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Herbsterwachen

von

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Herbsterwachen

Er hasste den Herbst. Dieses triste Grau machte ihn krank. Egal, ob die Blätter der Bäume bunt waren - es war trist und grau. Und das brachte ihn nur noch weiter in die Nähe des Wahnsinns.

Und dazu kam der Regen. Der Regen, der im Herbst immer öfter fiel - immer grauer, immer länger, immer beständiger. So, wie ein vergeblicher Versuch, den Himmel und die Erde zusammenzunähen. Es konnte nicht funktionieren. Unvereinbares kann bekanntlich nicht vereint werden. Entsprechend war der Regen jedes Mal aufs Neue zum Scheitern verurteilt. Nur leider gab er nicht auf. Oh nein... Dieser bescheuerte Fädenregen fiel wieder und wieder und wieder und wieder. Warum hörte er nicht auf? Warum hörte es nicht auf?

Warum hörte dieser beschissene Regen nicht auf? Warum nicht? Dann hätte er wenigstens eine Weile Ruhe vor den Gedanken... Vor der lärmenden Leere in seinem Inneren. Vor der Kälte, die ihm die Kehle zuschnürte und die durch diesen verdammten Herbst noch bestärkt wurde.

Mit dem Winter konnte er leben - kein Thema. Okay, es war noch kälter, aber es fiel wenigstens kein Regen. Kein. Regen. Und das war verdammt noch mal ein Grund, den Winter zu mögen.
 

Genjo Sanzo zog an seiner Zigarette und stemmte die Füße gegen das Holzgeländer der Veranda. Er saß auf einem einfachen Holzstuhl, dessen vordere Beine in der Luft hingen und dessen Lehne gegen die Wand des Hauses stieß. In der linken Hand hielt der Blonde eine Whiskyflasche, aus der er immer wieder einen tiefen Schluck nahm. Er war allein in diesem kleinen Haus mitten im Wald. Seine drei Reisegefährten jagten gerade ein paar Dämonen, die die Gegend unsicher machten. Nur halbherzig hatten sie versucht, ihn zu überzeugen, mitzukommen. Okay, Hakkai hatte sich Mühe gegeben, aber letztendlich hatte er doch auch aufgegeben und den blonden Mönch in ihrem Nachtquartier zurückgelassen.

Sanzo setzte die Flasche an die Lippen und nahm einen großen Schluck. Für einen Moment spürte er so etwas wie Wärme durch seine Kehle fließen, als der Whisky sie langsam hinunterrann. Er seufzte leise. Einen Augenblick später verpuffte dieses bisschen Wärme jedoch schon wieder und ließ ihn erneut schaudern. Ihm war so kalt. Alles an ihm war kalt. Seine Hände, seine Lippen, seine gesamte Haut. Nichts schien noch so etwas wie Wärme ausstrahlen zu können - oder überhaupt zu besitzen.

Ihm schauderte und er zog die Schultern leicht hoch. Es änderte nichts. Was auch immer er tat, er wurde diese Kälte nicht mehr los. Gar nicht mehr.

Warum lebte er überhaupt noch? Warum gab er nicht nach? Warum gab er nicht auf?

"Scheißleben...", murmelte er leise, heftete die Lippen an die Zigarette und inhalierte den Rauch. Auch wieder eine Illusion von Wärme. Eine Illusion. Nichts weiter.

War nicht alles eine Illusion? Alles, das ihm jemals wichtig gewesen war, war zerbrochen... Alles. Gab es da noch irgendetwas? War da noch etwas übrig geblieben? Nein. Nichts als Scherben hatte er behalten. Scherben, die er nicht gewollt hatte. Scherben, die seine Seele bedeckten und immer wieder tief einschnitten, wenn er eine unbedachte Regung tat.

Manchmal wunderte es ihn selbst, dass er noch nicht vollkommen abgestumpft war. Solange er noch diesen elenden Schmerz spürte, lebte er noch, nicht wahr? Solange der Schmerz noch da war, war es noch nicht vorbei, nicht wahr? Trotzdem war er ein Wrack - und er wusste es.

Vielleicht war es gerade dieses Wissen darum, dass es hätte anders sein können - dass ER hätte anders sein können -, das, was ihn immer näher in Richtung des Wahnsinns taumeln ließ.
 

Der Mönch blinzelte zum Himmel empor. Grau. So ließ er sich am besten beschreiben. Einheitlich grau. Düster, trist und überhaupt nichts, das sich in irgendeiner Weise anzusehen lohnte. Dennoch wandte er seine violetten Augen nicht ab, sondern ließ sie weiter über die Wolkendecke schweifen.

Er hasste den Regen. Und gerade weil er ihn hasste, hatte er gelernt, die Anzeichen dafür schnell zu sehen. Was man immer am schnellsten lernt, ist, wenn sich etwas ankündigt, das man auf den Tod nicht ausstehen kann. Beruhigend, dass dem so war - ansonsten hätte ihn so mancher Regenguss schon eiskalt und unvorbereitet erwischt.

Wenn er noch etwas mehr hasste als Regen, dann war es das Gefühl, überrascht und von Eindrücken überwältigt zu werden. Er wollte wenigstens darauf gefasst sein. Wenigstens das. Denn dadurch war alles leichter zu ertragen - und konnte ihn weniger erreichen. Konnte an der undurchdringbaren Schale abprallen und nicht zu dem Kern seines Wesens vordringen.

Nur einer hatte das einmal geschafft. Einer. Und dieser Mensch war verdammt noch mal tot.

