-19T07:39:05+00:00 19.09.2019 09:39
Hallo^^

Der arme Joey hats schon schwer. Ich hätte nicht gedacht, dass sein Vater noch mal auftaucht um ihn 'abzuholen'. Eher rechnete ich damit, dass er tatsächlich Geld von Kaiba fordert, damit dieser Joey behält, dann hätte er sich zu Tode saufen können.
Das Ende sieht vielversprechend aus, wie so oft schon. Ich wette, wenn David die beiden jetzt sehen würde, würde er einen Luftsprung machen und den Kuss der beiden fotografieren, damit er es Kaiba immer wieder unter die Nase reiben kann.

Ich kann mich nur immer wiederholen... ich liebe deine Geschichte und fiebrere dem nächsten Kapitel entgegen.
Zuende kann sie noch nicht sein, da ja immer noch Hades-Sakura ein Auge auf sie hat.^^

Bis dahin
glg night-blue
Von:  Onlyknow3
2019-09-18T16:58:43+00:00 18.09.2019 18:58
Der Kuss kann aber auch eine Antwort sein, ein JA, denk daran Joey.
Super Kapitel, das dir da gelungen ist.
Weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Von:  MikaChan88
2019-08-28T07:46:59+00:00 28.08.2019 09:46
total super Kapi
freu mich schon aufs nächste ^-^

cu,
MikaChan
Von:  night-blue-dragon
2019-08-08T18:46:53+00:00 08.08.2019 20:46
Hallihallo^^

ich hab mich riesig über das neue Kapitel gefreut. Zum Glück hab ich heute frei und konnte es sofort lesen.
Inzwischen schon zum dritten Mal. Hab ich dir schon gesagt, dass ich deine Story liebe?.... Nein?... Ich liebe sie und bin
süchtig nach ihr.

Am liebsten würde ich Kaiba am Kragen packen und ordentlich durchschütteln, vielleicht würde es ja helfen seine verqueren
Gedanken zu ordnen, damit er endlich aufhört sich gegen Joey zu wehren..... vermutlich würde es allerdings nichts bringen.
Daher sollte ich viel lieber Joey in den Arm nehmen und trösten... er hat wirklich ein bisschen Liebe verdient.

Ich bin ja gespannt wie David Seto dazubringen will in den Urlaub zu fahren. Statt Joey zu knebeln und zu fesseln, sollte er das lieber für Kaiba andenken oder besser noch für beide. Roland fährt sie hin und setzt sie am Ferienhaus aus und fährt gleich wieder zurück... Mokuba kann sie dann von den Fesseln befreien und sich dann in Sicherheit bringen.

Nun ja... ich freue mich auf das nächste Kapitel und hoffe es dauert nicht allzulange.

glg night-blue-dragon
Von:  Onlyknow3
2019-08-08T13:30:18+00:00 08.08.2019 15:30
Was geh eigendlich mit Seto ab? Entweder er liebt den Blonden Chaoten, dann soll er zu diesem stehen.
Dann braucht er auch den Vertrag nicht, oder er soll dafür sorgen das die Dame vom Jugendamt nicht weiter ihr Nase in sein Privatleben mischt. Joey hat es sich verdient, geliebt zu werden, und wenn Seto das nicht will hat er eben Pech gehabt, dann wird Joey sich einen anderen nehmen, oder einfach so verschwinden aus dem Leben der beiden Kaiba brüder.
Weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Von:  MikaChan88
2019-07-15T14:54:19+00:00 15.07.2019 16:54
wieder mal ein super kapi
freu mich schon aufs nächste ^-^
cu,
MikaChan
Von:  night-blue-dragon
2019-06-29T22:55:27+00:00 30.06.2019 00:55
Hallo,

nach drei Wochen entspannenden Urlaub komme ich nach Hause und finde das berühmt, berüchtigte i-Tüpfelchen meines Urlaubs vor... ein weiteres Kapitel deiner wundervollen FF.
Habe ich dir schon gesagt, dass ich sie liebe? Ich mag deinen Schreibstil total, du schaffst es mit Leichtigkeit den Leser – zumindest mich – an diese Geschichte zu binden.
Ich gestehe... ich bin süchtig nach deiner Story.^^
Genug geredet, jetzt auf zum Kapitel....

