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Blurred

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Kapitel 13

Yugis Großvater hatte seinen Laden heute nicht geöffnet. Das machte er immer am letzten offiziellen Ferientag. Aber nicht um die Zeit mit Yugi zu verbringen, sondern um sich noch einen Tag Ruhe zu gönnen, bevor die Kinder ab nächster Woche auf dem Heimweg wieder vorbeikommen würden. Denn in den Ferien ist im Spielzeugladen Ruhe – komischerweise.

Yugis Großvater öffnete mir die Tür und schien sehr überrascht, mich zu sehen.

»Oh Hallo Joey«, sagte er lächelnd. »Yugi ist mit den anderen im Park!«

Ich runzelte die Stirn. Warum hatten Sie mir nicht Bescheid gesagt? Sie hätten mir ja wenigstens eine SMS schicken können.

Ich bedankte mich und ging direkt in den Park.

Yugi, Tea, Tristan, Duke und Ryu saßen auf einer Decke im Schatten und spielten Karten. Es tat beinahe etwas weh, sie alle so vertraut beieinander zu sehen. Warum hatten sie nicht angerufen? Vielleicht wollten sie mich ja gar nicht sehen?

Einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, wieder zurück in die Villa zu fahren, doch dann entschied ich mich anders. Wenn ich Ihnen etwas getan hatte und sie mich deswegen nicht mehr sehen wollten, konnten sie mir das wenigstens sagen.

Yugi bemerkte mich als erster. Mit großen Augen ließ er die Karte fallen und sprang von der Decke auf. »Joey? Was machst du denn hier?«

»Ich war bei deinem Großvater und der hat mir gesagt, dass ihr im Park seid. Es war sterbenslangweilig bei Kaiba also bin ich abgehauen!«, sagte ich schulterzuckend.

Tristan zischte. »Ach, dir war langweilig, da waren wir jetzt plötzlich wieder gut genug oder wie?«

Ich legte den Kopf schief. »Wie meinst du das? Die letzten Tage waren ziemlich anstrengend – ich hatte einen vollen Terminkalender!« - oder durfte das Haus nicht verlassen!

Tristan schmiss seine Karten auf die Decke. »Das kann ich mir vorstellen, als Kaibas Schoßhündchen hattest du bestimmt eine ganze Menge zu tun.« Die Art und Weise wie er das sagte, ließ Wut in mir aufkeimen.

»Worauf willst du hinaus?«, knurrte ich.

»Du vögelst Kaiba, gehst mit ihm zu irgendwelchen Veranstaltungen, himmelst ihn in aller Öffentlichkeit an und meldest dich nur noch, wenn er dir gerade nicht zur Verfügung steht! Das ist peinlich und noch dazu bescheuert. Ihr hasst euch und die ganze Welt weiß das!«, keifte er.

»Ich vögel‘ überhaupt niemanden und anhimmeln tu ich ihn auch nicht! Er ist ein Arschloch und das wird er wohl auch immer sein! Was ist denn dein Problem? Als ich euch neulich treffen wollte, wart ihr alle beschäftigt!«, schrie ich zurück.

»Wir sind deine Freunde! Wir waren immer für dich da und kaum kommt jemand daher, der Geld hat und berühmt ist und schon, sind wir für dich nur noch Luft!« Er schnappte sich seine Jacke und stand auf. »Komm‘ nicht in ein paar Wochen heulend angerannt, wenn er dich gegen jemanden besseren austauscht!«

Bevor ich noch etwas dazu sagen konnte, verschwand er. Ich ballte die Hände zu Fäusten und sah ihm nach. Ich würde ihm gerne hinterherrennen und ihm alles erklären. Dass Kaiba und ich nicht vögeln, dass wir nicht zusammen sind und das ich auch nicht sein Schoßhündchen bin. Aber Tristan würde mir sowieso nicht zuhören. Er war aufgebracht und brauchte seine Zeit. Und wenn er mir in ein paar Tagen immer noch nicht zu hören wollte, sollte er eben dumm sterben!