Sanzo schloss die Augen. Nicht die Bilder. Nicht jetzt. Nicht ohne Regen. Es reichte schon, dass sie jedes Mal hochkamen, wenn es regnete. Das reichte. Er brauchte das nicht noch, wenn sie ihn auch so überfielen. Es reichte, wenn sie es bei Regen taten. Und er wollte sie verdammt noch mal auf diesen beschissenen Regen beschränken. Wenigstens das. Wenn es regnete, dann mochte er machtlos sein, aber auch wirklich nur DANN!
 

Langsam bahnten sich die ersten Regentropfen einen Weg durch das Blätterdach der Bäume. Sanzo zuckte zusammen. Na herrlich. Jetzt hatte er es also - Regen.

Er schnaubte unwillig und schnippte die aufgerauchte Zigarette in die Nässe hinaus. Blieb nur noch der Whisky, um ihn bei Verstand zu halten. Großartig.

Wobei... Was sprach dagegen, eine weitere Kippe rauszuholen? Einfach, damit er sich daran festhalten konnte...

Seine Hand tastete über die Hosentaschen und musste das feststellen, was er schon geahnt hatte: Keine Zigaretten mehr. Vielleicht drinnen, aber dazu musste er aufstehen. Und das war nun auch wieder nichts, was er anstrebte. Nein, lieber hier sitzen, die Kälte des Herbstages spüren, dem Herbstregen zusehen und den Schmerz wieder tief in sich hineinfressen. Einmal mehr. Irgendwie auch, damit er wenigstens noch etwas spürte und nicht mehr das Gefühl hatte, schon längst tot zu sein.

Manchmal wünschte er es sich, das zu sein. Tot zu sein. Dann hätte dieser ganze Mist wenigstens einmal ein Ende...
 

"Halloho Sanzooooo!" Goku kam aus dem Gebüsch gehopst, ein strahlendes Grinsen auf dem Gesicht und puren Übermut in jeder seiner Bewegungen. Dass er bei diesem Wolkenguss nicht klatschnass war, hatte er einzig und allein dem riesigen Schirm in seiner Hand zu verdanken. Wobei auch das bemerkenswert war, denn er wedelte mit dem Schirm derart herum, dass dieser kaum dazu kam, seiner Pflicht - dem Abhalten des Regens - nachzukommen.

"Krieg dich wieder ein, blöder Affe!", fauchte in dem Moment Gojo hinter ihm und verpasste dem Kleineren eine Kopfnuss. Schweigend und mit einem unergründlichen Lächeln auf dem Gesicht folgte ihnen Hakkai.

Sanzo nahm seine Reisegefährten zwar zur Kenntnis, schenkte ihnen aber keine besondere Aufmerksamkeit. Dann waren sie eben wieder da. Und? Das änderte schwerlich etwas an dem Regen, an der Kälte und an dem brennenden Schmerz in seinem Inneren.

"Sanzoho!"

Goku hopste die paar Stufen zu der Veranda hoch.

"Hey! Ich rede mit dir!" Der - scheinbar - Jüngste der Gruppe verpasste Sanzo einen leichten Stupser auf die Schulter.

Warum konnte Goku ihn nicht einfach allein lassen? Warum nicht? Warum musste er sich immer derart aufdrängen? Warum konnte dieser dumme Affe nicht endlich kapieren, dass er seine Ruhe haben wollte?

"Finger weg, Affe.", knurrte Sanzo und schlug die Hand weg. Wenigstens wollte er das. Doch der Junge hielt seinen Arm fest und blickte ihn aus seinen großen, goldenen Augen forschend an.

"Du bist ja ganz kalt, Sanzo." Jegliche Überdrehtheit war aus Gokus Stimme gewichen, stattdessen stand ernsthafte Sorge darin - und für den übereifrigen Kleinen eine erstaunliche Vernunft. "Komm mit rein. Da drinnen ist es warm. Sonst erfrierst du hier noch."

Sanzo blickte ihn an. Schweigend. Darauf wartend, dass Goku nachgab und ihn in Ruhe ließ. Doch nichts dergleichen geschah. Sogar dieser Idiot musste das doch verstehen, oder? Hakkai und Gojo taten es - sie kümmerten sich nicht weiter um Sanzo und ließen ihm seine Launen.

"Na gut, dann kriegst du eben eine Decke nach draußen." Goku lächelte, hopste durch die Tür und kam einen Augenblick später mit einer dicken Wolldecke wieder. Er zog sich einen weiteren Stuhl heran und wickelte die Decke kommentarlos um sich und Sanzo.

"Wenn du hier sitzen willst, meinetwegen..." Damit legte Goku die verschränkten Arme auf das Geländer und stützte das Kinn darauf. Stumm blickte er in den dicht fallenden Regen.

Sanzo sah ihn noch kurz von der Seite an, dann seufzte er.

"Dummer Affe..."

Dennoch umspielte ein winziges, kaum sichtbares Lächeln seine Lippen und er kuschelte sich ein wenig mehr in die Decke. Vielleicht gab es ja doch etwas jenseits der Kälte und jenseits des Regens.

Und wenn es nur ein bekloppter Affe war, der sich irgendwie um ihn sorgte...



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Himeka
2007-03-12T09:29:12+00:00 12.03.2007 10:29
Wie süüüüüß^^
Der ewig Kalte und das kleine "Kind" *quietsch*
das sind ja die typischen beiden Charaktere. Aber ich muss sagen, sie haben mir lange nicht mehr so gut gefallen, wie in dieser Story. Deine Beschreibungen von Sanzos Gefühlswelt war klasse. Und auch die Sache, warum er den Regen hasste...
Miii miii miii^^ toll^^ *knuddel*
Von: abgemeldet
2006-09-10T19:26:08+00:00 10.09.2006 21:26
Sehr schöne Szene. Kompliment! :)


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