>>>...Als wir auf den Fahrstuhl warteten, trat der junge Mann an uns heran, der uns vorhin die Jacken abnehmen wollten. Er sah Wheeler und mich wissend an und zu meinem Leidwesen, grinste Wheeler zurück. Dann schlang er seine Arme um mich und sagte: »Das ist meiner, ich habe ihn zuerst gesehen.«.... <<<
Das ist so eine süße Stelle, da werden ja schon mal Besitzansprüche gestellt.^^

>>>...außer dem, bleibt mir doch nichts mehr! Alles andere habe ich verloren! Also lass mir wenigstens das – lass mir wenigstens dieses Stück Joey, wenn du doch schon alles andere an mir verändern willst..<<<
Wie wahr, wie wahr, es wundert mich, dass Joey sich nicht mehr dagegen wehrt. Ich glaube allerdings, dass es Kaiba gar nicht so bewusst ist, da er – momentan – nur an sich und seinen Ruf denkt. Im übrigen wüsste ich schon gern, wie Joeys Vertragsentwurf aussieht.

>>>...Ich drückte die Stopptaste des Fahrstuhls ...<<<
Dabei musste ich gleich an Navy CIS denken, Gibbs nutzt den Fahrstuhl ja auch gern als Besprechungsraum, so ohne 'Ohren'.^^

>>>...Wäre David jetzt hier, würde er den Vertrag zerreißen und sich breit grinsend die Hände reiben. Und danach würde er mir die Zunge herausstrecken und mir erklären, dass er das ja schon von Anfang an gewusst hatte....<<<
Das ging mir auch gleich durch den Kopf beim lesen.

>>>....Ich setzte Joey auf der Bettkante ab und löste unseren Kuss für einen kurzen Augenblick. Er zog die Unterlippe zwischen seine Zähne und kaute mit geschlossenen Augen darauf herum. Am liebsten würde ich ihm sagen, dass er damit aufhören sollte, weil es mir schwerfiel, mich auf etwas Anderes zu konzentrieren. Aber ich wollte nicht, dass er diese Schwäche von mir kannte. Dann würde er das nämlich immer tun, um seinen Willen zu kriegen. Und das galt es zu verhindern....<<<
Bin ja mal gespannt, wie lange Kaiba diese kleine Schwäche verschweigen kann.

>>>....»Musst du ständig reden? Ich dachte wir wollen vögeln, da redet man nicht«...<<<
Herrlich....*lach*

>>>...Doch was ich zu sehen bekam, raubte mir den Atem. Schockiert setzte ich mich auf und starte seinen Oberkörper wie ein hypnotisiertes Kaninchen an. So etwas hatte ich definitiv noch nie gesehen. Gigantische blaue, grüne und violette Hämatome, überall Rückbleibsel von früheren Verletzungen. Es war mir ein Rätsel, wie er sich bewegen konnte, ohne bei jedem Schritt vor Schmerz zu schreien. Aber vermutlich hatte er sich daran gewöhnt. Vermutlich tat es ihm einfach nicht mehr so weh, weil sein Körper keinen anderen Zustand kannte....<<<
Sehr schockierend. Ich frage mich gerade, ob die vom Jugendamt – nicht Hades-Sakura – das wirklich nicht mitgekriegt haben, besucht haben sie die Wheelers wohl regelmäßig. Obwohl, wenn Joey nichts gesagt hat, konnten sie auch nicht handeln... echt blöd.

>>>...»Warum hast du nie etwas gegen deinen Vater unternommen?«
Es war die einzige Frage, die er mir beantworten sollte. Danach konnte er gehen, wenn er wollte.
Aber Joey schwieg beharrlich. Ich lockerte den Griff um seinen Oberarm und sah ihn nun direkt an. »Muss ich mich nochmal wiederholen?«
»Das geht dich gar nichts an!«, spuckte er mir entgegen und dann verdunkelte sich seine Miene plötzlich. »Das geht überhaupt niemanden etwas an!«...<<<
Da habe ich meine Erklärung.^^
>>>...Spätestens morgen würde ich es bereuen, ihn in mein Bett gebracht zu haben. Sein Geruch würde mich noch eine Weile verfolgen...<<<
Er könnte es ja mit Raumerfrischer versuchen.^^
>>>...Dann passierte einen schier endlosen Moment gar nichts und weil es so dunkel war, konnte ich nicht sehen was er tat....<<<
Schon komisch, dass er manchmal Adleraugen hat und im Dunkeln die ganzen Hämatome sieht und dann kann er nicht sehen was Joey macht. *wunder*
>>>...»Ich habe gerade das erste gute Argument für eine Beziehung mit dir gefunden!«, sagte er schnippisch...<<<
Typisch Joey *lach*