Ich atmete tief durch und wandte mich wieder an meine anderen Freunde. »Werdet ihr mir zu hören? Oder habt ihr vor einen ähnlichen Auftritt zu bringen, sobald ich anfange zu reden?«

Duke, Tea und Ryou warfen sich einen unsicheren Blick zu, ehe sie nickten und Tea sogar einladend auf die Decke klopfte.

Zögerlich ließ ich mich fallen. Auch Yugi setzte sich wieder hin.

»Also dann … Erzähl …«, forderte Yugi mich auf.

»Kaiba ist ein Arschloch!«, sagte ich seufzend.

»Ach was« - Duke schnalzte mit der Zunge - »erzähl uns was Neues!«

»Nein wirklich – er kann einem das Leben zur Hölle machen und seine Haushälterin ist noch schlimmer!«, seufzte ich theatralisch und brachte damit Tea zum Lachen.

»Womit warst du denn beschäftigt in den letzten Tagen? Muss ja sehr spannend gewesen sein, wenn du freiwillig mitgegangen bist?!«, fragte Duke neugierig.

Ich biss mir auf die Zunge. Am liebsten würde ich ihnen von Kaibas dämlichen Vertrag erzählen, der mich schon etliche Nerven gekostet hatte. Oder von dem, was nach der Firmenfeier der Yuens passiert ist. Von der Sache gestern und dem Gespräch, zwischen Kaiba und seinem Anwalt. Aber ich traute mich nicht, etwas zu erzählen. Ich hatte Angst, dass sie mich nicht verstehen würden und, dass ich mich lächerlich machte. Denn ich hatte mich in Kaiba verknallt und ich wollte nicht, dass meine Freunde mich dafür verurteilten oder deswegen im Stich ließen. Oder auslachten; dass wäre nicht auszuhalten.

Aber sie sind meine Freunde und ich kann es ihnen nicht für immer vorenthalten. Also besser später als nie mit der Wahrheit herausrücken, oder?

»Hey – was ist los Joey?«, fragte Tea und streichelte über mein Knie.

»Ich hab‘ mich in Kaiba verliebt«, gestand ich kleinlaut und war bedacht darauf, keinem meiner Freunde in die Augen zu sehen. Irgendwie war es verdammt peinlich das laut auszusprechen!

»Oh«, machte Tea überrascht.

Yugi lächelte zurückhaltend. »Weiß Kaiba das?«

Ich nickte. »Aber er will nichts von mir.«

»Sicher? Das sah auf den Fotos aber ganz anders aus!«

Jetzt sahen wir alle Duke fragend an und in mir machte sich Panik breit. WELCHE BILDER? Es gab doch von mir nur dieses eine einzige?!

»Wovon sprichst du?«, fragte ich nervös.

»Ach – ich verfolge den privaten Blog der Yuens schon eine ganze Weile. Meine Mutter hat ihn vor ihrem Tod abonniert und sich über die Einträge immer köstlich amüsiert. Dieser Blog ist das Klatsch- und Tratsch Magazin für die Reichen und Schönen von Domino!«, erklärte Duke schulterzuckend. »Als Besitzer einer Spieleladenkette sollte man über die High-Society Bescheid wissen!«

Tea verdrehte die Augen. »Du wirst niemals in den gleichen Kreisen verkehren wie Seto Kaiba!«

»Warts ab! Wenn Dungeon Dice Monters richtig berühmt geworden ist, werde ich mit Kaiba Tee trinkend auf euch hinabsehen!«, stichelte Duke zurück und streckte ihr feindselig die Zunge raus.

Ryou schüttelte angesichts des kindischen Verhaltens nur mit dem Kopf.

»Wie sahen wir auf den Bildern denn aus?«, fragte ich Duke. Kaiba hatte den Blog der Yuens bestimmt nicht abonniert. Der hielt sowas vermutlich für reine Zeitverschwendung. Ich würde sie also niemals zu Gesicht bekommen.

Duke begann zu grinsen. »Verliebt – ein anderes Wort fällt mir dafür nicht ein. Kaiba hat dich angesehen, als wärst du der kostbarste Schatz, den er jemals gefunden hat!«

»Dann ist er wirklich ein verdammt guter Schauspieler«, murmelte ich niedergeschlagen und zupfte ein paar Grashalme aus der Erde.

»So etwas kann man nicht spielen – nicht so überzeugend! Zu mindestens nicht, wenn man keinen Schauspiel-Unterricht hatte«, mischte sich Tea ein.

Yugi und Ryou nickten bekräftigend.

Ich wettete um mein schwarzes Rotauge, dass keiner von den dreien die Fotos gesehen hatte. Aber ich wollte darüber nicht mit ihnen diskutieren, ich kannte die Bilder ja selbst nicht.

»Er hat mir aber gestern klipp und klar gesagt, dass er nichts von mir will – außer ab und zu auf mich draufsteigen! Und ich bin kein Spielzeug, was man immer mal benutzen kann, wenn man gerade Lust darauf hat!«, sagte ich nachdrücklich und blickte jeden von ihnen eindrücklich an.

Dann seufzte ich. »Ich will mich mit euch nicht streiten, deswegen. Ich bereue es, der ganzen Sache überhaupt zugestimmt zu haben. Am liebsten würde ich das alles rückgängig machen!«

Yugi räusperte sich. »Aber dann wärst du noch bei deinem Vater und das wäre … schlecht. Du hast das, was er dir antut nicht verdient! Wenn wir dich hätten dort rausholen können, hätten wir es schon längst getan!«

Ich runzelte die Stirn. »Also findet ihr es gut, dass ich jetzt bei Kaiba lebe und mich von ihm auch behandeln lassen muss, wie einen Aussätzigen?«

Duke zuckte mit den Schultern. »Tristan findet es nicht gut. Er meinte, dass du nicht zu Kaiba passt und hatte die ganze letzte Woche schlechte Laune deswegen. Aber wir sind froh darüber. Du kannst bei Kaiba ein wesentlich ruhigeres Leben führen, auch wenn er dich nervt; wenigstens schlägt er dich nicht alle zwei Tage grün und blau!«

Erschrocken sprang ich auf. Ich wusste, dass meine Freunde über meinen Vater und mich Bescheid wussten, obwohl ich Ihnen nie etwas erzählt hatte. Aber, dass sie mich lieber bei Kaiba haben wollten, als bei mir zuhause, verletzte mich … Irgendwie. Sie alle hatten Familie, in deren Arme sie sich jeden Abend flüchten konnten, wenn die Welt mal wieder gemein zu ihnen war. Mein Vater hätte das bei mir zwar nie zugelassen, aber ich hatte mich wenigstens wohl bei ihm gefühlt … So einigermaßen; wenn er nicht zuhause war. In Kaibas Villa fühlte ich mich … gefangen – nicht mehr und nicht weniger!

»Das Kaiba mich nicht will, tut irgendwie mehr weh, als die blauen Flecken«, flüsterte ich leise und verschwand aus dem Park.

Warum war ich eigentlich hergekommen? Warum hatte ich mir Hilfe von Menschen erhofft, die vermutlich noch nie verliebt waren? Sie hatten keine Ahnung davon, wie ich mich fühlte oder in was für einem Dilemma ist steckte. Sie waren meine Freunde, aber eigentlich kannten Sie mich gar nicht.

Den Weg zur Kaiba-Villa bei 35 Grad und strahlender Sonne, zu Fuß zurückzulegen, glich einer Art Selbstbestrafung. Weil ich so dumm war, Mokubas absurden Idee zuzustimmen und weil ich so dumm war, mich in Kaiba zu verlieben.

Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und alles was in den letzten Wochen geschehen ist, ungeschehen machen. Sogar Kaibas Unfall, wenn es unbedingt sein musste.
 

Ich brauchte mehr als dreißig Minuten, um zurück ins Nobelviertel zu gelangen. Die Vorgärten waren alle menschenleer und gutgepflegt. Man konnte anhand des Bauwerkes erkennen, welcher Nationalität die Bewohner angehörten, wenn man nicht gerade in so einer Straße wohnte wie Kaiba, wo alle Villen gleich aussahen.

Am Rand des Viertels stand zum Beispiel ein Haus, dass aussah wie ein chinesischer Tempel und daneben eins, dass dem Schloss Versailles nachempfunden war. Noch größer und protziger war nur das nachgebaute Weiße Haus am Ende der Straße, dass sogar den Präsidenten der USA vor Neid erblassen lassen würde.

Mir kam ein Hundesitter mit sechs Kötern an der Leine, entgegen und ein teurer Sportwagen fuhr an mir vorbei. Ansonsten war das Viertel wie ausgestorben.

Vor Kaibas monströsem Tor blieb ich stehen und sah mir die Villa von der Straße aus an. Ich fand sie immer noch hässlich. Das hatte sich seit gestern nicht geändert. Und vermutlich würde ich sie auch immer hässlich finden. Dieser Betonklotz würde niemals mein zuhause werden.

Ich seufzte und fasste einen Entschluss. Ich musste mit David sprechen. Er sollte sich etwas einfallen lassen, um mich aus dieser Situation zu befreien. Ich wollte nicht länger mitspielen.

Direkt neben dem Tor stand eine kleine Säule, auf der in serifenloser Schrift Kaibas Name stand und direkt darunter war der Klingelknopf und der Lautsprecher der Gegensprechanlage. Ich betätigte die Klingel und wusste, dass man einen Roman lesen konnte, bevor jemand antworten würde.

Schließlich hörte man Taikas unfreundliche Stimme durch den Lautsprecher: »Villa Kaiba. Sie wünschen?«

»Ich bin’s!«, antwortete ich.

Taika tat einen unglaublich langen Augenblick gar nichts, dann schnalzte sie mit der Zunge. »Tut mir leid, ich kenne keinen „ich bin’s“!«, antwortete sie spöttisch.

Sie wusste zweifelslos, wer ich bin und hatte einfach nur Lust mich zu Piesacken. Für Sie musste das Leben in dieser Villa schrecklich langweilig gewesen sein, bevor ich aufgetaucht bin.

»Lassen Sie mich bitte rein! Ich komme mir total blöd vor, wenn ich mit diesem blöden Lautsprecher rede! Die Leute schauen schon!«

»Welche Leute? Ich sehe niemanden!«

Einen Moment bin ich verwirrt, aber dann höre ich ein leise surren. Direkt über mir ist eine Kamera, die nach links und rechts schwenkt, als würde sie mir winken – oder eher gesagt, mich verhöhnen.

Ich verdrehte die Augen und wandte mich wieder der Gegensprechanlage zu. »Hier steht Joey Wheeler und bittet um Einlass!«, knurrte ich. Konnte ich noch weiter sinken? Fehlte nur noch, dass Sie mich dazu zwang auf die Knie zu gehen und um Einlass zu betteln.

Taika sagte nichts weiter. Es knackte in der Leitung und das Tor rollte auf.

Die Einfahrt hatte nur eine leichte Steigung, deswegen war es nicht anstrengend Sie hochzulaufen. Aber ich kam mir von Sekunde zu Sekunde bekloppter vor. Wie ein Kind auf einem Schulausflug zur Burgbesichtigung. Obwohl – hier war es dann doch eher eine Kerkerbesichtigung.

Taika wartete in der Tür auf mich und funkelte mich wütend an. Der Tag, an dem Sie das mal nicht tun würde, würde ich mir bunt im Kalender markieren.