>>>...Ich wollte es auch, aber es wäre falsch, es jetzt zu tun. Denn er war noch immer betrunken und würde sich morgen an kaum etwas erinnern können. Also sammele ich meinen übrig gebliebenen Verstand zusammen und drückte ihn von mir weg...<<<
Finde ich sehr löblich, frag mich aber wieso auf einmal. Im Fahrstuhl hatte er noch keine Bedenken, auch auf dem Weg in sein Zimmer störte es ihn nicht, aber wie gesagt, ich finde es sehr löblich von ihm. Er hätte es ihm allerdings erklären sollen, wäre besser gewesen für den Moment, erinnern kann sich Joey ja an nichts mehr, wie wir schon wissen.^^
Das Joey so betrunken ist, merkt man wirklich an dem hin und her. Himmelhochjauchzend und gleich darauf zu Tode betrübt. Das hast du sehr schön rausgearbeitet.
>>>...5.47 Uhr. So spät war ich in den letzten vier Jahren noch nie aufgewacht....<<<
Viel Schlaf braucht er wohl nicht, nach guten vier Stunden Schlaf – vor zwei Uhr dürften sie nicht zu Hause gewesen sein, bis sie endlich geschlafen haben, dürfte bestimmt auch noch mindestens eine Stunde gedauert haben, dazu hatte auch Seto getrunken – hätte ich ohne Wecker sicher nicht die Augen aufgemacht. Aber wahrscheinlich hat er sich schon so sehr daran gewöhnt so früh aufzustehen, dass er – fast – zur üblichen Zeit aufwacht.^^

<<<...Es dauerte einen Moment, bevor ich alle Ereignisse und Geschehnisse in der richtigen Reihenfolge zusammensetzen konnte. Doch nachdem mir das gelungen war, vergrub ich verlegen das Gesicht in den Händen und schüttelte den Kopf....<<<
Joey würde es auch so gehen, wenn er sich daran erinnern könnte.^^

>>>...Ich gab ihm keine Antwort. Mein Auftritt machte plötzlich überhaupt keinen Sinn mehr. Ich regte mich nie auf, ich blieb immer ganz ruhig und reserviert. Ich benahm mich gerade wie ein kleines Kind, dass seinen Willen nicht bekam oder wie ein verkalkter Erwachsener, der mit dem Leben überfordert war.
Und es machte auch keinen Sinn, dass Joey diesen Vertrag unterschrieb. Denn seine Unterschrift auf diesem Papier, würde nichts an meinen Gedanken ändern....<<<
Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung.
>>>...Dann verschwand sie, ohne meine Antwort abzuwarten. Und ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet diese Worte mich dazu bewegen würden, Joey zu folgen. Denn zu behaupten, er wäre mir egal, nützte nichts. Ich konnte es nicht mehr leugnen: Er bedeutete mir etwas und wie viel, würde ich gleich herausfinden!...<<<
Na endlich gibt er es vor sich selbst zu, bin ja schon neugierig ob er sich gleich in der Nähe von Joeys Vater positioniert oder ob er ihn tatsächlich sucht... verzweifelt, sich Sorgen machend...ich werde es im nächstens Kapitel vielleicht erfahren.^^
Ist ein bisschen viel Geschreibsel geworden und doch noch zu wenig um alles was mich bewegt auszudrücken.
Ich wünsche dir einen schönen Sommer und viel Inspiration für weitere Kapitel deiner tollen Story.

glg night-blue-dragon
Von:  Onlyknow3
2019-06-23T08:07:05+00:00 23.06.2019 10:07
Der Widerspruch der Gefühle, ist für manchen eine Last, der nicht damit umzugehen weiß.
Das merkt man bei Seto und das ist nicht allein die Schuld von Gozaburo, seinem Adoptivvater.
Ob Joey ihn noch mal an sich heran lässt, oder ihm weiter den Rücken frei hält für das Jugendamt, wird er dann sehen.
Denn dieser wird sich sicher nicht so leicht herum kriegen lassen wie Seto wohl denkt.
Weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3


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