»Muss ich dir ein Floh Bad verpassen, bevor du die Villa betrittst oder bist du sauber?«, höhnte sie.

Sie meinte die Frage nicht ernst, dass verriet mir ihr Grinsen. Also antwortete ich ihr nicht und drängelte mich einfach an ihr vorbei.

Ich ging direkt in mein Zimmer und knallte die Tür hinter mir zu. Ich wollte mich aufs Bett schmeißen, den Kopf ganz tief in die Kissen drücken und ganz laut schreien. Doch als ich ans Bett herantrat, fiel mir ein Zettel auf dem Nachttisch auf. Stirnrunzelnd griff ich danach und las mir die Nachricht durch:
 

Denk daran zu packen, wenn du wieder da bist! Um 19.00 Uhr geht’s los. Ich hol dich ab.

- David
 

Ich zerknüllte wütend den Zettel und warf ihn quer durch den Raum. Ich hätte doch nicht zurückkommen sollen. Obwohl ich mir sicher war, dass David mich überall gefunden hätte. Ich sollte meine Klamotten demnächst auf Peilsender kontrollieren.

Ich starrte meine Kisten an. Ich wollte sie nicht auspacken. Aber man verlangte von mir sicherlich angemessene Kleidung. Und ich würde umräumen müssen, um sie zu finden. Also konnte ich die Kisten auch gleich auspacken. Obwohl ich mir sicher war, nicht das zu besitzen, was Kaiba als angemessen empfand. Der kreuzte am Strand bestimmt auch in Anzughose und Hemd auf.
 

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Ich faltete gerade die letzte, leere Kiste zusammen, als ich laute Stimmen vernahm. Es hörte sich an, als käme es aus dem Foyer. Ich sollte es ignorieren. Vermutlich hatte Kaiba nur wieder einen Tobsuchtsanfall. Oder Taika stauchte die anderen Angestellten zusammen, weil irgendwer einen Fehler gemacht hatte. Sie war eine Perfektionistin und sie verlangte das auch von allen anderen.

Die Stimmen wurden immer lauter. Ich stand auf und öffnete die Tür, um zu lauschen. Nach nur ein paar Sekunden riss ich erschrocken die Augen auf. Das war nicht Taika und auch keiner von Setos Tobsuchtsanfällen; mein Vater brüllte im Vorsaal herum.

Ich stürmte los. Ich wollte nicht, dass er irgendwen verletzte, der mutig genug war sich ihm in den Weg zu stellen.

Als ich an der Treppe ankam, erfassten meine Augen zu erst die offenstehende Tür in der Mokuba stand und mit schockgeweiteten Augen in den Vorgarten starrte. Ich stürmte die Treppe hinab. Er sollte verschwinden. Ich wollte das mein Vater hier verschwindet. Ich wollte nicht auch noch hier von ihm belästigt werden.

Ich packte Mokuba sanft an den Schultern und zog ihn aus dem Türrahmen. Er sah mich schockiert an.

»Geh in die Küche und bleib da. Ist David da?«, fragte ich.

Mokuba schüttelte den Kopf.

»Dann sag Taika sie soll ihn anrufen.« Mit diesen Worten schob ich ihn in Richtung Küche davon.

Anschließend atmete ich tief ein und aus und ging nach draußen.

Mein Erzeuger und Kaiba standen sich mit geballten Fäusten gegenüber. Sie starrten sich an, direkt in die Augen.

Ich musste etwas tun. Also stellte ich mich genau vor Kaiba und funkelte meinen Vater wütend an.

»Verschwinde«, knurrte ich.

Wer dachte, ich könnte mich nicht gegen ihn wehren, lag falsch! Ich wollte es nur nie, weil ich angst hatte, dass er mich rauschmeißt. Ich wollte den Rest meiner Jugend nicht in einem Heim verbringen, auch wenn es mir dort mit Sicherheit besser gehen würde.

Mein Vater brauchte einen Moment, um mich zu fokussieren. Er war wieder betrunken. Das er in diesem Zustand den Weg hierhergefunden hatte, wunderte mich stark. Aber vermutlich hatte er sich ein Taxi genommen und die Adresse vorher aus der Zeitung oder dem Telefonbuch gerissen. Wo Kaiba wohnte, war für niemanden aus Domino ein Geheimnis. Die Adressen der Reichen und Schönen kannte jeder und sie standen im Telefonbuch, genau wie die Adressen von Schulen und Kindergärten.

»Junge«, lallte mein Vater, »komm her.«

Ich schüttelte den Kopf.

»Komm her!« Er wurde wütend.

Ich schüttelte wieder mit dem Kopf.

»Wenn du nicht sofort herkommst, prügle ich dich grün und blau! Und danach knöpfe ich mir den reichen Pisser vor!«

Ich schluckte. Die Erinnerungen an seine Prügelattacken nahmen mein ganzes Gehirn ein und raubten mir fast die Sinne. Und auch wenn Kaiba in den letzten Tagen nicht gerade nett zu mir war, wollte ich ihm nicht meinem Vater aussetzen. Ich hielt Kaiba nicht für einen Schwächling, aber auch nicht für jemanden der sich lange körperlich gegen meinen Vater behaupten konnte. Und ich wollte nicht, dass er sich mit ihm anlegte. Also blieb mir nichts anderes übrig, als mit meinem Vater zugehen. Nur damit er sich abreagieren konnte.

Ich wollte auf ihn zugehen, als plötzlich jemand nach meiner Hand griff. Ich drehte mich um, es war Kaiba. Er umklammerte mein Handgelenk mit seinen langen Fingern wie ein Schraubstock.

»Nur über meine Leiche!«, knurrte er und zog mich hinter sich.

Er sah mich einen Moment eindringlich an, dann ging er direkt auf meinen Vater zu.

»Verschwinden Sie von meinem Grundstück – sofort! Sonst krame ich jedes Ihrer schmutzigen Geheimnisse hervor und lasse Sie einbuchten. Solange, dass Sie niemals wieder das Sonnenlicht erblicken werden!«

»Was willst du aufgeblasener Schnösel von mir? Gib mir einfach meinen Sohn, dann verschwinde ich von hier!«

Kaiba ballte wieder die Hände zu Fäusten.

Bitte schlag nicht zu, war das einzige woran ich denken konnte.

»Mein Sohn ist kein Schwanzlutscher!«

Doch bin ich, dachte ich, ich bin ein Schwanzlutscher. Wenn dich dieses Geständnis dazu bringt, von hier zu verschwinden, bin ich einer!

»Ist das alles was Sie interessiert; dass Ihr Sohn nur mit Frauen ins Bett steigt und Kinder in die Welt setzt, die Sie auch noch verprügeln können.« Ich wusste nicht was Kaiba damit bezwecken wollte. Ich war nicht einmal in der Lage dazu, seine Wörter zu verarbeiten. Aber ich bewunderte ihn dafür, dass er meinem Vater die Höflichkeit entgegenbrachte, ihn zu siezen.

»Das geht dich gar nichts an und jetzt rück‘ meinen Sohn raus! Er ist nicht dein Eigentum!«

Ich wollte hier nicht mehr sein. Noch gestern wollte ich David bitten, mich hier herauszuboxen. Aber jetzt, wo ich meinen Vater sah, kam mir Kaibas Villa plötzlich wie der Himmel vor.

Kaiba hatte Recht! Ich konnte hier ein gutes Leben haben, egal ob mit oder ohne ihn an meiner Seite. Selbst wenn ich nur der geduldete Haus- und Hofköter bin, ging es mir hier immer noch besser als in dem versifften Haus meines Vaters.

Ich setzte mich in Bewegung. Ich musste meinen Vater dazu bekommen, von hier zu verschwinden.

Ich stellte mich direkt vor Kaiba, nur ein paar wenige Zentimeter entfernt von meinem Vater. Ich sah ihm direkt in die Augen.

»Ich werde nicht mit dir kommen – nie wieder. Verschwinde!«, knurrte ich.

»Ich bin dein Vater; du hast zu machen, was ich dir sage!«

»Du bist ein Arschloch!« Ich wollte es nicht laut aussprechen, es rutschte mir einfach heraus. Aber es gab keinen Zweifel, dass mein Vater jedes meiner Worte verstanden hatte. Denn keine dreißig Sekunden nach dem ich es ausgesprochen hatte, hatte ich bereits seine Faust im Gesicht. Ein weiteres von vielen vorangegangenen Veilchen würde in Kürze mein Gesicht ziehen.

Das nächste was ich mitbekam, war, wie Kaiba mich hinter sich zog und anschließend meinen Vater wütend anfunkelte.

»Das letzte Mal habe ich mich davon abbringen lassen Ihnen eine reinzuhauen; dieses Mal nicht!« Er krempelte seine Ärmel hoch und stürzte sich auf meinen Vater, bevor ich ihn davon abhalten konnte.

Mein Vater hatte nicht damit gerechnet. Er rechnete nie damit, dass jemand zurückschlagen könnte. Für gewöhnlich tat es auch niemand – außer Kaiba.

Ich sollte dazwischen gehen. Mein Verstand schrie geradezu danach. Aber der Teufel auf der anderen Schulter, flüsterte mir zu, dass mein Vater es verdient hatte. Und da Kaiba die Oberhand hatte, gab es für mich überhaupt keinen Grund dazu, die beiden voneinander zu trennen. Zumal ich vermutlich sowieso nicht dazu in der Lage war.

Ich war kein Schwächling, aber eben auch nicht der stärkste. Ich war meistens zu euphorisch, was meine Kraft und meine Fähigkeiten anging, aber ich hatte mich noch nie kampflos geschlagen gegeben. Außer bei meinem Vater. Weil es nie Sinn gemacht hatte, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Er hätte mich vermutlich rausgeschmissen, hätte ich es getan.

Kaiba schlug und trat so lange auf meinen Vater ein, bis dieser am Boden lag und kraftlos röchelte.

»Du fasst ihn nie wieder an, verstanden?! Sonst wirst du das nächste Mal nicht überleben, dass kannst du gerne schriftlich haben!«

Kaiba wartete die Antwort nicht ab, er ließ meinen Vater einfach liegen und drehte sich zu mir um.

Mein Vater hatte auch den ein oder anderen Schlag gelandet. Kaibas Lippe war aufgeplatzt und unter seinem Auge schwoll die Haut bereits an und war tiefrot.

Er blieb direkt vor mir stehen, nahm mein Gesicht in seine Hände. Er atmete so schwer, als wäre er gerade einen Marathon quer durch Domino gerannt.

Ich konnte nicht anders, als ihn schockiert anzusehen.

»Du blutest«, stellte ich wenig geistreich fest.

Er ein zaghaftes Lächeln huschte über sein Gesicht, als hätte er keine andere Aussage von mir erwartet.

»Und du hast ein blaues Auge«, antwortete er, als wüsste ich das nicht selbst.

Einen schier endlosen Moment starrten wir einander nur an. Die ganze Situation kam mir so surreal vor. Niemals in einer Million Jahren hätte ich damit gerechnet, dass ausgerechnet Kaiba mich vor meinem Vater beschützen würde. Aber er hatte es getan, von sich aus; ohne das ich ihn darum bitten musste.

Der Engel auf meiner linken Schulter sagte mir, dass ich meinem Vater helfen sollte. Das er zwar kein guter Mensch war, aber dass ich ihn nicht einfach links liegen lassen konnte. Immerhin hatte er mich großgezogen, als meine Mutter mich nicht haben wollte. Als sie mich einfach zurückgelassen hat.

Und der Teufel auf meiner rechten Schulter sagte mir, dass ich mich jetzt nur auf Kaiba konzentrieren sollte. Ich musste ihn festnageln, ihn dazu zwingen mir zu sagen, dass er sich auch in mich verliebt hatte. Denn nach gerade eben gab es daran keine Zweifel mehr. Und es zu leugnen wäre gelogen.

Doch in dem Moment, in dem ich den Mund öffnete, hörte ich direkt hinter Kaiba den Kies knistern.

Ich schielte an ihm vorbei. Mein Vater hatte es geschafft aufzustehen und sah mich nun wutentbrannt an.

»Du bist nicht mehr mein Sohn!«, sagte er.

Es sollte mich verletzen, mir Tränen in die Augen treiben. Aber es war mir gleichgültig.

»Das war ich nie wirklich; seinen Sohn behandelt man nämlich nicht so«, antwortete ich.

Woher das Selbstbewusstsein plötzlich kam, wusste ich selbst nicht. Vermutlich lag es daran, dass Kaiba noch immer mein Gesicht festhielt. Und das er sofort vor mich springen würde, sollte mein Vater sich wieder in meine Nähe wagen.

Mein Vater hatte dem nichts mehr hinzuzufügen Ich hatte ihn noch nie aufgeben sehen. Doch heute blieb ihm wohl oder übel nichts anderes übrig.

Ich sah meinem Vater einen Moment nach, als er die Auffahrt hinunterlief, lenkte meine Aufmerksamkeit aber doch recht schnell wieder auf Kaiba.

Wir starrten uns wieder an. Irgendwie wurde das langsam peinlich.

»Gibst du es jetzt endlich zu?«

»Was?«, entgegnete Kaiba. Ich schien ihn mit meinen Worten völlig aus dem Konzept gebracht zu haben.

»Das du in mich verliebt bist?«

Statt einer Antwort, zog er mich nur näher an sich heran. Vorsichtig strich er mit dem Daumen über meine Unterlippe.

»So tief bin ich noch nicht gesunken«, murmelte er neckisch.

Ich wollte bereits von ihm abrücken und ihm widersprechen, als er schlagartig seine Lippen auf meine legte und meinen Mund mit seinem verschloss.

Augenblicklich gab ich dem nach. Denn küssen war eindeutig besser, als reden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  night-blue-dragon
2021-05-03T15:45:05+00:00 03.05.2021 17:45
Ach ja, eine sehr schöne Geschichte, die so zwar enden kann, aber auch noch einige Fragen offen lässt.
Vielleicht findest du noch die Motivation sie noch weiter zu führen.

glg night-blue-dragon

ich lese sie immer wieder gern^^
Von:  MikaChan88
2019-10-04T14:30:31+00:00 04.10.2019 16:30
Super kapi
Von:  night-blue-dragon
2019-09-19T07:39:05+00:00 19.09.2019 09:39
Hallo^^

Der arme Joey hats schon schwer. Ich hätte nicht gedacht, dass sein Vater noch mal auftaucht um ihn 'abzuholen'. Eher rechnete ich damit, dass er tatsächlich Geld von Kaiba fordert, damit dieser Joey behält, dann hätte er sich zu Tode saufen können.
Das Ende sieht vielversprechend aus, wie so oft schon. Ich wette, wenn David die beiden jetzt sehen würde, würde er einen Luftsprung machen und den Kuss der beiden fotografieren, damit er es Kaiba immer wieder unter die Nase reiben kann.

Ich kann mich nur immer wiederholen... ich liebe deine Geschichte und fiebrere dem nächsten Kapitel entgegen.
Zuende kann sie noch nicht sein, da ja immer noch Hades-Sakura ein Auge auf sie hat.^^

Bis dahin
glg night-blue
Von:  Onlyknow3
2019-09-18T16:58:43+00:00 18.09.2019 18:58
Der Kuss kann aber auch eine Antwort sein, ein JA, denk daran Joey.
Super Kapitel, das dir da gelungen ist.
Weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3


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